Sagen & Märchen Altindiens - Alois Essigmann - E-Book

Sagen & Märchen Altindiens E-Book

Alois Essigmann

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Beschreibung

In "Sagen & Märchen Altindiens" entführt uns Alois Essigmann in die faszinierende Welt der indischen Folklore. Durch eine Sammlung von alten Legenden, Mythen und Erzählungen gibt das Buch einen Einblick in die reiche kulturelle Tradition des alten Indiens. Essigmann präsentiert diese Geschichten mit einer bezaubernden poetischen Sprache und einem tiefen Verständnis für die spirituellen und philosophischen Dimensionen der indischen Mythologie. Mit einem feinen Gespür für die Nuancen und das Wesen der indischen Erzähltraditionen schafft der Autor eine eindringliche und fesselnde Lektüre, die den Leser in eine zauberhafte Welt eintauchen lässt. Alois Essigmann, ein renommierter Experte für indische Kultur und Literatur, verbindet in diesem Buch sein fundiertes Wissen mit einer leidenschaftlichen Liebe zur Erzählkunst. Seine akribische Recherche und sein tiefes Verständnis für die kulturellen Hintergründe geben den Geschichten eine authentische und ansprechende Dimension. "Sagen & Märchen Altindiens" ist sowohl für Liebhaber indischer Literatur als auch für Leser, die sich für spirituelle Überlieferungen und mythologische Erzählungen interessieren, eine einzigartige und lohnende Leseerfahrung, die sowohl unterhält als auch bildet.

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Alois Essigmann

Sagen & Märchen Altindiens

31 Legenden aus Indien
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Inhaltsverzeichnis

Meine liebe, stille Mutter!
Vorwort
Im Weltalter der Götter
Schöpfung und Flut
Die Götter und ihre Feinde
Katscha und Dewajani
Mada, der Riese Leidenschaft
Nahuscha
Der Fluch der Schlangenmutter
Amrita, der Göttertrank
Patala, die Unterwelt
Ganga, die Dreipfadige
Das Schlangenopfer
Nala und Damayanti
Bharatas Heldenstamm
Vorgeschichte
Bhischma
Amba – Schikhandin
Pandu und Dhrilarasehtra
Pandava und Kaurava
Jugend
Feindschaft
Bhimas Abenteuer
Draupadi
Ardschuna
Großkönig Judhischthira
Das Spiel
Die zwölf Jahre
Der Raub der Draupadi
Die zwölf Monde
Recht oder Macht?
Die Schlacht
Bhischmas Ausgang
des Erhabenen Gesang:
Dronas Ende
Karnas Tod
Sieg, Rache und Klage
Der Pandava Ausgang

Meine liebe, stille Mutter!

Inhaltsverzeichnis

Als du vor drei Jahrzehnten Deinen Kindern Märchen vorlasest, waren sie alle erstaunt: Du konntest Deine sanfte Stimme zur Härte zwingen, wenn Du als Harun al Raschid den bösen Kalum-Bek verurteiltest. – Nie hätten sie solches von Dir erwartet.

Wie recht tatest Du, keinerlei Pathos an diese flache Tatsachenwelt zu verschwenden, Maß zu halten in allem, was sich messen läßt, und dafür in der Unendlichkeit der Phantasie zu schwelgen!

Wenn ich diese Arbeit Deinem Andenken weihe, so dankt der Mann seiner Kindheit. Das gärende Werden, das zwischen Anfang und Reife liegt, lag auch zwischen Mutter und Sohn, wie die Jugend zwischen Kind und Mann.

Es ist vorbei! Alle Irrwege haben sich zum sicheren Pfad vereinigt.

Nimm hier die erste Frucht, die ich an diesem Wege zum Glück gepflückt habe. Du bist ja noch unter uns, als wärest Du am Leben!

Dein dankschuldiger Sohn Alois Essigmann

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

Diese Sagen und Märchen sind nicht nur Tausende von Jahren alt, sie sind auch im Laufe vieler Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende, entstanden, lange Zeit nur mündlich überliefert und auch nach der Niederschrift noch durch Jahrhunderte hindurch geändert, erweitert, den Sitten und Gebräuchen der Zeit, sowie dem Geschmack der jeweiligen Dichter angepaßt worden.

So erklärt sich mancher Widerspruch in der Auffassung und Verehrung von Göttern und Helden, in Landesbräuchen usw.

Zu merken wäre, daß die ältesten Inder ein sehr kriegerisches Volk waren und leibhaftige Naturkräfte als Gottheiten verehrten (Indra, Varuna, Agni usw.). Später aber riß der Priesterstand die Herrschaft an sich, die Naturgötter mußten sich den erdachten Repräsentanten der sittlichen Ordnung (Brahma, Wischnu, Dharma usw.) und Könige, Krieger und Volk ihren Priestern, den Brahmanen, beugen.

Mit dem der Allgemeinheit geläufigen Buchstabenmaterial ist es nicht möglich, ein vollkommen klangtreues Lautbild der altindischen Namen und Worte zu geben. Ich habe mich deshalb mit einer Annäherung begnügt und möchte nur noch bemerken, daß bei der von mir gewählten Schreibweise das Sch, sch im Anlaut weich gesprochen wird. Die letzte Silbe der Frauennamen ist lang.

Im Anhang habe ich ein alphabetisches Namensverzeichnis angefügt, welches manchen durch die vielen Namen vielleicht verwirrten Leser rasch über die Beziehung einzelner Personen zur Erzählung orientieren mag.

