Salzkammerglut - Dagmar Hager - E-Book
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Salzkammerglut E-Book

Dagmar Hager

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Beschreibung

Während Bad Ischl fröhlich den Kaisergeburtstag feiert, bricht auf der Rettenbachalm ein Flammeninferno aus. Kurz darauf wird in den Überresten einer verkohlten Hütte eine männliche Leiche gefunden: Unternehmer Regus Dorninger. Ein Mann mit vielen Feinden. Doch wer hasste ihn so sehr, dass er zum Mörder wurde? LKA-Ermittler Ben Achleitner steht vor seiner härtesten Prüfung. Denn nicht nur listige Gegner stellen sich ihm in den Weg - auch sein eigenes Herz kommt ihm in die Quere.

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Seitenzahl: 243

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Dagmar Hager

Salzkammerglut

Kriminalroman

Zum Buch

Mörderische Hitze Es ist ein heißer Sommer im Salzkammergut. Franz Joseph I. hätte sich im Grab umgedreht. Denn während Bad Ischl fröhlich den Geburtstag des Kaisers feiert, bricht in dessen Lieblingsjagdrevier ein Flammeninferno aus. Kurze Zeit später wird in den Überresten einer verkohlten Hütte ein Toter entdeckt, brutal ermordet und anschließend verbrannt. Wer hasste den Bad Ischler Unternehmer Regus Dorninger so sehr, dass er zum Mörder wurde? Verdächtige gibt es viele. War es seine mysteriöse Frau Charly, die sich während des Brandes zwar auf der Rettenbachalm aufhielt, sich aber angeblich an nichts erinnern kann? Ein rachsüchtiger Geschäftspartner? Oder hat Dorninger seine dunkle Vergangenheit eingeholt? Denn kurz vor seinem Tod wurde er beobachtet. LKA-Ermittler Ben Achleitner ermittelt in seinem persönlichsten Fall. Nicht nur, dass er einem ausgekochten Gegner auf der Spur ist – auch sein eigenes Herz kommt ihm in die Quere. Werden seine Gefühle den gefährlichen Ermittlungen standhalten?

Dagmar Hager lebt in Wien, Oberösterreich und Kärnten und arbeitet als Moderatorin und Redakteurin beim Radio. Neben dem Schreiben ist sie als Buch-Podcasterin (»Bücher sind wie Kekse«) aktiv. Sie mag ihre Freunde, ihr Mountainbike, Reisen, Berge, Bücher, Segeln und gute Gespräche.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.

Bei Fragen zur Produktsicherheit gemäß der Verordnung über die allgemeine Produktsicherheit (GPSR) wenden Sie sich bitte an den Verlag.

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Alle Rechte vorbehalten

Satz/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Zbynek Pospisil / iStock.com

ISBN 978-3-7349-3248-9

Zitat

Nimm der Angst die Lettern

Nimm der Angst

das A

das N

das G

das S

und das T nimmst du gleich mit

ans Ende des Wortes

MUT

(Florian Kiesl)

PROLOG

Do steigt ma de Grausbirn auf.

Wie schrecklich.

Gluthitze.

Brütend heiß spannte sich der Sommer über das Salzkammergut, krallte sich seit Wochen fest. Selbst nachts sanken die Temperaturen kaum unter 25 Grad. Wer konnte, suchte sein Heil in einem der aufgeheizten Seen oder floh in die Berge. Die dort erhoffte Abkühlung erwies sich jedoch manchmal als trügerisch. Oder sogar als tödlich. Erst am vergangenen Wochenende war ein Schwimmer im Mondsee ertrunken.

Die brünette Frau, die am Rettenbach saß, wischte sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn und hielt ihre Füße ins herrlich kühle Nass. Seit Wochen hatte es kaum geregnet, weshalb der Bach zu einem Rinnsal verkommen war. Ihr Blick fiel auf die vielen Kühe, die ihren Sommer auf der malerischen Alm verbrachten und sich ebenfalls in den schützenden Schatten der Bäume zurückgezogen hatten. Hin und wieder verscheuchte eine von ihnen träge lästige Fliegen mit ihrem Schwanz. Die Frau lächelte in sich hinein – Alpenidylle made in Austria.

In einiger Entfernung entdeckte sie eine junge Wanderin, die, das Haar zu Dreadlocks aufgetürmt, vollkommen nackt im flachen Wasser trieb. Ihr Gewand stapelte sich an einem Rucksack, daneben lag eine Isomatte. Plante sie, hier zu campieren? Kaum jemanden würde es kümmern. Man brachte mit, was nötig war, und genoss eine sternenklare Nacht am Fuße des Losers. Manche bauten sich sogar einen Grillplatz aus Flusssteinen.

Derzeit war offenes Feuer allerdings – im wahrsten Sinne des Wortes – brandgefährlich und strikt verboten. In Südeuropa wüteten Brände, insbesondere die Türkei, Italien und Nordmazedonien waren betroffen. Menschen hatten ihr Leben gelassen, andere ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Gott bewahre, dass auch hier in der Gegend erneut ein Waldbrand aufflammte. Einen hatte es in diesem Sommer schon gegeben, drüben am Brentenkogel über Ebensee. Er war aber zum Glück schnell gelöscht worden und nicht außer Kontrolle geraten.

