Sabine will nicht ins Kinderheim - Marisa Frank - E-Book

Sabine will nicht ins Kinderheim E-Book

Marisa Frank

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Beschreibung

Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. »Jetzt habe ich die Kinder vergessen!« Ruckartig – von dieser plötzlichen Erkenntnis getroffen – blieb Denise von Schoenecker stehen. Sie war eine noch jugendlich aussehende, gepflegte Frau. »Ich wollte für die Kleineren ein neues Märchenbuch besorgen, und den Größeren habe ich einen Fußball versprochen.« »Dann müssen die Kinder eben bis zum nächsten Mal warten«, entgegnete Frau Rennert ungerührt. Die Heimleiterin wollte weitergehen, doch Denise von Schoenecker zögerte. »Nein«, sagte sie dann entschlossen, »ich gehe noch einmal zurück.« Frau Rennert lächelte. Als Heimleiterin des Kinderheims Sophienlust, das Denise von Schoenecker für ihren Sohn verwaltete, wusste sie nur zu gut, was die Frau des Gutsbesitzers Alexander von Schoenecker alles für ihre Schützlinge tat. Kein Weg, keine Strapazen waren ihr zu viel, wenn es darum ging, den Kindern eine Freude zu bereiten oder für deren Wohlbefinden zu sorgen. Die dunklen Augen der aparten Frau sahen Frau Rennert bittend an. »Wenn Sie geradeaus weitergehen, um den Springbrunnen herum, dann stoßen Sie auf das Parkcafé. Dort setzen Sie sich bitte auf die Terrasse und warten auf mich. Ich werde mich beeilen.« »Ach nein«, wehrte die mütterliche Frau ab. »Ich begleite Sie, und dann trinken wir zusammen einen Kaffee.« Entschieden schüttelte Denise den Kopf.

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Sophienlust Bestseller – 94 –

Sabine will nicht ins Kinderheim

Bitte, lasst euch nicht scheiden!

Marisa Frank

»Jetzt habe ich die Kinder vergessen!« Ruckartig – von dieser plötzlichen Erkenntnis getroffen – blieb Denise von Schoenecker stehen. Sie war eine noch jugendlich aussehende, gepflegte Frau. »Ich wollte für die Kleineren ein neues Märchenbuch besorgen, und den Größeren habe ich einen Fußball versprochen.«

»Dann müssen die Kinder eben bis zum nächsten Mal warten«, entgegnete Frau Rennert ungerührt.

Die Heimleiterin wollte weitergehen, doch Denise von Schoenecker zögerte. »Nein«, sagte sie dann entschlossen, »ich gehe noch einmal zurück.«

Frau Rennert lächelte. Als Heimleiterin des Kinderheims Sophienlust, das Denise von Schoenecker für ihren Sohn verwaltete, wusste sie nur zu gut, was die Frau des Gutsbesitzers Alexander von Schoenecker alles für ihre Schützlinge tat. Kein Weg, keine Strapazen waren ihr zu viel, wenn es darum ging, den Kindern eine Freude zu bereiten oder für deren Wohlbefinden zu sorgen.

Die dunklen Augen der aparten Frau sahen Frau Rennert bittend an. »Wenn Sie geradeaus weitergehen, um den Springbrunnen herum, dann stoßen Sie auf das Parkcafé. Dort setzen Sie sich bitte auf die Terrasse und warten auf mich. Ich werde mich beeilen.«

»Ach nein«, wehrte die mütterliche Frau ab. »Ich begleite Sie, und dann trinken wir zusammen einen Kaffee.«

Entschieden schüttelte Denise den Kopf. »Kommt überhaupt nicht infrage. Ich habe Sie heute schon genug durch Maibach gehetzt. Sicher werden Ihnen die Füße wehtun.«

Frau Rennert sah auf ihre Füße, die tatsächlich schmerzten. Sie seufzte: »Man ist schließlich nicht mehr die Jüngste.«

»Na, sehen Sie! Gehen Sie nur voraus. Im Parkcafé gibt es ausgezeichneten Kuchen, aber verraten Sie das nicht Magda. Sie ist ja überzeugt, den besten Kuchen weit und breit zu backen.«

Ein zustimmendes Lächeln glitt über Frau Rennerts Gesicht. Sie wusste, Denise von Schoenecker hatte völlig recht. Magda, die etwas beleibte Köchin von Sophienlust, konnte vorzüglich kochen, wollte dies aber immer wieder bestätigt wissen.

