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Beschreibung

Mit der aktuellen Neuordnung der stationären Versorgung wird beispielhaft erkennbar, wie gesundheitspolitische Initiativen und Problemlösungen künftig auf gänzlich veränderte sozioökonomische und demographische Rahmenbedingungen treffen, wobei ein erheblich steigender Informationsbedarf mit einer Thematisierung von wachsender Unsicherheit und bisher eher unterschätzter Komplexität von Entscheidungen einhergeht. Eine ähnliche Herausforderung besteht im Bereich der Verlagerung von bisher stationär auf künftig ambulant zu erbringende medizinische Leistungen. Etablierte Verfahren der medizinisch-prädiktiven Risikoadjustierung bieten hier sowohl eine methodische Unterstützung wie auch eine justitiable Absicherung im medizinischen und administrativen Umfeld. Je flexibler Mediziner auf Entscheidungsvorgaben individuell reagieren müssen, desto größer ist der Bedarf an validen und handlungsleitenden risikorelevanten Informationen und entsprechend validen Risikobewertungsoptionen. Auch eine stärker personalisierte Medizin wird nur gelingen, wenn wesentlich mehr Informationen über einen Patienten mit erheblich verbesserter Geschwindigkeit und mit validen, international anerkannten Messinstrumenten an den Punkt der Entscheidung gebracht werden können. Im vorliegenden Band sollen sowohl die theoretische Fundierung von ausgewählten Modellen zur Risikoadjustierung vorgestellt als auch die praktische Umsetzung aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in anschaulichen Beispielen beschrieben werden. Im Ergebnis ist mit dem Geleitwort von Prof. Dr. Gerd Gigerenzer, langjähriger Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz (Universität Potsdam), der ein "sauberes Wissen" ohne bewusste oder unbewusste Verzerrung von Aussagen fordert, bereits das Entwicklungsziel der Risikoadjustierung gesetzt, um die künftigen Herausforderungen in kollektiver Betrachtung, aber auch im Bereich patientenindividueller Entscheidungen unter der Vorgabe weiter limitierter Ressourcen angehen zu können.

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Der Herausgeber

 

Franz-Josef Fischer absolvierte sein Studium der Pharmazie an der Universität Bonn, worauf ein Studium der Ökonomie und Betriebswirtschaftslehre (Schwerpunkte Gesundheitsökonomie und Marketing) an den Universitäten Louvain-La-Neuve (B), Metz (F), Köln und an der FeU Hagen folgte. Dort machte er den Abschluss als Dipl. Kaufmann und Dipl. Ökonom (MBA). Fischer ließ sich zum Fachapotheker für Klinische Pharmazie weiterbilden und übernahm von 1985 bis 1995 die Leitung einer Klinikapotheke in Düsseldorf. Von 1995 bis 2010 war er als Fortbildungs-Beauftragter der Apothekerkammer Hamburg für den Bereich Gesundheitsökonomie und Betriebswirtschaft tätig. Es folgte eine Train-the-Trainer-Ausbildung bei der Dt. Gesellschaft für Evidenzbasierte Medizin sowie zahlreiche Beratungsaufträge für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (KPMG, Solidaris, PwC, Deloitte) für die Bereiche Arzneimittel- und Labor-Management.

In den Jahren 1996 bis 2002 war Fischer Leiter der Abteilung Strategische Marktentwicklung der Ciba-Geigy AG in Basel/Wehr (später Novartis Nürnberg) und übernahm im Jahr 2002 die Geschäftsführung der Schellen & Partner GmbH in Düsseldorf. 2015 wechselte er in den Verwaltungsrat der MEDSTAT S.A. (Thomson Reuters Inc. Philadelphia PA). Seit 2022 ist Franz-Josef Fischer Vorsitzender des Verwaltungsrates der MEDSTAT S.A. Luxembourg und seit 2020 ist er ehrenamtlich Präsident der Stiftung EUROSCORE asbl in Luxemburg/Brüssel. Fischer kann zahlreiche Lehraufträge und Veröffentlichungen vorweisen.

Franz-Josef Fischer (Hrsg.)

Risikoadjustierung und individualisierte Medizin

Instrumente und Anwendungen im medizinischen Qualitätsmanagement und der sektorübergreifenden Vernetzung

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-17-043290-1

 

E-Book-Formate:

pdf:     ISBN 978-3-17-043291-8

epub:  ISBN 978-3-17-043292-5

»Where is the knowledge we have lost in information?

Where is the wisdom we have lost in knowledge?«

- T.S. Elliot, »The Rock«

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort

Vorwort des Herausgebers

Verzeichnis der Autoren und Autorinnen

1     Grundlagen und Entwicklungslinien der Risikoadjustierung im Kontext medizinischer Bewertungen

Franz-Josef Fischer

1.1       Entwicklung und Abgrenzung risikoanalytischer Bewertungsansätze

1.2       Die Bedeutung der Risikoadjustierung für das medizinische Qualitätsmanagement

1.3       Risikobewertung im Zentrum einer ambulanten Behandlungsverlagerung

1.4       Historische Entwicklung der medizinischen Risikoadjustierung

1.5       Transsektorale Vernetzung und Individualisierung der Medizin

1.6       Historische Entwicklung und Ziele der medizinischen Risikoadjustierung

1.7       Anwendungen einer medizinisch-prädiktiven Risikoadjustierung in der Praxis

1.8       Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Weiterführende Literatur

2     Risikoadjustierung: Mit Mengen und Modellen zu Verständnis und Fairness

Ulrich Hoffrage

2.1       Einleitung

2.2       Risiko: Geschichte und Bedeutung

2.3       Sinn und Zweck der Risikoadjustierung: Verständnis und Fairness

2.4       Methoden der Risikoadjustierung: Mengen und Modelle

2.5       Auf dem Wege zu mehr Risikoadjustierung: Einsicht, Wille und Strukturen

2.6       Epilog

Literaturverzeichnis

3     Risikoadjustierung und Public Reporting – Kommunikationspolitische Konsequenzen für Patienteninformation und -lenkung im Gesundheitswesen

Franz-Josef Fischer, Kirsten Steinhausen

3.1       Einleitung

3.2       Ohne adäquate Risikoadjustierung laufen Qualitätsbewertungen ins Leere

3.3       Die Wahrnehmung von Qualitätsbewertungen als weitere Hürde in der Patientenkommunikation

3.4       Das Konzept des Public Reporting und die Rolle von Social Media

3.5       Fazit

Literaturverzeichnis

4     Risikoadjustierung und personalisierte Medizin – Neue Wertschöpfungsdimension für die Informationstechnologie im Gesundheitswesen

Tim Tenelsen

4.1       Einführung und Entwicklung der IT-Infrastruktur in Kliniken

4.2       Wertschöpfungsstufen der Informationstechnologie

4.3       Ausblick

5     Praktische Anwendungsbeispiele einer medizinischen Risikoadjustierung in der Klinik

Luka Bareis

5.1       Einleitung

5.2       Weitgehend DRG-unabhängige Feststellung des ambulanten Behandlungspotenzials durch ausgewählte Skalen zur Bestimmung des medizinisch-prädiktiven Schweregrades

5.3       Risikoadjustierung als zentraler Ausgangspunkt für Vergleiche der medizinischen Prozess- und Ergebnisqualität Bewertung von Prozessen über die Dimension Verweildauer

5.4       Medizinische Risikoadjustierung in Verbindung mit DRGs – Ziel: Abgesicherte Abrechnungsoptimierung aus medizinischer Sicht

5.5       Fazit

6     Eignet sich der PCCL vor dem Hintergrund der Krankenhausreform und der zunehmenden Ambulantisierung als Parameter zur Abbildung der medizinischen, patientenindividuellen Fallschwere?

