Riven Knight - Devney Perry - E-Book

Riven Knight E-Book

Devney Perry

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Beschreibung

So hatte sich Genevieve Daylee ihren siebenundzwanzigsten Geburtstag nicht vorgestellt. Allerdings kann sie seit dem Tod ihrer Mutter und deren Verbindung zu einem ehemaligen Motorradclub, kaum noch etwas schockieren. Nun steht sie vor einem Standesbeamten und neben ihr der Mann, der sie gerettet hat. Obwohl er ihr eher wie ein Raubritter vorkommt, als ein strahlender Prinz auf dem berühmten weißen Pferd. Isaiah Reynolds hat seine Gefängnisstrafe abgesessen und in Clifton Forge nicht nur einen Job, sondern auch ein Zuhause gefunden. Tief im Innersten glaubt er aber, dass er weder die Freiheit noch eine Frau wie Genevieve verdient hat. Dann ist es ja auch gut, dass ihre Ehe nur vorgetäuscht ist und nicht von Dauer. Doch die Liebe hat ihre eigenen Regeln und vielleicht sogar die Macht, zwei zerbrochene Seelen zu heilen.

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Seitenzahl: 479

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RIVEN KNIGHT

Tin Gypsys 2

Devney Perry

© 2021 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt© Übersetzung Corinna Bürkner© Covergestaltung Andrea Gunschera© Originalausgabe Devney Perry LLC 2020

ISBN-Taschenbuch: 9783967820096ISBN-eBook-mobi: 9783967820102ISBN-eBook-epub: 9783967820119

www.sieben-verlag.de

Für Jennifer

Für den Tag, an dem wir durch Texas gefahren sind und dieses Buch geplottet haben.

Inhalt

Kapitel 1 Genevieve

Kapitel 2 Isaiah

Kapitel 3 Genevieve

Kapitel 4 Genevieve

Kapitel 5 Isaiah

Kapitel 6 Genevieve

Kapitel 7 Genevieve

Kapitel 8 Isaiah

Kapitel 9 Genevieve

Kapitel 10 Isaiah

Kapitel 11 Genevieve

Kapitel 12 Isaiah

Kapitel 13 Genevieve

Kapitel 14 Isaiah

Kapitel 15 Genevieve

Kapitel 16 Isaiah

Kapitel 17 Genevieve

Kapitel 18 Isaiah

Kapitel 19 Genevieve

Kapitel 20 Isaiah

Kapitel 21 Genevieve

Kapitel 22 Genevieve

Kapitel 23 Isaiah

Kapitel 24 Genevieve

Kapitel 25 Genevieve

Kapitel 26 Isaiah

Kapitel 27 Genevieve

Epilog Genevieve Drei Jahre später …

Bonus-Epilog Isaiah

Eine gestrichene Szene aus GYPSY KING – Tin Gypsys Band 1 Bryce

Die Autorin

Kapitel 1

Genevieve

„Ich bin enttäuscht.“

Lieber hätte ich eine Ohrfeige kassiert. Gerade heute war es ganz besonders schwer und schmerzvoll, so etwas von Mr. Reggie Barker zu hören. Einem Mann, den ich als meinen Mentor und beruflichen Helden betrachtet hatte.

„Es tut mir leid, Reggie.“

Mein Chef, oder besser ehemaliger Chef, seufzte am anderen Ende der Leitung. „So wie du uns verlassen hast, bin ich leider nicht in der Lage, dir ein Zeugnis auszustellen.“

Ich zuckte zusammen. „Oh. Okay.“

Reggie war der Meinung, dass eine Woche Kündigungsfrist, statt zwei, eine Frechheit sei. Da spielte es auch keine Rolle, dass ich fast vier Jahre bei ihm als Anwaltsgehilfin gearbeitet hatte. Dass ich morgens immer die Erste und abends immer die Letzte war. Es spielte keine Rolle, dass ich für den Eignungstest zum Jurastudium immer nur in meiner Freizeit gebüffelt hatte, während meine Kollegen und Kolleginnen das während der Arbeitszeit erledigten. Dass ich meine gesamte Arbeitszeit dafür verwendet hatte, Reggie zu assistieren. Ich hatte den Eignungstest viermal verschoben, denn Reggie betonte immer, ich müsste wirklich bereit dafür sein. Als hätte er nicht geglaubt, dass ich es schon war. Ich hatte ihm vertraut. Ich hatte seine Meinung mehr als die von allen anderen in der Firma geschätzt. Ich hatte alles gegeben, aber offenbar war das nicht genug. Ich war auch enttäuscht. Eigentlich hatte ihn heute nur angerufen, weil ich vergessen hatte, meinen Büroschlüssel abzugeben. Ich wünschte, ich hätte ihn per Post zurückgeschickt.

„Alles Gute, Genevieve.“

Bevor ich mich bedanken konnte, legte er auf.

Siebenundzwanzig zu sein war jetzt schon ein Desaster. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Genevieve.

Ich legte das Handy zur Seite und sah aus dem Auto-fenster auf den Laden vor mir. Ich stand vor einer kleinen Klamottenboutique auf der Central Avenue. Es war der einzige Laden, der in Clifton Forge, Montana, Frauenmode führte, abgesehen von denen, die Farm- und Ranch-Zubehör verkauften.

Clifton Forge. Meine Mutter war hier zur Schule gegangen. Meine Großeltern, Menschen, die ich nie kennengelernt hatte, waren hier bei einem Autounfall ums Leben gekommen und begraben. Vor sechs Wochen noch war Clifton Forge nichts weiter als eine Fußnote in meiner Familiengeschichte. Dann war Mutter hier bestialisch abgeschlachtet worden. In einem Motel. Jetzt war Clifton Forge nicht mehr nur ein schwarzer Fleck in der Vergangenheit, sondern für die absehbare Zukunft auch mein Zuhause. Ich sehnte mich nach meiner Wohnung in Denver. Nach den bekannten Straßen und Plätzen. Der Highway rief geradezu nach mir. Auf meiner Fahrt von Colorado hier her, war ich mehr als einmal versucht gewesen, umzudrehen und nie mehr zurückzuschauen. Abzuhauen und mich zu verstecken. Allerdings hatte ich einem vollkommen Fremden ein Versprechen gegeben. Einem Mann, den ich nur ein paar Stunden gekannt hatte. Und ich würde mein Wort nicht brechen. Nicht nach dem, was Isaiah für mich getan hatte.

Hier war ich also, in Clifton Forge. Für Monate. Jahre. Jahrzehnte. So lange, wie es sein musste. Ich schuldete Isaiah diese Zeit.

Das flaue Gefühl, das mich seit Tagen begleitete, wallte wieder auf und mir wurde übel. Ich schluckte dagegen an und wollte nicht darüber nachdenken, dass ich dazu verdammt war, mein Leben in Montana zu verbringen. Ich hatte nicht die Zeit gehabt, über Möglichkeiten und Konsequenzen von dem, was geschehen war, nachzudenken. Ich sollte Isaiah um zwölf Uhr treffen, was mir zwei Stunden Zeit verschaffte, mich bereitzumachen. Also drückte ich den Rücken durch, schob meine Nervosität beiseite und stieg aus dem Auto. Ich ging shoppen, weil ich mich weigerte, heute Jeans zu tragen. Letzte Woche hatte ich alles in meiner Wohnung in Denver zusammengepackt. Genau wie ich im Haus meiner Mutter getan hatte. Nur, dass es diesmal nicht so sehr in der Seele wehgetan hatte. Und doch hatte es geschmerzt und ich hatte geweint, wenn ich einen weiteren Karton schloss. Diese vielen Veränderungen und Verluste. Ich ertrank darin. Das meiste meiner größeren Habseligkeiten war in ein Lager gewandert. Ein paar Sachen befanden sich per Spedition auf dem Weg hier her. Den Rest hatte ich in meinen grauen Toyota Camry gestopft, mit dem ich gestern aus Colorado hergefahren war. Mental zu erschöpft, in dem Versuch, alles zu packen und meine letzte Arbeitswoche hinter mich zu bringen, hatte ich nicht daran gedacht, ein Kleid mitzunehmen. Vielleicht protestierte auch mein Unterbewusstsein gegen meine heutige Hochzeit.

Aber ob ich es mochte oder nicht, diese Hochzeit würde stattfinden und ich würde keine Jeans tragen. Ganz besonders nicht an meinem Geburtstag. Ich hatte mir heute Morgen extra Mühe mit meinem Make-up gegeben. Hatte mir mein braunes Haar gewaschen und mit dem teuren Lockenstab, den mir meine Mutter letztes Jahr geschenkt hatte, zurechtgemacht. Es war ihr letztes Geburtstagsgeschenk an mich gewesen.

Mein Gott, sie fehlte mir. Sie würde heute nicht an meiner Seite sein, wenn ich wohl den größten Fehler meines Lebens beging. Sie würde an keinem meiner zukünftigen Geburtstage mehr hier sein, denn ein abscheuliches und niederträchtiges menschliches Wesen hatte ihr das Leben genommen. Es war nicht fair.

