Rosefield Academy of Arts – The Promises We Make - Ana Woods - E-Book
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Rosefield Academy of Arts – The Promises We Make E-Book

Ana Woods

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Beschreibung

Manchmal müssen Regeln gebrochen werden, um die Liebe zu finden Als die gewissenhafte Charlotte erfährt, dass dem Jahrgangsbesten ein Praktikum bei einem Modedesigner winkt, stürzt sie sich in die Arbeit. Doch jemand sabotiert sie und stiehlt ihre Arbeitsmittel. Ausgerechnet Regelbrecher Andrew kennt den Täter. Er schlägt Charlotte einen Deal vor: fünf Dates, um ihr zu zeigen, wie schön das Leben ist, wenn man nicht jede Regel befolgt, danach erhält sie den Namen des Rivalen. Sie willigt ein und kann das Knistern zwischen ihnen bald nicht mehr leugnen. Doch Charlotte spielt mit dem Feuer, und plötzlich steht alles auf dem Spiel, wofür sie gekämpft hat. Für alle Fans von Sarah Sprinz' »Dunbridge Academy« und Nikola Hotels »Dark Ivy«! 

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© everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2024

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Playlist

1

Charlotte

2

Drew

3

Charlotte

4

Charlotte

5

Charlotte

6

Drew

7

Charlotte

8

Charlotte

9

Charlotte

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Charlotte

11

Drew

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Charlotte

13

Charlotte

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Charlotte

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Drew

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Charlotte

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Charlotte

18

Charlotte

19

Charlotte

20

Drew

21

Charlotte

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Charlotte

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Drew

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Charlotte

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Charlotte

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Charlotte

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Charlotte

28

Charlotte

29

Drew

30

Charlotte

31

Drew

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Charlotte

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Charlotte

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Charlotte

35

Charlotte

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Drew

37

Charlotte

Epilog

Drew

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für Ivonne

Danke, dass du mich schon seit dem ersten Buch begleitest und meine Book Boys anleckst, lange bevor die anderen es tun können.

Playlist

Hinder – Better than me

Placebo – Every you every me

3 doors down – Here without you

Aerosmith – I don’t want to miss a thing

Death Cab for Cutie – I will follow you into the dark

Forest Blakk – If you love her

Edwin McCain – I’ll be

Alexander Stewart – Knowing you exist

Switchfoot – Learning to breathe

Sam Smith – Make it to me

Rend Collective – My lighthouse

Muse – Neutron star collison (Love is forever)

Florence + the Machine – Never let me go

The Rasmus, Anette Olzon – October & April

Rival, Kadmium, Harley Bird – Seasons

Trading Yesterday – She is the sunlight

The Mitch Hansen Band – Stay with me

Bon Jovi, LeAnn Rimes – Till we ain’t strangers anymore

1

Charlotte

Kreativität ist die wichtigste Ressource der Menschheit, denn ohne sie gäbe es keinen Fortschritt.

Das war einer der Sprüche, die mein Onkel Rupert an der Wand im Flur seines Hauses hängen hatte. Sobald man durch die Tür trat, wurde man von den gerahmten Bildern förmlich erschlagen. Er hatte stets gesagt, er wollte seine Gäste damit motivieren und inspirieren, ihnen die Dinge vor Augen führen, die im Leben wirklich wichtig waren.

Als er und meine Tante Elodie in einem Jahr die Wand umdekoriert und zahlreiche Zitate von Coco Chanel zu Ehren ihres 125. Geburtstages aufgehängt hatten, war es um mich geschehen. Ich hatte jedes Wort aufgesogen und verinnerlicht. Jeden Satz Hunderte Male durchgelesen. Von ihrer raffinierten und zugleich provokanten Art war ich sofort fasziniert.

Nachdem ich mich viele Jahre kreativ ausgetobt und unzählige unterschiedliche Dinge ausprobiert hatte – von Bügelperlen über das Basteln von Dekoration bis hin zu Häkeln –, war es schließlich die Mode gewesen, die mein Herz im Sturm erobert hatte. Es hatte damit begonnen, dass ich Kleidung selbst bemalt, Stoffbeutel mit meinen liebsten Zitaten versehen und bunte Schnürsenkel in meine Schuhe eingefädelt hatte. Seit ich das erste Mal selbst etwas genäht hatte, befand ich mich in einem niemals endenden Rausch. Lange war ich verunsichert gewesen, ob ich daraus wirklich etwas machen konnte, aber es war Onkel Rupert, der mich darin bestärkt hatte, dass ich mit meinem Talent Großes erreichen konnte. Seine Worte hatten mir den entscheidenden Schubs verpasst, der mich hierhergeführt hatte: an die renommierte Rosefield Academy of Arts.

Wie gebannt lauschte ich den Worten von Mr Slater. Er war in diesem Semester mein bisher liebster Dozent, der das Vertiefungsmodul Designwettbewerb unterrichtete. Zwar waren seine Seminare hart, Fehler duldete er nur in Ausnahmefällen, aber er schaffte es durch seine liebenswerte Strenge, das Beste aus jedem Einzelnen von uns herauszukitzeln.

Als wir uns für die Kurse hatten eintragen müssen, wäre ich beinahe zu spät gewesen. Im vierten Semester waren wir verpflichtet, uns für eines von drei Vertiefungsmodulen zu entscheiden. Da an der Rosefield Academy of Arts die Devise galt »wer zuerst kommt, mahlt zuerst«, musste man schnell sein, wenn man seinen Wunschkurs erhalten wollte. Seit ich mir vor zwei Jahren bereits die unterschiedlichen Module des Fachbereichs Fashion Design angesehen hatte, war für mich klar, dass dieses hier mein Vertiefungsmodul sein würde. Dass ich um jeden Preis einen Platz ergattern musste.

Am Tag der Kurszuweisungen hatte mich allerdings das Pech verfolgt. Erst hatte das Schloss unserer Badezimmertür geklemmt, sodass ich nicht rausgekommen war. Aufgrund meiner Klaustrophobie war ich panisch geworden, mein Herz hatte mir bis zum Hals geschlagen, und für einen Moment war ich den Tränen nahe gewesen. Erst dank der besänftigenden Worte von Mila und Hazel, meinen beiden Mitbewohnerinnen, konnte ich die nahende Panikattacke in den Griff bekommen, bevor sie mich überwältigte. Während Mila weiter mit mir gesprochen hatte, war Hazel zu Hausmeister Rowan gerannt, dem es schließlich gelungen war, das Schloss zu öffnen und mich zu befreien. Es hatte einige Minuten gedauert, ehe ich mich insoweit beruhigt hatte, dass meine Beine nicht mehr zitterten und ich mich auf den Weg zur Anmeldung begeben konnte.

Doch der Raum war aufgrund eines Rohrbruchs gesperrt worden, sodass die Kursanmeldung kurzfristig in einen der Hörsäle am anderen Ende des Geländes verlegt wurde. Ich hatte rennen müssen, um rechtzeitig anzukommen. Als wäre das nicht schon schlimm genug, war ich nur die Nummer einundzwanzig auf der Liste gewesen, zwanzig Studenten war jedoch die Obergrenze für einen Kurs an der Rosefield, damit das Potenzial jedes Einzelnen voll ausgeschöpft werden konnte.

Doch meine Pechsträhne fand ihr jähes Ende, als Delilahs Platz frei wurde und ich nachrückte. Sie hatte einen Kurs im dritten Semester nicht bestanden, weshalb sie das Vertiefungsmodul nicht belegen durfte. So hatte ich doch noch meinen Wunschkurs ergattert.

»Ich habe noch eine ganz besondere Überraschung für Sie«, verkündete Mr Slater kurz vor Ende der Stunde. »Wie Sie alle wissen, wird einer von Ihnen einen begehrten Praktikumsplatz erhalten und seine Kollektion für die Abschlussarbeit bei einer Modenschau präsentieren dürfen.«

Aus diesem Grund hatte ich unbedingt in diesen Kurs gewollt. Ich hatte viele Jahre hart gearbeitet, um meine Mode eines Tages mit der ganzen Welt zu teilen. Dieser Praktikumsplatz würde mich der Erfüllung meines Traums ein großes Stück näher bringen. Ich musste als Kursbeste abschließen, damit dieser Platz mir gehörte.

