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Rund 50 Prozent aller Gründungen scheitern schon in den ersten beiden Jahren. Nach drei Jahren haben 80 Prozent aufgegeben und nach mehr als fünf Jahren ist höchstens noch eins von zehn Startups im Rennen - das dafür aber meist mit großem Erfolg. Doch was ist der Grund dafür? Die Geschäftsidee ist meist sehr gut, das Gründerteam hochmotiviert. "Der Fehler wird im Vertrieb gemacht. Kein Produkt oder Dienstleistung verkauft sich von alleine", so Klaus Wächter, Vertriebsexperte für Start-ups. In vielen Beratungen und Workshops hat er erkannt, dass es im Bereich Vertrieb massive Defizite gibt: Vertrieb lernt man nicht an der Hochschule, sondern draußen beim Kunden. Und das ist oft schmerzhaft. Das "Start-up Sales Canvas" ist deshalb Werkzeug erster Wahl, mit dem Gründer, junge Unternehmer aber auch Investoren die Vertriebsstrategie ihres Start-ups einfach visualisieren und optimieren können. Inhalte: - Die Bedeutung des Vertriebs - Wieso scheitern Start-ups? - Positionierung und Markenversprechen - Leistungen und Produkte - Wettbewerber - USP, Elevator-Pitch, Storytelling - Zielgruppen, Zielgruppenbesitzer, Personas - Vertriebswege - Preismodelle - Werbemöglichkeiten - Tools - Verkaufsunterlagen - Ziele und KPI ́s - Vertriebsstrategie
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Seitenzahl: 251
Haufe Lexware GmbH & Co KG
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ISBN 978-3-648-14317-9
Bestell-Nr. 10567-0001
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ISBN 978-3-648-14318-6
Bestell-Nr. 10567-0100
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ISBN 978-3-648-14319-3
Bestell-Nr. 10567-0150
Klaus Wächter
Sales Canvas für Start-ups
1. Auflage, November 2020
© 2020 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg
www.haufe.de
Bildnachweis (Cover): oberonsk, Adobe Stock
Produktmanagement: Judith Banse
Lektorat: Juliane Sowah
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Die Idee für das Startup Sales Canvas®, das mittlerweile als Marke auf meinen Namen registriert ist, ist in den letzten Jahren gereift. Doch die Vorgeschichte begann weit früher. Ich komme aus einem kleinen Ort namens Vallendar mit 8.500 Einwohnern, knapp zehn Kilometer von Koblenz entfernt, dort, wo die Mosel in den Rhein mündet. Vallendar, ein beschaulicher und ruhiger Ort, kann mit zwei Hochschulen aufwarten: mit der PTHV, der Philosophisch-Theologischen Hochschule, und der WHU, der Otto Beisheim School of Management.
Aus der WHU (Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung) sind bereits viele erfolgreiche Gründer hervorgegangen. Hier nur eine kleine Auswahl: Der bekannteste dürfte Oliver Samwer sein (Rocket Internet). Es folgen Rubin Ritter (Zalando), Ferry Heilemann, Gründer des Couponing Start-ups DailyDeal, Domenico Cipolla und Felix Jahn (beide Home24), Christian Gaiser (KaufDa), Oliver Mickler (MyDriver), die drei Barzahlen-Gründer Florian Swoboda, Achim Bönsch und Sebastian Seifert, Dominik Richter (HelloFresh), die Gründer Paul Crusius und Marco Vietor von Audibene, Mengting Gao und Verena Hubertz mit Kitchen Stories, Sebastian Pollok (Amorelie), zwei von vier Gründern des Start-ups Lendico, Philipp Petrescu und Clemens Paschke, der Wein-Shoppingclub Wine in Black von Christian Hoya und Stephan Linden, Andreas Wels von Studitemps und Mario Kohle von Käuferportal.
Ich selbst war viele Jahre im Vertrieb unterwegs, immer in großen Konzernen aus den Bereichen Telekommunikation oder Energie. Allerdings hat mich die Arbeit in solch großen Unternehmen nicht wirklich zufriedengestellt. Die Probleme waren vielschichtig. Was mich aber am meisten störte, war die Tatsache, dass auf die Leute an der Verkaufsfront, auf den Vertrieb, keiner gehört hat. Von der Geschäftsführung wurden neue Produkte auf den Markt gebracht, ohne das Feedback der Kunden abzufragen. Dazu kamen vorgegebene Zielzahlen, die immer weiter angehoben wurden, obwohl die Verkaufsgebiete zeitgleich verkleinert wurden.
