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Nach dem 1. Punischen Krieg will Karthago seine Söldner entlassen ohne ihnen den Sold voll zu zahlen. So kommt es zum Konflikt und zum Krieg. In Karthago kämpfen die Patrizier Hamilkar und Hanno um Macht und Einfluss in der Republik. Matho, der Heerführer der Söldner, verfällt in Liebe zu Hamilkars Tochter Salambo. Die Geschichte mit ihren Schlachten und Hinrichtungen wird realistisch und drastisch geschildert und von einer Fülle historischer Informationen begleitet. Zeit der Handlung: 241-238 v. Chr.
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Seitenzahl: 495
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Gustave Flaubert
Salambo
Historischer Roman
Kuebler Verlag
Das Buch
Nach dem 1. Punischen Krieg will Karthago seine Söldner entlassen ohne ihnen den Sold voll zu zahlen. So kommt es zum Konflikt und zum Krieg. In Karthago kämpfen die Patrizier Hamilkar und Hanno um Macht und Einfluss in der Republik. Matho, der Heerführer der Söldner, verfällt in Liebe zu Hamilkars Tochter Salambo. Die Geschichte mit ihren Schlachten und Hinrichtungen wird realistisch und drastisch geschildert und von einer Fülle historischer Informationen begleitet.
Der Autor
Gustav Flaubert, 1821 – 1889, französischer Schriftsteller. Zusammen mit Stendhal und Balzac bildet er das Dreigestirn der großen realistischen Erzähler Frankreichs. Viele Informationen zu Salambo sammelte er auf mehreren Reisen in den Vorderen Orient und nach Tunesien. Seine Sprachgewalt und die nüchterne, unparteiische und realistische Darstellung begeistern auch heute noch.
Salambo
Historischer Roman aus Alt–Karthago
241–238 v. Chr.
von
Gustav Flaubert
Ungekürzte Ausgabe, bearbeitet
und sprachlich neu gefasst von Maximilian Vonderheidt
nach der Übersetzung von Arthur Schurig
Copyright © 2012 dieser Bearbeitung
mit sprachlicher Neufassung by Kuebler Verlag GmbH
Ungekürzte von Maximilian Vonderheidt neu bearbeitete Ausgabe
nach der Übersetzung von Arthur Schurig
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-942270-78-6
Kapitel 1
Das Gelage
Es war in Megara, einer der Vorstädte von Karthago, in den Gärten Hamilkar Barkas.
Die Söldner, die er in Sizilien befehligt hatte, feierten den Jahrestag der Schlacht am Eryx1durch ein großes Gelage. Da der Heerführer abwesend und die Schar zahlreich war, schmauste und zechte man auf das zwangloseste.
Die Offiziere hatten sich herausgeputzt in der Hauptallee gelagert, unter einem Purpurzelt mit goldenen Fransen, das von der Stallmauer bis zur untersten Palastterrasse ausgespannt war. Die Scharen der Gemeinen lagen unter den Bäumen, durch die man zahlreiche flachdachige Baracken, Winzerhäuschen, Scheunen, Speicher, Backhäuser und Waffenschuppen schimmern sah, einen Elefantenhof, Zwinger für die wilden Tiere und ein Sklavengefängnis.
Feigenbäume umstanden die Küchen. Ein Sykomorenhain endete an einem Meer grüner Büsche, aus denen rote Granatäpfel zwischen weißen Lauben leuchteten. Traubenschwere Weinreben strebten bis in die Wipfel der Pinien. Unter Platanen glühte ein Rosenfeld. Hier und da wiegten sich Lilien über dem Gras. Die Wege bedeckte schwarzer Kies, mit rotem Korallenstaub vermischt. Von einem Ende zum anderen durchschnitt den Park eine hohe Zypressenallee, gleich einem Säulengang grüner Obelisken.
Ganz im Hintergrund leuchtete auf breitem Unterbau der Palast mit seinen vier terrassenartigen Stockwerken, aus numidischem, gelb gesprenkeltem Marmor. Seine monumentale Freitreppe aus Ebenholz, deren einzelne Stufen links und rechts mit den Schnäbeln eroberter Schlachtschiffe geschmückt waren, – seine roten Türen, die je ein schwarzes Kreuz vierteilte, – seine Fensteröffnungen, die im untersten Stock Drahtgaze vor den Skorpionen schützte, während sie in den oberen Reihen vergoldetes Gitter zeigten, – all diese wuchtige Pracht erschien den Soldaten so hoheitsvoll und unnahbar wie Hamilkars Gesicht.
Das Gelage fand auf Anordnung des Rates an diesem Orte statt. Die Verwundeten, die im Eschmun-Tempel2lagen, waren bei Morgengrauen aufgebrochen und hatten sich an Krücken und Stöcken hergeschleppt. Immer mehr Menschen trafen ein. Auf allen Wegen strömten sie herbei, unaufhörlich, wie sich Bäche in einen See ergießen. Die Küchensklaven liefen unter den Bäumen hin und her, hastig und halbnackt. Klagend flohen von den Rasenplätzen die Gazellen. Die Sonne ging unter. Der Duft der Zitronenbäume machte den Dunst der erhitzten Menschenmenge noch schwerer.
Alle Völker waren vertreten: Ligurer, Lusitanier, Balearier, Neger und römische Überläufer. Neben der schwerfälligen dorischen Mundart dröhnten, rasselnd wie Kampfwagen, die Worte der Kelten, und die klangvollen ionischen Endungen wurden von Wüstenlauten verschlungen, rau wie Schakalgeheul. Den Griechen erkannte man an seiner schlanken Gestalt, den Ägypter an den hohen Schultern, den Kantabrer an den feisten Waden. Karier schüttelten stolz die Federbüsche ihrer Helme. Kappadokische Bogenschützen sah man, die auf ihrem Körper Blumenarabesken trugen, mit Pflanzensäften aufgemalt. Auch Lydier saßen beim Mahl, in Frauengewändern und Pantoffeln, Gehänge in den Ohren. Andere hatten sich zum Schmuck mit Zinnober angemalt und sahen aus wie Statuen aus Korall.
