Romeo und Julius - Julius Kraft - E-Book

Romeo und Julius E-Book

Julius Kraft

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Beschreibung

Bin ich nach dem Verlust der großen Liebe bereit, wieder zu daten?

Ich sehne mich nach Momenten, in denen alles kribbelt und Sterne und Brusthaar greifbar werden. Ich will die Unsicherheit beim ersten Kuss spüren, das Beben, wenn er durch die Tür tritt, und auch die Verzweiflung, wenn es trotz aller Hoffnung schiefgeht. Ich lasse mich nicht entmutigen und suche nach dem Einen, wenn es bei Tinder so viele gibt. Ich will das Abenteuer, die Aufregung. Für mich gehört die Welt der Liebe den Verletzlichen und denen, die stark sind, weil sie Schwäche zeigen können. So bin ich, Julius, so jemanden will ich. Also ja, ich bin definitiv bereit, wieder zu daten! Dies ist die Geschichte von »Romeo und Julius« und meiner Suche nach der großen Liebe in 25 Dates!

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Seitenzahl: 242

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Das Buch

Von der bedingungslosen Suche nach dem Einen, wenn es bei Tinder so viele gibt: offenherzig, leidenschaftlich, kompromisslos und voller Lebenshunger!

Das Buch zur Erfolgskolumne »Romeo und Julius« des Online-Magazins »Mit Vergnügen«.

Der Autor

Julius Kraft wurde 1989 geboren und lebt seit sieben Jahren in Berlin. Er arbeitet in den Medien und hat bis vor Kurzem bei einem Onlineshop Tipps gegeben, welche Sneaker gerade ganz oben auf der Wunschliste stehen sollten. Trotzdem fühlt er sich auf hippen Influencer-Partys fehl am Platz und ist ohne einen Gin Tonic auch fürs Clubknutschen zu schüchtern.

Julius Kraft

Romeo und Julius

Meine Suche nach der großen Liebe

* in 25 Dates

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe August 2019

Copyright © 2019 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München,

unter Verwendung eines Motivs von FinePic®, München

Lektorat: Doreen Fröhlich

DF · Herstellung: kw

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-23599-4V001

www.goldmann-verlag.de

Besuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz:

Dieses Buch ist für die Sensiblen,

die Spätzünder, die Verletzlichen und die,

die stark sind, weil sie Schwäche zeigen können.

#1 Bin ich überhaupt bereit, wieder zu daten?

»Der ganze Ruhm ist nichts wirklich Echtes, weißt du. Vergiss nicht, ich bin auch nur ein Mädchen, das vor einem Jungen steht und ihn bittet, es zu lieben.«

Ich weiß nicht, wie oft ich diese Zeilen schon gehört habe und sich meine Lippen dabei geräuschlos zu denen von Julia Roberts mitbewegt haben, aber ich weiß, dass ich bei jedem einzelnen Mal, wenn Anna Scott im kleinen Buchladen vor William Thacker steht und ihre Hände nervös ineinandergreifen, augenblicklich eine Gänsehaut bekomme, die sich über den Nacken bis in meine Finger zieht. Seit ich denken kann, treffen mich Liebesgeständnisse wie das in Notting Hill, und all die Geschichten, die diesen Bekenntnissen eine Bühne bieten, gehören zu meinen Favoriten. Diese Geschichten aus den Märchenbüchern und Zeichentrickfilmen, von Shakespeare, die der 90s-Romcoms und 00er-Serien. Wenn Heath Ledger auf der Highschooltribüne »Can’t take my eyes off of you« singt oder Meredith in Grey’s Anatomy vor McDreamy steht und ihren Herzenswunsch auf drei Sätze herunterbricht: »Pick me. Choose me. Love me.«

All diese Geschichten, die ich als Kind gesehen und als Jugendlicher verschlungen habe, die heute noch meine liebsten sind, haben etwas gemeinsam. In jeder davon gibt es eine Frau und einen Mann, die sich in einer schicksalhaften Begegnung kennenlernen, in einem Zeitlupenmoment verlieben und daraufhin gegen alle und alles antreten, um zusammen sein zu können. Obwohl ich heute weiß, dass einige dieser Geschichten mit ihren stattlichen Rittern, tödlichen Schlaftränken und ungleichen Geschlechterrollen extrem schlecht gealtert sind, mag ich sie, weil sie die Liebe zwischen zwei Menschen als eine Naturgewalt verstehen. Als das fünfte Element, das Funken sprüht, Flammen entfacht, Herzen zum Beben bringt und Willen brechen kann. Milla Jovovich und Bruce Willis, die gemeinsam das Böse bezwingen. Das hat meine eigenen Erwartungen geprägt. »Disneyvorstellungen«, nennen das meine Freundinnen. »The heart wants what it wants«, sage ich. Und manchmal, so ab und zu, würde sich mein Herz ganz unemanzipiert doch über einen stattlichen Ritter freuen, der es aus den verschwitzen Wänden eines Technoschuppens befreit. Mit diesem Widerspruch kann ich leben. Zum Glück gibt es trotzdem noch eine weitere Liebesgeschichte, mit der ich groß geworden bin, die das Bild zurechtrückt. Eine, die sogar in meiner DNA steckt. Die Geschichte meiner Eltern.

