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Nachdem der junge Earl of Blakeney sich in einer äußerst misslichen finanziellen Lage befindet, muss er den übrigen Familiensitz – das verkommene Landhaus und Ländereien - zum Verkauf anbieten, um sich vor seinen Gläubigern und dem Gefängnis zu retten. Seine junge, bildhübsche Schwester Aleda findet sich auch in einer schwierigen Situation wieder, da sie im Fall einer Gefangennahme ihres Bruders kein Heim haben würde und der verheiratete Mr Shuttle sie mit anzüglichen Angeboten umgarnt, um sie als seine Geliebte zu unterhalten. Bei der Veräußerung des Landsitzes ist auch Doran Winton anwesend, der den Earl und seine Schwester mit einem ungewöhnlichen Angebot überrascht. Er will den Landsitz kaufen und alle Schulden der Familie tilgen, unter der Bedingung, dass Aleda ihn heiratet. Aleda ist hin- und hergerissen zwischen den Verpflichtungen gegenüber ihrer Familie, d.h. ihren Bruder vor dem Gefängnis zu schützen und ihren eignen Wünschen und Leben. Wird Aleda einen ihr Unbekannten heiraten, von dem sie glaubt, er wolle sie nur wegen ihres Titels zur Frau machen? Wird Doran Aledas Vertrauen gewinnen können und wird seine Vergangenheit das Paar einholen und trennen?
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Seitenzahl: 172
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Jene Mitglieder des White Club, die an diesem Morgen im Salon saßen, blickten erstaunt auf, als plötzlich die Tür aufflog und der Earl of Blakeney in den Raum stürmte.
»Schnell, schnell«, rief der junge Mann einem der Bediensteten des Clubs zu, »ich brauche sofort einen Drink.«
Als der Earl auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes Lord Fulbourne erblickte, ging er rasch hinüber und warf sich in den Ledersessel, der neben seinem Freund stand. »Mit mir ist’s aus, Charles«, seufzte er, »ganz aus.«
»Ich nehme an«, sagte Charles Fulbourne mit hochgezogenen Augenbrauen, »dass du dein ganzes Geld verloren hast.«
»Ich habe alles verloren, was ich besaß, und eine verdammt große Menge mehr«, antwortete der Earl. »Falls mich nicht sehr bald jemand auslöst, wirst du mich die nächste Zeit im Gefängnis in der Fleet Street besuchen müssen, wo alle Einkommen, die ihre Schulden nicht bezahlen können.«
Lord Fulbourne schüttelte missbilligend den Kopf. »Wie konntest du nur so töricht sein zu spielen?« fragte er mit gedämpfter Stimme, da auf einmal der ganze Raum zuzuhören schien. »Du wusstest ganz genau, dass du dir es überhaupt nicht leisten konntest.«
»Es schien meine einzige Chance zu sein, wenigstens ein paar meiner Gläubiger zufriedenzustellen, aber jetzt kann Clayton sehen, wie er zu seinem Geld kommt. Wo nichts ist, kann man auch nichts holen.«
Als hätte die Erwähnung seines Namens ihn hervorgezaubert, betrat in diesem Moment Lord Anthony Clayton, ein großer, gutaussehender junger Mann, den Salon. Er blickte sich kurz um, sah den Earl und trat auf ihn zu.
»Wenn Sie glauben, Sie kämen davon, ohne Ihre Schulden zu bezahlen«, sagte er mit wütender Stimme, »dann täuschen Sie sich. Sie haben mich bereits einmal hereingelegt, aber dieses Mal lasse ich Sie aus dem Club werfen.«
»Hüten Sie Ihre Zunge!« stieß der Earl hervor. Er stand auf, während er sprach, und baute sich vor Lord Anthony auf. Die beiden jungen Männer starrten sich wie zwei wilde Tiere an.