Sie ruhten auf Kissen, hockten schmausend um große Schüsseln oder lagen auf dem Bauch, die Ellbogen aufgestemmt, und zogen die Fleischstücke zu sich heran, alle in der gemächlichen Haltung von Löwen, die ihre Beute verzehren. Die zuletzt Gekommenen lehnten an den Bäumen, blickten nach den niedrigen Tischen, die unter ihren scharlachroten Decken halb verschwanden, und warteten, bis die Reihe an sie kam.
Da Hamilkars Küchen nicht ausreichten, hatte der Rat Sklaven, Geschirr und Liegebänke geschickt. In der Mitte des Gartens flammten wie auf einem Schlachtfeld, wenn man die Toten verbrennt, große helle Feuer, an denen Ochsen gebraten wurden. Brote, mit Anis bestreut, lagen neben Käsen, größer und schwerer als Diskusscheiben. Mischkrüge voll Wein und Wasser standen neben Körben aus Goldfiligran, in denen Blumen dufteten. Die Freude, nun endlich nach Belieben schwelgen zu können, weitete die Augen. Hier und da erklang bereits ein Lied.
Auf roten Tonschüsseln mit schwarzen Verzierungen trug man zuerst Vögel in grüner Sauce auf, dann allerlei Muscheln, wie man sie an den punischen Küsten sammelt, Suppen aus Weizen, Bohnen und Gerste, und Schnecken, in Kümmel gekocht, auf Platten von Bernstein.
Dann wurden die Tische mit Fleischgerichten beladen: Antilopen noch mit ihren Hörnern, Pfauen in ihrem Gefieder, ganze Hammel, in süßem Wein gedünstet, Kamel- und Büffelkeulen, Igel in Fischsauce, gebackene Heuschrecken und eingemachte Siebenschläfer. In Mulden aus indischem Holz schwammen safranbedeckt große Speckstücke. Alles war reichlich gewürzt mit Salz, Trüffeln und Asant. Früchte rollten über Honigscheiben. Auch hatte man nicht vergessen, ein paar von den kleinen, dickbäuchigen Hunden mit rosigem Seidenfell aufzutragen, die mit Oliventrester gemästet waren, ein karthagisches Gericht, das die anderen Völker verabscheuten. Die Verwunderung über neue Gerichte erregte die Lust, davon zu essen. Die Gallier, mit ihrem langen auf dem Scheitel geknoteten Haar, rissen sich um die Wassermelonen und Limonen, die sie mit der Schale verzehrten. Neger, die noch nie Langusten gesehen hatten, zerstachen sich das Gesicht an ihren roten Stacheln. Die glatt rasierten Griechen, weißer als Marmor, warfen die Abfälle ihrer Mahlzeit hinter sich, während bruttinische Hirten, in Wolfsfelle gehüllt, das ganze Gesicht in ihre Schüsseln tauchten und ihr Essen schweigsam verschlangen.
Es wurde Nacht. Man entfernte das Zeltdach über der großen Zypressenallee und brachte Fackeln. Der flackernde Schein des Steinöls, das in Porphyrschalen brannte, erschreckte die dem Mond geweihten Affen in den Wipfeln der Zedern. Sie kreischten laut, den Söldnern zur Belustigung.
Flammenzungen leckten die ehernen Panzer. Die mit Edelsteinen eingelegten Schüsseln glitzerten in bunten Lichtern. Die Mischkrüge, deren Bäuche gewölbte Spiegel bildeten, gaben das in die Breite verzerrte Bild eines jeden Dinges wieder. Die Söldner drängten sich um diese Spiegel, blickten erstaunt hinein und schnitten Gesichter, um sich gegenseitig zum Lachen zu bringen. Andere bewarfen sich über die Tische hinweg mit elfenbeinernen Fußbänken und goldenen Löffeln und schlürften in vollen Zügen Wein: griechischen, den man in Schläuchen aufbewahrt, kampanischen, der in Amphoren verschlossen ist, kantabrischen, der in Fässern verfrachtet wird, auch Wein aus Brustbeeren, Zimt und Lotos. Auf dem Erdboden stand er in Lachen, darin man ausglitt. Der Dampf der Speisen stieg, mit dem Dunst des Atems vermischt, in das Laubwerk der Bäume. In das Krachen der Kinnbacken tönte der Lärm der Stimmen, der Lieder und der Trinkschalen, das Klirren kampanischen Geschirrs, das in Stücke zersprang, und der helle Klang der großen Silberschüsseln.
Je mehr die Trunkenheit zunahm, desto lebhafter gedachte man der Unredlichkeit Karthagos. Die durch den Krieg erschöpfte Republik hatte nämlich die Ansammlung aller Söldner in der Stadt zugelassen. Gisco, ihr General, war umsonst so vorsichtig gewesen, sie nur abteilungsweise von Sizilien nach Afrika zu schicken, um die Auszahlung ihres Soldes zu erleichtern, aber der Rat hatte gemeint, sie würden zu guter Letzt in eine Verminderung des Soldes einwilligen. Jetzt hasste man sie, weil man sie nicht bezahlen konnte. In den Köpfen der Karthager verwuchs diese Schuld mit den dreitausendzweihunder Talenten, die sich Lutatius beim Friedensschluss ausbedungen hatte, und die Söldner erschienen ihnen als ihre Feinde, genau so wie Rom. Das hatten die Truppen in Erfahrung gebracht, und ihre Entrüstung war in Drohungen und Ausschreitungen zum Ausdruck gekommen.
Schließlich hatten sie verlangt, sich zur Erinnerungsfeier eines ihrer Siege versammeln zu dürfen. Die Friedenspartei gab nach aus Rachlust gegen Hamilkar, der die Seele des Krieges gewesen war. Trotz Hamilkars starkem Widerspruch hatte der Feldzug ein Ende genommen, worauf der Feldherr – an Karthago verzweifelnd – den Oberbefehl über die Söldner an Gisco abgegeben hatte.3Wenn nun die Karthager seinen Palast dem Soldatenfest zur Verfügung stellten, so wälzten sie damit einen Teil des Hasses, der den Söldnern galt, auf Hamilkar ab. Ihm sollten die zweifellos riesigen Ausgaben möglichst allein zur Last fallen.