Im Weltalter der Götter

Inhaltsverzeichnis

Schöpfung und Flut

Inhaltsverzeichnis

Eine Ewigkeit hatte Brahma als Nichts auf dem Rücken der Urschlange Sescha geruht und sich zum All gesammelt.

Dann schuf sein Denken die zehn Schöpfer!

Sie wurden die Väter der Götter und Dämonen, die Ahnherrn der Menschen, und bauten mit ihnen Welten aus dem All.

Kaschjapa, einer der Schöpfer, nahm die Töchter des Schöpfers Dakscha zu Gattinnen:

Aditi schenkte ihm die Aditia oder Götter, Diti die Daitia und Danu die Danawa, zwei den Göttern feindliche Dämonengeschlechter.

Der Sohn der Sonne aber war Manu, der erste Mensch.

Im Auf und Ab der Zeiten vermehrten sich die Geschöpfe schier ins Unendliche, da dem Leben noch kein Ende gesetzt war.

Brahma versank in tiefes Denken:

Er wollte dem wuchernden Leben Einhalt gebieten, doch er konnte kein Mittel finden, den Strom der Fruchtbarkeit einzudämmen: Sein schöpferischer Wille hatte ihn hervorgebracht, und der war für ewige Zeiten unabänderlich.

Da schlugen, im Zorn über seine Hilflosigkeit, lohende Flammen aus den Augen des ohnmächtigen Allmächtigen und drohten die Welt zu verzehren!

Der Gott Schiwa aber fühlte inniges Mitleid mit allem Leben und bat den Erhabenen, seinen Zorn zu mäßigen, daß dessen Feuer das herrliche All nicht fräße. Die Flammen erloschen vor diesem Hauch des Alleinsempfindens!

Ein Tropfen fiel von der Stirne Brahmas und ward zu einem ernsten, schwarzäugigen Weib in purpurnem Kleide.

Nach Süden wandte es sich, um von dannen zu schreiten, als der Herr es anrief:

»Du Frucht meines Denkens über Vernichtung des Lebens sollst Tod heißen:

Du geh' und schlage Weise wie Toren, Gute wie Böse und alles was lebt, auf daß es nicht mehr erstehe, denn die Welt sinkt schier ins Wasser von seiner Last!«

Laut weinend warf sich die Lotusgeschmückte vor dem Allmächtigen auf die Knie und barg ihr Antlitz in seinen Händen.

»Gnade! Du Herr der Welt!« schluchzte sie.

»Soll ich Kindern und Greisen, Starken und Schwachen, Sündern und Büßern mit gleichem Maß messen? – Wie wird man mich hassen, wenn Vater und Mutter, Gattin, Freund und das Kind in der Wiege dahinschwinden! Durch alle Ewigkeit werden die Tränen der Unglücklichen mich brennen! – Gnade! Du gütiger Vater der Wesen!«

»Mein Wort ist unabänderlich und ewig!« sprach der Herr: »Tod soll das Leben enden! Doch du wirst vor den Geschöpfen ohne Schuld sein: du liebst sie, du sollst sie befreien! Zorn, Haß und Neid werden ihren Untergang zeitigen, ehe sie in deinen Armen Ruhe finden; die Tränen, die du in meine Hand geweint, will ich als Siechtum über die Erde streuen, so daß die Vergehenden dich als Erlösung ehren: Mögen die Sünder durch ihre Sünden vergehen – du bist die sühnende Gerechtigkeit, die sie, ohne Haß, ohne Liebe, aufnimmt!

Und Yama, der Herr über das Recht ist, soll auch Herr sein über dich, Tod!«

So war Tod in die Welt gekommen, auf daß sie sich ewig erneuere!

Noch einmal drohte allem Atmenden der Untergang, als ein Danawa dem ruhenden Brahma die heilige Lehre Weda stahl, die dem schlafenden Gott über die Lippen quoll.

Der Erwachte beschloß, eine Flut über die Erde fegen zu lassen und sich eines edlen Menschen zu bedienen, um die entsühnte Welt mit neuen Geschöpfen zu bevölkern:

An den Ufern der Wirini stand Manu, in strenger Bußübung die Arme zum Himmel erhoben, den Blick in die eilenden Wellen des Flusses versenkt. Da schwamm ein kleines Fischlein auf ihn zu und sprach mit menschlicher Stimme:

»Sieh! Du büßender Gerechter: Die großen Fische fressen die kleinen, die Starken verdrängen die Schwachen! Ich bin in steter Sorge um mein Leben. Rette mich, edelmütiger Büßer, vor dieser verzehrenden Furcht!«

Voll Mitleid schöpfte Manu das Fischlein mit der hohlen Hand aus dem Fluß und trug es rasch nach Hause. Dort setzte er es in eine silberne Schüssel, pflegte seinen Schützling voll frommen Eifers und liebte ihn wie einen Sohn.

Aber das Fischlein wuchs unter der Sorgfalt des Guten gar rasch und hatte bald nicht genug Raum in der Schüssel.

Auf seine Bitte setzte Manu es in einen großen Weiher: der maß drei Meilen in der Länge und eine in der Breite.

Doch der Fisch wuchs weiter, und nach einiger Zeit ward ihm auch dieses Wasser zu eng. Wieder bat er seinen gütigen Pfleger, ihn in ein größeres Gewässer zu setzen:

»Zur Ganga bringe mich, zu des Meeres Gattin! Dort möchte ich mich tummeln, du Lieber! Doch tu', wie du willst – du bist der Herr, denn deiner Güte verdank' ich das Wachstum, du Sündenloser!«

So brachte Manu den Fisch nach der Ganga, und als ihn auch die Ufer dieses Stromes beengten, trug er ihn nach dem weiten Meer. Dort setzte er den Riesenfisch, der einen himmlischen Wohlgeruch ausströmte, in die lockende Flut.

