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Karthago zur Zeit des ersten Punischen Krieges. Die Stadt wird belagert durch barbarische Söldner. Im brutalen Kampf um die Stadt entwickelt sich aber auch eine Romanze ...
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Seitenzahl: 506
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Salambo
Ein Roman aus Alt-Karthago
Gustave Flaubert
Inhalt:
Gustave Flaubert – Biografie und Bibliografie
Salambo
Das Gelage
In Sikka
Salambo
Vor den Mauern von Karthago
Tanit
Hanno
Hamilkar Barkas
Die Schlacht am Makar
Im Felde
Die Schlange
Im Zelte
Die Wasserleitung
Moloch
In der Säge
Matho
Anhang
Anmerkungen des Übersetzers
Salambo, Gustave Flaubert
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849612788
www.jazzybee-verlag.de
Franz. Romanschriftsteller, geb. 12. Dez. 1821 in Rouen, gest. daselbst 7. Mai 1880, Sohn eines angesehenen und vermögenden Arztes, studierte anfangs ebenfalls Medizin, ging dann aber, seiner Neigung folgend, zur Literatur über und verlegte sich mit Eifer auf poetische Arbeiten, wobei ihm besonders Victor Hugo und Byron zum Vorbild dienten. Dieser romantischen Richtung später entsagend, wandte er sich der entgegengesetzten Seite zu, indem er nun das wirkliche Leben auf das sorgfältigste darzustellen suchte. Ein Ergebnis dieser Bestrebungen war der Roman »Madame Bovary« (1857; deutsch von Ettlinger, 2. Aufl., Dresd. 1902, und von Feustel, Halle 1896), der als bahnbrechend für die naturalistische Schule der Goncourt, Zola etc. bezeichnet werden muß. Es ist die lamentable Geschichte einer »Unverstandenen« der Provinz, die der Dichter mit unerbittlicher Naturtreue, überlegener Kälte und in streng gefeilter Sprache erzählt. Bald darauf machte F. eine Reise nach Tunis, wo er die Anregung und den Stoff zu dem historisch-archäologischen Roman »Salammbô« (1862; deutsch, Frankf. a. M. 1863; von Kuhn, Dresd. 1900; auch in Reclams Universal-Bibliothek) empfing. Gegenstand desselben ist der Aufstand der Mietstruppen gegen Karthago zur Zeit Hamilkars, des Vaters von Hannibal, und das Ganze eine Schilderung des innern und äußern Wesens der alten Punierstadt, mit glänzender Pracht entworfen, aber doch ohne wirkliches Leben. Späterhin erschienen: »L'éducation sentimentale. Histoire d'un jeune homme« (1869), ein noch trostloserer Roman als »Madame Bovary«, der auf das Publikum einen geradezu unheimlichen Eindruck machte; »La tentation de saint Antoine« (1874; deutsch von Endrulat, Straßb. 1874), ein geistreiches, aber ermüdendes philosophisch-kulturgeschichtliches Phantasiestück; endlich drei sauber ausgeführte Novellen: »Trois contes« (1877). Ein politisches Schauspiel von F.: »Le Candidat«, war auf dem Vaudevilletheater 1874 ohne allen Erfolg vorübergegangen. Durch diese wiederholten Enttäuschungen verbittert, auch vom Gang der politischen Dinge niedergedrückt, zog sich F., der an epileptischen Anfällen litt, in die Einsamkeit auf sein Landhaus Croisset, unweit Rouen, zurück (dasselbe, das einst der Abbé Prévost bewohnte) und schrieb noch den menschenfeindlichen und unerquicklichen satirischen Roman »Bouvard et Pécuchet« (1881). In Rouen wurde ihm 1890 ein Denkmal errichtet. Eine Gesamtausgabe seiner Werke erschien 1885 in 8 Bänden. Nach seinem Tod erschienen noch seine Briefe an George Sand (4. Aufl. 1889) und seine »Correspondance«, die Zeit von 1830–80 umfassend (1887–1893, 4 Bde.). Vgl. Mignot, Ernest Chevalier. Son intimité avec Gust. F. (Briefe Flauberts, Par. 1888); Tarver, G. F. as seen in bis works, etc. (Lond. 1895); E. Faguet, Flaubert (Par. 1899); ten Brink, Gustave F. (Haag 1901); Christensen, Gust. F. (Kopenh. 1903).
Es war in Megara, einer der Vorstädte von Karthago, in den Gärten Hamilkars.
Die Söldner, die er in Sizilien befehligt hatte, feierten den Jahrestag der Schlacht am Eryx durch ein großes Gelage. Da der Feldmarschall abwesend und die Versammlung zahlreich war, schmauste und zechte man auf das zwangloseste.
Die Offiziere hatten sich gestiefelt und gespornt in der Hauptallee gelagert, unter einem goldbefransten Purpurzelt, das von der Stallmauer bis zur untersten Schloßterrasse ausgespannt war. Die Scharen der Gemeinen lagen weithin unter den Bäumen, durch die man zahlreiche flachdachige Baracken, Winzerhäuschen, Scheunen, Speicher, Backhäuser und Waffenschuppen schimmern sah, einen Elefantenhof, Zwinger für die wilden Tiere und ein Sklavengefängnis.
Feigenbäume umstanden die Küchen. Ein Sykomorenhain endete an einem Meere grüner Büsche, daraus rote Granatäpfel zwischen weißen Baumwollenkotten leuchteten. Traubenschwere Weinreben strebten bis in die Wipfel der Pinien. Unter Platanen glühte ein Rosenfeld. Hier und da wiegten sich Lilien über dem Grase. Die Wege bedeckte schwarzer Kies, mit rotem Korallenstaub vermischt. Von einem Ende zum andern durchschnitt den Park eine hohe Zypressenallee, gleich einem Säulengange grüner Obelisken.
Ganz im Hintergrunde leuchtete auf breitem Unterbau das Schloß mit seinen vier terrassenartigen Stockwerken, aus numidischem, gelbgesprenkeltem Marmor. Seine monumentale Freitreppe aus Ebenholz, deren einzelne Stufen links und rechts mit den Schnäbeln eroberter Schlachtschiffe geschmückt waren, – seine roten Türen, die je ein schwarzes Kreuz vierteilte, – seine Fensteröffnungen, die im untersten Stock Drahtgaze vor den Skorpionen schützte, während sie in den oberen Reihen vergoldetes Gitter zeigten, – all diese wuchtige Pracht dünkte die Soldaten so hoheitsvoll und unnahbar wie Hamilkars Antlitz.
Das Gelage fand auf Anordnung des Rates an diesem Orte statt. Die Verwundeten, die im Eschmuntempel lagen, waren bei Morgengrauen aufgebrochen und hatten sich an Krücken und Stöcken hergeschleppt. Immer mehr Menschen trafen ein. Auf allen Wegen strömten sie herbei, unaufhörlich, wie sich Bäche in einen See ergießen. Die Küchensklaven liefen unter den Bäumen hin und her, hastig und halbnackt. Klagend flohen von den Rasenplätzen die Gazellen. Die Sonne ging unter. Der Zitronenbäume Duft machte den Dunst der erhitzten Menschenmenge noch schwerer.
Alle Völker waren vertreten: Ligurer, Lusitanier, Balearier, Neger und römische Überläufer. Neben der schwerfälligen dorischen Mundart dröhnten, rasselnd wie Feldgeschütz, die Worte der Kelten, und die klangvollen jonischen Endungen wurden von Wüstenlauten verschlungen, rauh wie Schakalgeheul. Den Griechen erkannte man an seiner schlanken Gestalt, den Ägypter an den hohen Schultern, den Kantabrer an den feisten Waden. Karier schüttelten stolz die Federbüsche ihrer Helme. Kappadokische Bogenschützen sah man, die auf ihrem Körper Blumenarabesken trugen, mit Pflanzensäften aufgemalt. Auch Lydier saßen beim Mahle, in Frauengewändern und Pantoffeln, Gehänge in den Ohren. Andre hatten sich zum Schmucke mit Zinnober angestrichen und sahen aus wie Statuen aus Korall.
Sie ruhten auf Kissen, hockten schmausend um große Schüsseln oder lagen auf dem Bauche, die Ellbogen aufgestemmt, und zogen die Fleischstücke zu sich heran, alle in der gemächlichen Haltung von Löwen, die ihre Beute verzehren. Die zuletzt Gekommenen lehnten an den Bäumen, blickten nach den niedrigen Tischen, die unter ihren scharlachroten Decken halb verschwanden, und harrten, bis die Reihe an sie kam.
Da Hamilkars Küchen nicht ausreichten, hatte der Rat Sklaven, Geschirr und Liegebänke geschickt. In der Mitte des Gartens flammten wie auf einem Schlachtfelde, wenn man die Toten verbrennt, große helle Feuer, an denen Ochsen gebraten wurden. Brote, mit Anis bestreut, lagen neben Käsen, größer und schwerer als Diskosscheiben. Mischkrüge voll Wein und Wasser standen neben Körben aus Goldfiligran, in denen Blumen dufteten. Die Freude, nun endlich nach Belieben schwelgen zu können, weitete aller Augen. Hier und da erklang bereits ein Lied.
Auf roten Tonschüsseln mit schwarzen Verzierungen trug man zuerst Vögel in grüner Sauce auf, dann allerlei Muscheln, wie man sie an den punischen Küsten aufliest, Suppen aus Weizen, Bohnen und Gerste, und Schnecken, in Kümmel gekocht, auf Platten von Bernstein.