6.1       Einführung in das Thema

Katrin Rothkopf

6.2       Zielsetzung und methodischer Aufbau des PCCL

Giulia Mraz

6.3       Die Beurteilung der Qualität der medizinischen Leistungsabbildung mit Hilfe des PCCL

Katrin Rothkopf

6.4       Der PCCL im Vergleich zu alternativen Skalen zur Bestimmung der med. Fallschwere im Praxiseinsatz

Luka Bareis

6.5       Weitergehender Vergleich PCCL und Disease Staging™

Franz-Josef Fischer

6.6       Zusammenfassung

Franz-Josef Fischer, Katrin Rothkopf

7     Risikoadjustierung und internationale Qualitätsvergleiche – Herausforderungen am Beispiel der OECD-Daten zur 30-Tage-Herzinfarktsterblichkeit nach Krankenhausaufnahme

Robin Heber, Anna Levsen

7.1       Einleitung

7.2       Voraussetzungen internationaler Datenvergleiche

7.3       Datenlage der OECD: unlinked vs. linked data

7.4       Deutschland mit erhöhter Risikolast im internationalen Vergleich

7.5       OECD-Ansätze zur Risikoadjustierung

7.6       Eingeschränkte Datenverfügbarkeit in Routinedaten

7.7       Unterschiede in der Dokumentationsqualität

7.8       Fazit

Literaturverzeichnis

8     Überlegungen auf dem Weg zu einer bevölkerungsorientierten regionalen Gesundheits- und Versorgungsplanung

Helmut Hildebrandt, Daniel Dröschel, Justin Rautenberg & Heidrun Sturm

8.1       Gesundheitsplanung

8.2       Versorgungsplanung

8.3       Integrierte Gesundheits- und Versorgungsplanung

8.4       Aktuelle gesetzgeberischen Planungen und Entwurf einer regionalen Umsetzungsstrategie

Literaturverzeichnis

9     Risikoadjustierung im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung – Was wir vom SGB VII für die GKV lernen können

Ulrich Ziegelmayer

9.1       Einführung

Exkurs

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

10   Zukunft heißt Veränderung – Die Bedeutung der Risikoadjustierung für kommende individualisierte Versorgungsangebote auf Basis einer digitalen Patientenakte und breiter Datenverfügbarkeit

Dirk Knüppel

10.1     Einführung

10.2     Ermittlung der Krankheitsdiagnose

10.3     Moderne Radiologie als Schlüssel für eine schnelle und valide Diagnostik

10.4     Klassifikation von Fallmischungen zur Analyse von Ressourcennutzung und Kostenerstattung

10.5     Beurteilung der Versorgungsqualität

10.6     Fazit

Literaturverzeichnis

11   Die Bedeutung einer effektiven Analytik zur schnelleren Risikoeinschätzung

Jan Kirchhoff, Carmen Diker, Philipp Bornfleth

11.1     Einleitung

11.2     (Initiale) Anforderung von Laborparametern

11.3     Auftragsbearbeitung im Labor

11.4     Interpretation und Befunddarstellung

11.5     Stetige Optimierung

11.6     Ausblick

Literaturverzeichnis

12  Risikoadjustierung im Bereich des Krankheitsbildes der Sepsis – Steuerung durch Routinedaten und Validierung durch klinikindividuelle Parameter. Praxisbeispiel aus den Westküstenkliniken Brunsbüttel und Heide gGmbH

Björn-Ola Fechner, Nils Dreier, Utz Bartels

12.1     Hintergrund

12.2     Scorings

12.3     Kennzahlen

12.4     Analyse von Spezialkennzahlen

12.5     Kommunikation in die Klinik

12.6     Sepsis-AG

12.7     Quartalsweise Qualitätsgespräche

12.8     Berichtswesen Aufsichtsrat

12.9     Fallanalyse Sepsis

12.10  Stellungnahmeverfahren

12.11  Ableitung von Maßnahmen

12.12  Bisherige Ergebnisse

12.13  Ausblick zu den neuen Empfehlungen der Surviving Sepsis Campain

12.14  Grenzen des Systems

12.15  Ausblick

Literaturverzeichnis

13  Bridging the Gap – Gain d’informations grâce aux éléments complémentaires des systèmes DRG (GHM, APR®-DRG etc.) et de Disease Staging™

Alain De Wever, Franz-Josef Fischer

Verzeichnisse

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Geleitwort

Was fällt Menschen zum Begriff »Risiko« ein? »Verlust«, »Angst«, »vermeiden« und »Bankrott«. Risiko sei etwas Negatives, dem man besser aus dem Weg geht. Nein Danke, denken viele, wir wollen lieber absolute Sicherheit. Doch ist Risiko auch eine Chance. Statt es zu verleugnen, können wir lernen, damit kompetent umzugehen. Zur Risikokompetenz gehört zuallererst die Einsicht, dass es kein Nullrisiko gibt. Der Versuch, kein Risiko einzugehen, ist oft das größte Risiko. Und die Illusion der Sicherheit kann sogar tödlich sein. Ein klassischer Fall war die Entscheidung vieler Amerikaner, nach dem 11. September 2001 das Risiko des Fliegens zu vermeiden und stattdessen mit dem Auto zu fahren. In den 12 Monaten nach dem Anschlag verloren dabei etwa 1.600 Amerikaner mehr als üblich ihr Leben auf den Straßen. Zur Risikokompetenz gehört auch die Abwägung von Risiken und die Adjustierung von Risiken durch Berücksichtigung von relevanten, individuellen Faktoren. Ein aufgeklärter Umgang mit Risiken ist Voraussetzung für die besten Entscheidungen im Gesundheitswesen.

Davon sind wir leider noch weit entfernt. Nur wenige medizinische Fakultäten lehren Risikokompetenz. Um Risiken einzuschätzen und auf individuelle Patienten zu adjustieren, braucht man Grundkenntnisse im statistischen Denken. Eine Studie mit Medizinstudenten zeigte, dass nur wenige am Ende ihres Studiums zehn Grundkonzepte der Statistik wie Sensitivität, Spezifität, positiver prädiktiver Wert (PPV) und Überdiagnose verstanden.1 Studien mit praktizierenden Ärzten zeigen ein ähnliches Bild: Viele verwechseln relative mit absolute Risiken; die Mehrzahl verwechselt 5-Jahre-Überlebensraten beim Screening mit Mortalitätsraten und hat nie gelernt, den PPV zu berechnen.2 Folglich sind die meisten Ärzte derzeit nicht in der Lage, Artikel im eigenen Fach kritisch zu lesen. Diese Situation wäre schnell und einfach zu ändern: mit besserer Ausbildung, Weiterbildung und Fortbildung. Solange dies aber nicht erfolgt, können Ärzte weiterhin bezüglich der tatsächlichen Risiken von Erkrankungen und deren Therapien leicht in die Irre geführt werden.

Ein gewisses Maß an statistischem Denken ist auch nützlich, um die wertvollen Beiträge in dem vorliegenden, informativen Buch zu verstehen. Wie soll die Fallschwere von Patienten bestimmt werden? Was sind die Folgen von Schließungen kleinerer Kliniken in Flächenstaaten wie Bayern und Niedersachsen für ältere Menschen mit vielen Komorbiditäten? Welche Rolle spielen regionale Unterschiede in der Morbiditätslast, und wie soll man diese ermitteln? Um diese und weitere Fragen zu beantworten, braucht man zuverlässige Daten und statistisches Denken. Es reicht nicht zu glauben, dass diese mentale Arbeit immer von der Gesundheitspolitik erledigt wird. In meiner Erfahrung mit Politikern sind diese oft ähnlich zahlenblind wie die Allgemeinheit; in unserer Reihe Unstatistik des Monats (www.unstatistik.de) können Sie konkrete und lehrreiche Fälle finden.

Im 19. Jahrhundert waren Hygienemaßnahmen wie »sauberes Wasser« ein entscheidender Punkt für die Verbesserung der Gesundheit der Menschen. Im 21. Jahrhundert wird der Motor, wie Sir Muir Gray es formuliert hat, »sauberes Wissen« sein. Sauberes Wissen meint die Orientierung der Gesundheitsversorgung an der besten wissenschaftlichen Evidenz sowie die verständliche Vermittlung dieses Wissens an die Bevölkerung. Der kompetente Umgang mit Risiken wird ein entscheidender Faktor für die weitere Verbesserung der Gesundheit der Menschen sein.

Prof. Dr. Gerd Gigerenzer

Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin

1       Jenny, M. A., Keller, N., Gigerenzer, G. (2018): Assessing minimal medical statistical literacy using the Quick Risk Test: A prospective observational study in Germany. BMJ Open, 8: e020847.

2       Siehe Gigerenzer, G., Gray, J. A. Muir (Eds.) (2013): Bessere Ärzte, bessere Patienten, bessere Medizin: Aufbruch in ein transparentes Gesundheitswesen. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft (Original: Better doctors, better patients, better decisions. MIT Press.).

