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Robert Bosch (1861&1942) gehört zu den großen Gründerpersönlichkeiten der deutschen Industriegeschichte. Der vielseitige Techniker setzte früh auf die Zukunft des Autos. Die Erfindung der schnellen Magnetzündung war der Grundstein für den kometenhaften Aufstieg seiner Firma. Mit der frühen Einführung des Achtstundentags (1906) und einer Betriebsrente für alle Arbeitnehmer (1929) setzte er Maßstäbe. Unveröffentlichte Funde aus Familienarchiven werfen ein neues Licht auf sein Familienleben. Hans-Erhard Lessing beschreibt die Lebensgeschichte des Jagdfreunds und Musterlandwirts und die wichtigsten Stationen der Firmen- und Technikgeschichte. Boschs Manifest "Die Verhütung künftiger Krisen in der Weltwirtschaft" von 1932 enthält seine zentralen Grundsätze und Visionen für die Zukunft. Er bezeichnete es als seine bedeutungsvollste Publikation. Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schlug er eine Arbeitszeitverkürzung auf sechs Stunden täglich vor. Der Text wird von Harald Hagemann volkswirtschaftlich eingeordnet.
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Seitenzahl: 265
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Cover
Titelei
Vorwort
Motto (KeinKT)
Einleitung
Vom Brauereigasthof »Zur Krone« nach Ulm
Albeck 1861
Ulm an der Donau 1869
Auf Wanderschaft
Köln 1879
Stuttgart 1879
Hanau 1880
Ulm 1880 Garnison
Nürnberg 1882
Göppingen 1883
Polytechnikum und Woll-Ideologie
Der schnelle Gasmotor
Ein Sozialist im Lande der Freien
New York 1884
Sozialist Bosch
Amerika-Resümee
In Magdeburg schon nah am Gasmotor
London-Woolwich 1885
Magdeburg 1885
Firmengründung in Stuttgart 1886
Der Bosch-Magneto
Zündgeschichten vor Bosch
Schwierige Aufbaujahre 1887–1895
Durchbruch bei der Zündung
Der Auslandsvertrieb Simms-Bosch 1899
Eigene Fabrik in der Hoppenlaustraße, 1901
Der Hochspannungs-Magneto
Zündchronologie bis 1903
Eigenheim in Stuttgarts Hölderlinstraße
Gustav Klein
Die Villa Zundel/Zetkin in Sillenbuch und der Bruch mit der Familie Kautsky
Die Firma Bosch im Aufwind
Das neue »Metallwerk« in Feuerbach 1909
Die Bosch-Villa auf der Stuttgarter Gänsheide 1911
Der Streik in Feuerbach 1913
Erster Weltkrieg
Die Riesenbomber – Gotha/Staaken 1915
Die Deutsche Gesellschaft in Berlin 1914
Die Bosch A.G. 1917
Der Boschhof in Mooseurach 1919
Tod des Sohnes Robert Bosch jr. 1921
Magneto adieu – Diesel ahoi
Scheidung und zweite Ehe
Boschs Diesel-Einspritzpumpe
Boschs Manifest zur Weltrettung
Die Firma Bosch in der NS-Zeit
Boschs Gespräch am 22.9.1933 mit Hitler
Das fünfzigjährige Firmenjubiläum 1936
Letzter Wille und Tod
Robert Bosch: Die Verhütung künftiger Krisen in der Weltwirtschaft (1932)
Einleitung
Allgemeine Betrachtung
Ursachen der Weltkrisis
1. Krieg und seine Folgen
2. Vervollkommnung der Warenerzeugung
3. Nationalismus und Schutzzoll
4. Rationalisierung des Erzeugungsvorgangs von Waren
5. Kapitalismus oder Sozialismus
Maßnahmen zur Vermeidung von Weltkrisen
1. Verkürzung der Arbeitszeit
2. Nicht Lohnerhöhung, sondern Senkung der Warenpreise
3. Mittel hierzu. Warenvertrieb
4. Kartelle
5. Überwachung der Kartelle
6. Ende des Klassenkampfes
Harald Hagemann: Robert Boschs Manifest von 1932
Anhang
Literatur und Archivmaterialien, die in Kurzform im Text zitiert werden
Bibliographie
Publikationen Robert Boschs (ohne Zeitungen und Hauszeitschrift)
Biographien und Firmengeschichten
Firmenschriften (außer Produktinformation)
Lebenslauf Robert Bosch
Firmenchronik Bosch bis 1942
Abbildungsverzeichnis
Register
Die Familien Bosch-Zundel im Überblick
Persönlichkeiten aus dem Südwesten
Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:
https://shop.kohlhammer.de/persoenlichkeiten-sw
Die Autoren
Hans-Erhard Lessing, Studium der Physik an der Technischen Hochschule Stuttgart, Dissertation in Berlin. Laserforschung bei IBM Research Laboratories im kalifornischen San José und in Ulm. Dort Habilitation in Physikalischer Chemie, 1981 Professor auf Zeit, danach apl. Professor. 1985 Oberkonservator am Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim, 1990 Hauptkonservator am Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe. Zahlreiche Publikationen zur Technikgeschichte und zur Science-Center-Bewegung.
Harald Hagemann, Professor em. für Wirtschaftstheorie an der Universität Hohenheim in Stuttgart, Life Member of Clare Hall, University of Cambridge, Ehrenvorsitzender der Keynes-Gesellschaft und Honorary Past President der European Society for the History of Economic Thought. 1999/2000 war er Theodor Heuss Professor an der New School for Social Research in New York. Forschungsschwerpunkte: Wachstum, Strukturwandel, neue Technologien und Beschäftigung, Die deutschsprachige wirtschaftswissenschaftliche Emigration in der Zeit des Nationalsozialismus.