Dann wurden die Tische mit Fleischgerichten beladen: Antilopen noch mit ihren Hörnern, Pfauen in ihrem Gefieder, ganze Hammel, in süßem Wein gedünstet, Kamel- und Büffelkeulen, Igel in Fischsauce, gebackene Heuschrecken und eingemachte Siebenschläfer. In Mulden aus Tamrapanniholz schwammen safranbedeckt große Speckstücke. Alles war reichlich gewürzt mit Salz, Trüffeln und Asant. Früchte rollten über Honigscheiben. Auch hatte man nicht vergessen, ein paar von den kleinen, dickbäuchigen Hunden mit rosigem Seidenfell aufzutragen, die mit Oliventrebern gemästet waren, ein karthagisches Gericht, das die andern Völker verabscheuten. Die Verwunderung über neue Gerichte erregte die Lust, davon zu essen. Die Gallier, mit ihrem langen auf dem Scheitel geknoteten Haar, rissen sich um die Wassermelonen und Limonen, die sie mit der Schale verzehrten. Neger, die noch nie Langusten gesehen, zerstachen sich das Gesicht an ihren roten Stacheln. Die glattrasierten Griechen, weißer als Marmor, warfen die Abfälle ihrer Mahlzeit hinter sich, während bruttinische Hirten, in Wolfsfelle gehüllt, das ganze Gesicht in ihre Schüsseln tauchten und ihr Essen schweigsam verschlangen.
Es ward Nacht. Man entfernte das Zeltdach über der großen Zypressenallee und brachte Fackeln. Der flackernde Schein des Steinöls, das in Porphyrschalen brannte, erschreckte die dem Mond geweihten Affen in den Wipfeln der Zedern. Sie kreischten laut, den Söldnern zur Belustigung.
Flammenzungen leckten die ehernen Panzer. Die mit Edelsteinen eingelegten Schüsseln glitzerten in bunten Lichtern. Die Mischkrüge, deren Bäuche gewölbte Spiegel bildeten, gaben das in die Breite verzerrte Bild eines jeden Dinges wieder. Die Söldner drängten sich um diese Spiegel, blickten erstaunt hinein und schnitten Gesichter, um sich gegenseitig zum Lachen zu bringen. Andre warfen sich über die Tische hinweg mit elfenbeinernen Fußbänken und goldnen Löffeln und schlürften in vollen Zügen Wein: griechischen, den man in Schläuchen aufbewahrt, kampanischen, der in Amphoren verschlossen ist, kantabrischen, der in Fässern verfrachtet wird, auch Wein aus Brustbeeren, Zimt und Lotos. Auf dem Erdboden stand er in Lachen, darin man ausglitt. Der Dampf der Speisen stieg, mit dem Dunst des Atems vermischt, in das Laubwerk der Bäume. In das Krachen der Kinnbacken tönte der Lärm der Stimmen, der Lieder und der Trinkschalen, das Klirren kampanischen Geschirrs, das in Stücke zersprang, und der helle Klang der großen Silberschüsseln.
Je mehr die Trunkenheit zunahm, desto lebhafter gedachte man der Unredlichkeit Karthagos. Die durch den Krieg erschöpfte Republik hatte nämlich die Ansammlung aller Söldner in der Stadt zugelassen. Gisgo, ihr General, war umsonst so vorsichtig gewesen, sie nur abteilungsweise von Sizilien nach Afrika zu schicken, um die Auszahlung ihres Soldes zu erleichtern, aber der Rat hatte gemeint, sie würden zu guter Letzt in Abzüge einwilligen. Jetzt haßte man sie, weil man sie nicht bezahlen konnte. In den Köpfen der Karthager verwuchs diese Schuld mit den zehn Millionen Mark, die Lutatius beim Friedensschluß ausbedungen, und die Söldner erschienen ihnen als ihre Feinde, genau so wie Rom. Das hatten die Truppen in Erfahrung gebracht, und ihre Entrüstung war in Drohungen und Ausschreitungen zum Ausdruck gekommen. Schließlich hatten sie verlangt, sich zur Erinnerungsfeier eines ihrer Siege versammeln zu dürfen. Die Friedenspartei gab nach aus Rachlust gegen Hamilkar, der die Seele des Krieges gewesen war. Trotz Hamilkars starkem Widerspruch hatte der Feldzug ein Ende genommen, worauf der Feldherr – an Karthago verzweifelnd – den Oberbefehl über die Söldner an Gisgo abgegeben hatte. Wenn nun die Karthager seinen Palast dem Soldatenfeste zur Verfügung stellten, so wälzten sie damit einen Teil des Hasses, der den Söldnern galt, auf Hamilkar ab. Ihm sollten die zweifellos riesigen Ausgaben möglichst allein zur Last fallen.
Stolz darauf, daß sich die Republik ihrem Willen gebeugt hatte, wähnten die Söldner, nun endlich heimkehren zu können, mit dem Lohn für ihr Blut in der Tasche. Jetzt im Taumel der Trunkenheit erschienen ihnen die überstandenen Strapazen ungeheuer groß und in keinem Verhältnis zu dem kärglichen Solde. Sie zeigten einander ihre Wunden und erzählten sich von ihren Kämpfen, ihren Fahrten und den Jagden in ihrer Heimat. Sie ahmten das Geschrei und die Sprünge der wilden Tiere nach. Dann kam es zu schweinischen Wetten. Man steckte den Kopf in die großen Steinkrüge und trank, ohne abzusetzen, wie verschmachtete Dromedare. Ein Lusitanier, ein wahrer Hüne, trug auf jeder Hand einen Mann und lief so zwischen den Tischen einher, indem er dabei Feuer aus den Nasenlöchern blies. Lakedämonier, die ihre Panzer nicht abgelegt hatten, tanzten schwerfällig herum. Einige sprangen mit unanständigen Gebärden vor die andern und ahmten Weiber nach. Andre zogen sich nackt aus, um inmitten des Trinkgeräts gleich Gladiatoren miteinander zu kämpfen. Ein Fähnlein Griechen hüpfte um eine Vase, auf der Nymphen tanzten, während ein Neger mit einem Ochsenknochen den Takt dazu auf einem Blechschild schlug.
Plötzlich vernahm man klagenden Gesang, der bald laut, bald leise durch die Lüfte zitterte, wie der Flügelschlag eines verwundeten Vogels.
Es waren die Sklaven im Kerker. Ein paar Söldner sprangen mit einem Satz auf und verschwanden, um sie zu befreien.
Sie kamen zurück und trieben unter lautem Geschrei etwa zwanzig Männer mit auffällig bleichen Gesichtern durch den Staub vor sich her. Kleine kegelförmige Mützen aus schwarzem Filz bedeckten die glatt geschorenen Köpfe. Alle trugen sie Holzsandalen, und ihre Ketten klirrten wie das Rasseln rollender Wagen.
Als sie die Zypressenallee erreichten, mischten sie sich unter die Menge, die sie ausfragte. Einer von ihnen war abseits stehen geblieben. Durch die Risse seiner Tunika erblickte man lange Striemen an seinen Schultern. Mit gesenktem Haupte blickte er mißtrauisch um sich und kniff, vom Fackelschein geblendet, die Augen zu. Als er aber sah, daß ihm keiner von den bewaffneten Männern etwas zuleide tat, entrang sich seiner Brust ein tiefer Seufzer. Er stammelte und lachte unter hellen Tränen, die ihm über das Antlitz rannen. Dann ergriff er eine bis zum Rande volle Trinkschale an den Henkeln, hob sie hoch in die Luft mit den Armen, von denen noch die Ketten herabhingen, blickte gen Himmel und rief, das Gefäß immerfort hochhaltend:
"Gruß zuerst dir, Gott Eschmun, du Befreier, den die Menschen meiner Heimat Äskulap nennen! Und euch, ihr Geister der Quellen, des Lichts und der Wälder! Und euch, ihr Götter, die ihr in den Bergen und Höhlen der Erde verborgen lebt! Und euch, ihr tapferen Männer in glänzender Rüstung, die ihr mich befreit habt!"
Dann ließ er das Gefäß sinken und erzählte seine Geschichte. Er hieß Spendius. Die Karthager hatten ihn in der Schlacht bei den Ägatischen Inseln gefangen genommen. In griechischer, ligurischer und punischer Sprache dankte er nochmals den Söldnern, küßte ihnen die Hände und beglückwünschte sie schließlich zu dem Gelage. Dabei sprach er seine Verwunderung darüber aus, daß er nirgends die Trinkschalen der karthagischen Garde erblickte. Diese Schalen, die auf jeder ihrer sechs goldenen Flächen das Bild eines Weinstocks aus Smaragden trugen, gehörten einem Regiment, das ausschließlich aus den stattlichsten Patriziersöhnen bestand. Ihr Besitz war ein Vorrecht, und so ward denn auch nichts aus dem Schatze der Republik von den Söldnern heißer begehrt. Um dieser Gefäße willen haßten sie die Garde, und schon mancher hatte sein Leben gewagt, des eingebildeten Vergnügens wegen, aus jenen Schalen zu trinken.
Jetzt befahlen die Söldner, die Schalen herbeizuholen. Die befanden sich im Gewahrsam der Syssitien. Das waren staatsrechtlich organisierte Familienverbände. Die Sklaven kamen zurück mit der Mitteilung, zu dieser Stunde schliefen alle Mitglieder der Syssitien.
"So weckt sie!" riefen die Söldner daraufhin.
Die Sklaven gingen und kehrten mit der Nachricht wieder, die Schalen seien in einem Tempel eingeschlossen.
"Man öffne ihn!" brüllten die Söldner.
Zitternd gestanden nun die Sklaven, die Gefäße wären in den Händen des Generals Gisgo.
"So soll er sie selber herbringen!" schrien die Soldaten.