Vorwort des Herausgebers

Mit der aktuellen Neuordnung der Krankenhausvergütung in Deutschland wird beispielhaft erkennbar, wie gesundheitspolitische Initiativen und Problemlösungen künftig auf gänzlich veränderte sozioökonomische und demographische Rahmenbedingungen treffen, wobei ein erheblich steigender Informationsbedarf mit einer Thematisierung von wachsender Unsicherheit und bisher eher unterschätzter Komplexität von Entscheidungen einhergeht. Will man neben einer pauschalen Vergütung von stationären Leistungen nun auch den Aufwand für eine an den Morbiditätsrisiken einer Region ausgerichteten Klinikvorhaltung festmachen, so kann eine Vergütung des stationären Sektors nicht länger weitgehend allein auf der Basis der geleisteten Prozeduren weitergeführt werden. Auch die Schließung von »unwirtschaftlichen« Standorten kann unter Risikoaspekten eine wesentlich größere Gefahr für den Versorgungsanspruch einer Region darstellen als ein ökonomischer Verlust der betreffenden Klinik. Letzterer lässt sich durch Anpassung der Vergütungen kompensieren; eine massive Ausdünnung der Klinikstandorte kann mit dem grundgesetzlich verankerten Anspruch auf die »Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse« (Art. 72 GG) mit weitgehend vergleichbarer Lebensqualität in allen ländlichen und urbanen Regionen kollidieren und auch wirtschaftliche Entwicklungsprobleme für ganze Regionen heraufbeschwören. Daher ist die Krankenhausplanung bewusst in die Zuständigkeit der Länder gelegt worden; die Planungen selbst werden künftig aber noch stärker risikoadjustiert erfolgen müssen. Die DRG-Debatte um eine primär ökonomisch gewünschte Fixkostendegression durch Konzentration von Standorten führt hier ohne Betrachtung aller Versorgungsrisiken inkl. eines realistisch erreichbaren Zugangs zur Notfallversorgung nicht weiter.

Eine ähnliche Herausforderung besteht im Bereich der Verlagerung von bisher stationär auf künftig ambulant zu erbringende medizinische Versorgungsleistungen. Für diejenigen, die glauben, die Verlagerung – mehr oder weniger – allein und pauschal auf der Basis der Komplexität der betreffenden Prozeduren entscheiden zu können, droht eine herbe Ernüchterung, wenn erkennbar wird, welche erhebliche Bedeutung die zusätzliche risikobezogene Betrachtung der Morbiditätssituation des individuellen Patienten hat. Kostenträger werden wohl kaum eine ambulante Behandlung durchsetzen können, wenn die patientenindividuelle Risikobeschreibung u. a. auf einen ASA-Score der Ausprägung »4« hinausläuft, auch wenn die in Frage stehende Prozedur allgemein ein sehr überschaubares Risiko hat. Ungeachtet einer deutlichen Verbesserung der IT-Infrastruktur und Datenbereitstellung wird ein sektoral getrenntes System in diesem Kontext immer einem Belegarztsystem unterlegen sein, das deutlich weniger Probleme hat, alle zur Entscheidungsfindung des Arztes unter diversen Risikobedingungen benötigten Informationen zum Aufnahmezeitpunkt tatsächlich bereitzustellen und damit den diagnostischen »Hilfsfaktor« Zeit kompensieren zu können.

Je flexibler Mediziner auf Entscheidungsvorgaben individuell reagieren müssen, desto größer ist der Bedarf an validen und handlungsleitenden risikorelevanten Informationenund entsprechend validen Risikobewertungsoptionen. Auch eine stärker personalisierte Medizin wird daher nur gelingen, wenn wesentlich mehr Informationen über einen Patienten mit erheblich verbesserter Geschwindigkeit und mit validen, international anerkannten Messinstrumenten an den Punkt der Entscheidung gebracht werden können. Dies betrifft im Besonderen auch die Verfügbarkeit aller notwendigen diagnostischen Informationen und möglichst in Echtzeit arbeitende Informationssysteme für die ärztlichen Entscheider.

Die Messung von Verbesserungen im medizinischen Qualitätsmanagement, die Frage nach der Verlagerung stationärer Behandlungen in ein ambulantes Umfeld, die Bewertung einer Klinik hinsichtlich ihrer strategischen Systemrelevanz und der zu Grunde liegenden »Morbiditätslast«, aber auch die Gewinnung belastbarer Daten aus Feldstudien in Ergänzung zur Zulassungssituation eines Arzneimittels sind nur einige Beispiele für Themen, in denen die Adjustierung der medizinischen Risiken, insbesondere nach Mortalitäts- und Komplikationserwartung, Voraussetzung für eine valide und reliable Ergebnisdarstellung ist. Nur was gemessen und auch skaliert werden kann, kann auch verbessert werden. So einfach diese Aussage erscheint, so komplex sind die Fallstricke hinsichtlich einer objektiven Evaluation der getroffenen Aussagen. Das Ende einer allgemein akzeptierten Behauptungskultur im Gesundheitsmanagement ist dort schnell erreicht, wo lediglich Kennzahlen ohne eine zu Grunde liegende Betrachtung der Besonderheiten und Risikofaktoren einer Population kommuniziert werden.

Die Qualität medizinischer Leistungen und Interventionen ist nicht nur für Patienten und Mitglieder eines Sozialversicherungssystems, sondern auch für die handelnden Mediziner, die Pflegeberufe, Interessenverbände im Gesundheitswesen sowie für industrielle Anbieter von Arzneimitteln, diagnostischen Methoden und innovativen Medizinprodukten von stetig wachsender Bedeutung. Insbesondere die Politik muss sich in den nächsten Jahren Herausforderungen im Thema Leistungsumbau (Klinikschließungen und -umwidmungen, Aufbau ambulanter Gesundheitszentren etc.) in ihrer Verantwortung stellen und dies schon sehr zeitnah, da die geburtenstarken Jahrgänge in Deutschland vermehrt in Altersstufen mit einer erhöhten Leistungsinanspruchnahme hineinwachsen. Die Vermittlung und Bewertung von Risiken erfordert dabei nicht nur ein wachsendes Verständnis für statistische Aussagen und deren Limitationen, sondern auch eine neue Kultur einer partizipativen Darstellung ebensolcher Risiken, da zu erwarten ist, dass von Seiten der Patienten und der interessierten Öffentlichkeit Aussagen zur medizinischen Behandlungsqualität und Bewertung von Klinikleistungen nicht mehr länger kritiklos hingenommen werden. Die Ungewissheit in diesen Entscheidungen zu vermindern, ist das Ziel von statistischen Verfahren, zu deren Validierung insbesondere eine bestmögliche Adjustierung der Bezugsgröße gehört, um belastbare, vergleichende Bewertungen überhaupt erst zu ermöglichen. In der Medizin ist es – anders als in den Naturwissenschaften, die das Privileg eines Experimentes unter Ceteribus-Paribus-Bedingungen wahrnehmen können – kaum möglich, ein Urteil in absoluter Gewissheit ohne jegliche Unsicherheit und Risikoeinschätzung zu fällen.

Die möglichst exakte prädiktive Adjustierung medizinischer Risiken ist aber nicht nur für Aussagen in Qualitäts-Benchmarks und in der verbundenen Kommunikation mit der Fach- und Laienöffentlichkeit (u. a. Public Reporting) eine unbedingte Voraussetzung für eine möglichst hohe Reliabilität und Validität medizinisch relevanter Bewertungen, sondern ermöglicht auch im Rahmen von digitalen Versorgungsangeboten auf Basis einer elektronischen Patientenakte den Einstieg in eine weiter individualisierte Behandlungsführung. Damit wird eine wesentlich höhere Wertschöpfung bei fortgesetzt knappen Ressourcen im öffentlichen Gesundheitswesen möglich. Durch eine verbesserte Verknüpfung von evidenzbasierten diagnostischen und therapeutischen Informationen und der Beachtung einer tatsächlichen Relevanz für eine effektive Behandlungsführung innerhalb spezifischer Patientengruppen werden sowohl ressourcenschonende Ansätze unterstützt als auch die weitere Evaluation von Studienergebnissen, die eher unter maximaler Kontrolle des Umfeldes erlangt wurden, im Sinne eines Abgleiches mit sog. »Real-Life-Data« ermöglicht.