»Bis gleich!« Noch ehe die Heimleiterin etwas sagen konnte, machte Denise auf dem Absatz kehrt und eilte den Weg zurück. Sie dachte an Heidi, das jüngste Dauerkind von Sophienlust. Heidi wünschte sich ein Buch mit vielen Bildern. Die Fünfjährige war am meisten fasziniert von der Märchenwelt, hatte aber von Rotkäppchen und Aschenbrödel ihre eigenen Vorstellungen. Ein Lächeln huschte über Denises Gesicht. Sie wusste, es würde schwer sein, etwas zu finden, was dem Geschmack der Kleinen entsprach.

Bellend hetzte ein Hund zwischen den Sträuchern hervor. Bei Denise blieb er hechelnd stehen. Es war ein sehr schöner Hund, ein Collie. Ohne zu zögern streckte Denise die Hand nach ihm aus.

»Bessy, wo bist du? Wirst du zurückkommen!«, rief eine helle Mädchenstimme.

Der Hund drehte kurz den Kopf und gab einen Laut von sich, dann sah er Denise von Schoenecker mit seinen klugen Augen wieder voll an.

»Du bist also Bessy«, sagte Denise und beugte sich zu dem Hund hinab.

»Was tust du denn da?« Atemlos tauchte ein Mädchen auf. »Wirst du sofort herkommen!«

Der Hund drehte den Kopf, machte aber keine Anstalten, dem Ruf seiner kleinen Herrin Folge zu leisten.

»Du bist ein ganz böser Hund!« Die Stimme des Mädchens klang weinerlich. »Du musst doch bei mir bleiben.«

»Ist es dein Hund?«, fragte Denise das Mädchen, das einige Meter entfernt stehen geblieben war.

»Er gehört mir ganz allein«, antwortete die Kleine. »Sie dürfen ihn nicht anrühren.«

»Warum nicht?«

»Weil er mein Hund ist.« Trotzig hob das Mädchen den Kopf. »Bessy, komm sofort her!«

Diesmal gehorchte der Hund. Schwanzwedelnd lief er auf das Mädchen zu, stupste mit der Schnauze liebevoll gegen die Hand der Kleinen. Diese schlang sofort ihre Arme um den Hals des Hundes und drückte ihr Gesicht an dessen zottiges Fell.

Der Anblick rührte Denise eigenartig. Unwillkürlich trat sie einige Schritte näher. »Du hast deinen Hund wohl sehr gern?«

Die Kleine hob den Kopf, und Denise las Angst in ihren Augen. »Er gehört nur mir. Niemand darf ihn mir wegnehmen.«

Denise hockte sich vor dem Kind nieder. »Es ist ein sehr schöner Hund.«

Eifrig nickte das Mädchen. »Er ist auch sehr klug. Er kann viele Kunststücke.«

»Das glaube ich. So sieht er auch aus.« Denise kraulte den Hund. Wie ihre Stieftochter Andrea war auch sie eine Tiernärrin.

Dem Hund schien zu gefallen, dass sie ihn kraulte. Er gab ein friedliches Knurren von sich und schmiegte seinen schlanken Körper an Denises Beine.

»Bessy!« Das Mädchen riss ihren Hund zurück. Die Augen der Kleinen blitzten zornig. »Lassen Sie sofort meinen Hund in Ruhe!«

»Ich tue deinem Hund nichts. Ich weiß, dass er dir gehört.« Denise richtete sich auf. War die Kleine eben noch zutraulich gewesen, jetzt blickte sie wieder verängstigt.

»Dein Hund heißt also Bessy«, begann Denise ein neues Gespräch. »Und wie heißt du?«

»Bine«, antwortete die Kleine wohlerzogen, dann wandte sie sich aber sofort wieder ihrem Hund zu. »Komm, Bessy, wir müssen weiter. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.«

»Wohin musst du denn?«, erkundigte sich Denise. Sie fand, die Kleine war ein entzückendes Kind. Sie hatte schulterlanges blondes Haar und Ponyfransen. Wenn sie lachte, erschienen Grübchen in ihren Wangen.