Einige der Zuhörer lächelten amüsiert, denn es war stadtbekannt, dass der Earl und Lord Anthony sich vor zwei Wochen um den Anspruch auf eine hübsche Dirne gestritten hatten. Der Sieg des Earls hatte Lord Anthony wütend Rache schwören lassen, und es hatte ihn auch nicht sanfter gestimmt, dass das Dämchen, kaum hatte es herausgefunden, dass die Taschen des Earls zu leer für seinen Geschmack waren, innerhalb einer Woche einen neuen, finanzkräftigeren ‚Beschützer‘ gefunden hatte.
»Ich lasse Sie öffentlich ausrufen«, zischte Lord Anthony.
»Sie können rufen, bis Sie heiser werden«, erwiderte der Earl leichthin. »Ich fahre jetzt aufs Land und will nachsehen, ob nicht doch etwas übrig ist, was sich verkaufen lässt. Aber ich fürchte, dass alles, was bleibt, nachdem die Gläubiger mit älteren Ansprüchen sich bedient haben, höchstens noch Kinderspielzeug sein wird aber Sie werden sich sicher damit bestens vergnügen.«
»Wenn Sie weiterreden, schlage ich Sie nieder.« Lord Anthony war kreidebleich.
Nun erhob sich Lord Fulbourne und trat zwischen die beiden. »Hört sofort auf! Anthony, Sie wissen genauso gut wie ich, dass David keinen Penny mehr besitzt.« Und an den Earl gewandt fuhr er fort: »Und du, David, was in aller Welt ist in dich gefahren, als du dich an den Spieltisch setztest? Du wusstest doch genau, was auf dem Spiel stand. Nun werden diejenigen, die von dir abhängen, nicht genug zu essen haben!«
Die Art, wie er dies sagte, ließ den Earl beschämt zu Boden blicken. Lord Anthony drehte sich auf dem Absatz um und verließ leise fluchend den Salon.
Schließlich berührte Lord Fulbourne den Arm seines ruinierten Freundes. »Geh nach Hause, David«, sagte er mit leiser Stimme. »Ich habe das ungute Gefühl, dass die Situation schlimmer ist, als du glaubst.«
»Ich weiß, wie ausweglos sie ist«, flüsterte der Earl, »und am besten würde ich mir eine Kugel in den Kopf jagen.«
Mit diesen Worten verließ er den Salon. Augenblicklich wich die gespannte Stille dem Summen eines Bienenkorbs, als die Anwesenden nun das soeben Erlebte diskutierten.
Seufzend setzte Lord Fulbourne sich wieder. Da erhob sich ein Mann aus einem Sessel in einer der Fensternischen, wo er bis jetzt die Times gelesen hatte, und trat auf ihn zu.
»Ich heiße Winton«, stellte er sich vor. »Ich habe Ihren Vater gekannt. Ich bin gerade nach England zurückgekehrt und würde gern wissen, worum es bei dieser Sache geht.«
Lord Fulbourne musterte den Fremden, den er nie zuvor gesehen hatte. Er schätzte ihn auf Mitte Dreißig, aber der Fremde strahlte eine für dieses Alter seltene Autorität aus. Darüber hinaus konnte man ihm ein gutes Aussehen nicht absprechen, obwohl der Ausdruck seiner Augen und ein Zug um seinen Mund eine gewisse Härte verriet. Lord Fulbourne fragte sich, wer dieser Neuling wohl war und wie es ihm gelungen sein mochte, Mitglied im White Club zu werden, denn schließlich handelte es sich dabei um einen der exklusivsten und ältesten Clubs von London. Unter seinen Mitgliedern fand man gewöhnlich nur die blaublütigsten Adeligen; von allen Clubs in St. James war es am schwierigsten, hier Mitglied zu werden.
