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Ein bisschen Spaß muss sein! Mit diesem Satz und der Melodie dazu verbinden Millionen Deutsche Roberto Blanco, einen der beliebtesten und erfolgreichsten Entertainer der letzten Jahrzehnte. Blanco feiert 2017 seinen 80. Geburtstag und steht seit über 60 Jahren auf der Bühne. Abseits des stets lächelnden Entertainers gibt es noch mehr Roberto Blanco zu entdecken: einen nachdenklichen, sensiblen, extrem gebildeten Mann, der in seinem Leben voller großer Namen sehr viel erlebt hat. "Von der Seele" ist ein Blick zurück auf ein aufregendes und erfülltes Leben, ein Blick mit einem Lächeln im Augenwinkel, voller Dankbarkeit und Demut und mit der Weisheit eines Weltenbummlers. Ein Buch von einem, der mit sich und der Welt im Reinen ist.
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Seitenzahl: 204
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Die Autobiografie
Von der Seele
Copyright 2017:
© Börsenmedien AG, Kulmbach
Umschlaggestaltung und Herstellung: Johanna Wack
Buchsatz: Bernd Sabat, VBS-Verlagsservice
Lektorat: Hildegard Brendel
Korrektorat: Claus Rosenkranz
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86470-540-3eISBN 978-3-86470-541-0
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Eigentlich kommen Danksagungen ja immer zum Schluss. Aber ich will damit anfangen. Ich möchte mich nämlich bei Ihnen, mein liebes Publikum, bedanken. Dafür, dass ich seit über 60 Jahren dabei sein darf, im Showbusiness, auf der Bühne, in Ihren Herzen. Nur Sie haben mir das ermöglicht. Weil Sie mich immer unterstützt, beklatscht, geliebt und gefeiert haben. Weil Sie begeistert waren, mitgesungen und mitgeschunkelt haben, wenn ich „Ein bißchen Spaß muß sein“ verkündete. Oder vom „Puppenspieler von Mexiko“ erzählte. Sie haben mich aufgebaut, meine Musik und meine Lieder groß gemacht. Natürlich bin ich kein Heiliger, ich habe nicht immer alles richtig gemacht. Nobody is perfect. Und ab und zu hat mir das Schicksal auch eine ordentliche Ohrfeige gegeben. Umso mehr habe ich mich gefreut, wenn in diesen Zeiten ein Taxifahrer, der mich auf der Straße sah, neben mir anhielt und rief: „Hey, Roberto, wir sind auf deiner Seite!“ Oder der Nachbar in der Kneipe plötzlich „Ein bißchen Spaß muß sein“ pfiff. Aber am glücklichsten bin ich darüber, dass Sie immer an mich geglaubt haben. Sie haben mich oben gehalten. Ich hatte ein wunderbares Leben. Und habe es noch.
Ohne Sie, mein liebes Publikum, wäre ich heute nicht 80 Jahre alt, fröhlich und zufrieden. Danke.
1 Denk nicht eng, sondern weit
Meine Geburt in Tunis • Meine Eltern Mercedes Blanco und Alfonso Zerquera • Kennenlernen und Heirat • Paris • Tod der Mutter in Beirut • Im Mädcheninternat • Reise nach Ägypten zu König Faruq • Treffen mit Zarah Leander • Im Jungeninternat Sacre Coeur
2 Erfahrungen kann man nicht kaufen – die muss man sammeln
Meine Zeit im Sacre Coeur in Beirut • Reise mit dem Vater zur Papstaudienz • Von Abkürzungen und Abwegen • Mein „erstes Mal“ mit einer „griechischen Göttin“ • Erster Bühnen-Auftritt in Lausanne • Gunter Sachs • Umzug von Beirut nach Spanien • Zeit im Madrider Internat • Erster Besuch in Deutschland • Mireille