Die Kleine legte einen Zeigefinger über die Lippen und schüttelte ernst den Kopf. »Das verraten Bessy und ich nicht.« Sie packte den Hund am Halsband und begann daran zu zerren.

Der Hund schien zu zögern. Er hob den Kopf, stieß ein kurzes Bellen aus, und dabei blickte er Denise an. Wollte der Hund etwas von ihr?

»Komm schon«, rief das Mädchen ungeduldig. Es bückte sich nach einem Stein und warf ihn mit aller Kraft so weit wie es konnte. Der Hund schoss davon.

»Auf Wiedersehen«, sagte die Kleine höflich und stob hinter dem Hund her.

Denise von Schoenecker sah ihr gedankenverloren nach. Sie fand, irgendwie wirkte das Kind verloren. Es schien an seinem Collie Halt zu suchen. Andererseits war es aber auch sehr selbstbewusst.

Denise schüttelte über sich selbst den Kopf. Da zerbrach sie sich schon wieder über ein fremdes Mädchen den Kopf, während sie doch noch Besorgungen zu machen hatte. Sie ging den Kiesweg zurück, wobei sie hinter sich das Bellen des Hundes und die helle Stimme des Mädchens hörte. Die Kleine schien ihren vierbeinigen Begleiter schon wieder zu rufen.

Sabine oder Bine, wie sie sich selbst nannte, hatte jetzt den Springbrunnen erreicht. Sie beugte sich über den Rand und tauchte ihre Hand in das sprudelnde Nass. Dann sah sie sich nach ihrem Hund um. »Bessy, wo bist du?«

Der Hund gab einen Laut und schoss hinter dem Springbrunnen hervor. »Hast du auch so einen Durst?«, fragte die Kleine und spritzte den Collie an.

Der Hund jaulte. Bine sah darin eine Antwort. »Was machen wir nun? Wollen wir davon trinken?« Fragend sah sie ihren Collie an.

Bessy, eine Hündin, bellte kurz, dann stellte sie ihre Vorderbeine auf den Beckenrand.

»Du meinst also, ich kann trinken?«, fragte Bine erfreut und beugte sich erneut über den Rand des Springbrunnens. Mit beiden Händen schöpfte sie Wasser und trank.

»Aber ich habe auch Hunger, Bessy. Was sollen wir dagegen tun? Seit heute früh habe ich nichts mehr gegessen.«

Der Hund stieß sie mit der Schnauze an, und Sabine strich ihm traurig über den Kopf. »Ich weiß, du hast auch Hunger. Aber du verstehst mich doch. Wenn wir nicht fortgelaufen wären, dann hätten sie uns getrennt.«

Mit großen Augen sah der Hund zu ihr empor. »Mir muss etwas einfallen.« Bine nagte an ihrer Unterlippe, dann hob sie entschlossen den Kopf. »Ich bin ja für dich verantwortlich. Wir sind nun ganz allein, haben sonst niemanden mehr.« Tränen wollten in ihre Augen schießen, doch sie schluckte sie tapfer hinunter.

»Bessy, wir wollen weiter. Oder glaubst du, ich hätte die Frau fragen sollen, ob sie etwas zu essen hat? Sie sah sehr nett aus.« Bine sah in den Park hinein, doch von Frau von Schoen­ecker war nichts mehr zu sehen. Nur eine ältere Frau kam langsam näher. Sie benutzte beim Gehen einen Stock.

Bine beugte sich tiefer über ihren Hund. »Die fragen wir lieber nicht«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Wer ist schneller bei den Bäumen?«, rief sie dann und lief quer über die Wiese voraus.