Ihre Begegnung fand in einer Nacht an einem Samstag im Sommer 1985 statt, in welcher zwei Menschen, die sich vorher nur sehnsüchtig über lange Bartresen betrachtet hatten, am Steuer von zwei Autos mit zwei entgegengesetzten Zielen sitzen. Sie ist auf dem Weg nach Hause, er zieht zur nächsten Party weiter. Beide fahren dabei dieselbe Straße entlang, in der es in besagter Nacht durch parkende Autos nur eine befahrbare Spur gibt. Beide sehen das Dilemma kommen, fahren dickköpfig weiter und bleiben direkt voreinander im Scheinwerferlicht stehen. Er steigt aus seinem Auto aus. Sie bleibt in ihrem sitzen. Er geht zu ihrem Fenster. Sie kurbelt. Ihre blonden Haare treffen seine dunkelbraunen Locken, und beide haben weit geöffnete Augen und hochgezogene Mundwinkel, während sie reden, denn sie wissen, dass ihr Moment ein besonderer ist. Zwei Jahre später heiraten sie, sie bekommen drei Söhne, bauen ein Haus, pflanzen einen Baum, adoptieren einen Labrador, dann noch einen, und sie wachen ab jetzt jeden Morgen im Arm des anderen auf. Schlussakkord. Abspann. Happy End.

»Julius?«, hallt Tonis Stimme plötzlich aus dem Lautsprecher meines Smartphones durch meine Eineinhalb-Zimmer-Wohnung in Berlin-Mitte. »Bist du mit deinem Kopf überhaupt noch anwesend?« Ihre Stimme klingt dumpf, weil das Telefon über die letzte halbe Stunde unter einem Berg aus Oberteilen begraben wurde.

»Hey, ja, ich habe dich nur akustisch nicht verstanden. Was meintest du?«, rufe ich zurück zum Kleiderhaufen.

»Akustisch also.« Ich kann Tonis Augenrollen fast hören. »Ich wollte einfach wissen, wen du denn jetzt heute Abend triffst«, sagt sie ungeduldig.

»Achso, sorry.« Ich stolpere über ein Paar Sneaker zum Bett und ziehe mein iPhone unter der Zugspitze hervor. »Ich bin schon etwas aufgeregt, also war ich mit meinen Gedanken vielleicht doch nicht ganz da«, entschuldige ich mich.

»Wo sind wir denn gerade auf der Skala von 1 bis Panikattacke?«

»Eine solide vier?« Mit dem Fragezeichen springt meine Stimme am Ende des Satzes in die Höhe, was ein ziemlich sicheres Zeichen ist, dass ich mich gerade selbst belüge.

»Okay, dann komm erst mal runter und schreib mir danach, wie’s war. Ach so, Gähnen hilft übrigens.«

»Bei was?«, frage ich irritiert.

»Beim Aufgeregtsein natürlich.«

»Okay, dann mach ich das. Also das mit dem Gähnen und dem Melden danach auch.«

Ich werfe mein iPhone zurück aufs Bett und betrachte mich im Ganzkörperspiegel des Schlafzimmers. »Bin ich überhaupt bereit, wieder zu daten?«, denke ich, während ich ein moosgrünes T-Shirt in der einen Hand und ein gestreiftes Kurzarmhemd in der anderen vergleichend an meinen nackten Brustkorb drücke. In meinem Outfit für heute Abend ist bis auf das Oberteil alles gesetzt. Das ist immer so, wenn etwas Wichtiges ansteht. Die Jeanshose steht fest, weil ich nur das eine Paar besitze, das wirklich passt, und ich zu faul bin, ein weiteres zu finden, die Schuhe bleiben dieselben, weil mich dieses Paar mit der dicken Sohle in eine aufrechte Haltung drückt. Mit 28 Jahren habe ich mit meinem Körper einigermaßen Frieden geschlossen, was konkret bedeutet, dass ich mein Gesicht, meine Oberschenkel und Unterarme richtig gut leiden kann und an besseren Tagen weiß, was ich anziehen muss, um mich auch im Rest wohlzufühlen. Nur beim Oberteil tue ich mich mit der Entscheidung immer mal wieder schwer, welches Teil mich am besten unterstützt und durch eine aggressive Sprühattacke Febreze wieder tragbar wird. Bin ich unsicher geworden nach der langen Datingpause, deren Ende ich mit der Verabredung einläute?