Eine Tretmühle, aus der ich irgendwann raus musste. Vielleicht der Sprung in die Selbstständigkeit Eines Tages klagte einer meiner Kunden, ein Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens, über die steigenden Kosten, gerade im Bereich der allgemeinen Kosten. Von Beiträgen und Versandkosten über Versicherungen und Kosten für Steuerberater bis zu den Kosten für den Bürobedarf. Alles würde teurer, so mein Gegenüber. Auf der Fahrt nach Hause ging mir dieses Gespräch noch einmal durch den Kopf. War das vielleicht eine Geschäftsidee? Die allgemeinen Kosten des Unternehmens, also die, die nicht ursächlich mit der Produktion zu tun haben, zu analysieren und zu reduzieren? Und vielleicht auf eine Art Erfolgsprovision zu arbeiten, also einen Teil der Ersparnis abzugreifen? Zuhause angekommen nahm ich mir ein Fachbuch aus [12]dem Regal und habe mir alle Kostenarten angesehen: Porto, Telefon, Internet, Bürobedarf, Zeitschriften und Bücher, Fortbildungskosten, Rechts- und Steuerberatung, die Kosten für die Buchführung usw. Doch zu keiner Kostenart hatte ich eine wirkliche Inspiration, wie man eine Ersparnis für Unternehmen erzielen könnte.
Und da erblickte ich auf meinem Schreibtisch den Katalog eines Büroartikel-Unternehmens. Und zwar eines der Marktführer. Könnte Bürobedarf ein Markt sein? Unsexy, aber vielleicht doch interessant. Ich blätterte den Katalog durch, betrachtete eine Vielzahl von Artikeln. Mit einem Anbieter allein konnte ich allerdings noch nichts anfangen. Also bestellte ich kurzerhand im Internet drei Kataloge der anderen großen Unternehmen der Branche. Einige Tage später lagen sie vor mir, vier Kataloge der unterschiedlichen Händler. Ich machte mich an die Arbeit. Ich stellte einen fiktiven Warenkorb zusammen, den ein Unternehmen bestellen könnte. Also Kopierpapier, Druckpatronen, Ordner, Sichthüllen, Briefumschläge, Versandtaschen, Post-its Haftnotizen, Ösenhefter, Textmarker und zum Schluss noch den Edding Permanent Marker. Selbstverständlich habe ich von jedem Artikel auch eine realistische Menge in den Warenkorb gelegt. Ich habe alles in eine Excel-Liste zusammengeschrieben und nach und nach die Preise der vier Anbieter erfasst. Anschließend habe ich die Werte addiert und – zu meiner großen Überraschung – es gab keine nennenswerte Preisdifferenz. Der Warenkorb betrug bei allen Anbietern 550 Euro, mit geringen Abweichungen. Schade, damit war auch die Idee futsch.
Doch wie es der Zufall wollte, steckte mir ein paar Tage später der Briefträger den Katalog eines regionalen Anbieters für Bürobedarf in den Briefkasten. Nur zum Spaß nahm ich mir die Excel-Liste noch einmal vor. Der Anbieter, ein Unternehmen aus meiner Region mit vielleicht zehn Mitarbeitern, musste ja teurer sein. Meine Vermutung lag bei ca. 15 Prozent über den zuvor berechneten Preisen. Also erfasste ich die Preise für den oben erwähnten Warenkorb und addierte brav die Werte zusammen. Das Ergebnis konnte ich nicht glauben: 464 Euro. Ein kleines Unternehmen vom Rhein ist 86 Euro günstiger als die vier Big Player der Branche? Das waren gut 15 Prozent weniger. Okay, also hatte ich wahrscheinlich einen Fehler bei der Preissuche gemacht. Oder im Katalog des regionalen Anbieters war ein Druckfehler. Ich erstellte einen komplett neuen Warenkorb, neuer Vergleich. Das Ergebnis: 22 Prozent zugunsten des lokalen Anbieters. Der dritte Vergleich kam zu einem ähnlichen Ergebnis, diesmal knapp über 18 Prozent. Das ließ mir keine Ruhe. War hier vielleicht eine interessante Geschäftsidee zu finden?
Ich machte mich also auf und besuchte den Händler in meiner Nähe. Im Gespräch lernte ich einiges über die Bürobedarfsbranche. Ein durchschnittlicher Händler (die meisten Händler sind in einer der drei Einkaufsgenossenschaften organisiert und greifen auf ein Zentrallager zu) hat durchschnittlich zwischen 20.000 bis 25.000 Artikel in seinem Sortiment. Ein Preisvergleich ist extrem schwer und aufwendig, da jeder [13]Händler einen anderen Produktcode hat. Mein Ansprechpartner erzählte mir, dass es bei einzelnen, identischen Produkten im Büroartikelmarkt teilweise Preisunterschiede von über 30 Prozent gibt. Die großen Anbieter unterbinden aber einen Preisvergleich durch ein aggressives Marketing, unübersichtliche Angebote und Geschenke wie Gummibärchen und Kekse. Preisunterschiede von 30 Prozent, kein Preisvergleich und keine Lösung, die aktuell auf dem Markt war. Ideale Voraussetzungen für eine Gründung?