Meine Mutter war ermordet worden. Sieben Mal hatte man auf sie eingestochen und sie allein in einem Motel verbluten lassen. Sie hinterließ einen Rattenschwanz an unbeantworteten Fragen und Lügen, die ihr wunderschönes Andenken beschmutzten.

Warum? Ich wollte es in den Himmel hinaus schreien, bis er mir eine Antwort gab.

Warum?

Ich war so wütend auf sie. Ich war unfassbar sauer darüber, dass sie mir ihre Geheimnisse nicht anvertraut hatte. Dass sie mir nicht von meinem Vater erzählt hatte. Dass ich jetzt, aufgrund ihrer falschen Entscheidungen, in diesem beschissenen kleinen Kaff war. Aber verflucht, ich vermisste sie. Heute mehr denn je wollte ich meine Mom haben. Tränen traten mir hinter der Sonnenbrille in die Augen und ich blinzelte sie fort, bevor ich die Modeboutique betrat. Ich setzte ein künstliches Lächeln auf, so wie ich es seit Wochen tat.

„Guten Morgen“, begrüßte mich die Angestellte, als das Glöckchen an der Tür über meinem Kopf bimmelte. „Sehen Sie sich gern um, oder haben Sie einen Wunsch?“

„Tatsächlich ja, ich brauche ein Kleid und hohe Schuhe.“

Solche Schuhe würden schmerzen, denn meine Fußsohlen waren noch nicht verheilt von meiner barfüßigen Flucht durch die Berge. Aber das würde ich heute ertragen.

„Oh, da habe ich vielleicht genau das Richtige.“ Sie trat vom Verkaufstresen weg, an dem sie einen Pullover zusammengelegt hatte. „Wir haben dieses wunderschöne dunkelgrüne Kleid gerade reinbekommen. Ich bin ganz vernarrt darin und es würde unheimlich gut zu Ihren Haaren passen.“

„Perfekt.“ Solange es nicht weiß war.

Dreißig Minuten später war ich zu Hause. Ein Ausdruck, den ich nur locker dafür verwendete, denn meine vorübergehende Wohnung war ein beschissenes kleines Apartment über einer beschissenen Autowerkstatt, in einer beschissenen Kleinstadt, und es war ganz bestimmt kein Zuhause. Ich zog das neue ärmellose grüne Wickelkleid an und zupfte den V-Ausschnitt zurecht, sodass nicht zu viel vom Dekolleté zu sehen war. Dann musste ich mich im Bad auf die Zehenspitzen stellen, um mich im Spiegel sehen zu können. Wer auch immer diese vier Wände hier eingerichtet hatte, war offensichtlich völlig egal gewesen, wie er von der Taille abwärts aussah.

Ich zog die nudefarbenen hohen Schuhe an und wünschte, ich hätte Zeit für eine Pediküre. Gab es überhaupt ein Nagelstudio in Clifton Forge? Ich wühlte in meiner Handtasche nach dem grellpinken Nagellack, den ich vor Wochen für Notfälle hineingeworfen hatte. Ich trug eine neue Schicht auf und ließ sie trocknen. Ich hatte jetzt so viele Lagen Nagellack auf den Fußnägeln, dass es einen Presslufthammer brauchen würde, sie wieder zu entfernen. Ich fuhr mir durchs Haar und trug Lippenstift auf.

Aus der Werkstatt hörte ich Geräusche. Das Klimpern von Metall auf Metall. Das Brummen eines Kompressors. Gedämpfte Stimmen der Männer, die dort unten arbeiteten. Ich ging zu dem einzigen Fenster im Apartment und sah hinaus auf den Parkplatz. Dort stand fein säuberlich nebeneinander eine Reihe von glänzenden Motorrädern an der Seite des Grundstücks vor dem Maschendrahtzaun. Eins davon gehörte meinem Halbbruder. Und ein anderes meinem Vater.

Er war Moms größtes Geheimnis. Eins, von dem ich nur erfuhr, weil sie gestorben war. Hätte sie mir irgendwann von ihm erzählt? Das spielte jetzt wohl kaum noch eine Rolle. Bis auf ein paar Mal als Kind und als frecher Teenager, hatte ich mich nie nach ihm erkundigt. Ich brauchte keinen Vater, denn ich hatte sie als Mutter. Sie war alles, was ich brauchte und noch viel mehr. Und jetzt war sie fort. Hatte mich allein gelassen mit dieser Familie, die aus Fremden bestand. Würde ich noch mehr Geheimnisse in Clifton Forge aufdecken? Sie schienen zwischen den Brettern ihres Sargs förmlich hervorzuquellen.

Ein Mann kam aus der Werkstatt und ging zu einem der Motorräder, das nicht so glänzte wie die anderen. Es war das einzige Bike in der Reihe, auf dem ich je gesessen hatte.

Isaiah.

Ein Name, der meine Gedanken seit Tagen heimsuchte.

Seine Schritte waren lang und selbstsicher. Seinem Gang wohnte eine Geschmeidigkeit inne, eine Leichtigkeit, als er diese starken Oberschenkel hob und seine schmalen Hüften bewegte. Doch dann folgte der dumpfe Aufprall, die Schwere, wenn jeder Schritt den Boden berührte. Es klang sehr nach Beklemmung und ich konnte es nachvollziehen. Er sah über die Schulter zu meinem Auto, das an den Treppenstufen zum Apartment parkte. Nachdem er es eine Weile betrachtet hatte, blickte er hoch zum Fenster. Ich machte mir nicht die Mühe, mich zu verstecken. Sollte er mich durch den Schmutz und die Wasserflecken sehen, war es auch egal. Bald konnte ich seinem Blick sowieso nicht mehr entkommen. Es war mir nicht möglich, auf die Distanz seine Augenfarbe zu erkennen, aber genau wie sein Name waren seine Augen ein ständiger Begleiter in meinen Träumen gewesen. Und in meinen Alpträumen. Grün und braun und golden. Die meisten würden sie als haselnussfarben bezeichnen und zu seinen anderen köstlichen Qualitäten übergehen, den langen Beinen, dem steinhart muskulösen Bauch, diesen wie gemeißelten Armen, die mit Tattoos geschmückt waren, und einem Hintern, der unglaublich war. Aber diese Augen waren etwas ganz Erlesenes. Die Farben wurden von einem dunkelbraunen Ring eingefasst. Und auch wenn das Muster faszinierend war, es waren die Dämonen, die sich dahinter verbargen, die einem den Atem verschlugen. Da war kein Funkeln darin, kein Licht. Sie waren leer. Lag es an seiner Zeit im Gefängnis? Oder an etwas anderem?

Isaiah nickte mir kurz zu und ging zu seinem Motorrad. Er setzte sich auf die Maschine und startete den brummenden Motor. Es war Zeit.

An meinem Hals pochte der Puls. Ich dachte, ich müsste mich übergeben und schluckte die Spucke in meinem Mund herunter. Dann atmete ich durch die Nase ein, denn ich hatte keine Zeit, mich zu übergeben. Es war beinahe Mittag. Erneut ging ich ins Badezimmer und räumte meine Sachen vom Waschtisch. Während der Rest des Apartments offen geschnitten war, hatte das Bad eine Tür. Was gut war, denn heute Abend würde ich nicht mehr allein sein.

Nachdem ich alles in ein Reiseköfferchen geräumt hatte, riskierte ich noch einen Blick in den Spiegel. Hübsch sah ich heute aus, eleganter als normalerweise. Auf eine gewisse Art sah ich aus wie meine Mutter.

Verflucht Mom, verflucht sollst du sein, dass du nicht hier bist. Dass du mich zwingst, das hier allein durchzuziehen.

Ich holte tief Luft und erlaubte meinen Tränen nicht, die Mascara zu ruinieren. Ich verbannte die Gefühle tief in mir, an einen dunklen Ort, wo sie bleiben konnten, bis ich mir meinen wohlverdienten Zusammenbruch leisten konnte. Jetzt war nicht die Zeit dafür, egal wie durcheinander mein Leben geworden war.

Erst war da mein Job. Indem ich gekündigt hatte, hatte ich meinen Traum, Anwältin zu werden und neben dem großartigen Reggie Barker zu arbeiten, begraben. Gab es hier in Clifton Forge überhaupt Anwälte? Wenn ja, dann bezweifelte ich, dass sie sich auf Pro Bono Arbeit mit misshandelten Frauen spezialisiert hatten. Auf jeden Fall gab es keine juristische Fakultät in der Gegend. Was zur Folge hatte, dass ich mir einen Job suchen musste. Ich würde für immer eine Anwaltsgehilfin sein.

Adios, Traumjob.

Als Nächstes war da meine Wohnung. Eine, die ich sorgfältig ausgesucht hatte. Die meine Konten komplett geplündert hatte. Die eine, die ich nach und nach dekoriert hatte, die ich instand hielt, und für die ich geduldig alles ausgesucht hatte, damit sie perfekt war und nicht nur irgendwie eingerichtet.

Und tschüss, Zuhause.

Es tat unendlich weh, darüber nachzudenken, meine Wohnung zu verkaufen. Ganz besonders, weil ich hier in diesem Apartment festhing, was nicht gerade von der noblen Sorte war. Nein, es war eher eins der Sorte Junggesellenbude mit rissigen weißen Wänden und altem, beigem Teppichboden.