Heute treffe ich mich zum ersten Mal mit Lehrer Louis. So steht er in meinen Kontakten, weil er angehender Grundschullehrer ist und weil ich Alliterationen mag. Außerdem wollte ich ihn nicht als »Tinder-Louis« abspeichern. So mache ich das eigentlich, oder so habe ich das zumindest in der letzten Suchphase gemacht. Bis der richtige Nachname ins Spiel kommt, wird dieser in meinem Adressbuch durch die App, den Club oder die Bar des Kennenlernens ersetzt, und Lehrer Louis habe ich vor ein paar Wochen eben bei Tinder gematcht.

»Ach, Tinder«, höre ich Autor Michael Nast, angeblich die deutsche Stimme unserer Generation, in genau diesem Moment irgendwo in Deutschland in einem ausgebuchten Vorlesungssaal zynisch husten, prusten und die Liebe zusammenpusten.

»Ja, Tinder!«, würde ich ihm entgegenrufen, säße ich mal im Publikum. Generation Beziehungsunfähig – das kann und will ich einfach nicht mehr hören. Als wären wir alle Zombies, die statt Gehirnen Herzen fressen. Als könnten wir uns nicht mehr binden und bräuchten eine Ausrede, wenn es mit dem Dating mal wieder nicht klappt. Es liegt nicht an mir, es liegt an unserer Generation. Bullshit, wenn ich mich einer Generation zugehörig fühle, dann ist das die Generation Michael-Nast-unfähig. Ich will mich mit jemandem fallen lassen, mich mit dem Einen verlieren. Die Naturgewalt spüren und für diese Person vielleicht nicht unbedingt an einem Gift sterben, aber wenigstens mit ihr das Rauchen aufgeben. Jetzt muss ich mich nur noch für ein Oberteil entscheiden.

»Mist!«, denke ich, denn ich bin zwar für das Fallenlassen bereit, vor allem aber auch spät dran. Ich sprinte zurück ins Schlafzimmer, streife das Kurzarmhemd über und greife zum Lieblingsparfum. »Und?«, frage ich mich selbst beim letzten Blick in den Spiegel. Die Frisur: wie gerade aufgestanden. Das Outfit: schlicht. Das Parfüm: zu dick aufgetragen. Alles, wie es sein soll. Im Türrahmen gehe ich mit »Geldbeutel, iPhone, Schlüssel, Zigaretten, Taschentücher, Smint« ein letztes Mal meine Hosentaschen durch. Dann geht alles ganz schnell. Zigarette an. Zigarette aus. Smint rein.

»Julius?«

»Ja!«

Erst im Dave Lombardo, einer meiner Stammkneipen, angekommen, merke ich, dass meine Aufgeregtheit vielleicht doch auf Panikattacke steht, als mir die Kellnerin ein Rollberg-Bier in die Hand drückt. Meine Hand zittert, und das Getränk im Glas schlägt Wellen.

»Alles ist okay. Gähnen, Julius, gähnen«, sage ich mir beruhigend vor, und um herauszufinden, ob Louis das Zittern auffällt, verfolge ich währenddessen die Bewegung seiner braunen Augen. »Oh Mann«, denke ich. Ich bin wirklich unsicherer geworden. Meine letzte Beziehung – der Ire und ich – liegt zwar schon fünf Monate zurück, aber die Trennung hat mich mitgenommen. Mehr, als ich das gedacht und mir anfangs eingestanden habe. Es war eine Beziehung mit »Ich liebe dich« auf meiner Seite und »Ich will dich nicht verlieren« auf seiner, bis er ein beendendes »Aber« nachschob. Das hat mir wehgetan, und hin und wieder denke ich noch an ihn und sein rötliches Brusthaar zurück, und dann erinnere ich mich an die kleinen Momente, die nur wir zwei teilten. Daran, wie er beim Ausräumen meiner Spülmaschine jedes Mal »Wo wohnt das?« fragte, wenn er nicht wusste, in welches Regal er Geschirr und Co. stellen sollte. Das fand ich süß. So süß, dass ich mir heute ziemlich sicher bin, dass er eigentlich immer ganz genau wusste, wo alles hingehörte und auch wie man richtig danach fragen würde. »Wo wohnt das?«, hat er nur für die Flashbacks gesagt. Jetzt aber gähnen, Julius, gähnen, zuhören, im Moment sein, gähnen.