Also habe ich mich hingesetzt und ein Konzept geschrieben für eine Plattform, auf der alle Büroartikel aufgelistet sind. Händler, die sich auf der Plattform registrieren, stellen die Preise zu den jeweiligen Artikeln ein. Kunden, sprich Unternehmen, wählen auf der Plattform die benötigten Artikel aus, füllen also den Warenkorb. Auf Knopfdruck werden alle Anbieter inklusive der Versandkosten angezeigt, die den kompletten Warenkorb liefern können. Der Kunde kann dann entscheiden, welchen Lieferanten er auswählt: den Günstigsten, den Anbieter aus seiner Region oder vielleicht den Versender der letzten Bestellung. Die Idee für den ersten Warenkorbpreisvergleich war geboren. Bisher konnten Kunden bei den bekannten Preisvergleichen immer nur ein Produkt miteinander vergleichen. Das ist sinnvoll bei höherpreisigen Artikeln, wie z. B. einem Laptop oder einem Drucker. Beim Bürobedarf sind die Artikelpreise aber oft sehr niedrig oder die Anzahl der bestellten Produkte ist gering. Wenn ein Unternehmen sieben oder acht verschiedene Büroartikel benötigt, dann wird es sicherlich nicht sieben- oder achtmal einen Preisvergleich anstellen. Dazu kommen noch Mindestbestellmengen und Versandkosten, die diesen Weg unrentabel machen. Aus diesem Grund musste ein Warenkorbpreisvergleich her, der erste überhaupt.
Aber sollte ich allein ein Start-up aufbauen? Mit damals äußerst beschränkten IT- Kenntnissen? Was ich damals schon wusste: Eine gute Idee ist eine Sache, ein gutes Team ist allerdings wichtiger. Aber wo kriege ich Co-Founder her? Von der WHU, der Gründer-Uni, habe ich zu Beginn schon erzählt. Aber zu ihr hatte ich bis dahin keinen Kontakt. Bis mir mein Cousin, ein Optiker, nebenbei erzählte, dass ihm zwei Studenten eben dieser Uni seine neue Webseite erstellt haben. Er gab mir die Kontaktdaten und im Mai 2010 traf ich mich mit den beiden Studierenden, Michael Wendt und Alexander Hoffmann. Beide waren von der Geschäftsidee begeistert, schließlich betrug der B2B-Markt für Büroartikel im Jahr durchschnittlich 9,6 Milliarden Euro.
Einige Monate später gründeten wir die Papersmart GmbH, ein Preisvergleichsportal für Bürobedarf und der erste Warenkorbpreisvergleich überhaupt. Das Team wurde komplettiert durch Stefan und Simon, zwei Entwickler, und Dirk, den Spezialisten für Daten aus der Büroartikelbranche. Die Firma verlegte den Sitz nach Berlin und die Aufgaben wurden verteilt. Michael als Geschäftsführer, Alexander übernahm das Marketing, Stefan und Simon bauten die Plattform, Dirk besorgte die Daten und mein Job war der Vertrieb.
[14]Was ein spannendes Thema: der Vertriebsaufbau für ein digitales Geschäftsmodell. Vertrieb konnte ich ja bereits, aber bisher nur in großen Unternehmen. Aber den Vertrieb komplett neu aufbauen, und dann noch für ein digitales Geschäftsmodell?
Und noch etwas war neu: Wir hatten Investoren an Bord, sogenannte Business Angels. Einen Begriff, den ich vorher noch nicht gehört hatte. Investoren, die in meine Idee Geld investierten. Und das nicht zu knapp. Am Rande: Inzwischen bin ich selbst Business Angel und der erste Vorsitzende der Business Angels Rheinland-Pfalz.
Nun musste ich mich also an den Vertriebsaufbau machen. Und meine Erfahrung aus den Konzernen konnte ich nur bedingt nutzen. Denn der Unterschied zwischen dem Vertrieb bei einem Großunternehmen und einem Start-up ist riesengroß, so gut wie nichts lässt sich vergleichen. Aber eins wusste ich bereits nach zwei Tagen: Der Vertrieb in einem Start-up ist viel spannender und herausfordernder. Ich bringe das Feedback eines Kunden mit ins Gründerteam, wir besprechen es und setzen die Ideen und Anregungen meist innerhalb kurzer Zeit um. In einem großen Unternehmen hört keiner auf die Idee der Vertriebler, und wenn, dann wird sechs Monate später etwas ganz anderes umgesetzt. Von meiner Zeit bei Papersmart werde ich in anderen Kapiteln berichten, z. B. beim Thema Zielgruppenbesitzer.