Mr Slater schaute uns nacheinander lächelnd an, seine graublauen Augen schimmerten wie Stahl. »In diesem Jahr handhaben wir das etwas anders. Normalerweise hätten Sie in den kommenden Wochen erfahren, bei wem das Praktikum stattfinden wird. Doch wir haben uns etwas Besonderes überlegt. Es handelt sich um einen weltbekannten Designer, der sich dazu entschieden hat, an der Rosefield vorstellig zu werden und Sie persönlich zu begrüßen. Er wird Ihnen Tipps und Tricks und eine erste Einschätzung zu Ihren Kollektionen geben.«

Bei jedem Wort, das Mr Slater sprach, wurde ich hibbeliger. Meine Sitznachbarin Alana schaute mich mit weit aufgerissenen Augen grinsend an. Sie war ebenso aufgeregt wie ich. Ein weltbekannter Designer? Und dann wollte er auch noch hierherkommen? Das waren unglaubliche Nachrichten!

»Wann wird es so weit sein?«, fragte Jessiah, der auf der anderen Seite des Raumes saß. Er hielt nicht sonderlich viel von der Regel »erst melden, dann sprechen«. Stattdessen störte er gern, indem er einfach reinrief.

Dieses Mal schalt Mr Slater ihn dafür allerdings nicht. »Im Laufe des Semesters. Ein genaues Datum werde ich Ihnen an dieser Stelle nicht nennen. Seien Sie zu jeder Zeit bereit, Ihre bisherigen Entwürfe präsentieren zu können.«

Ein Raunen ging durch das Atelier. Das bedeutete, dass man die Arbeit nicht schleifen lassen durfte. Aber das hatte ich ohnehin nicht vorgehabt. Ich hatte bereits zahlreiche Skizzen angefertigt, mir unterschiedliche Kollektionen überlegt. Es musste etwas sein, das hervorstach. Die Aufgabe bestand darin, aus der Komfortzone auszubrechen und etwas Neues zu kreieren. Eine Herausforderung, die mir im ersten Moment schwergefallen war, da ich am liebsten Kleider und Röcke designte.

Doch die Kollektion sollte aus drei zusammenhängenden Outfits bestehen, für Mann, Frau und Kind. Daher blieb mir gar nichts anderes übrig, als in Sachen Design neue Wege zu gehen. Womöglich konnte ich Mila und Hazel um Rat fragen. Die beiden waren zu engen Freundinnen geworden, besonders seit Hazel vor einem Semester in unser freies Zimmer gezogen war. Sie hatte frischen Wind in unsere Wohnung gebracht, und wir hatten binnen kürzester Zeit so vieles erlebt, das uns zusammengeschweißt hatte. Wenn ich mit jemandem über alles sprechen konnte, dann mit den beiden, was sie auch immer wieder betonten. Zwar fiel es mir noch schwer, mich wirklich zu öffnen, aber ich wurde langsam besser darin. Und vermutlich konnten sie mir aus einem ganz anderen Blickwinkel dabei helfen, die beste Kollektion auszuwählen.

»Wenn Sie sonst keine Fragen haben, würde ich die Stunde für beendet erklären.« Mr Slater ließ den Blick schweifen, doch niemand zeigte auf. »Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Abend. Nutzen Sie die Extraminuten doch, um sich schon mal ein paar Gedanken bezüglich Ihrer Entwürfe zu machen.«

Meine Kommilitonen lachten leise, während sie ihre Sachen zusammenpackten.

»Ist das nicht aufregend?«, fragte Alana und legte sich die Jacke um. »Was denkst du, wer ist der mysteriöse Designer, von dem Mr Slater gesprochen hat?«

»Ich weiß es nicht«, gestand ich.

»Vielleicht Emma Hampton oder Julien Dubois«, überlegte sie weiter. »Hach, es wäre so cool, wäre es Julien Dubois. Schau mal, die Jacke, die ist aus seiner Herbstkollektion vom vorletzten Jahr.« Alana drehte sich mit ausgestreckten Armen um ihre Achse und präsentierte mir das Kleidungsstück. Auf den ersten Blick handelte es sich dabei um einen relativ schlichten Trenchcoat, doch er bestach durch zahlreiche aufgestickte Bilder.

»Sind das Unikate?«, fragte ich sie, als ich die Stickereien näher betrachtete und eine von ihnen vorsichtig mit den Fingern nachzeichnete. Mein Blick fiel auf einen kleinen Schmetterling auf Schulterhöhe. Instinktiv lächelte ich, denn dabei handelte es sich um meine Lieblingstiere neben Marienkäfern.

Alana nickte, wobei ihre braunen Locken hin und her schwangen. Ein Funkeln lag in ihren blauen Augen, als sie breit grinste. »Genau. Jede Jacke hat andere Stickereien, was sie einzigartig macht. Meine Eltern haben sie mir zu Weihnachten geschenkt.«

»Das ist aber ein sehr schönes Geschenk«, sagte ich lächelnd. »Vielleicht hast du ja Glück, und es wird tatsächlich Julien Dubois.« Aber ich glaubte nicht wirklich daran. Ich hatte mir angesehen, bei wem die vergangenen Praktika angeboten wurden, und es waren jedes Jahr italienische Designer gewesen. Daher vermutete ich, dass es dieses Mal nicht anders sein würde. Doch die Auswahl war so groß, dass ich keine konkrete Vermutung hatte, was es noch spannender machte.

»Hoffentlich«, sagte Alana. »Nun muss ich aber schnell los. Wir sehen uns am Donnerstag.«

Ich winkte zum Abschied und packte meine Sachen ordentlich in meine beige Vintage-Umhängetasche, mit der ich mich zum Studienbeginn selbst beschenkt hatte. Als ich den Kursraum verlassen wollte, warf ich einen letzten Blick über meine Schulter, um sicherzugehen, nichts vergessen zu haben. Doch als ich mich umdrehte, stand Benedict vor mir.

Seit Wochen versuchte er mich nach dem Unterricht abzufangen. Ein Nein akzeptierte er genauso wenig wie meine Grenzen. Wir waren zusammen zum Winterball gegangen, aber er hatte kein ehrliches Interesse an mir, sondern bloß mit seinen Freunden gewettet, ob er mich ins Bett kriegen konnte. Ich war wütend und verletzt, weshalb ich nicht mit ihm sprechen wollte, aber das war ihm egal, denn er versuchte es trotzdem immer wieder.

»Charlotte, können wir reden?« Seine Stimme klang zwar freundlich, aber darauf fiel ich kein zweites Mal herein. Daher schüttelte ich den Kopf und trat zurück.

»Nein, ich muss los«, entgegnete ich so ruhig wie möglich und wollte zur Tür raus. Aber Benedict griff so unverhofft nach meinem Handgelenk und drehte mich wieder zu sich, dass mein Puls in die Höhe schoss. Aus Reflex stieß ich ihm mit der freien Hand gegen die Brust, um mich aus seinem Griff zu lösen. Benedict taumelte einige Schritte zurück, seine Freunde hinter ihm lachten leise.

Entsetzt und verärgert zugleich schaute er mich an. Das Blau seiner Augen wirkte dadurch wie bedrohlich funkelnde Eisgeschosse. »Was soll das? Ich wollte doch nur mit dir reden!« Der herbe Geruch seines überteuerten Aftershaves stieg mir in die Nase.

»Und ich habe Nein gesagt. Du kannst mich nicht einfach so grob packen, Benedict!« Wann immer ich aufgeregt war, klang meine Stimme eine Oktave höher, so auch jetzt.

Die Jungs hinter Benedict prusteten weiterhin. Es handelte sich um eine eingeschworene Gruppe, bestehend aus Jessiah, Calvin und Kieran. Mit ihnen hatte er die Wette abgeschlossen, was ich nur dadurch erfahren hatte, weil sie – wie auch jetzt gerade – über ihn gelacht hatten, als ich ihn in jener Nacht von mir gestoßen hatte. Mit anderen Worten handelte es sich bei ihnen um Menschen, mit denen ich nichts zu tun haben wollte. Wer andere so abschätzig behandelte, gehörte nicht in mein Leben.