1. Auflage
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Umschlagabbildung: Robert Bosch, 1937, Gemälde von Karl Konrad Friedrich Bauer (1868–1942). Robert Bosch GmbH, Unternehmensarchiv1. Auflage 2024
Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:ISBN 978-3-17-042507-1
E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-042508-8epub:ISBN 978-3-17-042509-5
Die Firma Bosch ist in über 60 Ländern aktiv. Bis heute spielen Leitlinien und Überzeugungen ihres Gründers eine wichtige Rolle in der Firmenkommunikation. Mit der sehr frühen Einführung des Achtstundentags bei vollem Lohnausgleich und der Betriebsrente für alle Arbeitnehmer hat er Maßstäbe gesetzt.
Was für ein Mensch war Robert Bosch privat? Hans-Erhard Lessing beschreibt seine Lebensgeschichte, zugleich aber auch die wichtigsten Stationen der Firmen- und Technikgeschichte. Diese Biografie beruht auf der 2010 erschienenen zweiten Auflage der rororo monographie. Der ursprüngliche Text wurde verbessert und erweitert sowie durch zahlreiche neue Quellen und Bilder bereichert.
Außerdem wird Boschs Manifest Die Verhütung künftiger Krisen in der Weltwirtschaft vorgestellt, das er 1932 veröffentlicht hatte, um die verheerende Arbeitslosigkeit durch Arbeitszeitverkürzung auf sechs Stunden täglich zu bekämpfen. Zugleich rief er zu Freihandel und Völkerverständigung auf. Das Manifest, das bisher kaum gewürdigt wurde, obwohl Bosch meinte, dies sei seine bedeutungsvollste Arbeit, wird von Harald Hagemann kommentiert und volkswirtschaftlich eingeordnet.
Herr Prof. Dr. Georg Zundel und seine Frau Renate Zundel haben mir unveröffentlichte Tagebücher, Briefe und Fotografien zur Verfügung gestellt. Ebenso danke ich Herrn Dr. Christof Bosch und Frau Dr. Eva Madelung. Dem Bosch-Archiv danke ich für den umfassenden Einblick in Bestände und Bildmaterial. Auch allen anderen Archiven und Bildgebern sei herzlich gedankt.
Für die Realisierung dieses Neustarts danke ich Dr. Peter Kritzinger und der Lektorin Karin Burger sowie dem ganzen Team des Kohlhammer-Verlags.
Vallendar im Frühjahr 2024Hans-Erhard Lessing
Sei Mensch und ehre Menschenwürde!Servatius und Robert Boschs Devise
Amsterdam, Ende März 1921: Ein sechzigjähriger, drahtiger Passagier betritt in Begleitung eines Mitarbeiters das Schiff »Brabantia« des Königlich-Holländischen Lloyd, das nach Buenos Aires und Rio de Janeiro ausläuft. Er trägt einen grauen Vollbart, der Mittelfinger seiner linken Hand ist seit einem Jagdunfall zur Hälfte amputiert, was er geschickt zu verbergen weiß. Dieser Geschäftsmann heißt Robert Bosch, er ist Dr.-Ing. ehrenhalber, Aufsichtsratsvorsitzender und Mehrheitsaktionär seiner Firma Robert Bosch A.G. im württembergischen Stuttgart, die in allen Kulturstaaten der Erde Niederlassungen oder Verkaufshäuser besitzt. Jetzt will er seine weit entfernten Niederlassungen in Südamerika besuchen. Seit sieben Jahren steht er im »Jahrbuch der Millionäre in Württemberg«, damals mit 20 Millionen Mark Vermögen und vier Millionen Jahreseinkommen. Nur neun Männer sind im untergegangenen Königreich noch reicher, darunter König Wilhelm II. selbst und an der Spitze der Großwaldbesitzer Albert von Thurn und Taxis. Business as usual also auf dieser Reise – möchte man meinen.
Doch die Schiffsreise dürfte auch der Selbstbesinnung gedient haben. Boschs einziger Sohn Robert Eugen, 30 Jahre alt und als Nachfolger vorgesehen, war unheilbar an Multipler Sklerose erkrankt und starb noch während dieser Reise. Das Ehepaar Bosch entfremdete sich über diesem Drama. Anna Bosch, geborene Kayser, kurte mit dem kranken Sohn in Badeorten, ein halbes Jahr sogar in der algerischen Oase Biskra – wegen der trockenen Luft dort. Die beiden Töchter verließen früh das Haus, eine vor dem Ersten Weltkrieg erbaute Villa in Stuttgarter Hanglage mit vielen dienstbaren Geistern. Gretel, bald dreiunddreißig, hatte in Berlin und Tübingen Volkswirtschaft studiert und promoviert. Nun führte sie den Haushalt ihres Vaters. Die einunddreißigjährige Paula war mit dem sechzehn Jahre älteren Maler Friedrich Zundel, dem Noch-Ehemann der Spartakistin Klara Zetkin-Zundel, liiert und wohnte in dessen neu erbautem »Berghof« im Tübinger Stadtteil Lustnau.