Bald erschien Gisgo im Hintergrunde des Gartens, von einer Leibwache aus Gardisten umgeben. Sein weiter schwarzer Mantel, an der goldnen, edelsteingeschmückten Mitra auf seinem Haupte befestigt, umwallte ihn bis auf die Hufe seines Pferdes und verschwamm in der Ferne mit dem Dunkel der Nacht. Man sah nichts als seinen weißen Bart, das Gefunkel seines Kopfschmuckes und die dreifache Halskette aus breiten blauen Schildern, die ihm auf die Brust herabhing.
Als er nahte, begrüßten ihn die Söldner mit lautem Willkommengeschrei.
"Die Schalen!" riefen sie. "Die Schalen!"
Er begann mit der Erklärung, sie seien der Schalen in Anbetracht ihres Mutes durchaus würdig.
Die Menge heulte vor Freude und klatschte Beifall.
Er wisse das wohl, fuhr Gisgo fort, er, der sie dadrüben geführt habe und mit der letzten Kompagnie auf der letzten Galeere zurückgekehrt sei!
"Das ist wahr! Das ist wahr!" rief man.
Die Republik, redete er weiter, habe ihre Teilung nach Völkern, ihre Bräuche und ihren Glauben geachtet. Sie seien frei in Karthago! Was aber die Schalen der Garde anbeträfe, so sei das Privateigentum.
Da sprang ein Gallier, der neben Spendius gestanden hatte, über die Tische weg, gerade auf Gisgo zu und fuchtelte drohend mit zwei bloßen Schwertern vor ihm herum.
Ohne seine Rede zu unterbrechen, schlug ihn der General mit seinem schweren Elfenbeinstab auf den Kopf. Der Barbar brach zusammen. Die Gallier heulten. Ihre Wut teilte sich den andern mit und drohte sich gegen die Leibwache zu richten. Gisgo zuckte die Achseln, als er die Gardisten erbleichen sah. Er sagte sich, daß sein eigner Mut gegenüber rohen, erbitterten Bestien nutzlos sei. Besser wäre es, dachte er, sich später durch eine Hinterlist an ihnen zu rächen.
Er gab seinen Kriegern einen Wink und zog sich langsam zurück. Unter der Pforte aber wandte er sich noch einmal nach den Söldnern um und rief ihnen zu, das solle sie eines Tages gereuen.
Das Gelage begann von neuem. Doch Gisgo konnte zurückkommen und sie durch Umstellung der Vorstadt, die an die äußeren Wälle stieß, gegen die Mauern drücken. Trotz ihrer Anzahl fühlten sie sich mit einem Male verlassen; und die große Stadt, die im Dunkel unter ihnen schlief, flößte ihnen plötzlich Furcht ein mit ihrem Treppengewirr, mit ihren hohen düstern Häusern und ihren unbekannten Göttern, die noch grauenhafter waren als selbst die Bewohner. In der Ferne spielten Scheinwerfer über den Hafen hin. Auch im Tempel Khamons war Licht. Da gedachten sie Hamilkars. Wo war er? Warum hatte er sie verlassen, als der Friede geschlossen war? Sein Zerwürfnis mit dem Rat war gewiß nur Blendwerk, um sie zu verderben. Ihr ungestillter Haß übertrug sich auf ihn. Sie verfluchten ihn und entfachten ihren Zorn aneinander zur Wut. In diesem Augenblick entstand ein Auflauf unter den Platanen. Mit Händen und Füßen um sich schlagend, wand sich ein Neger auf dem Boden, mit stierem Blick, verrenktem Hals und Schaum auf den Lippen. Jemand schrie, er sei vergiftet. Da wähnten sich alle vergiftet. Sie fielen über die Sklaven her. Ein furchtbares Geschrei erhob sich, und ein Taumel wilder Zerstörungswut erfaßte das trunkene Heer. Man schlug wie blind um sich, zerbrach und mordete. Einige schleuderten Fackeln in die Baumkronen. Andre lehnten sich über die Brüstung der Löwengrube und schossen nach den Löwen mit Pfeilen. Die Verwegensten liefen zu den Elefanten, um ihnen die Rüssel abzuschlagen. Es gelüstete sie nach Elfenbein.
Inzwischen waren balearische Schleuderer, um gemächlicher plündern zu können, um die Ecke des Palastes gelaufen. Sie stießen auf ein hohes Gitter aus indischem Rohr, durchschnitten die Riemen des verschlossenen Tores mit ihren Dolchen und befanden sich nun unter der Karthago zugewandten Palastfront in einem zweiten Garten mit verschnittenen Hecken. Lange Reihen dicht aneinander gepflanzter weißer Blumen beschrieben hier auf dem azurblauen Boden weite Bogen gleich Sternenketten. Die dunkeln Gebüsche hauchten schwüle Honigdüfte aus. Mit Zinnober bestrichene Baumstümpfe schimmerten wie blutige Säulen. In der Mitte des Gartens trugen zwölf kupferne Träger je eine große Glaskugel, in deren Rundungen bizarre rötliche Lichter spielten; sie glichen riesigen, lebendigen, zuckenden Augäpfeln. Die Söldner leuchteten mit Pechfackeln, indes sie über den abschüssigen und tief umgegrabenen Boden stolperten. Da erblickten sie einen Weiher, der durch Wände von blauen Steinen in mehrere Becken zerlegt war. Das Wasser war so klar, daß das Licht der Fackeln bis auf den Grund fiel und auf einem Bett von weißen Steinen und Goldstaub zitterte. Das Wasser begann zu schäumen. Sprühende Funken glitten durch die Flut, und große Fische, die Edelsteine am Maule trugen, tauchten zur Oberfläche empor.
Die Söldner steckten ihnen unter lautem Gelächter die Finger in die Kiemen und trugen sie zu ihren Tischen.
Es waren die Fische der Barkiden. Sie stammten sämtlich von jenen Urquappen ab, die das mystische Ei ausgebrütet hatten, aus dem die Göttin entstanden war. Der Gedanke, einen gottlosen Frevel zu begehen, reizte die Begierde der Söldner. Flugs machten sie Feuer unter ehernen Becken und ergötzten sich daran, die schönen Fische im kochenden Wasser zappeln zu sehen.
Die Söldner schoben und drängten sich. Sie hatten keine Furcht mehr. Von neuem begannen sie zu zechen. Die Salben, die ihnen von der Stirn trieften, flossen in schweren Tropfen auf ihre zerrissenen Waffenröcke. Sie stemmten beide Ellbogen auf die Tische, die ihnen wie Schiffe zu schwanken schienen, und schauten mit stieren, trunkenen Blicken umher, um wenigstens mit den Augen zu verschlingen, was sie nicht mitnehmen konnten. Andre stampften mitten unter den Schüsseln auf den purpurnen Tischdecken herum und zertrümmerten mit Fußtritten die Elfenbeinschemel und die tyrischen Glasgefäße. Gesänge mischten sich in das Röcheln der Sklaven, die zwischen den Scherben der Trinkgefäße ihr Leben aushauchten. Man forderte Wein, Fleisch, Gold. Man schrie nach Weibern. Man phantasierte in hundert Sprachen. Einige glaubten sich im Dampfbade wegen des Brodems, der sie umwogte. Andre wähnten sich beim Anblick des Laubwerks auf der Jagd und stürmten auf ihre Gefährten ein wie auf Wild. Das Feuer sprang von Baum zu Baum, und die hohen grünen Massen, aus denen lange weiße Rauchkringel emporstiegen, sahen wie Vulkane aus, die zu qualmen beginnen. Das Geschrei nahm zu. Im Dunkeln brüllten die verwundeten Löwen.
Mit einem Schlage erhellte sich die oberste Terrasse des Palastes. Die Mitteltür tat sich auf, und eine weibliche Gestalt, Hamilkars Tochter, in einem schwarzen Gewande, erschien auf der Schwelle. Sie stieg die erste Treppe hinab, die schräg vom obersten Stockwerk abwärts lief, dann die zweite, die dritte. Auf der untersten Terrasse, am oberen Ende der Freitreppe mit den Schiffsschnäbeln, blieb sie stehen. Unbeweglich und gesenkten Hauptes schaute sie auf die Soldaten hinab.
Hinter ihr standen zu beiden Seiten zwei lange Reihen bleicher Männer in weißen rotgesäumten Gewändern, die in senkrechten Falten bis auf die Füße herabwallten. Sie hatten weder Bärte noch Haare noch Brauen. In ringfunkelnden Händen trugen sie riesige Lyren, und mit gellenden Stimmen sangen sie einen Hymnus auf Karthagos Göttlichkeit. Es waren die Eunuchenpriester aus dem Tempel der Tanit, die Salambo des öfteren in ihr Haus berief.
Salambo stieg die Galeerentreppe hinunter. Die Priester folgten. Dann schritt sie die Zypressenallee hin, langsam, zwischen den Tischen der Hauptleute, die ein wenig zur Seite rückten, als sie vorüberging.
Ihr Haar war mit einer Art violetten Staubes gepudert und nach der Sitte der kanaanitischen Jungfrauen hochgetürmt. Es ließ sie größer erscheinen, als sie wirklich war. An den Schläfen festgesteckte Perlenschnüre hingen bis an die Winkel ihres Mundes herab, der wie ein aufgesprungener Granatapfel glühte. Auf der Brust trug sie einen Schmuck aus blitzenden Edelsteinen, bunt wie das Schuppenkleid einer Muräne. Ihre diamantgeschmückten Arme traten nackt aus der ärmellosen schwarzen Tunika hervor, die mit roten Blumen bestickt war. Zwischen den Knöcheln trug sie ein goldnes Kettchen, das ihre Schritte regelte, und ihr weiter dunkelpurpurner Mantel aus fremdländischem seltenen Stoffe schleppte hinter ihr her.