Auf Wiedersehen, Leben.

Ich schleppte mich aus dem Badezimmer, schnappte mir die Handtasche und ging zur Tür. Meine Absätze klapperten auf den Metallstufen, während ich mich am Treppengeländer festhielt, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Als ich unten auf dem Asphalt ankam, eilte ich zum Auto und riskierte keinen Blick zur Werkstatt.

Seit ich gestern angekommen war, mied ich Dash, meinen Halbbruder, und Bryce, seine Freundin. Sie wollten wissen, was ich hier verloren hatte. Warum ich in Isaiahs Wohnung eingezogen war. Wie lange ich bleiben würde. Obwohl ich alles beantworten konnte, war ich dazu noch nicht bereit.

Als ich ungesehen vom Parkplatz fuhr, atmete ich seufzend auf. Dann folgte ich dem Navi auf meinem Smartphone in die Stadtmitte von Clifton Forge. Auf dem Weg dahin fuhr ich an einem breiten Fluss vorbei. Er mäanderte entlang der Stadtgrenze, war von Bäumen gesäumt, die sich im leichten Wind bewegten. Die Sonne glitzerte auf den stillen Wogen. Dahinter erhoben sich in der Ferne stolz und bläulich die Berge. Es war … malerisch. Vielleicht war ich mit Clifton Forge zu streng ins Gericht gegangen. Es fühlte sich hier ganz ähnlich an, wie in den ruhigeren, ländlichen Gegenden Colorados. Orte, an die ich mit Mom oft übers Wochenende gefahren war. Die Werkstatt war auch gar nicht so beschissen, sondern eher von der gehobenen Sorte, so wie diese Werkstätten in diesen Auto-Restaurationsfernsehsendungen. Vielleicht würde ich mit der Zeit den Ort und die Menschen kennenlernen und mich nicht wie eine Gefangene fühlen.

Heute war dieser Tag noch nicht gekommen. Heute war der erste Tag meines Urteilsspruchs.

Ich näherte mich meinem Ziel und mein Herz begann, schneller zu schlagen. Ich fand einen Parkplatz direkt vor dem Amtsgerichtsgebäude. Ich sammelte ein paar Münzen aus der Mittelkonsole und fütterte damit die Parkuhr. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich einen Parkplatz das letzte Mal mit Bargeld bezahlt hatte, statt meiner Kreditkarte. Ich zahlte für zwei Stunden und hoffte, dass es nicht so lange dauerte. Dann ging ich die Stufen des roten Ziegelsteingebäudes hinauf. An der Tür sah ich ihn warten und geriet etwas ins Stolpern.

„Hey.“ Isaiah stieß sich von der Wand ab.

„Hi“, hauchte ich und wischte mir die feuchten Handflächen am Kleid ab. Er trug ein schwarzes Hemd und Jeans. Die Gleichen wie in der Werkstatt. Sie waren sauber, ein bisschen verwaschen und passten ihm ausgezeichnet. Aber es waren eben Jeans. Ich hatte keine Ahnung, warum mich das störte. Vielleicht hätte ich auch einfach Jeans tragen sollen.

„Was ist?“ Er sah an sich herunter.

Ich riss den Blick von seinen langen Beinen und winkte ab. „Nichts.“

„Du siehst gut aus.“ Er fuhr sich mit der Hand über das braune Haar und mied meinen Blick.

„Danke. Du auch.“ Das schwarze Hemd war an den Ärmeln geknöpft und bedeckte seine Unterarmtattoos. Das Tattoo, das hinter seinem Ohr begann, zog sich über seinen Hals bis in den Kragen, wo es verschwand. Ich fragte mich, ob er auch eins auf dem Rücken hatte, oder der Brust oder den Beinen. Aber jeder Finger trug sein eigenes Design. Es waren zehn schmale Linien und Punkte, die sich über seine Knöchel zogen.

„Bereit?“, fragte ich.

Er nickte. „Bist du dir auch sicher?“

„Wir haben keine andere Wahl.“

„Nein. Wahrscheinlich nicht.“

Isaiah öffnete mir die Tür, aber im Gebäude ging er voran, leitete uns durch die Flure, vorbei an Holztafeln, die an den Wänden hingen. Die Böden waren frisch poliert und der überwältigende Duft nach Zitrone füllte meine Nase. Nach einer Weile standen wir vor der Tür des Standesbeamten. Wir waren da. Wir zogen das wirklich durch. Ich heiratete den Mann, der mir das Leben gerettet hatte. Jetzt war es an mir, ihm den Gefallen zu erwidern und seins zu retten.

Isaiah begrüßte die Dame hinter dem Schreibtisch, sprach für uns beide, denn ich hatte irgendwie vergessen, wie das ging. Ich stand benommen und steif neben ihm, wartete ab, bis er alle Fragebögen ausgefüllt hatte. Als ich an der Reihe war, füllte ich alles mit zittriger Hand aus.

„Können Sie sich ausweisen?“, fragte die Frau. Sie nahm unsere Papiere und Ausweise entgegen und deutete auf eine Sitzreihe an Stühlen hinter uns. „Sie können sich setzen.“

Ich umfasste die Armlehnen des Stuhls und atmete tief ein, in der Hoffnung, dass mir dann nicht mehr so schwindelig sein würde. So hatte ich mir meine Hochzeit nie ausgemalt. Das hier war nichts Besonderes. Ich trug ein grünes Kleid, weil ich kein Weiß tragen wollte, da diese Heirat ein Schwindel war. Ich kannte weder den Zweitnamen meines Verlobten noch wusste ich, wie er gern geküsst werden wollte. Ich wusste nicht, wie er seinen Kaffee trank, oder welche Seite des Bettes er bevorzugte. Meine Mom war nicht hier, um mich zum Altar zu führen.

Das Blut rauschte in meinen Ohren und mein hämmernder Herzschlag tat in der Brust weh. Ich hatte noch nie eine Panikattacke. Hatte ich jetzt eine? Vor gerade einmal einer Woche, war ich entführt worden und dabei nicht so ausgeflippt. Wenn ich so ein Erlebnis überstehen konnte, dann war das hier doch wohl ein Spaziergang.

Es ist nur vorübergehend. Nur vorübergehend.

Wir würden uns über kurz oder lang wieder scheiden lassen und es stünde mir frei, wieder nach Hause zu gehen. Ein paar Jahre hier und dann bekam ich mein Leben zurück. Das konnte ich für Isaiah tun.

„Wir müssen das nicht machen“, wisperte er.

„Doch“, sagte ich und fand in mir die gleiche Entschlossenheit, die ich hatte, als ich das erste Mal die Heirat vorgeschlagen hatte. „Müssen wir.“

„Genevieve …“

Mein Name klang so weich mit seiner tiefen Stimme. Jede Silbe einzeln betont. Er beeilte sich nicht, meinen langen Namen auszusprechen, so wie viele andere es taten. Ich sah ihn an, mein Blick traf auf seinen atemberaubenden und mein Herz wurde schwach. Isaiah war ein lieber Mensch. Ein guter Mensch. Er hatte es nicht verdient, wegen der Fehler meiner Mutter zu leiden.

„Doch. Wir ziehen das jetzt durch.“

„Isaiah und Genevieve?“ Die Dame winkte uns herbei und schob uns die Heiratserlaubnis zu. „Alles erledigt. Einfach hier durchgehen.“

Wir folgten der angegebenen Richtung durch eine Tür zu unserer Linken und fanden einen Mann vor, der auf seinem Eichenschreibtisch durch Papiere blätterte. Die Brille war ihm nach vorn auf die Nase gerutscht. Bis auf einen Kranz aus grauen Haaren von Ohr zu Ohr war er glatzköpfig.

„Die zukünftigen Mr. und Mrs. …“ Er blickte auf die Papiere vor sich. „Reynolds.“

Mrs. Reynolds. Ich schluckte und zwang mich zu einem Lächeln. Wir gaben vor, verliebt zu sein. Ein Paar, das sich kennengelernt und sofort ineinander verliebt hatte, noch am gleichen Tag. Also schob ich meine Hand in Isaiahs. Die Wärme seiner rauen Handfläche traf auf meine und ich spannte mich an. Er zuckte nicht zusammen, aber auch er verspannte sich.

„Sollen wir?“

Der Standesbeamte führte uns in die Mitte des Zimmers. Wir standen direkt vor ihm und er nahm seinen Platz ein, wobei er uns nett anlächelte. Sollte er unsere Befürchtungen erahnen, so sagte er nichts.

„Haben Sie Ringe?“

Panik setzte ein. Bei allem, was ich letzte Woche getan hatte, hatte ich nicht an Ringe gedacht. „Ich, äh …“

„Hier.“ Isaiah holte zwei Ringe aus der Hosentasche. Einer war schlicht, nicht golden oder silbern, sondern ein dunkles Grau. Wie Titan. Und der andere war schmal und aus Platin mit mehreren kleinen Diamanten in der Mitte. Mir klappte der Mund auf.