»Bist du müde?«, fragt Louis, als ich mit meinen Gedanken wieder im Lombardo lande.

»Nein, alles gut«, antworte ich verlegen, weil ich mich über die letzte halbe Stunde bestimmt sieben Mal zum Gähnen gebracht habe, und das, obwohl unser Date eigentlich ganz gut verläuft. Louis erzählt von anstrengenden Tagen im Referendariat, ich erzähle von meinem Job als Redakteur. Er teilt meine Liebe für Pop, ich seine Leidenschaft für Jazz. Er imitiert Trompeter Miles Davis, ich schildere meinen gestrigen Albtraum. Nacheinander lassen wir Anekdoten hinter uns, als wären es Karteikarten, die man nicht mehr braucht, und obwohl ich mein Bier beim Ansetzen wie eine Schnabeltasse mit zwei Händen halte, lacht er über meine Geschichten und legt seine Hand auf meinen Oberschenkel. Er ist locker, ich habe keine Panikattacke.

Jeder von uns trinkt noch zwei weitere Biere und ein Glas Rotwein – ich habe mittlerweile bestimmt eine Stunde lang alle Storylines meiner Lieblingsserien wiedergegeben und einzelne Episoden wie der Redakteur eines Fernsehmagazins mit ein bis fünf Sternen bewertet –, dann zahlen wir die Rechnung.

»Ich bring dich noch nach Hause«, sagt Louis, als wir in die laue Aprilnacht treten. Sein verschmitztes Lächeln kündigt einen Abschiedskuss an. Das gefällt mir.

Vor der Bar befreit Louis sein Fahrrad vom Baum, greift den Lenker mit der einen Hand und nimmt meine in seine andere, und für ein paar Minuten sagen wir nichts, bis wir in meinem Hinterhof ankommen. Ich mache einen Schritt auf ihn zu. Er beugt sich vor, und der erhoffte Kuss passiert. Er passiert nicht in Zeitlupe, ohne Streichquartett, aber er macht unheimlich Spaß. Es macht Spaß, ihn zu küssen, seine Lippen auf meinen zu spüren, neue Lippen zu spüren, nicht-irische Lippen zu spüren, und so ziehe ich ihn wieder und wieder an mich heran. So lange, bis wir beide außer Puste sind und meine Lippen wirklich nicht mehr nach meinen schmecken.

»Ich mach mich mal los«, sagt er irgendwann, tritt einen Schritt zurück und öffnet seine Tasche, die wie die eines Kurierfahrers aussieht. Erst holt er einen Helm heraus. »Das ist gut so. Die Hauptstadt ist ein hartes Pflaster«, denke ich. Dann kommt eine Klammer für das Hosenbein zum Vorschein. Die ist gegen das Verheddern, klar. Gelenkschoner. Wird das nicht ein bisschen viel? Zuletzt zieht der Lehrer eine reflektierende Warnweste in einer offensiven Orange-Gelb-Kombination über seinen schlaksigen Körper. »Das ist zu viel«, denke ich, und augenblicklich bricht aus mir ein Lachen heraus, das auch von einer afrikanischen Tüpfelhyäne stammen könnte. »Bist du ein Fahrradpolizist?«, sage ich neckend und ärgere mich im selben Moment, dass mir kein schärferer Witz eingefallen ist. »Hast du eine Wette verloren?« oder »Legt dir deine Mom immer noch das Outfit raus?« wären zwar auch nicht ideal, aber immer noch deutlich besser gewesen.

Louis grinst. »Man kann nie sicher genug unterwegs sein«, sagt er unbeeindruckt, schwingt sich auf seinen Drahtesel und tritt in die Pedale. Ich reiße einen weiteren schlechten Witz, das Hinterhoftor schließt sich mit einem lauten Knall, und mein Tinder-Date verschwindet so hell strahlend in die Nacht wie ein Glühwürmchen zur Paarungszeit.