Von Zeit zu Zeit griffen die Priester auf ihren Leiern halb erstickte Akkorde, und wenn diese Musik schwieg, vernahm man das leise Geklirr des Goldkettchens und das taktmäßige Klappen der Papyrussandalen Salambos.
Niemand kannte sie bis dahin. Man wußte nur, daß sie zurückgezogen in frommer Andacht lebte. Soldaten hatten sie manchmal nachts auf dem flachen Dache des Palastes gesehen, wie sie zwischen den Wirbeln qualmender Räucherpfannen vor den Sternen auf den Knien lag. Der Mondschein hatte sie blaß gemacht, und etwas Göttliches umwob sie wie leiser Duft. Ihre Augen schienen über das Irdische hinweg in weite Fernen zu schauen. Gesenkten Hauptes schritt sie dahin, in der Rechten eine kleine Lyra aus Ebenholz.
"Tot! Alle tot!" hörte man sie murmeln. "Nie mehr werdet ihr, meinem Rufe gehorsam, zu mir eilen wie einst, wenn ich am Rande des Wassers saß und euch Melonenkerne zuwarf. Der Tanit Geheimnis kreiste auf dem Grunde eurer Augen, die klarer waren als die Wasserblasen der Ströme." Und sie rief sie bei ihren Namen, den Namen der Monate: "Sivan, Thammus, Elul, Tischri, Schebar ... O Göttin, erbarme dich meiner!"
Die Söldner umdrängten sie, ohne ihre Rede zu verstehen. Sie staunten ihren Schmuck an. Salambo aber ließ einen langen erschrockenen Blick über die Menge gleiten, zog dann den Kopf zwischen die Schultern und rief, indem sie die Arme erhob, mehrere Male:
"Was habt ihr getan! Was habt ihr getan! Hattet ihr nicht Brot und Fleisch und Öl und alles Malobathron aus den Speichern, um euch zu erlaben? Aus Hekatompylos hatte ich Ochsen kommen lassen. Jäger hatte ich in die Wüste geschickt ..." Ihre Stimme schwoll an, ihre Wangen röteten sich. "Wo seid ihr denn hier? In einer eroberten Stadt oder im Schlosse eines Herrschers? Und welches Herrschers? Meines Vaters, des Suffeten Hamilkar, des Dieners der Götter! Er war es, der sich weigerte, eure Waffen dem Lutatius auszuliefern, eure Waffen, an denen jetzt das rote Blut seiner Sklaven klebt! Kennt ihr einen in euern Heimatlanden, der besser Schlachten zu lenken weiß? Schaut empor! Die Treppenstufen unsres Schlosses strotzen von den Zeichen unsrer Siege. Fahrt nur fort! Verbrennt es! Ich werde den Genius meines Hauses mit mir nehmen, meine schwarze Schlange, die da oben auf Lotosblättern schlummert. Ich pfeife, und sie wird mir folgen. Und wenn ich in die Galeere steige, wird sie im Kielwasser meines Schiffs auf dem Schaume der Wogen hinter mir hereilen ..."
Ihre feinen Nasenflügel bebten. Sie zerbrach ihre Fingernägel an den Juwelen auf ihrer Brust. Der Glanz ihrer Augen ermattete. Abermals begann sie:
"O, armes Karthago! Beweinenswerte Stadt! Du hast zu deinem Schutze nicht mehr die Helden der Vorzeit, die über die Ozeane schifften, um an fernen Küsten Tempel zu erbauen! Alle Länder arbeiteten für dich, und die Meeresfläche, von deinen Rudern gepflügt, wiegte deine Beute!"
Dann begann sie von den Abenteuern Melkarths zu singen, des Gottes der Sidonier und des Ahnherrn ihres Hauses.
So erzählte sie von der Besteigung der ersiphonischen Berge, von der Fahrt nach Tartessus und dem Krieg gegen die Masisabal, um die Königin der Schlangen zu rächen.
"Er verfolgte im Walde die Unholdin, deren Schweif sich über das dürre Laub schlängelte wie ein silberner Bach. Und er kam auf eine Wiese, wo Frauen auf den Flossen ihrer Drachenleiber um ein großes Feuer standen. Der Mond, rot wie Blut, leuchtete in einem bleichen Lichtkreis, und ihre scharlachroten Zungen, wie Fischerharpunen gespalten, schnellten gierig bis an die Flammen ..."
Ohne innezuhalten, berichtete Salambo, wie Melkarth die Masisabal bezwang und ihr abgeschlagenes Haupt am Bug seines Schiffes befestigte. "Bei jedem Schlage der Wellen tauchte es in den Schaum! Doch die Sonne balsamierte es ein, und es ward härter denn Gold. Die Augen aber hörten nicht auf zu weinen, und die Tränen rollten beständig in das Meer ..."
Das alles sang Salambo in einer alten kanaanitischen Mundart, die keiner der Barbaren verstand. Sie fragten sich, was sie ihnen mit den furchtbaren Gebärden, die ihren Gesang begleiteten, wohl sagen wollte. Aber sie lauschten ihr, indem sie auf die Tische, die Liegebänke und in die Äste der Sykomoren stiegen, mit offenem Mund und vorgestrecktem Kopfe, und mühten sich, die geheimnisvolle Sage zu fassen. Das Dunkel, das über dem Ursprung der Götter liegt, wallte vor ihrer Phantasie, wie Gespenster in den Wolken.
Nur die bartlosen Priester verstanden Salambo. Ihre welken Hände hingen zitternd in den Saiten der Leiern und entlockten ihnen von Zeit zu Zeit einen dumpfen Akkord. Schwächer als alte Weiber, bebten sie gleichzeitig in mystischen Schauern und in Furcht vor den Kriegern. Die Barbaren achteten ihrer nicht. Sie lauschten dem Gesange der Jungfrau.
Keiner aber sah sie so unverwandt an wie ein junger numidischer Häuptling, der am Tische der Hauptleute unter den Soldaten seines Volkes saß. Sein Gürtel starrte dermaßen von Wurfspießen, daß er unter dem weiten Mantel, der mit einem Lederriemen um seine Schläfen befestigt war, einen Höcker bildete. Der Mantel bauschte sich auf seinen Schultern und beschattete sein Gesicht, so daß man nur das Feuer seiner beiden starren Augen gewahrte. Er wohnte zufällig dem Feste bei. Es war Brauch, daß die afrikanischen Fürsten, um Bündnisse anzuknüpfen, ihre Kinder in punische Patrizierhäuser schickten. So ließ ihn sein Vater in der Familie Barkas leben. Doch Naravas hatte Salambo in den sechs Monden seines Aufenthalts noch keinmal zu Gesicht bekommen. Jetzt nun, auf den Fersen hockend, den Bart in den Schäften seiner Wurfspieße vergraben, blickte er auf sie mit geblähten Nüstern, wie ein Leopard, der im Bambusdickicht kauert.
Auf der andern Seite des Tisches saß ein Libyer von riesenhaftem Wuchse, mit kurzem schwarzem Kraushaar. Er trug nichts als seinen Küraß, dessen eherne Schuppen den Purpurstoff des Polsters aufschlitzten. Ein Halsband aus silbernen Monden verwickelte sich in die Zotteln seiner Brust. Blutspritzer befleckten sein Antlitz. Auf den linken Ellbogen gestützt, lächelte er mit weit geöffnetem Munde.
Salambo hatte den heiligen Sang beendet. Aus weiblichem Feingefühl redete sie nun die Barbaren in ihren eigenen Sprachen an, um ihren Zorn zu besänftigen. Zu den Griechen sprach sie griechisch, dann wandte sie sich zu den Ligurern, den Kampanern und Negern. Ein jeder, der sie so verstand, fand in ihrer Stimme die süßen Laute seiner Heimat wieder.
Von der Erinnerung an Karthagos Vergangenheit begeistert, sang sie nun von den alten Schlachten gegen Rom. Man klatschte ihr Beifall. Sie berauschte sich am Glanze der nackten Schwerter. Sie schrie, die Arme weit geöffnet. Die Lyra entfiel ihr. Sie verstummte ...
Indem sie beide Hände gegen ihr Herz preßte, stand sie eine Weile mit geschlossenen Augenlidern da und weidete sich an der Erregung aller der Männer vor ihr.
Matho, der Libyer, neigte sich zu ihr hin. Unwillkürlich trat sie auf ihn zu und füllte, von ihrem befriedigten Ehrgeiz getrieben, eine goldene Schale mit Wein. Dies sollte sie mit dem Heere versöhnen.
"Trink!" gebot sie.
Er ergriff die Schale und führte sie zum Munde, als ein Gallier – jener, den Gisgo niederschlagen hatte – ihm auf die Schulter klopfte und mit vergnügter Miene einen Scherz in seiner Muttersprache machte. Spendius stand in der Nähe. Er bot sich als Dolmetsch an.
"Rede!" sprach Matho.
"Die Götter sind dir gnädig! Du wirst reich werden! Wann ist die Hochzeit?"
"Was für eine Hochzeit?"
"Deine!" entgegnete der Gallier. "Wenn nämlich bei uns ein Weib einem Krieger einen Trunk spendet, so bietet sie ihm damit ihr Bett an."
Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als Naravas aufsprang, einen Wurfspieß aus seinem Gürtel riß, den rechten Fuß auf den Tischrand stemmte und die Waffe gegen Matho schleuderte.
Sausend pfiff der Speer zwischen den Schalen hin, durchbohrte den Arm des Libyers und nagelte ihn mit solcher Wucht an die Tischplatte, daß der Schaft in der Luft vibrierte.
