Robert Habeck - Susanne Gaschke - E-Book

Robert Habeck E-Book

Susanne Gaschke

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Beschreibung

Robert Habeck ist ein außergewöhnlicher Politiker. Erst hatte er Erfolg als Schriftsteller, dann machte er eine Blitzkarriere bei den Grünen. Viele Menschen finden bei ihm, was sie sonst in der Politik vermissen: Echtheit, Ehrlichkeit, Spontaneität.

Seit Robert Habeck und Annalena Baerbock ihre Partei führen, sind die Grünen im Dauerhoch, doch bei der ersten Kanzlerkandidatur der Grünen musste Habeck zurückstecken. Obwohl er lange Zeit als Favorit galt, steht nun Annalena Baerbock an der Spitze – eine persönliche Niederlage und doch eine Entscheidung, die er mitträgt. Auch darin zeigt sich der andere Politiker, der seiner Mitkandidatin ohne offenen Machtkampf den Vortritt lässt.

Für diese Biografie hat die Welt-Journalistin Susanne Gaschke mit Weggefährten, Freunden und politischen Gegnern gesprochen: Was macht Robert Habeck aus? Wie wurde er zu dem Politiker, der er heute ist? Was sehen die Menschen in ihm? Wo sind seine Grenzen? Und wohin kann sein Weg ihn noch führen?

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ÜBERDIEAUTORIN:

Susanne Gaschke, geboren 1967, hat nach dem Studium und einem Volontariat bei den Kieler Nachrichten 15 Jahre lang im Politikressort der ZEIT gearbeitet. Von Dezember 2012 bis Oktober 2013 war sie Kieler Oberbürgermeisterin. Heute lebt sie in Berlin und schreibt als Autorin für Welt und Welt am Sonntag, für die Neue Zürcher Zeitung und den Deutschlandfunk. Sie hat bereits mehrere erfolgreiche Sachbücher veröffentlicht.

ÜBERDIESESBUCH:

Robert Habeck ist ein außergewöhnlicher Politiker. Er hatte zunächst Erfolg als Schriftsteller, dann machte er eine Blitzkarriere bei den Grünen. Viele Menschen finden bei ihm, was sie sonst in der Politik vermissen: Echtheit, Ehrlichkeit, Spontaneität. Ein Image, das Habeck bewusst pflegt. Susanne Gaschke beleuchtet seinen Werdegang: Wie wurde er zu dem Politiker, der er heute ist? Was sehen die Menschen in ihm? Wohin kann sein Weg ihn noch führen – und wo sind seine Grenzen?

Susanne Gaschke

Robert

Habeck

Eine politische Biografie

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Originalausgabe 2021

Copyright © 2021 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Kerstin Lücker

Bildredaktion: Tanja Zielezniak

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik Design

Umschlagfoto: Hermann Bredehorst/Polaris/laif

Umschlagzitat: »Der Tag war ein bittersüßer«,

DIEZEIT Nr. 17, 22. April 2021

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-26684-4V001

www.heyne.de

»Es ist nur die Frage«, sagte Alice, »ob Sie Wörter einfach so Unterschiedliches bedeuten lassen können.«

»Es ist nur die Frage«, sagte Humpty Dumpty, »wer hier bestimmt.«

Lewis Carroll:

Alice im Spiegelland

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Kapitel: Der junge Mann

2. Kapitel: Die coolste Ehefrau von allen

3. Kapitel: Eine grüne Karriere

4. Kapitel:Erster Anlauf zur Spitzenkandidatur

5. Kapitel: Regierungserfahrung in Schleswig-Holstein

6. Kapitel: Antipolitiker on Tour

7. Kapitel: »Sprache ist das eigentliche Handeln«

8. Kapitel: Hype und Hybris: Der Medienstar

9. Kapitel: Freund und Feind: Die Methode Habeck

10. Kapitel: Patzer und Peinlichkeiten

11. Kapitel: Grüne Politik im disruptiven Mainstream

Schlusskapitel:Bittersüßer Stich ins Herz

Zeitleiste

Dank

Literaturhinweise

Bildnachweis

Bildteil

Vorwort

Robert Habeck und ich sind nicht weit entfernt voneinander aufgewachsen, er auf dem Ost-, ich auf dem Westufer der Kieler Förde. Habecks Eltern betrieben die Rathaus-Apotheke in der kleinen und wohlhabenden Vorortgemeinde Heikendorf, meine Eltern waren Lehrer an zwei Kieler Gymnasien. Ich machte 1986 an der Kieler Gelehrtenschule das Abitur, der drei Jahre jüngere Habeck legte es 1989 an der Heinrich-Heine-Schule ab. Mit 16 Jahren wurde Habeck Schülersprecher – ich erst mit 18 Jahren. Er spielte Hauptrollen in den Inszenierungen der Theater-AG. Ich spielte Nebenrollen in den Produktionen meiner Schule. 1987 trat ich, kurz nach meinem Abitur, in Kiel in die Sozialdemokratische Partei ein. 2002 wurde Robert Habeck im Alter von 32 Jahren Mitglied der Grünen in Schleswig-Flensburg. Er ist verheiratet und hat vier Söhne. Ich bin verheiratet und habe eine Tochter. Wir haben beide über ein literaturwissenschaftliches Thema promoviert. Habeck arbeitete zehn Jahre lang als Schriftsteller und Übersetzer, ich arbeitete 15 Jahre lang als politische Journalistin für die ZEIT in Hamburg. Habeck legte nach seinem späten Eintritt innerhalb der grünen Partei eine beeindruckende Karriere hin: 2004 wurde er Landesvorsitzender, 2009 Oppositionsführer im Kieler Landtag, 2012 Umwelt- und Landwirtschaftsminister im Kabinett Torsten Albig (SPD). Im selben Jahr wurde ich zur Kieler Oberbürgermeisterin gewählt – als direkte Nachfolgerin des neuen Ministerpräsidenten. Ein knappes Jahr lang begegnete ich Habeck in seiner Funktion als Minister und stellvertretender Ministerpräsident auch bei offiziellen Terminen in Kiel. Doch während mein politisches Projekt schon 2013 relativ abrupt und unschön endete, startete Habeck erst richtig durch. Zwar unterlag er noch ganz knapp, als die Grünen 2017 neue Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl aufstellten – das wurden Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt –, aber 2018 übernahmen er und die Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock dann die Führung ihrer Partei. Seither war Robert Habeck schon mehrfach der zweitbeliebteste oder sogar der beliebteste Politiker Deutschlands, noch vor der lange unverwüstlichen Kanzlerin Angela Merkel. Die Grünen erzielten 2019 in einzelnen Umfragen Ergebnisse von bis zu 27 Prozent und lagen damit sogar zeitweise vor der Union (25 Prozent). Teile der Öffentlichkeit und Teile der Medien hielten es plötzlich für möglich, dass Robert Habeck der erste grüne Bundeskanzler werden könnte. Baerbock spielte damals eher eine Nebenrolle. Im Frühjahr 2020, unter dem Eindruck der Coronakrise, schwächte sich der Höhenflug der Grünen ein wenig ab: Die Partei, die im Bund keine exekutive Rolle auszufüllen hatte, tat sich schwer damit, im Ausnahmezustand den richtigen Ton zu treffen. Das galt auch für Robert Habeck. Und damit begannen die Gewichte sich zugunsten von Annalena Baerbock zu verschieben. Da zudem die Sozialdemokraten mit dem 62-jährigen Olaf Scholz zur Bundestagswahl antraten und die CDU/CSU sich, nach einem unschönen Machtkampf, gegen den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und für den 60-jährigen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten und CDU-Vorsitzenden Armin Laschet als Kanzlerkandidaten entschied, entstand zumindest medial ein gewisser Druck auf die Grünen, gleichsam für alle anderen Parteien das Feld der Spitzenkandidaten zu quotieren.

Seit dem 19. April 2021 wissen wir nun: Nicht Habeck, sondern Annalena Baerbock führt die Grünen als erste Kanzlerkandidatin der Partei in den Wahlkampf. Habeck und Baerbock, so will es die sorgfältig gepflegte grüne Legende, haben diese Entscheidung gemeinsam getroffen. Aber Robert Habeck wartete kaum zwei Stunden, bis er der ZEIT in einem Interview anvertraute, Baerbocks Nominierung sei für ihn »bittersüß« – schließlich sei er 2018 als Vorsitzender nach Berlin gegangen, um seine Partei überhaupt erst in die Lage zu versetzen, den Kampf um die Kanzlerschaft zu führen. Nichts habe er mehr gewollt, als dieser Republik als Kanzler zu dienen, sagte Habeck. Insofern sei der Tag der Entscheidung der schmerzhafteste seiner politischen Laufbahn gewesen.