Mit einem leisen Stöhnen stemmte sich die Beobachterin hoch. Erneut fiel ihr Blick auf die Frau mit den Dreadlocks, die ihr vage bekannt vorkam. Widerwillig machte sie sich auf den Rückweg.

Kurz darauf kam die kleine Jagdhütte in Sicht.

Und er.

Unwillkürlich zögerte sie. Wie stets jagte sein Anblick ihr einen leisen Schauer über den Rücken. Sie zwang ein Lächeln in ihr Gesicht und trat auf ihn zu. »Ich bin wieder da.«

Der großgewachsene dunkelhaarige Mann fuhr betont langsam mit dem Zeigefinger über das Etikett seiner Bierflasche. »Du warst lange weg.«

40 Minuten.

In seiner Welt eine halbe Ewigkeit.

Er hatte es gesagt, ohne aufzusehen. Seine Art, Missfallen zu bekunden und sie ihre Ungezogenheit spüren zu lassen. Schon vor langer Zeit hatte sie erkannt, dass es zu nichts führte, mit ihm zu reden, Dinge auszudiskutieren. Dafür war er nicht gemacht. Wie auch sonst für vieles nicht. Ihr Gegenüber war egozentrisch, psychopathisch, betrachtete sich als den Mittelpunkt des Universums, das wusste sie inzwischen.

»Setz dich zu mir. Wir müssen reden. Aber zuerst iss.«

Sie tat wie geheißen. Die Regeln wurden von ihm gemacht, der Rest der Welt hatte sich zu fügen. Er duldete keinen Widerspruch, vergaß nichts. Ungehorsam, eine divergierende Meinung, erfolgreiche Konkurrenz. Alles wurde irgendwann aufgerechnet, kam doppelt und dreifach zurück, und mochte es noch so lange dauern. »Wie du weißt, trifft man sich im Leben immer zweimal. Ich habe einen langen Atem.«

Sie hatte auf die harte Tour gelernt, dem Glauben zu schenken.

»Brot, Wurst, Käse. Tomaten. Du hättest dich mehr ins Zeug legen können.«

Sicher. Nur hatte sie nicht gewollt. Wie all das nicht. Sie war nur hier, um etwas Unaufschiebbares zu erledigen. Wozu sich also mehr anstrengen als nötig?

Sie zwang einige Tomaten und Käse in sich hinein. Wenigstens nicht mehr seinen Penis.

Schnörkellos teilte sie ihm danach mit, weshalb sie seinem Befehl gefolgt war.

Es gefiel ihm nicht. Wütend sprang er auf und war im nächsten Moment verschwunden. Nachdenklich blickte sie ihm nach. Sie würde auf ihn warten. So fair musste sie sein. Ängstlich verscheuchte sie eine Wespe, war sie doch allergisch gegen alles, was stach. Insbesondere Bienen. Ihr Repertoire an Repellents, Antihistaminika und Kortison war beachtlich, sogar einen Adrenalin-Pen hatte sie immer dabei.

Erschrocken fuhr sie hoch. Hatte sie geträumt oder das heftige Rumpeln tatsächlich gehört? Die Uhr am Smartphone zeigte kurz vor Mitternacht. Starker Wind war aufgekommen. In der Ferne grollte Donner. Sie hatte Durst, entdeckte eine Wasserflasche am Nachtkästchen. Trank gierig. Es war viel zu viel Wein gewesen, wie ärgerlich. Zentimeterweise rutschte sie vom Bett, tapste benommen zur Tür. Hielt inne. Lauschte. Huschte nach draußen. Genoss die frische Luft und die Windstöße auf ihrer blanken Haut, diese kostbaren Sekunden puren Lebens. Die Rettenbach-Alm lag im Westen des Toten Gebirges auf etwa 650 Meter Seehöhe, weshalb es zwar mehr abkühlte als unten in Ischl, dennoch fühlte sich die stürmische Luft heiß an.

Wie hatte es bloß so weit kommen können?

Noch immer kratzte ihre ausgedörrte Kehle. Zu dumm, sie hatte die Flasche stehen lassen. Dennoch hütete sie sich davor, zurück ins Innere der Hütte zu schlüpfen. Ging lieber ein paar Schritte in Richtung Bach. Trotz der aufziehenden Front war es hell genug dafür, auch ohne Taschenlampe.

Langsam ließ der Druck der letzten Tage nach. Alles würde gut werden.

Dankbar breitete sie die Arme aus.

Vernahm ein leises Knacken.

Im nächsten Augenblick wurde alles schwarz.

BEN

A Dosiger.

Einer von hier.

Seine Alm.

