Salutogenese kennen und verstehen - Claudia Meier Magistretti - E-Book

Salutogenese kennen und verstehen E-Book

Claudia Meier Magistretti

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Beschreibung

Salutogenese ist die Wissenschaft von den Bedingungen, die Gesundheit ermöglichen, aufrechterhalten und wiederherstellen. Im Unterschied zur Pathogenese, die sich mit Ursachen von Krankheit beschäftigt, fokussiert Salutogenese die Ursachen von Gesundheit. Als Teilgebiet der Gesundheitswissenschaften gründet Salutogenese auf einer empirisch validierten Theorie von Aaron Antonovsky und verfügt über eine mittlerweile 40-jährige weltweite Forschungstradition. Mit der globalen Arbeitsgruppe zur Salutogenese innerhalb der internationalen Gesellschaft für Gesundheitsförderung (IUHPE) hat sich das Wissensgebiet zu einem Schwerpunkt in Public Health entwickelt. In diesem Werk wird die Komplexität des vorhandenen Wissens zur Salutogenese in kurzen, gut illustrierten Kapiteln dargestellt, die für verschiedene Anspruchsgruppen anschlussfähig sind und einen kompakten Überblick zu den relevanten Themen Gesundheitspolitik, Lebensqualität, Gesundheitserziehung oder psychische Gesundheit geben. Eine kurze Einführung zu den Thesen des Begründers der Salutgenese, Aaron Antonovsky, sowie ein abschließendes Kapitel zum aktuellen deutsche Forschungsstand runden das Werk ab.

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Seitenzahl: 452

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Salutogenese kennen und verstehen

Salutogenese kennen und verstehen

Claudia Meier Magistretti (Hrsg.), Bengt Lindström, Monica Eriksson

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Gesundheit

Ansgar Gerhardus, Bremen; Klaus Hurrelmann, Berlin; Petra Kolip, Bielefeld; Milo Puhan, Zürich; Doris Schaeffer, Bielefeld

Claudia Meier Magistretti

(Hrsg.)

Bengt Lindström

Monica Eriksson

Salutogenese kennen und verstehen

Konzept, Stellenwert, Forschung und praktische Anwendung

unter Mitarbeit von

Avishai Antonovsky

Sarah Auerbach

Georg F. Bauer

Orna Braun-Lewensohn

Bjarne Bruun Jensen

Goof Bujis

Soo Downe

Wolfgang Dür

Monica Eriksson

Pia Gabriel-Schärer

Orly Idan

Gregor J. Jenny

Lynne Kennedy

Bengt Lindström

Carole Lüscher-Gysi

Ruca Elisa Katrin Maass

Malka Margalit

Thomas Mattig

Claudia Meier Magistretti

Franziska Meinecke

Klaus D. Plümer

Eckhard Schiffer

Anastasia Topalidou

Lenneke Vaandrager

René Wandfluh

Felix Wettstein

Maria Zöller

mit einem Geleitwort von Ottomar Bahrs

Claudia Meier Magistretti (Hrsg.)

Hochschule Luzern, Soziale Arbeit, Werftestrasse 1, 6002 Luzern, [email protected]

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Kopien und Vervielfältigungen zu Lehr- und Unterrichtszwecken, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe AG

Lektorat Gesundheit

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel. +41 31 300 45 00

[email protected]

www.hogrefe.ch

Lektorat: Susanne Ristea, Lisa Maria Pilhofer

Bearbeitung: Christine Bier, Nußloch

Herstellung: Daniel Berger

Umschlag: Claude Borer, Riehen

Satz: punktgenau GmbH, Bühl

Format: EPUB

Kapitel 1 erschien 2010 unter dem Originaltitel “The Hitchhiker’s Guide to Salutogenesis.”

© Bengt Lindström und Monica Eriksson. Veröffentlichung nach Vereinbarung mit Bengt Lindström und Monica Eriksson.

1. Auflage 2019

© 2019 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-95768-5)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-75768-1)

ISBN 978-3-456-85768-8

http://doi.org/10.1024/85768-000

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Diese Bestimmungen gelten gegebenenfalls auch für zum E-Book gehörende Audiodateien.

Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort

Einleitung

Teil 1Grundlagen der Salutogenese

1 Von der Anatomie der Gesundheit zur Architektur des Lebens – Salutogene Wege der Gesundheitsförderung

„Von der Anatomie der Gesundheit zur Architektur des Lebens“

1.1 Einleitung – Der Ursprung Salutogenese

1.2 Der Paradigmenwechsel – Wie Menschen zu Blinden gemacht werden

1.2.1 Antonovskys Grafik der Salutogenese

1.2.2 Salutogenese-Forschung – ein globales Interesse

1.3 Vom Fluss der Gesundheit zum Fluss des Lebens

1.4 Das ursprüngliche salutogene Modell

1.4.1 Der Kohärenzsinn

1.4.2 Die generalisierten Widerstandsressourcen

1.5 Der Kohärenzsinn und der Fragebogen zur Lebensorientierung

1.5.1 Die Struktur des Kohärenzsinns

1.5.2 Eine neue Generation des SOC-Fragebogens

1.6 Gesundheitsförderung

1.6.1 Die Ottawa-Charta – ihre Geschichte, Prinzipien und Werte und ihr Bezug zur Salutogenese

1.6.2 Eine salutogene Interpretation der Ottawa-Charta

1.7 Der aktuelle Forschungsstand: globale Evidenz

1.7.1 Gesundheit und Lebensqualität

1.7.2 Gesundheitsverhalten

1.7.3 Arbeit und Gesundheit

1.7.4 Wirtschaftliche und gesundheitliche Effekte eines starken Kohärenzsinns

1.7.5 Kohärenzsinn und nicht übertragbare Krankheiten

1.7.6 Herz-Kreislauf-Erkrankungen

1.7.7 Diabetes

1.7.8 Krebs

1.7.9 Psychische Gesundheit

1.7.10 Schlussfolgerungen

1.8 Salutogenese in Forschung und Praxis

1.8.1 Kohärenzsinn und Gesellschaft

1.8.2 Kohärenzsinn, Gruppen und Individuen

1.8.3 Konsequenzen für die Forschung

1.9 Kritik der Salutogenese-Theorie

1.9.1 Psychometrische Qualität der Messinstrumente

1.9.2 Stabilität des Kohärenzsinns

1.9.3 Nicht überzeugender Zusammenhang zwischen Kohärenzsinn und körperlicher Gesundheit

1.9.4 Alternative Konzepte zur Erklärung von Gesundheit

1.10 Gesundes Lernen

1.11 Einige dem Kohärenzsinn verwandte Konzepte

1.12 Resilienz

1.13 „Flourishing“

1.14 Verbundenheit

1.15 Empowerment

1.16 Schlussfolgerungen

1.17 Die globale Arbeitsgruppe zur Salutogenese und die Gesellschaft für Salutogenese

1.18 Die Zukunft

1.19 Literatur

Teil 2Neue Entwicklungen in der Theorie der Salutogenese

2 Genesis – Über den Ursprung des Kohärenzsinns als lebenslanger Lernprozess

2.1 Einführung

2.2 Die Geschichte der Salutogenese

2.3 Herausforderungen und Risiken in der frühen kindlichen Entwicklung

2.4 Der Ursprung des salutogenen Prozesses

2.5 Abschließende Bemerkungen

2.6 Literatur

3 Sense FOR Coherence – der Sinn FÜR Kohärenz: Annäherungen an ein mögliches Konzept

3.1 Dimensionen des Sinns FÜR Kohärenz

3.2 Dimensionen klinisch orientierter Praxis

3.3 Der Sense FOR Coherence in Bildern

3.4 Sense FOR Coherence und Empathie

3.5 Annäherung an den Sinn FÜR Kohärenz

3.6 Literatur

4 Kohärenzsinn und Alltagserlebnisse

4.1 Entwicklung des Kohärenzsinns

4.2 Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit

4.3 Ressourcen, Erlebnisse und Erfahrungen

4.4 Alltag und signifikante Erfahrungen

4.5 Erfahrungen und Erwartungen

4.6 Kommunikation und Macht

4.7 Kontextualisierung und Generalisierung

4.8 Aktives Engagement mit Ressourcen

4.9 Kohärenzsinn und Alltag

4.10 Literatur

5 Gibt es (k)eine soziale Salutogenese? – Fragen an Aaron Antonovskys Konzeptualisierung des Sense of Coherence

5.1 Intermediär- oder Möglichkeitsräume

5.2 Sozialsalutogenetischer Unterricht am Artlandgymnasium Quakenbrück

5.3 Frühe sozial-salutogenetische Konzepte

5.4 Was passiert bei der Baby-Begegnung?

5.5 Literatur

Teil 3Salutogenese in Evidenzen und empirischen Befunden

6 Salutogene Arbeit und Organisation

6.1 Einleitung

6.2 Arbeitsbezogenes Kohärenzgefühl

6.3 Arbeitsressourcen, Arbeitsbelastungen und Gesundheit

6.4 Salutogene Organisationen

6.5 Diskussion

6.6 Literatur

7 Salutogenese in Gemeinden und Quartieren

7.1 Einleitung

7.2 Gesunde Gemeinden und Salutogenese

7.3 Aktuelle Literatur zu Salutogenese, Gemeinde und Nachbarschaft

7.4 Gemeinde als Ortschaft

7.5 Gemeinde als sozialer Lebensraum

7.6 Gemeinde als Gemeinschaftshandeln

7.7 Salutogen orientierte Interventionen in Gemeinden

7.8 Herausforderungen für die Zukunft

7.9 Literatur

8 Salutogenese: Der Kohärenzsinn in der Kindheit und in Familien

8.1 Einleitung

8.2 Die Umgebung des Kindes: Familie, Schule, Peers und Gemeinde

8.2.1 Kohärenzgefühl im Vorschulalter

8.2.2 Kohärenzgefühl im Grundschulalter

8.2.3 Familienmerkmale und kindlicher Kohärenzsinn

8.2.4 Familien von Kindern mit besonderen Bedürfnissen

8.3 Der Kohärenzsinn als Prädiktor für Gesundheit und Gesundheitsverhalten

8.4 Elterlicher Kohärenzsinn und Kindergesundheit

8.5 Interventionsprogramme zur Förderung der Gesundheit von Kindern

8.6 Schlussfolgerungen und zukünftige Forschungsrichtungen

8.7 Literatur

Teil 4Salutogenese in der Praxis der Gesundheitsförderung

9 Salutogenese in der (inter-)nationalen Gesundheitspolitik: Der Kohärenzsinn – ein politischer Sinn?

9.1 Beispiel Schweiz

9.2 Vision und Pragmatismus

9.3 Kohärenz als gesellschaftlicher Wert

9.4 Literatur

10 Die Zukunft gebären: Salutogenese in Mutterschaft und früher Kindheit

10.1 Salutogenese und Geburtshilfe

10.2 Die Gefahr, Salutogenese als „alles, was positiv ist“ zu betrachten

10.3 Aktuelle Geburtshilfe und die Kraft des Positiven

10.4 Die Theorie der Salutogenese in der Geburtshilfeforschung

10.5 Salutogene Geburtshilfe als Grundlage für Mitgefühl in der Gesellschaft?

10.6 Wie kann salutogene Geburtshilfe umgesetzt werden?

10.7 Fazit

10.8 Literatur

11 Salutogenese und Soziale Arbeit – Gemeinsamkeiten und Lernfelder

11.1 Soziale Arbeit und Gesundheitsförderung

11.2 Historische Bezüge und aktuelle Trennungen

11.3 Getrennt-parallele Entwicklungen

11.4 Konzeptionelle Bezüge

11.5 Ein Beispiel zu Bezügen in der Praxis

11.6 Was Soziale Arbeit und Salutogenese voneinander lernen können

11.7 Literatur

12 Salutogenese in Coachinggesprächen im Bereich Stress

12.1 Literatur

Teil 5Salutogenese und Bildung

13 Salutogenese in Schulen

13.1 Die gesundheitsfördernde Schule

13.2 Salutogenese und Schule

13.3 Studien zum Zusammenhang von Schule, SOC und Gesundheit von Jugendlichen

13.4 Gesundheitsfördernde Schulen und eine salutogene Orientierung: Interventionen

13.5 Gesundheitsfördernde Schule, Lernen und Gesundheit von Jugendlichen

13.6 Diskussion und Zusammenfassung

13.7 Zukünftige Herausforderungen

13.8 Literatur

14 Salutogenese als Thema der Hochschulbildung

14.1 Wissen – reflektieren – weiterentwickeln

14.2 Salutogenese: das Modell im Überblick

14.2.1 Reflexionen zu Salutogenese

14.2.2 Weiterentwicklungen zur Salutogenese

14.3 Verwandte Konzepte von Salutogenese als Themen der Hochschulbildung

14.4 Literatur

15 „Salutogenes Gestaltungspotenzial“ in der dualen Ausbildung in Deutschland – Anregungen für die Ausbildungspraxis

15.1 Berufliche Bildung in Deutschland

15.2 Das Modell der Salutogenese

15.3 Der ordnungspolitische Rahmen dualer Ausbildung als „salutogenes“ Fundament (Systemebene)

15.4 Das „Doppel-Setting“ der Lernorte Betrieb und Berufsschule als Chance für Gesundheitsförderung (institutionelle Ebene)

15.5 Der Lehr-/Lernprozess als Ansatzpunkt zur Entwicklung eines guten Kohärenzsinns (Akteursebene)

15.6 Offene Fragen

15.7 Zusammenfassung und Ausblick

15.8 Literatur

16 Salutogenese aus der Sicht von Studierenden: lernen, salutogen zu arbeiten

16.1 Salutogene Arbeitsinstrumente zur Verfügung stellen

16.2 Salutogene Umgebung schaffen

16.3 Salutogenes Arbeiten ermöglichen

16.4 Theorie und Praxis der Salutogenese vermitteln

16.5 Salutogenes Lernen ermöglichen

16.6 Merkmale salutogener Ausbildung

16.6.1 Verstehbarkeit: Wie beginnen Studierende und Mitarbeiterinnen, die Salutogenese zu verstehen?

16.6.2 Handhabbarkeit: Wie wird die Salutogenese praktisch handhabbar?

16.6.3 Bedeutsamkeit: Warum und wie ist Salutogenese bedeutsam geworden?

16.7 Literatur

Teil 6Salutogenese und ihre Menschen

17 Aaron Antonovsky, der Wissenschaftler und Mensch hinter der Salutogenese

17.1 Einführung

17.2 Rebellion und die Bedeutung von Fragen

17.3 Wärme und Ungezwungenheit vs. Strenge, Genauigkeit und akademischer Anspruch

17.4 Der Aufbau der medizinischen Fakultät und der „Geist von Beer Sheva“

17.5 Neue Horizonte

17.6 Literatur

18 Rezeption des Salutogenese-Konzeptes: Beiträge aus Deutschland

18.1 Einführung

18.2 Literatur

19 Salutogenese – Forschung in der deutschsprachigen Schweiz

19.1 Salutogenese als Forschungsfeld im deutschsprachigen Teil der Schweiz

19.2 Gesundheit am Arbeitsplatz

19.3 Salutogenese in der medizinischen Forschung

19.4 Salutogenese in der Forschung zur Gesundheitsförderung

19.5 Salutogene Forschung in Psychiatrie und Psychotherapie

19.6 Zukunftsperspektiven

19.7 Literatur

Über die Herausgeberin, die Autorinnen und Autoren

Herausgeberin

Autoren des „Hitchhiker’s Guide to Salutogenesis“(in diesem Buch Kapitel 1)

Autorinnen und Autoren

Sachwortverzeichnis

Geleitwort

Ottomar Bahrs

„Wie entsteht Gesundheit?“ Diese einfach wirkende Frage, von Aaron Antonovsky vor gut 40 Jahren aufgeworfen, birgt das Potential für einen Paradigmenwechsel. Sie verortet Gesundheit und Krankheit im lebenslangen Bildungsprozess der jeweiligen Menschen und ihrer Umwelten und ist damit transdisziplinär. Sie steht quer zur überlieferten Rollenaufteilung in Helfende und Hilfsbedürftige und zeigt auf, dass wir alle immer schon „Agenten“ (Walach & Loughlin, 2018) sind. Dementsprechend begleitet uns diese Frage kulturübergreifend über unser gesamtes Leben und findet spezifische und individuelle Antworten.

Antonovskys Frage fiel auf fruchtbaren Boden in einer Zeit, in der medizinkritisches Denken als Teil gesellschaftlicher Emanzipationsbewegungen wirksam war (Lindström & Eriksson, 2019). Obgleich die Anregung in vielen Disziplinen aufgegriffen wurde, ist der Paradigmenwechsel bislang noch nicht realisiert. Thomas Kuhn folgend ist dies nicht überraschend, reichen doch Argumente allein nicht aus für grundlegende Veränderungen systembeherrschender Denk- und Handlungsmuster (Kuhn, 1976). Es braucht eine Vielzahl von einander wechselseitig bestätigenden und stützenden empirischen Ergebnissen, und das neue Leitkonzept muss sich zudem zur Lösung von Problemen anbieten, die mit den überlieferten Methoden nicht mehr beherrschbar erscheinen. Eines dieser Probleme ist die Zunahme chronischer Erkrankungen, ein anderes deutet sich mit Klimaveränderungen an. Beides verweist auf einen substanziellen Raubbau im Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur. Gefordert ist eine Neuorientierung im Sinne eines ressourcenorientierten Denk- und Handlungsansatzes. Insofern erscheint das hier vorgelegte Buch „Salutogenese kennen und verstehen“ zur rechten Zeit.

Salutogenese kennen und verstehen – was kann das heißen?

Zunächst geht es um eine Einführung in das von Antonovsky entwickelte theoretische Konzept, wie Gesundheit eigentlich entsteht mit den zentralen Dimensionen des Kohärenzgefühls/-sinns, der Generalisierten Widerstandsressourcen, dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum und dem Verständnis von Gesundheit als lebenslangem Lernprozess. Dazu gehört auch die besondere Aufmerksamkeit für und Wertschätzung von „positiv abweichenden Fällen“, Entwicklungsverläufen also, die wider alle Erwartungen als gelungen bewertet werden und durch deren Verständnis das Regelwissen systematisch erweitert werden kann.Weiterhin meint Salutogenese einen Realprozess, der immer schon stattfindet und dem wir uns gedanklich mit theoretischen Modellen annähern. Salutogenese ist auch eine Selbstordnungsleistung eines gegebenen Systems, ist auch Auto-Salutogenese (Bahrs & Matthiessen, 2007).Mit Lindström & Eriksson kann Salutogenese als „umbrella“ für eine Reihe ressourcenorientierter Theorien verstanden werden (Lindström & Eriksson, 2019).Weitergehend kann Salutogenese auch eine wertschätzende Haltung meinen, die im Sinne eines Empowerments auto-salutogene Prozesse unterstützt.Schließlich gilt Salutogenese als Leittheorie der Gesundheitsförderung, die strukturanalog zur Ottawa-Charta angelegt ist und auch etwa gleichzeitig entstanden ist (Lindström & Eriksson, 2019).

Das Buch bietet nicht nur eine gut lesbare Einführung in die zentralen Denkfiguren Aaron Antonovskys, sondern ordnet diese auch in der Landschaft ressourcenorientierter Konzepte ein, zeigt wesentliche Tendenzen in Rezeption und Weiterentwicklung auf und liefert Hinweise auf eine Vielzahl internationaler empirischer Studien aus unterschiedlichen Handlungsfeldern, die – ganz überwiegend – die Grundüberlegungen untermauern. Weil diese Arbeiten im deutschen Sprachraum wenig wahrgenommen werden und auch nicht leicht zugänglich sind, kann mit diesem Buch eine Lücke gefüllt werden. Bei einigen Texten handelt es sich um Überarbeitungen und Übersetzungen von Kapiteln aus dem 2017 erschienenen „Handbook of Salutogenesis“ (Mittelmark et al., 2017), so dass interessierte Leserinnen und Leser zu diesem Standardwerk geleitet werden. Weiterhin sind auch eigens für dieses Buch produzierte Texte aus dem deutschen Sprachraum aufgenommen worden, so dass Aspekte der hier vorfindbaren Diskussion sichtbar werden.