Stolz darauf, dass sich die Republik ihrem Willen gebeugt hatte, dachten die Söldner, nun endlich heimkehren zu können, mit dem Lohn für ihr Blut in der Tasche. Jetzt im Taumel der Trunkenheit erschienen ihnen die überstandenen Strapazen ungeheuer groß und in keinem Verhältnis zu dem kärglichen Sold. Sie zeigten einander ihre Wunden und erzählten sich von ihren Kämpfen, ihren Fahrten und den Jagden in ihrer Heimat. Sie ahmten das Geschrei und die Sprünge der wilden Tiere nach. Dann kam es zu schweinischen Wetten. Man steckte den Kopf in die großen Steinkrüge und trank, ohne abzusetzen, wie verschmachtete Dromedare. Ein Lusitanier, ein wahrer Hüne, trug auf jeder Hand einen Mann und lief so zwischen den Tischen einher, indem er dabei Feuer aus den Nasenlöchern blies. Lakedämonier, die ihre Panzer nicht abgelegt hatten, tanzten schwerfällig herum. Einige sprangen mit unanständigen Gebärden vor die anderen und ahmten Weiber nach. Andere zogen sich nackt aus, um inmitten des Trinkgeräts gleich Gladiatoren miteinander zu kämpfen. Ein Fähnlein Griechen hüpfte um eine Vase, auf der Nymphen tanzten, während ein Neger mit einem Ochsenknochen den Takt dazu auf einem Blechschild schlug.
Plötzlich vernahm man klagenden Gesang, der bald laut, bald leise durch die Lüfte zitterte, wie der Flügelschlag eines verwundeten Vogels.
Es waren die Sklaven im Kerker. Ein paar Söldner sprangen mit einem Satz auf und verschwanden, um sie zu befreien.
Sie kamen zurück und trieben unter lautem Geschrei etwa zwanzig Männer mit auffällig bleichen Gesichtern durch den Staub vor sich her. Kleine kegelförmige Mützen aus schwarzem Filz bedeckten die glatt geschorenen Köpfe. Alle trugen sie Holzsandalen, und ihre Ketten klirrten wie das Rasseln rollender Wagen.
Als sie die Zypressenallee erreichten, mischten sie sich unter die Menge, die sie ausfragte. Einer von ihnen war abseits stehen geblieben. Durch die Risse seiner Tunika erblickte man lange Striemen an seinen Schultern. Mit gesenktem Kopf blickte er misstrauisch um sich und kniff, vom Fackelschein geblendet, die Augen zu. Als er aber sah, dass ihm keiner von den bewaffneten Männern etwas zuleide tat, entrang sich seiner Brust ein tiefer Seufzer. Er stammelte und lachte unter hellen Tränen, die ihm über das Gesicht rannen. Dann ergriff er eine bis zum Rande volle Trinkschale an den Henkeln, hob sie hoch in die Luft mit den Armen, von denen noch die Ketten herabhingen, blickte gen Himmel und rief, das Gefäß immerfort hochhaltend:
„Gruß zuerst dir, Gott Eschmun, du Befreier, den die Menschen meiner Heimat Äskulap nennen! Und euch, ihr Geister der Quellen, des Lichts und der Wälder! Und euch, ihr Götter, die ihr in den Bergen und Höhlen der Erde verborgen lebt! Und euch, ihr tapferen Männer in glänzender Rüstung, die ihr mich befreit habt!“
Dann ließ er das Gefäß sinken und erzählte seine Geschichte. Er hieß Spendius. Die Karthager hatten ihn in der Schlacht bei den Ägatischen Inseln gefangen genommen. In griechischer, ligurischer und punischer Sprache dankte er nochmals den Söldnern, küsste ihnen die Hände und beglückwünschte sie schließlich zu dem Gelage. Dabei sprach er seine Verwunderung darüber aus, dass er nirgends die Trinkschalen der karthagischen Garde, der Heiligen Schar, erblickte. Diese Schalen, die auf jeder ihrer sechs goldenen Flächen das Bild eines Weinstocks aus Smaragden trugen, gehörten einem Regiment, das ausschließlich aus den stattlichsten Patriziersöhnen bestand. Ihr Besitz war ein Vorrecht, und so war denn auch nichts aus dem Schatze der Republik von den Söldnern heißer begehrt. Um dieser Gefäße willen hassten sie die Garde, und schon mancher hatte sein Leben gewagt, des eingebildeten Vergnügens wegen, aus jenen Schalen zu trinken.
Jetzt befahlen die Söldner, die Schalen herbeizuholen. Die befanden sich im Gewahrsam der Syssitien,4der alten Familienverbände. Die Sklaven kamen zurück mit der Mitteilung, zu dieser Stunde schliefen alle Mitglieder der Syssitien.
„So weckt sie!“ riefen die Söldner daraufhin.
Die Sklaven gingen und kehrten mit der Nachricht wieder, die Schalen seien in einem Tempel eingeschlossen.
„Man öffne ihn!“ brüllten die Söldner.
Zitternd gestanden nun die Sklaven, die Gefäße wären in den Händen des Generals Gisco.
„So soll er sie selber herbringen!“ schrien die Soldaten.
Bald erschien Gisco im Hintergrund des Gartens, von einer Leibwache aus Gardisten umgeben. Sein weiter schwarzer Mantel, an der goldenen, edelsteingeschmückten Mitra auf seinem Haupt befestigt, umwallte ihn bis auf die Hufe seines Pferdes und verschwamm in der Ferne mit dem Dunkel der Nacht. Man sah nichts als seinen weißen Bart, das Gefunkel seines Kopfschmucks und die dreifache Halskette aus breiten blauen Schildern, die ihm auf die Brust herabhing.
Als er nahte, begrüßten ihn die Söldner mit lautem Willkommengeschrei. „Die Schalen!“ riefen sie. „Die Schalen!“
Er begann mit der Erklärung, sie seien der Schalen in Anbetracht ihres Mutes durchaus würdig.