Im vorliegenden Band sollen sowohl die theoretische Fundierung und praktische Ausgestaltung von Modellen zur Risikoadjustierung vorgestellt als auch die praktische Umsetzung aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in anschaulichen Beispielen beschrieben werden. Dabei steht der Nutzen für Patienten und Allgemeinheit im Vordergrund. Verbunden damit ist aber auch der Appell des Umdenkens im Bereich von Klinikbewertungen und Ärzteportalen, die sich ihrer wachsenden Verantwortung für potenzielle Fehlurteile und deren Vermeidung in einer öffentlichen Kommunikation stärker bewusst werden müssen. Einer oftmals noch zu beobachtenden nicht »geerdeten« Behauptungskultur im Kontext medizinischer Leistungsbewertungen und Kapazitätsplanungen (Beispiel: »Kleine Kliniken sind eher schlechte Leistungserbringer«) steht damit der richtige Umgang mit Zahlen und Risiken gegenüber. Vieles ist durch neue Verfahren der Studienbewertung und weitergehende Methoden zum größtmöglichen Ausschluss des Zufalls in Evaluationen erreicht worden; eine absolute Gewissheit hinsichtlich der Ergebnisprognose medizinischer Entscheidungen wird aber auch trotz neuer komplexer digitaler Techniken der Informationsverarbeitung dennoch eine Illusion bleiben. Die weitergehende Risikoadjustierung stellt in diesem Kontext ein Instrument zur Überbrückung methodischer Schwächen allzu einfacher statistischer Darstellungen dar und thematisiert die für die Forschung unverzichtbare schöpferische Skepsis gegenüber offensichtlich einfachen Lösungsvorschlägen und -modellen.

Während der Arbeiten zu diesem Buch verstarb am 8. Mai 2021 Prof. Dr. Alain De Wever im Alter von 75 Jahren in Brüssel. Neben seinem Engagement für die Ausbildung von Führungspersonen im Bereich des Gesundheitswesens in Belgien und Luxemburg veröffentlichte Prof. De Wever zahlreiche Artikel und Fachbücher zu medizinökonomischen Themen. Neben seinem vielfältigen ehrenamtlichen Wirken in der öffentlichen Gesundheitsversorgung war sein Bestreben auch auf die weitere Vernetzung von Entscheidungsträgern aus europäischen Ländern ausgerichtet. Hier lernte ich Prof. De Wever im Rahmen des D.E.S.E. kennen und in langjähriger freundschaftlicher Verbundenheit als wertvollen Ratgeber schätzen. Wir verlieren mit ihm nicht nur einen exzellenten Mediziner und Gesundheitsökonomen, sondern auch einen wahrhaften Europäer.

Düsseldorf/Luxembourg, im April 2024

Franz-Josef Fischer MBA (Klinischer Pharmazeut und Gesundheitsökonom)

Verzeichnis der Autoren und Autorinnen

Dr. Luka Bareis hat seinen Ph.D. an der London School of Economics and Political Science (LSE) absolviert und in seinem Forschungsschwerpunkt mehrere Beiträge in Top-Journals publiziert. Unter anderem umfasst seine Ausbildung weiterführende statistische Analysen im Bereich Social Science und Healthcare, mit Einbezug des Bereiches Künstliche Intelligenz. Bei MEDSTAT S.A. ist er für die Entwicklung einer Business Intelligence Anwendung im Bereich Datenanalyse im Gesundheitswesen verantwortlich.

Philipp Bornfleth ist Arzt in Weiterbildung zur Laboratoriumsmedizin. Er hat in diesem Fachbereich Einsender aus dem ambulanten sowie aus dem Universitäts- und Kreiskrankenhaus-Bereich betreut. Als Schnittstelle zwischen Klinik und medizinischer Informatik bei der Medizin-Informatik-Initiative hat er Erfahrungen in der Digitalisierungslandschaft Deutschlands gesammelt. Dieses Wissen bringt er bei der medicalvalues GmbH als medizinischer Berater ins Team ein.

Utz Bartels absolvierte sein Studium der Humanmedizin an verschiedenen europäischen Universtätsklinika. Nach seiner Approbation begann er seine klinische Ausbildung an der Universität Greifswald und wechselte dann an die Universitätsklinik Göttingen. Dort legte er seinen klinischen Schwerpunkt in den Bereich der cardiochirurgischen Intensivmedizin und beschäftigte sich zunehmend mit den Themen der Ethik, der europäischen Ausbildungsrichtlinien im Gebiet der Intensivmedizin und der Risikoanalyse bei klinischen Prozessen sowie mit Fragen der Ökonomisierung der stationären Versorgung. Er leite an mehreren Universitätsklinika die (cardiochirurgische) Intensivmedizin und ist seit 2015 Leitender Oberarzt an den Westküstenkliniken Brunsbüttel und Heide gGmbH mit dem Schwerpunkt der anästhesiologischen Intensivmedizin.

Carmen Diker bringt dank ihres Masterstudiums in »Medical Process Management« neben umfangreichen gesundheitswirtschaftlichen Kenntnissen auch erweiterte Kompetenzen im Qualitäts-, Prozess- und Projektmanagement mit. Parallel zu ihrem Studium arbeitete sie im Business & Market Development eines weltweit führenden Gesundheitsunternehmens. Mit diesem Wissen ergänzt sie das interdisziplinäre medicalvalues-Team aus Ärzt:innen, Data Scientists und Software-Architekt:innen.

Daniel Dröschel ist Leiter der Abteilung Versorgungsinnovationen & Geschäftsentwicklung inklusive dem Team Digital & Transformation bei der OptiMedis AG. Außerdem ist der Gesundheitsökonom für die Produkte myFORTA und FORTA_Epi zuständig. Seine Schwerpunkte sind Digitale Transformation im öffentlichen Gesundheitswesen und in der Gesundheitsversorgung, Entwicklung innovativer Versorgungslösungen wie Gesundheitskioske und -regionen, EU-Vergabeverfahren, Verhandlungsführung und Coaching. Er ist seit 2021 bei OptiMedis und hat mehr als 13 Jahre Erfahrung als gesundheitsökonomischer Berater in den DACH-Ländern und der EU sowie Erfahrung in vielen anderen gesundheitswirtschaftlichen Bereichen. Daniel Dröschel engagiert sich außerdem seit Jahren in verschiedenen Fachgesellschaften.

Nils Dreier ist Gesundheits- und Krankenpfleger mit div. Zusatzqualifikationen für den Themenkreis Risikomanagement im Intensivbereich, in der Notaufnahme und risikoadjustiertem Patientenmanagement (u. a. Bachelor Professional of Health and Social Services CCI). Er ist aktuell als stellvertretende Abteilungsleitung Organisation, Qualitätsmanagement, Tumordokumentation und Study Nurse in den Westküstenkliniken Brunsbüttel und Heide gGmbH tätig.

Dipl. Kfm. (FH) Björn-Ola Fechner studierte Betriebswirtschaft in Einrichtungen des Gesundheitswesens. Nach seiner Tätigkeit im Krankenhauscontrolling in Hildesheim arbeitete er bei der Schellen & Partner GmbH, Düsseldorf (heute MEDSTAT S.A. Luxembourg) als Senior Consultant Medical Quality Assessment, wo er das Zertifikat der DxCG – Global Partner Training, in Boston, MA erwarb. Heute ist er bei den Westküstenkliniken Brunsbüttel und Heide gGmbH als Abteilungsleiter der Abteilung für Organisation, Qualitätsmanagement, Tumordokumentation und Study Nurse tätig. Hier hat er diverse Fortbildungen unter anderem im Qualitäts- und Risikomanagement absolviert. Zudem arbeitet er als externer Auditor für die Firma ClarCert GmbH im Bereich DIN EN ISO 9001 und Systemauditor für Endoprothetik-Zentren.

Dr. rer. medic. h. c. Helmut Hildebrandt ist Vorstandsvorsitzender der OptiMedis AG. Sein Schwerpunkt liegt im Aufbau und Management regionaler populationsbezogener IV-Systeme. So war er zum Beispiel von 2005 bis 2018 Geschäftsführer der Gesundes Kinzigtal GmbH. Zudem ist er Geschäftsführer der Gesunder Werra-Meißner-Kreis GmbH. Der Apotheker und Gesundheitswissenschaftler verfügt über langjährige Erfahrungen in qualitativer Forschung (Medizinsoziologie) und konzeptioneller Arbeit in Gesundheitsförderung und Organisationsentwicklung. Er hat viele Jahre für die WHO an Präventionsprojekten mitgearbeitet und über 30 Jahre Krankenhäuser, Krankenkassen und andere Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft beraten. Er wurde 2022 mit dem Vordenker-Award ausgezeichnet.

Prof. Dr. Ulrich Hoffrage ist seit 2004 Professor für Entscheidungstheorie an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät (Faculty of Business and Economics) an der Universität Lausanne/Schweiz. Zuvor war er zehn Jahre lang Mitglied der Arbeitsgruppe Adaptive Behavior and Cognition (ABC) am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin (Direktor: Gerd Gigerenzer) und gehörte auch zum Gründungskreis dieser Gruppe. Seine Forschungsschwerpunkte sind Urteilen und Entscheiden, Risikokommunikation, begrenzte und ökologische Rationalität, einfache Heuristiken, kognitive Täuschungen, (un)ethische Entscheidungen, Konsumentenentscheidungen, Gruppenentscheidungen und evolutionäre Psychologie. Mit seinen ca. 100 Publikationen gehört er zu den am häufigsten zitierten lebenden Psychologen in der Schweiz.