Das Buch akzentuiert in besonderer Weise settingbezogene Ansätze sowie Bildungsprozesse. Dies entspricht dem Plädoyer vieler beteiligter Autoren, die Herstellung von Gesundheit als sozialen Prozess zu begreifen, der nicht von Individuen allein verantwortet werden kann und alle gesellschaftlichen Bereiche umfasst. Es ist daher nur konsequent, dass das Konzept der Salutogenese den engeren Rahmen des Gesundheitssystems überschreitet und auch zu einem Leitkonzept in den Bildungswissenschaften und der Sozialen Arbeit wird. Gleichwohl würde ich mir wünschen, dass die Salutogenese eine ähnlich zentrale Stellung auch in der Medizin erhalten könnte, wo sie sich z.B. als gedanklicher Organisator der Professionsentwicklung anbieten würde (Petzold & Bahrs, 2018).

Einer der Begründer des biopsychosozialen Modells von Gesundheit und Krankheit, George Engel, hat formuliert, dass grundlegende Bedürfnisse von Menschen darin bestehen, „zu erkennen und zu verstehen (sowie) erkannt und verstanden zu werden“ (Engel, 1996:8). Erkennen und verstehen hat demnach zentral eine motivationale Komponente, was Antonovsky ganz entsprechend mit der besonderen Gewichtung der Dimension der Bedeutsamkeit/Sinnhaftigkeit betont. Bemerkenswerterweise findet dies auch in der Konzipierung von „Salutogenese kennen und verstehen“ seinen Ausdruck. In dem Beitrag einer Studierenden beispielsweise wird spürbar, wie eine salutogene Orientierung gleichsam ansteckend wirkt und die Herzen erreicht. Zudem leiten Claudia Meier Magistretti, Bengt Lindström und Monica Eriksson die Leserinnen und Leser systematisch zu in salutogener Perspektive handelnden Menschen hin.

Insgesamt wird deutlich, dass eine salutogene Orientierung langfristig eine menschlichere, gesündere und auch kostengünstigere Alternative zur herrschenden Praxis darstellt. Mit der Anregung, den Kohärenzsinn als politischen Sinn zu begreifen, wird die Perspektive einer in salutogener Perspektive erfolgenden Gesamtpolitik entworfen und erste hoffnungsvolle Ansätze in der Schweiz skizziert. Ich wünsche dem Buch Erfolg und eine breite, engagierte Leserinnen- und Leserschaft.

Literatur

Bahrs, O. & Matthiessen, P.F. (Hrsg.). (2007). Gesundheitsfördernde Praxen – Die Chancen einer salutogenetischen Orientierung in der hausärztlichen Praxis. Bern: Verlag Hans Huber.

Engel, G.L. (1996). Wie lange noch muss sich die Wissenschaft der Menschen auf eine Weltanschauung aus dem 17. Jahrhundert stützen? In T. von Uexküll et al., Psychosomatische Medizin (S. 3–11). München: Urban & Schwarzenberg.

Kuhn, T.S. (1976). Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Lindström, B. & Eriksson, M. (2019). Von der Anatomie der Gesundheit zur Architektur des Lebens – Salutogene Wege der Gesundheitsförderung, In C. Meier-Magistretti, B. Lindström & M. Eriksson (Hrsg.). Salutogenese kennen und verstehen (S. 25–107). Bern: Hogrefe.

Mittelmark, M.B., Sagy, S., Eriksson, M., Bauer, G.F., Pelikan, J.M., Lindström, B. & Espnes, G.S. (Eds.). (2016). The Handbook of Salutogenesis. Cham: Springer.

Petzold, T.D. & Bahrs, O. (2018). Beiträge der Salutogenese zu Forschung, Theorie und Professionsentwicklung im Gesundheitswesen. In M. Jungbauer-Gans & P. Kriwy (Hrsg.), Handbuch Gesundheitssoziologie (S. 1–28). Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06477-8_5-1

Walach, H. & Loughlin, M. (2018). Patients and agents – or why we need a different narrative: a philosophical analysis. Philosophy, Ethics, and Humanities in Medicine 13:13. https://doi.org/10.1186/s13010-018-0068-x

Einleitung

Claudia Meier Magistretti

Salutogenese ist die Wissenschaft von den Bedingungen, die Gesundheit ermöglichen, aufrechterhalten und wiederherstellen. Im Unterschied zur Pathogenese, die sich mit Ursachen von Krankheit beschäftigt, fokussiert Salutogenese die Ursachen von Gesundheit. Dieses Gebiet der Gesundheitswissenschaft gründet auf der Theorie der Salutogenese von Aaron Antonovsky, die inzwischen mehrheitlich empirisch validiert ist und über eine mittlerweile mehr als 40-jährige Tradition weltweiter Forschung verfügt. Mit der globalen Arbeitsgruppe zur Salutogenese der internationalen Gesellschaft für Gesundheitsförderung (IUHPE) hat sich das Wissensgebiet zu einem Schwerpunkt in Public Health mit Lehrstühlen für Salutogenese, früher an der Universität Trondheim in Norwegen, heute unter anderem mit dem Zentrum für Salutogenese an der Universität Zürich, entwickelt.

Im deutschen Sprachraum wurde die Theorie der Salutogenese in den 1990er-Jahren breit rezipiert. Seither sind vorwiegend themenspezifische Bücher zu einzelnen Fragestellungen oder Anwendungsgebieten erschienen. Es fehlt ein aktualisiertes umfassendes Grundlagenwerk zur Salutogenese, welches Theorie, Empirie und Praxis auf dem gegenwärtigen Wissensstand zusammenfassend darstellt und neue Entwicklungen aufzeigt. Diese Lücke soll das vorliegende Buch schließen.

Das Buch richtet sich sowohl an wissenschaftlich interessierte Leserinnen und Leser als auch an Fachpersonen der Praxis, Studierende und Dozierende im interdisziplinären Feld der Gesundheitsförderung. Es soll informieren, Orientierung geben und anregen, vor allem aber auch ermutigen: Als ich als junge Studentin Aaron Antonovsky bei einem Referat am Gesundheitsförderungskongress in Berlin zuhörte, war ich begeistert, beeindruckt und fühlte mich am Tor zu einer neuen Welt. Ich ging auf Aaron Antonovsky zu und fragte ihn, wo ich das, worüber er gesprochen habe, lernen könne. Antonovsky antwortete mit einem Lächeln: „Sie sollen nicht lernen. Nehmen Sie die Theorie und entwickeln Sie sie weiter“. Das zu tun (und zu wagen), wünschen wir allen, die dieses Buch lesen. Damit soll keiner beliebigen Ratgeberrezeption das Wort geredet werden, in der „alles, was gut ist, auch Salutogenese ist und umgekehrt“ (wie Soo Downe in Kapitel 10 kritisch bemerkt), sondern eine fundierte, wissenschaftsbasierte und praxisbezogene Auseinandersetzung in vielfältigen Forschungs- und Praxisfeldern angeregt werden. Dafür enthält das vorliegende Buch Beiträge von Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie deutsche Übersetzungen und Bearbeitungen von internationalen Übersichtskapiteln aus dem 2016 erschienen Internationalen Handbuch zur Salutogenese zu folgenden Themengebieten:

Teil 1: Von der Anatomie der Gesundheit zur Architektur des Lebens

Herzstück und erster Teil dieses Buches ist die aktualisierte deutsche Übersetzung des „Hitchhiker’s Guide to Salutogenesis“ von Bengt Lindström und Monica Eriksson. Das Buch ist 2010 in Englisch1 erschienen und inzwischen ins Spanische (2011)2, Französische (2012)3, Norwegische (2015)4 und Italienische (2018)5 übersetzt worden. Das Buch verdichtet die Komplexität des vorhandenen Wissens zur Salutogenese in kurze Kapitel und spricht eine große Breite von Themen an. Es bietet einen kompakten Überblick zu Theorie, Empirie, Methodik und Praxis der Salutogenese. Dazu fasst es grundlegende Studien und aktuelle Evidenzen nach themenspezifischen Schwerpunkten (z.B. psychische Gesundheit) zusammen und stellt systematische Bezüge her zur Praxis der Gesundheitspolitik, zu Grundlagen der Ottawa-Charta, zu Konzepten der Lebensqualität und der Chancengerechtigkeit. Es nimmt Abgrenzungen vor zu verwandten Ansätzen wie z.B. der Resilienz und beleuchtet auch ausführlich kritische Punkte des Salutogenese-Ansatzes und dessen Einbettung in aktuelle wie zukünftige Entwicklungen und Problemlagen der Gesundheitsförderung. Für die deutsche Übersetzung haben Bengt Lindström, Monica Eriksson und Claudia Meier Magistretti wesentliche Teile des englischen Originals überarbeitet, aktualisiert und ergänzt.

Teil 2: Neue Entwicklungen in der Theorie der Salutogenese

Der zweite Teil in „Salutogenese kennen und verstehen“ bietet einen Einblick in die Weiterentwicklung der Theorie der Salutogenese aus der Perspektive verschiedener Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Disziplinen. Hier werden neue Fragestellungen adressiert, welche die Entstehung des Kohärenzsinns und dessen Genese in der frühen Kindheit, im Lebenslauf und (im Zusammenhang mit den generalisierten Widerstandsressourcen) im Alltag darstellt. Daneben werden neue Konzepte skizziert, welche die Bedeutung der sozialen Gesundheit in der Theorie der Salutogenese und die Fähigkeit von Fachpersonen der Praxis thematisieren, die zur Stärkung des Kohärenzsinns beitragen.

Teil 3: Salutogenese in Evidenzen und empirischen Befunden

2016 ist das erste internationale Handbuch zur Salutogenese6 erschienen, das unter anderem die bisher nur disperse und schwierig zugängliche europäische Forschungsliteratur in deutscher Sprache aufgearbeitet und die internationale Evidenz aktualisiert hat. Der dritte Teil des vorliegenden Buches enthält überarbeitete Kurzversionen ausgewählter Kapitel aus dem „The International Handbook of Salutogenesis“ von Mittelmark et al. (2016) in deutscher Sprache, die jeweils den aktuellen Forschungsstand in unterschiedlichen Settings (Organisationen, Gemeinden, Quartieren und Familien) wiedergeben.