Ein paar Tage später lade ich Lehrer Louis zu mir nach Hause ein, um das Knutschen zu wiederholen. Doch als wir vor einer Komödie auf meiner Couch liegen, ist die Leichtigkeit, die wir am Wochenende hatten, komplett verflogen und einem komischen Gefühl des Fremdseins gewichen. Wir tauschen keine Zärtlichkeiten aus und küssen uns nicht. Nichts passiert wirklich, außer dass wir uns gegenseitig ein bisschen über den Rücken kraulen und dabei jetzt gemeinsam gähnen, ohne dass es auch nur einer von uns erzwingen müsste. Die Doppelstunde Netflix vergeht so langsam wie früher der Matheunterricht, und so verlässt der Lehrer das Klassenzimmer noch während des Abspanns mit einem halbherzigen Sekundenkuss.

Irritiert gehe ich zum Balkon, zünde mir eine Zigarette an und puste weißen Rauch so dramatisch in die Berliner Nacht, als wäre ein neuer Papst gewählt. Obwohl ich nicht weiß, was ich in meinem Anfall von Gedankentourette über unsere zwei Dates vielleicht verpasst habe, schnappe ich zwischen den Zügen an der Kippe Luft und bin dem Lehrer noch in diesem Moment dankbar. Denn – wie jeder gute Pädagoge hat mir Louis geholfen, etwas zu erkennen, was ich vorher nicht gesehen habe.

Ich weiß jetzt, dass ich das wirklich wieder oder immer noch kann, das mit dem Dating, dem Knutschen und sich auf etwas Einlassen. Dass ich sehr wohl bereit bin. Aber ich weiß auch, dass ich ein bisschen nachsichtig mit mir sein muss. Mein letzter Fahrradunfall – die Trennung vom Iren – liegt schließlich noch nicht so lange zurück. Die Erinnerung an den Schmerz steckt mir noch in den Knochen. Deswegen ziehe auch ich mir jetzt besser ein paar Schützer an auf meiner Gralssuche nach der großen Liebe. Und morgen – morgen steige ich dann zurück aufs Rad. Fahre mit 12 km/h behutsam, aber mit offenen Augen durch Berlin. Trage einen Helm, aber keine Knieschoner, dafür eine Warnweste, auf der in großen Neonbuchstaben »AUF DER SUCHE NACH ROMEO« steht. Ich bin sicher, er wartet schon.

#2 Wie spricht man Männer an?

»Sorry! Aber dann lass uns doch nächstes Wochenende was machen, okay?«

Es ist Freitagabend, ich sitze in der WG-Küche von Toni und Pia und lese Benjamins iMessage, die vor ein paar Minuten im Sperrbildschirm meines Smartphones aufgepoppt ist.

»Klar, alles easy. Wir holen die Drinks am nächsten Wochenende nach«, tippe ich ins iPhone und setze einen zwinkernden Smiley dahinter, obwohl – gerade ist mir so gar nicht nach zwinkern, und in der Realität sehen meine Zwinkerversuche sowieso eher so aus, als würde ich einen epileptischen Anfall haben. Ich hatte mich wirklich auf das Treffen mit Benjamin gefreut, und seine kurzfristige Absage finde ich gerade ehrlich ziemlich beschissen. Trotzdem antworte ich unbekümmert, weil mir Pia noch vor einer halben Stunde genau hier am Küchentisch einen Vortrag darüber gehalten hat, was es zu beachten gibt, wenn man sich wieder ins Dating-Game stürzt.

»Schau dir erst mal an, wen es da draußen so gibt und wer dir richtig gefällt«, hat sie dabei am Anfang ihrer Rede gesagt. »Play the field« im Mittelteil. Und »Wenn du in der Dating-Tombola den Hauptgewinn oder zumindest einen Bären zum Kuscheln ziehen möchtest, musst du beim Schreiben und bei den ersten Treffen schön cool bleiben. Den emotionalen Ballast schmeißt du ihm noch früh genug ins Gesicht« am Ende. Eigentlich mag ich diese erzwungene Lockerheit nicht. Ich weiß gar nicht, ob ich das draufhabe. Das mit der Alles-easy-Attitüde. »Bloß nicht zu früh zu viel Interesse zeigen, das killt die Spannung, das nimmt den Jagdtrieb«, wird einem in Frauenmagazinen geraten. Dabei klingt »zu früh, zu viel« ganz nach meinem Motto, wenn es um die Liebe geht.