Die Menge heulte vor Freude und klatschte Beifall.
Er wisse das wohl, fuhr Gisco fort, er, der sie da drüben geführt habe und mit der letzten Kompanie auf der letzten Galeere zurückgekehrt sei!
„Das ist wahr! Das ist wahr!“ rief man.
Die Republik, redete er weiter, habe ihre Teilung nach Völkern, ihre Bräuche und ihren Glauben geachtet. Sie seien frei in Karthago! Was aber die Schalen der Garde beträfe, so sei das Privateigentum.
Da sprang ein Gallier, der neben Spendius gestanden hatte, über die Tische weg, gerade auf Gisco zu und fuchtelte drohend mit einem bloßen Schwert vor ihm herum.
Ohne seine Rede zu unterbrechen, schlug ihn der General mit seinem schweren Elfenbeinstab auf den Kopf. Der Barbar brach zusammen. Die Gallier heulten. Ihre Wut teilte sich den anderen mit und drohte sich gegen die Leibwache zu richten. Gisco zuckte die Achseln, als er die Gardisten erbleichen sah. Er sagte sich, dass sein eigener Mut gegenüber rohen, erbitterten Bestien nutzlos sei. Besser wäre es, dachte er, sich später durch eine Hinterlist an ihnen zu rächen.
Er gab seinen Kriegern einen Wink und zog sich langsam zurück. Unter der Pforte aber wandte er sich noch einmal nach den Söldnern um und rief ihnen zu, das sollten sie eines Tages bereuen.
Das Gelage begann von neuem. Doch Gisco kam zurück und umstellte mit seinen Leuten die Vorstadt, die an die äußeren Wälle stieß, und konnte die Söldner gegen die Mauern drücken. Trotz ihrer Anzahl fühlten sie sich mit einem Male verlassen; und die große Stadt, die im Dunkel unter ihnen schlief, flößte ihnen plötzlich Furcht ein mit ihrem Treppengewirr, mit ihren hohen düsteren Häusern und ihren unbekannten Göttern, die noch grauenhafter waren als die Bewohner. In der Ferne spielte Lichtschein über den Hafen hin. Auch im Tempel Khamons war Licht.
Da dachten sie an Hamilkar. Wo war er? Warum hatte er sie verlassen, als der Friede geschlossen war? Sein Zerwürfnis mit dem Rat war gewiss nur Blendwerk, um ihnen zu schaden. Ihr ungestillter Hass übertrug sich auf ihn. Sie verfluchten ihn und entfachten ihren Zorn aneinander zur Wut. In diesem Augenblick entstand ein Auflauf unter den Platanen. Mit Händen und Füßen um sich schlagend, wand sich ein Neger auf dem Boden, mit stierem Blick, verrenktem Hals und Schaum auf den Lippen. Jemand schrie, er sei vergiftet. Da dachten sie, sie seien alle vergiftet. Sie fielen über die Sklaven her. Ein furchtbares Geschrei erhob sich, und ein Taumel wilder Zerstörungswut erfasste das betrunkene Heer. Man schlug wie blind um sich, zerbrach und mordete. Einige schleuderten Fackeln in die Baumkronen. Andere lehnten sich über die Brüstung der Löwengrube und schossen nach den Löwen mit Pfeilen. Die Verwegensten liefen zu den Elefanten, um ihnen die Rüssel abzuschlagen. Es gelüstete sie nach Elfenbein.
Inzwischen waren balearische Schleuderer, um in Ruhe plündern zu können, um die Ecke des Palastes gelaufen. Sie stießen auf ein hohes Gitter aus indischem Rohr, durchschnitten die Riemen des verschlossenen Tores mit ihren Dolchen und befanden sich nun unter der Karthago zugewandten Palastfront in einem zweiten Garten mit beschnittenen Hecken. Lange Reihen dicht aneinander gepflanzter weißer Blumen beschrieben hier auf dem azurblauen Boden weite Bogen gleich Sternenketten. Die dunkeln Gebüsche hauchten schwüle Honigdüfte aus. Mit Zinnober bestrichene Baumstümpfe schimmerten wie blutige Säulen. In der Mitte des Gartens trugen zwölf kupferne Ständer je eine große Glaskugel, in deren Rundungen bizarre rötliche Lichter spielten; sie glichen riesigen, lebendigen, zuckenden Augäpfeln. Die Söldner leuchteten mit Pechfackeln, während sie über den abschüssigen und tief umgegrabenen Boden stolperten. Da erblickten sie einen Weiher, der durch Wände von blauen Steinen in mehrere Becken zerlegt war. Das Wasser war so klar, dass das Licht der Fackeln bis auf den Grund fiel und auf einem Bett von weißen Steinen und Goldstaub zitterte. Das Wasser begann zu schäumen. Sprühende Funken glitten durch die Flut, und große Fische, die Edelsteine am Maul trugen, tauchten zur Oberfläche empor.
Die Söldner steckten ihnen unter lautem Gelächter die Finger in die Kiemen und trugen sie zu ihren Tischen.
Es waren die Fische der Barkiden. Sie stammten alle von jenen Urquappen ab, die das mystische Ei ausgebrütet hatten, aus dem die Göttin entstanden war. Der Gedanke, einen gottlosen Frevel zu begehen, reizte die Begierde der Söldner. Flugs machten sie Feuer unter ehernen Becken und ergötzten sich daran, die schönen Fische im kochenden Wasser zappeln zu sehen.