Ich, als Autorin, die ein Buch über Robert Habeck schrieb, war natürlich ebenfalls enttäuscht und verblüfft. Enttäuscht, erstens und ganz banal, weil ein Buch über den ersten grünen Kanzlerkandidaten vermutlich mehr Menschen interessiert hätte als eines über den Mann, der eben dies nicht geworden ist. Enttäuscht, zweitens, weil ich mich mit Robert Habeck ja überhaupt nur beschäftigt habe, da ich der Überzeugung war, dass er tatsächlich das Zeug zu einem ganz neuen Politikstil gehabt hätte. Im Gegensatz zum Schriftsteller Habeck mit Lebens-, Berufs- und Regierungserfahrung bleibt Baerbock für mich ein recht konventionelles Parteigewächs, die die Stationen Studium, Abgeordnetenmitarbeit, Landesvorsitz, Bundestagsmandat, Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur ebenso brav absolviert hat wie ihre politischen Mitbewerber. Bei ihren akademischen Meriten hat sie zudem ein wenig hochgestapelt, denn weder ihr politikwissenschaftliches Studium in Deutschland noch ihre Promotion hat sie abgeschlossen.

Verblüfft hat mich, dass Robert Habeck, der sich von Jugend an extrem gut gegen Konkurrenten durchsetzen konnte, ausgerechnet an Annalena Baerbock gescheitert ist. Nicht unwahrscheinlich, dass er sie schlicht unterschätzt hat. Ich bin mir unsicher, ob nicht Habeck am Ende seiner Partei das bessere Ergebnis gebracht haben würde. Die Verliebtheit der Medien, die im Frühjahr 2021 eindeutig von ihm auf sie übergegangen ist, ist ein flüchtiger Zustand.

Meinungsumfragen, die die Grünen 2021 wieder stabil auf Platz eins vor der implodierenden Nach-Merkel-Union sahen, schienen zunächst die Entscheidung für Baerbock zu rechtfertigen. In Talkshows und Interviews überschlugen sich Journalistinnen vor Begeisterung.

Und doch habe ich – vor dem schrecklichen Coronajahr, in dem ja auch Baerbock nicht öffentlich auftreten konnte – wieder und wieder erlebt, wie Robert Habeck Säle voller Menschen begeisterte, die nicht der politisch-medialen Klasse, nicht der Berliner Blase angehörten. Im Spiegel war einmal zu lesen, Baerbocks Reden seien Rockkonzerte – ich kann mich allerdings an keine einzige Rede erinnern, die ich so empfunden hätte. Ihr auffälligstes rhetorisches Mittel ist, dass sie zu rufen beginnt, wenn sie Emphase signalisieren will. Darin ähnelt sie ein wenig der früheren SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles.

Habecks Reden sind, vielleicht schon wegen der Länge seiner Sätze, auch nicht unbedingt Rockkonzerte, sondern eher Singer/Songwriter-Auftritte – aber er hat Groupies und Fans wie ein Rockstar. Oder hatte sie, als er noch von Veranstaltung zu Veranstaltung und von Lesung zu Lesung fuhr. Da wirkte er authentisch und ganz bei sich – und löste beim Publikum Begeisterung aus, eben weil er anders sprach, als man es von der politischen Bühne gewohnt ist. Habeck profilierte sich durchaus auch auf Kosten des allgemeinen Politikbetriebs und der Grünen insbesondere – keine ganz ungefährliche Methode.

Ich möchte in diesem Buch versuchen, die Frage zu beantworten, ob Habeck sich durch seine Selbstdarstellung als »Anti-Politiker« bei Politkollegen und Journalisten ein Stück weit selbst sabotiert hat. Während sein normales Publikum sich zugleich gerade in den letzten Monaten vor der Kandidaten-Entscheidung gefragt haben könnte, ob er nicht doch langsam selbst zum Establishment-Politiker werde. Jedenfalls klang seine staatstragende, kanzlerinnentreue Rhetorik in der Coronakrise nicht mehr nach dem unangepassten, freiheitsliebenden Robert Habeck, der in so vielen Leuten die Hoffnung nach einer anderen Politik wecken konnte – eine Hoffnung, die heute überall in Deutschland mit Händen zu greifen ist und die meist in der Frage mündet, was um Himmels willen man denn nur wählen solle. Bis zum Coronajahr hätte jedenfalls ich geantwortet: Robert Habeck geht.