Lord Fulbourne wollte nicht unhöflich sein; er forderte mit einer Handbewegung Mr. Winton auf, neben ihm Platz zu nehmen, und sagte dann: »Nun, Sie haben ja gehört, dass es mit den Finanzen des Earl of Blakeney nicht zum Besten steht. Der arme Kerl hat bereits eine Menge Schulden von seinem Vater geerbt und fristete bisher sein Leben damit, alles zu verkaufen, was im Haus seiner Vorfahren überhaupt verkäuflich war.«
Lord Fulbourne bemerkte, dass Mr. Winton, falls das überhaupt sein richtiger Name war, sehr genau zuhörte, und fügte hinzu: »Ich glaube, dass seine Schulden jetzt so groß sind, dass die Gläubiger den Verkauf von allem, was noch übrig ist, erzwingen werden.«
»Und falls er ihre Ansprüche nicht begleichen kann?« fragte Mr. Winton. »Bedeutet das wirklich, dass er dann ins Gefängnis muss?«
»Schon möglich«, räumte Lord Fulbourne ein. »Die Gläubiger, es sind vor allem Händler, sind es müde, Adlige endlos auf Kredit auszustatten. Man hat den Earl schon vor einer. Woche darüber informiert, dass man sich gerichtliche Schritte gegen ihn überlegt, wohl um an ihm ein Exempel zu statuieren für all die übrigen verantwortungslosen jungen Herren.«
Zunächst schwieg Mr. Winton, dann sagte er langsam: »Ich glaube, ich kann mich an den verstorbenen Earl erinnern.«
»Er war sehr beliebt«, nickte Lord Fulbourne, »aber er war ein Spieler, und seine Kinder müssen nun die Konsequenzen tragen.«
»Seine Kinder?« fragte Mr. Winton.
»David hat eine Schwester«, erklärte Lord Fulbourne. »Hätte sie debütiert, wäre sie sicher eine der Attraktionen der Saison geworden.« Einen Augenblick hielt er inne, als suchte er nach Worten. »Sie ist schön, genauer gesagt wunderschön, aber ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder ist sie zu stolz, um etwas anzunehmen, was sie nicht bezahlen kann. Deshalb bleibt sie lieber auf dem Land.«
»Eine traurige Geschichte«, sagte Mr. Winton. »Ich glaube mich zu erinnern, dass sich der Besitz der Blakeneys in Hertfordshire befindet.«
»Blake Hall liegt nur fünfzehn Meilen außerhalb der Stadt«, nickte Lord Fulbourne, »und dort werden die Lieferanten dem Earl wohl auch ihre Rechnungen präsentieren.« Seufzend fügte er hinzu: »Ich denke, diejenigen von uns, die es sich erlauben können, werden um der Freundschaft willen hinfahren müssen, um etwas zu kaufen, was sie hinterher gar nicht brauchen können,«
Es war offensichtlich, dass er von dieser Aussicht gar nicht begeistert war, und Mr. Winton sah ihn durchdringend an, bevor er sagte: »Häufig erfährt ein Mann erst in einer Notlage, wie viele wirkliche Freunde er hat.«
Der Zynismus in seinen Worten war nicht zu überhören. Während er sprach, erhob er sich und ging wieder hinüber zu seinem Sessel in der Fensternische.
Es war schon später Nachmittag, als der Earl of Blakeney in einem leichten Zweispänner, der noch nicht bezahlt war, und mit Pferden, die er sich von einem Freund geliehen hatte, in Blake Hall eintraf. Ein Ausdruck der Verzweiflung lag auf seinem Gesicht, als er durch das Tor fuhr, das dringend einen neuen Anstrich brauchte, und vorbei an den leeren Gesindehäusern, deren Fenster zugenagelt waren.
Das Herrenhaus am Ende der Auffahrt sah von weitem sehr schön aus mit seinen Ziegeln, die sich über die Jahre hellrosa verfärbt hatten, aber beim Näherkommen konnte man die zerbrochenen Fenster erkennen, die nicht repariert worden waren, sowie die Stellen, wo die Dachziegel fehlten. Die Stufen zur Eingangstür hatten Sprünge, in denen Moos und Gras wuchs.