Wie oft er schon hier gewesen war, zumeist mit dem Mountainbike. Von Bad Ischl kommend, stürzte er nur zu gerne in einer der Gaststuben einen Sauren Radler hinunter, ehe er sich wieder auf den Weg machte, hinüber zur Blaa-Alm mit ihren Narzissenwiesen, und danach weiter nach Altaussee. Darüber, dass die holprige Schotterstraße wegen Steinschlaggefahr im Grunde gesperrt war, sah er großzügig hinweg. Besonders der finstere alte Soletunnel aus dem vorigen Jahrhundert hatte es ihm angetan. Kaiser Franz Joseph hatte seinerzeit wegen des großen Bedarfs eine Soleleitung vom Ausseer Salzberg zur Saline Ebensee legen lassen, was eine Tafel am Tunnelportal bezeugte.

All das zählte im Augenblick nicht. Mit einem flauen Gefühl im Magen parkte er seinen verstaubten Dienstwagen direkt am Flatterband, das weiträumig einen schwarz verkohlten Bereich absperrte, und blieb noch einen Moment sitzen. Einige Radfahrer und Wanderer musterten ihn neugierig. Am liebsten wäre er umgekehrt.

Es war Mitte August, Hauptreisezeit, Kaiserwoche, zudem Kulturhauptstadt-Jahr. Eine der Attraktionen, der Große Welt-Raum-Weg, führte direkt hier vorbei. Das Salzkammergut quoll über vor Menschen auf der Flucht vor der drückenden Hitze in den Städten.

Einige uniformierte Kollegen bemühten sich, die Sensationsgierigen von der Absperrung zu vertreiben. Es gab immer welche, die für eine bessere Sicht oder ein Foto, im schlimmsten Fall sogar ein Selfie, buchstäblich über Leichen gingen.

Der dunkle Kastenwagen der Spurensicherung war bereits vorgefahren, die Polizei am Werk. Er erkannte die untersetzte Silhouette seines Kollegen Peter Neumüller sowie einige uniformierte Beamte des Polizeipostens Bad Ischl. Gleich acht Löschzüge diverser Feuerwehren parkten seitlich am Wegesrand. Rettung war weit und breit keine zu sehen. An diesem Ort galt es nur noch zu bergen, nicht mehr zu retten. Etwas abseits entdeckte er den Wagen des Bestatters.

Der Brand hatte einige Hektar Wald zerstört. Zum Glück war in der Nacht ein heftiges Gewitter mit Starkregen über die Region hinweggefegt und hatte eine weitere Ausbreitung verhindert. Nicht aber, dass das Feuer neben vielen kleinen Tieren und einigen Kühen und Pferden auch ein Menschenleben gefordert hatte.

In einiger Entfernung durchforsteten Feuerwehrleute das Terrain, da und dort stieg noch Rauch auf. Alles musste gründlich auf Glutnester kontrolliert werden, um ein erneutes Aufflammen zu verhindern.

Ben stieg aus. Sofort umhüllte ihn der beißende Geruch nach Ruß, verbranntem Holz und gegrilltem Fleisch. Sein Blick fiel auf die Reste eines kleinen, vollkommen niedergebrannten Gebäudes, das einmal auf einer Lichtung gestanden haben musste. Davon zeugten nun lediglich noch verrußte Baumstümpfe und der gemauerte Kamin. Es lag etwas abseits des Weges und war ihm nie zuvor aufgefallen.

Mit zusammengekniffenen Lippen hielt er inne, nahm das Szenario in sich auf. Die Kollegen der SpuSi hatten sich über ein verklumptes Etwas am Boden gebeugt – eine Leiche, erstarrt in der typischen Haltung verbrannter Menschen, der Fechterstellung: mit angezogenen Armen und Beinen, weil sich Sehnen und Muskeln beim Verbrennen verkürzten.

Ehe er näher herantreten konnte, vernahm er hinter sich eine gleichermaßen leise wie wohlbekannte Stimme. »Hallo, Ben.«

Er fuhr herum.

Die letzten neun Monate hatten sie keinen Kontakt gehabt. Ihr ernstes Gesicht war blass, dennoch umspielte ein winziges Lächeln die Mundwinkel, die grünen Augen wirkten verhangen. Kein Wunder, nach dem, was sie in den letzten Stunden gesehen haben mussten. Ihre ungezähmten Locken hatte sie zu einem Knoten im Nacken gebändigt. Ihre zierliche Gestalt steckte in einem dünnen weißen Overall.

»Grüß dich, Marie«, antwortete er leise. »Wie geht’s dir?«

Sie schnaubte verhalten und deutete auf die ausgebrannten Ruinen. »Wie sagt man so schön: den Umständen entsprechend. Eine Brandleiche ist nie ein angenehmer Anblick.«

»Das ist wohl keine Leiche mehr«, konnte er sich nicht verkneifen anzumerken.

»Da hast du natürlich recht. Mittlerweile ist sie zumindest so weit abgekühlt, dass wir rankönnen.«

»Wer ist es?«

»Regus.«

Er nickte. Regus Dorninger, etwas älter als Ben und Marie, also Ende 40, und ein bunter Hund in Ischl. Gut vernetzter Unternehmer und Lebemann. Sie kannten und hassten einander seit einem Zwischenfall zu Bens Teenagerzeiten.