Benjamin habe ich zeitgleich mit Lehrer Louis vor vier Wochen bei Tinder gematcht. Seitdem schreiben wir viel über dies und das, schicken uns Selfies und teilen Dinge, die uns am Tag passiert sind. Unsere Kommunikation ist meistens eher belanglos und findet hauptsächlich mit einem Ziel statt: in Kontakt zu sein. Trotzdem hat sie eine Nähe zwischen uns kreiert, als wären wir schon weiter in unserer Beziehung, und das, obwohl ich kaum harte Fakten über ihn kenne. Ich weiß, dass Benjamin Schauspieler ist, dass ihm seine Familie viel bedeutet, und ich bilde mir ein, dass er einen gewissen Altherrencharme besitzt. Nicht im »Ich erkläre dir bei ’nem Korn die Welt und reiße einen rassistischen Witz«-Sinn, sondern dass er Türen aufhält, Stühle zurückzieht und einem subtil andeutet, wenn man Spinat zwischen den Zähnen hat. Ob das wirklich so ist, weiß ich natürlich nicht, und es wird jetzt noch länger dauern, bis ich es herausfinde. Bis vor zehn Minuten wollten Benjamin und ich uns morgen Abend auf ein paar Bier treffen, jetzt schließt er sich kurzfristig Freunden an, die eine Ferienwohnung auf Fehmarn gemietet haben.

»Shit«, denke ich, als ich mich obendrauf an meiner Weißweinschorle verschlucke. Nicht nur wird jetzt eine weitere Woche vergehen, in der wir uns nicht sehen, sondern auch eine, in der ich nicht aus meinem Alltag herauskomme, der sich aktuell in etwa so gestaltet wie der von Senioren im Heim, nur dass Bingo fehlt, was ich persönlich ein bisschen schade finde.

Obwohl das Date natürlich erst mal wichtig ist, damit Benjamin und ich uns live und ohne Filter kennenlernen, ist es auch wichtig für mich – weil ich mich in eine neue Situation mit einem neuen Menschen schmeiße. Solche Situationen, die außerhalb meines engen Freundeskreises, meiner Wohnung und dem Job stattfinden, fallen mir aktuell wieder besonders schwer. Generell habe ich eine ziemlich große Grundangst vor dem schattigen Reich, das außerhalb der Komfortzone liegt, auch wenn mich Internet-Memes immer wieder überzeugen wollen, dass genau dort die tollsten Sachen passieren. Unglaubliches passiert. Der Gedanke, alleine auf eine Party zu gehen, auf der ich bis auf die Gastgeberin niemanden kenne, ängstigt mich aber. Genauso wie der Berlin-Mitte-Laden um die Ecke, der Superfoods wie Chia-Samen, Goji-Beeren und alles mit viel zu viel Avocado verkauft und in dem Frauen und Männer arbeiten, die porenlose Gesichter zu haben scheinen. Danke Simba, aber den Elefantenfriedhof besuchst du lieber ohne mich. Zazu ist raus! Trotzdem muss ich die Angst manchmal überwinden, wenn ich nicht das Gefühl haben will, in meinem eigenen Leben stehenzubleiben, und ein Date, bei dem es die Möglichkeit gibt, den Mann meiner Träume kennenzulernen, scheint mir die beste Gelegenheit dafür.

»Es gibt so wenige Typen, die gut lecken.« Pias neueste Bettgeschichte stoppt mein Gedankenkarussell und schubst mich vom Schimmel an den Küchentisch. »Der Letzte war so schlimm«, lacht sie in die Runde. »Es fühlte sich gerade so an, als hätte er ein Wattepad nass gemacht, um mich damit untenrum abzuschminken. So richtig vorsichtig, damit meine Haut nicht irritiert wird oder gar rötet.«

Solche Geschichten hat Pia immer auf Lager, und jetzt, wo Kim Cattrall weiteren Sex and the City-Filmen eine Absage erteilt hat, bin ich mir sicher, dass sie die Rolle der Samantha übernehmen sollte, wobei sie sich selbst dafür sicher zu cool wäre. Im Gegensatz zu Toni und mir steht aufregender Sex für Pia in den meisten Fällen über Romantik und Altherrencharme.

»Alles gut bei dir?« Toni grinst von der anderen Seite des kleinen IKEA-Tisches.

»Alles prima«, antworte ich und zünde mir etwas trotzig eine Zigarette an. »Alles gut?« – diese Frage nervt mich mittlerweile tatsächlich ein bisschen, weil sie mir in den vergangenen Monaten in jeder Konversation mindestens viermal gestellt wurde. »Alles gut?«, das sollte man mich nach fast sechs Monaten Trennung wirklich nur noch fragen, wenn ich gezwinkert habe und ein epileptischer Anfall befürchtet wird.