Matho riß ihn rasch heraus. Doch er war ohne Waffen und nackt. Da hob er mit beiden Armen den beladenen Tisch hoch und schleuderte ihn gegen Naravas, mitten in die Menge, die sich dazwischenwarf. Die Söldner und die Numidier standen so dicht, daß sie ihre Schwerter nicht ziehen konnten. Matho brach sich Bahn, indem er gewaltsam mit dem Kopfe gegen die Menge stieß. Als er wieder aufblickte, war Naravas verschwunden. Er suchte ihn mit den Augen. Auch Salambo war fort.
Da wandte er den Blick nach dem Schlosse und bemerkte, wie sich ganz oben die rote Tür mit dem schwarzen Kreuze eben schloß. Er stürzte hinauf.
Man sah ihn zwischen den Schiffsschnäbeln laufen, dann auf den drei schrägen Treppen hinaufeilen und schließlich oben gegen die rote Tür mit der Wucht seines ganzen Körpers anrennen. Schwer atmend lehnte er sich an die Mauer, um nicht umzusinken.
Ein Mann war ihm nachgefolgt, und in der Dunkelheit – der Lichterschein des Festes wurde durch die Ecke des Palastes abgeschnitten – erkannte er Spendius.
"Weg!" rief Matho.
Ohne etwas zu erwidern, begann der Sklave seine Tunika mit den Zähnen zu zerreißen. Dann kniete er neben Matho nieder, faßte behutsam dessen Arm und befühlte ihn, um im Dunkeln die Wunde zu finden.
Ein Mondstrahl glitt aus einer Wolkenspalte, und Spendius erblickte in der Mitte des Armes eine klaffende Wunde. Er verband sie mit dem Stück Stoff. Doch der andre rief zornig:
"Laß mich! Laß mich!"
"Nein, nein!" antwortete der Sklave. "Du hast mich aus dem Kerker befreit. Ich bin dein, und du bist mein Gebieter! Befiehl!"
Matho tastete sich an der Mauer hin, die ganze Terrasse entlang. Bei jedem Schritte horchte er auf und tauchte seinen Blick durch die vergoldeten Gitterstäbe hinein in die stillen Gemächer. Endlich blieb er verzweifelt stehen.
"Höre!" redete der Sklave ihn an. "Verachte mich nicht wegen meiner Armseligkeit! Ich habe in diesem Palast gelebt. Wie eine Schlange kann ich durch die Mauern schlüpfen. Komm! In der Ahnengruft liegt ein Goldbarren unter jeder Steinfliese. Ein unterirdischer Gang führt zu den Gräbern ..."
"Was kümmert das mich!" antwortete Matho.
Spendius schwieg.
Sie standen auf der Terrasse. Eine ungeheure Schattenmasse breitete sich vor ihnen in phantastischer Gliederung aus, wie die gigantischen Wogen eines schwarzen versteinerten Meeres.
Da glühte im Osten ein lichter Streifen auf. Und tief unten begannen die Kanäle von Megara mit ihren silbernen Windungen im Grün der Gärten aufzublitzen. Allmählich reckten die kegelförmigen Dächer der siebenseitigen Tempel, die Treppen, Terrassen und Wälle ihre Umrisse aus dem bleichen Morgengrau heraus. Rings um die karthagische Halbinsel brodelte ein weißer Schaumgürtel. Das smaragdgrüne Meer schlief noch in der Morgenfrische. Je höher die Röte am Himmel emporstieg, um so deutlicher wurden die hohen Häuser, die sich an die Hänge klammerten oder wie eine zu Tal ziehende Herde schwarzer Ziegen abwärts drängten. Die menschenleeren Straßen schienen endlos lang. Palmen, die hier und da die Mauern überragten, standen regungslos. Die bis an den Rand gefüllten Zisternen in den Höfen glichen silbernen dort liegen gelassenen Schilden. Das Leuchtturmfeuer auf dem hermäischen Vorgebirge glimmte nur noch. Im Zypressenhain oben auf dem Burgberge setzten die Rosse Eschmuns, des Tages Nahen witternd, ihre Hufe auf die Marmorbrüstung und wieherten der Sonne entgegen.
Sie tauchte auf. Spendius erhob die Arme und stieß einen Schrei aus.
Alles war von Rot überflutet. Der Gott goß wie in Selbstopferung den Goldregen seines Blutes in vollen Strömen über Karthago aus. Die Schnäbel der Galeeren blitzten, das Dach des Khamontempels schien ein Flammenmeer, und im Innern der andern Tempel, deren Pforten sich nun auftaten, schimmerten matte Lichter. Große Karren, die vom Lande hereinkamen, rollten und rasselten über das Straßenpflaster. Dromedare, mit Ballen beladen, schwankten die Abhänge hinab. Die Wechsler in den Gassen spannten die Schutzdächer über ihren Läden auf. Störche flogen dahin. Weiße Segel flatterten. Im Haine der Tanit erklangen die Schellentrommeln der geheiligten Hetären, und auf der Höhe der Mappalierstraße begann der Rauch aus den Öfen zu wirbeln, in denen die Tonsärge gebrannt wurden.
Spendius beugte sich über das Geländer. Seine Zähne schlugen aufeinander.
"Ja ... ja ... Herr!" wiederholte er mehrmals. "Ich begreife, warum du soeben vom Plündern des Hauses nichts wissen wolltest!"
Matho erwachte beim Zischen dieser Stimme wie aus einem Traume. Offenbar hatte er die Worte nicht verstanden.
"Ach, was für Reichtümer!" hob Spendius von neuem an. "Und ihre Besitzer haben nicht einmal Schwerter, sie zu verteidigen!"
Dann wies er mit der ausgestreckten Rechten auf ein paar Leute aus dem niedern Volke, die auf dem Sande vor dem Hafendamm herumkrochen und Goldkörner suchten.
"Sieh!" sagte er. "Die Republik gleicht diesen Schelmen. An den Gestaden der Meere hockend, wühlt sie mit gierigen Händen in allen Landen. Das Rauschen der Wogen betäubt ihr Ohr, und sie hört nichts; auch nicht wenn ihr von rückwärts der Tritt eines Herrschers nahte!"
Damit zog er Matho nach dem andern Ende der Terrasse und zeigte ihm den Park, wo die Schwerter der Söldner an den Bäumen hingen und in der Sonne glänzten.
"Hier aber sind starke Männer voll grimmigsten Hasses, die nichts an Karthago fesselt: keine Familie, keine Pflicht, kein Gott!"
Matho stand an die Mauer gelehnt. Spendius trat dicht an ihn heran und fuhr mit flüsternder Stimme fort:
"Verstehst du mich, Kriegsmann? In Purpurmänteln könnten wir einhergehen wie Satrapen. Uns in Wohlgerüchen baden. Ich hätte dann selber Sklaven! Bist du's nicht müde, auf harter Erde zu schlafen, den sauren Wein der Marketender zu trinken und ewig Trompetensignale zu hören? Später willst du dich ausruhen, nicht wahr? Wenn man dir den Küraß vom Leibe reißt und deinen Leichnam den Geiern vorwirft! Oder vielleicht, wenn du blind, lahm und altersschwach am Stabe einherschleichst, von Tür zu Tür, und kleinen Kindern und Hausierern von deinen Jugendträumen erzählst! Erinnere dich all der Schindereien deiner Vorgesetzten, der Biwaks im Schnee, der Märsche im Sonnenbrande, der Härte der Manneszucht und des stets drohenden Todes am Kreuze! Nach so vielen Leiden hat man dir einen Orden verliehen, just wie man den Eseln ein Schellenhalsband umhängt, um sie auf dem Marsche einzulullen, damit sie die Strapazen nicht merken! Ein Mann wie du, tapferer als Pyrrhus! Ach, wenn du nur wolltest! Ha! Wie wohl wäre dir zumute in einem hohen kühlen Saale bei Leierklang, auf einem Blumenlager, von Narren und Frauen umringt! Sag nicht, das seien Phantastereien! Haben die Söldner nicht schon Rhegium und andre feste Plätze Italiens besessen? Wer hindert dich? Hamilkar ist weit. Das Volk verabscheut die Patrizier. Gisgo vermag mit seinen Feiglingen nichts anzufangen! Du aber bist tapfer! Dir werden sie gehorchen. Führe du sie! Karthago ist unser! Erobern wir es!"
"Nein!" sprach Matho. "Molochs Fluch lastet auf mir. Ich hab es in den Augen der Einzigen gelesen, und eben ist in einem Tempel ein schwarzer Widder vor mir zurückgewichen ... Wo ist sie?" fügte er hinzu, indem er sich umschaute.
Spendius begriff, daß den Libyer eine ungeheure innere Erregung quälte. Er wagte nicht weiter zu reden.
Die Bäume hinter ihnen glimmten noch. Aus verkohlten Zweigen fielen hin und wieder halbverbrannte Affenknochen in die Schüsseln hinab. Die trunkenen Söldner schnarchten mit offenem Munde neben den Leichen, und die nicht schliefen, senkten das Haupt, geblendet vom Morgensonnenlicht. Auf dem zerstampften Boden starrten große Blutlachen. Die Elefanten in ihren Pfahlgehegen schwenkten die blutigen Rüssel hin und her. In den offenen Speichern lag das Getreide ausgeschüttet, und unter dem Tor stand ein Wirrwarr von Karren, von den Barbaren ineinandergefahren. Die Pfauen auf den Zedernästen entfächerten ihre Schweife und begannen zu schreien.