Robin Heber, M. Sc., ist Gesundheitsökonom und hat an den Universitäten Köln, Hamburg und Rotterdam studiert. Stationen seiner beruflichen Laufbahn waren unter anderem eine internationale Unternehmensberatung sowie der Lehrstuhl für Management im Gesundheitswesen am Hamburg Center for Health Economics (HCHE). Derzeit ist er als Senior Research Manager am Deutschen Krankenhausinstitut e. V. beschäftigt und forscht schwerpunktmäßig an aktuellen krankenhauspolitischen Themen, wie z. B. Fachkräftemangel und Ambulantisierung.

Dr. Dr. Dirk Knüppel ist CEO der Primärmedizin TMVZ GmbH, zu der u. a. die Kielstein-Gruppe als größter Anbieter hausärztlicher-internistischer Praxen in Deutschland gehört. Zuvor war er Group-CEO der evidia, dem größtem Radiologie- und Strahlentherapie-Netzwerk in Deutschland, Schweden und Norwegen. Davor war er Geschäftsführer bei den Artemis-Augenkliniken sowie der Labco Deutschland GmbH. Zudem war er Kaufmännischer Direktor der Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden sowie Senior Projektleiter bei Booz & Company. Sein Studium der Humanmedizin absolvierte er in Gießen, Australien und den USA (Jefferson Medical School in Philadelphia, PA, dem Entwicklungszentrum des Disease Staging). Zudem studierte er Betriebswirtschaft in Mannheim und Philadelphia.

Jan Kirchhoff ist einer der Gründer und Geschäftsführer der medicalvalues GmbH. Jan Kirchhoff und Florian Stumpe bringen mit ihrem Team von inzwischen über 20 Mitarbeitenden aus IT und Medizin klinische Disziplinen, Forschungswissen und Erfahrungswerte zusammen, um Erkrankungen früh und gezielt zu erkennen und so Ärzten und Ärztinnen noch bessere Entscheidungen zu ermöglichen. Jan Kirchhoff ist Wirtschaftsinformatiker und absolvierte einen Executive MBA. Während seiner Berufslaufbahn in Beratung und Vertrieb bei der SAP betreute er verschiedene Kunden aus der Life Science und Chemie Branche, zuletzt als Global Account Manager für die BASF. Vor der Gründung von medicalvalues war er Vertriebsleiter für die DACH-Region beim erfolgreichen finnischen Open Source StartUp Aiven.

Dr. Anna Levsen ist Gesundheitsökonomin und hat an der Universität Bayreuth studiert sowie dort am Lehrstuhl für Medizinmanagement und Versorgungsforschung promoviert. Stationen ihrer beruflichen Laufbahn waren unter anderem eine große internationale Unternehmensberatung sowie ein privater Klinikbetreiber mit Standorten in ganz Deutschland. Derzeit ist sie als Senior Research Managerin am Deutschen Krankenhausinstitut e.V. beschäftigt und forscht schwerpunktmäßig an aktuellen krankenhauspolitischen Themen, wie z. B. Klimaschutz und Ambulantisierung.

Giulia Mraz studierte von 2017 bis 2019 im Masterstudiengang Medizinökonomie an der Rheinischen Fachhochschule (RFH) Köln. Bereits während Ihres Studiums arbeitete Sie als Werkstudentin bei MEDSTAT S.A. Luxembourg am Standort Düsseldorf. Nach ihrem Master-Abschluss an der RFH übernahm Sie bei MEDSTAT S.A. in Düsseldorf die Bereichsleitung Controlling und wurde daneben als Junior-Consultant auch im Projektmanagement tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind das Management von Gesundheitseinrichtungen sowie vielfältige Controllingaufgaben im Kontext der Risikoadjustierung und des Cost-Cuttings.

Justin Rautenberg ist als Direktor Finanzen sowie Senior Manager Integrierte Versorgungslösungen bei der OptiMedis AG tätig. Im November 2020 hat er die Geschäftsführung der Gesunder Schwalm-Eder-Kreis+ GmbH übernommen. Justin Rautenberg ist Diplom Kaufmann, und hat bei der Unternehmensberatung Accenture, zuletzt als Partner und Geschäftsführer, sowie bei weiteren IT-Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen gearbeitet. Zudem war er Interims-CIO in einem regionalen Krankenhausverbund. Er verfügt über mehr als 15 Jahre Programm- und Projektmanagementerfahrung in den Bereichen Gesundheitswesen und Sozialversicherung. Seine Schwerpunkte sind Strategieentwicklung/-umsetzung, Organisationsentwicklung, Leistungs- und Versorgungsmanagement, Population Health, Verhandlungsführung, IT-Management und Erneuerung, Krankenhaus- und Reha-Informationssysteme sowie Vernetzung, E-Health und Telematik.

Prof. Dr. Katrin Rothkopf blickt auf eine jahrzehntelange Tätigkeit im medizinischen Bereich, in Forschung und Lehre sowie auf vielfältige Erfahrungen in der Beratung und dem Management von klinischen Einrichtungen zurück. Die an der Universität Leipzig und Berliner Charité ausgebildete Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin arbeitete in den vergangenen vier Jahrzehnten im Management und in der Beratung von Krankenhäusern und Klinikketten (u. a. Helios, Vivantes, Schön). In ihrer beruflichen Karriere war Katrin Rothkopf u. a. bei den Helios Kliniken für das Medizin-Controlling von über 50 Akutkliniken und bei den SANA-Kliniken auf Konzernebene als Bereichsleiterin Qualität & Medizin verantwortlich.

PD Dr. Dr. med. Heidrun Sturm ist Senior Managerin Versorgungsinnovationen & Versorgungsforschung bei OptiMedis. Die Schwerpunkte der Ärztin, Beraterin und Versorgungsforscherin sind die Entwicklung, Implementierung und Evaluation von Versorgungsformen, bei denen die patientenzentrierte Primärversorgung intersektoral und integriert ausgestaltet wird und neue Technologien anwenderzentriert angepasst und implementiert werden. Neben vielen Jahren Erfahrung in der Versorgungsforschung (Yale, School of Management, Universitair Medisch Centrum Groningen, UK-Tübingen Allgemeinmedizin) kennt sie klinische Abläufe und Strukturen als Assistenzärztin und als Medizinische Geschäftsführerin des Comprehensive Cancer Centers des UK-Tübingen sehr gut. Seit 2015 verantwortet sie am Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung, UK Tübingen, den Bereich Innovative Versorgung und Gesundheitssysteme.

Prof. Dr. med. Kirsten Steinhausen ist Medizinerin und Gesundheitsökonomin (ebs). Neben beruflichen Stationen in der medizinischen Forschung (FU Berlin, Uniklinik Hamburg- Eppendorf) und in der Klinik (MH Hannover) war sie wissenschaftliche Referentin bei der Firma Schellen und Partner im Bereich Qualitätsmanagement. Nach ihrer Tätigkeit als Referentin im Bereich Gesundheitsforschung im Bundesministerium für Bildung und Forschung (2006-2010) arbeitete sie zwei Jahre an der European Science Foundation in Strasbourg im Bereich Gesundheitsforschung. Seit 2012 ist sie Professorin für angewandte Gesundheitswissenschaften an der Hochschule Furtwangen.

Tim Tenelsen studierte Geografie, Kartografie und Informatik an der Universität Bonn. Noch während des Studiums hat er begonnen, an den Geographischen Instituten in Bonn und Köln an Struktur- und Prozessanalysen im Rettungsdienst zu arbeiten. Anschließend hat er in der GEOMED Research Forschungsgesellschaft an der Entwicklung und Anwendung geographischer Methoden und Techniken im Gesundheitswesen, sowie der Entwicklung von Instrumenten zum Qualitätsmanagement im Rettungswesen gearbeitet. Seit 2011 ist er, mit einer kurzen Unterbrechung als Produktmanager bei der vitagroup AG, Mitarbeiter der Transact GmbH und seit Januar 2021 dort Geschäftsführer. Die Transact GmbH entwickelt Konnektoren zur Datenextraktion aus Primärsystemen im Krankenhaus und erstellt Visualisierungen als Grundlage für eine datengestützte Entscheidungsfindung.

