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»Die gestundete Zeit«, 1953 erschienen, begründete Ingeborg Bachmanns Ruhm als eine der größten Dichterinnen der europäischen Moderne. Sämtliche vollendeten Gedichte, von der frühen Lyrik bis zur »Anrufung des Großen Bären«, bilden den Kern ihres facettenreichen Werkes und gehören zu den großen dichterischen Leistungen des 20. Jahrhunderts.
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Seitenzahl: 126
[…]
Sklaverei ertrag ich nicht
Ich bin immer ich
Will mich irgend etwas beugen
Lieber breche ich.
Kommt des Schicksals Härte
oder Menschenmacht
Hier, so bin ich und so bleib ich
Und so bleib ich bis zur letzten Kraft.
Darum bin ich stets nur eines
Ich bin immer ich
Steige ich, so steig ich hoch
Falle ich, so fall ich ganz.
Auswahl
Eine einzige Stunde frei sein!
Frei, fern!
Wie Nachtlieder in den Sphären.
Und hoch fliegen über den Tagen
möchte ich
und das Vergessen suchen – – –
über das dunkle Wasser gehen
nach weißen Rosen,
meiner Seele Flügel geben
und, oh Gott, nichts wissen mehr
von der Bitterkeit langer Nächte,
in denen die Augen groß werden
vor namenloser Not.
Tränen liegen auf meinen Wangen
aus den Nächten des Irrsinns,
des Wahnes schöner Hoffnung,
dem Wunsch, Ketten zu brechen
und Licht zu trinken – – –
Eine einzige Stunde Licht schauen!
Eine einzige Stunde frei sein!
Daß ich nach schalem Genusse,
Erniedrigt, bitter und lichtlos
Mich fasse und in mich greife,
Macht mich noch wert.
Ich bin ein Strom
Mit Wellen, die Ufer suchen,
Schattende Büsche im Sand,
Wärmende Strahlen von Sonne,
Wenn auch für einmal nur.
Mein Weg aber ist ohne Erbarmen.
Sein Fall drückt mich zum Meer.
Großes, herrliches Meer!
Ich weiß keinen Wunsch auf diesen,
Als strömend mich zu verschütten
In die unendlichste See.
Wie kann ein Begehren,
Süßere Ufer zu grüßen,
Gefangen mich halten,
Wenn ich vom letzten Sinne
Immer noch weiß!
Ich frage mich alle Stunden tausendmal,
Woher mir dieses Lastbewußtsein kam,
Dies dumpfe immer tiefer Schmerzen.
Ich habe alle Freude längst verloren,
Mich zu empfinden in den Mattigkeiten,
Ich bin gequält in meinem Weiterschreiten
Und bitter, daß ich mich nicht wehren kann.
Ich schüttel mich in himmelwärt’ger Schau,
Versuch mich in Genuß und Raserei.
Ich bin mit Gott und seiner Welt zerfallen
Und habe selbst im Knieen nie gefühlt,
Daß es den Demutfrieden gibt,
Den alle andern sich so leicht erdienen.
Ich muß doch Gottes sein, in allem Widerspruch.
Ihn so zu glauben, wie ich glauben muß,
Muß er notwendig mich aus seinem Strahle geben.
Wie bist du müde, Welt, die mich geboren,
Einzig bereit, mir Ketten aufzudrücken
Und, wo ich lodern kann und mich entzücken,
Mir deine Schatten fester einzugraben.
Zwischen Schlaf und Träumen
In üppigen Wiesen
Wandert mein Blick auf
In die unendlichen Höhen.
Welch ein schäumendes Leben!
Wolke auf Wolke entschwebt
Wie die glühenden Stunden,
Die werden versinken
Mitten ins dunkle Weh
Des moorigen Teiches.
Nichts regt sich in mir,
Durch die sengende Hitze
Bin ich in Ruhe geworfen.
Tag folgt auf Tag.
Meine Augen sehen sie immer,
Die goldene Sonne.
Einmal wird sie bleiben,
Dort wo ein Schatten aufwölkt.
Bitterlich ist das Versäumen.
Zündest du Lichter an
und große Feuer
mit weiten Scheinen
ohne Ende.
Wirfst du in schleiernden Rauch
züngelnde Fackeln,
streust du aus Augen und Herz,
was du besitzt.
Immer nur ist es Versuch,
tastender Weg,
immer dein Bild nur,
das du vom Lichte trägst.
Ich wollte nie so versinken
und ich will nicht glauben,
daß die heiligen Stunden,
die selbst im Trubel ich fand,
mich verließen wie launische Winde.
Ich werde wandern und suchen.
Und wenn ich einmal sie finde,
werde ich nie mehr lassen,
daß die leidigen Tage
mich fransen wie seidiges Tuch.
Ich hatte Einsamkeit und weine,
daß ich so leicht sie ließ,
dem sie kam zu geben.
Sicher kam sie zu geben,
während mich Schlaf umfing!
Schmerzend ist jede Nacht,
Wenn du den sterbenden Tag,
Gefesselt, ihn ganz zu erfüllen,
Still hast bedacht.