Mathos Unbeweglichkeit setzte Spendius in Staunen. Der Libyer war noch bleicher denn zuvor und verfolgte, beide Fäuste auf die Terrassenmauer gestützt, mit starrem Blick etwas am Horizont. Spendius beugte sich vor und entdeckte endlich, was jener betrachtete. Ein goldner Punkt rollte in der Ferne im Staub auf der Straße nach Utika. Es war die Radnabe eines mit zwei Maultieren bespannten Gefährts. Ein Sklave lief an der Spitze der Deichsel und hielt die Tiere an den Trensen. Auf dem Wagen saßen zwei Frauen. Die Schöpfe der Tiere standen nach persischer Sitte kammartig hoch zwischen den Ohren unter einem Netz von blauen Perlen. Spendius erkannte die Insassen. Er unterdrückte einen Aufschrei.
Ein langer Schleier flatterte im Winde hinterdrein.
Zwei Tage später verließen die Söldner Karthago. Man hatte einem jeden ein Goldstück gezahlt, unter der Bedingung, daß sie ihr Standquartier nach Sikka verlegten. Auch hatte man ihnen allerlei Schmeicheleien gesagt:
"Ihr seid die Retter Karthagos! Doch ihr würdet es in Hungersnot bringen, wenn ihr hier bliebet. Ihr machtet es zahlungsunfähig. Marschiert ab! Die Republik wird euch einstens für diese Willfährigkeit Dank wissen. Wir werden unverzüglich Steuern erheben. Euer Sold soll euch auf Heller und Pfennig ausgezahlt werden. Dazu wird man Galeeren ausrüsten, die euch in eure Heimat zurückbringen."
Sie wußten nicht, was sie auf solchen Wortschwall erwidern sollten. Zudem langweilte die kriegsgewohnten Männer der Aufenthalt in der Stadt. Und so waren sie ohne große Mühe zu überreden. Das Volk stieg auf die Mauern, um sie abziehen zu sehen.
Der Abmarsch erfolgte durch die Khamonstraße und das Kirtaer Tor. Bunt durcheinander zogen sie ab: leichte Bogenschützen neben Schwerbewaffneten, Offiziere neben Gemeinen, Lusitanier neben Griechen. Stolzen Schritts marschierten sie vorbei und ließen ihre schweren Stahlstiefel auf dem Pflaster klirren. Ihre Rüstungen trugen Beulen von Katapultgeschossen, und ihre Gesichter waren vom Schlachtenbrand geschwärzt. Rauhe Rufe drangen aus ihren dichten Bärten. Ihre zerfetzten Panzerhemden klapperten über den Schwertergriffen, und durch die Löcher im Erz sah man ihre nackten Glieder, drohend wie Geschütz. Die langen Lanzen, die Streitäxte, die Speere, die Filzhauben und ehernen Helme, alles wogte im Takt in gleicher Bewegung. Die Straße war von dem Zuge derartig angefüllt, daß die Mauern dröhnten. Zwischen den hohen sechsstöckigen Häusern, die mit Asphalt getüncht waren, wälzte sich der Strom der gewappneten Krieger hin. Hinter den Fenstergittern aus Eisen oder Rohr saßen verschleierte Frauen und sahen schweigend dem Vorbeimarsch der Barbaren zu.
Terrassen, Festungswälle, Mauern, alles verschwand unter der Masse der schwarz gekleideten Karthager. Die Jacken der Matrosen leuchteten in dieser dunklen Menge wie Blutflecke. Halbnackte Kinder, auf deren blendender Haut sich kupferne Armringe abhoben, schrien von den Blattornamenten der Säulen und von den Zweigen der Palmen herab. Mehrere der "Alten" hatten sich auf die flachen Dächer der Türme gestellt, aber man wußte nicht, warum diese langbärtigen Gestalten in bestimmten Abständen so nachdenklich dort oben wachten. Von weitem gesehen, hoben sie sich vom Hintergrunde des Himmels unheimlich wie Gespenster ab und unbeweglich wie Steinbilder.
Alle bedrückte die gleiche Besorgnis: man fürchtete, die Barbaren könnten, da sie sich so stark sahen, auf den Einfall kommen, bleiben zu wollen. Doch sie zogen so vertrauensselig ab, daß die Karthager Mut schöpften und sich zu den Söldnern gesellten. Man überhäufte sie mit Beteuerungen und Freundschaftsbezeugungen. Einige redeten ihnen sogar aus übertriebener Berechnung und verwegener Heuchelei zu, die Stadt nicht zu verlassen. Man warf ihnen Parfümerien, Blumen und Geldstücke zu. Man schenkte ihnen Amulette gegen Krankheiten, hatte aber vorher dreimal darauf gespien, um den Tod herbeizubeschwören, oder Schakalhaare hineingetan, die das Herz feig machen. Laut rief man Melkarths Segen auf die Abziehenden herab, leise indessen seinen Fluch.
Es folgte das Gewirr des Trosses, der Lasttiere und Nachzügler. Kranke saßen stöhnend auf Dromedaren. Andre hinkten vorüber, auf einen Lanzenstumpf gestützt. Trunkenbolde schleppten Weinschläuche mit sich, Gefräßige Fleisch, Kuchen, Früchte, Butter in Feigenblättern, Eis in Leinwandsäcken. Etliche sah man mit Sonnenschirmen in der Hand und Papageien auf den Schultern. Andre wurden von Hunden, Gazellen und Panthern begleitet. Frauen libyschen Stammes ritten auf Eseln. Sie verhöhnten die Negerweiber, die den Soldaten zuliebe die Bordelle von Malka verlassen hatten. Manche säugten Kinder, die in Ledertragen an ihren Brüsten hingen. Die Maultiere, die man mit den Schwertspitzen anstachelte, vermochten die Last der ihnen aufgepackten Zelte kaum zu erschleppen. Ein Schwarm Knechte und Wasserträger, hager, fiebergelb und voller Ungeziefer, die Hefe des karthagischen Pöbels, hängte sich den Barbaren an.
Als alle hinaus waren, schloß man die Tore. Das Volk blieb auf den Mauern. Der Söldnerzug füllte alsbald die ganze Breite der Landenge. Er teilte sich in ungleiche Haufen. Die Lanzen sahen nur noch wie hohe Grashalme aus. Schließlich verlor sich alles in Staubwolken. Wenn von den Söldnern einer nach Karthago zurückblickte, sah er nichts denn die langen Mauern, deren verlassene Zinnen in den Himmel schnitten.
Plötzlich vernahmen die Barbaren lautes Geschrei. Da sie nicht einmal wußten, wie viele ihrer waren, dachten sie, daß einige von ihnen in der Stadt zurückgeblieben seien und sich das Vergnügen machten, einen Tempel zu plündern. Diese Vermutung belustigte sie, und sie setzten ihren Marsch fort. Sie freuten sich, wieder wie einst die weite Ebene gemeinsam zu durchziehen. Die Griechen stimmten den alten Sang der Mamertiner an:
"Mit meiner Lanze und meinem Schwert pflüg ich und ernt ich. Ich bin der Herr des Hauses. Der Waffenlose fällt mir zu Füßen und nennt mich Herr und Großkönig."
Sie schrien und hüpften. Die Lustigsten fingen an Geschichten zu erzählen. Die Zeiten der Not waren vorüber. Als man Tunis erreichte, bemerkten einige, daß ein Fähnlein balearischer Schleuderer fehlte. "Die werden nicht weit sein! Sicherlich!" Weiter gedachte man ihrer nicht.
Die einen suchten Unterkunft in den Häusern, die andern kampierten am Fuße der Mauern. Die Leute aus der Stadt kamen heraus und plauderten mit den Soldaten.
Die ganze Nacht hindurch sah man am Horizont in der Richtung auf Karthago Feuer brennen. Der Lichtschein – wie von Riesenfackeln – spiegelte sich auf dem regungslos liegenden Haff. Keiner im Heere wußte zu sagen, welches Fest man dahinten feierte.
Am nächsten Tag durchzogen die Barbaren eine allenthalben bebaute Gegend. An der Straße folgten die Meierhöfe der Patrizier, einer auf den andern. Durch Palmenhaine rannen Wassergräben. Olivenbäume standen in langen grünen Reihen. Rosiger Duft schwebte über dem Hügelland. Dahinter dämmerten blaue Berge. Ein heißer Wind ging. Chamäleons schlüpften über die breiten Kaktusblätter.
Die Barbaren verlangsamten ihren Marsch.
Sie zogen in Abteilungen oder schlenderten einzeln in weiten Abständen voneinander hin. Man pflückte sich Trauben am Rande der Weinberge. Man streckte sich ins Gras und betrachtete erstaunt die mächtigen, künstlich gewundenen Hörner der Ochsen, die zum Schutze ihrer Wolle mit Häuten bekleideten Schafe, die Bewässerungsrinnen, die sich in Rhombenlinien kreuzten, die Pflugschare, die Schiffsankern glichen, und die Granatbäume, die mit Silphium gedüngt waren. Die Üppigkeit des Bodens und die Erfindungen kluger Menschen kamen allen wunderbar vor.
Am Abend streckten sie sich auf die Zelte hin, ohne sie aufzuschlagen. Das Gesicht den Sternen zugekehrt, schliefen sie ein und träumten von dem Feste in Hamilkars Gärten.
Am Mittag des dritten Tages machte man in den Oleanderbüschen am Gestade eines Flusses halt. Die Soldaten warfen hurtig Lanzen, Schilde und Bandoliere ab und wuschen sich unter lautem Geschrei, schöpften die Helme voll Wasser oder tranken, platt auf dem Bauche liegend, inmitten der Maultiere, denen das Gepäck vom Rücken glitt.