Die Söldner schoben und drängten sich. Sie hatten keine Furcht mehr. Von neuem begannen sie zu zechen. Die Salben, die ihnen von der Stirn trieften, flossen in schweren Tropfen auf ihre zerrissenen Waffenröcke. Sie stemmten beide Ellbogen auf die Tische, die ihnen wie Schiffe zu schwanken schienen, und schauten mit stieren, trunkenen Blicken umher, um wenigstens mit den Augen zu verschlingen, was sie nicht mitnehmen konnten. Andere stampften mitten unter den Schüsseln auf den purpurnen Tischdecken herum und zertrümmerten mit Fußtritten die Elfenbeinschemel und die tyrischen Glasgefäße. Gesänge mischten sich in das Röcheln der Sklaven, die zwischen den Scherben der Trinkgefäße ihr Leben aushauchten. Man forderte Wein, Fleisch, Gold. Man schrie nach Weibern. Man phantasierte in hundert Sprachen. Einige glaubten sich im Dampfbad wegen des Brodems, der sie umwogte. Andere dachten, beim Anblick des Laubwerks sie seien auf der Jagd und stürmten auf ihre Gefährten ein wie auf Wild. Das Feuer sprang von Baum zu Baum, und die hohen grünen Massen, aus denen lange weiße Rauchkringel emporstiegen, sahen wie Vulkane aus, die zu qualmen beginnen. Das Geschrei nahm zu. Im Dunkeln brüllten die verwundeten Löwen.
Mit einem Schlag erhellte sich die oberste Terrasse des Palastes. Die Mitteltür tat sich auf, und eine weibliche Gestalt, Hamilkars Tochter, in einem schwarzen Gewand, erschien auf der Schwelle. Sie stieg die erste Treppe hinab, die schräg vom obersten Stockwerk abwärts lief, dann die zweite, die dritte. Auf der untersten Terrasse, am oberen Ende der Freitreppe mit den Schiffsschnäbeln, blieb sie stehen. Unbeweglich und gesenkten Hauptes schaute sie auf die Soldaten hinab.
Hinter ihr standen zu beiden Seiten zwei lange Reihen bleicher Männer in weißen, rot gesäumten Gewändern, die in senkrechten Falten bis auf die Füße herab wallten. Sie hatten weder Bärte noch Haare noch Brauen. In ihren beringten Händen trugen sie riesige Lyren, und mit gellenden Stimmen sangen sie einen Hymnus auf Karthagos Göttlichkeit. Es waren die Eunuchenpriester aus dem Tempel der Tanit, die Salambo oft in ihr Haus berief.
Salambo5stieg die Galeerentreppe hinunter. Die Priester folgten. Dann schritt sie die Zypressenallee hin, langsam, zwischen den Tischen der Hauptleute, die ein wenig zur Seite rückten, als sie vorüberging.
Ihr Haar war mit einer Art violetten Staubes gepudert und nach der Sitte der kanaanitischen Jungfrauen hoch frisiert. Es ließ sie größer erscheinen, als sie wirklich war. An den Schläfen festgesteckte Perlenschnüre hingen bis an die Winkel ihres Mundes herab, der wie ein aufgesprungener Granatapfel glühte. Auf der Brust trug sie einen Schmuck aus blitzenden Edelsteinen, bunt wie das Schuppenkleid einer Muräne. Ihre diamantgeschmückten Arme traten nackt aus der ärmellosen schwarzen Tunika hervor, die mit roten Blumen bestickt war. Zwischen den Knöcheln trug sie ein goldenes Kettchen, das sie zwang, kleine Schritte zu machen, und ihr weiter dunkel-purpurner Mantel aus fremdländischem Stoff schleppte hinter ihr her.
Von Zeit zu Zeit griffen die Priester auf ihren Leiern halb erstickte Akkorde, und wenn diese Musik schwieg, vernahm man das leise Geklirr des Goldkettchens und das taktmäßige Klappen der Papyrussandalen Salambos.
Niemand kannte sie bis dahin. Man wusste nur, dass sie zurückgezogen in frommer Andacht lebte. Soldaten hatten sie manchmal nachts auf dem flachen Dache des Palastes gesehen, wie sie zwischen den Wirbeln qualmender Räucherpfannen vor den Sternen auf den Knien lag. Der Mondschein hatte sie blass gemacht, und etwas Göttliches umwob sie wie leiser Duft. Ihre Augen schienen über das Irdische hinweg in weite Fernen zu schauen. Gesenkten Hauptes schritt sie dahin, in der Rechten eine kleine Lyra aus Ebenholz.
„Tot! Alle tot!“ hörte man sie murmeln. „Nie mehr werdet ihr, meinem Rufe gehorsam, zu mir eilen wie einst, wenn ich am Rande des Wassers saß und euch Melonenkerne zuwarf. Das Geheimnis der Tanit kreiste auf dem Grunde eurer Augen, die klarer waren als die Wasserblasen der Ströme.“ Und sie rief sie bei ihren Namen, den Namen der Monate: „Sivan, Thammus, Elul, Tischri, Schebar ... O Göttin, erbarme dich meiner!“
Die Söldner umdrängten sie, ohne ihre Rede zu verstehen. Sie staunten über ihren Schmuck. Salambo aber ließ einen langen erschrockenen Blick über die Menge gleiten, zog dann den Kopf zwischen die Schultern und rief, indem sie die Arme erhob, mehrere Male:
„Was habt ihr getan! Was habt ihr getan! Hattet ihr nicht Brot und Fleisch und Betel und alles Zimtöl aus den Speichern, um euch zu laben? Aus Hekatompylos hatte ich Ochsen kommen lassen. Jäger hatte ich in die Wüste geschickt ...“ Ihre Stimme schwoll an, ihre Wangen röteten sich. „Wo seid ihr denn hier? In einer eroberten Stadt oder im Palast eines Herrschers? Und welches Herrschers? Meines Vaters, des Sufeten6Hamilkar, des Dieners der Götter! Er war es, der sich weigerte, eure Waffen dem Lutatius auszuliefern, eure Waffen, an denen jetzt das rote Blut seiner Sklaven klebt! Kennt ihr einen in euren Heimatländern, der besser Schlachten zu lenken weiß wie er? Schaut empor! Die Treppenstufen unseres Schlosses strotzen von den Zeichen unserer Siege. Macht nur weiter! Verbrennt es! Ich werde den Genius meines Hauses mit mir nehmen, meine schwarze Schlange, die da oben auf Lotosblättern schlummert. Ich pfeife, und sie wird mir folgen. Und wenn ich in die Galeere steige, wird sie im Kielwasser meines Schiffs auf dem Schaume der Wogen hinter mir her eilen ...“
Ihre feinen Nasenflügel bebten. Sie zerbrach ihre Fingernägel an den Juwelen auf ihrer Brust. Der Glanz ihrer Augen ermattete. Abermals begann sie: „O, armes Karthago! Beweinenswerte Stadt! Du hast zu deinem Schutze nicht mehr die Helden der Vorzeit, die über die Ozeane schifften, um an fernen Küsten Tempel zu erbauen! Alle Länder arbeiteten für dich, und die Meeresfläche, von deinen Rudern gepflügt, wiegte deine Beute!“
Dann begann sie von den Abenteuern Melkarths zu singen, des Gottes der Sidonier und des Ahnherrn ihres Hauses.