Als die beiden die Bäume erreicht hatten, sah Sabine ein Parkcafé. »Dort gibt es sicher etwas zu essen«, sagte sie seufzend. »Vielleicht haben sie wenigstens etwas für dich.« Wie hypnotisiert ging sie auf den Eingang zu. Dort beugte sie sich wieder zu ihrem Hund hinab. »Sollen wir es wagen?«, fragte sie. »Sollen wir einfach hineingehen?«

Bessy rührte sich nicht. Sabine griff in das Fell ihres Hundes und hielt sich daran fest. »Du hast also auch Angst«, sagte sie leise und dann etwas entschiedener: »Ich habe aber Hunger.«

Die Frau, die eben im Eingang erschien, hatte ihre Worte nicht gehört. Sie musterte das Kind nur flüchtig. »Suchst du jemanden? Ist deine Mami in unserem Café?«

»Ja …, nein … Ich weiß nicht, wo meine Mami ist.« Sabine stieß Bessy an. »Wir gehen lieber wieder«, sagte sie entschieden und verschwand um die Hausecke.

Auf der anderen Seite des Hauses befand sich die Terrasse. Sabine blieb stehen, als sie Frau Rennert erblickte, die dort unter einem Sonnenschirm saß, vor sich ein großes Kuchenstück. »Hm!«, machte sie. Bei diesem Anblick lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Ihre Hand legte sich auf ihren Bauch, der knurrte.

»Glaubst du, dass sie mir etwas abgibt?«, flüsterte Sabine.

Der Hund schien anderer Ansicht zu sein. Er wollte weiter. Doch Sabine hielt ihn fest. »Wir müssen es versuchen«, flüsterte sie.

Frau Rennert saß mit dem Rücken zum Terrassenaufgang und hatte so das Mädchen noch nicht bemerkt. Langsam begann sie ihren Kuchen zu essen, ohne zu ahnen, dass heißhungrige Augen jede ihrer Bewegungen verfolgten. Als die Kellnerin auf der Terrasse erschien, beschloss sie, sich auch noch ein Eis zu genehmigen. Sie gab die Bestellung auf.

Sabine, die sich nicht von der Stelle gerührt hatte, flüsterte Bessy ins Ohr: »Sie muss viel Geld haben.«

Die Kellnerin brachte einen großen Eisbecher. Bei diesem Anblick drohte Bine fast das Herz stillzustehen. »Mensch, ist der groß«, murmelte sie. Zögernd stieg sie die ersten zwei Stufen zur Terrasse empor. Bessy folgte ihr auf den Fersen.

Plötzlich erhellte sich Bines Miene. Ihr Blick war auf die große Handtasche gefallen, die neben Frau Rennert stand. Sie wandte sich zu Bessy um und legte den Finger auf die Lippen. »Du musst ganz still sein. Sie darf uns nicht hören.« Ihre Stimme war nur ein Hauch.

Dann zögerte Sabine nicht länger. Sie hatte schrecklichen Hunger, und nur das zählte. Von hinten schlich sie sich an Frau Rennert heran und streckte vorsichtig ihre Hand nach der Tasche aus.

Bessy war auf der Treppe stehen geblieben. Jetzt bellte sie kurz. Erschrocken fuhr Sabine herum und warf dem Collie einen bitterbösen Blick zu, aber Frau Rennert hatte noch immer nichts bemerkt. Sie genoss den schönen Spätnachmittag. Während ein Löffelchen Eis nach dem anderen in ihrem Mund verschwand, ließ sie ihren Blick durch den Stadtpark von Maibach schweifen. Er war gut gepflegt, wenn er auch nicht den alten Baumbestand besaß, wie ihn der Park von Sophienlust aufwies.

Sabine presste die Lippen zusammen. Erneut schoss ihre Hand vor. Schon hielt sie den Henkel der Tasche fest, als Bessy erneut bellte, diesmal andauernder und lauter.

Sabine stand wie gelähmt. Sie war nicht einmal fähig, ihre Hand zurückzuziehen. Dann geschah auch schon das Gefürchtete. Frau Rennert wandte den Kopf. Erstaunen malte sich in ihren Zügen. »Was willst du mit meiner Handtasche? Du wolltest doch nicht …?«

Frau Rennert konnte es nicht fassen. Die Kleine sah wie ein Engel aus.