»Tragisch, auch wenn ich ihn nicht mochte. Du glaubst nicht an einen Unfall?« Er war, ohne zu zögern, auf den Punkt gekommen.

Die Notärztin schüttelte den Kopf. »Nein. Zwar hat hier, wie du siehst, einiges gebrannt, aber die Leiche ist … halbwegs intakt. Der Schmidinger Gustl von der Feuerwehr sagt, dass es nicht nach einem normalen Waldbrand aussieht. Auch wenn er sich nicht festlegen will …«

Sie stockte.

»Brandstiftung?«, hatte Ben kein Problem, ihren Satz zu vollenden.

»Möglich.«

»Okay. Die Sachverständigen werden das klären. Aber warum hast du uns angefordert?«

Marie seufzte. Dann fasste sie die letzten Stunden zusammen. »Ich fange von vorne an. Das Feuer ist wohl gegen Mitternacht ausgebrochen. Der Bach ­Crispin, einer der Hüttenwirte, hat es bemerkt und Alarm geschlagen. Die umliegenden Hütten waren schnell evakuiert, dann begann auch schon das Gewitter. Feuerwehr, Polizei und eben auch wir waren 20 Minuten später vor Ort. Inzwischen versuchten Crispin und ein paar Helfer, zur Jagdhütte zu gelangen, hatten aber keine Chance. Er ist fix und fertig, weil er wusste, dass Regus und seine Frau dort schliefen.«

»Seine Frau?«, fragte Ben sofort. Laut seinen ersten Informationen war nur eine Leiche entdeckt worden.

»Charlotte. Alle nennen sie Charly. Von ihr fehlte zunächst jede Spur. Um etwa halb fünf war das Feuer gelöscht und wir machten uns auf die Suche, fanden sie zum Glück bald, etwas entfernt, halb bewusstlos auf einem Schotterbett im Fluss. Total unterkühlt, nicht ansprechbar, mit einer Platzwunde an der Stirn. Ich vermute, sie rutschte beim Davonlaufen aus. Das Wasser rettete ihr wohl das Leben, und dass sie nicht im Inneren der Hütte war, als die Flammen darauf übergriffen. Dort wütete das Feuer am schlimmsten. Ich hoffe, sie erinnert sich, ihre Verletzung ist heftig. Jedenfalls habe ich sie stabilisiert, mit der Rettung ins Krankenhaus gebracht und kam wieder hierher.«

Ben hatte mit wachsender Verunsicherung zugehört. »Das alles klingt aber eher nach viel Pech für Regus, viel Glück für die Frau und insgesamt nicht nach einem Verbrechen.«

Marie biss sich auf die Unterlippe und senkte nachdenklich den Kopf. »Natürlich will ich der Rechtsmedizin nicht vorgreifen, aber ich habe die Leiche zumindest oberflächlich untersucht. Arme und Beine hat es am schlimmsten erwischt, die sind nur noch Asche, aber auch Körper, Kopf und Augen sind verkohlt, die Haut fehlt vollständig, auch die Ohrmuscheln. Schädelkalotte und Kiefer liegen frei, und an denen ist mir etwas aufgefallen …« Erneut unterbrach sie sich, holte Luft.

Diesmal wartete Ben einfach ab.

»Sie sind zwar ebenfalls verbrannt, aber nicht gänzlich, und …«

Langsam fiel es Ben schwer, ruhig zu bleiben. Warum eierte sie bloß so herum? Das war doch sonst nicht ihre Art.

»… eingeschlagen.«

»Bist du dir sicher?«

Sie hatte sich gefangen. »Durch die Stellung der Leiche kann man den Schädel gut erkennen. Die Lunge ist halbwegs intakt, also kann die Rechtsmedizin klären, ob Regus noch geatmet hat, als ihn das Feuer erwischte, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass dem nicht so war. Vielmehr denke ich, er war da schon tot. Wenn ich nicht falschliege, mein Lieber, bist du ab sofort auf Mörderjagd.«

BEN

Lahn di z’ruck und woat, bis des Leb’n deine Feinde schnackselt.

Karma.

Regus Dorninger.

Sie kannten sich ewig. Nun lagen seine sterblichen Überreste in der Rechtsmedizin. Die Erstuntersuchung hatte Maries Einschätzung bestätigt: Mord war nicht auszuschließen.

Ben rief sie an, um ihr von den neuesten Erkenntnissen zu berichten. »Bei unserer gemeinsamen Vergangenheit kann ich froh sein, ein Alibi zu haben«, scherzte er halbherzig.