Benedicts Wangen nahmen eine dunkelrote Farbe an. Er war nicht nur wütend, sondern es war ihm sichtlich unangenehm, bloßgestellt worden zu sein. Normalerweise hätte das mein Mitgefühl geweckt, aber ich stand immer noch unter Schock, rieb mir über das leicht schmerzende Handgelenk. Alles, was ich wollte, war, die Flucht zu ergreifen.

»Schönen Abend noch«, sagte ich daher, drehte mich um und verschwand mit angezogenem Tempo aus dem Gebäude. Je weiter ich ging, desto mehr beruhigte sich mein schneller Herzschlag.

Solche Situationen mochte ich nicht. Normalerweise versuchte ich, mit jedem auszukommen, Streitigkeiten aus dem Weg zu gehen und anderen auf Augenhöhe zu begegnen. Ich war als Streitschlichterin bekannt und nicht als jemand, die provozierte. Viele hielten mich deshalb für eine Spaßbremse. Aber ich wusste nicht, was so verkehrt daran sein sollte, Frieden Auseinandersetzungen vorzuziehen.

Ich atmete tief durch und folgte dem Pfad Richtung Wohnheim. Es war selbst für Ende Februar kalt, eine hauchdünne Schneedecke verhüllte die Erde. Bei jedem Schritt knirschte es unter den Sohlen meiner dunkelbraunen Stiefel. Trotz der Kälte lächelte ich. Ich liebte Schnee, leider schneite es in England viel zu selten, und ich war bisher nur einmal mit einigen Freunden aus der Sekundarstufe in den Urlaub nach Finnland geflogen. Die atemberaubenden Landschaften würde ich nie vergessen. Wie die Sonne auf die schneebedeckten Felder fiel, sie zum Glitzern brachte wie Abertausende Diamanten. Es war ein Anblick, der sich mir ins Gedächtnis gebrannt hatte und eine der schönsten Erinnerungen der letzten Jahre war. Vielleicht würde ich mir nach meinem Abschluss eine kleine Auszeit gönnen? Ein wenig reisen, bevor ich ins Berufsleben startete. Doch erst musste ich mein Studium beenden, und das möglichst als Jahrgangsbeste. Angefangen mit dem Kurs bei Mr Slater.

Als meine Gedanken zurück zu meinen denkbaren Kollektionen drifteten, zog ich das Tempo weiter an. Ich konnte es kaum erwarten, endlich wieder an meinen Skizzen zu arbeiten und Mr Slater und den Designer vollends von meinem Können und Talent zu überzeugen.

Ich trat durch die Tür ins Wohnheim B. Wie eine wärmende Decke legte sich die angenehme Luft des Inneren über mich. Unsere Wohneinheit befand sich in der zweiten Etage. Kaum hatte ich die Tür geöffnet, hörte ich Mila und Hazel bereits grölen. Sicherlich saßen sie im Wohnzimmer und zockten ein Videospiel.

Anfangs, als ich nach Rosefield gekommen war, hätte ich wohl nie damit gerechnet, mich für Videospiele begeistern zu können. Das war nichts, was ich in der Vergangenheit ausprobiert hatte. Aber Mila war ein großer Fan von unterschiedlichen Konsolen, die sie alle mit an die Uni gebracht hatte. Es hatte sie zwar einiges an Überzeugungskraft gekostet, schlussendlich war es ihr aber gelungen, mich ebenfalls zum Zocken zu bringen. Und es hatte mir sogar so viel Spaß gemacht, dass ich unsere Spieleabende mittlerweile kaum erwarten konnte. Aber jetzt im vierten Semester des Studiums fehlte aufgrund des immensen Arbeitspensums oft die Zeit dafür.

Ich hing den Mantel an die Garderobe und strich mein hochtailliertes lila Kleid glatt. Es war eines der ersten, die ich selbst entworfen hatte. Ich war unfassbar stolz auf diese Arbeit, wenngleich ich sie heute etwas anders angehen würde. Ungeachtet dessen handelte es sich um eines meiner Lieblingskleider, das ich auf ewig in Ehren halten würde.

»Du hast doch geschummelt!«, rief Mila und warf eine Handvoll Popcorn in Hazels Richtung, die es nicht schaffte, rechtzeitig auszuweichen.

Mit einem angewiderten Gesichtsausdruck, bei dem sie die Nase krauszog, zupfte sie sich die Krümel aus den schulterlangen braunen Haaren. »Du solltest vielleicht einfach einsehen, dass du nicht in jedem Spiel die Beste bist.«

»Blödsinn!« Mila warf eine weitere Handvoll.

Seufzend verschränkte ich die Arme vor der Brust und blieb im Türrahmen zum Wohnzimmer stehen. »Ich hoffe sehr, dass du vorhast, nachher selbst aufzuräumen.«

Mila verdrehte die Augen. »Jaha«, sagte sie lang gezogen und lehnte sich im Couchkissen zurück. Ich hatte nichts dagegen, unser Apartment auf Vordermann zu bringen. Beim Erledigen des Haushalts konnte ich über vieles nachdenken, gedanklich meine To-dos durchgehen und mir Pläne erstellen. Trotzdem mochte ich es nicht, wenn absichtlich Unordnung veranstaltet und anschließend nicht aufgeräumt wurde. Und Mila war nicht unbedingt von der ordentlichsten Sorte.

»Gut. Was spielt ihr?« Ich trat ins Wohnzimmer und setzte mich einen Moment auf die Couchlehne. Meine Tasche stellte ich auf den Boden.

»Street Fighter. Und wieder kommt Mila nicht damit klar, dass ich sie besiegt habe«, sagte Hazel neckisch, während sie sich noch ein paar Popcornstückchen aus den Haaren zog.

»Weil du schummelst«, wiederholte Mila.

Stöhnend schüttelte Hazel den Kopf. Ich kam nicht umhin zu lächeln. Es machte mich glücklich, die beiden als Mitbewohnerinnen zu haben. Sie brachten Leben in die Wohnung. Etwas, von dem ich nie gewusst hatte, dass es mir gefehlt hatte.

»Wie wär’s, wenn Charlotte dir zeigt, wo der Hammer hängt? Dann weißt du mit Sicherheit, dass du einfach nur schlecht bist.« Hazel grinste breit, dann wackelte sie mit den Augenbrauen und hielt mir den Controller vor die Nase.

»Ich habe noch zu tun«, sagte ich und presste entschuldigend die Lippen aufeinander.

Mila schnappte empört auf. »Es ist nach 20 Uhr. Gönn dir doch mal eine Pause.«

Im Grunde wusste ich, dass sie recht hatte. Es war das erste Semester, in dem es überhaupt einen so späten Kurs gab. Normalerweise ging der Unterricht bis höchstens 18 Uhr, aber das Vertiefungsmodul Designwettbewerb bestand aus zehn Semesterwochenstunden, weshalb es keine andere Möglichkeit gab, um Kursüberschneidungen zu vermeiden.

Hazel schob schmollend die Unterlippe vor und klimperte mit den Wimpern. Dabei riss sie die grünbraunen Kulleraugen so weit wie möglich auf. »Bitte.«

Ich holte tief Luft und seufze. »Überredet. Aber lasst mich zuerst auspacken.«

»Alles klar. In der Zwischenzeit beweise ich dir, dass du schummelst«, sagte Mila an Hazel gewandt.

Ich stützte mich von der Couchlehne ab und steuerte mein Zimmer an, da waren die beiden schon in der nächsten Runde Street Fighter vertieft.

Ich stellte die Tasche auf den Stuhl vor meinem Sekretär und öffnete sie. Dabei glitt mein Blick einen Moment über mein Handgelenk, an dem Benedict mich eben noch gepackt hatte. Er hatte mir damit einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Bisher war es nur dabei geblieben, dass er mich nach dem Unterricht sprechen wollte. Heute war das erste Mal, dass er nach mir gegriffen hatte, und es gefiel mir nicht. Ein mulmiges Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit, doch ich schluckte es hinunter. Wenn ich an eines jetzt nicht denken wollte, dann an Benedict.