Teil 4: Salutogenese in der Praxis der Gesundheitsförderung

Lange war die praktische Umsetzung und Anwendung der sehr zahlreichen empirischen Befunde zur Salutogenese lediglich ein Postulat. In der englischen Originalfassung des „Hitchhiker’s Guide to Salutogenesis“ schrieb Bengt Lindström: „Wir hoffen, dass die Forschungsergebnisse noch vermehrt in der Praxis umgesetzt werden“. Das ist inzwischen in vielen Gebieten und auf unterschiedlichen Ebenen geschehen, wie der vierte Teil dieses Buches zeigt. Hier befassen sich Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Praxisfeldern mit der wissenschaftsbasierten salutogenen Praxis in der Gesundheitspolitik, in der Geburtshilfe, in der sozialen Arbeit und in der Beratungstätigkeit. Diese Kapitel sind über die spezifischen Arbeitsfelder hinaus relevant, weil sie grundsätzlich aufzeigen, wie salutogene Praxis gestaltet und geschaffen werden kann.

Teil 5: Salutogenese und Bildung

Teil 5 dieses Buches befasst sich mit Salutogenese und Bildung und betritt damit – auch im internationalen Kontext betrachtet – teilweise Neuland. Während Salutogenese in Schulen bereits ein etabliertes Thema der Salutogenese-Forschung ist, sind die Übertragung der Theorie der Salutogenese in die Hochschullehre und in die Berufsbildung ebenso neu wie die Darstellung eines salutogenen Lernprozesses aus der Perspektive einer Studierenden. Hierzu finden sich Kapitel von Autoren und Autorinnen aus Deutschland und aus der Schweiz, die wichtige Anregungen zu Innovationen bieten.

Teil 6: Die Salutogenese und ihre Menschen

Die Salutogenese, die bahnbrechend neue Paradigmen begründet und initiiert hat, verdanken wir letztlich den überlebenden Frauen des Holocaust in Israel. Wir verdanken sie aber auch Aaron Antonovsky, der die Außergewöhnlichkeit dieser Frauen, ihrer Geschichten, ihrer Leistungen und ihrer Gesundheitsbiografien erkannt, gewürdigt, zutiefst ernst genommen und sie zum Ausgangspunkt für seine Theorie der Salutogenese gemacht hat. Dass Antonovsky deswegen geachtet und verehrt wird, gebührt ihm. Die Ansätze des Personenkultes, die sich in simplifizierenden Rezeptionen seiner Theorie und Arbeit zuweilen finden, wären ihm aber sicherlich zutiefst zuwider gewesen. Dies zeigt das Kapitel zu Antonovskys Leben und Werk, das wir seinem Sohn, Avishai Antonovsky, verdanken. Er zeigt darin – gestützt auf viele Gespräche mit Aaron Antonovskys Studierenden, Mitarbeitenden, Weggefährten und Kolleginnen – wie Antonovskys wissenschaftliche Tätigkeit mit seiner Person verbunden und von ihr geprägt war. Die weiteren Kapitel dieses Buchteils bezwecken, Einsteigenden, Interessierten und Studierenden die historischen und aktuellen Entwicklungen der Salutogenese-Forschung im deutschen Sprachraum aufzuzeigen und als „Who is who“ in der Salutogenese-Forschung Vernetzungen zu erleichtern.

Wie jedes Buch ist auch dieses nur dank den Beiträgen vieler Menschen entstanden. An dieser Stelle geht mein besonderer Dank an:

Bengt Lindström für die gemeinsame Konzeption des Buches,Bengt Lindström und Monica Eriksson für ihr Vertrauen in die Übersetzungsarbeit, ihre Mitarbeit bei der Aktualisierung und Überarbeitung des „Hitchhiker’s Guide to Salutogenesis“ und für die vielen bereichernden Begegnungen und Gespräche entlang dieses Buches,Den Autorinnen und Autoren der deutschen Kapitel, die bereit waren, ihre Studien, Konzepte, Gedanken und Ideen in konzentrierte kurze Kapitel zu verdichten sowie den Verfasserinnen und Verfassern der übersetzten Kapitel, welche die Mühe auf sich genommen haben, die Kurzfassungen auf Deutsch oder in der Rückübersetzung zu prüfen und zu autorisieren,Jürgen Stremlow für die Ermöglichung des Buchprojekts, Sarah Auerbach und Miro Velgo für die Unterstützung bei der Übersetzungsarbeit sowie Marianne Müller, Valentin Ender und Michael Mikolasek für die Mithilfe bei der Schlussredaktion,und ganz besonders Hans Magistretti für seine unermüdliche Geduld, die liebevolle Begleitung (auch) dieses Projekts und dafür, dass er der erste kritische Leser meiner Manuskripte war.

Luzern und Bern, im Sommer 2019

Claudia Meier Magistretti

1 Lindström, B. & Eriksson, M. (2010). The Hitchhiker’s Guide to Salutogenesis. Salutogenic pathways to health promotion. Helsinki.

2 Lindström, B. & Eriksson, M. (2011). Guia del autoestopista salutogénico: camino salutogénico hacia la promocion de la salud. Documenta Universitaria.

3 Lindström, B. & Eriksson, M. (2012). La Salutogenèse. Petit guide pour promouvoir la santé. Les Presses de l’Université Laval.

4 Lindström, B. & Eriksson, M. (2015). Haikerens guide til salutogenese, helsefremmende arbeid i et salutogent perspektive. Gylendal, Oslo.

5 Lindström, B. & Eriksson, M. (2018). Salutogenesis. Und guida per promuovere la salute. A cura di Guiseppe M. Masanotti. Cultura e salute editore, Perugia.

6 Mittelmark, M.B., Sagy, S., Eriksson, M., Bauer, G., Pelikan, J.M., Lindström, B. & Espnes, G.A. (Eds.). (2016). The International Handbook of Salutogenesis. Berlin, Heidelberg: Springer. http://www.springer.com/de/book/97833190459

Teil 1Grundlagen der Salutogenese

1 Von der Anatomie der Gesundheit zur Architektur des Lebens – Salutogene Wege der Gesundheitsförderung

Bengt Lindström und Monica Eriksson

Übersetzung von Claudia Meier Magistretti7

Salutogenese ist ein Prozess der Bewegung in Richtung Gesundheit auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum.

(Aaron Antonovsky, 1993e)

Salutogenese ist eine führende akademische Bewegung, die menschliche Stärken betont und nicht deren Schwächen, menschliche Fähigkeiten und nicht nur deren Grenzen, Wohlbefinden und nicht nur Krankheit.

(Maurice Mittelmark, 2008)

„Von der Anatomie der Gesundheit zur Architektur des Lebens“

Dieses Kapitel ist die deutsche Übersetzung des Buches „The Hitchhiker’s Guide to Salutogenesis“, das zuerst 2010 in englischer Sprache publiziert wurde. Es folgten Übersetzungen ins Spanische und Katalanische (2011), ins Französische (2012), Norwegische (2015) und Italienische (2018). Die vorliegende deutsche Übersetzung stellt eine aktualisierte und überarbeitete Version des englischen Originals dar. Der ursprüngliche Aufbau des Buches, der sich eng an Antonovskys eigenen Erklärungen der Salutogenese orientiert, wurde beibehalten.

Das folgende Kapitel ist eine umfassende Erklärung von Antonovoskys Theorie der Salutogenese und seine Antwort auf die Frage: „Wie entsteht Gesundheit?“ Anders als viele Bücher, die Gesundheit aus der Perspektive der Krankheit oder aus pathologischer Sicht beleuchten, fokussiert dieses Buch darauf, wie Gesundheit selbst entsteht und wie sie aufrechterhalten wird.

Antonovskys erste Entdeckung gründete auf einer Studie zum Verlauf der Menopause bei Frauen, die in ihrer Biografie extreme Stresserfahrungen erlebt hatten, aber dennoch imstande waren, mit dem Leben zurecht zu kommen und ihr Leben zu meistern. Gestützt auf diese Entdeckung begann Antonovsky die Frage nach dem „Warum?“ zu verfolgen. Er publizierte zwei Bücher zur Salutogenese (1979 und 1987), aber zu jener Zeit war die Evidenzbasierung der Salutogenese-Theorie noch nicht sehr verbreitet. 2007 verfasste Monica Eriksson in ihrer Dissertation (in Anlehung an Antonovskys Buch trug sie den Titel „Unraveling the Mystery of Salutogenesis“, „Das Geheimnis der Salutogenese lüften“) eine systematische Übersicht zur globalen Evidenzbasis der Salutogenese und zu den methodisch-wissenschaftlichen Eigenschaften ihres Messinstruments. Dieses Wissen finden Sie synthetisiert und aktualisiert in diesem Kapitel. Darüber hinaus enthält es Antonovskys Ausführungen zur Salutogenese und zum Konzept des Kohärenzsinns. Ein Unterkapitel widmet sich dem Vergleich mit anderen, ähnlichen Konzepten. Beispiele zur praktischen Umsetzung der salutogenen Orientierung und Denkweise werden ebenso dargestellt wie neue Evidenzen aus aktuellen Studien.

Der „Hitchhiker’s Guide to Salutogenesis“, hier mit dem Titel „Von der Anatomie der Gesundheit zur Architektur des Lebens“, ist das erste Buch, welches versucht, die ganze Reichweite der Salutogenese von der Theorie über die Empirie bis zur Praxis zu umreißen.

1.1 Einleitung – Der Ursprung Salutogenese

„Wie entsteht Gesundheit?“ Diese einfache Frage warf Aaron Antonovsky vor über 30 Jahren auf. Es wurde ein Wendepunkt in der Geschichte der Gesundheitsforschung.