»Ist er es denn wirklich?«

»Wir gehen davon aus, aber der DNA-Abgleich fehlt natürlich noch. Fingerabdrücke gibt’s ja wegen des Feuers keine mehr.«

»Giltst du bei dieser Ermittlung nicht als befangen?«

»Aber geh, unser Knatsch ist ewig her. Wir haben uns mal in einer Bar gekeilt. Ich war 15, er hat gewonnen. Ich habe ihn seit Jahren nicht gesehen. Auch wenn es mir schwerfällt, um ihn zu trauern, so verdient doch niemand ein solch grausames Ende.«

»Hast du schon eine Idee, wer es getan haben könnte?«, erkundigte Marie sich vorsichtig.

»Nein«, brachte Ben es auf den Punkt. »Du bist näher dran. Wem ist er denn zuletzt so richtig auf den Schlips getreten?«

Marie musste nicht lange überlegen. »Na ja, mal abgesehen von seinen kleinen Scharmützeln mit vielen im Ort haben insbesondere die geplanten sündteuren Esplanade-­Residenzen mit Zweitwohnsitzgenehmigung zuletzt für viel Wirbel gesorgt.«

»Worum ging es da?«, horchte Ben auf.

»Die Sauerei ist doch durch alle Medien gegangen«, antwortete Marie erstaunt. »Hast du davon nichts mitbekommen? Die Grundstück-Abzocke der dementen alten Frau Brugger? Ganz Ischl hat sich das Maul da­rü­ber zerrissen. Sogar eine nationale Zeitung hat darüber berichtet. Und das Fernsehen.«

Jetzt dämmerte es Ben. »Stimmt. Ich hatte nur die Verbindung mit Regus nicht auf dem Radar, obwohl das genau seine Masche war. Sich bei Eigentümern einschleimen, um an deren Hab und Gut zu kommen.«

»In diesem Fall war es besonders fies. Kein Einschleimen, sondern Panikmache. Das desolate leerstehende Haus an der Esplanade unten beim Sissi-Park war nichts wert, aber der Riesengrund, auf dem es stand, schon, locker zwei Millionen.«

Ben ahnte, was nun kommen würde. »Und um wie viel ist es hergegangen?«

»Hundertfünfzigtausend.«

»Aber warum hat die alte Dame das gemacht?«

»Es war perfide. Sie hatte sich gerade ihre Wohnung in St. Gilgen altersgerecht sanieren lassen und dafür einen Kredit bei ihrer Hausbank aufgenommen. Trotz ihres Alters hat sie ihn bekommen, angeblich wegen der Ischler Liegenschaft als Sicherung. Ungewöhnlich, aber nur auf den ersten Blick. Plötzlich bot Regus ihr an, den Grund zu kaufen, was sie zunächst rigoros ablehnte. Daraufhin machte ihre Bank Druck. Sie müsse den Wohnungs-Kredit sofort in voller Höhe zurückzahlen, sonst würde man sie am Monatsende vor die Tür setzen. Aus Angst, ohne Wohnung dazustehen, nahm die alte Dame Regus’ Kaufangebot da­raufhin an.«

»Klingt nach Erpressung mit Anlauf. Vielleicht steckten die Bank und Regus sogar unter einer Decke. Warum bat sie nicht sofort ihren Sohn um Hilfe?«

»Zu ihm, im Übrigen ihr einziger Verwandter, gab es offenbar bis zu diesem Zeitpunkt wenig Kontakt. Er lebte im Ausland, kam erst aufgrund dieser Geschichte zurück.«

»Wovon Regus wusste?«

»Anzunehmen.«

»Gab es ein Gerichtsverfahren?«

»Schon. Leider hatte ihr inzwischen wiederaufgetauchter Sohn kein Glück. Seine Klage wegen Geschäftsunfähigkeit der Mutter wurde abgewiesen. Sie sei noch nicht dement genug und habe gewusst, worauf sie sich einließ, hieß es im Urteil. Der Bank und Regus war offiziell keine Verfehlung nachzuweisen.«

»Aber das ist nicht alles, nicht wahr?«, hakte Ben nach. Das hatte er schon ihrem Tonfall entnommen. Wie gut sie sich doch kannten, trotz all der Zeit ohneeinander.

»Rate mal, wer bei genau dieser Bank arbeitete und den Job kurz danach kündigte.«

Bens angewiderter Ton war nicht zu überhören. »Einer von Regus’ Handlangern?«

»Besser.«

»Du willst doch nicht ernsthaft behaupten …?«

»Doch.«

»Seine Frau? Charly?«

»Genau die.«

Was für ein Batzen-Mordmotiv! Besser ging’s fast nicht. War der Fall tatsächlich so einfach zu lösen? Hatte sich der Sohn der alten Frau Brugger an den beiden Menschen gerächt, die ihn um sein Erbe gebracht hatten?

Wieder einmal führte einer seiner Fälle Ben also nach Bad Ischl, in seine Heimatstadt. Und damit in die Nähe seiner Ex-Freundin, der Allgemein- und Notärztin Marie Giesinger. Die Wunde würde nie ganz heilen, aber mittlerweile hatte er die Ereignisse von damals in eine sichere Ecke seines Gehirns verbannt, wo sie langsam verblassten: Maries unangekündigtes Untertauchen nach drei Jahren Beziehung, seine Verzweiflung darüber, der er mit einem unkontrollierten Tauchgang zu entkommen versuchte, und den Tod seines Bruders Andi, dem es zwar gelungen war, Ben zu retten, nicht aber sich selbst.

