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Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist, aber fast alle Terroristen sind Salafisten
Ulrich Kraetzer beschäftigt sich seit Jahren mit dem Salafismus. In seinem Buch bringt er die Gefahren des Salafismus auf den Punkt und zeigt, warum selbst moderate Prediger mit ihrer salafistischen Lesart des Islam den Weg zu Gewalt und Terror ebnen können – auch wenn sie das nicht beabsichtigen. Das Zerrbild von bösen bärtigen Männern, die sich bei der erstbesten Gelegenheit in die Luft sprengen, bedient das Buch aber nicht. Es erklärt die Wurzeln, die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede salafistischer Strömungen in Deutschland – und verdeutlicht, dass der Staat im Kampf gegen Gewalt und Terror sogar mit salafistischen Predigern zusammenarbeiten kann. Das erste Buch, das sich einem komplexen Thema mit unverstelltem Blick nähert.
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Seitenzahl: 365
ULRICH KRAETZER
GÜTERSLOHER VERLAGSHAUS
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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1. Auflage
Copyright © 2014 by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Coverfoto: © Matt Moyer / National Geographic Society / Corbis
ISBN 978-3-641-13745-8
www.gtvh.de
Einleitung
1. BUMM! EINDRÜCKE VON EINER SALAFISTISCHEN BENEFIZVERANSTALTUNG
2. GEFAHREN DES SALAFISMUS
a) Die tödliche Gefahr: Salafismus als Wegbereiter für Dschihadismus und Terrorismus
b) Gefahr für die Demokratie: Salafismus als totalitäre Ideologie
c) Gefahr für unser Wertesystem: Salafistische Moralvorstellungen
d) Trotz aller Gefahren: Nicht jeder Salafist ist ein Staatsfeind
3. AUF DER SUCHE NACH DEN WURZELN: GESCHICHTE UND IDEOLOGIE DES SALAFISMUS
4. VON PURISTEN UND DSCHIHADISTEN: STRÖMUNGEN DES SALAFISMUS
a) Die salafistische aqida und die Unterschiede zum sunnitischen Mainstream
b) Die Bedeutung des manhaj und die Ursache salafistischer Differenzen
c) Religion als Anleitung zur persönlichen Lebensführung: Die puristischen Salafisten
d) Aktivistisch – aber friedlich: Die politischen Salafisten
e) »Heiliger Krieg« als »vergessene Pflicht«: Die dschihadistischen Salafisten
5. LEBEN IN DER »VERKEHRTEN WELT«: SALAFISTEN IN DEUTSCHLAND
a) Strukturen, Akteure und Strömungen des Salafismus
b) Die Verbreitung des Salafismus in Deutschland: Die Prediger Abdul Adhim und Hassan Dabbagh
c) Salafismus als Jugendkultur: Der Provokateur Pierre Vogel
d) »Lieben und Hassen für Allah«: Die Prediger der »wahren Religion«
e) »Feindschaft und Hass für immer«: Die Gruppe »Millatu Ibrahim«
f) Wegbereiter des Terrors?
6. WAS MACHT DEN SALAFISMUS SO ATTRAKTIV?
a) Eine typische Radikalisierung: Wie Harry M. zum Terrorhelfer wurde
b) Wie aus ausgegrenzten Verlierern Sieger werden: Erfahrungen im Beratungsprojekt Hayat
c) Einfache Wahrheiten: Salafismus als sinnstiftende Ideologie
7. WIE SOLLTE MAN MIT DEM SALAFISMUS UMGEHEN?
Danksagung
Glossar zu den arabischen Begriffen
Literaturverzeichnis
Anmerkungen
Sandra Maischberger gilt als kompetent und besonnen. Wenn es gut läuft, sind die Zuschauer am Ende ihres TV-Talks informierter als vorher, und – ja, das gibt es – manchmal scheinen auch die geladenen Gäste über die Argumente ihrer Mitdiskutanten nachzudenken und klüger aus dem Studio zu gehen, als sie hineingegangen sind.
Als die Moderatorin im Mai 2012 über das Thema »Die Salafisten kommen – Gehört dieser Islam zu Deutschland?« diskutieren wollte, durfte man also auf eine inspirierende Sendung hoffen. Der Zeitpunkt war gut gewählt: Wenige Wochen zuvor hatten Salafisten die Öffentlichkeit gegen sich aufgebracht, als sie in Fußgängerzonen kostenlose Koran-Übersetzungen verteilten. Nun beherrschten sie die Schlagzeilen, weil einige von ihnen bei Demonstrationen in Bonn und Solingen auf Polizisten losgegangen waren. Ein Salafist hatte einem Beamten sogar ein Messer ins Bein gerammt.