Sabine war rot geworden. Noch hielt sie den Henkel der Handtasche fest. »Ich wollte, ich habe …« Sie wandte sich zu ihrem Hund um. »Du bist ein ganz dummer Hund«, schimpfte sie. »Warum hast du nicht deine Schnauze gehalten? Hast du überhaupt nichts kapiert? Wovon soll ich jetzt etwas für uns zu essen kaufen?«

Der Griff, mit welchem Frau Rennert Sabines Schulter umspannt hielt, lockerte sich. »Was hast du da gesagt?«

»Nichts, ich habe nur mit meinem Hund gesprochen.« Sabine hatte Angst, war sehr verlegen und wollte diese Gefühle hinter Trotz verstecken.

»Das habe ich begriffen. Ich verstehe nur nicht, wie du mit dem Hund schimpfen kannst. Das, was er getan hat, war sehr klug.« Frau Rennert betrachtete das Mädchen und versuchte sich ein Bild von ihm zu machen. Sie hatte ihr Leben lang mit Kindern zu tun gehabt und verstand meistens, was in den kleinen Seelen vorging.

»Bessy, hilf mir«, rief Sabine. Sie versuchte Frau Rennerts Arm abzuschütteln. »Bessy, willst du überhaupt nicht mehr gehorchen?« Verzweifelt sah sie sich nach dem Hund um. Dieser kam auch langsam näher und blieb dicht neben ihr stehen.

»Du bist ein schöner Hund«, sagte Frau Rennert. Als Antwort wedelte Bessy mit dem Schwanz.

»Was tust du?« Mit beiden Händen schubste Sabine ihren Hund weg. »Du darfst doch zu ihr nicht freundlich sein. Sie ist unsere Feindin.« Sie schluchzte auf. »Wirst du bellen, ganz wütend musst du bellen.«

Bessy trabte um Frau Rennert und Sabine herum. Ihre Augen suchten die kleine Herrin, aber sie bellte nicht.

Mit der Faust wischte Sabine sich die Tränen, die ihr in die Augen geschossen waren, weg. »So geht es nicht. Wenn du mir nicht folgst, kommen wir nicht weiter. Du musst zu mir halten. Sonst gehe ich wieder dorthin zurück, woher wir gekommen sind, und du kannst sehen, wo du bleibst.«

Der Hund rieb seinen Kopf an Sabines Knie und knurrte leise.

»So geht es aber auch nicht«, sagte Frau Rennert und zog das Mädchen auf einen Stuhl. »Du kannst doch nicht einfach stehlen.«

»Ich stehle nicht, ich bin kein Dieb.« Sabines Augen blitzten empört.

»Du wolltest doch meine Handtasche nehmen, oder?«

Sabine senkte sofort den Blick, ihre Wangen brannten. »Ja, aber ich habe Hunger. Bessy hat auch Hunger.« Die Hand um den Hals des Hundes gelegt, sah sie Frau Rennert offen an. »Ich muss für sie sorgen.«

»Und da wolltest du stehlen?«

»Ich wollte Ihre Handtasche nehmen. Sie haben sicher Geld, sonst könnten Sie nicht Kuchen, Kaffee und dann noch ein so großes Eis essen. Ich hätte mir nur Wurst und Brot gekauft.«

»Trotzdem, das ist Diebstahl.« Frau Rennert ließ endlich Sabines Schulter los und hob deren Kinn an. »Sieh mich an. Du weißt doch, dass man nie etwas nehmen darf, was einem nicht gehört.«

Sabine nickte.

»Du hast es aber trotzdem versucht. Du hast gesagt, dass ihr Hunger habt. Auch wenn man Hunger hat, darf man nicht stehlen.«

»Das verstehen Sie nicht«, sagte Sabine wieder trotzig und drehte den Kopf weg.