Ende der 1970er-Jahre wurde das Salutogenese-Konzept von Aaron Antonovsky, einem an Stresstheorie interessierten Medizinsoziologen, eingeführt. Er führte eine klassische epidemiologische Studie über Effekte der Menopause auf Frauen durch, die in ihrem Leben extremen Stress erfahren hatten. Einige von ihnen hatten den Holocaust überlebt. Verglichen mit der Kontrollgruppe waren die meisten dieser Frauen viel stärker von Stress betroffen und sie zeigten mehr Symptome in der Menopause. Es gab jedoch eine kleine Gruppe von Frauen, die trotz dieser extremen negativen Lebenserfahrungen das Leben ebenso gut meisterten wie die durchschnittlichen Frauen der Kontrollgruppe (Antonovsky, 1979). Hätte Antonovsky diese Ergebnisse ignoriert und sie als nicht signifikant im statistischen Sinn angesehen, würden wir vermutlich ohne die Salutogenese dastehen, dieser völlig neuen Sichtweise auf Gesundheit, die nach dem Ursprung der Gesundheit fragt. Stattdessen war er fasziniert: Wie war es all diesen Menschen, die solche extremen Bedingungen wie den Holocaust erlitten hatten, möglich, weiterhin fähig zu sein zu lieben, ein alltägliches Leben weiterzuführen, gute soziale Beziehungen zu schaffen, ihre Kinder zu erziehen und mit Familie und Arbeit wie andere fertig zu werden? Anders als zu erwarten gewesen wäre und anders als die Mehrheit der Frauen in dieser Gruppe hatten sie kein schwer dysfunktionales Leben. Antonovsky sagte: „Wäre es nur eine Frau gewesen, es wäre dennoch wichtig herauszufinden, warum!“ Die Frauen wurden ausführlich befragt. Auf der Grundlage einer qualitativen Analyse der Ergebnisse aus den Tiefeninterviews schuf Antonovsky einen neuen theoretischen Rahmen für Gesundheit, die Salutogenese, und darin sein Konzept des Kohärenzsinns (Sense of Coherence, SOC). Weiter konstruierte er ein Instrument, um dieses Phänomene zu untersuchen: den Fragenbogen zur Lebensorientierung.

Abbildung 1-0: Aaron Antonovsky

Abbildung 1-1: Beschreibung der Basisstichprobe aus der Menopause-Studie mit Frauen in Israel. Übersetzung von Claudia Meier-Migretti.

Aaron Antonovsky

Kurz vor seinem plötzlichen vorzeitigen Tod traf er Schlüsselpersonen der neuen Gesundheitsförderungsbewegung, um zu diskutieren, was die Gesundheitsförderung aus dem Salutogenese-Konzept gewinnen könnte. Die Schlussfolgerungen wurden nach seinem Tod veröffentlicht und damit in gewisser Weise zu seinem Testament an die neue Gesundheitsförderungsbewegung (Antonovsky, 1996). Bereits zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die Salutogenese einen soliden theoretischen Rahmen für die Gesundheitsförderung bilden könnte – etwas, das dringend erforderlich war, weil die Gesundheitsförderung Mühe hatte, sich umzuorientieren und sich wirklich auf Gesundheit auszurichten. Trotz der Werte und Prinzipien der Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation (WHO, 1986a) fuhr die Forschung zu Public Health und zur Gesundheitsförderung fort, sich wie zuvor weiterhin hauptsächlich auf Gesundheitsrisiken und auf das Verständnis von Krankheitsursachen zu konzentrieren. Antonovsky suchte etwas völlig Anderes. Kurz vor seinem Tod bemerkte Antonovsky, dass das Konzept der Salutogenese ohne Referenz zu ihm verwendet wurde. Mit seinem großen Sinn für Humor war er erfreut darüber und kicherte: „Jetzt weiss ich, dass die Salutogenese lebt und ein Leben aus sich selbst hat, auch ohne mich.“

Wir hatten das Glück, das Salutogenese-Konzept noch mit Antonovsky persönlich und ausführlich diskutieren und seinem Unterricht und seiner Forschung eine Zeitlang folgen zu können. 1995 begannen wir mit der Forschung, mit internationalen Doktoratskolloquien und Ausbildungskursen zur Salutogenese. Mit Blick auf die Literatur nach Antonovsky merkten wir bald, dass das Forschungsfeld eher verstreut und unkontrolliert war. Weiter gab es viele Fehlinterpretationen, woraus irreführende Schlussfolgerungen und einige ziemlich unkritische Entwürfe zur weiteren Forschung folgten. Niemand hatte sich bis dahin ernsthaft hingesetzt, um eine systematische Analyse des Forschungsbereichs als Ganzes vorzunehmen. Dies wurde unser Auftrag. Der erste Schritt dazu wurde 2007 abgeschlossen, als die Ergebnisse in einem Buch vorgestellt wurden, das auch als Doktorarbeit verteidigt wurde (Eriksson, 2007).

Dies war wertvoll, denn wir waren in der Lage, eine erste systematische Übersicht zu geben, die Einzelteile zusammenzufügen, das Ganze in ein Gesamtbild zu setzen und Schlussfolgerungen zu ziehen, die niemand vorher gemacht hatte. Auch wenn es nur der Anfang ist, haben wir jetzt überzeugende Beweise, dass Gesundheitsförderung wirksam sein kann, wenn sie methodisch auf dem Salutogenese-Konzept beruht (Eriksson & Lindström, 2005, 2006, 2007, 2008). Menschen und Systeme, die den Salutogenese-Ansatz anwenden, können Bevölkerungen und Individuen entwickeln helfen, die länger leben, sich gesünder verhalten und die, wenn sie von akuter oder chronischer Krankheit betroffen sind, Stress besser aushalten und besser mit der Krankheit zurechtkommen. Weiter leben sie (vergleichsweise) subjektiv gesünder, bewerten ihre Lebensqualität positiver und fühlen sich psychisch gesünder.

Im Jahr 2007 bat uns die Internationale Gesellschaft für Gesundheitsförderung und Gesundheitserziehung (IUHPE), die globale Arbeitsgruppe zur Salutogenese zu gründen. Seither haben wir die systematische Analyse fortgesetzt, und wir haben eine neue Website installiert, in der Forschende aus aller Welt sich registrieren können und die Ergebnisse der laufenden Forschungen auf dem Gebiet der Salutogenese weltweit einsehen können. Diese Website wurde inzwischen aus technischen und aus organisatorischen Gründen geschlossen und durch das neue Web-Portal der STARS-Society ersetzt, die 2017 gegründet wurde (www.stars-society.org).

7Der Titel der englischen Erstausgabe lautet „Hitchhiker’s Guide to Salutogenesis“ („Per Anhalter zur Salutogenese“), eine Anspielung auf den Klassiker von Douglas Adams „The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“ (Adams, 1979), der nicht nur Gesundheit, sondern – im intendiert ironischen Sinn – gleich auch den Sinn des Lebens erklärte. – Die Übersetzung wurde durch eine Rohfassung von Klaus Plumer aus dem Jahr 2012 unterstützt.

1.2 Der Paradigmenwechsel – Wie Menschen zu Blinden gemacht werden

Aaron Antonovsky benutzte häufig Metaphern, um die Salutogenese zu erklären. Eine seiner Lieblingsmetaphern war die Geschichte von der „Herstellung der blinden Menschen“ (Scott, 1981). Die Geschichte geht so: Im Alter von 35 Jahren wird ein Mann in der Blüte seines Lebens plötzlich vollständig blind. Danach wird er von seiner Umgebung als Blinder definiert. Er wird als völlig behinderte und verwirrte Person behandelt. Die Menschen hörten auf, seine Meinung zu beachten und sahen ihn nur noch als „den blinden Menschen“. Es gab selbstverständlich die gute Absicht zu helfen, aber er wurde zum „blinden Menschen“ gemacht. Zuerst fand er es schwierig, seinen Weg in der Welt des Sehens zu finden, aber er lernte, wie man durch Ausprobieren und mithilfe von Familie, Freunden und Fachleuten damit zurechtkommt. Wenn wir ihn mit anderen Augen betrachten, dann hat er noch die meisten seiner Fähigkeiten und Funktionen aufrechterhalten können. Dies ist nach Antonovsky, was zählt. Er drehte die Frage nach der Gesundheit um und sagte: „Wir sollten viel eher schauen, was Gesundheit ausmacht und erhält, statt uns auf die Beschränkungen und die Ursachen von Krankheit zu konzentrieren.“ Indem man diese Frage aufwirft, werden uns verschiedene Antworten gegeben; wir finden unterschiedliche Lösungen und wir können Ressourcen der Gesundheit identifizieren. Anstatt ihn zum „blinden Menschen“ zu machen, sollte er – in den salutogenen Begriffen – entsprechend seiner Fähigkeiten definiert werden: „Hier ist ein Mann, ein erfahrener Ingenieur und Spitzenmanager, ein guter Ehemann und Vater. Er sieht attraktiv aus, ist angenehm im Umgang und hat gute Manieren. Aber er hat die Schwierigkeit, Dinge klar unterscheiden zu können, weil er praktisch nichts sehen kann.“

Eine andere Geschichte, die Antonovsky in seinen Vorträgen verwendete, ist die Kurzgeschichte: „Wie man ein Kind tötet“, von Stig Dagerman, einem schwedischen Autor, der Romane und Gedichte über schwierige Themen und Momente im Leben schreibt (Dagerman, 1952). Diese Geschichte beginnt an einem schönen Sommermorgen. Eine Familie bemerkt, dass sie keinen Zucker mehr zum Frühstückskaffee hat und die Eltern schicken ihren Sohn zum Nachbarn auf die andere Straßenseite, um etwas Zucker zu holen. Gleichzeitig fährt ein junger Mann mit seiner Geliebten im Auto zum Seeufer, um diesen wunderbaren Tag mit ihr zu genießen. Das Kind wird versehentlich vom Auto erfasst und tödlich überfahren. Eine traurige Geschichte mit einem Ergebnis, das niemand gewünscht oder erwartet hat. Antonovsky will uns damit sagen, dass das Leben nie vollständig kontrolliert werden kann. In gewisser Weise müssen wir mit dieser Unvorhersehbarkeit leben und dabei unser Vertrauen ins Leben nicht verlieren, um gesund zu bleiben. Dies ist ein weiterer Teil des Salutogenese-Konzeptes: in der Lage zu sein, mit Ungewissheit und Chaos umzugehen, wo wir doch gerne glauben möchten, dass wir das Leben kontrollieren können.