Die Berichterstattung über den Salafismus hatte es damit auf die ersten Seiten geschafft. Zeitungen zeigten Fotos von Männern mit langen Bärten und weißen Gewändern, die mit Fahnenstangen um sich schlugen. Verfassungsschützer warnten vor einer steigenden Terrorgefahr. Islamismus-Experten erläuterten, dass Salafisten ihre Zähne mit kleinen Holzstöckchen putzen. Muslimische Funktionäre beteuerten, Salafisten seien lediglich eine »problematische Randgruppe«. Irgendwie hatte man also verstanden, dass Salafisten irgendwie durchgeknallt, irgendwie aber auch gefährlich sind; und dass sie irgendwie nichts, irgendwie aber doch viel mit dem Islam zu tun haben. Welche Gefahr von ihnen tatsächlich ausgeht, was die jungen Männer antreibt, und wie man der Bewegung begegnen sollte, blieb unklar.
Die Maischberger-Sendung hätte also viele Fragen beantworten können – doch sie wird zum Desaster: Der Publizist und streitbare Katholik Matthias Matussek zeigt sein fehlendes Interesse an einer ernsthaften Diskussion schon nach wenigen Minuten: Ihn ärgere, dass er sich bei Sicherheitskontrollen an Flughäfen »nackt« machen müsse – »wegen dem Islam«. Auch die Schauspielerin Renan Demirkan will die Debatte offenbar beenden, bevor sie anfangen kann. Sie sei grundsätzlich gegen alle Religionen, sagt sie, und erst recht »gegen die mit dem Hakenkreuz«. Der Journalist Michel Friedman vergisst, dass er diesmal nicht Moderator sondern nur Gast der Sendung ist – und überzieht den ebenfalls geladenen Salafisten-Prediger Hassan Dabbagh mit einem Fragen-Bombardement. Als Höhepunkt verlangt er Auskunft, warum Dabbagh sich nicht von der weiblichen Maskenbildnerin schminken lassen wollte. Ob die Salafisten ins Visier des Verfassungsschutzes geraten sind, weil sie sich Make-up und Puder nicht von der Damenwelt auftragen lassen wollen, bleibt Friedmans Geheimnis. Der Prediger reagiert jedenfalls gelassen: Er habe eine Allergie und lasse sich grundsätzlich nicht schminken.
Dann folgt der Klassiker, den man in Talkshows mit Salafisten immer wieder bestaunen kann: Maischberger fragt Dabbagh, ob die Scharia für ihn über dem Grundgesetz steht. Statt die Frage zu beantworten, beginnt Dabbagh einen theologischen Diskurs über die Bedeutung des Wortes Salafismus. Erst nach der zweiten Nachfrage ringt er sich zur Aussage durch, dass Muslime als Minderheit in einem Land dessen Gesetze befolgen müssten. Welche Rechtsordnung Dabbagh gerne etablieren würde, wenn Muslime, die sein Glaubensverständnis teilen, die Mehrheit stellen würden, erfährt man nicht. Denn Matussek unterbricht und beschäftigt die Gäste lieber erneut mit seinem Trauma vom »nackt ausziehen«.
Dabbagh hat es damit geschafft, sich um die entscheidende Frage herumzumogeln. Die Rolle des Aufklärers übernimmt der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach: Es sei bekannt, dass Salafisten im Fernsehen etwas anderes sagten als in ihren Moscheen. Nachweise liefert er nicht. Was hängen bleibt? Siehe oben: Salafisten sind irgendwie durchgeknallt und gefährlich. Und – immerhin eine neue »Erkenntnis«: Wenn es brenzlig wird, lügen die Typen auch noch.
Die Sendung war also verunglückt. Dabei war die Entscheidung, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen, allzu begründet. Denn den Begriff »Salafismus« kennen viele zwar erst seit den Koran-Verteilungen und den Ausschreitungen von Solingen und Bonn. Doch die Gefährlichkeit der Ideologie hatte sich – ohne dass sie als Salafismus bezeichnet wurde – schon vor Jahren gezeigt. Die 2007 mit einem Anschlagsversuch gescheiterten Mitglieder der »Sauerland-Gruppe« etwa hatten sich unter dem Einfluss von Salafisten radikalisiert; ebenso die jungen Männer, die zu Dutzenden in Terrorcamps ausgereist waren, um in Afghanistan in den »Heiligen Krieg« zu ziehen. Auch der damals 21-jährige Arid Uka hätte seinen Doppelmord am Frankfurter Flughafen im März 2011 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht ausgeführt, hätte er nicht im Internet massenhaft salafistische Propaganda konsumiert.
Salafisten gegenüber misstrauisch zu sein, ist also verständlich. Mit Gewalttätern oder ihren vermeintlichen Hintermännern ernsthaft diskutieren? Ihnen zuhören, ihnen vielleicht sogar glauben, dass sie mit Gewalt nichts zu tun haben wollen? Um später zu erfahren, dass man Lügnern und Einpeitschern aufgesessen ist? So naiv möchte keiner sein. Das Signal: Mit euch wollen wir nichts zu tun haben. Erst recht lassen wir uns von euch nicht für dumm verkaufen.