Also lenkte ich den Fokus zurück auf meine Tasche. Das Innere bestand aus mehreren Fächern, in die ich unterschiedliche Arbeitsmittel verstaute. Im hintersten befanden sich meine fein säuberlich beschrifteten Ordner, in das mittlere Fach sortierte ich Stoffproben und Skizzen und ganz vorne neben meiner Trinkflasche noch die Schneider-Utensilien.

Nacheinander holte ich alles heraus und legte es an seinen Platz. Als ich meine Stoffproben aus der Tasche holen und verräumen wollte, hielt ich inne. Stirnrunzelnd schaute ich hinein.

»Das kann doch nicht sein«, murmelte ich zu mir selbst. Es befanden sich lediglich meine Skizzen darin. Von den Proben, die ich vorhin mit in den Kurs genommen hatte, fehlte jede Spur.

Um auf Nummer sicher zu gehen, schaute ich noch mal in den anderen beiden Fächern nach und warf ebenfalls einen Blick in die Schublade, aber nein. Die Proben waren weg. Es sah mir nicht ähnlich, meine Arbeitsmittel zu verlegen. Ich achtete penibel darauf, dass alles stets an seinem Platz war, damit ich nie lange nach etwas suchen musste.

Gedanklich ging ich jeden Schritt durch, den ich heute getan hatte. Nachdem Mr Slater uns von der Überraschung erzählt hatte, hatte ich alles eingepackt. Oder war ich von Alana doch zu abgelenkt gewesen? Ich hatte noch mal nachsehen wollen, ob ich nichts vergessen hatte, aber in dem Moment wurde ich von Benedict aufgehalten. Womöglich war ich heute doch bloß etwas neben der Spur. Um diese Uhrzeit waren die Kursräume abgeschlossen, also konnte ich jetzt nicht nachsehen gehen. Gleich morgen früh würde ich das in Angriff nehmen.

Aber nun würde ich den Abend erst mal mit meinen Freundinnen ausklingen lassen.

2

Drew

Die Brauen meines Vaters waren zusammengezogen. Er war schon oft wütend auf mich gewesen. Dieses Mal hatte ich den Bogen aber endgültig überspannt, wie er mir in den letzten Wochen mehrfach mitgeteilt hatte.

»Das hier wird dein Zimmer«, sagte er und schloss eine Tür im Keller des Hauptgebäudes auf. Eigentlich dachte ich, er wollte mir hier eine Kammer zeigen, in der Putzkram aufbewahrt wurde, aber Fehlanzeige. Zum Vorschein kam ein Raum, der an eine Gefängniszelle erinnerte. Ein kleines Metallbett, Schreibtisch, Schrank und ein winziges Bad. Wobei Bad zu viel des Guten war. Es war nichts weiter als eine Dusche direkt neben einer Toilette, über der ein Waschbecken befestigt war.

»Ich hoffe, du willst mich verarschen?!«

»Nicht in diesem Ton!«, entgegnete mein Vater wütend.

»Ich scheiß auf meinen Ton. Du kannst mich doch nicht in so eine Zelle sperren. Auch wenn es dir nicht passt, ich bin immer noch dein Sohn!«

»Und ich dein Vater. Ich kann und ich werde dich hier einquartieren. Oder was glaubst du? Dass ich deinen luxuriösen Lebensstil weiter finanziere? Oder dass du nach der Aktion bei uns wohnen und deinen Bruder auch noch verkorksen kannst? Mehr als einen von deiner Sorte brauchen wir nicht in unserer Familie.«

Ich ballte die Hände zu Fäusten und biss die Zähne fest zusammen. Ich musste mich selbst ermahnen, tief durchzuatmen und die Fassung zu wahren. Würde ich jetzt explodieren, irgendeinen Fehler begehen, würde ich ihm nur beweisen, dass er recht hatte.

Nichtsdestotrotz waren seine Worte messerscharf. Niemals würde ich Cody etwas antun. Ich liebte meinen kleinen Bruder. Er war der einzige Mensch in dieser beschissenen Familie, der mich nicht wie Abschaum behandelte. Nein, stattdessen sah er zu mir auf. Dass Dad so von mir dachte, war ätzend. Aber was erwartete ich schon? Er hatte mich noch nie anders behandelt und würde jetzt sicher nicht damit anfangen. Vor allem nicht, nachdem er meinen Arsch aus dem Gefängnis geholt hatte.

Anstatt etwas zu erwidern, nickte ich bloß und entspannte meine Haltung. Dann warf ich meine Umhängetasche auf das sogenannte Bett und lehnte mich gegen den Schreibtisch.

»Morgen wird Rowan dich weiter herumführen und dich mit deinen Aufgaben vertraut machen. Tu mir den Gefallen und diskutiere nicht mit ihm, sondern mach einfach ausnahmsweise das, was man dir sagt. Mittwochs ist dein freier Tag, es sei denn, Rowan und du trefft eine andere Vereinbarung. Du kannst in der Kantine essen. Nachtruhe beginnt um zehn. Alkohol ist strengstens verboten.« Er fing meinen Blick auf. »Hast du mich verstanden?«

»Ja«, entgegnete ich zähneknirschend.

Dad nickte. »Gut. Dann lass ich dich jetzt erst einmal ankommen.« Er drehte sich um und trat aus der Tür, die er lautstark hinter sich zuzog.

Ich wartete einen Moment, dann schlug ich mit all meiner Kraft in das Kissen, aus dem sofort einige Federn rieselten. Fuck!

Ich hasste diesen Ort. Ich hasste diese Academy. Ich hasste dieses Drecksloch von Zimmer, in das man mich gesperrt hatte.

Es machte mich verdammt wütend, hier sein zu müssen. Und das nur, damit Dad ein Auge auf mich haben konnte. Damit er sichergehen konnte, dass ich keinen Blödsinn machte, wie er es nannte. Nein, eigentlich hatte er es anders genannt.

Damit ich sichergehen kann, dass du den guten Ruf unserer Familie nicht weiter mit Füßen trittst. Das waren seine Worte gewesen. Heute früh, als er mich zur Academy gefahren hatte.

Eigentlich sollte es mich verletzen, dass mein eigener Vater in mir nichts weiter als eine Enttäuschung sah. Aber unser Verhältnis zueinander war absolut beschissen. Wann immer wir uns sahen, schlugen wir uns nur die Köpfe ein. Jedes Gespräch, das wir zu führen versuchten, eskalierte zu einem Streit. Dad und ich hatten nichts gemeinsam. Das Einzige, das wir teilten, war die Hälfte unserer DNA. Und das hatte ich mir nicht ausgesucht.

Ich warf mich auf die Matratze. Die alten Federn bohrten sich in meinen Rücken. Die Rosefield Academy of Arts war eine scheißteure Eliteuni, und ich wurde in dieses Loch verfrachtet. Na, schönen Dank! Aber was hatte ich auch anderes erwartet?

Am liebsten hätte ich einen Abflug gemacht, wären da nicht diese verdammten Sozialstunden, die mir der Haftrichter aufgebrummt hatte. Die ich wohlgemerkt lieber abgeleistet hätte, indem ich mit bloßen Händen Müll von der Straße sammelte. Aber nein, ich war hier und sollte irgendwelchen elitären Fuzzis hinterherräumen. Fehlte nur, dass ich ihnen auch noch den Arsch abwischen sollte. Und so wie ich Dad kannte …

Ich verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke, von der die Farbe bereits abplatzte. Die Luft hier drin war stickig, es roch muffig, und lediglich ein schmales Fenster direkt zwischen oberer Wand und Decke ließ ein wenig spärliches Tageslicht hinein. Womit hatte ich das verdient?

Dad behandelte mich wie einen Schwerverbrecher. Ja, ich war kurzzeitig in Haft gewesen. Aber nur wegen Vandalismus. Ich hatte mit ein paar Kumpels ein Denkmal beschmiert, war erwischt und aufs Revier gebracht worden. Nun, nicht ohne zu rebellieren und einem Beamten versehentlich den Ellenbogen in die Rippen zu rammen, aber ich war nun mal sturzbesoffen gewesen. Das konnte er mir nicht zum Vorwurf machen. Wobei, dass ich hier war, war der lebende Beweis dafür, dass er es doch konnte. Denn es war Dad gewesen, der seine Verbindungen hatte spielen lassen, damit ich meine Sozialstunden an der Academy ableisten konnte. Nein, sollte. Dreihundert Stunden in zwölfeinhalb Wochen. Mich einfach in den Knast zu werfen, wäre gnädiger gewesen.