Während der Earl die Pferde zum Stillstand brachte, rief er mit lauter Stimme nach einem Bediensteten, und nach einer halben Ewigkeit schlurfte ein alter Mann mit weißem Haar langsam um die Ecke.
»Ich habe Eure Lordschaft nicht erwartet«, sagte er mit krächzender Stimme, als er den Zweispänner erreichte.
»Ich hatte eigentlich auch nicht vor zu kommen!« antwortete der Earl schneidend, als er von dem Zweispänner abstieg. »Bring die Pferde in den Stall, Glover. Sie werden morgen abgeholt.«
»Sehr wohl, Eure Lordschaft«, antwortete Glover und murmelte leise vor sich hin, während er die Pferde zum Stall hinüberführte.
Der Earl betrat das Haus durch die offenstehende Tür.
Der Anblick der Eingangshalle mit ihrer dunklen Eichenvertäfelung war ihm so vertraut, dass er den Staub auf dem Boden nicht bemerkte. Er sah auch nicht, dass die bleiverglasten Fenster, die das Wappen der Blakeneys trugen, schmutzig und an vielen Stellen gesprungen waren. Er warf seinen Hut auf den Tisch, der schon, lange nicht mehr poliert worden war, und rief mit lauter Stimme: »Aleda! Aleda!«
Er erhielt keine Antwort und wollte gerade noch einmal rufen, als er eilige Schritte hörte, und einen Augenblick später kam seine Schwester in die Halle gestürmt.
»David!« rief sie freudestrahlend. »Ich habe dich nicht erwartet.« Als ihr Bruder nicht antwortete, blickte sie ihn ängstlich an. »Was... was ist passiert? Was macht... dir Sorgen?«
»Alles!« antwortete der Earl. »Gibt es in diesem Haus irgendetwas zu trinken?«
»Wasser«, sagte Aleda verlegen, aber plötzlich hellte sich ihre Miene auf. »Vielleicht sind aber auch noch ein paar Kaffeebohnen übrig.«
Der Earl brummte verächtlich, durchquerte die Halle und öffnete die Tür zum Wohnzimmer.
Es war ein großer Raum mit Fenstern, die den Blick freigaben auf etwas, das einst ein herrlicher Rosengarten gewesen sein musste. Es gab jedoch kaum noch Möbel. An den Wänden konnte man die hellen Stellen erkennen, wo Bilder gehangen hatten, und über dem offenen Kamin hatte sich offensichtlich einst ein Spiegel befunden. Es fehlten auch die Porzellanfiguren aus Meißen und die Uhr aus Sevres, an die sich der Earl noch aus seiner Kindheit erinnerte.
Er drehte sich um und stand jetzt mit dem Rücken zu dem offenen Kamin, in dem die Schürhaken aus Messing und der gusseiserne Rost schon lange nicht mehr geputzt worden waren.
Seine Schwester war ihm in das Zimmer gefolgt und sagte jetzt besorgt: »Du erzählst mir besser gleich das Schlimmste, David.«
»Also gut«, seufzte ihr Bruder. »Meine Gläubiger werden morgen hier erscheinen und verlangen, dass wir alles, was im Haus noch übrig ist, verkaufen. Sie hoffen sogar, einen Idioten zu finden, der das Haus kauft.«
Aleda antwortete mit einem Schrei des Entsetzens. »Das kann... doch... nicht wirklich wahr sein?«
Da ihr Bruder nicht antwortete, sagte sie schließlich leise: »Ich dachte immer, das Haus sei Familienerbe, so dass es nicht verkauft werden kann.«
»Das hat Papa auch immer gedacht«, erwiderte der Earl, »aber die eingeschränkte Erbfolge, oder wie man das nennt, endete, als der siebte Earl ohne einen Sohn starb. Und obwohl der nächste Erbe ein Vetter war, galt die besondere Regelung nicht mehr.«
»Das habe ich nicht gewusst«, flüsterte Aleda.