Natürlich interessieren mich unsere biografischen Ähnlichkeiten; ich wollte, ehrlich gesagt, auch wissen, warum er in der politischen Sphäre so erfolgreich war und ich eher nicht.

Eine politische Ausnahmeerscheinung ist er auf jeden Fall. Sein Markenzeichen ist seit seiner Schulzeit die Begabung, zwischen scheinbar unvereinbaren Interessen zu vermitteln. Er ist ein Künstler und Verteidiger des Kompromisses. Habeck ist außerdem ein Politiker mit Sexappeal, auf den gerade Männer, die sich ihrer eigenen Attraktivität bewusst sind, manchmal eigenartig empfindlich reagieren. Er selbst hat öffentlich darüber geklagt, dass er in der Konkurrenz mit Baerbock über Äußerlichkeiten beschrieben worden sei und nicht über seine Leistungsbilanz und Erfahrung. Bei Frauen, sagte Habeck der ZEIT, würde man in einem solchen Fall von »sexistischen Zuschreibungen« sprechen.

Zu Habecks Charme gehören die unpräzise Formulierung und die jederzeitige Bereitschaft, Fehler einzugestehen – wer tut das schon in der Politik? Gleichzeitig sind zu viele Fehler und Ungenauigkeiten in politischen Aussagen natürlich auch ein Problem. Wie viel Substanz hat Robert Habeck? Ist er bloß ein liebenswerter Blender oder hätte er die Kraft und die Disziplin gehabt, um unser Land als Kanzler zu führen?

Von keinem anderen deutschen Politiker gibt es so viele Selbstzeugnisse in Sachbuch- und Romanform wie von ihm. Wäre er der grüne Kandidat geworden, hätten Journalisten wie Öffentlichkeit sich mit wachsender Begeisterung auf seine Werke gestürzt, um herauszufinden, wer dieser Typ (wie er selbst sagen würde) eigentlich ist. Seine zum Teil vergriffenen Bücher sind auch antiquarisch kaum noch, oder nur zu Mondpreisen, zu bekommen. Mir schrieb er einmal, nachdem ich in einem Artikel besonders aus seinen Jugendbüchern zitiert hatte, er könne sich ja gar nicht mehr so genau erinnern, was Andrea Paluch, mit der er verheiratet ist und beim Schreiben meist eng kooperiert hat, und er so alles zu Papier gebracht hätten. Aber es steht da, und obwohl man ja niemals den Fehler machen darf, Romanautoren und ihre Hauptfiguren in eins zu setzen, so erfährt man in den Büchern doch viel zu interessanten Themen wie Freiheit oder Sex.

Was ich hier versuche und was relevant bleibt, wenn man sich fragt, ob eine andere Politik möglich ist, gleicht einer Art Puzzlespiel: Ich möchte ein Bild zusammensetzen aus dem, was Wegbegleiter über Robert Habeck erzählen; aus meinen eigenen Erinnerungen an sein politisches Wirken; aus dem, was sich aus seinen und Paluchs Büchern herauslesen lässt; aus journalistischer Beobachtung und dem Bild, das Medien von ihm zeichnen, im Aufwind wie in der Nebenrolle. Meine Gespräche mit Freunden und Gegnern füllen sechs dicke Notizbücher – vieles muss allerdings nach dem Willen meiner Interviewpartner Hintergrundinformation bleiben. Viele sind von ihm begeistert, schätzen ihn als sachlich-engagierten Politiker und attestieren ihm vor allem Ehrlichkeit: Er traue sich, den Leuten zu sagen, wie die Dinge wirklich stünden. Einige wollen »dem Robert« nicht schaden, obwohl sie den einen oder anderen Einwand gegen ihn haben – aber ihre Begeisterung überwiegt. Einzelne wollen sich auch nicht gern mit ihm anlegen.

Robert Habeck hat es abgelehnt, dieses Buch zu autorisieren. Ich weiß nicht ganz genau, was die Gründe dafür sind, denn zunächst schien er das in Erwägung zu ziehen. Und wahrscheinlich hätte ich noch ein bisschen netter über ihn geschrieben, wenn er am Ende mit dem Text irgendwie hätte einverstanden sein müssen. So, wie es jetzt ist, bin ich freier.