Ich holte mein Handy aus der Hosentasche und warf einen Blick darauf. Kein Empfang. Echt jetzt? Nicht nur zwang Dad mich, an diesem beschissenen Ort zu sein, jetzt hatte er mich ernsthaft in einer Vorhölle ohne Handyempfang einquartiert? Ich war mir sicher, dass das pure Absicht war.

Ich mochte mich wiederholen, aber ich hasste es hier. Und zwar alles daran.

Kein Plan, wie ich es die nächsten Wochen und Monate in einem Keller ohne Handyempfang aushalten sollte, an einem Ort voller Snobs und einer Arbeit, auf die ich keinen Bock hatte. Selbst an die Uni wäre ich gerade lieber gegangen, aber zum Leidwesen meines Dads hatte mein kleiner Ausflug in den Knast dafür gesorgt, dass ich umgehend exmatrikuliert wurde. Mir war das ziemlich egal, da ich ohnehin nie studieren wollte. Dad war allerdings in die Luft gegangen und hatte mir eine seiner berühmten Moralpredigten gehalten, die ich nur mit halbem Ohr über mich hatte ergehen lassen.

Nun, da ich gezwungenermaßen hier an der Rosefield war, musste ich mir irgendetwas suchen, das mir meinen Aufenthalt angenehmer machte. Etwas, für das sich das Aufstehen lohnte. Nur was das war, würde sich erst noch zeigen müssen. Ich brauchte Action, eine Herausforderung. Darüber würde ich mir in den nächsten Tagen Gedanken machen.

Natürlich hätte ich auch meine Siebensachen packen und einfach abhauen können. Ich war dreiundzwanzig, Dad konnte mir nichts mehr vorschreiben. Aber er hatte mir ziemlich unmissverständlich klargemacht, welche Konsequenzen es haben würde, sollte ich mich vom Acker machen.

Denn Dad konnte mich zwar nicht herumkommandieren, aber er konnte mir den Umgang mit Cody verbieten, und davor würde er nicht zurückschrecken, das war mir klar. Aber der Kleine war alles für mich. Für ihn musste ich mich hier durchboxen, ob ich Bock darauf hatte oder nicht.

Die Sozialstunden ableisten, mir nichts zuschulden kommen lassen. Das waren die Bedingungen, damit ich Cody weiterhin sehen durfte. Ganz schön hart. Aber mir blieb keine Wahl. Wollte ich meinen kleinen Bruder nicht verlieren, musste ich dieses eine gottverdammte Mal auf Dad hören.

Seufzend schwang ich die Beine wieder aus dem Bett und widmete mich der Sporttasche, in der sich mein Zeug befand.

Ich stopfte meine Sachen in den Schrank, schloss die Powerbank an den Strom und schlüpfte aus den Klamotten. In dem kleinen Bad konnte ich mich kaum um meine eigene Achse drehen. Der Vorleger hatte schon bessere Tage gesehen, und generell waren die Sanitäranlagen nicht unbedingt im besten Zustand.

Allmählich hatte ich das Gefühl, dass Dad es wirklich darauf angelegt hatte, mir den Aufenthalt hier so ungemütlich wie möglich zu machen. Ja, natürlich. Mir kamen seine Worte von eben wieder in den Sinn. Von wegen, dass er nicht vorhatte, mir weiterhin meinen luxuriösen Lebensstil zu finanzieren. Keine Ahnung, was er dachte, wofür ich Geld aus dem Fenster warf, Luxus sah definitiv anders aus.

Bis vor Kurzem hatte ich noch im Wohnheim auf dem Campus der Aston University in Birmingham gelebt, mir die Bude mit vier Chaoten geteilt, die den ganzen Tag Gras geraucht und gefeiert hatten. In Dads Vorstellung war ich vermutlich genauso drauf, aber ich hatte die meiste meiner freien Zeit damit verbracht, an meinem Motorrad herumzuschrauben. Warum ich so fixiert auf meine Maschine war, hatte Dad nie verstanden. So wie so vieles aus meinem Leben nicht.

Der einzige Grund, aus dem ich mich überhaupt für Wirtschaftswissenschaften eingeschrieben hatte, war der, dass Mum es sich für mich gewünscht hatte. Sie wollte, dass ich etwas aus mir machte. In erster Linie hatte sie gewollt, dass ich glücklich war, aber der Zug war längst abgefahren.

Kopfschüttelnd sprang ich unter die Dusche. Es war ein langer Tag gewesen, und dieser Rowan würde mich um sechs aus dem Bett scheuchen. Viel zu früh – er würde also definitiv keinen Spaß mit mir haben, aber darum ging es auch gar nicht. Die Sozialstunden ableisten, sich nichts zuschulden kommen lassen, diesen Ort schleunigst wieder verlassen.

An nichts anderes dachte ich, als ich mich wenig später wieder auf die beschissene Matratze warf und versuchte, zur Ruhe zu kommen.

3

Charlotte

»Wie war deine Probe?«, fragte ich interessiert.

Seufzend lehnte Hazel sich auf ihrem Stuhl zurück. »Das ist irgendwie nichts für mich. Ich arbeite einfach am besten allein.«

»Oder mit mir.« Tristan legte ihr einen Arm um die Schultern, zog sie an sich und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Hazel verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Die beiden waren ein tolles Paar. Ich war froh, dass sie nach all den Schwierigkeiten doch noch zueinandergefunden hatten.

Sie hatten sich im vergangenen Semester im Kompositionskurs kennengelernt und gemeinsam die Machenschaften der geheimen Studentenverbindung Prophets aufgedeckt. Hazel war an die Rosefield gekommen, um den Tod ihrer Schwester aufzuklären, die vor vier Jahren bei einem mysteriösen Unfall ums Leben gekommen war. Es hatte sich herausgestellt, dass die Aufnahmeprüfung dieser Verbindung schiefgelaufen war und ihren Tod zu verantworten hatte. In jener unheilvollen Nacht war auch Tristans Cousine Lynn dabei gewesen und hatte ihre Fähigkeit zu gehen verloren.

Gemeinsam hatten Tristan und Hazel die Verbindung auffliegen lassen. Ihre Beziehung hatte zwar weiterhin einige Hürden zu überwinden, aber diese Ereignisse hatten sie zusammengeschweißt und sie stärker gemacht.

Es gab Momente, in denen ich mir wünschte, so etwas auch zu haben. Ich war zwar gern für mich, vor allem, weil ich ohnehin viel zu tun hatte, doch eine Schulter zum Anlehnen stellte ich mir schön vor. Meine letzten beiden Beziehungen lagen bereits einige Jahre zurück und hatten nur wenige Monate gehalten. Ich hatte die Zeit genossen, aber Grayson und Noah waren beide ungeduldige Menschen gewesen. Nicht im körperlichen Sinn, doch sie konnten nicht akzeptieren, dass ich nicht alles von mir preisgab. Ich brauchte länger, um mich einer Person vollkommen zu öffnen. Und wer das nicht respektieren konnte, war der falsche Partner für mich. Vor allem dann, wenn man mich weiter bedrängte und respektlos wurde, wenn ich nicht klein beigab.

»Vielleicht gewöhnst du dich noch daran«, entgegnete ich und konzentrierte mich wieder auf Hazel und Tristan. »Die wievielte Probe war es?«

»Die dritte.«

»Dann wirst du sicher in ein paar Wochen ganz anderer Meinung sein, davon bin ich überzeugt«, sprach ich Hazel Mut zu. Sie war eine fantastische Pianistin. Das Stück, das Tristan und sie für die Abschlussprüfung komponiert hatten, war unglaublich bewegend gewesen.

»Vielleicht hast du recht«, sagte sie und schob sich eine der Pommes von ihrem Teller in den Mund.

»Wollen wir uns nachher noch einen Film ansehen?«, fragte Tristan nach einer Weile. »Du bist natürlich auch herzlich eingeladen«, wandte er sich dann lächelnd an mich. Die kleinen Grübchen in seinen Wangen ließen ihn jünger aussehen, als er war.