„Es ist nichts Besonderes.“ Isaiah schluckte und wurde rot vor Scham.

„Er ist wunderschön.“ Ich drückte seine Hand und nahm den Ring. Das war die Wahrheit. Die Diamanten waren nicht riesig, aber das brauchte ich gar nicht. Er hatte schon genug getan. „Dankeschön.“

„Sehr schön.“ Der Standesbeamte lächelte. „Isaiah, Genevieve, bitte nehmt euch an den Händen.“

Wir folgten seiner Anweisung und sahen uns an. Direkten Augenkontakt hielten wir nicht. Meistens konzentrierte ich mich auf seine Nase. Es war ein bewundernswertes Exemplar. Stark und gerade, und genau zwischen diesen Augen mit dem leidenden Blick.

„Indem ihr eure Hände haltet, stimmt ihr dem Band zwischen euch zu. Ehemann und Ehefrau. Versprecht, euch zu ehren, zu lieben und zu unterstützen. Willst du, Isaiah, Genevieve zu deiner Ehefrau nehmen?“

Er sah mir direkt in die Augen. „Ja, ich will.“

„Willst du, Genevieve, Isaiah zu deinem Ehemann nehmen?“

„Ja, ich will.“

Ein paar Worte und es war erledigt. Ich war verheiratet.

„Dann erkläre ich euch in meiner Eigenschaft als Standesbeamter des Staates Montana zu Mann und Frau. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Ehe alles erdenklich Gute, Mr. und Mrs. Reynolds.“

Ehe.

Das war es nun.

Isaiah war in Sicherheit. Niemand auf der ganzen Welt konnte mich mehr dazu zwingen, etwas darüber zu sagen, was in der Hütte in den Bergen passiert war. Denn jetzt war ich seine Ehefrau. Ich wollte mich gerade bei dem Standesbeamten bedanken, als dieser noch einmal den Mund öffnete und etwas sagte, was Isaiah blass werden ließ.

„Isaiah, Sie dürfen Ihre Braut jetzt küssen.“

Kapitel 2

Isaiah

Die letzte Frau, die ich geküsst hatte, war die Frau, die ich umgebracht hatte. Das war nicht gerade ein Gedanke, den ein Bräutigam im Kopf haben wollte, während er vor seiner Braut stand. Genevieve sah nicht minder entsetzt aus, bei dem Gedanken an einen Kuss. Ihre Augen waren weit aufgerissen und voller Furcht. Die Lippen hatte sie zu einer Linie zusammengepresst. Kein Einlass.

Verstanden.

Fuck. Der Standesbeamte wartete. Genevieve machte keine Anstalten, sich zu bewegen, und ich wollte es einfach hinter mich bringen. Ich legte meinen Mund auf ihren und schloss die Augen auf dem Weg dahin. Es war nicht … fürchterlich. Sie trug keinen klebrigen Lipgloss. Ihre Lippen waren weich und voll. Ich verweilte etwas, gab für zehn Sekunden vor, ihr liebender Ehemann zu sein. War das lange genug? Es musste reichen. Ich zog mich zurück und sah zu Boden. Schuldgefühle nagten an mir. Ich hatte seit zwei Tagen nichts gegessen und seit drei Nächten nicht mehr geschlafen. Alles an dieser Situation war falsch. Aber was zur Hölle sollte ich tun? Genevieve dachte, dass es funktionierte und dass mich diese Heirat vor dem Gefängnis bewahrte. Und ich würde eher sterben, als noch einmal einen Tag in einer Zelle zu verbringen.

„Danke“, sagte Genevieve zu dem Mann.

Wir hielten uns noch immer an den Händen. Sie drückte meine Hand fest und zwang mich, zu ihr hoch zusehen. Dann zerrte sie mich praktisch aus dem Zimmer. Die Dame am Empfang lächelte freundlich und gratulierte uns herzlich. Ich grunzte und Genevieve nickte. Dann gingen wir stumm mit locker verschränkten Fingern nach draußen, wo sie meine Hand losließ, als wäre sie eine heiße Herdplatte, und wir traten einen Schritt voneinander weg.

„Ähm …“ Sie griff sich an die Lippen. „Das wäre es dann also gewesen.“

„Ja.“

Das war es. Wir waren verheiratet. Was zum Henker hatten wir nur getan? Falls uns das um die Ohren flog, wäre es nicht nur schlimm für mich, es könnte ihr Leben ruinieren. Eine Ecke unserer Heiratsurkunde lugte aus ihrer Tasche hervor. Zweifel hin oder her, jetzt gab es kein Zurück mehr.

„Ich gehe wieder zur Arbeit.“

„Okay. Gute Idee. Ich denke, ich werde einfach …“

Sie blinzelte ein paar Mal, schüttelte dann den Kopf und ging die Stufen hinab zu ihrem Auto. Mein Motorrad stand fünf Parkplätze von ihrem entfernt. Ich wartete ab, bis sie eingestiegen war, lief zu meinem Bike und machte, dass ich vom Amtsgericht wegkam. Ich wusste, dass Genevieve Richtung Hauptstraße fahren würde. Es war der schnellste Weg zur Werkstatt. Ich nahm die Seitenstraßen, brauchte etwas Abstand. Von meiner Frau. Um meinen Kopf klarzukriegen.

Warum brannten meine Lippen immer noch? Egal, wie oft ich mir darüber fuhr, das Gefühl von ihrem Mund blieb haften. Vielleicht lag es daran, dass ich schon lange niemanden mehr geküsst hatte. Sechs Jahre, einen Monat und vier Tage, um genau zu sein. Am Memorial Day. Das war das letzte Mal, dass ich eine Frau geküsst hatte. Ich hatte vorgehabt, Shannon zu heiraten, aber dann …

An sie zu denken tat weh. Jeder Herzschlag schmerzte. Ich hatte Genevieve geheiratet, obwohl meine Seele von einem Geist gefangen war. Genevieve und Shannon waren wie Tag und Nacht. Shannon war eine fröhliche, sanfte Frau gewesen, deren Stimme glockengleich und auf deren Gesicht immer ein Lächeln zu sehen war. Genevieve hatte eine raue, nachhallende Stimme. Selbst, wenn sie wisperte, klang sie kraftvoll. Ihr Haar war dunkelbraun und ihre dunklen Augen verschwammen nicht mit dem Sonnenschein oder einer sanften Brise. Genevieve war eine Gewalt in sich selbst, eine, die mein Leben für immer verändert hatte. Der Ring an meinem Finger drückte sich in meine Handfläche, als ich meinen Lenker umfasste. Er bestand aus billigem Metall. Nachdem ich Genevieves Ring gekauft hatte, konnte ich mir keinen anderen mehr leisten. Sie hatte mir heute das Leben gerettet. Und dafür verdiente sie so viel mehr, als das Wenige, das ich ihr über den Finger streifte. Aber sie schien ihn zu mögen. Sie hatte die Diamanten mit einem bewundernden Blick betrachtet.

Genevieve sprach mit ihren wunderschönen Augen. Jede Emotion, jedes Gefühl flammte in diesem tiefen kaffeebraunen Blick auf. Ich würde mich ihr gegenüber anständig verhalten. Richtige Ehe oder nicht, ich war niemand, der fremdging. Ich würde mein Bestes geben, damit es für sie nicht schwierig wurde. Und ich würde Genevieve nicht im Stich lassen. Nicht wie Shannon.

Die Werkstatt tauchte auf und mein Magen zog sich zusammen. Mir lag etwas an den Leuten hier. Sie waren meine Kollegen und vielleicht sogar meine Freunde. Sie hatten einem heruntergekommenen Ex-Knacki die Chance gegeben, sich in einer neuen Stadt ein neues Leben aufzubauen. Ich mochte ihnen gegenüber nicht besonders mitteilsam gewesen sein, was meine Vergangenheit betraf, aber ich war immer ehrlich. Von heute an würde ich ihnen ins Gesicht lügen. Aber es war die einzige Möglichkeit. Nach allem, was oben in den Bergen in dieser Hütte passiert war, mussten Genevieve und ich lügen.

Nach diesem Tag auf dem Berg, nachdem ich Genevieve nach Bozeman zum Flughafen gebracht hatte, damit sie nach Colorado fliegen und ihre Siebensachen packen konnte, war ich nach Clifton Forge zurückgekommen und wurde mit Fragen bombardiert. Mein Boss, Dash, hatte Fragen. Seine Freundin Bryce, die zusammen mit Genevieve entführt worden war, hatte Fragen. Draven, Emmett, Leo, sie alle hatten Fragen.

Aber ich konnte ihnen keine Wahrheiten anbieten. Also verließ ich die Stadt, verkroch mich in Bozeman eine Woche im Haus meiner Mutter, bis Genevieve wieder nach Montana zurückkam. Es wäre einfacher, zu lügen, wenn ich mit ihr zusammen war, nicht wahr? Dash war sauer, dass ich eine Woche nicht zur Arbeit gekommen war. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass er mich nicht sofort rausgeworfen hatte. Denn, verflucht, ich brauchte diesen Job. Ich mochte diesen Job, dabei gab es nicht sehr viel, was ich dieser Tage ernsthaft mochte. Ich hatte seine Gnade nicht verdient, aber ich nahm sie an.