Mein Job war es also, Händler aus dem Bereich Bürobedarf für Papersmart zu begeistern. Die Produkte, über 120.000, waren alle auf der Plattform gelistet. Händler musste also nur eine CSV-Datei mit EAN-Code und den Preisen hochladen und schon waren sie auf der Plattform präsent. Voraussetzung war natürlich ein Warenwirtschaftssystem im Unternehmen. 2010 waren der eigene Webshop oder ein Warenwirtschaftssystem in dieser Branche noch nicht üblich, wie ich zu meinem Leidwesen feststellen musste. Bestellungen wurden oft noch per Telefon oder Faxgerät aufgegeben. Aber nach und nach füllte sich die Plattform mit Händlern und meine Lernkurve im Vertrieb bei digitalen Geschäftsmodellen stieg steil an. Die Plattform entwickelte sich gut, allerdings waren die Marketingkosten hoch. Wir brauchten also neues Geld. Das stellten die Investoren auch zur Verfügung. Aber nach meiner Auffassung nicht ausreichend genug, um vernünftig Vertrieb und Marketing zu betreiben. Nach einigen Reibereien verließ ich Papersmart und verkaufte meine Anteile. Inzwischen hat das Unternehmen mehrmals den Besitzer gewechselt.
Die spannende Geschichte Papersmart war also vorbei. Ich hatte viel gelernt. Aber was sollte ich nun tun? In der Gründerszene war ich inzwischen ziemlich bekannt und viele kannten mein Steckenpferd, den Vertrieb. Leider gab es nur wenige, die sich mit dem Thema Vertrieb in Start-ups beschäftigten. Und der ist eben etwas komplett anderes als in einem bereits etablierten Unternehmen. Nun fragten einige Gründer, ob ich sie beim Vertriebsaufbau nicht unterstützen könne. Und so blieb ich in der Szene hängen. Inzwischen habe ich Start-ups aus den verschiedensten Bereichen beraten. Einige [15]Teams und ihre Ideen fand ich so spannend, dass ich statt des Honorars Firmenanteile als Bezahlung genommen habe. Wenn das Unternehmen sich erfolgreich entwickelt, habe ich gutes Geld verdient und meine Entscheidung war richtig. Wenn das Unternehmen floppt, habe ich zwar monetär betrachtet umsonst gearbeitet, aber wieder etwas dazugelernt.
Die Start-ups, die ich beraten habe, kamen aus den unterschiedlichsten Branchen wie E-Commerce, Social Commerce, Medizin, Eyetracking, Gaming. Aber Vertrieb in Start-ups ist branchenübergreifend doch immer wieder sehr ähnlich.
Gleichzeitig war ich auf vielen Veranstaltungen, Workshops und Hackathons. Ich habe mir viele Vorträge angehört und wahrscheinlich jedes Buch gelesen, das auch nur im Entferntesten mit dem Thema Vertrieb und Start-ups zu tun hat. Ich habe in dieser Zeit jede Menge Gründerunternehmen kennengelernt. Viele sind gekommen, aber leider sind auch viele wieder gegangen. Einige sind verschwunden, deren Idee und/oder das Team auch nicht wirklich spannend waren. Aber auch Teams mit tollen Ideen und Geschäftsmodellen sind nicht mehr da.
Aber wieso verschwinden so viele Start-ups? In Kapitel 2 werde ich darauf genauer eingehen. Von Gründern werde ich oft nach der richtigen Lösung für ihre Vertriebsprobleme gefragt. Es gibt aber einfach zu viele Bausteine und damit auch nicht die eine Antwort. Bei dem einen Team kann schon die Antwort auf die richtige Zielgruppe die entscheidende Antwort sein, bei einem anderen ist es das Preismodell, beim nächsten die Auswahl des Vertriebswegs und beim vierten liegt es an der Positionierung oder am Markenversprechen. Alles Fragen, die bestehende Unternehmen bereits beantwortet haben.