Auch in der Firma gab es Tragödien. Boschs rechte Hand, der Junggeselle und Ingenieur Gustav Klein, der ihn seinerzeit aus der Umklammerung des ersten Kompagnons Frederick Simms befreit hatte, war vier Jahre zuvor bei einem Testflug mit einem Riesenbomber in Staaken bei Berlin abgestürzt und tödlich verunglückt. Boschs Schwager Eugen Kayser, Freund seit der gemeinsamen Militärzeit und später von Bosch zum Leiter des Feuerbacher Zweigwerks ernannt, hatte sich gegen Ende des Ersten Weltkriegs das Leben genommen, nachdem zwei Söhne gefallen waren und seine Frau gestorben war.
Verständlich der Wunsch, davon Abstand zu gewinnen, eine Auszeit zu nehmen! Auf dem Schiff beginnt Bosch, seine Erinnerungen aufzuschreiben. Anders als bei Technikern gewohnt, sind seine Biographen daher in der glücklichen Lage, auf Selbstzeugnisse zurückgreifen zu können. Seine Texte zeigen allerdings das typisch schwäbische Understatement, das nicht immer für bare Münze zu nehmen ist. Den früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth hat diese Haltung seiner Landsleute immer wieder zu dem Appell getrieben: »Leut, send net so zrickhaldend!« Bald durchschaut man den Algorithmus der Selbsteinschätzung bei Bosch: Erst tiefstapeln – dann dies vorsichtig revidieren. Dennoch lässt sich aus den Aufzeichnungen sein erstaunlicher Lebensweg rekonstruieren.
Selbst die Bosch-Biographie von Theodor Heuss, noch zu Lebzeiten des Porträtierten in Auftrag gegeben und erst nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen, nimmt den wortkargen Unternehmer manchmal zu sehr beim Wort. Das Buch war in Schwaben lange Zeit das Konfirmationsgeschenk schlechthin, auf dass der Konfirmand einmal so erfolgreich werde wie Bosch. Doch die spannende Technikgeschichte der Motorzündung interessierte den damaligen Kulturjournalisten Heuss fernab in Berlin eher kursorisch. Und so lernte der beschenkte Konfirmand vor allem, wie man nach einem Erfolg sein Geld für gute Zwecke spendet.
175 Kilometer südwestlich der alten Handelsstadt Nürnberg und zwölf Kilometer vor der Donaustadt Ulm liegt an der alten Handelsstraße zwischen beiden Städten am Rande des Städtchens Albeck das heute noch bewirtschaftete »Gasthaus zur Krone«. Die Lage des Braugasthofes war günstig, denn in Richtung Ulm war eine Anhöhe zu überwinden, weshalb die Fuhrleute ihre Pferde lieber hier ausspannten und in den Stall brachten, damit sie am nächsten Morgen ausgeruht und mit vorgespannten Pferden der »Krone« den Weg nach Ulm bewältigen konnten. Natürlich gehörte auch Landwirtschaft dazu mit 200 Morgen Acker und 50 Morgen Wald, 25 Stück Vieh und sechs bis acht Pferden, die auch zum Vorspannen gebraucht wurden. Außerdem wurde Bier gebraut und bis nach Ulm gefahren.
Abb. 1:Das »Gasthaus zur Krone«, Geburtshaus von Robert Bosch in Albeck, 1931
Im Gasthaus wurde Robert Bosch am 23. September 1861 geboren und auf die Vornamen August Robert evangelisch getauft. Er war das vorletzte Kind der Kronenwirtsleute, deren Ältester zu diesem Zeitpunkt bereits verheiratet war und mit eigenen Kindern im ererbten Gasthof der Mutter im Nachbarort Jungingen wohnte. Das Gasthaus war seit dem Hungerjahr 1816/17, der globalen Klimakatastrophe nach dem Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora, für seine soziale Einstellung bekannt. Damals gab es eine Mittagsmahlzeit für die hungernden Ärmsten (Fischer-Bosch 1961). Zur gleichen Zeit hatte in Mannheim der studierte Forstbeamte Karl Drais versucht, die von Futterknappheit bedrohten Pferde durch das Zweirad zu ersetzen, und damit früh den modernen Individualverkehr angestoßen, der Robert Bosch groß machen sollte (Lessing 2003).
Vater Servatius Bosch (1816–1880) war als Einzelkind und Halbwaise auf dem Bauernhof aufgewachsen. Robert Bosch erinnert sich: »In religiöser Hinsicht wurden wir sehr freisinnig erzogen. Wir wurden aber nicht in bestimmter Richtung beeinflusst, sondern man überließ es uns, uns eine Meinung zu bilden. Mein Vater war Freimaurer und überzeugter Demokrat. Als solcher war er ein Gegner Bismarcks und des Preußentums.« (Bosch 1921,3) Die absolute Rechtlichkeit des Vaters hatte diesem schon vor Jahren eine Dauerfehde mit dem Amtmann von Albeck eingebracht. Als er erfuhr, dass in einem anderen Wirtshaus einzig ein armer Besenbinder wegen Überschreitung der Polizeistunde eingesperrt worden war, ging er zur Frau des Büttels, verlangte die Schlüssel zum Gefängnis und befreite den Besenbinder. Dafür wurde er zu acht Wochen im württembergischen Gefängnis Hohenasperg verurteilt. Diese Niederlage wird ihn später in seinem Entschluss bestärkt haben, seinen Besitz zu verkaufen und die anders nicht aufkündbare Dorfgemeinschaft mit dem auf Lebenszeit gewählten Schultheißen zu verlassen.