3 Nutze deine Chancen. Wer weiß, ob sie wiederkommen?
Das Medizinstudium • Ich treffe Regisseur Alfred Weidenmann im Flugzeug • Die Beziehung zu meinem Vater • Meine erste Filmrolle in „Der Stern von Afrika“ • Mein Umzug nach Wiesbaden • Erste eigene Wohnung • Erstes Weihnachten in Deutschland • Meine Gesangslehrerin • Tony Marshall • Herrlicher Flirtsommer
4 Ich bin nicht mit dem Aufzug nach oben gefahren, sondern zu Fuß hochgegangen
Erster Platz beim Wettbewerb „Gib dem Nachwuchs eine Chance“ • Gemeinsame Tournee mit Josephine Baker • Meine erste Single „Ob schwarz, ob weiß“ • Auftritte in der DDR
5 Je länger der Aufstieg dauert, desto stärker wirst du
Geburt von Tochter Mercedes, Hochzeit mit Mireille • Durchbruch mit dem Sieg beim Deutschen Schlagerfestival mit „Heute so, morgen so“ • Auf Tour mit Paola • Engagement in Hongkong • Eine Affäre im Hotel
6 Umgib dich mit Menschen, die es gut mit dir meinen
Umzug mit der Familie nach München und Geburt von Patricia • Meine Mega-Hits „Der Puppenspieler von Mexiko“ und „Ein bißchen Spaß muß sein“ • Erste Highlights meiner Karriere • Unzählige Fernsehauftritte, unter anderem bei Peter Frankenfeld, Hans Rosenthal und in der „Hitparade“ bei Dieter Thomas Heck • Das Traumhaus in München • Frühstück mit Muhammad Ali im Münchner Haus
7 Man glaubt erst, wie schön die Welt ist, wenn man sie mit eigenen Augen gesehen hat
Fast die ganze Welt • 1978 kommen die „Cabana-Boys“ nach Rio • Neben Gianni Agnelli in der Concorde • Feuchtfröhliche Partys mit Stewardessen in Rio • In Marbella mit Alfonso von Hohenlohe, Shirley Bassey und Adnan Kashoggi • Tennismatches mit Ilie Nastase, Björn Borg und Co
8 Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere
Entscheidungen • Fernsehshow, die Erste: „Noten für 2“ • Mein Freund Rudi Carrell • „Noten für 2“: Schluss nach 4 • Mit Neil Diamond in Monte Carlo beim Autorennen • Fernsehshow, die Zweite: „Ein Abend mit Roberto Blanco“ • Margot Werner • Rudolf Moshammer • Moshammers Mutti Else
9 Seid nett zueinander – man sieht sich immer zwei- oder dreimal im Leben
Anekdote mit einem Hoteldirektor mit Fortsetzung Jahre später in Asien • Skinheads und Karl Dall in Warnemünde • Die CSU, „Wir Schwarzen müssen zusammenhalten“ und ein „wunderbarer Neger“ • Erste Reise nach Kuba mit Vater Alfonso • Wiedersehen mit der Familie und alten Bekannten von Alfonso • Shows im „Tropicana“
10 Seid großzügig – aber nicht zu großzügig, wie ich es war
Mein Faible für schöne Dinge • Luxusreisen mit Mireille und den Kindern um die Welt • Treffen mit Siegfried und Roy in Las Vegas • 5-jähriges Bühnenjubiläum in Las Vegas • Probleme mit Patricia • Der Weinkenner: Auszeichnung zum „Chevalier du Tastevin“ • Qualität ist wichtig … • … aber das Wichtigste ist die Liebe
11 Wenn du Erfolg hast, hast du viele Jubelperser, fällst du hin, sind sie weg
„Mini Playback Show“-Desaster • Schwere Vorwürfe • Flop in Miami • Die Exil-Kubaner boykottieren meine Musik • Verluste bei Immobilien-Investitionen • Tod des Vaters
12 Freunde kann man sich aussuchen – die Familie nicht