In der Morgenbesprechung hatte sein Boss, LKA-Chefinspektor Christian Franz, Ben und seinem Kollegen Peter Neumüller die Leitung des Falles übertragen. Wie schon bei den letzten in der Gegend mit eindeutigen Worten: »Das Salzkammergut ist euer Revier. Nur ihr versteht, wie die dort ticken.«

Zwar war Peter Neumüller ein gestandener Mühlviertler, aber auch ein kongenialer Ermittlungspartner. »Wärst du nicht aus Bad Mühllacken, könnte Bad Ischl in deiner Geburtsurkunde stehen«, hatte Ben ihn einst in den Quasi-Einheimischen-Status erhoben.

Auch an diesem Tag versengte die Sonne die Stadt gnadenlos. Glühende Luft ließ sich kaum in die Lunge hieven, lag dicht und sämig über allem.

Bei einem Kaffee im Schatten der historischen Trinkhalle besprachen die beiden Männer die weitere Vorgehensweise. Das Gebäude, 1829 im Stil eines griechischen Tempels errichtet, wurde seinerzeit für Trinkkuren genutzt. Seit der umfassenden Renovierung im Zuge der Landesausstellung 2008 diente es für Veranstaltungen, im Moment jene der Kulturhauptstadt.

»Zunächst knöpfen wir uns diesen Koloman Brugger vor. Die Geschichte ist einfach zu perfekt«, bemerkte Ben voller Tatendrang und stürzte seinen Espresso in einem Zug hinunter.

Nachdenklich verzog Peter Neumüller die Lippen. »Du sagst es, zu perfekt. Hast aber recht, warum sollte diesmal nicht das Naheliegende auch das Wahre sein?«

Im nächsten Moment weiteten sich seine Augen erstaunt. »Was zum …?«

Amüsiert folgte Ben seinem Blick.

Soeben promenierte Kaiserin Sisi vorbei, als wäre sie eben dem berühmten Gemälde von Franz Xaver Winterhalter entsprungen. Das lange Haar war mit den berühmten Sternen verziert, die große Gestalt mit der Wespentaille steckte in einem ausladenden schulterfreien weißen Kleid. Huldvoll winkte sie den Passanten zu und lächelte milde, als sie begeistert um Selfies gebeten wurde.

»Willkommen in den Kaisertagen, mein Lieber«, kommentierte Ben die Verwunderung seines Kollegen trocken. »Am kommenden Sonntag, dem 18. August, jährt sich wieder einmal der Geburtstag Kaiser Franz Josephs. Zum 194. Mal übrigens. Den hat er ja zu Lebzeiten oft in Ischl gefeiert und bei der Gelegenheit 1853 auch seine Sisi kennengelernt.«

Peter Neumüllers Blick fiel auf eine kleine Gestalt mit Hakennase, falschem Backenbart und Federhelm, die mit leicht gekrümmtem Rücken hinter der Kaiserin herdackelte. »Hoffentlich war das Original nicht ganz so knorrig, sonst habe ich meine Zweifel an einer Liebesheirat.«

»Etwas mehr Respekt, bitte. Und kehr vor deiner eigenen Tür. Mir ist bis heute nicht klar, in was genau sich deine Holde bei dir verliebt hat!«

»Na, in meine rechte große Zehe natürlich.« Peter Neumüller grinste. »Du hast keine Ahnung, was bei der abgeht, wenn ich meine Socken ausziehe.«

Ben verdrehte die Augen.

»Ich hab’s halt nicht so mit dem romantisierten Adelskitsch«, sagte Neumüller. »Auch die zarte Sisi musste mal auf den Nachttopf.«

»Schon gut«, lenkte Ben ein, »kümmern wir uns lieber um einen, der erst seit ein paar Tagen und nicht schon seit hundert Jahren tot ist. Komm!«

Vorbei am alten Postgebäude machten sie sich zu Fuß auf den kurzen Weg zur Kaiser-Therme. Üppige Blumenrabatten säumten die Straßen, begeistert beäugt von den Gästen der Kulturhauptstadt.

Bereits nach wenigen Minuten kam das ehemalige Kurmittelhaus in Sicht. Das Gebäude mit seiner weißen Fassade und dem grünen Dach stand unter Denkmalschutz, die Therme selbst war vor ein paar Jahren aufwendig saniert und erweitert worden, auch um ein luxuriöses Hotel. Schon seit 1829 wurden in Ischl Solebäder verabreicht. Seine Beliebtheit verdankte der Ort allerdings einem anderen Umstand: Erzherzogin Sophie, die Mutter des legendären Kaisers Franz Joseph, war nach jahrelangen erfolglosen Versuchen, ein Kind zu bekommen, zur großen Erleichterung aller hier endlich schwanger geworden.