Abb. 2:Der Vater: Servatius Bosch und die Mutter, Margarethe Bosch, undatiert
Die Mutter, Marie Margarethe, geborene Dölle (1818–1898), war als Einzelkind mit 14 Jahren vaterlos geworden, im Gasthaus »Zum Adler« im Nachbarort Jungingen aufgewachsen und früh auf sich allein gestellt. Mit neun Kindern und drei Kindstoden hatte sie zwölf Geburten zu überstehen. »Wir Kinder hingen an den Eltern, die uns Verständnis entgegenbrachten, obwohl in unserer Familie Zärtlichkeit nie zur Schau getragen wurde. Vater und Mutter waren auch in der Öffentlichkeit angesehen. Die Mutter war im Geschäft [...] außerordentlich tüchtig und tätig. [...] In meinem elterlichen Hause konnte man eine ganze und große Bauernhochzeit von Zinn speisen lassen. [...] Meine Mutter stand zu jeder Zeit in der Nacht auf, um den Fuhrleuten zu kochen, wenn sie spät noch kamen.« (Bosch 1921, 2) – oder um dem hustenden Robert mitten in der Nacht Malzbonbons zu machen.
Hier zeigt sich der Ursprung des Geschäftssinns von Robert Bosch. Diese alltäglichen Dienstleistungen als Geschäftsvorgänge, dieses »Ich gebe, damit du gibst« bekommen nur Kaufmannskinder durch ständige Anschauung im Elternhaus eingeprägt und haben darin einen entscheidenden Vorteil gegenüber z. B. Beamtenkindern oder reinen Bauernkindern. In der Wirtsstube oder beim Ausfahren der Bierfässer mit dem Vater dürfte Bosch den Tausch von Ware gegen Geld täglich miterlebt haben. Auf der anderen Seite ist angesichts der oft beängstigenden Arbeitsbelastung – Fuhrleute auch nachts bekochen, Bauernhochzeiten ausrichten, Bier brauen und ausfahren, dazu noch die Landwirtschaft betreiben – die spätere Entscheidung der Wirtsleute gegen die weitere Plackerei und für den Verkauf des Anwesens verständlich.
Abb. 3:Familie Bosch bei Roberts Einschulung
Die Stellung als Nachkömmling in der Familie prädestiniert nicht gerade zur Entwicklung von Führungsqualitäten. Allzu oft steht man am Ende der Befehlskette von den Eltern über die Geschwister. Es gibt niemanden mehr, an den man Befehle weitergeben kann. Im Berufsleben wird man Schwierigkeiten haben, sich abzugrenzen und zu delegieren. Insofern war es ein Glücksfall, dass Robert mit der Geburt von Maria, dem neunten und letzten Kind, vier Jahre jünger, aus dieser Rolle befreit wurde. Nun gab es jemanden, den man anleiten konnte und damit die Last der elterlichen und der noch weitaus unsanfteren geschwisterlichen Zwänge relativieren konnte: Maria war – so gesehen – Roberts erster Lehrling, und als die Zeit reif war, fand der Jungunternehmer doch noch den Marschallstab im Tornister, wie die Napoleon-Metapher gemeinhin lautet.
Als Spätgeborener war Robert nach heutigen Erkenntnissen der Familiendynamik zum Rebellen in der Familie und zum Erneuerer in der Gesellschaft prädestiniert. Beispiele aus der Wissenschaft sind Charles Darwin oder Kopernikus. Erstgeborene oder ältere Geschwister neigen dazu, sich mit den Eltern zu verbrüdern, indem sie sich beispielsweise als Ersatzeltern für die Jüngeren anbieten (Sulloway 1999). So könnte es auch in der »Krone« gewesen sein, als die älteren Brüder Karl und Albert die Ulmer Realschule besuchten und als Musterschüler glänzten. Aber es gab noch genügend weitere heimliche Erzieher: die Großmutter und die älteren Schwestern. Eine Begebenheit, an die sich Bosch bis ins hohe Alter erinnerte, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Situation aller Nachkömmlinge. Robert war beim Spielen in den Brunnentrog im Hof gefallen und behauptete nach seiner Befreiung, er sei hineingestoßen worden. Es scheint, als hätten die Eltern und die älteren Geschwister ihre rhetorische Überlegenheit hemmungslos eingesetzt, um ihn der Lüge zu überführen. Zur Strafe musste er den ganzen Tag im Bett bleiben (Heuss 1946). Ohnehin ist es die Grunderfahrung jedes Nachkömmlings, dass Eltern und ältere Geschwister sich über seinen Kopf hinweg blitzschnell mit Blicken, Gesten und Codewörtern verständigen und nicht die Geduld haben, dies dem Jüngsten noch einmal ausführlich zu erklären – schlechte Voraussetzungen für seine spätere Verhandlungskunst. Er spürt zwar vage, dass etwas nicht zu seinen Gunsten läuft, kann sich aber noch nicht richtig wehren.
Die Folge ist ein enormes Verlangen nach verlässlichen Spielregeln, die nicht ständig mutwillig zum eigenen Nachteil geändert werden, und nach Bezugspersonen, denen man vertrauen kann. Robert Bosch wendete dies ins Positive und formulierte fünfzig Jahre später sein Geschäftsprinzip in der Werkszeitung so: »Lieber Geld verlieren als Vertrauen. Die Unantastbarkeit meiner Versprechungen, der Glaube an den Wert meiner Ware und an mein Wort standen mir stets höher als ein vorübergehender Gewinn«. Und was Boschs spätere Verhandlungskunst betrifft, so gibt es die Bemerkung, er sei nicht in der Lage gewesen, zwei Tage hintereinander Verhandlungen zu führen (Pierenkemper 1987).