Der Fisch aber sprach mit freundlichem Lächeln:

»Du, Glückseliger, hast mich in treuer Sorge erhalten, so höre meinen Rat und handle danach:

Bald wird die große Reinigungsflut über die Erde fegen, denn Lebendem und Totem ist die Zeit des Schreckens nahe!

Baue ein Schiff und besteig' es mit den sieben Heiligen! Und Samen aller Art nimm auf und bewahre ihn wohl! Harre meiner, wenn die Flut dich trägt! An einem Horne sollst du mich erkennen!«

»Ich will tun, wie du geraten hast!« sprach Manu, und als der Fisch untertauchte, schritt er in den Wald und begann den Schiffbau.

Und als das Schiff fertig und genau nach des Fisches Rat beladen war, hob sich die Flut über die Erde und Manu glitt auf den Wogen dahin.

Und als er des wunderbaren Fisches gedachte, kam dieser geschwommen, und Manu sah an seiner Stirne ein großes Horn.

Daran mußte nun der Büßer sein Schiff binden, und in schneller Fahrt zog es der Fisch über die weite Meeresflut.

Stürme tobten über das Wasser, daß sie schier Sonne, Mond und Sterne verlöschten! Nur die sieben Heiligen, die mit Manu über das Wasser glitten, erglänzten im reinen Licht ihres sündenlosen Seins. Das Schiff tanzte über die Wellen wie ein liebetrunkenes Weib. Alles Land war versunken, und schier endlos schienen die Wasser.

Viele Jahre zog der Fisch schweigend das Schiff durch die Nacht!

Endlich stieß es an den höchsten Gipfel des Himawat, und Manu mußte es auf Geheiß des Fisches dort anbinden; heute noch nennt das indische Volk den Berg »Schiffsbindung«.

Der geheimnisvolle Fisch aber sprach zu Manu:

»Ich bin Brahma, das höchste und ewige Wesen!

Dich habe ich aus der Flut gerettet, auf daß du meine Welt mit neuen Geschöpfen bevölkerst: Bete und schaffe, so wird es dir gelingen!«

Damit verschwand der Gott vor den Augen Manus.

Als die Wasser sich verliefen, reinigte der Gerettete seine Seele in frommer Sammlung, dann breitete er neues Leben über die weite Erde.

Die Götter und ihre Feinde

Inhaltsverzeichnis

Mitten im Weltall ragt der Berg Meru in den Himmel und durch die Erde in die Unterwelt.

Er ist der geheiligte Sitz der Götter, den Sonne, Mond und Sterne voll Ehrfurcht rechtshin umwandeln und von allen Seiten mit ihrer Lichtflut umspülen.

Wie Strahlen um einen Stern, liegen die Erdteile um ihn.

Auf seinen Höhen wohnen die Götter unter der Herrschaft des kriegerischen Indra.

Schakra, der Mächtige, heißt er allen, denn er hat die schwankende Erde befestigt und das Blau des Himmels darüber gespannt. Er verteidigt sie gegen Daitia und Danawa in ruhmreichen Kämpfen und segnet sie mit fruchtbringendem Regen in schenkendem Frieden.

Die Wasu oder Erdengötter, die Rudra und Maruta, Wind- und Wettergötter, die lieblichen Apsaras, himmlische Wasserjungfrauen und des Himmels Spielleute: die Gandharva, sie alle ziehen in Indras Gefolge einher und beglücken Mensch und Tier, Baum und Gras, ja den dürstenden Sand in der Wüste mit ihren freundlichen Gaben.

Schatschi, die Macht, ist des Götterkönigs Gattin, ein ragendes Beispiel weiblicher Treue. Sie kost mit dem geliebten Gatten, wenn er aus der Schlacht kommt, sie schmückt ihm den Herdsitz, wenn er ruht nach friedlicher Reise, auf der er Flüsse, Seen und Teiche gefüllt und nach der Ordnung in den Reichen der Erde gesehen hat.

Der große, blonde Sohn der Aditi ist der Vorkämpfer der Götter, wenn die Dämonenscharen der Diti- und Danusöhne sich gegen den Himmel wälzen. Er ist Meister aller Waffen, und siebenfarbig ist sein großer Bogen, der nach dem Kampf am Himmel hängt.

Varuna steht neben Indra, der mächtige Herr der Gewässer. Sein Reich ist das unendliche Meer mit all seinen Schätzen und die gewaltigen Ströme, die flinken Wasser der Erde. Geheimnisvoll wirkt er noch in dem kleinsten Grashalm, denn seinem Gesetze gehorcht alles Leben. Er ist ein mächtiger Hüter der Menschheit und wacht über ihre Sitte: Der Unklarheit, der Unwahrheit ist er feind und straft sie mit Krankheit und heillosem Siechtum.

Agni, der milde Gott des Feuers, ist des Götterkönigs getreuer Freund und Kampfgenosse. Sein Wagen ist mit roten Stuten bespannt und so stürmt er die hölzernen Burgen der Feinde.

Er ist der ewig Junge, der sich stets erneuert!

Gerne wohnt er bei den Menschen und trägt ihre Opfer zu den Göttern.