»Ich hol uns eine Runde Gin Tonics, yes?«, rufe ich den Mädels euphorisch entgegen, als wir eine Stunde später vor dem DJ-Pult des Bohnengolds in der Reichenberger Straße stehen. Eine halbe Flasche Riesling hat auch meine Stimmung endlich auf Touren gebracht und das Best-of-Album von ABBA meinen Opa-Modus auf Stand-by geschaltet. »Für uns alle besser so«, denke ich. Die Mädels nicken.

Ich streife durch das vernebelte Hinterzimmer, in dem getanzt wird, bis ich am vollen Tresen lande. »Entschuldigung!«, rufe ich dort erst, um die Aufmerksamkeit der Barkeeperin auf mich zu lenken. Dann: »Drei Gin Tonic, bitte!«, ohne Erfolg. Beim dritten Versuch, der jetzt eher ein jämmerliches Betteln und Beweisen ist, dass auch ich ein Mensch bin, der das Bestellte verdient, quetscht sich eine neue Person neben mich, und zwei große Hände stützen sich ab. Mein Blick wandert die linke Hand des Unbekannten, die neben meiner rechten liegt, nach oben und folgt langsam einer herausragenden Ader bis zur Ärmelkante des T-Shirts.

»Oh wow« liegt mir sofort auf den Lippen. Prominente Adern stehen schließlich ganz oben auf der Liste meiner Turn-ons, also dem, was mich bei Männern körperlich anmacht. Gefolgt werden sie von Muttermalen, Bart, am besten viel, dunklen Augen, dicken Augenbrauen, einer Frisur zum Verwuscheln, alternativ geht auch ein militärischer Kurzhaarschnitt, Brustbehaarung, getrimmt, aber auch viel, und einer römischen Nase. Maximus – mit diesem lateinischen Porno-Namen habe ich den Unbekannten in Gedanken bereits getauft – erfüllt alle Kriterien.

Auch die Barkeeperin hat anscheinend ein Auge für Perfektion, und so bestellt Maximus vor allen anderen Wartenden eine Runde Drinks, bezahlt, nimmt die Getränke so gekonnt in seine großen Hände, als hätte er selbst mal als Kellner gearbeitet, wieder »wow«, und stürzt sich zurück in die Rauchwolken, verschwindet, swoosh, weg.

»Was willst du denn?«, fragt die Frau hinter der Bar nach Maximus’ Abgang jetzt auch in meine Richtung. »Ihn«, denke ich und antworte mit erhitzten Wangen, die auf Alarmstufe Rot stehen, und einem Herzschlag, wie ihn Profisportler beim »Auf die Plätze« haben müssen: »3 Gin Tonic, bitte, und … und einen Schnaps.«

Zurück in der ersten Reihe vorm DJ-Pult ist die Stimmung ausgelassen, obwohl das Techno-Set gerade ziemlich zahm vor sich hin dudelt. Im Rausch scheint das die anderen Partygäste aber weniger zu stören. Bei jeder noch so kleinen Variation werfen sie mit Gliedmaßen, Haaren und Kiefern so wild um sich, als fänden hier gerade Auditions für Beyoncés Backgroundtänzerinnen statt. Man nimmt eben, was man kriegt, und macht das Beste draus, und so starten auch Toni, Pia und ich ein Dance-Off, in dem wir abwechselnd zu den schlimmsten Moves aus unseren jeweiligen Repertoires greifen und in der Ausführung irre Grimassen schneiden. Toni versucht sich an Voguing, Pia macht etwas, das bei ihr sexy und einfach aussieht und bei mir hölzern und schwerfällig wirken würde, ich mache themengerecht die »Single Ladies«. Wir nehmen den Wettbewerb ernst. So ernst, dass mein T-Shirt schon nach kürzester Zeit fest an meinem Brustkorb klebt und Schweißperlen über meinen Rücken laufen. Um abzukühlen und auch in der leichten Hoffnung, Maximus wieder anzutreffen, setze ich mich daher erneut in Bewegung. Ich nehme die Treppe in den Keller, die Toni und Pia nur »die Horrortreppe« nennen, weil sie extrem steil und eng ist, und haue mir auf der Toilette des Gewölbes kaltes Wasser ins Gesicht und unter die Achseln.