Es gibt also nicht die eine Lösung oder Antwort auf das Vertriebsproblem. Es gibt viele Fragen, Konstellationen und somit auch viele Antworten. Was ich aber immer wieder festgestellt habe, ist, dass das Gesamtpaket im Vertrieb stimmen muss. Es nützt wenig, wenn das Unternehmen die richtige Zielgruppe gefunden hat, sie aber über einen falschen oder zu teuren Vertriebsweg anspricht. Oder Teams sind in einem Markt mit weiteren Anbietern und haben eine Positionierung ohne einen Wettbewerbsvergleich durchgeführt.
Zunächst habe ich in der Beratung Checklisten eingesetzt. Damit war ich aber schnell unzufrieden. Man hat einfach nicht den Überblick über alle Aspekte. Und irgendwie hängt im Vertrieb auch alles miteinander zusammen.
Schon lange setze ich daher auch bei Gründern mit neuen Ideen auf das Business Model Canvas. Das von mir entwickelte Startup Sales Canvas ® stelle ich euch in Kapitel 3 vor, bevor es dann an dessen zwölf Bausteine geht.
[16]Mit dem Startup Sales Canvas ® habe ich schon viele Start-ups beraten. Viele konnten sich damit erfolgreich am Markt positionieren. Einige können inzwischen DAX-Unternehmen zu ihren Kunden zählen. Andere sind in ihren Bereichen Marktführer geworden.
Das Canvas ist also ein Tool, um den Vertrieb aufzubauen. Erprobt durch viele Beratungen und Workshops bei Start-ups. Und ich bin der festen Überzeugung, dass das Startup Sales Canvas ® auch euch weiterhelfen wird. Startup Sales Canvas® ist als Wortmarke unter der Registernummer 30 2019 019 401 beim Deutschen Patent- und Markenamt registriert.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in diesem Buch das generische Maskulinum verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.
Ich kenne ungefähr 20 US-Firmen, wo in der Eingangshalle, in Messing eingraviert, die Namen der besten Verkäufer aus mehreren Jahrzehnten zu sehen sind. Kennen Sie eine einzige deutsche Firma, die das auch so macht?
Max Grundig, Gründer des Elektronikkonzerns Grundig AG
Es gibt eine Vielzahl von Büchern über den Vertrieb. Viele davon sind gut und stehen auch in meinem Bücherregal. Diese Bücher sind aber nicht für Start-ups geschrieben. Diese Literatur ist für bestehende Unternehmen, für kleine und mittlere Unternehmen, einige davon für Großunternehmen und Konzerne geschrieben.
Aber zwischen Start-ups und Unternehmen, die schon einige Jahre auf dem Markt bestehen, gibt es gravierende Unterschiede.
Da ich selbst in beiden Welten gearbeitet habe, möchte ich euch die Unterschiede aufzeigen. Start-ups starten auf der grünen Wiese, das heißt, sie müssen alles neu erstellen. Das ist, mit begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen, natürlich schon mal ein Nachteil. Der Vorteil ist aber, dass ihr euch am aktuellen Kundenbedürfnis orientieren könnt. Ältere Unternehmen haben häufig nicht die Möglichkeit, schnell zu reagieren. Ein Vergleich: Oft sind Unternehmen unbeweglich wie Supertanker auf dem hohen Meer. Eine Kurskorrektur dauert lange und ist mühsam. Da sind die Start-ups in ihren Schnellbooten deutlich flexibler und schneller. Wird die See allerdings rauer und ein Sturm zieht auf, sind wiederum die Supertanker im Vorteil.
In einem Unternehmen, das schon länger auf dem Markt ist, kann der Vertrieb auf bestehende Strukturen zurückgreifen. In einem Start-up ist erst einmal nichts wirklich geregelt. Gerade für Vertriebsmitarbeiter, die aus einem Unternehmen in ein Start-up wechseln, bedeutet das erst einmal einen Kulturschock.
Bei Start-ups wird in den ersten Monaten das Hauptaugenmerk auf die Entwicklung des Produktes gelegt. Das ist auch richtig so. Allerdings werden dadurch der Vertrieb und das Marketing vernachlässigt. Viele Entscheidungen werden im laufenden Betrieb mit der heißen Nadel gestrickt, aufgrund der Vielzahl der Bereiche auch nicht verwunderlich. Dieses Buch und das Startup Sales Canvas ® sollen dabei helfen, dass ihr als Gründer schneller den richtigen Weg zum Kunden findet.
An dieser Stelle möchte ich euch sieben unumstößliche Regeln bzw. Statements mitgeben, auf die ihr euch als Gründer einstellen könnt.