1.2.1 Antonovskys Grafik der Salutogenese

Antonovskys theoretische Überlegungen zielten ursprünglich darauf ab, eine Stresstheorie zu entwickeln und Stress als natürlichen Bestandteil des Lebens zu betrachten. Deshalb bezeichnete er die Faktoren, die ein Leben störend beeinflussen können, als „Stressoren“. Diese Stressoren führen zu Spannungen, die bewirken, dass entweder ein physischer oder psychischer Zusammenbruch in der pathogenen Richtung ausgelöst werden kann oder dass ein Individuum die Belastung überwindet und sich in die gesunde Richtung auf dem Kontinuum bewegen kann – zum Beispiel in die salutogene Richtung und dass er oder sie damit die eigene Gesundheit wiederherstellen und erhalten kann. Die grafische Darstellung (Abbildung 1-2) basiert auf Antonovskys Originalzeichnung. Er hob hervor, dass die meisten Forschungen auf diesem Gebiet am Mechanismus interessiert waren, der hinter dem Zusammenbruch (oder der pathogenen Orientierung) steckt, während sein Fokus darauf gerichtet war, welche Ressourcen, Bedingungen und Faktoren uns in die Gesundheitsrichtung führen (eine salutogene Orientierung).

Abbildung 1-2: Das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum. © Bengt Lindström, Monica Eriksson, Peter Wikström.

Antonovsky selbst zeichnete das Gesundheitskontinuum oder, um seinen vollständigen korrekten Ausdruck zu benutzen, „das Wohlsein-Un-Wohlsein Kontinuum“8 als horizontale Linie zwischen absolutem Fehlen von Gesundheit (H–) und völliger Gesundheit (H+) und erklärte, dass alle Menschen irgendwo auf dieser Linie positioniert sind (Antonovsky, 1987). Wir sind jeden Tag Stressoren ausgesetzt, mit denen wir zurechtkommen müssen. Stressoren können unsere Position auf dem Kontinuum stören und wir geraten unter Spannung. Hier gibt es zwei Optionen: entweder die pathogenen Kräfte gewinnen überhand und wir erkranken, oder wir gewinnen unsere Gesundheit durch Salutogenese wieder und gehen in Richtung H+. Begrifflich steht Salutogenese für die Richtung gegen H+ (Abbildung 1-2).

Einer der Schlüssel zum salutogenen Ansatz war, Gesundheit als ein Kontinuum zu beschreiben zwischen „völliger Gesundheit“ und „keiner Gesundheit“ oder – auf dem Wohlsein-Un-Wohlsein-Kontinuum. Jede und jeder von uns kann sich jederzeit an irgendeinem Punkt auf diesem Kontinuum befinden. Antonovsky sagte auch, dass man in diesem Kontinuum gleichzeitig gesunde und ungesunde Komponenten haben kann. Gesundheit wird folglich relativer, als in der WHO-Definition von Gesundheit festgehalten wurde, die Gesundheit als Zustand des völligen Wohlbefindens und nicht nur durch die Abwesenheit von Krankheit definierte. Begrifflich beschrieb er die Aufteilung im Gesundheits-Krankheits-Kontinuum „als facettenreiche Seinsweise oder Beschaffenheit des menschlichen Organismus“ (Antonovsky, 1987, p. 64).

Antonovsky definierte das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum wie folgt (Tabelle 1-1).

Tabelle 1-1: Gesundheit auf einem Kontinuum messen. Quelle: Antonovsky, 1987, p. 65; Übersetzung von Claudia Meier Magistretti.

1.2.2 Salutogenese-Forschung – ein globales Interesse

Das Salutogenese-Konzept hat weltweit zunehmende Aufmerksamkeit erfahren. Allein die Suche in Englisch und in skandinavischen Sprachen im PubMed zeigt klar das wachsende Forschungsinteresse. In Abbildung 1-3 ist die Verteilung der Studien, die den SOC-Fragebogen im Zeitraum 1985–2018 benutzten, abgebildet. Nach einer Ergänzungsrecherche in anderen Datenbanken (ISI, Cinahl, Bibsys, PsychInfo, Libris, Social Services Abstract) 2004–2010 wurden etwa 800 weitere Artikel gefunden. Seither haben die Forschungsaktivitäten weiter zugenommen, wie der umfassende Überblick im „International Handbook of Salutogenesis“ zeigt (Mittelmark et al., 2016).

Abbildung 1-3: Anzahl der Studien, welche den SOC-Fragebogen von 1985–2018 nutzten. © Eriksson 2019; Übersetzung von Claudia Meier Magistretti.

8 Health ease/Health dis-ease

1.3 Vom Fluss der Gesundheit zum Fluss des Lebens

Der Unterschied zwischen dem biomedizinischen Modell und den Modellen der öffentlichen Gesundheit (Public Health) wird in der Tradition Antonovskys metaphorisch als Fluss beschrieben, in dem die Stadien flussaufwärts dargestellt werden: zuunterst die Heilung oder die Behandlung von Krankheiten, dann der Gesundheitsschutz und die Krankheitsverhütung, die Gesundheitserziehung und schließlich ganz oben die Gesundheitsförderung. Die Gesundheitsförderung nimmt dabei eine grundsätzlich andere Perspektive ein, indem sie sich hauptsächlich auf die Gesundheitsressourcen und auf Lebensqualität ausrichtet und nicht in erster Linie auf Risikofaktoren und Krankheit. Alle Ansätze bezwecken im Endeffekt, die Gesundheit zu verbessern – sie tun dies aber aus unterschiedlichen Perspektiven. Das klassische Bild, genannt Der Fluss der Gesundheit(Abbildung 1-4), in dem der Fokus auf das untere Ende des Flusses gerichtet ist, konzentriert sich auf die Prozesse, wo die Risikoexposition bereits Schäden verursacht hat: das betrifft die Heilung, den Gesundheitsschutz, die Krankheitsverhütung und häufig auch die Gesundheitserziehung (Eriksson & Lindström, 2008). Das Gesundheitskonzept in diesem Paradigma konstituiert sich aus dem Verständnis von Krankheit, chronischen Leiden und Erkrankungen und von Risiken. Im Ansatz der Gesundheitsförderung dagegen ist der Fokus flussaufwärts gerichtet, wir suchen nach Ressourcen und Potenzialen und wir initialisieren Prozesse, nicht nur für die Förderung von Gesundheit, sondern breiter, für das allgemeine Wohlbefinden und für Lebensqualität. Dieses klassische Bild erklärt die Unterschiede zwischen Pflege, Schutz, Prävention und Gesundheitserziehung und öffnet sich für die Gesundheitsförderung. Der Fluss der Gesundheit ist eine einfache Art und Weise, den Handlungsraum für Gesundheit aufzuzeigen.

Abbildung 1-4: Der Fluss der Gesundheit. © Bengt Lindström, Monica Eriksson, Peter Wikström. Übersetzung von Claudia Meier Magistretti.

Im salutogenen Ansatz richten wir uns auf Gesundheit aus. Das Ziel gesundheitsfördernder Aktivitäten ist es, Voraussetzungen für ein gutes und gesundes Leben zu schaffen. Die subjektiv wahrgenommene Gesundheit ist ein ausschlaggebender Faktor für Lebensqualität.

Antonovsky lebte nicht lange genug, um diese Bilder ausführlicher zu entwickeln. In unseren Studien und Überlegungen zur Salutogenese haben wir die Fluss-Metapher in einen erweiterten salutogenen Rahmen gestellt: Gesundheit im Fluss des Lebens(Abbildung 1-5). Hier ist der Fluss hauptsächlich als ein Strom des Lebens zu verstehen, während Krankheiten, chronische Leiden und Risiken als Störfaktoren betrachtet werden, denen wir im Leben begegnen – doch das Leben als solches bleibt die wichtigste Kraft und die hauptsächliche Richtung. Antonovsky sprach ausdrücklich von Ressourcen für das Leben und konstruierte einen Fragebogen zur Lebensorientierung: den SOC-Fragebogen. In unserer Darstellung (Abbildung 1-5) wird Antonovskys Gesundheits-Krankheits-Kontinuum nun vertikal platziert.

Abbildung 1-5: Gesundheit im Fluss des Lebens. © Bengt Lindström, Monica Eriksson, Peter Wikström. Übersetzung von Claudia Meier Magistretti.

Um den Paradigmenwechsel der Salutogenese zu erklären, muss die ursprüngliche Fluss-Metapher verändert werden. Sie wird zur Gesundheit im Fluss des Lebens (Eriksson & Lindström, 2008). Hier fließt der Fluss vertikal, quer zur Ansicht. Entlang der Vorderseite des Flusses gibt es einen kontinuierlichen Wasserfall, der dem ganzen Flusslauf folgt. Dies soll bedeuten: Wo immer wir auch sind, es besteht die Möglichkeit, auf Risiken, Krankheiten und Tod zu treffen. Die Hauptrichtung des Flusses ist jedoch nicht dem Wasserfall nach unten folgend, sondern sie verläuft vertikal in Richtung Leben. Bei der Geburt fallen wir in den Fluss, treiben im Strom und lernen im Verlauf des Lebens zu schwimmen. Einige werden unter gutenBedingungen geboren, wo der Fluss sanft fließt, wo Zeit zum Lernen vorhanden ist, wo sie mit dem Fluss gleiten und es beste Voraussetzungen für ein gutes Leben gibt, mit vielen unterstützenden Ressourcen – zum Beispiel, wenn Menschen in einer Wohlfahrtsgesellschaft geboren werden. Andere werden nah am Wasserfall, unter schwierigen Bedingungen geboren, wo der Kampf ums Überleben hart ist und die Risiken, über die Kante des Wasserfalls zu stürzen, viel größer sind. Der Fluss ist, genauso wie das Leben, voll von Risiken und Ressourcen. Allerdings beruhen deren Konsequenzen im Ergebnis auf unserer Orientierung, auf unserem Lernen und auf den Erfahrungen, die wir im Laufe des Lebens machen, das heißt auf dem Erwerben der Fähigkeit, die notwendigen Ressourcen für eine bessere Gesundheit und schließlich für ein besseres Leben erkennen und nutzen zu können.

Der Gesundheitsprozess ist ein Lernprozess, in dem wir darüber nachdenken, wie Gesundheit entsteht und welche Möglichkeiten für ein gutes Leben und für eine verbesserte Lebensqualität bestehen. Wenn wir diese Fragen nie stellen, werden wir nie die Antworten kennen und nie lernen. Vor Antonovsky wurden diese Fragen in den Gesundheitswissenschaften nicht systematisch gestellt.