Keine Namen • Mein Sohn Robin • Beckenbauer, Becker, Blanco • Das liebe Geld • Uhrenklau von Patricia • Mireille und die Zürcher Wohnung • Pfändung durch Mireille • Werbespot für Sixt • Ein letztes Wort zum Thema Familie
13 Ich lebe mein Leben, wie ich es für richtig halte, und nicht wie andere es wollen
Luzandra • Unser Kennenlernen beim Boxkampf in Hamburg • Hoffen und Bangen • Kreuzfahrt ins Glück • „Ich kenne diesen Mann“ • Zusammenziehen • Kollegen-Kommentare in der Öffentlichkeit
14 Erinnere dich an die Komplimente und vergiss die Beleidigungen
Michael Jackson • Eddie Barclay • Marlene Dietrich in Paris • Verwechslung mit Pelé • Konzert für sechs • Blackouts und Pannen
15 Manchmal verlischt die Liebe wie eine Kerze und manchmal hält sie 100 Jahre
Ich halte auf Kuba bei Luzandras Vater um ihre Hand an • Wiedersehen mit Julio Iglesias in Buenos Aires • Verlobung auf den Seychellen, Hochzeit in München • Ärger mit einem Reporter • Die Trödel-Pleite • Alzheimer-Spot mit der Heavy-Metal-Band Sodom • Schwächeanfall • Die Madonna meines Vaters • Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft • Zuhause in der Schweiz, daheim in der Welt • Dank für ein gutes Leben
Am Tag, an dem ich geboren wurde, trübte keine Wolke den Himmel über Tunis. Mein Vater sagte mir später, dass ich einen so positiven und fröhlichen Charakter und ein so strahlendes Lächeln hätte, weil mir eben an diesem 7. Juni 1937 die ganze Kraft der Sonne in die Wiege gelegt worden sei. Dies, gepaart mit dem kubanischen Temperament und dem musikalischen Blut meiner Eltern, hätte maßgeblich für meinen Erfolg gesorgt. Warum ich als Sohn von zwei Kubanern gerade in Tunesien zur Welt kam? Das ist eine interessante Geschichte … Also, von vorne.
Meine Eltern Mercedes Blanco und Don Alfonso Zerquera stammten aus Kuba. Sie waren Künstler, Revuestars, und verdienten ihren Lebensunterhalt damit, in Clubs und Varietés zu tanzen und zu singen. Anfang der 30er-Jahre lebten sie in Cienfuegos, einer Stadt in Zentral-Kuba, die an der wunderbaren karibischen Küste liegt und wegen ihrer Schönheit auch die „Perle des Südens“ genannt wird. Mittlerweile ist das Stadtzentrum sogar UNESCO-Weltkulturerbe. Früher war Cienfuegos das Zentrum der Zuckerindustrie, daran erinnern auch noch viele Kolonialvillen rund um den Parque Marti. Ein Zuckerbaron hat auch einst das schönste Gebäude der Stadt zu Ehren seines Vaters gestiftet, das legendäre Teatro Tomás Terry. Ein prunkvolles altes Theater mit roten Teppichen, alten Fresken an der Decke, die Sitze und Logen sind mit edelsten Hölzern verkleidet, 1895 wurde es mit einer grandiosen Aufführung von Verdis „Aida“ eingeweiht. Man kann sich heute immer noch gut vorstellen, wie die Zuschauer, natürlich äußerst elegant gekleidet, den Weltstars Sarah Bernhardt und Enrico Caruso zujubelten, die hier einst auftraten.
Und auch meiner Mutter Mercedes Blanco jubelten sie zu. Sie war Anfang der 30er-Jahre der Star am Teatro Terry. Das Publikum liebte sie! Von ihr habe ich meinen Namen. Ich werde nämlich oft gefragt, ob Blanco ein erfundener Künstlername sei. Nein, ist er nicht. Gucken Sie mal ins Telefonbuch, wie viele Menschen „Schwarz“ heißen. Ich habe im Gegensatz zu vielen Kollegen keinen Künstlernamen.