»Willst du es mir nicht erklären?«, fragte Frau Rennert freundlich. »Wenn du Probleme hast, kann ich ja versuchen, dir zu helfen. Ich nehme an, du bist von zu Hause ausgerückt.«

»Nicht von zu Hause! Aber wir sagen nichts mehr. Nicht wahr, Bessy, es ist besser, wenn wir nichts verraten.« Sie beugte sich zu ihrem Hund hinab. »Ich weiß nämlich nicht, ob ich ihr vertrauen kann.«

*

Geduldig wartete Frau von Schoenecker, bis die Fußgängerampel auf grün sprang, dann steuerte sie den Eingang des großen Warenhauses an. Ihr waren inzwischen noch weitere Sachen eingefallen, die sie für die Kinder von Sophienlust kaufen wollte. Sie ging schnell, doch plötzlich stockte ihr Fuß. Das Fahrrad, das dort im Ständer stand, glich dem ihres Sohnes. War Nick ebenfalls in Maibach? Beim Mittagessen hatte er das mit keinem Wort erwähnt.

Denise wusste, ihr Sohn Dominik, genannt Nick, wurde langsam erwachsen, selbstständig. Oft hatte sie dies in der letzten Zeit feststellen müssen. Wie gut, dass sie noch Henrik, das Nesthäkchen, hatte. Aber auch er war mit seinen neun Jahren schon ein kluger, kräftiger Junge, der stets etwas im Schilde führte.

Denise von Schoenecker, die inzwischen weitergegangen war, blieb nun endgültig stehen. Sie sah Nick, ihren sechzehnjährigen Sohn, aus dem Warenhaus kommen. Er hatte sie noch nicht bemerkt, denn er hielt den Blick gesenkt. Es schien etwas nicht geklappt zu haben.

Rasch machte Denise ein paar Schritte, schob sich an Kaufhausbummlern vorbei und ergriff Nick am Arm.

»Mutti!« Erstaunt sah der hochgeschossene Junge auf. »Was tust du denn hier?«, fragte er dann verlegen.

»Das wollte ich eigentlich dich fragen.« Denise zog ihren Sohn aus dem Gedränge, das vor dem Eingang des Kaufhauses herrschte.

»Ich wollte etwas einkaufen.« Nick hob den Blick und sah seine Mutter voll an. »Eigentlich ist es toll, dass ich dich hier angetroffen habe. Mein Geld hat nicht gereicht. Kannst du mir etwas borgen?«

»Und was du so dringend kaufen willst, das willst du mir nicht verraten?« Denise musterte ihren Sohn. Sie hatte ein sehr gutes Verhältnis zu ihm und hatte mit ihm bisher über alles gesprochen.

»Doch, Mutti. Warum auch nicht?« Nick warf den Kopf in den Nacken, dann stieß er etwas zu hastig hervor: »Ich wollte für Pünktchen ein Stirnband kaufen. Es sollte eine Überraschung sein, denn sie beklagt sich immer, dass ihr beim Reiten die Haare in die Augen fliegen.« Er wurde eifriger. »Dem gibt sie die Schuld, wenn ich schneller bin.«

»Du musst sie eben beim Wettreiten gewinnen lassen«, sagte Denise und konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Sie hatte nichts gegen die Freundschaft ihres Sohnes mit der dreizehnjährigen Angelika Dommin, die wegen ihrer Stupsnase, die eine Menge Sommersprossen zierten, von allen nur Pünktchen genannt wurde. Sie schätzte das Mädchen sehr, das Nick vor vielen Jahren gefunden und ins Kinderheim gebracht hatte. Pünktchen war ihr bereits eine große Hilfe. Sie kümmerte sich besonders liebevoll um die kleineren und neuen Kinder.

»Das tue ich sowieso, aber du kennst Pünktchen ja. Zu oft darf ich sie nicht gewinnen lassen, sonst wird sie misstrauisch. Sie will doch, dass alles seine Richtigkeit hat. Sie kann auch eigensinnig sein.« Nick seufzte wie ein Mann, der bereits vielseitige Erfahrungen gemacht hatte. Denise musste lachen.

»Lachst du mich aus?«, fragte der Junge sofort misstrauisch. »Ich will Pünktchen doch nur eine Freude machen. Vati findet auch, dass Pünktchen ein prima Kerl ist«, verteidigte er sich.

»Dieser Meinung bin ich auch.« Denise schmunzelte und dachte daran, dass Pünktchen eine gewisse Vorzugsstellung genoss. Sie durfte Alexander von Schoenecker, ihren Mann, als einzige Bewohnerin des Kinderheims Sophienlust, Onkel Alexander nennen.