Dr. Ulrich Ziegelmayer absolvierte sein Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Saarbrücken und promovierte an der Universität Trier im Jahr 2002 zum Dr. rer. pol. mit dem Thema »sektorale oder sektorübergreifende Transparenz im Gesundheitswesen«. In seiner beruflichen Laufbahn war er in den Jahren von 1975 bis 2015 in leitenden Funktionen im Gesundheitsbereich sowie als Berater und zuletzt als Betriebsleitung in Krankenhäusern tätig. Seit 2015 stellt Dr. Ziegelmayer seine Expertise über das Gesundheitswesen als Consultant im Bereich Heath Care zur Verfügung.

Prof. Dr. Alain De Wever (†), geboren in Lüttich, studierte Medizin an der Freien Universität in Brüssel, wo er als Facharzt für Innere Medizin abschloss. Nach einer weiteren Spezialisierung erhielt Dr. De Wever einen Lehrstuhl für Gesundheitswissenschaften an der Université Libre de Bruxelles (Freie Universität, ULB) und wurde gleichzeitig medizinischer Direktor des Universitätsklinikums CHU Brugman, dann des Hôpital Erasme in Brüssel-Anderlecht. Danach schlossen sich Tätigkeiten in der Pharmazeutischen Industrie und als freier Berater und Mitglied der königlichen Regierungskommission für die Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung in Belgien im Bereich der stationären Versorgung an. Prof. Dr. Alain De Wever verstarb am 8. Mai 2021 im Alter von 75 Jahren in Brüssel.

1          Grundlagen und Entwicklungslinien der Risikoadjustierung im Kontext medizinischer Bewertungen

Franz-Josef Fischer

Dieser Beitrag bildet die Entwicklung der Bedeutung einer Risikoadjustierung in Praxis und Forschung für die Medizin nebst ausgewählten Verfahren und Messmethoden/Skalen ab. Der Leser erfährt dabei viel über Methodenentwicklung und Bewertungsskalen zur Risikoanalyse und sollte staunen, wenn er erfährt, wie fortschrittlich gegenüber heute bereits die Reichsversicherungsordnung RVO3 von 1911 im Thema war. Der eher narrative Review wird an einigen Stellen mit konkreten Beispielen für ungewollte Desinformation und andererseits wachsender Transparenz der Operationalisierung medizinischer Prozess- und Ergebnisqualität ergänzt.

1.1       Entwicklung und Abgrenzung risikoanalytischer Bewertungsansätze

Bei der Frage der Risikoadjustierung medizinischer Evaluationsmethoden geht es primär um die Frage der Vergleichbarkeit von Ergebnisgrößen und der damit verbundenen Absicherung von Werturteilen und Handlungsempfehlungen unter eingeschränkt kontrollierbaren Bedingungen des Praxisalltags. Statistische Verfahren haben hier den Nachteil, dass diese für die Bewertung des Einzelfalles kaum ad hoc valide Ergebnisse liefern können. Daher wurden in der jüngeren Historie der Medizin immer wieder Verfahren entwickelt, die auf der Basis kumulierter großer Datenmengen eine – je nach Zweck und Fragestellung unterschiedliche – prädiktive Aussage zur medizinischen Fallschwere und der damit verbundenen Risikoposition eines Patienten ermöglicht haben. Damit konnte auch für den Einzelfall schnell eine Einordnung getroffen werden, was insbesondere für kritische Behandlungsphasen ein entscheidender Vorteil ist. Ein weiterer Vorteil derartiger Verfahren war ein in der Zeitachse der Entwicklung eher geringer werdender Bedarf an varianzerklärenden Inputvariablen, wie das Beispiel des APACHE-Scores zeigt. In der Praxis spiegelt sich dies oftmals in einer Verbesserung der prädiktiven Aussagen durch eher weniger Variablen wider, wie die aktuelle Europäische Leitlinie zur ACS-Diagnostik4,5 darlegt. Hier sind die prädiktiven Variablen auf lediglich 3 – aber sehr belastbare – Inputgrößen geschrumpft, was eine medizinische Bewertung hinsichtlich weiterer Behandlungsschritte erheblich erleichtert: 12-Kanal-EKG, hochsensitives TroponinT bzw. I und nachfolgend bei Bedarf eine echokardiographische Untersuchung. Die Risikoadjustierung des Einzelfalles gelingt durch eine weltweit kontinuierliche Weiterentwicklung entsprechender Scores nicht zuletzt deswegen, weil wir für die Weltbevölkerung den gleichen Anatomie-Atlas zu Grunde legen können. Dies mag zunächst banal erscheinen, ist aber für die Entwicklung von Systemen zur medizinischen Risikoadjustierung nicht unbedeutend, zumal dann die Ergebnisse auch über die Grenzen von Gesundheitssystemen (z. B. vergütungsrelevante und damit zum überwiegenden Teil an Prozeduren ausgerichtete DRG-Vorgaben) aus eher limitierten und hinsichtlich der Datenerfassungsmodalitäten divergierenden nationalen Quellen hinweg nutzbar sind. Ein weltweit einheitliches DRG-System dürfte wegen der sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Klinik-Finanzierung und Datenerfassung wohl eher ein Wunschtraum bleiben; weltweit einheitliche Systeme zur medizinischen Risikoadjustierung sind aber definitiv schon Realität. Natürlich bestimmt der jeweilige Zweck und das Ziel der spezifisch medizinischen Risikoadjustierung unterschiedliche Ausprägungen dieser Systeme. Grundsätzlich können aber Systeme mit eher wenigen Patienten von der Entwicklungsarbeit in Gesundheitssystemen mit einer hohen Patientenzahl und entsprechend transparenter Datenbereitstellung profitieren. Dies gilt insbesondere bei prädiktiven Modellen auf der Grundlage von ICD-kodierten Diagnosen und der Bewertung des Einflusses von komplexen Komorbiditäten.

Natürlich hat die Methodik prospektiver und randomisierter klinischer Studien Ihren übergeordneten Stellenwert in Fragestellungen der medizinischen Forschung und ist für eine prospektive Evaluation, beispielsweise der Analyse der Wirksamkeit eines Arzneimittels oder der Effektivität eines medizinischen Verfahrens als Standard für Fragen der Zulassung oder Indikationserweiterungen von Therapieverfahren anzusehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es in der Testanordnung gelingt, alle relevanten Aspekte des Therapieerfolges, auch diejenigen, die von Patientenseite berücksichtigt werden müssen, in die Ergebnisbetrachtung einzubeziehen und damit eine möglichst hohe Kausalität der Ergebnisse jenseits einer reinen Korrelation der Ergebnisgröße von der Inputvariable zu erreichen. Dazu wird in der Regel ein Testverfahren eingesetzt, bei dem die Rahmenbedingungen unabhängig von weiteren erkennbaren oder auch nicht direkt erkennbaren externen Variablen möglichst unter Ausschluss des Zufalls kontrolliert werden können, so dass vom Ergebnis des Testverfahrens eine signifikante zweiseitige Kausalitätsbeziehung und eben nicht nur eine einseitige Korrelation zur Inputvariable hergestellt werden kann.