Meine Mutter war also die Haupttänzerin am Teatro Terry, sie war eine unglaublich charismatische und elegante Frau und mein Vater Don Alfonso Zerquera war ihr Tanzpartner, manchmal war auch der beste Freund der beiden, mein Nennonkel Ramon Ortiz, Teil ihres Programms. Während der Proben haben meine Eltern sich ineinander verliebt und später geheiratet. Meine Mutter war bereits einmal geschieden und brachte meine Halbschwester Lazara mit in die Ehe. Sie war zwölf Jahre älter als ich.
Freunde meines Vaters erzählten mir, dass sie selten ein so leidenschaftliches Paar erlebt hätten. Mein Vater war ein Gentleman durch und durch. Er verehrte seine Frau und trug sie auf Händen.
Dann wurden meine Eltern von reichen Geschäftsleuten aus Havanna entdeckt, die die besten Tänzer aus Kuba mit einer außergewöhnlichen Revueshow rund um die Welt schicken wollten. 1935 fuhren sie mit dem Schiff nach Südamerika und dann nach Spanien. Das war das letzte Mal, dass meine Mutter ihre Heimat gesehen hat. Und das letzte Mal, dass meine Schwester Lazara, die in Kuba bei ihren Großeltern blieb, ihre Mutter küsste.
Irgendwo in der Hitze Spaniens ist meine Mutter dann schwanger geworden, mit mir. Und als ich vor 80 Jahren in Tunis geboren wurde, dann nur deswegen, weil die Revue gerade dort auftrat.
In Tunis blieben wir höchstens zwei Wochen, bis meine Mutter die Strapazen der Geburt einigermaßen verkraftet hatte und ich reisefähig war. Dann zog die Revue weiter nach Paris. Paris, schwärmte mir mein Vater oft vor, war anfangs, als die Revuetruppe dort ankam, ein wunderbarer Ort für Künstler, egal, aus welchem Teil der Welt sie hierher gefunden hatten. Eine Stadt voller Geschichten, voller Leben, voller Überraschungen und voller Musik. Die Menschen liebten fremde Kulturen, Exotik und Erotik und waren offen und freundlich. Meine Eltern und ihre kubanischen Revuekollegen fühlten sich wohl in Frankreich. Leider hielt dieser Zustand nicht so lange an. Adolf Hitler wütete im benachbarten Deutschland gegen die Juden, die Nazis hatten den Geist und die Seele vieler Menschen vergiftet, ein Krieg, der ganz Europa überziehen könnte, drohte, nachdem Hitler erst den Anschluss Österreichs erzwungen und dann mit der Zerschlagung der Tschechoslowakei begonnen hatte. Und da war die große Revue beendet und fast alle Mitglieder der Truppe kehrten per Schiff zurück nach Kuba, bis auf sechs Personen. Das waren meine Eltern, mein Onkel Ramon Ortiz und drei weitere Kollegen.
Meine Eltern wurden zusehends ängstlicher und waren vor allem um mein Wohl besorgt. Auf keinen Fall wollten sie, dass ihr kleiner Roberto in einem Land aufwuchs, in dem Krieg herrschte und Bomben fielen. Sie berieten sich intensiv mit ihren kubanischen Bekannten und beschlossen, noch ein bisschen abzuwarten.
Eines Abends im Frühjahr 1939 rief sie der kubanische Botschafter in Frankreich, ein enger Freund meiner Eltern, zu sich. „Geht so bald wie möglich zurück nach Kuba“, riet er ihnen. „Hier brodelt es, es wird zu gefährlich. Der Krieg steht unmittelbar bevor.“ Doch sie wollten nicht wieder in die Heimat. „Wo können wir sonst hin?“, fragten sie. „In den Libanon, dort ist es sicher“, riet der Botschafter ihnen. „Aber zögert nicht so lange.“ Der Libanon war ein neutrales und friedliches Land, damals. Und so zogen wir weiter nach Beirut, als ich noch nicht einmal zwei Jahre alt war. Zusammen mit meinen Eltern wanderten mein Onkel und die drei Kollegen aus.