»Wenn Papa es gewusst, hätte, hätte er ganz sicher das Haus mit allem, was dazugehört, verkauft«, sagte der Earl entschieden. »Jetzt muss ich es tun.« Seine Stimme klang verbittert. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir dafür viel bekommen. Es ist in einem sehr schlechten Zustand. Außerdem scheint nach dem Krieg niemand viel Geld zu haben.«
»Aber David... was sollen wir bloß tun?« fragte Aleda ängstlich.
»Wenn es nach den Gläubigern geht, werde ich wohl ins Gefängnis müssen.«
Ihr entfuhr ein Schreckensschrei. »O nein! Alles, nur das nicht!«
»Sie sind fest entschlossen, an mir ein Exempel zu statuieren.«
»Was können wir nur machen?« fragte Aleda verzweifelt.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, antwortete ihr Bruder. »Und du weißt genauso gut wie ich, dass es hier nichts gibt, was auch nur einen Pfifferling wert ist, denn sonst hätte ich es längst verkauft.«
»Aber wir brauchen doch ein Dach über dem Kopf«, flüsterte Aleda.
»Ich nehme an, dass es irgendwo auf dem Gut eine leere Hütte geben wird«, sagte der Earl nachdenklich. »Aber die Hütten befinden sich in einem noch schlimmeren Zustand als das Haus.«
Einen Augenblick sahen sie sich an.
»Wenn ich im Gefängnis bin, wirst du dich hier ganz allein durchschlagen müssen.«
»Das tue ich ja bereits«, antwortete Aleda. »Nur die alte Betsy ist noch übrig, weil sie nirgends hinkann, und Glover, der sich davor fürchtet, im Arbeitshaus leben zu müssen.«
Der Earl warf sich auf ein Sofa, das nur noch nicht verkauft worden war, weil es ramponiert war; ein Bein war abgebrochen, und an seiner Stelle dienten ein paar Ziegel als Notlösung. Schweigend starrte er die Decke an, bis er schließlich mit belegter Stimme sagte: »Es tut mir leid, Aleda. Ich weiß, ich habe mich wie ein Idiot aufgeführt, aber jetzt ist es zu spät. Wir können die Uhr nicht mehr zurückdrehen.«
Seine Schwester setzte sich neben ihn und nahm seine Hand in die ihre.
»Und jetzt müssen wir den Tatsachen ins Auge sehen«, sagte der Earl. »Wenn ich ins Gefängnis muss, wirst du verhungern, es sei denn, jemand kümmert sich um dich.«
»Es gibt nur einen Menschen, der das möchte«, sagte Aleda mit niedergeschlagenen Augen.
»Ich nehme an, du meinst Shuttle.«
»Er kam gestern vorbei und bot mir ein Haus in London, Diamanten und eine eigene Kutsche an.«
»Verflucht sei seine verdammte Unverschämtheit«, brauste der Earl auf. »Wie kann er es wagen, dich so zu beleidigen!«
»Es ist kaum eine Beleidigung«, erwiderte Aleda leise. »Er merkte sehr wohl, dass ich hungrig war und dass ich nur Lumpen trug, weil ich ihn nicht erwartet hatte.«
Der Earl sah sie scharf an. »Du wirst seine Vorschläge annehmen?«
»Lieber sterbe ich.« Ihre Stimme klang fest. »Er hat Frau und Kinder, und alles, was er tut und sagt, ekelt mich an.«
Ruckartig erhob sie sich vom Sofa und trat an ein Fenster.
»Ich hasse ihn!« sagte sie schließlich. »Ich hasse alle Männer. Gleichzeitig jedoch habe ich Angst.«
Sie blickte in den verwilderten Garten hinaus, der trotz der überwachsenen Blumen, der wuchernden Schlingpflanzen und sogar trotz des üppigen Unkrauts im hellen Sonnenlicht seinen Reiz nicht verloren hatte.
»Heute Morgen erst habe ich daran gedacht«, bemerkte sie, »dass uns nur noch eines geblieben ist.«
»Und was ist das?« fragte ihr Bruder.