Es gibt bei den Grünen wohl wirklich eine große Angst vor dem, was sie Personenkult nennen. Niemand soll so weit aus der Partei herausragen, wie Habeck es unzweifelhaft – und mehr als Baerbock – tut. Deshalb musste er alles vermeiden, was seine Co-Vorsitzende in den Schatten hätte stellen können, und durfte auch nicht eitel wirken, indem er höchstselbst an Büchern mitwirkte, die über ihn geschrieben wurden. Tatsächlich werden aber Bücher über ihn geschrieben, ob er will oder nicht – ich weiß neben meinem noch von mindestens zwei anderen –, und es gibt sogar einen anderthalbstündigen, äußerst sehenswerten Dokumentarfilm über ihn, der »Following Habeck« heißt. Dessen Autor und Regisseur Malte Blockhaus zeichnet eines der nahesten und hellsichtigsten Habeck-Porträts, die ich kenne. Nicht immer ist es schmeichelhaft. Aber das wird auch dieses Buch nicht sein, denn nur nett, kumpelig und engagiert ist der sorgsam verstrubbelte Grünen-Vorsitzende und Beinahe-Kanzlerkandidat eben auch nicht. Um so erfolgreich zu werden, wie er es ist, reicht es nicht, immer nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Es gibt auch einen ehrgeizigen Habeck, der ein großes Bedürfnis erkennen lässt, sein öffentliches Image zu kontrollieren. Er ist fleißig, ja; aber es passieren ihm immer wieder mal Flüchtigkeitsfehler, wenn er sein Publikum unterschätzt und sich nicht ordentlich vorbereitet hat. Außerdem hat er schon früh eine sehr robuste Art erkennen lassen, mögliche Konkurrenten davon zu überzeugen, die Konkurrenz mit ihm besser aufzugeben.

Es geht in diesem Buch um die Frage, was man bekommt, bekommen würde, bekommen hätte, wenn man »Habeck folgt«. Wie fest sind seine Prinzipien, was ist sein Kern, wie ernsthaft ist sein Freiheitsbegriff? Wie sehr ist er Teil einer etwas beunruhigenden politischen Strömung, die in der Coronakrise entdeckte, wie leicht sich existenzielle Grundrechte in Deutschland einschränken lassen, wenn man einen wirklich guten Grund dafür findet? Nicht nur Angehörige der kompromisslosen NoCovid-Bewegung oder der Deutschen Nationalakademie Leopoldina finden es sinnvoll, Coronabeschränkungen im Namen des Klimaschutzes fortbestehen zu lassen. Auch Habeck sieht »strukturelle Parallelen« zwischen der Corona- und der Klimakrise.

In seinem jüngsten Buch (Von hier an anders. Eine politische Skizze) schreibt Robert Habeck: »Es gab plötzlich ein höheres Gut, das über der wirtschaftlichen Prosperität stand. Der Schutz der Gesundheit wurde in einer nicht gekannten Dimension über Wirtschaftswachstum und Gewinninteressen gestellt.« Es dürfte interessant sein zu sehen, ob Habeck, der ja sonst eher eine lässige »Man-darf-auch-mal-ein-Nackenkotelett-grillen«-Haltung an den Tag legt, in einer möglichen grünen Regierungsfunktion eine Politik der massiven Freiheitseinschränkungen im Namen des Klimaschutzes befürworten wird.

Das Grundsatzprogramm der Grünen, das auch unter seiner Federführung entstanden ist, gibt das jedenfalls her, dort werden weitgehende gesellschaftliche Umbaumaßnahmen gefordert. Und selbst die Union hat inzwischen verstanden, wie populär die grüne Weltanschauung geworden ist, nicht zuletzt dank der Hilfe von Journalisten, die ungewöhnlich oft mit grünen Politikansätzen sympathisieren. Die Union, will ich damit sagen, könnte mehr oder weniger alles mitmachen, was die Grünen wollen – und es könnte ironischerweise an dem Brückenbauer Robert Habeck sein, Bevormundungsexzesse einer schwarz-grünen, grün-schwarzen oder grün-rot-gelben Bundesregierung einzuhegen. Dass das grüne, linksliberale Milieu in dieser Hinsicht vorsichtig sein muss, wenn es keine heftige Reaktanz auslösen will, ist Habeck durchaus klar, er erörtert das Problem in Von hier an anders.