So erzählte sie von der Besteigung der ersiphonischen Berge, von der Fahrt nach Tartessus und dem Krieg gegen die Masisabal, um die Königin der Schlangen zu rächen.
„Er verfolgte im Walde die Unholdin, deren Schweif sich über das dürre Laub schlängelte wie ein silberner Bach. Und er kam auf eine Wiese, wo Frauen auf den Flossen ihrer Drachenleiber um ein großes Feuer standen. Der Mond leuchtete in einem bleichen Lichtkreis, und ihre scharlachroten Zungen schnellten gierig bis an die Flammen ...“
Ohne innezuhalten, berichtete Salambo, wie Melkarth die Masisabal bezwang und ihr abgeschlagenes Haupt am Bug seines Schiffes befestigte. „Bei jedem Schlage der Wellen tauchte es in den Schaum! Doch die Sonne balsamierte es ein, und es wurde härter als Gold. Die Augen aber hörten nicht auf zu weinen, und die Tränen rollten beständig in das Meer ...“
Das alles sang Salambo in einer alten kanaanitischen Mundart, die keiner der Barbaren verstand. Sie fragten sich, was sie ihnen mit den furchtbaren Gebärden, die ihren Gesang begleiteten, wohl sagen wollte. Aber sie lauschten ihr, indem sie auf die Tische, die Liegebänke und in die Äste der Sykomoren stiegen, mit offenem Mund und vorgestrecktem Kopfe, und mühten sich, die geheimnisvolle Sage zu fassen. Das Dunkel, das über dem Ursprung der Götter liegt, wallte vor ihrer Phantasie, wie Gespenster in den Wolken.
Nur die bartlosen Priester verstanden Salambo. Ihre welken Hände hingen zitternd in den Saiten der Leiern und entlockten ihnen von Zeit zu Zeit einen dumpfen Akkord. Schwächer als alte Weiber, bebten sie gleichzeitig in mystischen Schauern und in Furcht vor den Kriegern. Die Barbaren achteten nicht auf sie. Sie lauschten dem Gesang der Jungfrau.
Keiner aber sah sie so unverwandt an wie ein junger numidischer Häuptling, der am Tische der Hauptleute unter den Soldaten seines Volkes saß. Sein Gürtel starrte dermaßen von Wurfspießen, dass er unter dem weiten Mantel, der mit einem Lederriemen um seine Schläfen befestigt war, einen Höcker bildete. Der Mantel bauschte sich auf seinen Schultern und beschattete sein Gesicht, so dass man nur das Feuer seiner starren Augen sah. Er war nur zufällig auf dem Fest. Es war Brauch, dass die afrikanischen Fürsten, um Bündnisse anzuknüpfen, ihre Kinder in punische Patrizierhäuser schickten. So ließ ihn sein Vater in der Familie Barkas leben. Doch Naravas hatte Salambo in den sechs Monden seines Aufenthalts noch nicht zu Gesicht bekommen. Jetzt nun, auf den Fersen hockend, den Bart in den Schäften seiner Wurfspieße vergraben, blickte er auf sie mit geblähten Nüstern, wie ein Leopard, der im Bambusdickicht kauert.
Auf der anderen Seite des Tisches saß ein Libyer von riesenhaftem Wuchs, mit kurzem schwarzem Kraushaar. Er trug nichts als seinen Kürass, dessen eherne Schuppen den Purpurstoff des Polsters aufschlitzten. Ein Halsband aus silbernen Monden verwickelte sich in die Zotteln seiner Brust. Blutspritzer befleckten sein Antlitz. Auf den linken Ellbogen gestützt, lächelte er mit weit geöffnetem Munde.
Salambo hatte den heiligen Gesang beendet. Aus weiblichem Feingefühl redete sie nun die Barbaren in ihren eigenen Sprachen an, um ihren Zorn zu besänftigen. Zu den Griechen sprach sie griechisch, dann wandte sie sich zu den Ligurern, den Kampanern und Negern. Ein jeder, der sie so verstand, fand in ihrer Stimme die süßen Laute seiner Heimat wieder.
Von der Erinnerung an Karthagos Vergangenheit begeistert, sang sie nun von den alten Schlachten gegen Rom. Man klatschte ihr Beifall. Sie berauschte sich am Glanz der nackten Schwerter. Sie schrie, die Arme weit geöffnet. Die Lyra entfiel ihr. Sie verstummte...
Indem sie beide Hände gegen ihr Herz presste, stand sie eine Weile mit geschlossenen Augenlidern da und weidete sich an der Erregung der Krieger vor ihr.
Matho, der Libyer, neigte sich zu ihr hin. Unwillkürlich trat sie auf ihn zu und füllte, von ihrem befriedigten Ehrgeiz getrieben, eine goldene Schale mit Wein. Dies sollte sie mit dem Heere versöhnen.
„Trink!“ gebot sie.
Er ergriff die Schale und führte sie zum Munde, als ein Gallier – jener, den Gisco niederschlagen hatte – ihm auf die Schulter klopfte und mit vergnügter Miene einen Scherz in seiner Muttersprache machte. Spendius stand in der Nähe. Er bot sich als Dolmetsch an.