Anmerkung

Die Perspektiven, die in den Abbildungen der beiden Flüsse (Abbildung 1-4; Abbildung 1-5) dargestellt sind, widersprechen sich nicht. Sie ergänzen sich, was bedeutet, dass Public Health und Medizin ohne weiteres eine Perspektive der Gesundheitsförderung verwenden können und umgekehrt. Es sind ihre Synthese und die Synergien, die am effektivsten wirksam sind. Salutogenese und Pathogenese arbeiten simultan, wie das in der folgenden Abbildung (Abbildung 1-6) dargestellt ist, welche die Arbeitsgruppe des Europäischen Projekts zur Entwicklung von Indikatoren zur Gesundheitsförderung erstellt hat (Bauer et al., 2003)

Abbildung 1-6: Positionierung der Salutogenese: Entwicklungsmodell der Gesundheit. Health ease Gesundheit, healthdis-ease Krankheit. Quelle: Bauer et al., 2006. © Bengt Lindström, Monica Eriksson, Peter Wikström

1.4 Das ursprüngliche salutogene Modell

Der Name Salutogenese setzt sich zusammen aus dem Wort salus (lateinisch: Gesundheit) und Genesis (griechisch: Ursprung) und bedeutet so viel wie „der Ursprung der Gesundheit“. Begrifflich ist die Salutogenese definiert als ein

„Prozess der Bewegung in Richtung Gesundheit auf einem Gesundheits-/Krankheits-Kontinuum.“

(Antonovsky, 1993a)

Antonovsky befasste sich mit Prozessen der Entstehung von Gesundheit, eine Dichotomie zwischen Gesundheit und Krankheit hat er ausgeschlossen.

In der Salutogenese-Forschung befassen wir uns aber nicht mit der bloßen Semantik des Wortes „Salutogenese“. Salutogenese spricht Erbfaktoren an – möglicherweise gibt es ein salutogenes Gen: Wer weiß? Es existiert noch sehr wenig Forschung zum Verhältnis zwischen Erbfaktoren und dem Kohärenzsinn. Hansson und Kollegen berichten über Ergebnisse einer Untersuchung über schwedische Zwillinge. Bis jetzt ist es die einzige Studie, die genetische Faktoren einbezieht (Hansson et al., 2008). Die Zwillingsmütterstudie überprüfte die Einflüsse mütterlicher Anpassung, besonders die relative Bedeutung der genetischen und umweltbedingten Faktoren für die psychische Gesundheit. Gefunden wurde, dass 35% des Kohärenzsinns von genetischen Faktoren abhängen und 57% von Umwelteinflüssen (Hansson et al., 2008, S. 544). Dieses Ergebnis ist interessant und erfordert weitere Forschung.

Der salutogene Ansatz konzentriert sich auf Ressourcen für Gesundheit und für Gesundheit fördernde Prozesse. Grundlage der Salutogenese-Theorie ist das Konzept der Gesundheit als einer Position auf einem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum und ihre Bewegung in Richtung Gesundheit.

Von Anfang an war es die Absicht der theoretischen Entwicklung der Salutogenese, diese auf der Ebene der Einzelperson, einer Gruppe und einer Gesellschaft anzuwenden, um eine Kohärenz zwischen diesen Stufen zu erzeugen. Antonovsky hatte diese erweiterte Perspektive bereits eingenommen und ein Verständnis des Kohärenzsinns auf der Ebene von Familien entwickelt (Antonovsky & Sourani, 1988). Er hatte ebenfalls begonnen, einen eigenen Fragebogen zu entwickeln, um den Kohärenzsinn in Gemeinschaften zu messen (Sagy 1998). Neuere Studien zeigen, dass der Kohärenzsinn auch auf der Ebene von Organisationen (Bauer & Jenny, 2012; Nilsson et al., 2010; Vogt et al., 2013) und Gemeinwesen (SOCC, Sense of Community Coherence; Braun-Lewensohn & Sagy, 2011) gemessen werden kann.

1.4.1 Der Kohärenzsinn

Der erste Schlüssel zum Salutogenese-Konzept ist der Kohärenzsinn (SOC). Er ist definiert als

„eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass (1) die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der inneren und äußeren Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind; (2) einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begegnen; (3) diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengung und Engagement lohnen.“

(Antonovsky, 1987, S. 19, nach Alexa Franke, 1997, S. 36)

Der Kohärenzsinn konstituiert sich in drei Dimensionen: die Verstehbarkeit, die Handhabbarkeit und die Bedeutsamkeit. Ein starker Kohärenzsinn ermöglicht es Menschen, das Leben als zusammenhängend, handhabbar und sinnvoll anzusehen. Er gibt ihnen das innere Vertrauen, die Zuversicht und die Fähigkeit, ihre eigenen Ressourcen und diejenigen in ihrer unmittelbaren Umgebung zu entdecken, diese in gesundheitsfördernder Weise für sich zu nutzen und zu verwenden. Weiter ist die Lebensorientierung (SOC) eine Denkweise, die den Handlungen eines Menschen eine Richtung im Leben gibt. Der Kohärenzsinn ist nicht nur eine Frage des Individuums, sondern eine seiner Interaktionen in konkreten Lebenszusammenhängen. Alle drei Komponenten des Kohärenzsinns wirken aufeinander ein, aber der wichtigste ist der motivationale Faktor: die Bedeutsamkeit oder die Sinnhaftigkeit. Er ist die treibende Kraft für das Leben. Durch Sinn und Bedeutung sind wir gewillt, Strukturen zu legen und Ressourcen zu suchen, d.h. die anderen zwei Komponenten, die Verstehbarkeit und die Handhabbarkeit, zu verstärken. Es kommt nicht auf den Inhalt an, das „was“, das dem Leben Bedeutung gibt, sondern darauf, dass eine feste Überzeugung besteht, dass das Leben als solches eine Bedeutung hat.

Antonovsky (1993b) entsprechend sehen wir den Kohärenzsinn weder als eine Bewältigungsstrategie noch als ein persönliches Merkmal, sondern als Lebensorientierung. Der Kohärenzsinn kann als eine Ressource betrachtet werden, welche einem die Fähigkeit gibt, verschiedene Strategien für das Lösen unterschiedlicher Probleme zu wählen oder Lebensereignisse angemessen zu handhaben.

1.4.2 Die generalisierten Widerstandsressourcen

Der zweite Schlüssel zum Verständnis des Salutogenese-Konzeptes sind die generalisierten Widerstandsressourcen (GWR). Die GWR sind wie folgt definiert:

Die generalisierten Widerstandsressourcen (Abbildung 1-7) sind die Voraussetzungen für die Entwicklung des Kohärenzsinns. Sie können innerhalb der Menschen gefunden werden als Ressourcen und Vermögen ihrer eigenen Person, aber auch in ihrer unmittelbaren persönlichen und weiteren bis hin zur gesellschaftlichen Umgebung, deren materiellen und nichtmateriellen Qualitäten wie Geld, Wohnung, Selbstachtung, Wissen, Vererbung, Gesundheitsorientierung, Kontakt mit inneren Gefühlen, soziale Beziehungen, existenzielle Fragen, Überzeugungen, Religion und Lebenssinn (Antonovsky 1979, 1987). Mindestens vier der generalisierten Widerstandsressourcen müssen verfügbar sein, um die Entwicklung eines starken Kohärenzsinns zu unterstützen: sinnvolle Aktivitäten, die gedankliche Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen, der Kontakt mit den eigenen inneren Gefühlen und soziale Beziehungen. Entscheidend ist, nicht nur über die Ressourcen an sich zu verfügen, sondern über die Fähigkeit, sie in einer Gesundheit fördernden Weise zu verwenden.

Abbildung 1-7: Das Konzept der generalisierten Widerstandsressourcen. Quelle: Antonovsky, 1979, S. 103. Bearbeitung: Bengt Lindström.

1.5 Der Kohärenzsinn und der Fragebogen zur Lebensorientierung

Ursprünglich entwickelte Aaron Antonovsky den Fragebogen zur Lebensorientierung, um den Kohärenzsinn zu messen. Er besteht aus 29 Fragen, mit denen die drei Dimensionen von Gesundheit, nämlich Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit gemessen werden. Später wurde ein kürzerer Fragebogen, der SOC-13, eingeführt (Antonovsky, 1987). Diese zwei Fragebögen sind die Originale. Im Review der SOC-Studien (Eriksson & Lindström, 2005) zeigte sich, dass es auch einige abgeänderte Versionen des Fragebogens gibt. Auch wenn die meisten gesichteten Studien die beiden Original-Fragebögen verwendeten, wurden bis 2003 mindestens 15 abgeänderte Versionen des SOC-Fragebogens gefunden, die auf der Basis von 3 bis hin zu 28 Fragen modifiziert worden waren (Eriksson & Lindström, 2005). Nach 2003 sind hauptsächlich die ursprünglichen Fragebögen, besonders die kürzere Form, benutzt worden. Es existieren auch einige neue abgeänderte Versionen des Fragebogens. Zu beachten ist, dass die Fragen in den modifizierten Versionen der SOC-Skala dieselben sind wie in den ursprünglichen Fragebögen, aber in der Zahl der enthaltenen Fragen variieren sie, und die Punktbewertungen sind anders.

Weiter wurde eine 3-Fragen-SOC-Skala (Lundberg & Peck 1995) mithilfe von schwedischen Hochschulstudierenden der Sozialen Arbeit validiert und mit den zwei ursprünglichen Skalen (SOC-29 und SOC-13) verglichen (Olsson, Gassne & Hansson, 2007). Die Ergebnisse zeigten im Vergleich mit den Originalskalen, dass die 3-Fragenskala massive Verteilungsprobleme hatte.

1.5.1 Die Struktur des Kohärenzsinns

Nach Antonovsky (1993d) umfasst die SOC-Skala einen allgemeinen Faktor, den Kohärenzsinn, mit den drei Dimensionen der Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit. Alle drei sind eng miteinander verknüpft und aufeinander einwirkend. Mit anderen Worten, die SOC-Skala wurde als eindimensionales Instrument zum Messen von Gesundheit betrachtet (Abbildung 1-8).

Abbildung 1-8: Der Kohärenzsinn als multidimensionales Konstrukt. 1) Antonovsky, 1987; 2) Sandell et al., 1998; 3); Sakano & Yajima, 2005. Quelle: Eriksson & Mittelmark, 2016, S. 99. Übersetzung von Claudia Meier Magistretti.