Doch leider verließ uns im Libanon das Glück. Kurz nachdem wir dort angekommen waren, starb meine Mutter Mercedes, ich war gerade zwei Jahre alt geworden. Natürlich war ich zu klein damals, um zu begreifen, was passiert war, viel zu klein, um diesen Verlust zu verstehen. Doch ich erinnere mich an eine bleierne Schwere, die sich über unser Zuhause in Beirut gelegt hatte. Woran sie starb, weiß ich nicht, darüber wurde nicht gesprochen. Ich erinnere mich nur, dass ich einmal bei ihr im Krankenhaus war. Und dann, plötzlich, war sie nicht mehr da. Als ich fragte, wo sie denn hingegangen sei, sagte mein Vater, der liebe Gott habe sie bei sich haben wollen.
Für meinen Vater war die Situation eine absolute Katastrophe. Er war plötzlich ein alleinerziehender Vater eines Kleinkindes. Noch dazu musste er die Familie ernähren und dafür noch mehr arbeiten als vorher. Und da er als Tänzer ja vor allem nachts auftrat, kam er sehr spät nach Hause. Wer sollte sich also um mich kümmern? Er war völlig verzweifelt.
Er engagierte Babysitter, die auf mich aufpassten, für mich kochten und mich ins Bett brachten. Doch das klappte oft nicht so recht nach seinen Vorstellungen. Ich erinnere mich vage an eine meiner Babysitterinnen, eine fröhliche, rundliche Dame, die, statt mir vorzulesen, nur draußen auf dem Balkon saß und rauchte und rauchte. Als mein Vater sie dabei erwischte, war er so wütend, dass er sie sofort hinauswarf und nie wieder beschäftigte.
Er liebte mich abgöttisch und machte sich Tag und Nacht Sorgen um mich. Was könnte er bloß tun, damit ich in ordentlichen Verhältnissen aufwüchse? Ich war sein ganzer Stolz und er hatte große Angst, dass es mir an Fürsorge und Zuwendung fehlen könnte. Und ein bisschen Erziehung würde mir ja auch nicht schaden …
Eines Tages hatte sein damaliger Boss eine Idee. „Alfonso, gib ihn zu den französischen Nonnen vom Kloster Heiliger Josef!“ Da war nämlich auch seine Tochter in der Schule. Die Nonnen führten ein Internat in dem riesigen Kloster, das mitten in Beirut lag. „Aber das ist doch eine reine Mädchenschule!“ Mein Vater fand die Idee am Anfang wirklich absurd. Aber weil ihm keine andere Lösung einfiel, ließ er sich einen Termin bei der Oberin geben. Ich erinnere mich noch, dass mein Vater mit der Oberin sprach und ich bei einer anderen Nonne auf dem Schoß saß. Dann war er plötzlich weg. Ohne Verabschiedung!
Erst Jahre später hat mir mein Vater erzählt, dass die Oberin zu ihm sagte: „Sie gehen jetzt ganz schnell, bloß kein Abschiedskuss, bloß nicht ‚Auf Wiedersehen‘ sagen. Sonst fängt Roberto an zu weinen.“ Also ging er. Und nicht Roberto, sondern Papa Alfonso liefen die Tränen in Bächen übers Gesicht. Als ich schon erwachsen war, hat er mir einmal erzählt, dass er in diesem Moment so furchtbar geweint habe, dass er sich auf keinen Fall umdrehen konnte, da er nicht wollte, dass sein kleiner Sohn die Tränen sehe. Armer, starker Papa!