Das war gestern.

Die letzte Woche war wie ein Wirbelwind gewesen und mir war immer noch schwindelig davon. Seit Genevieve Daylee in mein Leben trat, war die Einfachheit und Ordnung, nach der ich mich in meinem Leben sehnte und die ich gefunden hatte, verschwunden.

Ich parkte an der Werkstatt und ging zu den offenen Werkstatttoren. Der ganze Betrieb war hell und geräumig. Die Werkzeuge ein Traum. Vielleicht würde mich Dash eines Tages neben den Ölwechseln und Inspektionen auch einmal an die maßgefertigten Nachbauten lassen, für die diese Werkstatt gerade so berühmt wurde.

„Hi, Isaiah.“ Bryce winkte mir zu. Sie stand neben Dash, der sich gerade mit dem Motor eines Pick-Ups beschäftigte. „Wir haben gerade Genevieve gesehen, wie sie in deine Wohnung ging.“

„Ja.“ Ich sah über die Schulter zu Genevieves grauem Toyota, der neben dem Büro auf einem der drei Parkplätze neben der Treppe zum Apartment stand.

„Sie wohnt bei dir?“

„Äh … ja.“ Verflucht. Genevieve und ich hätten darüber reden sollen. Verrieten wir den Leuten, dass wir geheiratet hatten? Sollten wir es noch eine Weile für uns behalten? Irgendwann mussten wir es sagen, aber ich traute mir nicht zu, die Neuigkeiten zu überbringen, ohne dabei Scheiße zu bauen. Sie mussten uns abnehmen, dass wir ineinander verliebt wären. Keinesfalls konnte ich ihnen jetzt Liebe auf den ersten Blick verkaufen. Wenn ich nichts sagte, würden sie vielleicht aufhören nachzufragen. Im Gefängnis hatte das funktioniert. Ich sprach nie, außer es war unbedingt notwendig gewesen. Es war die beste Art, sicherzustellen, dass ich nichts Dummes sagte und für nichts Prügel bezog.

Dash kam unter der Motorhaube hervor und hielt einen Steckschlüssel in der Hand. „Hi.“

„Hi. Danke für die Woche“, sagte ich ihm und mied dabei Bryces sich verengenden Blick. Sie war eine Reporterin und zudem sehr clever. Sie roch wahrscheinlich die unausgesprochenen Lügen, aber ich würde nicht reden. Ich hatte drei Jahre lang Leute auf diese Weise ausgesperrt. Bryce hatte keine Chance.

„Woran soll ich arbeiten?“, fragte ich Dash.

Er zeigte mit dem Daumen auf den Pick-Up. „Du kannst hier den Ölwechsel fertigmachen, wenn du willst.“

„Klar.“

Ich ging zur Werkbank und sah auf meine Jeans. Es war meine beste. Und die einzige ohne Ölflecke. Ich hatte sie mir in Bozeman speziell für heute gekauft, denn ich wollte nicht in schmutzigen Hosen heiraten. Genevieve hatte mich vorhin von oben bis unten betrachtet. Auch wenn sie sagte, dass ich gut aussah, wurde mir klar, dass die Jeans ein Fehler war. Ich hatte mich neben ihr, dieser atemberaubenden Frau in dem grünen Kleid, wie ein Stück Dreck gefühlt. Sie hatte etwas Besseres als Jeans verdient. Sie hatte etwas Besseres als mich verdient. Aber da ich ein egoistischer Bastard war, griff ich nach den Sternen. Ich würde uns wahrscheinlich beide abstürzen lassen.

„Alles klar bei dir?“ Dash stellte sich neben mich und legte mir eine Hand auf die Schulter.

„Ja, alles gut.“ Wie würde er auf die Neuigkeit reagieren, dass ich jetzt nicht mehr nur ein Angestellter, sondern auch sein Schwager war? Oder Halb-Schwager? Diese Familiendynamik war eigenartig. Ich war mir nicht sicher, was in der Slater-Familie los war. Ich war erst diesen Sommer nach Clifton Forge gezogen, um den Job anzunehmen. Ich wollte dringend weg aus Bozeman, wo mir an jeder Ecke Erinnerungen begegneten. Ein Typ, der mit mir eingesessen hatte, hatte mich an Dashs Vater Draven verwiesen. Er hatte mich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und mich eingestellt, obwohl ich offiziell Dash unterstand. Die Bezahlung war anfangs nicht besonders gut gewesen, aber es musste sich um eine Probezeit gehandelt haben, denn sie hatten meinen Stundenlohn ziemlich schnell hochgesetzt. Und als mein Vermieter mich verarschen wollte, hatte mir Dash das Apartment über der Werkstatt umsonst zur Verfügung gestellt. War es die richtige Entscheidung gewesen hierher zu ziehen? Wenn ich in Bozeman geblieben wäre, hätte ich heute nicht geheiratet. Ich wäre nicht in diese verfluchte Entführung verstrickt worden. Ich hätte mein Leben nicht mit einem ehemaligen Motorradclub verbandelt. Die Tin Gypsys hatten ihre Clubhaustüren geschlossen, aber das hatte die Schwierigkeiten nicht davon abgehalten an eben jene zu klopfen, nicht wahr?

Vor sechs Wochen hatte man Genevieves Mutter Amina in einem Motel ermordet. Sie wurde brutal erstochen. Draven, der erste Mensch, dem ich in Clifton Forge begegnet war, ein Mann, den ich für anständig hielt, hatte man des Verbrechens verdächtigt. Draven war früher der Präsident der Tin Gypsys gewesen, bis er den Posten seinem Sohn übertragen hatte. Sie trugen ihre Patches und Lederwesten nicht mehr, aber die Zielscheiben befanden sich noch auf ihren Rücken. Ich wusste nicht viel über den Club und wollte es auch nicht. Dash und Draven hielten sich bedeckt. Die beiden anderen Mechaniker, die in der Werkstatt arbeiteten und Mitglieder des Clubs gewesen waren, Emmett und Leo, ebenfalls. Sie hatten mich aus den Details herausgelassen, aber ein paar Dinge hatte ich aufgeschnappt. Größtenteils, dass Draven unschuldig war. Man wollte ihm den Mord an Amina anhängen. Ich hatte mich die ganze Zeit rausgehalten, bis Bryce entführt wurde. An diesem Tag änderte sich alles. Ich war mit Dash und den Jungs zusammen aufgebrochen, um sie zu befreien. Ich mochte Bryce und wollte helfen. Wir fanden sie in den Bergen, halb erfroren und verängstigt. Und dort fand ich auch Genevieve. Inmitten einer Hölle, die schon ausgebrochen war.

Genevieve und ich mussten uns abstimmen. Wir mussten schwer an unseren Lügen arbeiten, die wir erzählen wollten. Und an den Wahrheiten, mit denen wir die Lücken ausfüllen mussten. Heute hatte ich dafür nicht die Energie. Momentan brauchte ich die gewohnte Arbeit. Ich zog mir einen Overall über, um die Jeans zu schützen. Dash legte seine Werkzeuge in die Schublade. Dann nickte er mir zu.

„Bin froh, dass du wieder da bist.“

„Ich weiß die zweite Chance zu schätzen.“

Er zuckte mit den Schultern. „Wir glauben hier an zweite Chancen. Und übrigens auch an dritte und vierte. Du musst nur Leo fragen, wie oft Dad ihn im Laufe der Jahre schon gefeuert hat.“

„Ich lass dich nicht noch einmal hängen“, versprach ich.

„Okay.“ Dash nickte und verschwand mit Bryce im Büro.

Ich öffnete die Schublade der Werkbank und mein Ring blitzte im Licht der Werkstatt auf. Mist. Ich sah mich um und steckte den Ring in die Hosentasche. Wenigstens hatte ich eine Entschuldigung, warum ich ihn nicht trug. In diesem Job konnten einem Ringe schon mal einen Finger kosten.

Wie hatte das alles nur passieren können? Ich war zur Arbeit gekommen, fuhr mit den anderen los, um die Freundin meines Chefs zu befreien, und jetzt hatte ich eine Ehefrau. Meine Mutter sagte immer, dass mich die Schwierigkeiten immer fanden, egal wo ich hinging. Ich schnappte mir mein Werkzeug und begann mit dem Ölwechsel. Ich war noch nicht lange Mechaniker, aber ich lernte schnell und Automechanik fiel mir leicht. Gänge griffen ineinander, Muttern passten auf Schrauben, und die Schrauben zog man nach rechts fest und lockerte sie, wenn man nach links drehte. Ich badete in der Einfachheit, dass ein Teil so konzipiert war, dass es zum anderen passte und dabei blendete ich das Chaos meines Lebens aus. Den Rest des Tages verbrachte ich mit Ölwechseln und einer Komplettinspektion. Sogar nachdem Dash und Bryce gefolgt von Emmett und Leo nach Hause gingen, arbeitete ich weiter. Der letzte Ort, wo ich sein wollte, war oben, wo Genevieve wartete.