Auch Agni ist ein Freund der Wahrheit, und die Liebe zu ihr hat einst den Fluch eines Heiligen auf ihn geladen:

Der Seher Bhrigu warb um Puloma, die Braut eines Riesen, und führte sie als Gattin in seine Einsiedelei. Verzweifelt irrte der verlassene Riese durch die Wälder, und als er zufällig die leere Klause des Heiligen betrat, warf er sich betend vor dem flackernden Hausfeuer nieder und flehte Agni um Wahrheit an:

»Wo ist Puloma? – Du schwarzpfadiger Gott! wo weilt sie, deren liebliches Lachen mir eine glückliche Zukunft verhieß? Sprich, du Siebenzüngiger, vor dessen Sitz die Ehen geschlossen werden: War sie die Meine, da sie sich mir versprochen? – Ward sie mir nicht geraubt? – O du, der du die ganze Welt durchziehst, der du in Sonne, Mond und Sternen bist wie in dem kleinsten Spanlicht, im opferfressenden Feuer wie im winzigsten Tröpflein Blut – du Allesseher! gib mir Wahrheit: wo weilt Puloma und ist sie die Meine?«

Um der Wahrheit willen sagte Agni, daß Puloma des Riesen Weib sein müßte, daß sie aber nun als Gattin Bhrigus in der Einsiedelei hause.

Da verbarg sich der Riese in der Nähe und raubte die Heimkehrende ihrem Gatten.

Als Bhrigu sah, daß er sein Weib verloren hatte, verfluchte er den schwatzhaften Agni!

»Werde zum verachteten Allesesser! verzehre, was du berührst – sei es rein oder unrein, erlaubt oder verpönt vom religiösen Gesetz – dich soll danach hungern, mundschneller Gott! – selbst Leichen sollen dir noch als köstliche Speise munden!«

Entsetzt floh Agni vor dem Fluch des zürnenden Heiligen und verbarg seine Schmach im Meer, da der Hohn seiner Feinde ihn »Allesfresser« nannte.

Mit einem Schlag hörten alle Opferfeuer zu brennen auf, die Götter hungerten, und die Menschen verkamen in Sittenlosigkeit.

In dieser Not baten die sieben Heiligen Brahma um Hilfe, denn ein feierlicher Fluch nimmt unaufhaltsam wie das Schicksal seinen Lauf: Das schnelle Wort kann nicht zurückgenommen, nur in seiner Wirkung gemildert werden.

Und der Allmächtige rief Agni vor sein Angesicht und sprach zu dem Betrübten:

»Du wirst bis ans Ende der Zeiten dem Fluche folgen und verzehren, was du berührst! doch ich schenke dir auch die Gabe, zu reinigen, was du berührst. So bist du zwar ein Allesesser, aber nichts Unreines wirst du essen, denn deine Berührung reinigt alles!«

Pavaka, der Reiniger, heißt Agni seither den Andächtigen.

Yama, der ernste Völkersammler, der über den Tod und das Recht herrscht, ist ein nimmermüder Freund der Menschen und getreuer Hüter der Ordnung. Im Gefolge des schweigsamen Herrschers schreiten die Ahnen und Väter der Lebenden. Seine Boten schweifen über die Erde und führen die Gezeichneten in sein gastliches Haus.

Surya und Soma, der Gott der Sonne und des Mondes, teilen die Ewigkeit, auf daß sie als Zeit geregelt erscheine. Surya ruft täglich zu neuem Leben, und Soma läßt sein balsamisches Licht in die Nächte fließen, auf daß die Menschen darin Heilung und neue Kraft finden.

Uschas, die liebliche Morgenröte, erfreut Götter und Menschen, wenn sie das Himmelstor öffnet. Sie sendet alltäglich ihre beiden Reiter aus, um Verzweifelnde aus dem Schrecken der Nacht zu erlösen.

Aswinas heißen die schönen Jünglinge, die auch die Ärzte des Himmels sind.

Kama, der Liebesgott, reitet als ewiger Jüngling auf einem bunten Papageien und schwingt seinen goldenen Bogen, an welchem eine Schnur wilder Bienen die Sehne ist. Duftende Blüten sind die Spitzen seiner sehnsuchtbefiederten Pfeile, und ihre Wunden heilt allein Kamas Gattin: Rati, die Lust.

Wischnu und Schiwa, Erhalter und Zerstörer, sind Teile des Schöpfers, sind er selbst, der urewig geheimnisvolle, dreieinige Gott Brahma.

Brihaspati, der weise Sohn des Angiras, versieht als Priester den Opferdienst im Himmel. Er ist der gütige Mittler zwischen den Aditisöhnen und Brahma, dem ehernen Schicksal, dem sich auch die Götter beugen müssen.

Nicht sorglos fließt ihr Leben dahin; sie kämpfen um ihr Dasein, wie die Erdenkinder, und ihre schrecklichsten Feinde sind die starken Söhne der Diti und Dann, die wilden Dämonen der Finsternis, der Dürre, der sengenden Glut.

Auf kühner Streife war es einst Bala, dem Danawafürsten, gelungen, die Kühe der Götter zu rauben und sie in der weiten Höhle eines Berges einzuschließen.

Indra zog an der Spitze des Götterheeres aus, die milchspendenden Freunde aller Geschöpfe zu befreien und die Frevler zu strafen.

Auf seinem edelsteingeschmückten Streitwagen, mit den goldenen Radbüchsen und Schienen, brauste der starkarmige Götterkönig durch die Luft, in seinem Gefolge die flechtentragenden Windgenien in gedeckten Fellen, mit goldenen Helmen und Lanzen, die weithin über den Himmel glänzten.