Spendius, auf einem aus Hamilkars Ställen geraubten Dromedare, erblickte von weitem Matho, der, den Arm in der Binde, barhäuptig und kopfhängerisch ins Wasser starrte, indes er sein Maultier trinken ließ. Sofort eilte der Sklave mit dem Rufe: "Herr, Herr!" schnurstracks durch die Menge auf ihn zu. Matho dankte kaum für den Gruß. Spendius nahm ihm das nicht übel, begann vielmehr seinen Schritten zu folgen und warf nur von Zeit zu Zeit einen besorgten Blick nach Karthago zurück.
Er war der Sohn eines griechischen Lehrers der Redekunst und einer kampanischen Buhlerin. Anfangs hatte er durch Mädchenhandel Geld verdient, dann aber, als er bei einem Schiffbruch sein ganzes Vermögen verloren, hatte er mit den samnitischen Hirten gegen Rom gekämpft. Man hatte ihn gefangen genommen; er war entflohen. Wiederergriffen, hatte er in den Steinbrüchen gearbeitet, in den Bädern geschwitzt, unter Mißhandlungen geschrien, vielfach den Herrn gewechselt und allen Jammer des Daseins erfahren. Aus Verzweiflung hatte er sich einmal vom Bord der Triere, auf der er Ruderer war, ins Meer gestürzt. Matrosen Hamilkars hatten ihn halbtot aufgefischt und nach Karthago ins Gefängnis von Megara gebracht. Weil die Überläufer an Rom ausgeliefert werden mußten, hatte er die allgemeine Verwirrung benutzt, um mit den Söldnern zu entfliehen.
Während des ganzen Marsches blieb er bei Matho. Er brachte ihm zu essen, half ihm beim Absitzen und breitete nachts eine Decke unter sein Haupt. Durch diese kleinen Dienste ward Matho schließlich gerührt, und nach und nach sprach er mit dem Griechen.
Matho war an der Großen Syrte geboren. Sein Vater hatte ihn auf einer Pilgerfahrt zum Ammontempel mitgenommen. Dann hatte er in den Wäldern der Garamanten Elefanten gejagt. Später war er in karthagischen Söldnerdienst gegangen. Bei der Einnahme von Drepanum war er zum Offizier befördert worden. Die Republik schuldete ihm vier Pferde, zwölfhundert Liter Getreide und den Sold für einen Winter. Er war gottesfürchtig und wünschte, dermaleinst in seiner Heimat zu sterben.
Spendius erzählte ihm von seinen Reisen, von den Völkern und Tempeln, die er besucht hatte. Er verstand sich auf viele Dinge. Er konnte Sandalen, Jagdgerät und Netze anfertigen, wilde Tiere zähmen und Gifte bereiten.
Bisweilen unterbrach er sich und stieß einen heisern Schrei aus. Daraufhin beschleunigte Mathos Maultier seinen Gang, und die andern beeilten sich zu folgen. Dann erzählte Spendius weiter, aber immer voll Angst und Furcht. Erst am Abend des vierten Tages ward er ruhiger.
Die beiden ritten nebeneinander her, seitwärts rechts vom Heer, auf dem Abhang eines Hügelzuges. Drunten dehnte sich die weite Ebene, in den Nebeln der Nacht verloren. Die Reihen der tiefer dahinmarschierenden Soldaten sahen im Dunkeln wie Wellen aus. Von Zeit zu Zeit kamen sie über mondbeglänzte Anhöhen. Dann sprühten Sterne an den Spitzen der Lanzen, und das Mondlicht gleißte auf den Helmen. Ein paar Augenblicke lang, dann verschwand alles, und immer neue Trupps kamen. In der Ferne blökten aufgeschreckte Herden. Es war, als ob unendlicher Friede auf die Erde herabsänke.
Mit zurückgebogenem Kopfe und halbgeschlossenen Lidern sog Spendius in tiefen Zügen den frischen Wind ein. Er streckte die Arme aus und spreizte die Finger, um den kosenden Hauch, der seinen Körper umströmte, noch besser zu spüren. Seine Hoffnung auf Rache war wiedergekehrt und begeisterte ihn. Er preßte die Hand auf den Mund, um ein Jauchzen zu ersticken, und halb bewußtlos in seinem Glücksrausch, überließ er die Zügel seinem Dromedar, das mit geräumigen gleichmäßigen Schritten vorwärts ging. Matho war in seine Schwermut zurückgesunken. Seine Beine hingen bis zur Erde hinab, und seine Panzerstiefel fegten mit stetem Geräusch das Gras.
Indessen zog sich der Weg in die Länge, als wolle er kein Ende nehmen. Hatte man ein Stück Ebene durchschritten, so kam man jedesmal auf ein rundes Hochland, und dann ging es wieder in eine Niederung hinab. Die Berge, die den Horizont zu begrenzen schienen, wichen beim Näherkommen immer von neuem in die Ferne. Von Zeit zu Zeit blinkte ein Bach zwischen dem Grün von Tamarisken, aber schon hinter dem nächsten Hügel verkroch er sich wieder. Hier und da ragte ein Felsblock auf, der wie ein Schiffsbug aussah oder wie der Sockel eines verschwundenen Kolosses.
In regelmäßigen Abständen traf man auf kleine viereckige Kapellen: Raststätten für die Pilger, die gen Sikka wanderten. Die Libyer, die Einlaß begehrten, klopften mit starken Schlägen an die Pforten; doch niemand im Innern antwortete.
Dann wurden die bebauten Felder seltener. Unvermittelt folgten Sandstrecken, mit Dornengestrüpp bewachsen. Schafherden weideten zwischen großen Steinen. Eine Frau – ein blaues Schurzfell um die Hüften – hütete sie. Sobald sie die Lanzen der Soldaten zwischen den Felsen erblickte, entfloh sie kreischend.
Der Marsch ging durch ein breites Tal, das von zwei rötlichen Hügelketten eingesäumt wurde. Ein ekelhafter Geruch drang dem Heere entgegen, und an der Krone eines Johannisbrotbaumes hing etwas Seltsames: ein Löwenkopf, der über den Wipfel hinausragte.
Sie liefen näher. Es war ein Löwe, den man an allen vieren wie einen Verbrecher ans Kreuz genagelt hatte. Der riesige Kopf hing auf die Brust herab, und die zwei Vordertatzen, die unter der üppigen Mähne zur Hälfte verschwanden, waren weit auseinandergespreizt wie die Flügel eines Vogels. Die Rippen traten unter der stark gespannten Haut einzeln hervor. Die Hinterbeine waren übereinander genagelt und ein wenig emporgezogen. Schwarzes Blut war am Fell herabgesickert und am Ende des Schweifes, der senkrecht herabhing, zu dicken Klumpen geronnen. Die Söldner standen lachend rundherum, nannten den toten Löwen "Konsul" und "Römischer Bürger" und warfen Steine nach seinen Augen, um die Fliegen aufzuscheuchen.
Hundert Schritte weiter kamen zwei andre Kreuze. Und mit einem Male tauchte ihrer eine ganze Reihe auf. An jedem ein Löwe. Manche waren schon so lange tot, daß nur noch die Reste ihrer Gerippe am Holze hingen: andere, zur Hälfte zernagt, verzerrten den Rachen zu furchtbaren Grimassen. Etliche waren ungeheuer groß. Die Stämme der Kreuze bogen sich unter ihnen. Sie schaukelten im Winde, während Rabenschwärme unablässig über ihren Köpfen kreisten. So rächten sich die karthagischen Bauern an den Raubtieren, die sie fingen. Sie hofften, die andern durch dieses Beispiel zu schrecken. Die Barbaren lachten nicht mehr. Tiefes Staunen ergriff sie. "Welch ein Volk," dachten sie, "das zu seinem Vergnügen Löwen kreuzigt!"
Übrigens waren sie, besonders die Nordländer, eigentümlich nervös erregt und halbkrank. Ihre Hände waren wund von den Stacheln der Aloe. Große Stechmücken summten ihnen um die Ohren. Die Ruhr brach im Heere aus. Man war verdrossen, daß Sikka noch immer nicht sichtbar ward. Man bekam Angst, sich in die Wüste zu verirren, in die Regionen des Sandes und des Schreckens. Viele wollten nicht mehr weiter marschieren. Ein Teil machte sich auf den Rückweg nach Karthago.
Endlich am siebenten Tage, nachdem man lange am Fuße eines Berges hingewandert war, bog der Weg plötzlich scharf nach rechts ab, und ein Mauerstreifen, auf weißen Felsen ruhend und gleichsam eins geworden mit ihnen, tauchte auf. Alsbald grüßte die ganze Stadt. Blaue, gelbe, weiße Schleier wehten im Abendrot über den Mauern. Es waren die Priesterinnen der Tanit, die zum Empfange der Söldner herbeigeeilt kamen. Sie standen in langen Reihen auf dem Walle, schlugen Handtrommeln und Zithern und Kastagnetten. Die letzten Strahlen der Sonne, die hinter den numidischen Bergen versank, spielten an den Harfensaiten und den nackten Armen. Von Zeit zu Zeit schwiegen die Instrumente plötzlich, und ein schriller, grausiger, wilder, langgezogener Schrei erklang, eine Art Geheul, das durch eine vibrierende Zungenbewegung hervorgebracht ward. Etliche der Priesterinnen lagen mit aufgestützten Ellbogen, das Kinn in der Hand, unbeweglicher denn Sphinxe, und starrten aus großen schwarzen Augen das herannahende Heer an.