Als Mitglied des Eisenbahnkomitees für die geplante Strecke Ulm–Aalen mit Anschluss nach Nürnberg erfuhr Servatius Bosch frühzeitig, dass der Ort Albeck nicht an der neuen Bahnstrecke liegen würde. Die Folgen für die Gastwirtschaft waren absehbar – keine Fuhrleute mehr – und für die reine Landwirtschaft gab es keinen Nachfolger, nachdem der zweitälteste Sohn Jakob 1864 an Lungenentzündung gestorben war. Alle Töchter wollten Städter heiraten, die jüngeren Söhne andere Berufe ergreifen. So entschlossen sich die Eltern, Hof und Gastwirtschaft zu verkaufen und 1869 als Rentiers in die nahe gelegene Stadt Ulm zu ziehen. Robert wurde noch ein Jahr in die Zwergschule in Albeck geschickt, dann sollte er gleich die Realschule in Ulm besuchen. Nach dem Verkauf des Anwesens und der Versteigerung des Inventars standen 250.000 bis 300.000 Goldmark zur Verfügung, von deren Zinsen die bald kleinere Familie in Ulms Wengengasse 31 gut leben konnte. Im Jahr darauf schon zog man in die Olgastraße, dann 1972 in die Lautengasse 17 und 1876 in die Hafengasse, wohl weil die älteren Kinder der Reihe nach den Haushalt verließen.
Seit Schienenstränge die ehemalige Reichsstadt mit Stuttgart und später mit Augsburg und München verbanden, ging es mit Ulm wieder aufwärts. Die nach allen Regeln der Kunst ausgebaute Bundesfestung mit trickreich geschützten Eisenbahndurchlässen war eine der truppenstärksten deutschen Garnisonsstädte, wurde zum Glück aber nie belagert. Die Stadt besaß seit 1857 eine Gasanstalt und Gasleitungen, welche die Straßenbeleuchtung versorgten. In den privaten Haushalten gab es aber noch lange kein Gaslicht. Diese »Zweite Stadt« des Königreichs Württemberg nach Stuttgart hat die technische Zukunft Robert Boschs geprägt. Servatius Bosch züchtete Bienen und ging weiterhin auf die Jagd bei Albeck. Er widmete sich der Politik in der Ulmer Volkspartei und legte eine ansehnliche Klassiker-Bibliothek an.
Die Aufnahmeprüfung in die Ulmer Realschule nach nur einem Jahr Dorfschule in Albeck bestand der junge Bosch 1869 nicht mit Glanz, wie die Eltern wohl etwas naiv in Analogie zu den älteren Brüdern und Musterschülern erwartet hatten. In Mathematik fehlten die Schuljahre. Dennoch, die deutschen Industriepioniere jener Zeit standen auf den Schultern ihrer Lehrer, wie man in Abwandlung des berühmten Newton’schen Zitats feststellen muss, und bei Bosch war es nicht anders. Die Abzweigung der Ulmer Realschule aus dem Gymnasium war das Werk des Mathematik- und Physiklehrers Dr. Christian Nagel gewesen, der mit Recht als der »Realien-Löwe« von Württemberg zu gelten hat (er wurde geadelt und Ehrenbürger der Stadt). Gegen die Arroganz der humanistischen Kollegen mit ihrem Elitedünkel, weil sie Latein als Eintrittskarte für Pfarrer, Juristen und Ärzte unterrichteten, hatte er ein industrietaugliches, zukunftsweisendes Schulmodell durchgesetzt, das nicht nur im Königreich Württemberg, sondern im ganzen Deutschen Bund Nachahmung fand. Der Abschluss berechtigte zur Aufnahme in die Polytechnische Schule Stuttgart, die spätere Königliche Technische Hochschule und heutige Universität. Als Rektor der Realschule hatte er gleich noch das passende Lehrbuch »Industrielle Physik« geschrieben, aber vorzugsweise für solche Schüler, welche die höheren Klassen einer Realschule besuchten, ohne von dort in eine polytechnische Schule überzugehen. Dabei setzte er – auch hier Realist – keine Kenntnis der Trigonometrie voraus. Bosch erinnert sich, dass er als Fünfzehnjähriger den Satz des Pythagoras nicht beweisen konnte (im rechtwinkligen Dreieck sind die beiden Kathetenquadrate zusammen flächengleich zum Hypotenusenquadrat). Das war allerdings ein höherer Anspruch: den Satz nicht bloß anwenden, sondern auch beweisen zu können!
»Wir hatten eine ganze Anzahl alter und veralteter Lehrer. Ganz besonders schlimm lag dies bei dem Geometrielehrer. Dieser war ein alter Pedant, der mit den schlimmen Burschen, die wir zum Teil waren, nicht fertig wurde. [...] Dabei war ich nicht unbegabt, wenn ich auch leichter in den Sprachen und der Physik vorwärts kam. Letztere besonders war für mich von Bedeutung. Allerdings wurde sie rein experimentell betrieben von dem alten Rektor Nagel.« (Bosch 1921, 5)
Die experimentell betriebene Physik war für ihn also von besonderer Bedeutung! Dem Bosch-Biographen Heuss passte dies offenbar nicht so recht ins Konzept, der Bosch lieber nach dem eigenen Selbstbild stilisierte – also als liberalen Politiker. Man muss schon genau hinhören, um aus den stark zur Untertreibung tendierenden Selbstzeugnissen Boschs die wichtigen Aussagen herauszufinden.