In heißem Pfeil- und Speerkampf wurden die Danawa zurückgedrängt und der dreiköpfige Wischwarupa von Indra im Keulenkampf erschlagen. Ein Wurf mit der nie fehlenden Indralanze spaltete den Berg und befreite die Kühe, so daß sie ihr Labsal über die ganze Erde ergießen konnten.

Doch bald darauf führte Bala seine Dämonenscharen aufs neue gegen den Meru.

In heißer Schlacht entriß er dem Indra die Herrschaft über die Erde und flehte in inbrünstigem Opferdienst, daß Brahma ihn in dem neuen Besitz erhalte.

Da erschien Wischnu in Zwergengestalt, mit der weißen Schnur des Brahmanenstandes um die Brust, vor dem Opfernden, gewann in weiser Rede die Gunst des mächtigen Dämonenfürsten, und als dieser dem Lobredner eine Weihgabe bot, bat Wischnu, ihm drei Schritte Landes zu schenken.

Gerne bewilligte der Fromme dem priesterlichen Zwerg diese Bitte.

Vor den Augen des Dämonenfürsten wuchs nun der Gott ins Unendliche und nahm mit drei Schritten die ganze Welt! 17

Indra, dem Götterkönig, hat er sie wiedergegeben!

Mit Agni, dem kühnen Freund, zog nun Schakra abermals gegen Bala und schlug das Heer der Dämonen aufs Haupt, daß seine Herrschaft aufs neue befestigt war.

Indessen wuchs dem gewaltigen Herrn des Himmels in Writra, dem Fürsten der Kalakeya, einem Riesengeschlecht der Danawa, ein schier unbezwinglicher Gegner heran.

Writra wälzte mit seinen Riesen Berge gegen den Meru, daß die Erde erzitterte. Darauf stürmten die Kalakeya vor und warfen sich gegen die Götter. Der Meru schien in lohenden Flammen zu stehen, so funkelten die goldenen Panzer, die eisernen Keulen der Danawa. Tapfer wehrten sich die Götter, und zu Hunderten und Tausenden fielen die abgehauenen Köpfe der Riesen aus der Luft. Aber Writras Kühnheit hatte unzählige Scharen der Dämonen angelockt und die Götter wurden zurückgedrängt. Als stürzten Berge ein, so tobte es in den Lüften beim Zusammenstoß der feindlichen Helden.

Vergebens stritt Indra mit all seiner Tapferkeit und Stärke, mit allen seinen göttlichen Waffen gegen Writra. Der Danawa in seiner goldenen Wehr schien unverwundbar, und sein gellender Schlachtschrei trieb die Seinen zu tollster Kampfeswut und entmutigte die göttlichen Heerscharen.

Da trat Indra vor Brahma, um von dem Allmächtigen Rat zu erbitten. Brahma wußte, warum der Götterkönig vor ihm stand und sprach:

»Laß aus den Knochen eines Sündenlosen eine sechszackige Keule machen: damit wirst du Writra töten!«

Die Götter baten darauf den Heiligen Dadhitscha, ihnen zu helfen, und willig opferte der Edle sein Leben zum Heile der Welt.

Twaschler, der Götterschmied, verfertigte aus den Knochen des Sündenlosen den Sechszack, und, wieder voll Mut, warfen sich die Götter den Dämonen aufs neue entgegen.

Furchtbar war der Anprall Leib an Leib! wieder schienen die Danawa die Stärkeren zu sein, die Götter weichen zu wollen. Schon klang Writrus Kriegsschrei wie ein Sieges jauchzen – da warf Indra den Sechszack:

Schauerlich rollte der erste Donner durch die Lüfte, die Danawascharen mit Entsetzen erfüllend. Writra sank mit gespaltenem Schädel zu Boden und war tot!

Jetzt drangen die göttlichen Heerscharen auf die entsetzten Dämonen ein und schlugen ihrer viele Tausende nieder. Heulend flohen die letzten vom Schlachtfeld und verbargen sich voll Angst im Meer.

Seither ist der Donnerkeil Indras Lieblingswaffe. Freundlich spricht er mit dem Zackigen vor der Schlacht, und dieser glüht vor Kampfeslust in Schakras Hand, wenn der Feind sich naht.

Ein mächtiger Helfer gegen die Dämonen erstand bald darauf dem Götterkönig in dem Kriegsgolte Skanda:

Agni hatte beim Opfer die Gattinnen der sieben heiligen Seher erschaut, und sein Herz entbrannte in heißer Liebe zu den holden Frauen. Seufzend und sinnend zog er sich in den Wald zurück und fand keinen anderen Gedanken, als den an die tugendhaften Schönen, die er ewig meiden mußte.

Svaha, des Feuergottes Gattin, erkannte in ihrem liebenden Herzen den Kummer des Gemahls, und, um den Treulosen nicht zu verlieren, nahm sie die Gestalt der Gattin des ersten Sehers an und ging am Morgen zu Agni in den Wald. Voll Freude umarmte der Verliebte seine Gattin und verlebte den ganzen Tag in Lust und Freude mit ihr, ohne sie zu erkennen.

In der Dämmerung aber schlich Svaha ins Dickicht, verwandelte sich in einen Geier und flog nach dem Berge Sveta. Dort ruhte sie die ganze Nacht in einem goldenen Bett, von Schlangen und Geistern bewacht.