Klaffend ein tiefer Grund
Zwischen gewolltem Sein
Und seines schalen Erfüllens
Engendem Rund.
Wenn du im Traume auch
Oft schon umschlungen hast
Himmel und herrliche Höhen,
Abends frag ich meine Mutter
heimlich nach dem Glockenläuten,
wie ich mir die Tage deuten
und die Nacht bereiten soll.
Tief im Grund verlang ich immer
alles restlos zu erzählen,
in Akkorden auszuwählen,
was an Klängen mich umspielt.
Leise lauschen wir zusammen:
meine Mutter träumt mich wieder,
und sie trifft, wie alte Lieder,
meines Wesens Dur und Moll.
Wir gehen, die Herzen im Staub,
und lange schon hart am Versagen.
Man hört uns nur nicht, ist zu taub,
um das Stöhnen im Staub zu beklagen.
Wir singen, den Ton in der Brust.
Dort ist er noch niemals entsprungen.
Nur manchmal hat einer gewußt:
wir sind nicht zum Bleiben gezwungen.
Wir halten. Beenden den Trott.
Sonst ist auch das Ende verdorben.
Und richten die Augen auf Gott:
wir haben den Abschied erworben!
Es könnte viel bedeuten: wir vergehen,
wir kommen ungefragt und müssen weichen.
Doch daß wir sprechen und uns nicht verstehen
und keinen Augenblick des andern Hand erreichen,
zerschlägt so viel: wir werden nicht bestehen.
Schon den Versuch bedrohen fremde Zeichen,
und das Verlangen, tief uns anzusehen,
durchtrennt ein Kreuz, uns einsam auszustreichen.
In den Bäumen kann ich keine Bäume mehr sehen.
Die Äste haben nicht die Blätter, die sie in den Wind halten.
Die Früchte sind süß, aber ohne Liebe.
Sie sättigen nicht einmal.
Was soll nur werden?
Vor meinen Augen flieht der Wald,
vor meinem Ohr schließen die Vögel den Mund,
für mich wird keine Wiese zum Bett.
Ich bin satt vor der Zeit
und hungre nach ihr.
Was soll nur werden?
Auf den Bergen werden nachts die Feuer brennen.
Soll ich mich aufmachen, mich allem wieder nähern?
Ich kann in keinem Weg mehr einen Weg sehen.
Betrunkner Abend, voll vom blauen Licht,
taumelt ans Fenster und begehrt zu singen.
Die Scheiben drängen furchtsam sich und dicht,
in denen seine Schatten sich verfingen.
Er schwankt verdunkelnd um das Häusermeer,
trifft auf ein Kind, es schreiend zu verjagen,
und atmet keuchend hinter allem her,
Beängstigendes flüsternd auszusagen.
Im feuchten Hof am dunklen Mauerrand
tummelt mit Ratten er sich in den Ecken.
Ein Weib, in grau verschlissenem Gewand,
weicht vor ihm weg, sich tiefer zu verstecken.
Am Brunnen rinnt ein dünner Faden noch,
ein Tropfen läuft, den andern zu erhaschen;
dort trinkt er jäh aus rostverschleimtem Loch
und hilft, die schwarzen Gossen mitzuwaschen.
Betrunkner Abend, voll vom blauen Licht,
taumelt ins Fenster und beginnt zu singen.
Die Scheiben brechen. Blutend im Gesicht
dringt er herein, mit meinem Graun zu ringen.
Ich hänge als Schnee von den Zweigen
in den Frühling des Tals,
als kalte Quelle treibe ich im Wind,
feucht fall ich in die Blüten
als ein Tropfen,
um den sie faulen
wie um einen Sumpf.
Ich bin das Immerzu-ans-Sterben-Denken.
Ich fliege, denn ich kann nicht ruhig gehen,
durch aller Himmel sichere Gebäude
und stürze Pfeiler um und höhle Mauern.
Ich warne, denn ich kann des Nachts nicht schlafen,
die andern mit des Meeres fernem Rauschen.
Ich steige in den Mund der Wasserfälle,
und von den Bergen lös ich polterndes Geröll.
Ich bin der großen Weltangst Kind,
die in den Frieden und die Freude hängt
wie Glockenschläge in des Tages Schreiten
und wie die Sense in den reifen Acker.
Ich bin das Immerzu-ans-Sterben-Denken.
Beim Hufschlag der Nacht, des schwarzen Hengstes vorm Tor,
zittert mein Herz noch wie einst und reicht mir den Sattel im Flug,
rot wie das Halfter, das Diomedes mir lieh.
Gewaltig sprengt der Wind mir auf dunkler Straße voran
und teilt das schwarze Gelock der schlafenden Bäume,
daß die vom Mondlicht nassen Früchte
erschrocken auf Schulter und Schwert springen,
und ich schleudre
die Peitsche auf einen erloschenen Stern.
Nur einmal verhalt ich den Schritt, deine treulosen Lippen zu
küssen, schon fängt sich dein Haar in den Zügeln,
und dein Schuh schleift im Staub.
Und ich hör deinen Atem noch
und das Wort, mit dem du mich schlugst.
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