Wie solche Physik aussah, kann man besser noch als aus Nagels Werk dem Lehrbüchlein des Wieners Josef Pisko für den Unterricht an Realschulen entnehmen, das Bosch gekannt haben dürfte, denn er nahm ein anderes Büchlein Piskos, betitelt »Licht und Farbe«, später mit auf die Wanderschaft. In eindringlicher Prosa und schnörkellosen Illustrationen werden da all die neuen Phänomene, besonders der unsichtbaren Elektrizität, beschrieben, so wie sie auch Rektor Nagel experimentell demonstriert haben dürfte – sachlich, einleuchtend, reproduzierbar und dennoch aufregend mit Lichtbogen, Blitz und Knall! Mathematik brauchte Bosch dazu keine, es reichten Versuch und Irrtum, und wenn dasselbe Experiment beim nächsten Mal wiederholt wurde, stellten sich auch zuverlässig – wie das Amen in der Kirche – dieselben Phänomene wieder ein, was man von den Reaktionen der launischen Erwachsenen draußen nicht behaupten konnte. Im Gegensatz zu anderen Fächern, Biologie vielleicht ausgenommen, wurde hier mit konkreten Dingen hantiert und für Schlussfolgerungen um Einsicht geworben. Und der Schulleiter persönlich machte das! Es ist sicher Nagel zu verdanken, dass Robert Bosch für die zweite, die naturwissenschaftlich-technische Kultur gewonnen wurde, wie übrigens im fernen Nürnberg auch Sigmund Schuckert, von dem noch die Rede sein wird, durch dessen Lehrer Johann Friedrich Bauer. Ansonsten wäre Bosch nach eigener Aussage wahrscheinlich Biologielehrer geworden, wenn ihn der Schulbetrieb nicht abgestoßen hätte.
Obendrein gab es nun nach dem gewonnenen Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 mit anschließender Gründung des Deutschen Reichs eine enorme Aufbruchstimmung. Die Gründerzeit brach an, ausgelöst durch die öffentlichen Bauvorhaben, die mit den happigen Reparationszahlungen des Kriegverlierers Frankreich finanziert wurden. Und so öffnete 1871 die »Schwäbische Industrie Ausstellung« in Ulm ihre Pforten, angestoßen vom Ulmer Gewerbeverein, der auch Firmen aus Bayern, Hohenzollern und Baden sowie die Gewerbeschulen eingeladen hatte. Es ist keine Frage, dass die Bosch-Familie diese Ausstellung besucht hat. Denn Servatius Bosch hatte sogar von Albeck aus 1867 die Pariser Weltausstellung besucht, wo sich die Gaskraftmaschinen Etienne Lenoirs mit Batteriezündung präsentiert hatten und wo auch Eugen Langens und Nicolaus August Ottos lärmiger atmosphärischer Motor mit Flammenzündung wegen seines geringen Gasdursts prämiert worden war. Erste elektrische Bogenlampen hatten die Ausstellung abends in ein geisterbleiches Licht gehüllt. Und auf den Pariser Boulevards waren die schmiedeeisernen Frontkurbel-Velozipede zu sehen gewesen – der zweite Boom des pferdelosen Individualverkehrs im Ansturm gegen den Kollektivverkehr der damaligen Dampfeisenbahn. Daran erinnerte sich später auch der Automobilpionier Karl Benz: »War das eine Sensation, als ich durch Mannheims Straßen pedalierte.« Mit 140.000 Besuchern wurde die Ausstellung in Ulm ein Riesenerfolg. Der elfjährige Robert dürfte besonders die zweite Abteilung inspiziert haben: Maschinen aller Art, Uhren, mathematische und physikalische Apparate.
Laut Ausstellungskatalog zeigte Stand No. 544 mathematische, physikalische und meteorologische Instrumente des Ulmer Mechanikus und Optikus Wilhelm Mayer. Und ob man dies noch einen Zufall nennen will? Dieser Mayer unterschied sich nur durch einen Druckfehler von jenem Maier, zu dem der junge Robert in fünf Jahren dann in die Lehre gehen sollte.
Bald änderte sich denn auch der in Boschs Zeugnissen notierte Berufswunsch von Kaufmann (ganz wie der große Bruder) unter dem Einfluss von Nagels Physikdarbietungen zu »Klein-Mechaniker« (dem heutigen Feinmechaniker). Ansonsten brillierte der Realschüler in der Turnstunde, wo er der Klassenkönig im Speerwerfen war, ebenso im Blasrohrschießen mit der Lehmkugel. Dem Vater hatte er eine Zimmerflinte abgetrotzt. Prompt beschädigte der laute Knall beim Abfeuern sein linkes Trommelfell. Ein Tinnitus bleibt – das linke Ohr singt. Aber auch das hatte später noch sein Gutes: In den USA konnte er sich durch eine ärztliche Bescheinigung seines Tinnitus von den militärischen Reserveübungen zu Hause befreien.