»Ob Maximus schwul ist?«, frage ich mich beim angetrunkenen Blick in den Spiegel. Oder bi? Ob er mich gesehen hat? Er muss mich ja wahrgenommen haben. Hätte ich ihn ansprechen sollen? Aber was hätte ich dann sagen können? »Hi, ich mag dein Brusthaar«? Wie spricht man Männer überhaupt an? »Play the field«, hatte Pia doch eben noch gesagt. Warum fällt mir das so schwer?

Mein Spiegelbild antwortet nicht, und so biege ich um die Ecke der Toilette und bleibe am unteren Ende der Horrortreppe stehen, um zu checken, ob sie frei ist. Ich schaue nach oben und tatsächlich – Brusthaar, Bizeps, breites Kreuz –, da ist er. Maximus im Schwarzlicht. Und noch im selben Moment fangen meine Wangen Feuer, der Profisportlerherzschlag setzt wieder ein, und mein Kopf schaltet wie automatisch auf Tagtraum. Hauptdarsteller: Maximus.

Im Traum kommt Maximus zügig die Treppe runter, fasst meine Hand und zieht mich wortlos zurück in die Kabine der Toilette. Wie besessen fahren meine Finger sofort von den Sehnen seiner Gelenke über die Adern nach oben, bis meine Nägel in Oberarmmuskeln versinken. Mein Atem wird schwer, der Puls setzt aus. Mit seinen großen Händen umgreift er meine Handgelenke und drückt mich gegen die Kabinentür. So fest, dass ich nicht mehr graben, nicht mehr forschen kann, ich ihm ausgeliefert bin. Dann – dann küsst er mich. Direkt, intensiv, erst ohne Zunge, dann mit und wie. Meine Beine werden Pudding. Ich befreie mich aus der unterwürfigen Stellung und berühre sein hervorstehendes Becken. Erst taste ich es sanft ab, ganz langsam, dann greife ich stärker in seine Hüfte, so, dass ich die Knochen spüre. Ich beiße in sein linkes Ohrläppchen, er dreht mich mit einer ruckartigen Bewegung um, stöhnt »Oh Julius« durch meine verschwitzten Nackenhaare und öffnet die Knöpfe meiner Jeans. Erster Knopf auf. Zweiter Knopf …

»Was stehst du denn so blöd hier rum?«, werde ich durch einen Stoß gegen meine Schulter aus dem Traum gerissen. Irritiert schaue ich in den Flur und sehe nur noch das Kreuz von Maximus, wie er alleine in der Kabine verschwindet, swoosh, weg ist. Fuck!

Meine Beine zittern noch, als ich Toni entdecke, die alleine auf einer Bank am Rand sitzt und mit ihrem Smartphone spielt.

»Hast du Pia verloren?« Ich setze mich zu ihr, gedanklich noch in der Kabine.

Toni schüttelt den Kopf. »Da!« Sie zeigt auf die Tanzfläche, wo Pia inmitten einer Gruppe schöner Südländer mit einem dunkelhaarigen Typen knutscht.

»Ugh, sie kann das irgendwie besser, ihre Träume zur Realität machen«, denke ich und beginne meine Erzählung vom Hauptdarsteller mit dem lateinischen Pornonamen.

»Und du bist dir sicher, dass Maximus echt ist?«, unterbricht mich Toni gegen Ende. »Vielleicht ist der Typ ja nur eine Fata Morgana. Du bist ja gerade schon ziemlich ausgehungert«, lacht sie nach.

»Ach Quatsch«, sage ich voller Überzeugung, und doch zweifle ich jetzt insgeheim einen Moment an mir und meinem Verstand. Habe ich mir Maximus’ Existenz nur eingebildet, weil ich so dringend Nähe brauche? Wirke ich auf Freunde schon so ausgezehrt? Und am schlimmsten: Waren sie etwa doch im Recht, wenn sie mich gefragt haben, ob es mir gut geht, weil sie ahnten, dass ich mir mittlerweile Männer ausdenke?

»Das glaubst du nicht wirklich, oder?«, versuche ich mich bei Toni abzusichern, dass ich doch noch alle Sinne beisammenhabe, alle Tassen im Schrank, gedanklich bereite ich mich aber bereits darauf vor, wie ich mich am Montag selbst in eine Klinik für mentale Gesundheit einweisen werde. Patient auf unbestimmte Zeit.

»Nein, das war doch nur ein Scherz, Julius«, sagt Toni, und wie bei einer Geisterbeschwörung tritt Maximus im selben Moment vor uns aus einer Rauchwolke und bahnt sich den Weg Richtung Ausgang.