Der dazu meist als Goldstandard6 eingesetzte Test eines randomisierten (zufallsgesteuerten) und (wenn möglich) doppelten Verblindungsansatzes (Randomised Control Trial; RCT) zwischen einer interventionellen Verum- und nicht interventionellen Placebo-Gruppe, erlaubt in Abhängigkeit von Testumfang (ausreichende Probandenzahl da Mittelwertvergleich etc.), absoluter Effektgröße und entsprechender Verfügbarkeit der Ergebnisse im Idealfall (eingedenk einer vorher bestimmten akzeptablen Irrtumswahrscheinlichkeit) eine Darstellung einer Kausalbeziehung zwischen Input und Output; immer vorausgesetzt die Kontrollvariablen und Rahmenbedingungen konnten während des Experimentes bzw. Testansatzes konstant gehalten werden und alle relevanten Faktoren betreffend des Testergebnisses, waren den Studieninitiatoren (zumindest weitgehend) bekannt. Dies stellt eine valide statistische Auswertung von Studienergebnissen hinsichtlich zentraler Qualitätskriterien allerdings regelmäßig vor große Herausforderungen, da insbesondere in den über einen längeren Zeitraum aufgelegten prospektiven Studien häufig fehlende Werte durch Nichterhebung oder durch bereits aus der Studie ausgeschiedene Probanden bei der Studienauswertung zu berücksichtigen sind. In derartigen Fällen sind durch potentiell ergebnisverzerrende statistische Korrekturen auch Einschränkungen für die Aussagekraft naheliegend7. Zudem ist für die beobachteten Effektgrößen häufig eine differenzierte Betrachtung der Ausgangsbasis bzw. eine eingeschränkte Homogenität der Vergleichspopulationen zu diskutieren. Konnte der vermutete Effekt definitiv nicht gefunden werden oder war er nur angesichts eines zu geringen Absolutwertes oder einer nicht ausreichenden Größe der Stichprobe nicht zu erkennen? War der Effekt unabhängig von zufälligen Ergebnissen? War die gewählte Skala der Ergebnisdarstellung überhaupt geeignet, die Effekte für weitere Auswertungen zugänglich zu machen (z. B. Notwendigkeit einer Intervallskalierung für ausgewählte Testverfahren etc.)? Wurde hinsichtlich der Ergebnismessung berücksichtigt, dass unterschiedliche Patientengruppen (Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen etc.) in der Analyse auch unterschiedlich betrachtet wurden und nicht fälschlicherweise in eine gemeinsame medizinisch-prädiktiv homogene Gruppe einbezogen wurden? Insbesondere kleine Effektgrößen lassen häufig Raum für zufallsgesteuerte Aussagen. Kurzum: Während wir für den Bereich prospektiver klinischer Studien über Werkzeuge verfügen, eine weitgehend belastbare Kausalitätsbeziehung darzustellen, ist dies bei Erhebungen im Praxisalltag medizinischer Interventionen oftmals nicht oder nur eingeschränkt möglich. Dies betrifft aber den weitaus größten Teil der Gesundheitsversorgung, die Ihrer Verantwortung nur gerecht werden kann, wenn andere Verfahren als z. B. RCT zur Risikoadjustierung der relevanten Patientenkollektive und eingesetzten Interventionen genutzt werden können, um eine valide Messung von Qualitäts- und Outcome-Parametern zu erhalten. Hier schlägt nun die Stunde der medizinischen Risikoadjustierung.

Jenseits von umfangreichen statistischen Verfahren zur Absicherung eines Studienergebnisses wird es in der von hoher Komplexität geprägten Realität eines medizinischen Praxisalltages aber kaum möglich sein, alle Voraussetzungen für eine gut kontrollierte »Laborsituation« einer RCT sicherzustellen. Dies sollte aber dann nicht zur Konsequenz haben, dass in diesem Bereich keine Erkenntnisgewinnung mehr möglich ist. Denn oftmals sind es ja gerade praxisnahe Situationen, die eine hohe Relevanz für den Krankheitsalltag von Patienten haben und damit auch das Interesse der Fachöffentlichkeit wecken. Dies dürfte eines der zentralen Aufgabenfelder einer Risikoadjustierung sein, die dort einsetzt, wo sowohl der Einfluss der medizinischen Intervention selbst als auch die Einflussfaktoren, die ein Patient für das Behandlungsergebnis mitbringt, unabhängig voneinander bewertet und nach Möglichkeit in eine Kausalbeziehung zum Behandlungsergebnis gebracht werden müssen.

Wenn nun in einer Klinik für eine ausgewählte Patientengruppe eine Inhouse-Mortalitätserwartung zum einen korrekt berechnet und zum anderen in einer kausalen Abgrenzung der Einflussfaktoren gegen den beobachteten Wert abgeglichen werden soll, wird erkennbar, welchen Einfluss eine bestmögliche Risikoadjustierung auf das Qualitätsurteil hat. So sollte durch den Einbezug aller relevanten Komorbiditäten und Komplikationserwartungen und deren Interaktionen die Morbiditätssituation des Patienten ebenso umfassend beschrieben werden wie die Risikopotentiale der medizinischen Prozedur, die auch unabhängig von der Morbiditätslast des zu behandeln Patienten zu bewerten ist. Aber auch weitergehende Risikofaktoren wie die Dauer der Intervention, die Beherrschbarkeit von Komplikationen durch vorhandene oder nicht vorhandene Medizintechnik sind hinsichtlich einer Kausalbeziehung zu berücksichtigen. Sollen all diese Einflussfaktoren hinsichtlich einer Mortalitätserwartung berücksichtigt werden, steht die Frage von Messoptionen und geeigneten Skalen im Mittelpunkt. Denn ein Qualitätsurteil im Bereich medizinischer Outcomes8 ist in den seltensten Fällen eine Bewertung analog technischer Vorgaben im Sinne von erfüllt und/oder nicht erfüllt. Hier sind Aussagen erst dann belastbar, wenn auf der Patientenseite durch die risikoadjustierte Bildung homogener klinisch-prädiktiver Gruppen geeignete Vergleichskollektive gebildet wurden, die zufallsunabhängig eine Aussage zur Kausalität erlauben. Erst mit Hilfe dieser Auswertungstechniken kann dann belastbar unterschieden werden, ob der Patient verstorben ist, weil der ärztliche Eingriff mangelhaft durchgeführt wurde oder aber weil der Patient ein zu hohes initiales Behandlungsrisiko mitbrachte. In vielen Fällen ist aber der Grund für die schlechten Outcomes weder auf der Seite der Klinik noch auf der Seite des Patienten, sondern auf Grund einer weiteren Einflussquelle gegeben, nach der dann gesucht werden muss.

1.2       Die Bedeutung der Risikoadjustierung für das medizinische Qualitätsmanagement

Durch den Einsatz von geeigneten Verfahren zur Risikoadjustierung verändert sich die Blickrichtung des medizinischen Qualitätsmanagements ausgehend von der Betrachtung einer Prozess- und Ergebnisqualität über die nominalen Messergebnisse im »Zähler« einer Verhältniszahl hinaus auf den »Nenner« des Qualitätsurteils. Ist z. B. die Mortalität in einem ausgewählten Fachbereich numerisch gleich zwischen einer Klinik der Maximalversorgung und einem Krankenhaus der Regelversorgung, beruhigt dies die Klinik der Regelversorgung sicherlich zunächst. Leider kann das Urteil über die Qualität der Versorgung nach einer adäquaten Risikoadjustierung danach auch grundsätzlich anders ausfallen. Wenn im Klinikum der Maximalversorgung durch die Positionierung der Einrichtung als höchste Versorgungsstufe für Akutfälle wesentlich mehr komplexe und damit komplikationsträchtige Fälle eingeliefert wurden, kann durchaus auch eine höhere Mortalität erwartet werden. Dann hat die Klinik der Regelversorgung ein Problem. Es ist aber auch denkbar, dass die höheren Risiken durch weitere Faktoren (z. B. Erreichbarkeit) bedingt auch in ausreichender Zahl im Klinikum der Regelversorgung eintreffen, womit diese Klinik hinsichtlich des Outcomes aufgewertet wird. Wenn nun weder die Klinik der Maximalversorgung noch die Klinik der Regelversorgungsstufe alle relevanten Komorbiditäten der aufgenommenen Patienten kodieren oder keine geeignete Methode zur Risikoadjustierung eingesetzt wird, ist hinsichtlich der Mortalitätsbewertung eigentlich gar keine Aussage mehr möglich, da keine prädiktiv valide Bezugsgröße für das Gesamtkollektiv (auch haftungsrechtlich) belastbar ermittelt werden kann.

Mit dem Ziel höherer Objektivität richten wir mit den Techniken der Risikoadjustierung den Blick nun eher auf den Nenner der Aussage. Waren die Ausgangssituationen zwischen zwei Patienten hinsichtlich der vorliegenden Risiken wirklich identisch oder gab es Abweichungen, die für das Ergebnis einer medizinischen Intervention oder Therapie von hoher, u. U. kausaler Relevanz waren. Kann diese Frage nicht eindeutig beantwortet werden, können auch keine diesbezüglichen Bewertungen valide vorgenommen werden. Medizinern ist diese Voraussetzung nur allzu bewusst: »My patients are sicker!«9 ist eine oft zu hörende Aussage von Ärzten im Kontext von Outcomes-Evaluationen, die zwingend objektiv bewertet werden muss – sei es, um den verantwortlichen Mediziner hinsichtlich der Behandlungsprivilegien für seinen Patienten zu unterstützen, oder sei es, um ihm wegen der nicht Verifizierbarkeit seiner Aussage zusätzliche Ressourcen für die Behandlungsführung in Abrede zu stellen.