Der geliebte Lehrer Nagel ging 1875 in den Ruhestand, sein Nachfolger trieb Physik mittels Mathematik, und Bosch musste deshalb 1876 in der siebten Klasse das Handtuch werfen. An die Polytechnische Schule in Stuttgart war nicht mehr zu denken. Die Berufsentscheidung stand an. Bosch wiegelte in eigener Sache wieder einmal ab: »Als ich so nachgerade mich für einen Beruf entscheiden sollte, fragte mich mein Vater einmal, ob ich nicht Feinmechaniker werden wollte, und ich sagte ja.« Der Widerspruch, dass eigentlich erst der ungeplante Schulabgang eine Entscheidung erforderte, Bosch aber schon früher diesen Berufswunsch in den Zeugnissen angegeben hatte, war dem Biographen Heuss nicht aufgefallen. Bei ihm mutet diese Entscheidung für Feinmechanik eher wie eine Verlegenheitslösung an. Aber die Feinmechanik war doch genau dasjenige Berufsfeld, dem die Experimentiergeräte der Physik, aber auch die Telegraphen und somit die ganze kommende Elektrotechnik bis auf die Dynamomaschinen und Großmotoren entsprangen! Feinmechanik passte geradezu ideal zu Boschs Physik-Interesse.
Der einzige einschlägige Betrieb in Ulm war Wilhelm Maier, »Mechanicus & Opticus«, in der Pfauengasse 26. Hier war Robert Boschs erste Lehrstelle. Maier verkaufte nicht nur Brillen und Zwicker von Rodenstock nebst Physikinstrumenten, sondern bot auch die Einrichtung von batteriebetriebenen elektrischen Hotel-, Haus- und Sicherheitstelegraphen an. Solche Haustelegraphen waren nichts anderes als Klingelleitungen mit Druckknopf an dem einen und Klingel am anderen Ende, manchmal auch dasselbe in Gegenrichtung, sodass man sich mit Klingelzeichen rufen oder verständigen konnte. Bei den Hoteltelegraphen klappte zusätzlich noch im Empfang die Zimmernummer des Klingelnden herab. Bei Sicherheitstelegraphen löste zum Beispiel ein Stolperdraht die Klingel aus. Oder beim Öffnen der Ladentür läutete es hinter dem Verkaufsraum, und der Inhaber eilte nach vorn.
Nicht nur die Beobachtungsgabe, sondern auch die Fähigkeit, seine Beobachtungen zu verwerten, die Zusammenhänge zu erkennen und Schlüsse aus dem Beobachteten ziehen zu können, ist nötig, um Erfolg zu haben. Nebenbei gehört auch Phantasie her, um Gesehenes dort einreihen zu können, wo es hingehört.
Robert Bosch
Die am 1. Oktober 1876 begonnene Lehre war für den wissbegierigen Bosch eine Enttäuschung. Der Lehrherr benutzte die Lehrlinge hauptsächlich als billige Arbeitskräfte, war selten da und konnte ihnen nicht viel beibringen, weil er selbst nur wenig von der Elektrizität verstand. Denn bei neuartigen Aufträgen ließ er sich die Schaltung von einem Freund in Stuttgart aufzeichnen. Bosch dagegen konnte ein Problem durch eigenes Nachdenken lösen:
»Einmal hatten wir einen Telegraphen in einem Gemischtwarengeschäft eingerichtet. Mit diesem war eine Diebessicherung an einem Fenster eines abgelegenen Magazins verknüpft. Nach verhältnismäßig kurzer Zeit ging dieser Diebsalarm nicht mehr. Mein Lehrmeister vermutete einen Bruch der Leitung, etwa durch Durchfressen an feuchten Stellen, und wollte eine neue Leitung legen. Ich war keck genug zu sagen, man könne doch auch untersuchen, wie weit die Leitung noch gut sei. Mein Rat, mit Hilfe von zwei Stecknadeln, die an einem kurzen Stück Draht befestigt seien, die zwei [isolierten] Drähte anzustechen, fand überall Beifall, und in aller Bälde war festgestellt, daß ein Draht unter einem Krampen angerostet war. Wenn ich auch keinen besonderen Dank erhielt, es freute mich doch, daß ich geholfen hatte.« (Bosch 1921, 5)
Im Jahr 1879 hatte Bosch ausgelernt. Das Lehrzeugnis fällt knapp aus: »Inhaber dieses, Robert Bosch, hat vom 1. Oct. 1876 bis heute seine Lehrzeit bei mir bestanden und sich während dieser Zeit durch Fleiß & gutes Betragen meine Zufriedenheit erworben, was ich demselben gerne bezeuge und zu seinem fernern Fortkommen Glück wünsche.« Während der Lehrzeit hatte Bosch auch das Turnen im Verein begonnen, er wird ein begeisterter Turner bleiben. Zudem hatte er in dem Lehrling Leonhard Köpf, einer Vollwaise, den Freund gefunden, mit dem zusammen er fünf Jahre später die Reise nach Amerika wagen sollte.