„Isaiah? Bist du noch da?“

Ich stand am Waschbecken, als ich Presleys Stimme hörte. „Ja.“

„Okay, soll ich abschließen?“

„Schon gut, ich mach das.“ Ich schüttelte meine Hände trocken. Presley kam näher. Sie trug ihr Haar schlohweiß gefärbt, an den Seiten kurz geschoren und lang auf dem Kopf. Sie schob die Hände in ihren weiten Denim Overall. Emmett zog sie immer damit auf, dass sie nicht größer war als eine Elfenprinzessin.

„Ich weiß, dass ich das heute Morgen schon einmal gesagt habe, aber ich bin froh, dass du wieder da bist.“

„Ich auch. Wie läuft es bei dir?“

„Gut.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich mach Feierabend. Das solltest du auch.“

Ich würde mich noch früh genug die Treppe hoch schleifen. „Ja.“

Presley musste wissen, dass Genevieve im Apartment war. Sie erwähnte es aber nicht. Sie war eine von den Leuten in der Werkstatt, die keine Fragen stellten. Vielleicht, weil sie wusste, dass ich nicht reden würde. Wir hatten uns schnell angefreundet. Sie war auch kein Teil des Tin Gypsy Motorradclubs gewesen, das schmiedete uns als Außenstehende zusammen. Wir passten in die Werkstattfamilie, aber während die anderen über Geheimnisse wisperten, stärkten Presley und ich im Büro bei einem Kaffee unsere Verbundenheit. Sie fragte mich nie über das Gefängnis aus. Sie fragte nicht nach meiner Vergangenheit. Wenn wir uns unterhielten, drehte es sich meistens um ihr Leben in Clifton Forge. Sie weihte mich ein, wo es den besten Cheeseburger der Stadt gab und wer der beste Friseur war. Als der Vermieter die Miete erhöht hatte, hatte ich mich ihr anvertraut

„Wie geht es oben voran? Hast du das Apartment schon fertig ausgeräumt?“, fragte sie.

Ich nickte. „Das Meiste. Ich muss es noch streichen und ein paar Dinge erneuern, aber das möchte ich erst mit Dash besprechen, bevor ich große Veränderungen vornehme.“

Als ich hier herzog, hatte ich nicht weit von hier eine Wohnung gemietet. Der Vermieter fand meine Zeit im Knast nicht so prickelnd. Keiner tat das. Ich auch nicht. Dennoch hatte er mich einziehen lassen und ich sollte monatlich die Miete zahlen. Keine zwei Wochen später, genau, als Dash mir eine Gehaltserhöhung gegeben hatte, kam er an und verdoppelte die Miete. Vielleicht war es, weil ich ein Ex-Knacki war und er wusste, dass ich woanders keine Wohnung finden würde. Presleys Theorie war, dass er herausgefunden hatte, wo ich arbeitete und wusste, dass Dash seinen Mitarbeitern faire Gehälter zahlte. Presley war jemand, den man gern an seiner Seite wusste. Sie hatte Dash angesprochen, ohne dass ich davon wusste, und hatte ihn gefragt, ob ich das Apartment oben haben könnte. Es hatte mich gekostet, es leerzuräumen. Selbst nach stundenlangem Putzen der Wände und dem Shampoonieren des Teppichbodens, war es nicht gut genug für Genevieve. Es war eine Junggesellenbude, kein Ort für eine elegante, höhergestellte Frau, die sofort die Aufmerksamkeit aller erregte, wenn sie einen Raum betrat.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Presley. „Ich weiß, dass du und Genevieve im Moment lieber unter euch seid, und das ist total okay. Du musst mir keine Details erzählen. Ich versuche nicht, mich in dein Liebesleben einzumischen. Aber … geht es dir gut?“

„Ja“, sagte ich aufrichtig. Dank Genevieve. Sie mochte mit dieser Idee zu heiraten total durchgeknallt sein, aber wenn es funktionierte, dann würde es mir mehr als gut gehen. Dann wäre ich frei. „Danke dir, Presley.“

„Jederzeit. Bis morgen dann?“

Ich nickte. „Bis morgen.“

Sie ging durch die Verbindungstür zurück ins Büro und ich machte Feierabend, knipste alle Lichter aus und schloss die großen Tore der Werkstatt und die Seitentür ab. Ich lungerte noch für eine Minute herum, und als ich es nicht mehr abwenden konnte, zwang ich mich, die Eisentreppe hoch zu meiner Wohnung zu gehen. An der Haustür hielt ich inne. Sollte ich anklopfen? Ich wohnte hier. Mein Bett, alle meine Sachen waren da drin. Aber jetzt, wo Genevieve eingezogen war, fühlte es sich nicht mehr wie meine Wohnung an. Ich klopfte kurz und trat dann ein. Genevieve saß auf der Couch und hatte den Laptop auf dem Schoß. Sie versteifte sich, als ich eintrat.

„Hi.“

„Hi.“ Ich schloss die Tür und ging zum Kühlschrank, um mir eine Cola zu holen. „Arbeitest du an etwas?“

„Ich suche einen Job.“

„Hm.“ Die Dose zischte, als ich sie öffnete. Ich trank ein paar Schlucke, spürte das Prickeln der Kohlensäure in meiner Kehle.

Sie schloss den Laptop und legte ihn beiseite. Sie hatte sich das dunkle Haar auf dem Kopf zusammengebunden, die Wellen von vorhin wurden von einem weißen Band zusammengehalten. Das Kleid war verschwunden. Sie trug jetzt braune Leggings und ein T-Shirt, das ihr über eine Schulter herabfiel, sodass man ihr Schlüsselbein sah. Dieses kleine Stückchen Haut brachte mein Herz aus dem Takt. Mich juckte es in den Fingern, über ihre glatte, helle Haut zu fahren. Ich nahm noch einen Schluck Cola und schob meine Reaktion auf Genevieves Schönheit beiseite. Der Drang, sie zu berühren war nur körperlich. Der Kuss heute hatte unterdrückte sexuelle Frustration hochgeholt, die seit Jahren nicht mehr da gewesen war. Nach ein paar Tagen wäre das wieder vergraben und vergessen. Ich würde lernen, mit dieser umwerfenden Frau zu leben, die viel zu wunderschön war, um in diesem schäbigen Zimmer zu sein, selbst in Freizeitkleidung. Ihr Outfit war heiß, aber nicht so sexy wie das grüne Kleid.

„Wir haben kein Foto gemacht“, murmelte ich.

„Hm?“

Ich ging zur Couch und nahm so weit wie möglich entfernt von ihr Platz.

„Ein Foto. Wir haben heute keins gemacht. Glaubst du, dass das auffällig war? Die Leute werden ein Hochzeitsfoto von uns erwarten, oder?“

„Oh.“ Ihre Schultern sackten ab. „Daran habe ich auch nicht gedacht. Vielleicht sagen wir, dass wir später welche machen lassen oder so.“

„Ja.“

Unangenehme Stille waberte über der Couch. Es war die gleiche Stille, die wir gestern erlebt hatten, als wir ihre Kartons und Koffer aus dem Auto geholt hatten. Ich ertrug es für ein paar Stunden, aber es wurde zu unangenehm, also entschuldigte ich mich und fuhr in ein Motel für die Nacht.

„Tja“, sagte ich gedehnt.

„Tja.“

Wie sollten wir die Leute davon überzeugen, dass wir verheiratet waren, wenn wir nicht einmal ein Wort miteinander reden konnten? Ich blickte auf das Bett und schluckte schwer. Himmel. Das hier war unsere Hochzeitsnacht. Sie erwartete doch nicht, dass wir sie vollzogen, oder? Ihr Blick folgte meinem und ihre Augen weiteten sich voller Furcht.

Das war ein klares Nein.

„Äh, wo ist dein Ring?“, fragte sie.

„Oh. Ich war nicht sicher, wann wir es den Leuten sagen. Oder wie du dir vorstellst, dass wir es anstellen sollen.“ Ich holte den Ring aus der Hosentasche und schob ihn mir über den Finger. Das verdammte Ding war schwer.