Am nächsten Morgen flog sie nach dem Wald zurück und nahte sich ihrem Gatten als Frau des zweiten Sehers. Wieder verlebte sie unerkannt einen glücklichen Tag mit Agni. Und wieder ruhte sie des Nachts in ihrem goldenen Bett auf dem Berge Sveta. Und noch viermal gelang es ihr, den geliebten Galten zu täuschen. Nur die Gestalt der Arundhati, der Gattin des siebenten Sehers, konnte sie nicht annehmen: Ihre Zauberkraft versagte vor der unendlichen Liebe der beiden Gatten zueinander!

Die ersten sechs Seher aber hörten von den schwatzhaften Tieren des Waldes, daß ihre Frauen sich mit Agni erlustigt hatten, und jagten die Ungetreuen aus dem Hause.

Unschuldig verdammt, irrten die Unglücklichen durch die Welt, bis Brahma sie als Sternbild an den Himmel setzte.

Svaha aber gebar auf dein Berg Svela den sechsköpfigen Skanda. Dann flog sie als Geier davon, und niemand kannte die Mutter des starken Gottes, der in vier Tagen zum Manne erwachsen war.

Um diese Zeit raubte der Dämon Keschin Dewasena und Daitiasena, die Tochter des Schöpfers Pratschapali. Indra besiegte Keschin und löste die Fesseln Dewasenas, während der starke Dailiafürst mit der Schwester der Befreiten entfloh.

Weinend beklagte die herrliche Dewasena das Los der Unglücklichen und schwor, nur den zum Gatten zu nehmen, der stärker als Götter und Dämonen sei.

Da trat der sechsköpfige Skanda auf den Plan.

Voll Kühnheit verfolgte er den Entführer und besiegte ihn nach heißen Kampf. Dann drang er weit in das Reich der Daitia ein und schlug Bana, den Sohn Balas, in schwerer Schlacht. Als der Dämonenfürst sich voll Angst in den Berg Krauntscha verkroch, spaltete der Gewaltige das Gebirge und tötete den Feigen durch einen Lanzenwurf. Indra, Schiwa und viele andere Götter hatten sich dem kühnen Skauda angeschlossen und lieferten den Dämonen blutige Schlachten.

Nun trat der Riese Mahisa an die Spitze der Dämonen und führte eine Schar ihrer Besten zum Angriff. Mit unwiderstehlicher Kraft fraßen sich die kühnen Recken in das Götterheer und drohten es zu vernichten. Bis dicht vor den Streitwagen des gewaltigen Schiwa rollte die feindliche Woge. Da tötete Skandas Lanze den Mahisa, der seine Keule schon gegen Schiwa erhoben hatte. Dann sprang der Starke unter die führerlose Schar und warf sie mit dem Schwert, wie der Schnitter die Halme. Der Riese Taraka stellte sich dem Sechsköpfigen entgegen: ein furchtbares Ringen hob an, und die Erde erdröhnte von dem Gestampf der beiden gewaltigen Kämpfer. Doch der sechsfachen Kraft des Gottes war keiner gewachsen: Skanda erwürgte den Riesen wie einen tollen Hund.

Indra neigte sich vor dem gewaltigen Kämpfer und bot ihm seine Herrschaft an, doch Skanda wies sie aus Ehrfurcht vor dem mächtigen Writratöter zurück und bat nur, ihm die Führung des Götterheeres anzuvertrauen.

Seither ist Skanda Indras starker und kluger Feldherr und der glückliche Gatte der Dewasena, die ihn stärker als alle Götter und Dämonen gesehen hat. Der rote Hahn, das Banner, welches Skanda von Agni erhalten hat, zieht dem Heere der Götter voran.

Katscha und Dewajani

Inhaltsverzeichnis

Wirschaparwan, der König der Danawa, hatte dem bußereichen Brahmanen Uschanas das Seelenheil der Seinen anvertraut. Als Hauspriester des Königs war der Fromme oberster Priester im Danawareich. Uschanas hatte in strengster Askese und tiefinnerster Sammlung der Natur das Geheimnis des Sterbens abgelauscht. Wen immer er mit seinen Zauberworten rufen mochte, der brach jede Fessel des Todes und trat lebend vor den gewaltigen Büßer.

Da war die Weltherrschaft der Götter in Gefahr! Mochten ihre Waffen auch tausend und abertausend Dämonen in der Schlacht töten, das Zauberwort des Danawapriesters rief alle wieder ins Leben zurück.

Und die Leichen aus dem Heerbann der Götter blieben tot, denn der edle Brihaspati kannte das Zauberwort nicht. Jede Schlacht, und mochte sie auch für die Götter siegreich sein, zehrte an der Macht der Himmlischen.

Mit Grauen gedachten die Götter des Lichtes der Zeit, da die Dämonen der Finsternis, der verzehrenden Dürre, die Herrschaft der Welt an sich reißen, die alte Ordnung zertrümmern und Elend über die Erde breiten würden.

Sie gingen zu Katscha, dem Sohn ihres Priesters Brihaspati, und baten ihn, Schüler und Jünger des mächtigen Dämonenpriesters zu werden.

Vielleicht lernte er die Kunst des Wiederbelebens von seinem Meister, vielleicht fand der schöne Jüngling Gnade vor den Augen Dewajanis, der holden Tochter Uschanas: Auch die Götter mußten den Tod überwinden lernen, wenn die Welt fürder unter ihrer Herrschaft blühen sollte!