In seiner sechsjährigen Regierungszeit im beschaulichen Schleswig-Holstein – mal unter SPD-Führung, mal CDU-geführt – hat der Landesminister Habeck es recht gut hinbekommen, zwischen umweltschützerischen Maximalforderungen und bäuerlicher Realität zu vermitteln. Dabei musste er nicht einmal der Chef des Ganzen sein. Wenn es um die Zukunft einer ganzen Gesellschaft geht, wird solches Talent noch viel mehr gebraucht.

1. Kapitel

Der junge Mann

Sehr weit oben im Norden der Republik, in Kappeln an der Schlei, wohnt Kristian Dittmann, 52, ein Surfer-Typ, braun gebrannt, muskulös, gut aussehend – ein ehemaliger Mitschüler und Jugendfreund von Robert Habeck. Der Journalistin Constanze von Bullion hat Dittmann aufschlussreiche Sätze über den heutigen Grünen-Chef gesagt: Der Robert sei als Seelsorger nicht der richtige Mann – zuhören, wenn andere ihren Kummer ausbreiten wollten, das langweile ihn schnell. »Er ist klug. Er ist ungeduldig. Er weiß sein Potenzial als Gutaussehender und Schnellchecker einzusetzen«, sagte Dittmann laut Süddeutscher Zeitung. »Aber er ist kein Arsch.«

Habeck wirkt nicht wahnsinnig glücklich darüber, dass »Krischi« in Kappeln zu einer Hauptauskunftsperson über seine prägenden Jahre geworden ist. Aber was soll er machen, außer zur Vorsicht im Gespräch mit Journalistinnen zu raten? Als ich Dittmann anrufe – man erreicht ihn über seine Firma »Strand-Manufaktur« –, möchte er sich auf jeden Fall erst einmal rückversichern, ob es für Habeck in Ordnung geht, dass er mit mir redet. Ich müsse verstehen, dass er Robert auf keinen Fall schaden wolle.

Irgendwie gibt es aber wohl ein Okay, jedenfalls darf ich Dittmann besuchen. Im Sommer ist die Kleinstadt Kappeln normalerweise voller Menschen und Leben, die breite Schlei-Mündung in die Ostsee ist ein beliebtes Segelrevier, am Hafen drängen sich die Restaurants dicht an dicht. Im Februar 2020 bin ich hingegen nahezu der einzige Gast im Hotel »Pierspeicher«. Die Restaurants sind noch nicht wegen Corona geschlossen, sondern weil hier finsterste Nebensaison ist. Das Uferschilf steht bleich, die vorherrschende Farbe von Himmel und Landschaft: Grau.

Dittmanns Behausung liegt nur ein paar Gehminuten vom Zentrum der Stadt entfernt. In einer ehemaligen Scheune ist sein Ein-Mann-Betrieb untergebracht: Der studierte Meeresbiologe fertigt hier Kissen mit einer Füllung aus getrocknetem Seegras an. Das sogenannte Treibsel sammelt er an den Ostseestränden ein, die Bezüge näht er aus altem Leinen, das ihm manchmal auch die Leute aus der Gegend schenken.

Dittmann könnte mehr verkaufen, als er jetzt produziert, aber genau das will er nicht – nicht expandieren, keine Massenproduktion, nicht den ganzen Stress. Auf der Website der Strand-Manufaktur heißt es im Januar 2021: »Sehr geehrte Kunden, für dieses Jahr sind Kopfkissen ausverkauft. Bitte bestellen Sie am 2. Januar 2022.« Dittmann sagt, er lebe seit Langem, was die Fridays-for-Future-Kids heute forderten. Er könnte ein Ur-Grüner aus dem Bilderbuch sein. Geld interessiert ihn eben einfach nur am Rande, er kommt mit sehr wenig aus, auch wenn er, wie er sagt, einige harte Jahre hinter sich hat. Kinder hat er mit zwei Frauen, sie leben abwechselnd bei ihm und den Müttern.