„Was machen wir bloß?“, wisperte sie. „Die Leute müssen uns abkaufen, dass wir verliebt sind. Aber ich habe keine Ahnung, wie wir sie davon überzeugen wollen, wenn wir uns doch gerade erste letzte Woche kennengelernt haben.“

Fuck sei Dank. „Ich auch nicht.“

„Das ist prekär und furchtbar und … Mist.“ Sie wedelte mit den Händen in der Luft, löschte ihre Worte. „Ich meine nicht, dass du furchtbar bist, nur die Situation. Du bist großartig und ich schulde dir so viel.“

Ich hob meine Hand und wackelte mit dem Ringfinger. „Ich denke, seit heute sind wir quitt.“

„Nein.“ Erneut ließ sie die Schultern sinken. „Du hast mir das Leben gerettet, Isaiah. Nach der Trauung wurde mir bewusst, dass ich mich gar nicht bedankt habe.“

„Du musst dich nicht bedanken.“

„Doch.“ Sie legte ihre Hand auf mein Knie. „Danke, Isaiah.“

Ich würde es wieder tun, immer und immer wieder, wenn es bedeutete, dass ich sie dadurch rette. „Gern geschehen.“

„Es ist ja nicht für immer.“ Sie schenkte mir ein trauriges Lächeln. „Ein paar Jahre vielleicht. Wir werden uns davon überzeugen, dass alles versiegt ist und dann machen wir Schluss.“

Jahre. Das schien lange, um mit einem Fremden verheiratet zu sein. „Ich bin noch nicht bereit es anderen zu erzählen.“

„Es ist in Ordnung, wenn wir ein paar Tage warten. Man stellt uns im Moment sowieso schon so viele Fragen, also lass uns das nicht auch noch hinzufügen.“

„Klingt gut“, sagte ich. „Hat Bryce dich vorhin besucht? Ich habe sie gesehen, als wir vom Amtsgericht kamen.“

„Ja.“ Sie blickte auf den Boden. „Ich habe nicht aufgemacht. Und nicht auf ihre Nachrichten geantwortet. Ich fühle mich mies. Ich kenne sie noch nicht lange, aber es fühlt sich so an, als wäre sie eine Freundin.“

„Es ist schwer, sie nicht zu mögen.“

„Versuch mal, mit ihr in einem Kofferraum eingesperrt zu sein, in die Berge verschleppt zu werden und dann mit ihr zusammen an einen Baum gefesselt zu sein. Bryce hat die Nerven bewahrt. Ihretwegen habe ich das durchgehalten. Ich werde nie in der Lage sein, ihr das zu vergelten. Sie verdient die Wahrheit, aber …“ Unsere Sicherheit lag im Lügen. „Ich hasse Lügen“, gab sie zu.

Genevieve Daylee war ein guter Mensch, den man in eine fürchterliche Situation geworfen hatte. Oder hieß es jetzt nicht Genevieve Reynolds? Würde sie meinen Nachnamen behalten? War es seltsam, dass ich mir das wünschte? „Glaubst du, dass es uns irgendwer abkaufen wird?“, fragte ich.

„Nein.“ Sie lachte. „Aber wenn wir es lange genug durchziehen, werden sie es vielleicht akzeptieren.“

Wieder Stille. Ich trank meine Cola aus. Genevieve starrte vor sich hin. Aus dem Augenwinkel fiel mir ständig das verfluchte Bett auf. Ich erhob mich und warf meine Dose in den Müll in der Küche. „Ich fahre wieder ins Motel.“

„Bist du sicher?“, fragte sie, aber in ihrem Tonfall schwang Erleichterung mit.

„Ich finde, heiraten war genug für einen Tag. Lass uns die Hochzeitsnacht auf ein andermal verschieben.“

Sie wurde blass.

Oh, fuck. „Nein, so habe ich es nicht gemeint. Ich meinte eine Hochzeitsnacht, bei der wir uns unter einem Dach befinden. Nicht … du weißt schon.“ Ich zeigte auf das Bett. „Wir müssen es nicht, äh … tun. Jemals.“ Sie schluckte. „Ich sehe dich dann morgen“, sagte ich, marschierte zur Tür und ließ sie mit großen Augen auf der Couch sitzen. Ich lief schnell die Treppe hinab und zu meinem Bike. Erst als ich mich auf der Straße befand, konnte ich wieder atmen.

Hochzeitsnacht? Was zum Teufel hatte ich mir nur dabei gedacht? Genevieve würde niemals eine Hochzeitsnacht haben. Vorzugeben verheiratet zu sein, bedeutete nicht, dass wir mir miteinander schlafen mussten. Nein, der Kuss heute war genug. Ganz besonders, weil ich ihn immer noch auf meinen Lippen spürte.

Kapitel 3

Genevieve

„Ich bin so froh, dass du da bist, Genevieve.“

Ich erstarrte bei Bryces Stimme hinter mir. Mist. Soviel zu dem Plan, mich heute aus und in die Wohnung zu schleichen. An meinen Unterarmen hingen Einkaufstüten und ich beugte mich gerade über den Kofferraum, aus dem ich die Milch hob. Ich hätte heute gleich ganz früh in den Supermarkt fahren sollen, statt bis zum Mittag zu warten. Nur, dass Isaiah heute früh da war, duschte und sich für die Arbeit fertig machte. Ich war im Bett liegen geblieben und gab vor, zu schlafen, damit wir nicht miteinander reden mussten. Nachdem er gegangen war, machte ich, was ich immer morgens tat. Ich lauschte den Stimmen aus dem Büro unter mir. Jeden Morgen schienen sich alle dort unten zu versammeln. Sie tranken eine halbe Stunde zusammen Kaffee und machten sich dann an die Arbeit. Ich wartete, bis die Stimmen versiegten, bevor ich mich auf Zehenspitzen die Treppe hinab schlich und zu meinem Auto rannte, damit mich niemand sah. Wegzukommen war leicht gewesen. Nur, dass man mich beim Wiederkommen erwischte.

Es war Freitag. Vor zwei Tagen hatten Isaiah und ich geheiratet. Ich hatte kaum einen Fuß nach draußen gesetzt. Angst hielt mich zurück. Wäre der Kühlschrank nicht leer gewesen und die Kaffeedose ebenfalls, hätte ich das Einkaufen noch länger hinausgezögert. Ich stellte mich aufrecht hin und hielt mich an meinem Einkauf fest. Bryce und Dash kamen auf mich zu. Beide lächelten sie, hielten Händchen. Das perfekte Paar, so glücklich und so verliebt. Mit ihnen in der Nähe würden Isaiah und ich als genau das auffallen, was wir waren. Heuchler.

„Hi“, grüßte ich sie. „Wie geht’s?“

Bryce lächelte hoch zu Dash. „Großartig.“

Dash küsste sie auf die Stirn. „Wir haben Neuigkeiten, die wir in der Werkstatt verkünden wollen.“

Sie sahen zu glücklich aus, als dass es sich um schlechte Neuigkeiten handeln könnte. Aber ich traute der Sache nicht, denn jedwede Neuigkeit der letzten Wochen hatten mir nur Herzschmerz verursacht. Ich sollte definitiv in der Wohnung bleiben. „Ich muss das hier einräumen gehen. Ich, äh, komme dann runter.“ Oder ich verschließe die Tür und bleibe weg.

„Das hat Zeit.“ Bryce ließ von Dashs Hand ab und holte die letzten beiden Einkaufstüten und eine Packung Cola-Dosen heraus. „Ich helfe dir tragen. Du voran.“

„Oh, äh …“ Doppelmist.

Isaiah hatte auf der Couch geschlafen. Die Hochzeitsnacht hatte er im Motel verbracht, aber wir wollten Gerede vermeiden, also schlief er wieder in der Wohnung. Heute früh hatte er zwar seine Decke zusammengefaltet und auf das Kissen gelegt, aber beides befand sich noch auf der Couch. Bryce würde es sofort sehen und wissen, dass einer von uns auf dem Sofa geschlafen hatte. Ich hatte die Arme voll und konnte ihr die Sachen ja nicht aus Händen reißen. Ich wollte es gerade dennoch versuchen, als eine tiefe Stimme erklang.

„Ich mach das schon.“

Bryce drehte sich zu Isaiah um und übergab ihm die Sachen. „Okay, großartig. Dann bis gleich.“

Ich zwang mich zu einem verklemmten Lächeln und ging die Stufen hoch. Ich schloss auf und hörte Isaiahs Schritte hinter mir.

„Was ist los?“, fragte er und stellte die Milch in den Kühlschrank, während ich mich um die anderen verderblichen Dinge kümmerte.

„Sie haben Neuigkeiten zu berichten.“ Ich gab ihm einen Eierkarton. „Ich weiß nicht, worum es geht, aber ich bin froh, dass sie nicht hier hochgekommen ist.“

Nachdem wir alles verstaut hatten und bevor wir in die Werkstatt gingen, versteckte ich Isaiahs Bettzeug. Die braune Decke legte ich über die Rückenlehne, wo sie den beigen Cordstoff verdeckte. Das Kissen warf ich zu den anderen aufs Bett.

„Wir müssen es ihnen sagen.“ Isaiah stand an der Tür. „Die Jungs haben schon gefragt, was das mit uns wäre. Nicht oft, aber oft genug. Ich kann nicht weiter immer nur Grunzen, sonst glauben sie noch ich hätte einen Hirnschaden.“

Normalerweise hätte mich das zum Lachen gebracht. Aber die ständige Anspannung verscheuchte den Humor. „Heute?“

Er holte den Ehering aus der Hosentasche und steckt ihn an seinen Finger.

„Ich hole meinen.“ Ich ging ins Badezimmer, nahm den Ring aus dem Medizinschränkchen und schob ihn über meinen Finger. Das Metall fühlte sich kühl an, aber nicht so fremd wie noch vor zwei Tagen. Wenn wir es heute verkündeten, würde ich ihn nicht mehr ausziehen können. „Na gut.“ Ich ging zu ihm an die Tür. „Ich bin bereit.“

„Wie wird das wohl laufen?