Diese Form der Distanzierung ist verständlich. Sie ist eindeutig und erspart einem eine anstrengende Auseinandersetzung. Sie hilft aber nicht weiter. Denn um den richtigen Umgang mit dem Salafismus zu finden, muss man die Ideologie sowie die Motivationen und Strategien ihrer Akteure verstehen. Wie gefährlich ist der Salafismus tatsächlich, und von welcher Gefahr reden wir hier eigentlich? Wie ist es zu erklären, dass fast alle islamistischen Terroristen Anhänger des Salafismus sind – obwohl viele Prediger der Bewegung Gewalt ablehnen? Lügen sie tatsächlich, oder wird die Frage nach Wahrheit und Lüge der Komplexität des Problems einfach nicht gerecht?
Ohne ein Mindestmaß an Offenheit lassen sich diese Fragen nicht beantworten. Der Wille, sich auf die Argumente von Salafisten – zumindest zu analytischen Zwecken – einzulassen, ist allerdings wenig ausgeprägt. Dadurch ist ein Zerrbild entstanden. Es ist das Bild von mysteriösen und etwas verrückten, vor allem aber zutiefst bösen bärtigen Männern, die in Hinterhofmoscheen und in fremden Sprachen Pläne für den Untergang des Abendlandes schmieden. In der Öffentlichkeit mögen sie uns versichern, Islam bedeute Frieden. Tatsächlich aber, so die verbreitete Vorstellung, wollen sie uns bei der nächstbesten Gelegenheit in die Luft sprengen.
Vor allem die Boulevard-Medien bedienen diese Zerrbilder nach Kräften. Die Bild-Zeitung etwa bezeichnet den zum Islam konvertierten rheinländischen Salafisten Pierre Vogel regelmäßig als »Hassprediger«. Für den Star der deutschen Salafisten-Szene ist das eine Steilvorlage. In Predigten und Interviews fordert er die Medien regelmäßig auf, Passagen zu nennen, in denen er Hass gepredigt habe – er werde sich dann entschuldigen. Doch entsprechende Stellen gibt es nicht. Denn Vogel provoziert zwar gerne. Er ruft aber nicht explizit zum Hass auf. Experten halten ihn dennoch für gefährlich. Denn seine Ansprachen, so die These, können Ausgangspunkt für die Radikalisierung späterer Terroristen sein. Dieser Zusammenhang lässt sich allerdings nicht in einer »Bild«-Schlagzeile erklären.
Um die Konzepte und die Attraktivität des Salafismus zu begreifen und Scharfmachern wie Vogel etwas entgegensetzen zu können, ist die intensive Beschäftigung mit der salafistischen Ideologie ebenso unerlässlich wie das Gespräch mit ihren Anhängern. Das kann verstörend sein. So stellen Journalisten, die über Terrorprozesse berichten, oft erstaunt fest, dass die Angeklagten »ganz normal« wirken. Wer mit Zuhörern einer Salafisten-Predigt spricht, ertappt sich dabei, dass er einige junge Männer ganz sympathisch findet; und dass ihre vermeintlichen Beweise, dass sie der »einzig wahren Religion« anhängen, auf den ersten Blick überzeugend wirken.
Wie bei vielen Ideologien besteht also auch bei der salafistischen die Gefahr, sich von ihren Anhängern und ihren Argumenten vereinnahmen zu lassen. Und natürlich versuchen einige Salafisten zudem, Aspekte der Ideologie kleinzureden, die für die Sicherheit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt unseres Landes problematisch sind. Neben der Innensicht des Milieus bietet dieses Buch daher auch den Blick von außen. Islamwissenschaftler und unabhängige Szene-Beobachter ordnen die Ideologie und die salafistische Bewegung ein und rücken die Behauptung ihrer Anhänger zurecht, Islam und Salafismus seien das Gleiche. Präventions-Experten erläutern, dass Jugendliche sich der Bewegung oft weniger aus religiösen Gründen anschließen, sondern weil sie ihnen Orientierung sowie ein Gefühl von Gemeinschaft und Überlegenheit bietet.
Das Buch startet mit Eindrücken von einem salafistischen Islamseminar. Nach einem Überblick über die Gefahren des Salafismus führt es in die Grundzüge der Ideologie ein, erläutert ihre historischen Wurzeln und ihre unterschiedlichen Strömungen. Dabei wird insbesondere das komplexe Verhältnis zwischen Salafismus und Dschihadismus behandelt. Warum etwa geißeln einige Salafisten Gewalt und Terror als schlimmste Sünde überhaupt – während andere den bewaffneten »Heiligen Krieg« als »vergessene Pflicht« verherrlichen?
Ausführlich analysiert das Buch die Strategien und Inhalte salafistischer Predigergruppen in Deutschland. Es zeigt die Bandbreite zwischen moderaten Salafisten, die Religion als Privatsache betrachten – und Scharfmachern, die vom »Lieben und Hassen für Allah« predigen. Es zeigt zudem, wie die von Salafisten beschworene Brüderlichkeit oft in Bruderkämpfe umschlägt – und warum die nur scheinbar homogene Bewegung von Hauen und Stechen geprägt ist. Ein weiteres Kapitel erklärt, warum die salafistische Bewegung für ihre Anhänger so attraktiv ist. Das Buch schließt mit Empfehlungen, wie man mit der am schnellsten wachsenden radikalen Strömung des Islam umgehen sollte.