„Rede!“ sprach Matho und Spendius übersetzte: „Die Götter sind dir gnädig! Du wirst reich werden! Wann ist die Hochzeit?“
„Was für eine Hochzeit?“
„Deine!“ entgegnete der Gallier. „Wenn nämlich bei uns ein Weib einem Krieger einen Trunk spendet, so bietet sie ihm damit ihr Bett an.“
Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als Naravas aufsprang, einen Wurfspieß aus seinem Gürtel riss, den rechten Fuß auf den Tischrand stemmte und die Waffe gegen Matho schleuderte.
Sausend pfiff der Speer zwischen den Schalen hin, durchbohrte den Arm des Libyers und nagelte ihn mit solcher Wucht an die Tischplatte, dass der Schaft in der Luft vibrierte.
Matho riss ihn heraus. Doch er war ohne Waffen und nackt. Da hob er mit beiden Armen den beladenen Tisch hoch und schleuderte ihn gegen Naravas, mitten in die Menge, die sich dazwischen warf. Die Söldner und die Numidier standen so dicht, dass sie ihre Schwerter nicht ziehen konnten. Matho brach sich Bahn, indem er gewaltsam mit dem Kopfe gegen die Menge stieß. Als er wieder aufblickte, war Naravas verschwunden. Er suchte ihn mit den Augen. Auch Salambo war fort.
Da wandte er den Blick nach dem Palast und bemerkte, wie sich ganz oben die rote Tür mit dem schwarzen Kreuz eben schloss. Er stürzte hinauf.
Man sah ihn zwischen den Schiffsschnäbeln laufen, dann auf den drei schrägen Treppen hinaufeilen und schließlich oben gegen die rote Tür mit der Wucht seines ganzen Körpers anrennen. Schwer atmend lehnte er sich an die Mauer, um nicht umzusinken.
Ein Mann war ihm nachgefolgt, und in der Dunkelheit – der Lichterschein des Festes wurde durch die Ecke des Palastes abgeschnitten – erkannte er Spendius.
„Geh weg!“ rief Matho.
Ohne etwas zu erwidern, begann der Sklave seine Tunika mit den Zähnen zu zerreißen. Dann kniete er neben Matho nieder, fasste behutsam dessen Arm und befühlte ihn, um im Dunkeln die Wunde zu finden.
Ein Mondstrahl glitt aus einer Wolkenspalte, und Spendius erblickte in der Mitte des Armes eine klaffende Wunde. Er verband sie mit dem Stück Stoff. Doch der andere rief zornig:
„Lass mich! Lass mich!“
„Nein, nein!“ antwortete der Sklave. „Du hast mich aus dem Kerker befreit. Ich bin dein, und du bist mein Gebieter! Befiehl!“
Matho tastete sich an der Mauer hin, die ganze Terrasse entlang. Bei jedem Schritt horchte er auf und tauchte seinen Blick durch die vergoldeten Gitterstäbe hinein in die stillen Gemächer. Endlich blieb er verzweifelt stehen.
„Höre!“ redete der Sklave ihn an. „Verachte mich nicht wegen meiner Armseligkeit! Ich habe in diesem Palast gelebt. Wie eine Schlange kann ich durch die Mauern schlüpfen. Komm! In der Ahnengruft liegt ein Goldbarren unter jeder Steinfliese. Ein unterirdischer Gang führt zu den Gräbern ...“
„Was kümmert das mich!“ antwortete Matho.
Spendius schwieg.
Sie standen auf der Terrasse. Eine ungeheure Schattenmasse breitete sich vor ihnen in phantastischer Gliederung aus, wie die gigantischen Wogen eines schwarzen versteinerten Meeres.
Da glühte im Osten ein heller Streifen auf. Und tief unten begannen die Kanäle von Megara mit ihren silbernen Windungen im Grün der Gärten aufzublitzen. Allmählich reckten die kegelförmigen Dächer der siebenseitigen Tempel, die Treppen, Terrassen und Wälle ihre Umrisse aus dem bleichen Morgengrau heraus. Rings um die karthagische Halbinsel brodelte ein weißer Schaumgürtel. Das smaragdgrüne Meer schlief noch in der Morgenfrische. Je höher die Röte am Himmel emporstieg, umso deutlicher wurden die hohen Häuser, die sich an die Hänge klammerten oder wie eine zu Tal ziehende Herde schwarzer Ziegen abwärts drängten. Die menschenleeren Straßen schienen endlos lang. Palmen, die hier und da die Mauern überragten, standen regungslos. Die bis an den Rand gefüllten Zisternen in den Höfen glichen silbernen dort liegen gelassenen Schilden. Das Leuchtturmfeuer auf dem Vorgebirge glimmte nur noch. Im Zypressenhain oben auf dem Burgberg setzten die Pferde Eschmuns, das Nahen des Tages witternd, ihre Hufe auf die Marmorbrüstung und wieherten der Sonne entgegen.
Sie tauchte auf. Spendius erhob die Arme und stieß einen Schrei aus.
Alles war von Rot überflutet. Der Gott goss wie in Selbstopferung den Goldregen seines Blutes in vollen Strömen über Karthago aus. Die Schnäbel der Galeeren blitzten, das Dach des Khamon-Tempels schien ein Flammenmeer, und im Innern der anderen Tempel, deren Pforten sich nun auftaten, schimmerten matte Lichter. Große Karren, die vom Lande hereinkamen, rollten und rasselten über das Straßenpflaster. Dromedare, mit Ballen beladen, schwankten die Abhänge hinab. Die Wechsler in den Gassen spannten die Schutzdächer über ihren Läden auf. Störche flogen dahin. Weiße Segel flatterten. Im Hain der Tanit erklangen die Schellentrommeln der geheiligten Hetären,7und auf der Höhe der Mappalierstraße begann der Rauch aus den Öfen zu wirbeln, in denen die Tonsärge gebrannt wurden.
Spendius beugte sich über das Geländer. Seine Zähne schlugen aufeinander.
„Ja ... ja ... Herr!“ wiederholte er mehrmals. „Ich begreife, warum du soeben vom Plündern des Hauses nichts wissen wolltest!“
Matho erwachte beim Zischen dieser Stimme wie aus einem Traume. Offenbar hatte er die Worte nicht verstanden.