Dass die Bewertung der ärztlichen Aussage »eines besonders schwer erkrankten Patienten« (die ihm damit auch ein höheres Behandlungsrisiko aufbürdet) keine triviale Aufgabe ist, kann ein einfaches Zahlenbeispiel verdeutlichen. Nehmen wir an, dass dem fraglichen Patienten jeweils eine Hauptdiagnose in drei unterschiedlichen medizinisch-prädiktiven Schweregraden zugeordnet werden könnte. Dazu kommen dann drei Nebendiagnosen10, die ebenfalls in jeweils drei unterschiedlichen Schweregraden vorliegen können und alle relevant für das Ergebnis der Behandlung sein können. Die möglichen Beeinflussungen der Schweregrade der Nebendiagnose untereinander sind zudem zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall könnte der Patient bereits bei dieser noch überschaubaren Ausgangssituation in 27 (!) unterschiedlich medizinisch-prädiktive Fallkomplexitäten eingeordnet werden. Nun werden sicherlich nicht alle 27 möglichen Cluster die gleiche Therapierelevanz besitzen, so dass u. U. nur ein Drittel der Cluster als letztendlich relevant eingeordnet werden muss, aber neben dieser einen ICD-10-Hauptdiagnose gibt es weitere ca. 16.000 ICD-10-WHO-Diagnosen, die zusätzlich zum großen Teil neben einer Hauptdiagnose auch als relevante Nebendiagnosen in Frage kommen können. Es ist leicht einzusehen, dass hier die Instrumente zur Risikoadjustierung hinsichtlich der Patientenzahl, auf deren Basis diese entwickelt wurden, sehr umfangreich ausfallen müssen, denn die Anzahl der Nebendiagnosen ist insbesondere bei älteren Patienten in der Regel deutlich größer als drei. Damit entstehen für die begleitende Statistik zur Fundierung der entsprechenden Risikoadjustierungsmodelle wirklich »gewaltige« Herausforderungen hinsichtlich der Verfügbarkeit von Patientendaten, die allein auf nationaler Ebene wegen der Begrenztheit der Datenvolumina11 oftmals gar nicht zu leisten sind.

Lenken wir nun den Blick einmal auf eine traditionelle Outcomes-Bewertung im medizinischen Qualitätsmanagement12, die ebenfalls ohne umfassende Risikoadjustierung schnell ihre Aussagekraft verlieren kann. Zudem ist wegen der kleinen Effektgrößen im nachfolgenden Beispiel die Ergebnisbetrachtung hinsichtlich des Ausschlusses von rein zufallsbedingten Effekten nur über einen längeren, mehrjährigen Zeitraum überhaupt erst möglich. Von 100 Knie-TEPs13 wurden im Jahr 2020 in Deutschland laut GBA-Berichterstattung 1,3 Knie-TEPs – gleiches prädiktives Risiko vorausgesetzt – wegen Komplikationen erneut operiert14. Um signifikante Qualitätsunterschiede und nicht reine Zufallseffekte zu beschreiben, muss ein Krankenhaus zur Dokumentation einer signifikant besseren Versorgung aber überhaupt erst mindestens 447 Knie-TEPs pro Jahr durchführen.15 Diese Fallzahl erreichen aktuell aber nur ca. 2,5 % aller Kliniken in Deutschland. Dies lässt erkennen, dass in vielen medizinisch-qualitätspolitischen Fragestellungen und Klinikbewertungen (Mortalität, Komplikationen, seltene Therapieversager etc.) ohne ausreichende Risikoadjustierung und bei kleinen Erwartungswerten eine Bewertung von Behandlungsoutcomes auf einer Datenbasis von nur einem Jahr sehr oft gar nicht möglich ist. Je kleiner die entsprechende Klinik und je weniger spezialisiert diese ist, desto schwieriger werden Aussagen zum Qualitätsstandard in der betreffenden Klinik ohne adäquate Risikoadjustierung. Dies betrifft aber leider auch eine positive Beweisführung der betreffenden Krankenhäuser, die nur mit einer ausgeprägten Risikoadjustierung überhaupt Aussagen zur eigenen, unterstellten »guten« medizinischen Performance belegen können. So ist es ohne adäquate Risikoadjustierung einer Klinik bis ca. 20.000 stationären Behandlungsfällen insgesamt im Jahr eigentlich gar nicht möglich, ihre gute Qualität in den einzelnen Fachbereichen und Leistungen durch belastbare Outcomes unabhängig vom Zufall und dem Einfluss der patientenseitigen Morbiditätslast darzustellen. Ohne umfassende Risikoadjustierung und daher mithilfe eher prozedural aggregierten prädiktiven Clustern gelingt dies meist nur den größeren Kliniken und den leistungsspezifisch stark eingegrenzten Fachkliniken, die entsprechende statistische »Power« der Vergleichspopulationen zum Benchmark durch die prozedurale Basis der Cluster und darin enthaltenen allgemein anzunehmenden Risikoverteilungen bereits auf Basis eines einzelnen Auswertungsdatenjahres besitzen. Dennoch erfreuen sich Klinik-Benchmarks mit Outcome-Bezug und ohne umfassende Risikoadjustierung sowie diesbezügliche Jahresvergleiche großer Beliebtheit. Sie sind aber für eine objektive Diskussion hinsichtlich der Bewertung medizinischer Outcomes nicht nur ungeeignet, sondern potentiell gefährlich, da sie insbesondere in der Laienöffentlichkeit erhebliche Wahrnehmungsverzerrungen und ungünstige Voreinstellungen bzw. Vorverurteilungen von Kliniken verstärken können.

Vergleiche mit Aussagen zu »guten und schlechten Kliniken oder Ärzten« in der Laienpresse (Focus, FAZ, Talkshows im öffentlichen Fernsehen u. a.) haben generell, wie alle retrospektiven Untersuchungsansätze (Fall-Kontroll-Studien etc.), immer das Problem, dass die absolute Vergleichbarkeit sowohl der Ausgangsbasis wie auch des Ergebnisses zwischen Individuen, untersuchten Populationen oder überprüften Kliniken gewährleistet werden muss. Dies stellt besondere Anforderungen an die im Verfahren bereitgestellten Informationen und insbesondere an diejenigen Informationen, die den Gesundheitszustand des Patienten und seine spezifischen Risikofaktoren auch in deren Abhängigkeit untereinander betreffen. Grundsätzlich könnte eine Klinik ein gutes Rating für ihre Leistungen schon allein dadurch erlangen, dass in bestimmten Fachbereichen primär Patienten mit einer prognostisch signifikant geringeren medizinischen Fallschwere bzw. Mortalitätserwartung aufgenommen werden und die komplexeren Fallschweren nach Möglichkeit an die nächsthöhere Versorgungsstufe weitergeleitet werden. Dies führt dann in Klinik-Benchmarks regelhaft zu einer Aufwertung der risikoaversen Versorgungseinrichtungen und auf der anderen Seite zur höheren Wahrscheinlichkeit für Kritiken an der Behandlungsperformance bei Einrichtungen der Schwerpunkt- und Maximalversorgung, die die betreffenden Risiken ja meist nicht mehr weiterverlegen können. Natürlich würde jede Klinik nun diesen Verdacht weit von sich weisen. Doch mittlerweile haben sich ähnlich wie in den USA auch auf EU-Ebene Vereine und Stiftungen gegründet, deren Zeil es ist, mit validierten Methoden zur Risikoadjustierung Kliniken ohne hohe Morbiditätslast zu detektieren und auf der anderen Seite eine Empfehlung zur Förderung derjenigen Kliniken abzugeben, die gezielt höhere medizinische Risiken erfolgreich behandeln16. Werden also unterschiedliche Kliniken in einen Performance-Vergleich einbezogen, ist eine adäquate maximale Risikoadjustierung das oberste Gebot für einen validen Vergleich, insbesondere dann, wenn an dem betreffenden Benchmark auch noch ein fachliches oder öffentlichkeitsbezogenes Reporting hängt. Ist dies nicht gegeben, ist die Gefahr einer manipulativen Instrumentalisierung des Qualitätsbegriffes naheliegend (z. B. vermeintlich »gute« Prozess- und Ergebnisqualität medizinischer Interventionen ohne Einbezug der Morbiditätslast der Patienten). Die durchgeführte Risikoadjustierung muss also für den Bereich des gesamten stationär-ambulanten Versorgungskontextes mind. die beiden folgenden Kriterien erfüllen:

•  Sie muss das Risiko des Patienten für das Behandlungs-Outcome während des Klinikaufenthaltes bzw. in einem ambulanten Setting in einer mindestens ordinal-kalibrierten Skala abbilden können, und

•  die Methodik der Klassifikation muss für Dritte absolut transparent sein, so dass zumindest ein Facharzt genau nachvollziehen kann, warum die eingesetzte Risikobewertung genau zu diesem Ergebnis kommt.

1.3       Risikobewertung im Zentrum einer ambulanten Behandlungsverlagerung