Die zwei Männer an der Straßenecke tragen wallende weiße Gewänder, weiße Häkelkäppis, Sandalen und eindrucksvolle Vollbärte. Na bitte, hier bin ich richtig. Denn die zwei sehen fast genauso aus wie die jungen Herren, die man in den vergangenen Jahren immer häufiger in Zeitungartikeln und Fernsehberichten sieht, wenn es um den Salafismus geht. Und deswegen bin ich ja hier: um mir ein Bild von »echten Salafisten« zu machen.
Das »Benfiz für Syrien« im »Saal Orient« am Rande der Essener Innenstadt ist dafür das Richtige. Denn der Verein »Ansaar International«, der das Treffen an diesem Sonntag im Juli 2013 veranstaltet, ist in der Salafisten-Szene fest verankert. Die Menschen, die ich hier treffen werde, sind also Gegner der Demokratie. So lässt es zumindest der jüngste Bericht des Verfassungsschutzes erwarten. Darin heißt es, »dass Salafisten die Geltung staatlicher Gesetze ablehnen«. Außerdem bilde »das von Salafisten verbreitete Gedankengut den Nährboden für eine islamistische Radikalisierung, die zuweilen zu Gewaltbereitschaft und schließlich auch zu einer anschließenden Rekrutierung für den islamistischen Terrorismus führen kann«.
Die jungen Männer, die mich an den großen Eisentoren am Eingang zum Hinterhof begrüßen, sehen glücklicherweise nicht so aus, als würden sie sich gleich einen Sprengstoffgürtel umschnallen wollen. Sie tragen Turnschuhe, T-Shirt und Jogginghose – nicht mal einen Bart – und sehen »ganz normal« aus. Als ich erzähle, warum ich hier bin, sind sie höflich, aber auch skeptisch. Die Medien würden ja immer alles verdrehen, sagen sie. Immerhin – sie lassen mich herein.
Die Frauen betreten den »Saal Orient« durch einen anderen Eingang als die Männer. Der Bereich, in dem sie sich aufhalten dürfen, ist mit Stellwänden aus weißem Kunststoff abgetrennt. Was auf der Bühne passiert, können die Frauen, von denen einige sich mit einem Ganzkörperschleier verhüllt haben, nur auf einer Leinwand verfolgen. Ich gehe durch den Männereingang und betrete einen lang gezogenen Raum, der den sprichwörtlichen Charme einer Bahnhofshalle versprüht. An der Decke hängen billige Kronleuchter. An den runden Tischen mit den transparenten Plastikdecken sitzen etwa 50 Männer, später werden es sogar rund 120 sein. Manche tragen ihre Pluderhosen, Gewänder und zum Turban gebundenen Kopftücher so selbstverständlich, als wären sie damit zur Welt gekommen; bei anderen sieht es nach Karnevalskostüm aus. Besondere Mühe haben sich 17-jährige Zwillinge gegeben. Häkelkäppis und Jalabiyas (so nennt man die weiten Gewänder) sitzen perfekt. Nur der Bart will noch nicht recht sprießen. Auch ihr blasser Teint zeugt davon, dass sie nicht aus einem arabischen Wüstendorf angereist sind – sondern eher aus Bottrop, Bochum oder Duisburg.
Zur Tür kommt ein Mittzwanziger mit Baseballkappe herein, der an seinem Smartphone herumnestelt und anschließend seine Kumpels abklatscht, als wäre er auf dem Fußballplatz. Rechts neben dem Eingang sitzen fünf Jugendliche in Freizeitklamotten, die sich freundlich lächelnd und in Siegerpose mit dem Handy fotografieren lassen. Mich beruhigen diese Bilder – sie irritieren mich aber auch. Denn eine Veranstaltung von Menschen, die die »Geltung staatlicher Gesetze ablehnen« und den Nährboden legen, der »zum islamistischen Terrorismus führen kann«, habe ich mir anders vorgestellt.
Auf dem etwas erhöhten Podium steht ein Mann, der sich Abdurrahman nennt. Er trägt Turnschuhe, eine schwarze Pluderhose und ein T-Shirt, auf dem das Logo von »Ansaar International« aufgedruckt ist. Er ist etwa 1,70 Meter groß, schlank und trägt einen schwarzen Vollbart. Um seinen Kopf hat er ein »Palästinenser-Tuch« gewickelt, so wie es seinerzeit der Anführer der PLO, Yassir Arafat, trug – und einige meiner Freunde, als sie noch jung und wild waren und mit dem Tuch ihre Zugehörigkeit zur linken Szene demonstrieren wollten. Abdurrahman, so wird er mir später erzählen, ist 33 Jahre alt und heißt eigentlich Joel Kaiser. Früher war er Rapper der Gruppe BTM Squad. Dann fing er an, »den Islam zu praktizieren«. Den Verein »Ansaar International« hat er im Sommer 2012 gegründet. Er ist der Vorsitzende und auch der Organisator der heutigen Veranstaltung.