Katscha neigte sich ehrfürchtig vor den hehren Hütern der Welt und kam ihrem Wunsche freudig nach:

Im Schülerkleid, mit einer Tracht Brennholz auf dem Arm, so trat er, wie es die Sitte erheischte, vor Uschanas, nannte seinen Namen und seine Herkunft, und bat den würdigen Asketen, ihm tausend Jahre als Jünger dienen und von ihm die heilige Lehre des Weda und alle Bräuche der Priesterkaste hören zu dürfen.

»Gerne nehme ich dich als Schüler auf, edler Jüngling!« sprach Uschanas, »denn dein Vater, der ehrwürdige Götterpriester, ist mir wert! – Sei willkommen!«

So lebte nun Katscha im Hause des Danawapriesters, und seine Dienstwilligkeit, seine bescheidene Freundlichkeit, sein kindliches Lachen, machte ihn dem Alten und seinem jungfräulichen Töchterlein Dewajani immer lieber.

Fünfhundert Jahre hatte er schon gelernt und gedient, da hörten die Danawa erst, daß Uschanas' Jünger der Sohn des Götterpriesters sei.

Voll Sorge um das Geheimnis, dem allein sie ihre Macht verdankten, lauerten sie Katscha auf.

Als er eines Morgens die Kühe seines Lehrers auf die Weide trieb, erschlugen sie den edlen Jüngling und gaben seinen Leichnam den Wölfen zum Fraß.

Dewajani ahnte nichts Gutes, als die Kühe ohne den Hirten heimkehrten. Und als vollends die Stunde der Abendandacht schlug, ohne daß der eifrige Brahmanenschüler nach Hause gekommen wäre, litt es sie nicht länger in ihrer Sorge um den lieben Freund.

Sie wandte sich mit Tränen im Auge zum Vater und sprach: »O Vater! Katscha fehlt zur Abendandacht – er, der jeder Pflicht des Priesterslandes so pünktlich nachkommt – oh – er ist gestorben – sie haben ihn ermordet – oh – ich will nicht leben ohne ihn!«

Tröstend strich Uschanas über die Flechten seines lieblichen Kindes und rief den Vermißten mit seiner geheimnisvollen Zauberformel.

Da zerriß Katscha die Leiber der Wölfe, die ihn gefressen hatten, lief nach Hause und erzählte der treubesorgten Dewajani, was ihm geschehen war.

Bald darauf lauerten die Danawa dem Wiedererstandenen von neuem auf und töteten ihn, als er beim Blumensuchen zu weit in den Wald geraten war.

Sie warfen den Leichnam ins Meer, doch Uschanas' Zauberwort reichte auch in dessen Tiefen, und Dewajani konnte den schmerzlich vermißten Gespielen bald wieder begrüßen.

Zum drittenmal erschlugen nun die Danawa den Jüngling, verbrannten seinen Leichnam und gaben die Asche seinem Meister in Sura, einem berauschenden Getränk, zu trinken.

Wieder klagte Dewajani dem Vater ihr Leid, doch dieser weigerte sich, sein Zauberwort zu sprechen: »Wie oft ich auch Katscha erwecken wollte, die Danawa würden ihn stets wieder erschlagen!« sprach er. »Laß ihn ruhen! weine nicht um den armseligen Schüler, da Götter und Danawa um deine Liebe werben.«

»Oh – oh!« schluchzte Dewajani. »Wie kann ich meinem Schmerz um den edlen Jüngling, den lieben Gespielen, gebieten? – Nein, Vater, nein! – Hungern will ich und dürsten, bis du mich mit ihm vereinst – oder der Tod!«

»So will ich ihn noch einmal rufen!« sprach Uschanas, »und die Brahmanenmörder mit schweren Strafen bedrohen – –.«

»Halt ein!« rief da Katscha aus Uschanas' Leib, »Rufe mich nicht, ehrwürdiger Lehrer, denn du müßtest sterben. Die Danawa haben dir meine Asche im Abendtrunk gegeben! Du stirbst, wenn ich die Fesseln des Todes breche!«

»Nun, Dewajani, hast du die Wahl: gilt dir des Gespielen Leben mehr als das des Vaters?« sprach Uschanas ernst.

»Weh' mir!« schluchzte Dewajani. »Wie soll ich einen missen von zweien, die ich liebe? – Oh, laß mich – Vater – laß mich sterben!«

»Wie schön, wie edel bist du, Katscha! daß meine Tochter so dich liebt!« rief Uschanas. »Ersteh' aus meinem Blut aufs neue als mein Sohn – doch nimm zuerst den Zauber, der ins Leben ruft, daß du mich, deinen Vater, aus des Todes Banden lösest!«

Darauf murmelte er die Zauberformel, und als der wiedererstehende Katscha des Greises Adern sprengte, fiel dieser um und war tot.

Doch rasch belebte das Zauberwort des kundigen Schülers den Toten. Freudig schlössen die Drei einander in die Arme.

Der Asketenfürst aber, welcher durch sein Suratrinken so viel Glück gefährdet halte, verfluchte für alle Zeiten jeden Brahmanen, der der Lockung des berauschenden Trankes nicht widerstehen könnte: An Leib und Seele sollte der suratrinkende Priester gestraft werden, wie der Mörder eines Gerechten!

Katscha blieb bis ans Ende seiner tausendjährigen Lehrzeit bei Uschanas. Als er Abschied nahm, um nach der Götterstadt zurückzukehren, bat Dewajani ihn hold verschämt, sie als Gattin in sein Haus zu führen.