Leider ist dies die unangenehmste Wahrheit im Bereich der Fehleinschätzungen bei einer Unternehmensgründung. Viele Start-ups sind der irrigen Meinung, die Welt hat nur auf ihr Produkt oder ihre Dienstleistung gewartet. Doch es ist genau andersherum: Keiner hat auf euch gewartet. Eure Mitbewerber sind schon auf dem Markt. Und wieso soll der Kunde wechseln? Denn dagegen sprechen viele Gründe: »Das haben wir noch nie so gemacht. Das war schon immer so. Mit dem alten Anbieter arbeiten wir schon seit 20 Jahre zusammen, es gibt persönliche oder freundschaftliche Beziehungen. Der alte Lieferant schenkt uns aber was zu Weihnachten, bei dem aktuellen Versender sind immer Kekse im Paket. Dann müssen wir ja alle Daten neu einpflegen usw.«
Dies gilt anfangs für alle Start-ups und junge Unternehmen. Später kann den Vertrieb gerne ein Mitarbeiter übernehmen. Aber in den ersten ein bis zwei Jahren muss der Vertrieb Chefsache sein. Und der Chef muss sich täglich mit dem Vertrieb auseinandersetzen. Jeder Tag, in dem ein Start-up nichts in Sachen Vertrieb unternimmt, ist ein verlorener Tag und ein Schritt hin zum Ende des Unternehmens. Gerade in den Gesprächen mit potenziellen Kunden erfahrt ihr, wie der Markt läuft und wie die Kunden ticken. Vielleicht sind die Vorteile, die ihr in eurem Produkt oder eurer Dienstleistung seht, für den Kunden gar nicht wichtig und er hat ganz andere Probleme. Das heißt für Gründer nur eines: raus an die Front!
Bezieht den Vertrieb bereits bei der Produktgestaltung mit ein. Entwickelt nicht im stillen Kämmerlein. Fragt eure Kunden (über den Vertrieb), wo sie ein Problem haben. Nur wenn ihr die Probleme der Kunden kennt und so erst lösen könnt, werdet ihr Erfolg haben. Also sprecht mit der Zielgruppe und holt Feedback ein.
Viele Start-ups gehen in die Insolvenz. Und zwar nicht wegen falscher Finanzplanung, sondern aus einem einfachen Grund: weil sie zu spät mit dem Vertrieb beginnen.
In der Analyse der Wettbewerber (Kapitel 6) könnt ihr sehen, wie groß der Vorsprung von Mitbewerbern in fast allen Bereichen ist. Und die haben eine langjährige [19]Geschäftsbeziehung zu ihren Kunden. Das bedeutet für euch, dass ihr erst einmal Vertrauen aufbauen müsst.
Dazu kommt noch folgender Punkt: Je größer das Unternehmen des Kunden ist, desto länger dauern die Entscheidungen. Von Behörden und öffentlichen Auftraggebern will ich überhaupt nicht sprechen. Hier kann man noch einmal die gleiche Zeit wie bei Großunternehmen obendrauf rechnen, wenn es um die Entscheidungswege geht.
Sich über die Vermarktung Gedanken zu machen, kann nie zu früh, aber oft zu spät sein.
Rechnet beim Businessplan ein vernünftiges Budget für den Vertrieb und auch das Marketing ein. Oft wird das Budget zu knapp berechnet, dafür aber die Verkäufe zu optimistisch geplant. Und natürlich gehört auch die Personalplanung dazu. Vertrieb und Marketing kann man, ich kann es nicht oft genug betonen, nicht nebenbei machen. Dazu mehr in Kapitel 5, Baustein 2.
Entweder ihr positioniert euch im Markt oder ihr werdet positioniert. Die Kunden stecken euch in eine bestimmte Schublade. Also beschäftigt euch bereits bei dem Unternehmensstart mit den Themen Positionierung, Alleinstellungsmerkmal und den Wettbewerbern. Wenn ihr euch zu euren Konkurrenten nicht abgrenzt, werdet ihr nicht wahrgenommen.
Vertrieb ist nicht leicht. Und richtig: Bestehende Unternehmen mit ihren Kundenbeziehungen und festgelegten Strukturen haben es einfacher. Denkt dran: Ein NEIN gehört zum Verkauf dazu. Und mal ehrlich: Wenn alle Kunden JA sagen würden, würde es auch keinen Spaß mehr machen. Aber im Ernst: Man muss im Vertrieb schon einige masochistische Züge haben. Ihr werdet euch auch mal eine blutige Nase holen. Und wenn es in die Kaltakquise geht, dann mit Sicherheit. Aufgeben ist aber keine Option, sonst könnt ihr den Laden gleich zu Anfang dichtmachen. Noch deutlicher: Dann braucht ihr gar nicht erst zu beginnen!
Wer keine Probleme löst, darf sich nicht wundern, dass sich keiner für das Angebot interessiert.