»Alles Lob gebührt Allah, dem Herrn der Welten. Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt, der angebetet werden darf, außer Allah«, beginnt Abdurrahman seinen Vortrag. »Allah möge uns zu denen machen, die den Islam verstehen«, sagt er. »Und den Islam verstehen, heißt, sich am Vorbild des Propheten Mohammed, Friede und Segen sei auf ihm, zu orientieren und an den goldenen Generationen, die nach ihm kommen.« Dann berichtet er von den Erfolgen seiner Hilfsorganisation. Neun Krankenwagen hätten sie bei ihrer letzten Tour nach Syrien übergeben können, eine Million Verbandsmittel und jede Menge Medikamente, Rollstühle und Krücken sowie Lebensmittel, Windeln und Spielsachen. Demnächst soll sogar ein 2 000 Quadratmeter großes Waisenhaus fertig werden. Unsere Hilfe, so verspricht Abdurrahman, »kommt zu hundert Prozent bei den Bedürftigen an«.
Nach ihm betritt ein gewisser Abu Rumaisa die Bühne. Der Mann gehört zur C-Klasse der deutschen Prediger-Szene. Er schreit dermaßen, dass ich mir Sorgen um die Lautsprecheranlage mache. Wie Abdurrahman spricht auch er auf Deutsch, mischt aber (wie fast alle salafistischen Prediger) immer wieder arabische Einsprengsel wie ma shaa allahh1* (großartig), subhan allah (Gepriesen sei Allah), akhi (Bruder) oder wa-llahi (Bei Gott) in seine Vorträge ein. Wenn Abu Rumaisa etwas besonders wichtig ist, sagt er nach dem Satz »Bumm!«. Die Zuhörer interessiert das wenig. Sie quatschen, manchen fallen auch die Augen zu. Kein Wunder, denn es ist Ramadan, der islamische Fastenmonat, und die Männer haben seit ungefähr zehn Stunden nichts gegessen und nichts getrunken.
Von dem wirren Vortrag Abu Rumaisas bleibt nur in Erinnerung, dass er die Arbeit von Unicef schlechtredet (»Die schmeißen Zelte hin, und die Flüchtlinge müssen sie selber aufbauen«); dass er die Rückkehr der Syrer zur Religion lobt (»Die Frauen sind alle bedeckt!«); und dass er ohne erkennbaren Zusammenhang sagt, dass Juden, Christen, Aleviten, Buddhisten und Hindus kuffar (Ungläubige) sind – dass man aber trotzdem »fair und gerecht« zu ihnen sein soll. In meinen Ohren klingt das etwa so beruhigend, als würde man sagen, dass »Neger« unarisch seien – dass man sie aber trotzdem nicht einfach so verprügeln dürfe.
In einer Pause kann ich mich endlich mit meinen Tischnachbarn unterhalten. Die drei Mittzwanziger gegenüber wären mir auf der Straße nicht weiter aufgefallen. Der Mann direkt neben mir guckt dagegen so finster drein, als könne er unter seinem Gewand jederzeit eine Kalaschnikow hervorholen. Vor lauter Vollbart sieht man sein Gesicht kaum, er hat einen dunklen Teint und trägt ein Häkelkäppi. Ein Foto von ihm würde gut auf die Titelseite der Bild-Zeitung passen – neben einer Schlagzeile wie »Terror-Alarm«, »Warum hassen sie uns so?« oder »Dieser Verrückte will uns alle umbringen«.
Mustafa ist aber ganz nett. Er ist alleine hier und zum ersten Mal auf so einer Veranstaltung, erzählt er – und freut sich offenbar, dass er sich mit mir unterhalten kann. Seine Mutter ist Serbin und sein Vater Bosnier. Mustafa selbst ist dagegen ein echtes Kind des Ruhrpotts. Geboren und aufgewachsen ist er in Dortmund, jetzt lebt er in Essen. Mit den Ländern, aus denen seine Eltern kommen, habe er nichts zu tun, sagt er lachend. Dann erzählt er, dass er früher viel auf Baustellen gejobbt hat und seit vier Jahren Bürokaufmann ist. Während Mustafa spricht, rasiere ich ihm in Gedanken seinen Rauschebart ab und stelle ihn mir als Arbeitskollegen, als Bekannten oder als Verkäufer meiner Lieblingsbäckerei vor. Ich glaube, wir würden uns gut verstehen.