Ich schüttelte den Kopf. »Das ist lieb, aber ich habe noch Unterricht und ein paar Hausaufgaben zu erledigen.«

»Schade, aber klar. Vielleicht ein anderes Mal.«

Kurz darauf waren Hazel und Tristan wieder in einer angeregten Unterhaltung vertieft. Währenddessen aß ich die letzten Bissen der Portion Fish and Chips und packte meine Sachen zusammen. Gleich hatte ich Modefotografie, einen der Kurse meines Vertiefungsmoduls. Da wir noch keine fertigen Kollektionen entwickelt hatten, beschränkte sich das Seminar aktuell auf den theoretischen Teil. Momentan lernten wir die Grundlagen zum Thema Differenzierung zwischen Fotografieren im Studio oder einer Location und welche Unterschiede man bei Print- und Online-Medien beachten musste. Ein trockenes Thema, das viele meiner Kommilitonen gähnend langweilig fanden, ich aber nicht.

Im Grunde liebte ich alles an dem Studium. Es war zwar hart und die Konkurrenz enorm, aber ich hätte nie damit gerechnet, mir so viel neues Wissen anzueignen und über mich hinauszuwachsen. Ich hatte in den letzten Semestern gelernt, Kleider zu designen, die ich nie für möglich gehalten hatte. Schon allein dafür war ich dankbar. Dass ich jetzt noch Kleidung in eine komplett andere Richtung entwerfen sollte, indem ich aus meiner Komfortzone ausbrach, war ein großer Schritt, auf den ich mich schon sehr freute.

Würde ich jetzt als Jahrgangsbeste den Kurs abschließen und meine Kollektion präsentieren dürfen, hätte ich fast alles erreicht, was ich mir jemals erträumt hatte. Deshalb musste ich mich unbedingt in den Kurs hineinknien und härter arbeiten als je zuvor. Denn ich war nicht die Einzige, die es sich fest vorgenommen hatte, die Beste zu sein.

Im vierten Semester lag kaum noch jemand auf der faulen Haut. Gerade in diesem Modul wollte es jeder von uns zu etwas bringen. So viel Konkurrenz hatte ich selten gehabt, trotzdem war ich optimistisch, dass ich es schaffen konnte.

»Ich gehe schon mal los, damit ich nicht zu spät zum Unterricht komme.«

»Alles klar. Wir sehen uns heute Abend«, entgegnete Hazel, sie und Tristan winkten zum Abschied.

Normalerweise hätte auch Mila mit uns gegessen, aber sie lag mit einer verschnupften Nase im Bett. Nach meinem Kurs wollte ich ihr eine köstliche Gemüsesuppe zubereiten. Ich liebte Mila, aber bereits ein leichter Schnupfen verwandelte sie in ein weinerliches Häufchen Elend. Daher war es zwingend notwendig, dass sie schnell wieder gesund wurde.

Da ich doch früher dran war als gedacht, schlenderte ich über den Vorplatz der Universität. Zu dieser Jahreszeit waren die Springbrunnen noch abgeschaltet, die den Mittelweg rechts und links flankierten. Auch waren nur wenige Studenten draußen unterwegs. Die meisten saßen in der Kantine oder suchten woanders Schutz vor der Kälte. Ich aber genoss gerade die frische Luft, außerdem lag der Frühling nicht mehr in allzu weiter Ferne, es würde also schon bald wärmer werden.

Anschließend lief ich einen der zahlreichen verschlungenen Pfade zwischen den Gebäuden entlang. Das weitläufige Gelände der Rosefield Academy of Arts war einer der Gründe, warum ich unbedingt hier studieren wollte. Natürlich handelte es sich ebenfalls um eine der renommiertesten Akademien der Künste, aber davon gab es einige, nicht nur in Großbritannien, sondern überall auf der Welt. Doch Rosefield verströmte seinen ganz eigenen Charme. Die barocke und gotische Architektur war atemberaubend schön und lud dazu ein, jeden Millimeter des Gebäudes erkunden zu wollen. Die unterschiedlichen, ineinander übergehenden Gärten, die nicht nur heimische, sondern Pflanzen aus aller Welt beherbergten, hatten schon oft dafür gesorgt, dass ich den Kopf nach einigen stressigen Prüfungswochen freibekommen hatte. Und dann war da noch die Lage inmitten der Lincolnshire Wolds – eine Hügellandschaft mit tiefeingeschnittenen Tälern, plätschernden Bächen und einem kleinen Wald, der an die Academy grenzte. Es war die optimale Lernatmosphäre.

Viele andere Universitäten lagen direkt in der Stadt, wodurch sie zwar eine gute Verkehrsanbindung hatten, aber zu viele Menschen waren für mich eine Ablenkung. Ich benötigte Ruhe. Und dafür war die Rosefield einfach der perfekte Kandidat. Meine Eltern hätten mich zwar lieber in den USA an einem der Ivy League Colleges gesehen, aber das war nicht meine Welt. Und es war mir auch egal, was sie wollten. Ich lebte mein Leben nach meinen eigenen Vorstellungen.

Außerdem hing mein Herz an England, und nirgendwo sonst hätte ich so wundervolle Freundinnen wie Mila und Hazel gefunden. Wir kannten uns zwar noch nicht lange, aber die beiden waren schnell zu einem wichtigen Bestandteil meines Lebens geworden. Ich hatte keine Ahnung, was ich ohne sie tun würde, und hoffte, dass unsere Freundschaft auch nach Ende des Studiums Bestand hatte.

Natürlich war mir bewusst, dass es eine Herausforderung war, Freundschaften zu pflegen, wenn man getrennte Wege ging. Die Sekundarschule und Sixth Form waren der Beweis dafür gewesen. In den ersten Wochen hatten meine Freundinnen und ich noch versucht, uns regelmäßig zu treffen. Aber dieser Kontakt war schnell abgeflacht, wurde weniger, bis er schlussendlich ganz aufgehört hatte. Das wollte ich mit Mila und Hazel nicht noch mal durchmachen.

Als ich schließlich wieder mein Gebäude ansteuerte, stieg mir ein ekliger Geruch in die Nase. Hustend wedelte ich vor meinem Gesicht herum. Ich war mitten in eine Rauchwolke gelaufen. Um die Ecke sah ich einen Jungen gegen die Wand gelehnt dastehen. In der Hand eine Zigarette, von der er gerade einen kräftigen Zug nahm. Den Rauch versuchte er in kleinen Kringeln auszupusten, aber sie wurden sofort vom Wind davon – und genau in meine Richtung getragen. Erneut bekam ich einen Hustenanfall, woraufhin der Junge den Kopf hob und mich anschaute.

»Willst du auch eine?«, fragte er lässig.

Es dauerte einen Moment, ehe ich verstand, dass er damit eine Zigarette meinte. Vehement schüttelte ich den Kopf. »Rauchen ist auf dem Universitätsgelände verboten.«

»Das war nicht die Frage.« Ein verschmitztes Lächeln zeichnete sich auf seinem markanten Gesicht ab, das ich nun näher betrachtete. Seine dunklen Haare waren kurz, gerade lang genug, um mit den Fingern hindurchzufahren. Seine grünen Augen blitzten auf eine gefährliche, raubtierhafte Weise auf. Die freie Hand hatte er in der Hosentasche seiner Jeans vergraben.

Eigentlich hatte ich geglaubt, jedes Gesicht an der Rosefield zumindest vom Sehen her zu kennen. Das Gelände war überschaubar, genauso wie die Anzahl der Studenten. Aber mein Gegenüber hatte ich hier definitiv noch nie gesehen.

»Nein, ich möchte keine Zigarette und würde dich bitten, deine auszumachen«, beantwortete ich schließlich seine Frage.