Obgleich Sikka ein Wallfahrtsort war, vermochte es eine solche Menschenmenge nicht zu bergen. Der Tempel allein mit seinen Nebengebäuden nahm die Hälfte der Stadt ein. Die Barbaren lagerten sich daher ganz nach Belieben in der Ebene, die Disziplinierten in regelmäßigen Abteilungen, die andern nach Völkern oder wie es ihnen just gutdünkte.
Die Griechen schlugen ihre Zelte aus Fellen in gleichlaufenden Reihen auf. Die Iberer bauten ihre Leinendächer im Kreise. Die Gallier errichteten sich Bretterbuden, die Libyer Hütten aus Steinhaufen, und die Neger scharrten sich mit ihren Nägeln Gruben in den Sand, darin sie schliefen. Viele, die sich nicht unterzubringen wußten, trieben sich zwischen den Packwagen umher und verbrachten in ihren zerschlissenen Mänteln die Nächte auf dem Erdboden.
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Die Ebene dehnte sich im weiten Kreise, rings von Bergzügen begrenzt. Hier und dort neigte sich ein Palmbaum über einen Sandhügel. Fichten und Eichen sprenkelten die Abhänge mit grünen Flecken. Bisweilen hing ein Gewitterregen in langen Fransen vom Himmel herab, der blau und klar über der Landschaft lachte. Dann wirbelte ein warmer Wind Staubwolken auf, und ein Gießbach stürzte in Kaskaden von Sikkas Felsenhöhe herab, auf der sich der Tempel der karthagischen Venus, der Herrin des Landes, mit seinen ehernen Säulen und seinem goldenen Dache erhob. Sie erfüllte die Landschaft mit ihrer Seele. Das Übermaß ihrer Kraft offenbarte sich in den Erschütterungen des Bodens, im jähen Wechsel von Wärme und Kälte, und die Schönheit ihres ewigen Lächelns im Spiele der Beleuchtung. Die Berggipfel hatten die Form von Mondsicheln, oder sie glichen vollen Frauenbrüsten. Die Barbaren verspürten vor dieser Augenweide bei aller Ermüdung vom Marsche wonnevolles Wohlgefühl.
Spendius hatte sich für den Erlös seines Kamels einen Sklaven gekauft. Den ganzen Tag lang schlief er, vor Mathos Zelt ausgestreckt. Oft schreckte er empor. Er wähnte im Traume das Sausen der Peitsche zu hören. Dann strich er lächelnd mit der Hand über die Narben an seinen Beinen, an den Stellen, wo so lange die Eisen gedrückt hatten, und schlief wieder ein.
Matho duldete seine Gesellschaft. Wenn er ausging, begleitete ihn Spendius wie ein Trabant, mit einem langem Schwert an der Seite; oder Matho stützte nachlässig den Arm auf seine Schulter, denn Spendius war klein.
Eines Abends, als sie zusammen durch die Lagergassen gingen, erblickten sie Männer in weißen Mänteln; unter ihnen Naravas, den numidischen Fürsten. Matho erbebte.
"Dein Schwert!" rief er. "Ich will ihn töten!"
"Noch nicht!" bat Spendius und hielt ihn zurück.
Naravas trat bereits an Matho heran.
Er küßte seine beiden Daumen zum Zeichen seiner kameradschaftlichen Gesinnung und entschuldigte seinen neulichen Zorn mit der trunkenen Feststimmung. Sodann sagte er allerhand Feindseliges gegen Karthago, doch verriet er nicht, was ihn eigentlich zu den Barbaren geführt hatte.
"Will er uns verraten oder die Republik?" fragte sich Spendius. Da er aber aus allem Bösen Vorteil zu ziehen gedachte, so war ihm jedwede zukünftige Verräterei des Naravas nur angenehm.
Der numidische Häuptling blieb bei den Söldnern. Er schien sich mit Matho befreunden zu wollen, sandte ihm gemästete Ziegen, Goldstaub und Straußenfedern. Der Libyer, über diese Aufmerksamkeiten erstaunt, schwankte, ob er sie erwidern oder darüber in Zorn geraten sollte. Doch Spendius besänftigte ihn, und Matho ließ sich von dem Sklaven leiten. Er war ein Mensch, der nie wußte, was er wollte, und jetzt zumal in einem Zustande unbezwinglicher Teilnahmlosigkeit wie jemand, der einen Trank genommen hat, an dem er sterben muß.
Eines Morgens, als alle drei zur Löwenjagd aufbrachen, verbarg Naravas einen Dolch in seinem Mantel. Spendius blieb ihm beständig auf den Fersen, und sie kehrten zurück, ohne daß der Numidier seinen Dolch gezückt hatte.
Ein andermal lockte Naravas die beiden weit fort, bis an die Grenzen seines Reiches. Sie kamen in eine enge Schlucht. Da erklärte Naravas lächelnd, er wisse den Weg nicht mehr. Spendius fand ihn wieder.
Meistens jedoch brach Matho, tiefsinnig wie ein Augur, schon bei Sonnenaufgang auf, um in der Gegend umherzustreifen. Er streckte sich auf den Sand hin und blieb bis zum Abend unbeweglich liegen.
Er befragte nacheinander alle Wahrsager des Heeres: die den Lauf der Schlangen beobachteten, die in den Sternen lasen und die auf die Asche der Toten bliesen. Er nahm Galbanum, Sesel und herzversteinerndes Viperngift ein. Negerweiber, die im Mondschein barbarische Lieder sangen, ritzten ihm die Stirnhaut mit goldnen Dolchen. Er behängte sich mit Halsbändern und Amuletten. Abwechselnd rief er Khamon, Moloch, die sieben Kabiren, Tanit und die Aphrodite der Griechen an. Er grub einen Namen in eine Kupferplatte und verscharrte sie im Sande an der Schwelle seines Zeltes. Spendius hörte ihn seufzen und mit sich selbst reden.
Eines Nachts trat er in sein Zelt.
Matho lag auf einer Löwenhaut hingestreckt, nackt wie ein Leichnam, das Gesicht in beide Hände vergraben. Eine Hängelampe beleuchtete seine Waffen, die ihm zu Häupten am Zeltmaste hingen.
"Hast du Schmerzen?" fragte der Sklave. "Was fehlt dir? Antworte mir!" Dabei schüttelte er ihn an der Schulter und rief immer wieder: "Herr, Herr!" Endlich schaute Matho mit großen verstörten Augen zu ihm auf.
"Weißt du?" flüsterte er, einen Finger auf die Lippen legend. "Es ist die Rache der Götter. Hamilkars Tochter verfolgt mich! Ich fürchte mich vor ihr, Spendius!" Er drückte die Fäuste gegen die Augen, wie ein Kind, dem vor einem Gespenste graust. "Rede mit mir! Ich bin krank! Ich will gesund werden! Alles habe ich versucht! Doch du, du kennst vielleicht mächtigere Götter oder irgend eine Beschwörung, die wirklich hilft."
"Wogegen?" fragte Spendius.
Matho schlug sich mit beiden Fäusten gegen die Stirn. "Um mich aus Salambos Bann zu erlösen!" Und wie zu sich selber sagte er in abgebrochenen Sätzen:
"Gewiß bin ich das Opfer einer Sühne, die sie den Göttern gelobt hat ... Sie hält mich gefesselt ... mit einer unsichtbaren Kette ... Gehe ich, so schreitet sie voran ... bleibe ich stehen, so verweilt sie ... Ihre Augen verzehren mich ... ich höre ihre Stimme ... sie umgibt mich und durchdringt mich ... Mir ist, als ob sie meine Seele geworden sei ... Und doch droht etwas zwischen uns wie die unsichtbaren Fluten eines grenzenlosen Meeres ... Sie ist mir fern und ganz unerreichbar ... Der Schimmer ihrer Schönheit umfließt sie mit Strömen von Licht, und bisweilen ist mir's, als hätt ich sie nie gesehen ... als lebte sie nicht ... als sei alles nur ein Traum! ..."
So durchjammerte Matho die Nacht.
Alles schlief. Spendius betrachtete ihn, und er erinnerte sich an jene Jünglinge, die ihn ehemals mit goldenen Gefäßen in den Händen angefleht hatten, wenn er seine Buhlerinnen durch die Städte geführt hatte. Mitleid ergriff ihn, und er sprach:
"Sei stark, Herr! Wende dich an deinen eigenen Willen und flehe nicht mehr zu den Göttern, denn die Gebete der Menschen rühren sie nicht. Du weinst wie ein Feigling! Demütigt es dich nicht, daß du um ein Weib so leidest?"
"Bin ich ein Kind?" gab Matho zur Antwort. "Glaubst du, daß mich das Gesicht und der Gesang eines Weibes noch rühren? Wir hatten in Drepanum ihrer genug. Sie fegten die Ställe. Ich hab ihrer besessen während des Sturmes auf Städte, unter stürzenden Dächern, und wenn die Geschütze vom Rückschlag noch zitterten! ... Doch dieses Weib, dieses Weib!"
Der Sklave unterbrach ihn:
"Wenn sie nicht Hamilkars Tochter wäre ..."
"Nein!" schrie Matho. "Sie hat nichts mit den andern Töchtern der Menschen gemein! Hast du ihre großen Augen unter den großen Brauen gesehen? So leuchten Sonnen unter Triumphbögen. Erinnere dich: als sie erschien, verloren alle Fackeln ihren Glanz. Zwischen den Diamanten ihrer Halskette schimmerten Stellen ihres blanken Busens. Wo sie gegangen, duftete es wie nach dem Weihrauch eines Tempels, und ihrem ganzen Wesen entströmte etwas, süßer als Wein und schrecklicher als der Tod. So schritt sie hin, und dann blieb sie stehen ..."
Offnen Mundes und gesenkten Hauptes stand Matho da und starrte vor sich hin.