»Bei ihm«, das ist der alte Kälberstall neben der Scheune, den er liebevoll und originell umgebaut hat und der ihm als Schlafzimmer, Wohnzimmer und Küche dient. Durch die Mauerritzen pfeift zwar, wie das bei alter Bausubstanz gern mal vorkommt, der Wind, aber ein Bollerofen verbreitet gemütliche Wärme. Dittmann brät in Schwarzbrotkrümeln gewälzte Rindsfrikadellen mit Oregano und Knoblauch, dazu gibt es spanischen Rotwein. Es schmeckt alles sehr gut.

Vor dreißig Jahren, in der Schule, waren »Krischi« und Robert ziemlich unzertrennlich. Beide in der Theater-AG, beide in der Schülervertretung – alte Fotos zeigen zwei herzzerreißend attraktive junge Männer, der eine groß und dunkel, der andere, Habeck, etwas kleiner und blond, die Haare länger als heute. Sie dürften zu den umschwärmten, zu den eindeutig coolen Typen ihres Jahrgangs gehört haben, sind sich aber, so erinnert sich Dittmann, bei den Mädchen nie in die Quere gekommen. Was haben sie denn gemacht, damals? Sie hätten gar nicht viel gemacht, sagt Dittmann und schenkt noch etwas Wein nach. Sie hätten am Strand gesessen und geredet, Freiheit sei ihr großes Thema gewesen. »Dabei war ich aber immer schon eher der für die Praxis, Robert der für die Theorie.«

Wollte man es sarkastisch formulieren, man könnte sagen, dass diese unterschiedlichen Lebenseinstellungen sich wohl erhalten haben: Deshalb lebt »Krischi« jetzt auch extrem bescheiden und nachhaltig in einem Kappelner Stall, während Robert inzwischen ein großes Haus in feinster Flensburger Lage besitzt, mit der klugen und witzigen Schriftstellerin Andrea Paluch vier Söhne hat, politische Spitzenämter besetzt und von seinen Fans für noch Höheres gehandelt wird. Wenn er nicht Kanzler wird, dann vielleicht der erste grüne Innenminister? Oder, enger an seinen Wurzeln: grüner Ministerpräsident von Schleswig-Holstein?

Aber man muss ja gar nicht immer sarkastisch sein. Dittmann und Habeck verband offenbar ein Gefühl, das viele teilen, die in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts aufgewachsen sind: das Gefühl nämlich, für die wirklich spannenden Zeiten zu spät geboren zu sein. »Achtundsechzig« war lange vorbei, Friedensbewegung und Gorleben-Proteste hatten sie verpasst, bei Gründung der Grünen im Jahr 1980 waren sie elf, als 1982 Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt wurde und die »geistig-moralische« Wende einleiten wollte, waren sie dreizehn Jahre alt.

Als kulturelle Gegenbewegung zu den politisierten Siebzigerjahren tauchten damals, Mitte der Achtziger, die radikal unpolitischen »Popper« auf. Sie trugen Karottenhosen mit speziell geknoteten Stoffgürteln und Bommelschuhe, dazu Lacoste-Polohemden mit aufgestellten Krägen. »Erdbeerkörbchen« habe man die Popper-Mädels in seinen Kreisen genannt, sagt Dittmann: »Für die war es das Höchste der Gefühle, wenn sie das Golf-Cabrio ihrer Mutter ausleihen durften.«

Die eher materialistische als moralische Wende, für die die Popper nur Vorboten waren, triggerte bei Dittmann und wohl auch bei Habeck den Rebellenimpuls. Sie wollten sich nicht dem Mainstream des bürgerlich-gediegenen Kieler Vororts Heikendorf mit seinen Lehrer-, Juristen- und Arztfamilien, mit langweiligen Einfamilienhäusern und akkurat frisierten Vorgärten anpassen. Aber wie rebelliert man in einer Zeit, in der »der Punk immer weniger wird« (Dittmann), die in Deutschland beliebteste Musik immer noch von der schwedischen Popgruppe Abba kommt und die lokale Öko-Bewegung sich mit dem Sammeln von benutzter Alufolie und Altbatterien beschäftigt?

Da kann man höchstens zerrissene Jeans tragen – und von den Benetton-Pullovern, die es zu Weihnachten gab und die damals als schick und teuer galten, Kragen und Bündchen abschneiden, zum Entsetzen der schenkenden Tanten und Großmütter. Man kann Camus und Sartre lesen, jedweden Konformismus ablehnen, »die« Politik misstrauisch beäugen und am Strand über die großen Fragen philosophieren: Gibt es ein Leben vor dem Tod?