»Unser Stolz«, sagte Aleda. »Was auch passieren mag, wir sind Blakes! Unsere Vorfahren kämpften in der Schlacht von Agincourt. Sie waren Royalisten, hingerichtet von Oliver Cromwell, und unser Großvater war einer der besten Generäle in Marlboroughs Armee.«
»Das hilft uns jetzt eine Menge!« sagte der Earl sarkastisch.
»Sie haben um ihr Leben gekämpft, so wie wir jetzt um das unsere kämpfen müssen«, sagte Aleda und warf ihren Kopf zurück. »Und warum sollten wir uns von unseren Schulden besiegen lassen?«
Sie hielt inne, als erwarte sie eine Erwiderung ihres Bruders, aber als dieser stumm blieb, fuhr sie fort: »Irgendwie spüre ich, dass, obwohl die Situation schlimm erscheint, die Geister derjenigen, die in diesem Haus gelebt haben, noch immer neben uns kämpfen. Selbst als sie starben... die Familie hat überlebt... das gilt auch für uns.«
Der Earl erhob sich vom Sofa und ging zu ihr hinüber, legte seinen Arm um sie und sagte: »Sag mir, was ich tun soll, Aleda.«
Es war der Hilferuf eines kleinen Jungen, der sich in der Dunkelheit fürchtet. Aleda sagte: »Was auch passiert, wir werden es mit erhobenem Haupt und wenn du willst, trotzig durchstehen. Selbst wenn sie uns unseren ganzen Besitz wegnehmen.«
»Du bist sehr tapfer, Aleda«, flüsterte der Earl. »Ich hoffe nur, dass ich deine Erwartungen auch erfüllen werde.«
»Denke immer daran, dass du ein Blake bist«, munterte Aleda ihn auf, »und wenn diese Leute kommen... sie werden selbst sehen, in was für einer Lage wir uns befinden.«
Der Earl sagte nichts, aber sie wusste, er dachte daran, dass die Geschäftsleute auf keinen Fall mit leeren Händen nach London zurückgehen würden. Sie würden ihn mitnehmen. Dann konnte er im Gefängnis schmachten, falls nicht doch ein Wunder geschehen würde und jemand das Haus und den Besitz zu einem Preis kaufen würde, der ausreichte, um ihn freizukaufen.
»Das Beste, was ich tun kann«, sagte er schließlich laut, »ist, mir eine Kugel durch den Kopf zu schießen.«
Wütend fauchte Aleda ihn an: »Das wäre das Feigste, was du tun kannst.«
Ein Schluchzen schüttelte sie, als sie fortfuhr: »Du bist meine ganze Familie. Unsere Verwandten haben Papas Verhalten nie gebilligt, und deines billigen sie natürlich auch nicht. Wir müssen uns gegenseitig helfen, David, du darfst mich doch nicht allein lassen.«
Der Earl seufzte. »Es muss doch noch jemanden anderen geben außer diesem Schwein Shuttle.«
Aleda lachte bitter. »Glaubst du wirklich, ich habe hier die Gelegenheit, passende Männer kennenzulernen? Ich wäre wohl kaum in der Lage, sie einzuladen, wenn wir uns Gastfreundschaft gar nicht leisten können.«
»Jetzt beschämst du mich«, sagte der Earl kleinlaut. »Ich weiß, ich war ein schlimmer Egoist. Ich hätte an dich denken sollen, anstatt mich in London zu vergnügen.«
»Ich kann das ja verstehen«, beruhigte ihn Aleda. »Du kamst völlig orientierungslos aus dem Krieg zurück und wolltest das Leben genießen. Ich war damals noch ein blutjunges Mädchen, gerade siebzehn.«
»Jetzt bist du fast neunzehn«, lächelte der Earl, »und du bist so schön, Aleda. Wenn ich dich mit nach London hätte nehmen können, hättest du Dutzende von Heiratsanträgen bekommen.«