Natürlich hatte ich am Anfang Heimweh nach meinem Papa und habe die Schwestern ständig nach ihm gefragt. „Wo ist Papa? Wo ist Papa?“ Aber meine Traurigkeit währte nicht lange. Stellen Sie sich mal vor: Ich war im Kloster der einzige Junge unter 700 Mädchen! Was für ein Paradies! Ich wurde von früh bis spät gehätschelt und umsorgt, wie eine große Puppe.
„Robi“, riefen sie immer, sobald ich irgendwo um die Ecke bog. Mit meinen großen Knopfaugen und meinen wuscheligen Haaren sah ich aus wie eine große Puppe und war das Maskottchen der Schule. Die Mädchen kniffen mir in die Wangen, küssten mich und umarmten mich ständig. Das Kloster war für mich wie ein riesengroßer Spielplatz, ich hatte das Gefühl, dass mich jeder lieb hatte. Traumhaft, oder? Als mich mein Vater 14 Tage später besuchte, war ich total in das Klosterleben integriert.
Ich erinnere mich besonders gerne an meine Lieblings-Nonne, Schwester Alfonse. Die hat sich so rührend um mich gekümmert und mich sogar in ihrem Zimmer schlafen lassen, wenn ich mal traurig war. Dort wohnten zwar noch zwei andere Nonnen, aber deren Betten waren mit Paravents voneinander getrennt. Ich habe viel Liebe bekommen in dieser Zeit, sodass es mich nicht so sehr bekümmerte, dass ich meinen Vater selten sah.
Don Alfonso Zerquera war schließlich der Chef der berühmten Revuegruppe „Black Diamonds“, die zu ihrer Zeit mit ihrem grandiosen Tanz- und Unterhaltungsprogramm in vielen Teilen der Welt Furore machte, von Damaskus bis Stockholm. Oft wurde er von reichen Unternehmern, Schauspielern und sogar Königen für große Galas und Feste gebucht.
Deswegen flog ich mit nur sechs Jahren zum ersten Mal alleine – und zwar nach Kairo. König Faruq von Ägypten hatte zu einer prunkvollen Party geladen – in einem großen, mit viel Gold geschmückten Nightclub mit Casino, „Auberge des Pyramides“ hieß er. Mein Vater war dort engagiert.
Weil der König ein großer Fan von Zarah Leander war, hatte er sie extra einfliegen lassen. Bei den Proben sah ich sie – sie war eine Wahnsinnserscheinung: dunkel angezogen, mit dunkler Brille und einer magnetischen Ausstrahlung. Ich konnte nicht aufhören, sie anzustarren. Plötzlich nahm sie mich wahr. Und machte mir mit ihren Fingern ein Zeichen, zu ihr zu kommen. „Your name?“, fragte sie mich mit ihrer tiefen Stimme. „Roberto.“ „You speak French?“ Ich nickte. Sie strich mir übers Haar, nahm mich auf ihren Schoß und gab mir einen Kuss auf die Wange.
Über 30 Jahre später habe ich sie wiedergetroffen. Da habe ich eine Tournee mit Rudi Carrell für eine große Firma gemacht. Stargast war Zarah Leander. Sie war eine Diva, ein Weltstar von der Sorte, die es heute nicht mehr gibt. Unnahbar, entrückt. Doch als ich sie einmal ansprach, wirkte sie menschlich, fast weich und schien sich nicht zu erinnern. „Warum guckst du mich immer so eigenartig an?“, fragte sie mich. „Sie werden sich nicht erinnern, aber ich bin der Junge, der auf der Party von König Faruq damals in Kairo auf Ihrem Schoß saß“, erklärte ich ihr. Sie dachte lange nach und meinte ungläubig: „Du bist der Kleine?“ „Ja, ich bin der Kleine“, antwortete ich. Dann hat sie sich nach meinem Vater erkundigt und wollte, dass ich jedes Mal nach der Show neben ihr beim Essen saß. Eine tolle Frau, wir haben uns sehr gut verstanden.