„Ach, was für Reichtümer!“ hob Spendius von neuem an. „Und ihre Besitzer haben nicht einmal Schwerter, sie zu verteidigen!“
Dann wies er mit der ausgestreckten Rechten auf ein paar Leute aus dem niederen Volk, die auf dem Sand vor dem Hafendamm herumkrochen und Goldkörner suchten.
„Sieh!“ sagte er. „Die Republik gleicht diesen Schelmen. Am Strand des Meeres hockend, wühlt sie mit gierigen Händen in allen Ländern. Das Rauschen der Wogen betäubt ihr Ohr, und sie hört nichts; auch nicht wenn ihr von hinten der Tritt eines Herrschers naht!“
Damit zog er Matho nach dem anderen Ende der Terrasse und zeigte ihm den Park, wo die Schwerter der Söldner an den Bäumen hingen und in der Sonne glänzten.
„Hier aber sind starke Männer voller Hass, die nichts an Karthago fesselt: keine Familie, keine Pflicht, kein Gott!“
Matho stand an die Mauer gelehnt. Spendius trat dicht an ihn heran und fuhr mit flüsternder Stimme fort:
„Verstehst du mich, Krieger? In Purpurmänteln könnten wir gehen wie Satrapen. Uns in Wohlgerüchen baden. Ich hätte dann selber Sklaven! Bist du's nicht müde, auf harter Erde zu schlafen, den sauren Wein der Marketender zu trinken und ewig Trompetensignale zu hören? Später willst du dich ausruhen, nicht wahr? Wenn man dir den Kürass vom Leibe reißt und deinen Leichnam den Geiern vorwirft! Oder vielleicht, wenn du blind, lahm und altersschwach am Stock umher schleichst, von Tür zu Tür, und kleinen Kindern und Hausierern von deinen Jugendträumen erzählst! Erinnere dich all der Schindereien deiner Vorgesetzten, der Biwaks im Schnee, der Märsche im Sonnenbrand, der Härte der Disziplin und des stets drohenden Todes am Kreuz! Nach so vielen Leiden hat man dir einen Orden verliehen, so wie man den Eseln ein Schellenhalsband umhängt, um sie auf dem Marsch einzulullen, damit sie die Strapazen nicht merken! Ein Mann wie du, tapferer als Pyrrhus! Ach, wenn du nur wolltest! Ha! Wie wohl wäre dir zumute in einem hohen kühlen Saal bei Leierklang, auf einem Blumenlager, von Narren und Frauen umringt! Sag nicht, das seien Phantastereien! Haben die Söldner nicht schon Rhegium und andere feste Plätze Italiens besessen? Wer hindert dich? Hamilkar ist weit. Das Volk verabscheut die Patrizier. Gisco vermag mit seinen Feiglingen nichts anzufangen! Du aber bist tapfer! Dir werden sie gehorchen. Führe du sie! Karthago ist unser! Erobern wir es!“
„Nein!“ sprach Matho. „Molochs Fluch lastet auf mir. Ich hab es in den Augen der Einzigen gelesen, und eben ist in einem Tempel ein schwarzer Widder vor mir zurückgewichen ... Wo ist sie?“ fügte er hinzu, indem er sich umschaute.
Spendius begriff, dass den Libyer eine ungeheure innere Erregung quälte. Er wagte nicht weiter zu reden.
Die Bäume hinter ihnen glimmten noch. Aus verkohlten Zweigen fielen hin und wieder halb verbrannte Affenknochen in die Schüsseln hinab. Die trunkenen Söldner schnarchten mit offenem Munde neben den Leichen, und die nicht schliefen, senkten den Kopf, geblendet vom Morgensonnenlicht. Auf dem zerstampften Boden standen große Blutlachen. Die Elefanten in ihren Pfahlgehegen schwenkten die blutigen Rüssel hin und her. In den offenen Speichern lag das Getreide ausgeschüttet, und unter dem Tor stand ein Wirrwarr von Karren, von den Barbaren ineinander gefahren. Die Pfauen auf den Zedernästen entfächerten ihre Schweife und begannen zu schreien.
Mathos Unbeweglichkeit setzte Spendius in Staunen. Der Libyer war noch bleicher als zuvor und verfolgte, beide Fäuste auf die Terrassenmauer gestützt, mit starrem Blick etwas am Horizont. Spendius beugte sich vor und entdeckte endlich, was jener betrachtete. Ein goldener Punkt rollte in der Ferne im Staub auf der Straße nach Utica. Es war die Radnabe eines mit zwei Maultieren bespannten Gefährts. Ein Sklave lief an der Spitze der Deichsel und hielt die Tiere an den Trensen. Auf dem Wagen saßen zwei Frauen. Ihre Haare standen nach persischer Sitte kammartig hoch zwischen den Ohren unter einem Netz von blauen Perlen. Spendius erkannte die Insassen. Er unterdrückte einen Aufschrei.
Ein langer Schleier flatterte im Wind hinter ihnen.
***
1Die Stadt Eryx in Sizilien wurde von den Söldnern unter Führung von Hamilkar 244 v. Chr. erobert
2Eschmun-Tempel, Wahrzeichen Karthagos, stand auf der Akropolis
3Der Übergang der Befehlsgewalt an Gisco wurde vor allem von der Partei des Hanno betrieben, eines Feindes von Hamilkar
4Ursprünglich griechische (spartanische) Männer-Mahlzeit, in Karthago die organisierte Gemeinschaft der alten Geschlechter, die in der komplizierten Staatsverfassung Karthagos eine wichtige Rolle spielten
5auch Salwamba (magna mater) oder Salammbô, Tochter Hamilkars
6Sufeten („Richter“), die obersten Magistratspersonen in Karthago
7Hätere: Tempel-Prostituierte, sozial anerkannt, oft gebildet
Kapitel 2
In Sikka
Zwei Tage später verließen die Söldner Karthago. Man hatte einem jeden ein Goldstück gezahlt, unter der Bedingung, dass sie ihr Standquartier nach Sikka
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