Verwundert musterte Peter Neumüller den vollen Parkplatz. »Echt jetzt? Es hat 36 Grad, wer suhlt sich da freiwillig in genauso warmem Wasser?«

Wie Ben wusste, mochte sein Partner keine öffentlichen Bäder, hatte aber kein Problem damit, sich in den eiskalten Bach vor seinem Haus zu werfen. Er sparte sich jeglichen Kommentar und wandte sich dem Eingang zu. »Da geht’s lang. Koloman Brugger erwartet uns am Eingang und hat keine Ahnung, was wir von ihm wollen.«

Braune Haare, braune Augen, schiefe Nase, verkniffene Lippen. Ein Meter 80 pure Achtsamkeit verteilt auf vielleicht 65 Kilo stand breitbeinig und mit verschränkten Armen vor ihnen. Zuvorkommend ging anders, aber dergleichen störte Ben schon lange nicht mehr. Peter Neumüller erst recht nicht.

»Danke für Ihre Zeit, Herr Brugger«, vernahm Ben gerade von rechts. »Es wird nicht lange dauern. Wo können wir ungestört miteinander sprechen?«

»Was wollen S’ denn?«, fragte der dürre Mann im Bademeister-Outfit misstrauisch.

Ben ging nicht weiter darauf ein, sah ihn lediglich auffordernd an. Mürrisch deutete Brugger auf eine Tür am Ende des Eingangsbereichs der Therme. Dahinter befand sich ein kleiner Aufenthaltsraum, in dem es durchdringend nach Kaffee roch. Ohne ihnen einen anzubieten, setzte er sich an einen fleckigen Tisch mit vier Stühlen. »Bitt’schön, nehmen S’ Platz!«

Seltsamerweise trug Peter Neumüller heute keines seiner berühmten Sprüche-T-Shirts, sondern ein kreuzbraves weißes. »Herr Brugger, oder darf ich Koloman sagen …?« Ohne dessen Zustimmung abzuwarten, berichtete er in kurzen Worten, dass sie die Umstände von Regus Dorningers Tod untersuchten. »Reine Routine. Wir haben lediglich ein paar Fragen«, spielte er die Sachlage herunter.

»Hat’s den Sauhund also jetzt erwischt! Kann nicht behaupten, dass ich traurig darüber bin.« Dem Bademeister mit dem herausgewachsenen Vokuhila gelang es nicht, die Schadenfreude aus seinem jungenhaften Gesicht zu verbannen. Plötzlich schien ihm aufzugehen, dass er mit zwei Polizisten sprach. »Aber … stimmt etwas nicht? Warum sind Sie hier?«

Insgeheim musste Ben schmunzeln. Ihr Gegenüber erschien ihm ein wenig blauäugig. »Wo waren Sie denn gestern Nacht zwischen neun und drei?«, fiel er mit der Tür ins Haus.

Der riesige Adamsapfel des Bademeisters hüpfte auf und ab. »Wieso? Der Regus ist doch bei einem Unfall verbrannt, oder …«

»Herr Brugger, beantworten Sie bitte die Frage.«

Die Explosion kam zwei Sekunden später. »Seids ihr vollkommen ang’rennt? Mord? Mir ist schon klar, wo das herkommt, aber eines müsst ihr mir glauben: Ich hab mit dem ganzen Scheiß nix zu tun. Ja, wir waren einander spinnefeind, aber so blöd bin ich nicht, mich wegen dem ins Gefängnis stecken zu lassen.« Offensichtlich war er doch kein schnellerer Sprecher als Denker und hatte die Zusammenhänge sofort kapiert.

Die beiden Beamten warteten ungerührt auf seine Antwort, die mit einiger Verzögerung auch kam. »Verflixt noch mal, ich war im Bett. Allein. Ich hab nicht so viel Anschluss gefunden, seit ich wieder hier bin, treffe nur hin und wieder einen alten Schulfreund …«

Also kein Alibi.

»Sie haben Regus Dorninger vor Zeugen mehrfach aufgelauert und beschimpft und ihn im Pfiffikus sogar einmal am Krawattl gepackt.«

Der Bademeister grummelte, ließ sich aber nicht länger provozieren. »Kaffee?«

Angesichts der unübersehbaren Verzögerungstaktik verneinten beide Ermittler umgehend, Ben nicht ohne einen Seitenblick auf die schmutzigen Geschirrstapel. »Koloman, wir wollen nichts trinken, sondern eine Aussage.«

»Zunächst mal: Manni, bitte. Ich hasse meinen Vornamen«, gab Brugger sich geschlagen. »Das war direkt nach dem Urteil. Weil der Dorninger triumphierend he­reinspazierte und mich so überheblich angrinste. Danach ging ich ihm aber bewusst aus dem Weg. Anzeige gab’s auch keine.«

Das stimmte. Von den Beschimpfungen wussten sie nur, weil Marie ihnen davon erzählt hatte. Ben musste Manni Brugger zugutehalten, dass er gar nicht erst versuchte, etwas zu beschönigen. Dennoch war er im Augenblick ihr Verdächtiger Nummer eins, auch wenn sich Bens Zweifel nachdrücklich meldeten. Der Mörder war strukturiert vorgegangen. Seiner ersten Einschätzung nach war der Bademeister aber aus einem anderen Holz geschnitzt. Verletzt. Verzweifelt. Naiv. Das ja. Aber hinterhältig?