Aber zurück zu meiner Schulzeit. Denn als ich sieben Jahre alt war, musste ich meinen Himmel auf Erden leider verlassen. Die Nonnen waren der Meinung, ich sei jetzt groß genug und es wäre an der Zeit, auf eine Jungenschule zu gehen. Sie hatten mich nämlich zweimal erwischt, wie ich einem Mädchen unter den Rock geguckt hatte. Ich wollte nichts Böses, wirklich nicht, ich war einfach nur neugierig, wie es bei Mädchen wohl unterm Rock aussieht. Das gab jedenfalls ganz schön Ärger. Und auch mein Vater fand, dass ich auf dem besten Weg war, zu verweichlichen, wenn ich mit so vielen Frauen aufwüchse.
Von einem Tag auf den anderen meldete er mich auf dem Jungeninternat Sacre Coeur, das ebenfalls in Beirut war, an. „Pachichi, das wird dir guttun“, sagte er zu mir, als ich ihm wortreich erklärte, dass ich bei den Nonnen bleiben wollte. „Pachichi“ war sein Kosename für mich, das Wort hat eigentlich keine Bedeutung. Mein Vater sprach spanisch mit mir, ich antwortete meistens auf Französisch.
Aber Papa ließ sich leider nicht umstimmen – und die schönsten Jahre meiner Kindheit waren damit zu Ende. Während meiner Zeit im Kloster hatte ich vor allem in Schwester Alfonse eine hingebungsvolle Ersatzmutter gefunden. Und auch die Oberin, Schwester Marie du Calvaire, kümmerte sich rührend um mich. Aber das war jetzt vorbei. Ich sehe noch heute, wie beim Abschied alle geheult haben: die Oberin, die anderen Nonnen, die Schülerinnen und ich. Und Schwester Alfonse natürlich am allerlautesten.
In der neuen Schule herrschten strengere Regeln. Wenn man im Unterricht nur einmal kurz mit seinem Nachbarn flüsterte, musste man zur Strafe gleich 200 Mal „Ich darf nicht reden“ schreiben. In Schönschrift! Das war vielleicht hart! Die ersten 50 Sätze gingen ja noch, aber dann taten einem mit jedem Wort die Finger mehr weh und die Schrift wurde so krakelig, dass man sie kaum noch entziffern konnte. Hatte man Pech und der Lehrer guckte genau hin, musste man entweder von vorne anfangen. Oder das Doppelte schreiben. Mies.
Ich erinnere mich trotzdem gerne an meine Zeit auf Sacre Coeur. Dort habe ich zum ersten Mal erlebt, wie wertvoll Freundschaften unter Jungs sind. Zusammenhalten, für den anderen einstehen, sich Streiche ausdenken, uns war nie langweilig. Wir haben viel Quatsch gemacht. Nur sonntags, da war ich manchmal ein bisschen traurig. Denn am Sonntag bekamen meine Mitschüler Besuch von ihren Müttern und Vätern. Und ich hatte ja keine Mutter mehr. Und mein Vater war meistens auf Reisen. Mittlerweile hatte mein Vater meine Halbschwester in den Libanon geholt. Sie sang in seiner Show und war deswegen ebenfalls viel unterwegs.
Sonntags, wenn alle anderen sich chic machten, ein sauberes Hemd anzogen und die Haare ordentlich bürsteten, hatte ich also keinen wirklichen Grund, mich fein zu machen. Wenigstens rief mein Vater an. Das war ziemlich kompliziert, damals. Man musste eine genaue Uhrzeit ausmachen. Und wir schrieben uns Briefe, aber es dauerte ja in den 40er- und 50er-Jahren noch ewig, bis ein Brief seinen Empfänger erreichte. Von meiner Mutter Mercedes hatte ich viele Fotos, die ich wie einen Schatz unter meinem Bett hütete. Ich guckte sie oft an und suchte nach Ähnlichkeiten mit mir – in ihren großen dunklen Augen und ihrem breiten warmen Lächeln. Freunde meines Vaters hatten mir gesagt, dass ich ihr wie aus dem Gesicht geschnitten wäre. Das war auch einer der Gründe, warum mich Papa so abgöttisch geliebt hat, denke ich. Er hat meine Mutter in mir gesehen.