Dort hatte das noch junge Deutsche Reich mit seinem Pavillon auf der Weltausstellung zu Philadelphia 1876 ein rechtes Debakel erlitten, wenn auch Richard Wagner den Einweihungsmarsch komponiert hatte. Vom deutschen Kommissar, Professor Franz Reuleaux, erschienen in der Tagespresse Briefe aus Philadelphia, und gleich im ersten schrieb er, die deutschen Produkte seien »billig und schlecht« (Reuleaux 1877). Dies empörte die Reichsdeutschen zu Hause, aber eigentlich hatte er recht. Ein anderer Deutscher, der Berliner Hermann Grothe, beschrieb den deutschen Beitrag so: »Abgesehen von der unverantwortlichen Lückenhaftigkeit der Vorführung ist auch für eine schöne Anordnung der vorhandenen Objekte nichts getan. Mit Ausnahme der Buchhändlerausstellung, der Ausstellung chemischer Industrie, der Kruppschen Kanonen, der Gasmaschinen, der Berg- und Hüttenprodukte präsentiert sich alles schlecht geordnet und schlecht arrangiert. Und alle diese Ausstellungen enthalten nichts Neues, ja sie enthalten meist Altes, Unschönes und längst Bekanntes in keineswegs vollendeter Ausführung. [...] Die Schamröte steigt jedem Deutschen auf, wenn er diese deutsche Stümperei an einem Ehrenplatz in der Ausstellung erblickt.« (Grothe 1877) Denn die Deutschen waren damals die billigen Ameisen der westlichen Welt. Produktpiraterie war an der Tagesordnung. Zum Beispiel regten sich die Briten darüber auf, dass ihre hochwertigen Stahlmesser aus Sheffield mit schlechterem Stahl in Solingen imitiert und mit Sheffielder Markenzeichen versehen billig auf den britischen Markt geworfen wurden. Prompt verfügte ein Jahr später ein englisches Handelsgesetz, dass alle Importe aus Deutschland mit der Brandmarke »Made in Germany« als Schund gekennzeichnet werden mussten. Vor dieser Erkenntnis wollen viele Wirtschaftshistoriker ihre heutigen Leser bewahren, indem sie Reuleaux als gütigen »Praeceptor Germaniae« hinstellen, der seinen Landsleuten aus eigenen Stücken die Leviten las. Dabei war doch alles viel schlimmer: Die amerikanische Zeitung »The Sun« war es gewesen, die ungeniert schrieb, die deutschen Produkte seien »ugly and cheap«, und Reuleaux war lediglich der Überbringer der schlechten Nachricht gewesen (Allmers 1937). Solch unhistorische Schonhaltung moderner Chronisten, als ob »Made in Germany« schon immer grandios gewesen sei, verwehrt die Erkenntnis, was wir Männern wie Robert Bosch an Lebensstandard zu verdanken haben.
Nach Abschluss der Lehre ging es damals ganz traditionell auf Wanderschaft. Angesichts der heutigen Sesshaftigkeit von Auszubildenden wird erst richtig klar, welch einen Segen die Einrichtung der Wanderschaft für das Handwerk einmal bedeutete. Selbst wenn man wie Robert Bosch in der Lehre auf dem falschen Fuß begonnen hatte, konnten die unschätzbaren Erfahrungen der Wanderschaft dies allemal kompensieren. Auf dieser 1879 begonnenen Wanderschaft wird Bosch erstaunlicherweise fast nur erste Adressen der damaligen Hochtechnik aufsuchen, sicherlich beraten von seinem älteren Bruder Karl.
»Ich wollte in die Fremde und fuhr mit einem Frühzug ab und kam am selben Tage noch nach Heidelberg. In Pforzheim und Karlsruhe hatte ich um Arbeit angefragt, aber keine gefunden. Wie ich später erfuhr, war es bei Mechanikern nicht Sitte, einfach vorzusprechen, sondern man schrieb an verschiedene Werkstätten um Stellung. Von Heidelberg fuhr ich andern Tags ohne weiteres nach Köln zu meinem Bruder Karl, der eine Handlung in Gas- und Wasserleitungssachen hatte. Dort arbeitete ich einige Zeit als Gürtler, weil ich auch in Köln und Bonn keine Stellung fand. Ich war daselbst einige Wochen.« (Bosch 1921, 6)
Abb. 4:Der ältere Bruder Karl Bosch mit Frau Paula geb. Liebst
Der achtzehn Jahre ältere Karl Bosch war in zweiter Ehe mit einer Hotelierstochter verheiratet und hatte damals vier Söhne, als ältesten den fünfjährigen Carl, der es zum Chemie-Nobelpreisträger und Vorstandsvorsitzenden der IG Farben bringen sollte. Vater Karl Bosch war Stadtrat, Vorsitzender des Kaufmännischen Vereins und Mitbegründer der Handelshochschule in Köln. Sein Kompagnon Gustav Haag, ebenfalls Kaufmann, war mit Karoline Bosch verheiratet, also der Schwager. Bei der Großhandlung Bosch & Haag für Installateure gab es auch eine Werkstätte für die Montage des Installationsmaterials. Hier brauchte man Gürtler. Dieses Handwerk gibt es bis heute – ursprünglich als Gelbgießer, also Messinggießer, zuständig für Kleinteile, Gürtelschnallen und eben Armaturen zum Verbinden von Rohren. Bosch sah zu seinem arrivierten Bruder auf, auch wenn ihm dessen gute Ratschläge manchmal zu viel wurden. Die Beschäftigung als Gürtler war denn auch nur kurz, eben eine brüderliche Überbrückungshilfe für den Stellungssuchenden.
»Von Köln aus kam ich zunächst, den Winter über, zu C. & E. Fein in Stuttgart, dann im Frühjahr nach Hanau am Main in eine Kettenfabrik, d. h. in eine Fabrik, die sogenannte Fuchsschwanzketten machte aus Gold, Silber und Tombak.« (Bosch 1921, 6)
Die wichtigen Punkte in Boschs Erinnerungen erkennt man daran, dass sie besonders kurz behandelt werden. War er doch bei der erstrangigen Elektrotechnik-Firma des Pioniers Emil Fein in der Residenzstadt des Königreichs Württemberg angekommen, der nach der von Werner von Siemens zweitältesten solchen Firma des Deutschen Reichs! Selbst Thomas Alva Edison