Peter Sawtschenko, Experte für Positionierung und Marktnischenstrategien
Rund 50 Prozent aller Gründungen scheitern schon in den ersten beiden Jahren. Nach drei Jahren haben 80 Prozent aufgegeben und nach mehr als fünf Jahren ist höchstens noch eins von zehn Start-ups im Rennen – das dafür aber meist mit großem Erfolg.
Doch was ist der Grund dafür? Irgendwann geht den Start-ups, egal wie innovativ sie und wie gut ihre Ideen auch sind, das Geld aus. Aber was sind die Ursachen dafür?
Bei gefühlten 95 Prozent der Start-ups ist der Vertrieb das Problem. Eigentlich interessante Geschäftsideen verschwinden wieder, weil der Vertrieb bei diesen Start-ups bei den Planungen zu wenig bedacht oder gar nicht beachtet wurde. Grund genug, sich mit der Frage zu beschäftigen: Wie komme ich an den Kunden ran?
In vielen Jahren habe ich Start-ups beraten, beobachtet und auf Workshops oder anderen Events kennengelernt. Ich habe selbst mehrfach gegründet oder mich, inzwischen vermehrt, an jungen Unternehmen beteiligt und meine Erfahrungen mit eingebracht. Ich habe viele Gründer mit guten Ideen kennengelernt, die alle den Vertrieb unterschätzt haben. Hier eine Auswahl von Aussagen, die mir in dieser Zeit untergekommen sind:
Ja, wir müssen uns demnächst mal mit dem Vertrieb beschäftigen.Wir nehmen uns zwei Handelsvertreter. Die arbeiten auf Provision. Das kostet uns nichts, nur eine Provision im Erfolgsfall.Eine gutgemachte Webseite, dann richtig SEO gemacht und dann läuft das schon. Unsere Konkurrenz hat doch keine Ahnung.Keine Angst, wir rocken das schon!Und dies ein Ausschnitt aus einem Businessplan: »Im Anhang befindet sich ein Infodeck, mit dem wir über den Stand der Dinge und unser Team informieren. Der Kapitalbedarf beläuft sich auf 200.000 Euro. Wir erwarten mit konservativer Schätzung, in Q3 2018 den Break-even zu erreichen. Bis dahin benötigen wir das Geld für weitere Entwickler, Marketing und unser eigenes Leben. Meiner Meinung nach sollte sich unser Produkt wie geschnitten Brot verkaufen. Trotzdem kann natürlich ein erfahrener Vertriebler noch einiges rausholen, vor allem wenn es um den Cold Start geht.«
Ein Businessplan ist nichts anderes als die Bündelung von Annahmen.
Prof. Günter Faltin, Unternehmensgründer und Hochschullehrer
Investoren verlangen grundsätzlich immer einen Businessplan. Der Vorteil dabei ist, dass die Gründer eine Planung für die nächsten drei Jahre erstellen. Gerade für Gründer, die noch keine betriebswirtschaftliche Erfahrung haben, ist dies sehr wichtig. Mehr als einmal habe ich gravierende Fehler in den Plänen entdeckt. Da wurden brutto und netto verwechselt, Kostenblöcke vergessen oder Zahlungsziele (die in manchen Branchen sehr lang sein können) nicht berücksichtigt. Aber ein perfekter Businessplan spiegelt eine gewisse Sicherheit vor, die trügerisch ist. Businesspläne umfassen mit den Anlagen wie z. B. den Finanzplänen oft mehr als 20 Seiten. Alles ist notiert, im Finanzplan sind selbst die Portokosten für den 36. Monat geplant. Die Gründer haben also an alles gedacht. Das wiegt Teams oft in einer trügerischen Gewissheit: Wir haben an alles gedacht, dann kann ja nichts schiefgehen. Die Erfahrung zeigt aber, dass Umsatzzahlen immer falsch und zu 99 Prozent zu optimistisch geplant sind. Umsätze kommen nicht in der gedachten Höhe, kommen wesentlich später, gehen nur in der theoretischen Planung nach oben und saisonale Umsatzschwankungen wurden nicht berücksichtigt.
Und dann gibt es noch die Start-up-Wettbewerbe. Inzwischen eine Vielzahl davon. Teilweise nur für Ruhm und Ehre, einige versprechen Sachpreise wie Büro und Beratungsleistung und einige wenige Wettbewerbe locken mit Geldpreisen und Medialeistung. Nun kenne ich einige Teams, die Wettbewerbe gewonnen und im Büro eine Wand voll mit solchen Urkunden haben. Eine trügerische und gefährliche Sicherheit.