„Nicht gut.“

„Ja. Denke ich auch.“ Er ließ den Kopf hängen. „Es tut mir leid.“

„Mir auch.“ Ich schenkte ihm ein trauriges Lächeln. „Wie wäre es, wenn wir aufhören uns ständig zu entschuldigen? Keiner von uns beiden hat an irgendetwas Schuld. Lass uns einfach zusammenhalten und … sein.“

Etwas von der Sorge in seinem Blick zog sich zurück. „Das kann ich.“

Wir würden es überleben. Wir würden koexistieren und die Zeit abwarten. Irgendwann würden sich die Tage sich nicht mehr so lang und schwer anfühlen, nicht wahr? „Wir müssen aussehen, als wären wir verheiratet“, sagte ich. „Wenn wir neben Bryce und Dash stehen, wird uns sofort jeder durchschauen, wenn wir immer einen Meter voneinander entfernt dastehen.“

Er bot mir seinen Ellbogen an. „Dann lass uns verkünden, dass du Mrs. Reynolds bist.“

Eine sonderbare Erregung fuhr mir bei diesem Namen durch die Adern. Handelte es sich um Stolz? Oder Aufregung? Angst? Vielleicht eine Mischung aus beidem. Ich hakte mich bei ihm unter und mein Herz machte einen Satz. Ein Kribbeln zog sich an meinem Unterarm entlang, überall dort, wo sich unsere bloße Haut berührte. Sein Arm war heiß, fast fiebrig, und diese Wärme kroch mir in die Knochen. Wir traten nach draußen und gingen so die Stufen hinab. Ich riskierte einen Blick auf sein Profil. Die Sonne fing sich in den goldenen Flecken in seinen Augen und diese Schönheit raubte mir den Atem. Er war wahrlich faszinierend, dieser Fremde. Und im Moment war seine Welt mit meiner verbunden. Aufregung kroch in mir hoch. Je mehr Zeit ich in Isaiahs Nähe verbrachte, desto öfter erwischte ich mich dabei, ihn anzustarren. Gestern war er nur mit seiner Jeans bekleidet aus dem Bad gekommen. Ich hatte Schlaf vorgetäuscht, aber einen Blick gewagt, während er barfüßig zum Schrank ging. Entlang seines Rückens hatte er so viele definierte Muskeln, dass mir das Wasser im Mund zusammenlief. Sogar die Kraft in seinen Unterarmen schien unglaublich. Als ich mich auf dem Weg nach unten daran festhielt, fühlten sich seine Muskeln genauso hart an, wie das Stahlgeländer. Das war gut. Denn ich musste mir etwas von seiner Kraft borgen, um das alles durchzustehen.

Wir fanden alle in der Werkstatt versammelt vor. Sie standen bei einer Reihe von Werkzeugwagen entlang der hinteren Wand. Ich ließ Isaiahs Arm los, um ihm durch das Labyrinth aus Autos und Werkzeugen zu folgen. Jede Bucht war heute mit einem Fahrzeug belegt. Die Werkstatt schien gut zu laufen.

„Was sind also die Neuigkeiten?“, fragte einer der Männer.

Ich war ziemlich sicher, dass er Emmett hieß. Er trug einen Overall im gleichen Blau, wie Isaiahs gestern. Emmett zog den Reißverschluss auf, zog die Ärmel herunter und zwei muskulöse, tätowierte Arme kamen zum Vorschein. Das weiße T-Shirt spannte extrem über seiner breiten Brust. Dann band er sich das schulterlange, dunkle Haar zusammen und warf einen Blick zu Leo. Leo war der Blonde. Glaubte ich. Wir waren einander nie richtig vorgestellt worden, aber Isaiah hatte mir von den beiden erzählt. Sie wussten aber eindeutig, wer ich war. Leo, genau wie Emmett, sah sehr gut aus und hatte ebenfalls farbige Tattoos. Er warf ein teuflisches Grinsen in meine Richtung, das man nur mit purem Sex und Sünde umschreiben konnte. Ich schob mich näher an Isaiah. Alle lächelten, nur wir beide nicht. Wenn ich es recht bedachte, hatte ich Isaiah noch nie lächeln sehen. Warum lächelte er nicht? Lag es an der Situation, in der wir uns befanden? Wenn er jetzt schon so verdammt gut aussah, wenn er ernst und verschlossen war, dann wäre er mit Sicherheit gottgleich, wenn er lächelte. Es würde mir nichts ausmachen es ein oder zweimal zu sehen, nur um es herauszufinden.

Dashs Lächeln versiegte, als sein Blick auf mich fiel. Das tat weh. Mein Halbbruder hasste meine Existenz. Ihm war schon klar, dass ich nicht wirklich etwas dafür konnte, wer meine Eltern waren, oder? Dass ich seinen Vater nicht gezwungen hatte, meine Mutter zu schwängern? Das taube Gefühl, das sich seit Wochen über meine Haut zog, dämpfte den Schmerz etwas. Das alles spielte überhaupt keine Rolle. Eines Tages würde ich diese Stadt und diese Familie wieder verlassen und nie mehr zurückblicken.

„Wo ist Presley?“, fragte Dash. „Sie muss dabei sein.“

„Komme schon.“

Presley rauschte aus der Verbindungstür zwischen Werkstatt und Büro, gefolgt von Draven.

Verdammt. Das war nicht mein Tag. Aber wenigstens waren alle hier, wenn wir unsere Verkündung machten, und hätten es hinter uns. Wir würden sozusagen das Pflaster schnell abreißen und dann konnte ich mich wieder verkriechen.

Draven stellte sich neben mich. Ich spürte seinen Blick, sah aber weiter auf die Werkzeuge, die an den Wänden hingen. Ich hatte meinen Vater diese Woche das erste Mal Leben gesehen. An dem Tag, an dem ich in Clifton Forge angekommen war. Meine Mutter war hier beerdigt worden. Ich hatte zu Hause in Colorado eine Trauerfeier abhalten lassen, aber ihr letzter Wille war, in Clifton Forge beerdigt zu werden. Ich hatte ihrem Wunsch entsprochen und alles in die Wege geleitet. Ich war hergeflogen, um ihr Grab zu besuchen. Stattdessen war ich entführt worden. Nachdem ich also diese Woche mit dem Auto von Colorado nach Montana gefahren war, war mein erster Halt der Friedhof gewesen. Noch bevor ich irgendwo anders hinfuhr, wollte ich ihre letzte Ruhestätte sehen. Angst und Einsamkeit hatten mir allerdings den Mut geraubt. Ich hatte auf dem Parkplatz des Friedhofs zwar angehalten, stieg aber nicht aus dem Auto aus. Also rief ich Bryce an. Meine einzige Freundin. Sie war ohne zu zögern sofort gekommen.

Allerdings war da, wo Bryce sich dieser Tage aufhielt, immer auch Dash. Er machte sich Sorgen. Aus gutem Grund, denn der Mann, der uns entführt hatte, war noch immer auf freiem Fuß. Dash begleitete Bryce zum Friedhof. Und Draven folgte ihnen.

Unser Kennenlernen war unangenehm gewesen. Gott sei Dank versuchte Draven nicht, mich zu umarmen oder mir die Hand zu geben. Er hob nur die Hand und stellte sich vor, mit den Worten: „Schätze ich bin dein Vater.“

Dann starrten wir uns gegenseitig an. Bis ich die Traurigkeit und das Bedauern in seinen Augen nicht länger ertrug und zurück zu meinem Auto ging. Seither hatte er nicht mehr versucht, mich zu kontaktieren.

Draven räusperte sich und kam näher. Ich schob mich noch dichter an Isaiah, bis mein Arm seinen berührte, und bat das Universum, mir Kraft zu schicken.

„Also? Was gibt es?“, fragte Presley Dash.

Er sah auf Bryce hinab und sein Lächeln war strahlend. Sein Gesichtsausdruck so voller Liebe, dass mir das Herz wehtat. Ich hatte noch nie gesehen, dass ein Mann seine Frau so ansah. „Wir haben uns heute verlobt.“

Bryce hob die Hand. Ich lächelte und war sofort überglücklich für meine Freundin. Sie heiratete die Liebe ihres Lebens. Nach unserem Nahtoterlebnis war ich froh, zu sehen, dass sie und Dash das Leben nicht mehr als selbstverständlich ansahen. Sie verdienten ihren großen glücklichen Tag. Und ich würde ihnen das nicht mit meinen Lügen ruinieren.

Isaiah betrachtete Dash und Bryce und schenkte mir keine Aufmerksamkeit. Ich stupste ihn mit dem Ellbogen an und formte ein Nein mit den Lippen, schüttelte den Kopf. Heute war nicht der Tag, an dem wir unsere Heirat verkünden sollten. Ich würde Bryce keine Sekunde ihrer Freude stehlen. Er runzelte die Stirn, also formte ich erneut ein Nein mit dem Mund. Verstehen huschte über sein Gesicht und er nickte, wobei er die linke Hand in die Hosentasche schob.

„Was ist?“, fragte Dash.

„Bitte?“ Ich sah zu ihm. „Nichts, ich bin einfach nur glücklich für euch. Gratuliere.“

„Danke.“ Bryce schmiegte sich an Dashs Seite.

„Und … wir kriegen ein Baby“, verkündete Dash und hob dabei förmlich ab.