Mustafa sieht zwar aus wie ein alter »Salafisten-Hase«. Tatsächlich aber hat er den Islam erst im Februar 2012 angenommen. Mit Religion hatte er vorher nie etwas zu tun, sagt er. Im Herbst 2011 habe er dann »so einen inneren Antrieb« gespürt: »Ich dachte, nur Playstation spielen, kann es ja wohl nicht sein. Und die Urknall-Theorie hat mir auch nicht gereicht. Was war denn davor? Da muss es doch etwas geben, dass das alles erklärt.« Auf welcher Internetseite er sich über den Islam informierte, weiß er nicht mehr. Danach habe er sich jedenfalls einen Koran gekauft – und war überzeugt, »die wahre Religion« gefunden zu haben. Was das bedeutet? »Das heißt, dass ich glaube, dass Allah unser Schöpfer ist, und dass wir ihm dienen müssen, aber niemandem sonst«, sagt er. Und warum trägt er deswegen Vollbart, Gewand und Häkelkäppi? »Das ist, weil Mohammed das so gemacht hat, und weil wir ihm nachfolgen«, sagt Mustafa. Muss man das wirklich so ernst nehmen? Mustafa bleibt nett, wird aber energisch. »Eine Religion ist kein Hobby«, sagt er. »Man muss überzeugt sein und alles befolgen. Sonst ist das keine Religion.«
Inzwischen haben sich auch unsere Tischnachbarn eingeschaltet. Karim, ein 26-jähriger Chemie-Student aus Bochum mit kurz geschorenen Haaren, Bart, Jeans und rot-weiß kariertem Hemd, sagt, dass er früher »wild abgefeiert« habe. Sein Vater und seine Mutter kamen aus Marokko nach Deutschland. Wie Mustafa kennt Karim das Land seiner Eltern aber nur aus dem Urlaub. Als »richtiger Deutscher« fühle er sich aber auch nicht. »Ich bin hier fremd, aber auch in Marokko bin ich fremd.«
Muslim ist Karim zwar seit seiner Geburt. Bis er 18 war, habe er sich aber kaum mit Religion beschäftigt. Dann habe auch er »irgendeinen Sinn« gesucht. Er habe damals auch in der Bibel gelesen, sagt er. »Aber da waren so viele Widersprüche drin. Das mit Jesus als Sohn Gottes ist doch total unlogisch.« Der Koran schien ihm dagegen schlüssig – jetzt ist der Islam Karims Lebensinhalt geworden. Fünfmal am Tag beten, kein Alkohol, keine Frauen, den Koran rezitieren – für Karim sind das »religiöse Pflichten«: »Allah hat uns nur erschaffen, damit wir ihm dienen und damit wir seinen Willen befolgen.«
Als ich wissen will, ob sie sich als Salafisten bezeichnen würden, meldet sich Gedi zu Wort. Das Wort »Salafismus« sei eine Erfindung der Medien, sagt er. »Damit wollen sie die Muslime spalten. Praktizierende Muslime wie wir sind böse Salafisten und Terroristen. Die, die Alkohol trinken und nicht beten, sind die Guten.« Mustafa und Karim nicken.
Zu den Vorstellungen, mit denen ich hergekommen bin, wollen meine Eindrücke nicht passen. Mustafa sieht zwar aus wie ein Abziehbild eines »bösen Islamisten«. Vielleicht könnte er die Sache mit der Nachfolge Mohammeds auch lockerer sehen. Sonst scheint er aber in Ordnung zu sein. Und Gedis Bemerkung, dass »die Medien« die Muslime spalten wollen, halte ich zwar für eine Verschwörungstheorie; aber verfassungsfeindlich oder gar militant scheint er nicht zu sein.
Dann spricht mich ein etwa vierzigjähriger Mann mit durchtrainiertem Oberkörper, hautengem rotem T-Shirt und Designer-Jeans an. »Gar nicht so schlimm, diese Salafisten, oder?«, sagt er zu mir. Er erzählt, dass er die meisten Leute hier seit Jahren kennt und dass das »ganze Gerede von Extremismus« und davon, dass sich Salafisten von ihrer Außenwelt abschotten würden, Unsinn sei. »Der da war früher Arzt«, sagt er und zeigt auf den mit ungefähr 70 Jahren mit Abstand ältesten Mann auf der Veranstaltung. »Und der ist Filialeiter von einem Shop von T-Mobile«, erzählt er und zeigt auf einen etwa 35-Jährigen mit Vollbart. Er selbst arbeite im Vertrieb.
Auf der Treppe zurück in den Orient-Saal zwänge ich mich an einer Gruppe von Jugendlichen und jungen Männern vorbei, die um einen schwergewichtigen Mann mit dunklen buschigen Augenbrauen, imposantem Vollbart und einer beigefarbenen Jalabiya herumstehen. Ahmad Abul Baraa, so heißt der Prediger, ist mit seiner Entourage aus Berlin angereist und allein wegen seiner Körpermaße eine imposante Erscheinung. In der Hauptstadt predigt er in der as-Sahaba-Moschee im Wedding, die als wichtiger Salafisten-Treff gilt.