Seither hat die Forschung über die Skalenstruktur hingegen gezeigt, dass die Skala eher ein mehrdimensionales Konstrukt zu sein scheint als ein allgemeiner übergreifender Faktor mit drei Dimensionen (Feldt, 2000; Feldt, Kokko, Kinnunen & Pulkkinen, 2005; Feldt et al., 2006; Feldt, Metsäpelto, Kinnunen & Pulkkinen, 2007). Antonovsky befasste sich mit der Flexibilität als einer Dimension, die zur Komponente der Handhabbarkeit des Kohärenzsinns gehört. Vertrauen ist ebenfalls mit der gleichen Komponente verknüpft. Harmonie könnte als Dimension der Komponente von Sinnhaftigkeit gesehen werden.

In einer Studie an zwei repräsentativen Stichproben der Schweden Larsson und Kallenberg (1999) wurden ein allgemeiner Faktor (alle 13 Fragen) und zwei spezifische Restfaktoren unterschieden: soziales Verstehen und Handeln sowie unliebsame Gefühle und innere Spannungen. Der allgemeine Faktor erklärte hier die meisten der Abweichungen in beiden Stichproben. Soziales Verstehen und Handeln beziehen sich auf Antonovskys Komponente Verstehbarkeit, während unliebsame Gefühle und innere Spannungen der Komponente Bedeutsamkeit zugeschrieben werden. Die Komponente Handhabbarkeit im Salutogenese-Konzept erschien nicht in der schwedischen Studie. Larsson und Kallenberg schlossen aus ihren Ergebnissen, dass der Kohärenzsinn als ein Maß für negative Emotionalität betrachtet werden kann. Dieses erklärt den Kohärenzsinn als theoretisches Konzept nicht für ungültig, zeigt aber an, dass die SOC-Skala Verschiedenes messen kann.

Weitere Ergebnisse liegen zur Struktur der SOC-Skala vor (Klepp, Mastekaasa, Sørensen, Sandanger & Kleiner, 2007). Eine Neun-Fragen-Version des SOC-Fragebogens wurde mithilfe einer konfirmatorischen Faktorenanalyse getestet, in der epidemiologische Daten aus einer Erhebung zur psychischen Gesundheit norwegischer Erwachsener verwendet wurden. Die Ergebnisse stützen das Drei-Faktoren-Modell (Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit) gut ab und stützen in einem vertretbaren Maß das Ein-Faktoren-Modell (Kohärenzsinn). In ihrer Schlussfolgerung favorisieren sie das Ein-Faktor-Modell. Allerdings werden auch einige widersprüchliche Ergebnisse berichtet. Konfirmatorische Faktoranalysen in klinischen und nichtklinischen schwedischen Stichproben unterstützten weder die Hypothese eines einzelnen übergreifenden Faktors noch diejenige der drei SOC-Komponenten (Sandell, Blomberg & Lazar, 1998). Die ersten zwei Faktoren, die in dieser Studie gefunden wurden, entsprachen weitgehend Antonovskys Bedeutsamkeit und Verstehbarkeit. Die Bedeutsamkeit wurde hier als eine Dimension mit den Polaritäten Lebensfreude vs. Depression interpretiert und Verstehbarkeit als das Ausmaß emotionaler Konflikttoleranz. Der dritte Faktor wurde nur beiläufig an der Handhabbarkeitskomponente gespiegelt und bildet Vertrauen und Misstrauen ab.

1.5.2 Eine neue Generation des SOC-Fragebogens

Es gibt neue Trends in der SOC-Forschung, das heißt, es wurde eine neue Generation von Fragebögen entwickelt, die den Salutogenese-Ansatz zur Entwicklung neuer Fragestellungen benutzt. Ein erstes Beispiel ist die salutogene Gesundheitsindikatoren-Skala (Salutogenic Health Indicator Scale, SHIS; Bringsén, Anderson & Ejlertsson, 2009). Die Skala besteht aus 12 Indikatoren, die neun gesundheitsbezogene Dimensionen abdecken, unter anderem wahrgenommenen Stress, Krankheit, körperliche Funktionsfähigkeit, Expressivität und Emotionalität sowie soziale Kompetenzen.

Ein zweites Beispiel einer neuen Skala ist die Salutogenic Wellness Promotion Scale (SWPS; Lake & Rhynders, 2018; Becker et al., 2008). Diese 26-Punkte-Skala misst das Vorhandensein von gesundheitsfördernden Faktoren wie das Ausmaß gesundheitsfördernder Aktivitäten in Verbindung mit körperlichen, intellektuellen, sozialen, emotionalen, geistigen, beruflichen und umweltbezogenen Faktoren. Die SWPS wurde weiterentwickelt und angepasst für Jugendliche und junge Erwachsene (SWPS-Adol-Scale). Erste Prüfungen dieser Skala zeigten, dass sie ein valides und reliables Messinstrument zur Erfassung von Gesundheit und Wohlbefinden bei Jugendlichen ist (Lake & Rhynders, 2018).

Drittens gibt es ein Instrument zur Selbsteinschätzung für Krebskranke, das den Prozess der Sinnfindung misst, die chinesische Krebs-Kohärenz-Skala (Chinese Cancer Coherence Scale); ein Instrument, das auf dem Salutogenese-Konzept basiert (Chan, Ho & Chan, 2006). Diese Skala kann als mehr kontext- und situationsbezogenes Instrument betrachtet werden als die ursprüngliche SOC-Skala, die darauf abzielt, die generelle Lebensorientierung zu messen. Alle diese neuen Skalen müssen aber noch weiter getestet werden.

Anonovsky hat den Kohärenzsinn ursprünglich als individuelles Merkmal beschrieben. Später hat er die Perspektive erweitert und das Konzept des Familien-SOC entwickelt. Jüngere Studien zeigen, dass das Konzept des Kohärenzsinns und dessen Messung auch auf der Ebene von Organisationen, z.B. Unternehmen, adaptiert werden können (Bauer & Jenny, 2012; Forbech & Hanson, 2013; Nilsson et al., 2012). Dagegen gibt es wenige Studien, welche den ebenfalls später entwickelten Sense of Community Coherence anwenden (Braun-Lewensohn & Sagy, 2011).

Studien, die den SOC-Fragebogen nutzen, werden jetzt in mehr Ländern und Kulturen durchgeführt als jemals zuvor. Potenziell zwei Drittel der Weltbevölkerung könnten mit einem muttersprachlichen SOC-Instrument untersucht werden, wie die Weltkarte zeigt (Abbildung 1-9).

Abbildung 1-9: Die globale Verteilung von Ländern, in denen der SOC-Fragebogen in den Jahren 1992–2015 für Studien genutzt wurde. SOC, Sense of Coherence, Kohärenzsinn. Quelle: Mittelmark et al., 2016, S. 98. © Monica Eriksson. Übersetzung und Überarbeitung von Claude Meier Magistretti.

Die Stabilität im Zeitverlauf

Antonovsky nahm an, dass sich der Kohärenzsinn bis zum 30. Lebensjahr vollständig entwickelt, dass er dann bis zum Ruhestand stabil bleibt und sich anschließend abschwächt. Diese Annahme konnte empirisch nicht abgestützt werden. Im Gegensatz zu Antonovskys Vermutung scheint der Kohärenzsinn über die Lebensdauer verhältnismäßig stabil zu sein, jedoch nicht so stabil wie Antonovsky vermutete (Eriksson & Lindström, 2005, 2006; Feldt et al., 2006; Hakanen, Feldt & Leskinen, 2007; Nilsson et al., 2010; Röhl & Schücking, 2006). Das heißt, dass der Kohärenzsinn mit zunehmendem Alter über die ganze Lebensspanne hinweg stärker wird: Je älter eine Person wird, umso stärker ist ihr Kohärenzsinn. Neuere Studien zeigen, dass der Kohärenzsinn durch Interventionen, wie z.B. Patientenbildung, gestärkt werden kann (Langeland, Gjengedal & Forbech Vinje, 2016).

Die Mittelwerte zeigen im Zeitverlauf geringe Unterschiede (Tabelle 1-2). In der 3- bis 5-Jahresperspektive werden keine oder nur sehr geringe Unterschiede berichtet. Dasselbe Bild ergab sich in der bisher längsten Follow-up-Studie mit finnischen Angestellten über 13 Jahre mit Beobachtungszeitpunkten von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter (Hakanen et al., 2007). Der Kohärenzsinn zeigt die Tendenz, sich mit zunehmendem Alter über die gesamte Lebensspanne zu verstärken. Da wir es hier mit einer Lebensorientierung zu tun haben, ist der Kohärenzsinn eine ziemlich stabile Größe. Deshalb ist es nicht überraschend, dass der Kohärenzsinn ziemlich dauerhaft ist und seine Stabilität nach Stress im Gegensatz zu anderen temporären Phänomenen wiedergewinnt.

Tabelle 1-2: Die Entwicklung des SOC über Zeit basierend auf Längsschnittstudien. SOC, Sense of Coherence, Kohärenzsinn. Quelle: Eriksson & Mittelmark (2017)

Eine weitere Möglichkeit, die Entwicklung des SOC im Zeitverlauf zu untersuchen, besteht darin, die Ergebnisse von Studien mit den ursprünglichen SOC-Skalen aus verschiedenen Stichproben der allgemeinen (gesunden) Bevölkerung in den verschiedenen Altersklassen zu vergleichen (Durchschnittsalter). Ideal wären Studien, die einer ausgewählten Bevölkerung im Lebenslauf folgen, aber wir haben keine solchen Studien. Infolgedessen müssen wir auf andere Techniken und Vergleiche bauen. Die folgende Abbildung 1-10 zeigt daher die Tendenz der Entwicklung des SOC im Zeitverlauf unter Verwendung der SOC-Mittelwerte und der Alters-Mittelwerte in Bevölkerungen als Variablen im Zeitraum von 1992–2009. Die Tendenz zeigt – einige Schwankungen vernachlässigend – eine Zunahme des SOC im Alter.

Abbildung 1-10: Die Verteilung der SOC-Mittelwerte nach dem Durchschnittsalter der Allgemeinbevölkerung 1993-2009. SOC, Sense of Coherence, Kohärenzsinn. © Bengt Lindström, Monica Eriksson, Peter Wikström. Übersetzung von Claudia Meier Magistretti.

1.6 Gesundheitsförderung

1.6.1