Überraschenderweise fing der Junge an zu lachen. Dann stieß er sich von dem Gebäude ab und kam auf mich zu. Er überragte mich um einige Zentimeter, weshalb ich den Kopf in den Nacken legen musste, um den Blickkontakt aufrechtzuerhalten. Einen halben Meter vor mir blieb er stehen. »Sonst was?«

Seine Frage irritierte mich. »Was?«

Er hob den rechten Mundwinkel und schnaubte. »Was tust du, wenn ich sie weiterrauche?«

Irgendetwas an seiner Erscheinung schüchterte mich ein. Trotzdem musste ich mir eingestehen, dass er sehr attraktiv war. Attraktiv, doch genau der Typ, von dem man sich besser fernhielt, wollte man keinen Ärger riskieren. »Ich werde es melden«, sagte ich mit fester Stimme.

Erneut fing er an zu lachen, schüttelte den Kopf und nahm provokant einen weiteren Zug von seiner Zigarette. Ich verstand nicht, wie man seine Gesundheit freiwillig aufs Spiel setzen konnte, indem man Chemie inhalierte.

»Was ist daran so witzig?«

Er pustete den Rauch in meine Richtung. Ich musste mich zwingen, mein Husten zu unterdrücken.

»Wie heißt du?« Der Junge musterte mich von oben bis unten auf eine beinahe anzügliche Weise. Instinktiv verschränkte ich die Arme vor der Brust, um mich weiter zu bedecken, obgleich er durch meinen Mantel ohnehin nichts sehen konnte.

»Charlotte«, sagte ich. »Charlotte Barton.«

Er nickte. »Andrew«, stellte auch er sich vor. »Andrew Cavanaugh.«

»Oh«, entfuhr es mir, woraufhin er grinste. Andrew war der Sohn des Rektors der Rosefield Academy, um den sich einige Gerüchte rankten. Was wirklich an ihnen dran war, wusste ich nicht. Vor einigen Monaten hatte ich gehört, dass er im Gefängnis war, und nun, da er vor mir stand, konnte ich mir das sehr gut vorstellen. Er wirkte rebellisch und leicht bedrohlich, fast wie die Bad Boys in den Liebesfilmen, die ich mir gern anschaute. Nur dass das hier kein Film war, sondern das echte Leben. Und im echten Leben konnten solche Typen nicht einfach so bekehrt werden.

»Also, Lotti, du darfst gern zu meinem Dad rennen, wenn du dich dann besser fühlst. Oder du kümmerst dich einfach um deinen eigenen Scheiß, wie wär’s?«

»Ich heiße Charlotte.«

Andrew grinste. »Lotti gefällt mir aber besser.«

Ich holte tief Luft und verengte die Augen. »Es ist mir egal, was dir besser gefällt. Mein Name ist Charlotte Barton, also nenn mich auch so.« Wenn ich eines nicht mochte, dann, nicht ernst genommen zu werden. Und Andrew nahm mich ganz offensichtlich nicht ernst.

Er zog noch ein letztes Mal an seiner Zigarette, ehe er sie auf den Boden warf und mit der Spitze seiner schwarzen Boots ausdrückte. Dann richtete er den Kragen seiner Lederjacke, ohne den Blick von mir abzuwenden.

»Vor dem Eingang des Gebäudes befindet sich ein Mülleimer.« Ich schaute zwischen Andrew und dem Zigarettenstummel hin und her, aber er machte keinerlei Anstalten, ihn aufzuheben und wegzuwerfen. Nicht nur schienen ihm Regeln egal zu sein, es war ihm auch egal, dass er das wunderschöne Gelände der Rosefield verschmutzte.

»Wir sehen uns sicher bald wieder, Lotti«, war alles, was Andrew zum Abschied sagte. Er lief an mir vorbei, aber nicht, ohne mir noch einmal zuzuzwinkern. Erst dann verschwand er um die Ecke und aus meinem Sichtfeld.

Ich schaute ihm nach. Das war also Andrew, Rektor Cavanaughs berühmt-berüchtigter Sohn. Na bravo!

Kopfschüttelnd bückte ich mich nach dem Zigarettenstummel, um ihn in den Müll zu werfen. Natürlich hätte ich ihn für den Regelverstoß trotzdem anschwärzen können, aber was hätte das gebracht? Vermutlich nicht sonderlich viel. Und ich war mir auch nicht sicher, ob Rektor Cavanaugh es gutheißen würde, wenn andere seinen Sohn verpfiffen. Im schlimmsten Fall hätte das seinen Eindruck von mir geschmälert.

Aber ich fragte mich, warum Andrew überhaupt hier war. Ich wusste, dass er eine andere Universität besuchte und seinen Abschluss noch nicht gemacht hatte. Es war mitten im Semester, also musste er aus einem bestimmten Grund hier sein. Und da er eben gesagt hatte, dass wir uns sicher bald wiedersahen, würde er wohl noch eine Weile bleiben.

Mein Herz klopfte schneller bei dem Gedanken. Das sah mir nicht ähnlich. Ich legte nicht viel Wert auf Äußerlichkeiten. Das Attraktivitätslevel sagte rein gar nichts über die inneren Werte eines Menschen aus, und die waren es doch, worauf es ankam. Ja, Andrew war nett anzusehen, aber er war ganz eindeutig ein Blödmann! Ich legte es also in keinem Fall darauf an, ihm jemals wieder über den Weg zu laufen.

Ich vertrieb jeden Gedanken an ihn und ging zum Haupteingang, wo ich erst mal den Zigarettenstummel in den Mülleimer warf und mir anschließend die Hände wusch. Kaum fasste man eine Zigarette an, roch man wie ein Aschenbecher. Dazu noch die Rauchwolke, die er mir ins Gesicht gepustet hatte. Großartig!

Im Kursraum setzte ich mich auf den freien Platz neben Alana. Das Lächeln, das sie mir zuwarf, verschwand, und stattdessen legte sie die Stirn in Falten. Ich spürte, wie meine Wangen glühten.

»Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du rauchst«, sagte Alana überrascht. Ihre Lippen kräuselten sich amüsiert.

»Tu ich nicht, es hat nur jemand Rauch in meine Richtung gepustet.«

Alana hob die Hände. »Du musst dich nicht rechtfertigen. Wir alle haben unsere Wege, mit Stress umzugehen.«

»Nein, wirklich. Ich würde nie rauchen.«

»Okay, wenn du das sagst.« Es war offensichtlich, dass sie mir nicht glaubte. Eigentlich sollte es mir egal sein. Ich sollte der Meinung anderer nicht einen so hohen Stellenwert zuschreiben, aber trotzdem. Wir kannten uns seit eineinhalb Jahren. Sie müsste mich besser einschätzen können.

Das war alles Andrews Schuld! Ich hätte einfach an ihm vorbeigehen sollen. Dann hätten wir uns nie getroffen, und ich hätte den Schlamassel jetzt nicht. Ich musste Alana nach dem Unterricht dringend abfangen und sie bitten, mit niemandem über ihren Verdacht zu sprechen. Denn an der Rosefield wurde gern getratscht, und ich wollte nicht im Mittelpunkt der Lästereien stehen. Es war immer besser, sich aus allem herauszuhalten und keine Aufmerksamkeit zu erregen.

Wenig später betrat Mr Slater den Kursraum und eröffnete die Stunde. So gern ich seinen Worten auch folgen wollte, konnte ich mich kaum konzentrieren, denn der Geruch von Zigaretten haftete mir an und kribbelte in meiner Nase. Was dazu führte, dass ich wieder an die Begegnung von eben denken musste, obwohl ich doch keinen Gedanken mehr an ihn verschwenden wollte.

Ja, ich wünschte, ich hätte Andrew Cavanaugh nie getroffen.

4

Charlotte

Während die anderen bereits aus dem Kursraum stürmten, packte ich noch meine Tasche und reinigte meinen Arbeitsplatz. Da ich perfektionistisch veranlagt war, war ich bis zum Schluss nicht zufrieden mit meiner Skizze gewesen. Alle paar Minuten hatte ich die Striche wieder wegradiert und dadurch eine unglaubliche Sauerei veranstaltet. So konnte ich meinen Platz beim besten Willen nicht hinterlassen. Natürlich gab es an der Rosefield Unmengen an Reinigungspersonal, aber ich wollte anderen nicht unnötige Mehrarbeit aufbrummen. Nicht, solange es vermeidbar war.

Nachdem mein Tisch sauber war, lief ich ein letztes Mal durch den Raum. Dann nahm ich meinen Mantel von einem der Kleiderhaken, zog ihn an und ging zurück zum Platz. Ein Blick in meine Tasche ließ mich stutzig werden.