Hier in Essen wurde er als Ehrengast angekündigt. Und tatsächlich lassen seine rhetorischen Fähigkeiten den Auftritt Abu Rumaisas schnell vergessen. Auch Ahmad Abul Baraa schreit zwar ins Mikrofon. Aber seine Stimme ist klar und fest. Er verhaspelt sich nicht, setzt Pausen, um seine Worte wirken zu lassen, und verliert sein Publikum nicht aus den Augen. Seine Blicke wirken allerdings nicht so, als würde er von seinen Zuhörern eine Antwort erwarten; sondern eher so, als würde er klarstellen wollen, dass er keine Widerworte duldet. Inhaltlich folgt er keiner kohärenten Linie oder gar einer Argumentation. Aber er hat Charisma. Intellektuelle Schärfe ersetzt er durch Entschlossenheit – und irgendwie funktioniert das.
Ahmad Abul Baraa beginnt mit einigen Geschichten aus dem Leben der Gefährten des Propheten Mohammed, mit denen er seine Zuhörer zu Spenden für Syrien animieren will. Dann schmettert er der Menge entgegen: »Unser Leben und unser Tod gehören Allah (...) Und du musst dein Leben nach dem ausrichten, was Allah will. Wehe dir, wenn du sagst, das ist mein Leben. Und wenn Du ein Leben lebst, so wie es Allah gefällt, dann hoffe, dass du bald stirbst. Denn ein Muslim möchte zu Allah zurückkehren.«
Ich bin zwar kein Muslim. Aber als Ahmad Abul Baraa über die dunya (sündhafte diesseitige Welt) spricht, schafft er es mit seinem bohrenden Blick, dem erhobenen Zeigefinger und seiner schneidenden Stimme, bei mir fast so etwas wie Schuldgefühle aufkommen zu lassen: »Du rennst dieser dunya hinterher, als wäre sie dein Paradies«, brüllt er ins Mikrofon. »Fürchtest du Allah, deinen Schöpfer, nicht? Allah wird zornig sein, wenn du vor ihm stehst!«
Die Menge ist jetzt mucksmäuschenstill. Ich weiß nicht, was in Mustafa, Karim und Gedi vor sich geht. Aber bei mir erzeugen die Worte Ahmad Abul Baraas ein Gefühl von Angst. Angst vor der Hölle. Angst davor, den Anforderungen eines Gottes, so man an einen glaubt, nicht gerecht zu werden. Und das merkwürdige Gefühl, diesem wortgewaltigen Mann ebenso ausgeliefert zu sein wie dem Schöpfer, von dem er spricht. Ich kenne diese Gefühle. Weniger aus eigenem Erleben, dafür aber aus Erzählungen von Bekannten, die der Generation meiner Eltern angehören. Es sind Erzählungen über Priester, die in den vierziger und fünfziger Jahren – und vielleicht auch später – unablässig vom Tag des jüngsten Gerichts sprachen, vor der Sünde warnten oder mit ewiger Verdammnis drohten.
Ahmad Abul Baraa belässt es aber nicht dabei, vor der Hölle zu warnen. Jetzt wird er politisch, und die Pausen, in denen man über seine Worte nachdenken könnte, werden kürzer. Ahmad Abul Baraa spricht über Syrien – und über die »Feinde Allahs«: »Möge Allah die Erde unter ihnen beben lassen«, ruft er mit donnernder Stimme. Doch das ist nicht alles. »Möge Allah sie einzeln töten! Möge Allah jeden töten, der einen Muslim tötet!« Die Menge jubelt. Dann beendet der Prediger seine Ansprache und sagt nur noch: »Und alles Gute, was ich gesagt habe, ist von Allah. Und alles Schlechte ist von mir oder vom Schaitan.« Seinen letzten beiden Sätzen ist nichts hinzuzufügen.
Ich frage Mustafa, wie er die Predigt von Ahmad Abul Baraa fand. Statt zu antworten, redet er unvermittelt von Managern und Politikern, die sich die Taschen vollstopfen und klagt, dass es überall nur um Geld und Konsum geht. Und die Lösung? »Mit einem Kalifat wäre das besser«, sagt er. »Zinsen sind im Islam verboten, und die Spekulanten könnten dann keine Kohle mehr scheffeln.« Will er die Demokratie abschaffen? Mustafa lacht zwar und sagt: »Nee, ich will nur meinen Glauben praktizieren.« Der abstrakt wirkende Satz der Verfassungsschützer, dass »Salafisten die Geltung staatlicher Gesetze ablehnen« bekommt nun aber eine recht konkrete Dimension.