»O Schwesterlein!« sprach Katscha dawider, »wie könnte ich dich freien, da wir doch beide eines Blutes sind? Uschanas, der mich aus seinem Blut zu neuem Leben gerufen hat, ist mein Vater, wie der deine! – Der heilige Weda und aller Völker Gebrauch verbietet solchen Bund. – Sonniges Glück wünsche ich dir, holde Schwester, doch unsere Wege müssen sich scheiden!«

Damit grüßte er die Betrübte und eilte nach dem Himmel. Dort feierten ihn die Gölter als Befreier aus schwerer Not mit vielen Ehren und jubelnder Freude.

Dewajani aber drohte sich schier zu verzehren vor Sehnsucht nach dem Geliebten. Als Uschanas sein geliebtes Kind von Tag zu Tag bleicher werden sah, da verdachte er die Zauberformel, die an allem Schuld trug, auf daß sie für ewige Zeiten im Gedächtnis aller Geschöpfe erlösche.

Seither bleiben Tote tot, und kein Götter-, kein Dämonenwort kann sie ins Leben rufen.

Mada, der Riese Leidenschaft

Inhaltsverzeichnis

Der Bhrigusohn Tschiawana hatte seine Klause am Ufer des Flusses Narmada gebaut und lebte dort in strengster Askese. Schier unerschöpfliche Gnadenschätze häufte er durch fromme Buße auf: Während des glühenden indischen Sommers saß er nackend zwischen vier hochlodernden Feuern und ließ sich die Sonne auf den Scheitel brennen. Viele Jahre hindurch hielt er das strenge Gelübde des Schweigens, und seine Nahrung bestand in Wasser und wenigen Wurzeln. Zuletzt stand er regungslos, wie eine Säule, im Wald, und Ameisen bauten an ihm ihr Bauwerk empor. Sein Scheitel ward noch überdeckt, nur die blitzenden Augen lugten aus dem Gewirr von Halmen, Nadeln und Sandkörnern.

Scharjati, der Herrscher des Reiches, kam um diese Zeit mit seinem Töchterlein Sukanja in Tschiawana's Waldeinsamkeit. Ihm folgte ein reisiges Heer und ein Troß von Sklaven und Frauen der Prinzessin.

Sukanja tollte mit ihren Gespielinnen durch den stillen Einsiedlerwald, und in fröhlichem Haschen und Suchen verlor ihr Gefolge sie aus den Augen. Bald stand sie allein vor Tschiawanas Klause und musterte neugierig das Niegesehene.

Der büßende Bhrigusohn in seinem Ameisenhaufen sah das holde Mädchen, und in sein altes Herz fiel heiße Liebe und glühende Sehnsucht nach dieser blühenden Jugend.

Leise rief er Sukanja an, doch die Neugierige hörte oder beachtete den Ruf nicht. Sie sah etwas Funkelndes in dem Ameisenhügel, und während sie spielend darin mit einem langen Dorn herumstocherte, fragte sie harmlos: »Was mag das sein?«

Da ihr keine Antwort ward, lief sie wieder in den Wald und suchte ihre Gespielinnen. Sie hatte dem büßenden Heiligen die Augen ausgestochen!

In seinem Zorn sandte der Blinde eine schwere Seuche über Scharjatis Heer.

Vergebens forschte der König in seinem Gefolge und bei den Kriegern nach des Übels Ursache; wiederholt fragte er, ob keiner von ihnen den heiligen Bhrigusohn, der hier in der Nähe hause, gekränkt habe. Endlich erzählte Sukanja, wie sie, im Walde spielend, zwei funkelnde Sterne in einem Ameisenbau zerstört habe.

Böses ahnend, ließ sich Scharjati dorthin führen und fand mitten im Ameisenhaufen den geblendeten Büßer.

»Verzeih'! Du mächtiger Heiliger!« rief er mit flehend erhobenen Händen. »Verzeih', was dir meines Kindes Unverstand getan hat! Sei gnädig, frommer Einsiedler, und nimm die Strafe von meinem Heer, von meinem Land!«

»Hochmut und Verachtung für den schmutzigen Greis haben dein Kind verleitet, mich zu blenden. So soll es als Gattin des Verachteten seine Armut teilen, den Geblendeten führen. Dann will ich dir und den Deinen wieder gnädig sein!« sprach der Heilige.

Schweren Herzens gab Scharjati dem Asketenfürsten die liebe Tochter, doch willig nahm Sukanja die Buße für ihren jugendlichen Übermut auf sich. Freundlich, wie eine liebevolle Tochter, pflegte sie ihren greisen Gatten und ward nicht müde in seiner Wartung.

Einst zogen die schönen Morgenrotreiter, die Aswinas, die Götterärzte, durch den Wald und sahen die Liebliche, wie sie am Ufer der Narmada das Kochgerät wusch.

»Wer bist du, schönste Blume des Waldes?« fragten die beiden Jünglinge.

Da erzählte Sukanja von ihrer Herkunft, von dem schrecklichen Unheil, daß sie in kindischem Unverstand verschuldet hatte, und daß sie jetzt das Weib des geblendeten Büßers sei und ihn voll Reue und kindlicher Liebe pflege.

»Mir dünkt, du bist zu jung zu diesem traurigen Amt und für die Waldeinsamkeit zu schön!« sprach einer der Jünglinge.

»Ja, komm mit uns!« sprach der andere. »Komm mit nach der Götterstadt und wähle einen Jungen zum Gatten. Laß dich mit köstlichem Geschmeide schmücken und dir den Weg zu Götterfreuden zeigen!«