»Das ist das letzte, was ich mir wünsche«, sagte Aleda heftig. »Du weißt, ich hasse Männer. Wenn wir nur ein bisschen Geld hätten, könnte ich hier so glücklich sein mit den Pferden und den Hunden.«
»So redest du nur wegen Shuttles schmierigem Vorschlag«, sagte ihr Bruder ärgerlich. »Verflucht sei der Tag, an dem er dich zu Gesicht bekam.«
Aleda lachte kurz und bitter. »Es war eher ein absurder Tag. Shuttle war auf der Jagd, und sein Pferd verlor ein Hufeisen. Da ihm Blake Hall von weitem sehr imposant erschien, ritt er her, in der Annahme, wir hätten einen Schmied hier.«
Der Earl lachte schallend. »Ich hätte gern sein Gesicht gesehen, als er bemerkte, dass die Ställe kurz vor dem Einstürzen sind.«
»Er sah mich«, verbesserte ihn Aleda, »und das war ihm genug. Seitdem lässt er mich nicht mehr in Ruhe. Ich muss mich jedes Mal verstecken, wenn ich ihn die Auffahrt heraufkommen sehe.«
»Der Mistkerl! Ich hätte ihn schon lange zum Duell fordern sollen.«
»Zuerst hat dir der Wein geschmeckt, den er mitbrachte.«
»Ich wusste ja nicht, dass er dich bat, seine Geliebte zu werden.«
»Etwas anderes kann er mir ja nicht anbieten, aber selbst, wenn er ein Witwer wäre, würde ich sein Geld nicht annehmen, von ihm ganz zu schweigen. Ich hasse ihn! Sein letztes Geschenk warf ich auf den Rücksitz seiner Kutsche, als er wegfuhr.«
»Was war es denn?« fragte der Earl neugierig.
»Seinen Worten zufolge ein Diamantenhalsband. Ich habe das Etui nicht geöffnet.«
In dem Augenblick, als sie die Worte sprach, erkannte sie, dass ihr Bruder überlegte, wieviel von seinen Schulden das Halsband wohl abbezahlt hätte.
»Denke immer daran, dass du ein Blake bist«, sagte sie mit eisiger Stimme. »Wenn wir schon untergehen, dann mit erhobenem Haupt.«
Später am Abend, nachdem sie ein frugales Essen Kaninchen und ein paar Gemüsestrünke eingenommen hatten, führte Aleda den Earl in den großen Festsaal, wo sie die paar übriggebliebenen Stühle auf der einen Seite aufreihten.
»Hier werden wir unsere Gäste empfangen«, sagte sie, »und du wirst ihnen reinen Wein einschenken über unsere Lage.«
Sie bemerkte, wie sich ihr Bruder sträuben wollte, und fügte rasch hinzu: »Du sollst nicht unterwürfig sein, sondern nur offen und ehrlich.«
»Warum denn?« fragte der Earl trotzig.
»Weil es keinen Sinn hat, ihnen etwas vorzumachen«, sagte Aleda. »Sei offen. Außerdem solltest du sagen, dass es dir leid tut, dass du so in ihrer Schuld stehst. Vielleicht stimmt deine Höflichkeit sie milder, so dass du nicht ins Gefängnis musst.«
Sie wusste, dass der Earl dies bezweifelte, und sagte daher: »Wir vergeben uns nichts, wenn wir höflich sind. Außerdem wirst du sicher keine Arbeit finden, wenn du hinter Gittern bist.«
»Arbeit?« rief der Earl entsetzt. »Wie meinst du denn das?«
»Es muss doch etwas geben, was du tun kannst«, sagte Aleda. »Hast du noch nie über deine Fähigkeiten nachgedacht?«
»So etwas habe ich nicht!«
»Unsinn! Jeder hat irgendwelche Fähigkeiten. Ich denke schon die ganze Zeit darüber nach, wie ich mich verkaufen könnte.«
»Dich verkaufen?« fragte der Earl misstrauisch.