Und die »Feinde Allahs«? Betet er, so wie Ahmad Abul Baraa, auch dafür, dass Allah jeden, der einen Muslim getötet hat, ebenfalls töten möge? »Guck dir die Bilder aus Syrien doch an! Da sind blutende Kinder und vergewaltigte Frauen«, sagt Mustafa. »Und die Amerikaner! Da gibt’s auf YouTube ein Video, in dem einer von denen eine schwangere Frau erschießt. Und dann sagt dieser Typ noch: ›Ein Schuss, zwei Treffer.‹ Das sind doch die wahren Verbrecher.«
Als ich den Saal verlasse, muss ich daran denken, was der Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, vor kurzem in einem Interview sagte. Mindestens 210 Anhänger der deutschen Salafisten-Szene seien bereits nach Syrien gereist, um im »Heiligen Krieg« zu kämpfen. Es bestünde die Gefahr, dass sie dort den Umgang mit Waffen und Sprengstoff lernten und nach ihrer Rückkehr Terroranschläge in Deutschland verüben könnten. Benefizveranstaltungen für Syrien, so hieß es in einer Mitteilung des Hamburger Verfassungsschutzes, würden mitunter genutzt, um Salafisten für die Ausreisen nach Syrien zu rekrutieren.
Auf dem Hof treffe ich nochmal Abdurrahman, den Chef von »Ansaar International« mit dem Palästinenser-Tuch. Er erzählt mit leuchtenden Augen, dass seine Mitstreiter und er Medikamente und Lebensmittel in Gebiete bringen würden, in die andere Helfer sich nicht trauen würden. Und die deutschen Dschihadisten in Syrien? Die Gefahr, dass einer einen Anschlag in Deutschland verüben könnte? »Wenn ich mitbekommen würde, dass jemand das machen will, würde ich dem sofort eine Ohrfeige verpassen.« Unschuldige zu töten sei verboten, sagt Abdurrahman. »Ganz eindeutig haram (verboten)!« Und Mitbrüder, die zwar keine Anschläge in Berlin, Hamburg oder Bochum planen, aber in Aleppo oder einer anderen syrischen Stadt an der Seite militanter Islamisten kämpfen wollen? »Wir sind keine Mitfahrzentrale, sondern eine Hilfsorganisation«, sagt Abdurrahman. Dass viele seiner Gefährten aber tatsächlich nach Syrien fahren, um zu kämpfen – daraus macht er keinen Hehl: »Klar bekommen wir das mit. Das ist auch ok. Das muss jeder selbst entscheiden.«
Auf der Rückfahrt versuche ich, meine Gedanken zu ordnen. Meine erste Erkenntnis: Salafisten werden zwar nicht gerne Salafisten genannt, aber die Menschen, die meist als solche bezeichnet werden, sind eine ziemlich bunte Truppe. Sie scheinen aber auch einen gemeinsamen Nenner zu haben. Als sie über ihren unbedingten Gehorsam gegenüber Allah und ihre strikte Orientierung am Koran gesprochen haben, über die Bedeutung des Propheten Mohammed als Vorbild für ihr gesamtes Leben, oder über das »goldene Zeitalter« der salaf (Gefährten des Propheten Mohammed und ihre Nachfolger), waren ihre Worte fast identisch.
Meine zweite Erkenntnis ist banal: Salafisten sind normale Menschen, mit denen man normal reden kann. Auf anderen Veranstaltungen mag das anders sein, aber die Leute, die ich im Orient-Saal gesprochen habe, haben zwar teilweise merkwürdige und – wenn es um die große Weltpolitik geht – auch gefährliche Ansichten. Im persönlichen Gespräch aber wirken sie sympathisch und aufgeschlossen.
Ahmad Abul Baraa habe ich zwar nicht persönlich gesprochen. Es kann mir aber auch egal sein, ob er im Zweier-Gespräch vielleicht auch nett ist und »alles erklären« kann. Denn die mehr als hundert Zuhörer im Orient-Saal (und die Tausende, die sich seine Videos im Internet anschauen) müssen sich auch selbst überlegen, wie sie sein Gerede von den »Feinden Allahs« und seine Bitte an Gott, möglichst viele Menschen zu töten, verstehen sollen. Meine dritte Erkenntnis ist also: Der Mann – oder zumindest das, was er sagt – ist gefährlich. Besonders beunruhingend ist, dass Beobachter des salafistischen Milieus ihn zwar nicht gerade als Softie beschreiben – aber auch nicht als besonders extremen Vertreter seiner Zunft. Tatsächlich entdecke ich wenige Tage später in einem dschihadistisch orientierten salafistischen Internet-Forum sogar Einträge, in denen Nutzer ihn als murji bezeichnen – als Muslim, der zwar den »richtigen« Glauben hat, ihn mit seinen Taten aber nicht konsequent umsetzt. Ihnen ist Ahmad Abul Baraa wohl noch nicht extrem genug.
Am Ende der Veranstaltung gab es – um Geld für Syrien zu sammeln – übrigens noch eine Versteigerung. Unter den Hammer kamen eine Automatik-Uhr, eine Silberkette, ein Gutschein über 200 Euro für eine Pilgerfahrt nach Mekka, zwei Kinderwagen und mehrere Jalabiyas. Den Höchstpreis erzielte ein Smartphone »Galaxy Note 2« von Samsung: »410 Euro zum Dritten! Allahu akbar!«
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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