Aus Peter Neumüllers Gesicht ließ sich nicht ablesen, wie er Brugger einschätzte. »Sie leben wieder mit Ihrer Mutter zusammen?«

Auch das hatten sie von Marie, deren Patientin die alte Dame war. Mitgeteilt hatte sie ihnen ihr Wissen mit einem beinahe schon wütend klingenden Satz: »Nie im Leben ist ihr Sohn schuld an Regus’ Tod. Schminkt euch das ab.«

Der etwa 30-Jährige biss sich auf die Lippen. »Hab keine Wahl. Wir hatten unsere Probleme und ich war deshalb lange weg, aber es gibt sonst niemanden mehr. Es geht gerade schnell mit ihrer Demenz. Meine Mutter hat keine Vorsorgevollmacht unterschrieben, und damit sind auch die restlichen 70.000, die vom Verkauf des Grundes übrig sind, eingefroren. Zumindest gehört Mama noch die kleine Wohnung in St. Gilgen. Dort kümmere ich mich um sie, so gut ich kann.«

»Reicht Ihr Verdienst dafür?«

»Weil ich nur 25 Stunden pro Woche als Badewaschl schufte? Was soll ich denn machen? Mich zerreißen? Mama braucht mich. Ich würde eh viel lieber wieder in meinem gelernten Beruf als Koch auf einem Kreuzfahrtschiff arbeiten. Macht mehr Spaß als das hier.« Mit einer abschätzigen Geste deutete er auf seine Umgebung.

»So war das nicht gemeint«, lenkte Peter Neumüller ein.

»Schon gut«, winkte der Bademeister ab. »Ich will in den Spiegel schauen können, wenn die Mama mal nicht mehr ist. Und dass der Dorninger jetzt nix mehr von seinen Betrügereien hat, beweist, dass man das Schicksal manchmal nur arbeiten lassen muss und Rache nichts bringt.« Er lehnte sich zurück, bis die Lehne knackte, bevor er eine kleine Bombe hochgehen ließ. »Die Anwalts- und Gerichtskosten wurden übrigens von jemandem beglichen.«

»Was soll das heißen? Von wem?«

»Zuerst dachte ich an einen Fehler, aber der Anwalt rückte irgendwann damit heraus. Die Charly Dorninger war’s. Hatte halt ein fett schlechtes Gewissen. Ich war ziemlich überrascht und stellte sie zur Rede. Sie entschuldigte sich, meinte, das mit meiner Mutter nicht gewollt zu haben, außerdem habe sie den Job danach sofort geschmissen. Ist eigentlich eine ganz Nette, wäre sie nicht mit diesem Arsch verheiratet gewesen. Der wusste übrigens nichts davon, dass sie unsere Kosten übernommen hat. Sie bat mich, es auf keinen Fall an die große Glocke zu hängen.«

Regus Dorningers Frau hatte hinter dessen Rücken Koloman Bruggers Anwalt bezahlt? Wie seltsam war das denn?

»Ist sonst noch etwas? Ich muss zum Dienst«, sagte Manni Brugger ungeduldig. Offenbar wollte er die Beamten loswerden.

»Vorerst nicht, aber halten Sie sich zur Verfügung«, strapazierte Peter Neumüller einen altgedienten Satz aus Fernseh-Krimis.

Mit einem langen Gesicht machte sich der Bademeister davon.

»Was hältst du von alldem?«, fragte Ben und musterte die Kaffeemaschine so gierig wie misstrauisch.

»Mehr als von dem Ding da«, antwortete Peter Neumüller, der seinem Blick gefolgt war. »Gemma lieber zum Zauner. Da weiß ich, was ich krieg. Esterházy-Schnitten zum Beispiel. Wenn ich Kalorien ein neues Zuhause gebe, fällt es mir gleich viel leichter, unsere nächsten Schritte zu planen.«

»Seltsamerweise kann ich mich an Manni Brugger nicht erinnern, obwohl er nur ein paar Jahre jünger ist als ich«, sinnierte Ben 20 Minuten später über einem Lachsbrötchen und beobachtete interessiert sein Gegenüber, welches schon das dritte in sich hineinschob und genüsslich kauend die üppig ausgestatteten Vitrinen mit den Süßigkeiten inspizierte. Peter Neumüller und sein Appetit waren ein eingeschworenes Team.

»Selbst du kannst nicht jeden der 15.000 in eurer Weltstadt kennen, Alter«, erwiderte der Polizist, nachdem er den letzten Bissen vernichtet hatte.

»Trotzdem. Ich will seinen ganzen Lebenslauf. Rufst du bitte gleich Tobias an?«