In den Sommerferien reiste ich meistens zu meinem Vater – an die abenteuerlichsten Orte, die man sich vorstellen kann. Ich hatte nie Scheu vor irgendjemandem, nur weil er ein großes, bedeutendes Amt innehatte. Das merkte auch jeder, als ich mit nur acht Jahren eine der tollsten Reisen meines ganzen Lebens unternahm. Ich fuhr zu meinem Vater nach Italien, nach Rom. Wir waren mittags immer in einem tollen Restaurant, Da Nino. Es ist auch heute noch eines der besten Restaurants Roms. Es waren viele Leute vom Film da. Da war unter anderem der Produzent Dino De Laurentiis mit seiner wunderschönen Frau, der Schauspielerin Silvana Mangano, und ihren Kindern. Wir waren öfter mit ihnen unterwegs.
Und dann kam der absolute Knaller: Papa und ich hatten eine Privataudienz bei Papst Pius XII. in Castel Gandolfo. Auch der amerikanische Schauspieler Tyrone Power und der italienische Filmstar Anna Magnani waren mit dabei, insgesamt waren wir zu zehnt. Der kubanische Botschafter hatte das Treffen für uns organisiert. Natürlich hatte mein Vater mir vorher eingebläut, dass ich still sein sollte. „Roberto, du sagst nur etwas, wenn der Papst dich etwas fragt.“ „Ja Papa, natürlich Papa!“, versicherte ich ihm. Aber die Regeln meines Vaters waren sofort vergessen, als der Papst leibhaftig vor mir stand. Das war vielleicht beeindruckend! Er streckte mir die Hand hin, es war üblich, sie zu küssen, aber ich nahm gleich den ganzen Papst in den Arm und drückte ihn fest an mich. Er lächelte. Dann habe ich ihm erzählt, dass ich in Beirut bei den Brüdern zur Schule gehen würde und dass es mir dort sehr gut gefalle. Ich habe einfach losgeplappert. Und allen die Show gestohlen! Mein Vater war danach Gott sei Dank überhaupt nicht sauer. Sondern stolz. Er sagte zum Botschafter: „Mein Roberto wird mal ein Showman.“ Zuhause in Beirut im Internat hat mir natürlich keiner geglaubt, dass ich beim Papst war. Gott sei Dank hatte ich ein Beweisfoto dabei. Und das hat jedem im Internat schwer imponiert.
Auf Sacre Coeur habe ich auch gelernt, zu essen, was auf den Teller kommt. Und mich mit Menschen, egal welche Eigenheiten sie hatten, zu arrangieren. Wir schliefen nämlich zu 30 in einem Schlafsaal und da ist Privatsphäre ein totales Fremdwort. Jeden Morgen gingen wir zur Messe. Oh je, da gab es einmal eine ganz schöne Aufregung – ich war Messdiener und habe eines Morgens am Ende der Messe ein bisschen vom Wein probiert. Mmmmmh, war das lecker.
Beim nächsten Mal habe ich schon vor der Messe aus dem großen Kelch getrunken, und zwar ein paar ordentliche Schlucke. Heimlich, natürlich. Und als sich alle dann zum Abendmahl aufstellten, war der Kelch fast leer. Der Blick des Priesters fiel sofort auf mich. Wenn Blicke töten könnten … Er wusste genau, dass ich den Wein getrunken hatte. Gleich nach der Messe gab er mir eine heftige Ohrfeige. Völlig zu recht, ehrlicherweise.