Viele dieser Teams mussten ihr Geschäft wieder schließen. Also bitte denkt daran: Einen Start-up-Wettbewerb zu gewinnen ist eine Sache, einen Kunden zu gewinnen eine ganz andere. Ein Start-up-Wettbewerb ist etwas völlig anders als das reale Leben draußen im Feld, an der Verkaufsfront.
Warum das so ist? Zunächst ist immer die Frage, wer noch an dem Wettbewerb teilgenommen hat, wer dort eure Konkurrenten waren. Das größte Problem dürfte aber sein, dass die Jury einen ganz anderen Blick auf die Geschäftsidee hat als der potenzielle Kunde. Zum einen kennen die Juroren den Markt vielleicht nicht richtig, wissen also wenig über die Probleme der Kunden. Oder sie kennen die Konkurrenz nicht und damit auch nicht die optionale Lösung.
[23]EIN BEISPIEL
Auf einem Wettbewerb gewann ein Unternehmen und erhielt ein fünfstelliges Preisgeld sowie einen Filmbeitrag in einem regionalen Sender. Die Idee des jungen Unternehmens war es, die Viehwirtschaft zu digitalisieren. Eine sehr gute, überzeugende Idee. Die Jury war sich darüber einig, dass gerade dieser Bereich ein großes Potenzial in der Digitalisierung hat. Leider waren die potenziellen Kunden anderer Meinung und hatten kein Interesse. Einige Monate nach der Preisverleihung musste das Unternehmen, das mit einem guten und motivierten Team gestartet war, wieder schließen.
Gewonnene Wettbewerbe sind eine Auszeichnung, auf die Teams stolz sein können. Das darf aber nicht dazu führen, dass man denkt, dass es nun automatisch läuft. Nicht dass wir uns falsch verstehen: Ganz klar, ich empfehle die Teilnahme an möglichst vielen Wettbewerben. Ihr erhaltet wertvolles Feedback, ein Netzwerk zu anderen Gründern und zu Juroren und könnt von anderen Geschäftsideen lernen.
Also, rausgehen, teilnehmen und wenn ihr gewinnt, darf die Urkunde einen Ehrenplatz erhalten. Aber dann müsst ihr Gas geben, dranbleiben und vollmotiviert raus zum Kunden und Aufträge schreiben.
Die Marktforscher von CB Insights haben im November 2019 eine interessante Analyse veröffentlicht. Insgesamt wurde das Scheitern von 101 Start-ups in den USA ausgewertet. Die Verantwortlichen des Unternehmens haben offen die Gründe für das Ende ausgeführt, denn Scheitern ist dort kein Makel. Entsprechend offener geht man dort damit um. Die Ergebnisse können wir mit einigen Abstrichen sicher auf die deutsche Gründerszene übertragen. Vielleicht ist die Reihenfolge geringfügig anders. Für Start-ups ist es aber nicht relevant, ob sie an Grund siebzehn, acht oder drei scheitern. Das Ergebnis ist das gleiche.
Die komplette Studie findet ihr hier: https://www.cbinsights.com/research/Startup-failure-reasons-top.
Die 20 meistgenannten Gründe für das Scheitern eines Start-ups sind hier in einer Übersicht aufgeführt. Und damit es spannend ist, von Platz 20 zu Platz 1 inklusive meiner Anmerkungen:
Ein Problem der Gründer: Oft scheitert es an einer klaren Positionierung oder der fehlenden Vertriebsstrategie. Auch wenn die Neuausrichtung eines Start-ups zum Scheitern führen kann (siehe Grund 13), bereuen immerhin sieben Prozent der Gründer, dass sie überhaupt nicht versucht haben, ihr Unternehmen eindeutig zu positionieren.
Ich halte nichts von Gründern, die bereits vor Unternehmensstart mehrere alternative Pläne in der Schublade haben. Es zeigt sich, dass, sobald Probleme auftauchen, sofort der nächste Plan ausgepackt und versucht wird. Was ich allerdings erwarte ist, dass Gründer in der Lage sind, wenn nötig, einen Plan B zu entwickeln und diesen anzuwenden.
Vielleicht hatte der oder hatten die Gründer schlaflose Nächte, weil die Zahlen nicht stimmten. Allerdings finde ich den Wert von acht Prozent schon sehr hoch. Aber das möchte ich jetzt nicht unter die Rubrik »Fehler im Vertrieb« einordnen.
Jeder, der eine Gründung plant, sollte vorher losziehen und sich ein Netzwerk aufbauen. Geht auf jede Messe, jeden Fachkongress oder auch zu jedem Gründerevent in eurer Region. Und nehmt auch an jedem Wettbewerb teil. (Nur, wie erwähnt, überschätzt ein positives Ergebnis nicht.)