»Sie war doch eben noch hier«, sagte ich zu mir selbst und schob mir meine blonden Strähnen hinter die Ohren, in denen heute ein Paar meiner selbst gemachten Anhänger in Form von Schmetterlingen steckten. Ihre Flügel waren mit zahlreichen kleinen Strasssteinen besetzt, wofür ich ewig gebraucht hatte, da es eine unglaublich kleinteilige Arbeit war.

Ich öffnete die Umhängetasche etwas weiter. Die Ordner waren in ihrem Fach, genau wie die Schreibutensilien. Auch meine Stoffproben waren dieses Mal an ihrem Platz. Doch dort, wo sich meine Schere befinden sollte, war sie nicht.

Ich atmete tief durch, schloss einen Moment die Lider und zählte von drei runter. Nur nicht in Panik verfallen, sie war hier sicher irgendwo. Noch einmal ging ich durch den Raum, lief jeden Fleck ab, an dem ich nicht nur während, sondern auch nach dem Unterricht gestanden hatte, suchte unter Tischen und Stühlen, konnte aber die Schere trotzdem nicht finden. Logischerweise hatte ich Ersatz in meinem Zimmer, für alle Fälle. Doch hierbei handelte es sich um meine liebste Schneiderschere, die zu einem gravierten Set gehörte, das Onkel Rupert mir zum Schulabschluss geschenkt hatte. Es war eines der schönsten und durchdachtesten Geschenke gewesen, die ich jemals erhalten hatte. Seitdem hatte ich das Set gehütet wie meinen Augapfel und es nur mit höchster Vorsicht verwendet und gereinigt. Ich war nicht der Mensch, dem solche Dinge passierten. Alles hatte seinen festen Platz. Etwas verlegen oder gar verlieren? Unmöglich! Und doch war es geschehen … zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit.

Womöglich hatten Jeffrey oder Alana, die rechts und links von mir saßen, sie versehentlich eingesteckt? Ja, so musste es sein. Zwar war in geschwungener Schrift Charlotte Barton eingraviert, aber vielleicht hatten sie nicht darauf geachtet. Ich sollte mir den Kopf nicht weiter darüber zerbrechen.

Seltsam erschien mir die Angelegenheit dennoch. Erst meine Stoffproben, jetzt meine Schere. Eigentlich war ein Zufall ausgeschlossen. Doch ich war niemand, der an das Schlechte in Menschen glaubte. Ich dachte so lange gut von jemandem, bis mir das Gegenteil bewiesen wurde. Daher wäre es falsch von mir, Mutmaßungen anzustellen und einen Sündenbock zu suchen, wenn vermutlich gar keine böswillige Absicht dahintersteckte.

Allmählich vermutete ich, dass Hazels Verschwörungstheorien ihre Spuren hinterlassen hatten.

»Was ist los, Lotti?«

Erschrocken drehte ich mich zur Tür, in der Andrew stand und mich verschmitzt lächelnd beobachtete. Seine Lederjacke hatte er heute gegen einen schwarzen Pulli getauscht, der um seine Arme herum spannte, als wäre er ihm eine Nummer zu klein.

»Mein Name ist immer noch Charlotte«, fauchte ich, als ich meine Stimme wiederfand. Das Lächeln auf Andrews Gesicht wurde breiter. Ich bemerkte den Müllsack vor ihm am Boden und den Besen, der neben ihm im Türrahmen lehnte. Stirnrunzelnd legte ich den Kopf schief. »Was machst du hier?«

Er zuckte die Achseln. »Darf ich nicht hier sein?«

»Doch, natürlich. Ich dachte nur, dass du vielleicht jetzt hier studierst, aber in diesem Gebäude habe ich dich noch nie gesehen.«

»Hier studieren?« Andrew schnaubte. »Ganz sicher nicht.«

»Aber …«

Er ließ mich nicht zu Wort kommen. »Also, was ist los, Lotti? Du guckst so betrübt. Hat wieder jemand etwas Verbotenes getan und dich damit geärgert?«

Es hatte vermutlich keinen Sinn, ihn ein weiteres Mal darauf hinzuweisen, wie mein Name lautete. Er würde es ohnehin ignorieren. Den zweiten Teil seiner Aussage ignorierte ich ebenfalls, genau wie den abschätzigen Tonfall, den er an den Tag legte. »Ich suche nur meine Schere.«

Er prustete. »Deine Schere ist weg? Ist das hier ein Kindergarten, oder was?«

»Falls es dich interessiert, ich studiere Fashion Design. Meine Schneiderschere ist wichtig. Ich möchte nämlich gern etwas erreichen, im Gegensatz zu dir!« Der Seitenhieb tat mir sofort leid, und ich war kurz davor, mich bei ihm dafür zu entschuldigen, aber Andrew schien sich daran nicht zu stören. Ganz im Gegenteil sogar.

»Oh, das kleine Hauskätzchen kann ja richtig die Krallen ausfahren. Gefällt mir.« Das verschmitzte Lächeln auf seinen Lippen kehrte zurück, und er zog eine seiner dichten dunklen Augenbrauen in die Höhe.

Ich verdrehte die Augen, spürte aber, wie meine Wangen heiß wurden. Es war besser, schleunigst zu gehen. Alana hatte zwar Wort gehalten und niemandem von ihrer Vermutung erzählt, dass ich rauchte, aber deshalb brauchte ich es nicht auf die Probe zu stellen und noch länger mit Andrew in einem Raum sein. Er würde es sicher schaffen, mir wieder mit irgendetwas Schwierigkeiten zu bereiten.

Ich legte mir die Tasche über die Schulter und steuerte den Ausgang an. »Ich muss los. Einen schönen Abend noch.«

Kurz dachte ich, Andrew würde absichtlich in der Tür stehen bleiben, doch er hob den Mundwinkel und trat zur Seite. »Bis bald, Lotti. Ich freu mich schon auf unser Wiedersehen«, sagte er mit rauer Stimme, die dafür sorgte, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten.

Ohne ein weiteres Wort verließ ich zügig das Design-Gebäude. Die kalte Abendluft kitzelte meine Haut, ließ meine Wangen erneut brennen. Womöglich lag das aber eher daran, dass Andrews Worte weiterhin in meinen Gedanken herumgeisterten.

Wie hatte er es gemeint, dass er sich freute? Wieso sollte er? Und wieso interessierte es mich überhaupt? Ich war von mir selbst genervt. Es wäre besser, meine Zeit nicht damit zu verschwenden, über ihn nachzudenken. Er war ein ungehobelter Rüpel, ein Raucher und vor allem ein Verbrecher, wenngleich ich nicht wusste, was genau zu seiner Inhaftierung geführt hatte. Trotzdem sollte ich mich lieber von ihm fernhalten.

Die Betonung lag auf sollte, denn ich konnte meine Gedanken nicht davon abhalten, weiter an ihn zu denken. Was er wohl eben in meinem Kursraum gewollt hatte? Der Müllsack und Besen legten die Vermutung nahe, dass er zum Putzen gekommen war. Aber ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wieso der Sohn des Rektors dafür eingesetzt wurde.

Ich schüttelte den Kopf und konzentrierte mich stattdessen wieder auf das Verschwinden meiner Schere. Noch einmal überlegte ich, wo sie sein konnte, doch mir wollte partout nichts einfallen.

Als ich im Apartment ankam, saßen Mila und Hazel wieder zusammen im Wohnzimmer. Wobei Hazel möglichst weit entfernt von Mila Platz genommen hatte, da diese noch immer erkältet war und gern hustete, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten.

»Na, wie war der Kurs?«, fragte Hazel, kaum hatte ich das Zimmer betreten.

Ich setzte mich auf die Lehne des Sessels, auf dem sie saß. »Ganz in Ordnung. Ich habe noch ein paar Skizzen für meine Kollektion angefertigt. Wirklich zufrieden bin ich bisher nicht, daher muss ich noch etwas daran feilen.«

Hazel legte den Kopf schief. »Ich kenne diesen Tonfall. Da ist noch etwas. Du weißt, du kannst mit uns reden. Vollkommen egal, worum es geht.«