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Mit der Ausgabe der von Ingeborg Bachmann im Jahre 1949 abgefassten Dissertation, mit der sie 1950 an der Wiener Universität promovierte, wird nicht nur ein seit langem geäußerter Wunsch der Literaturwissenschaft erfüllt, sondern auch dem zunehmenden Interesse weiter Leserkreise an den Wiener Jahren der Dichterin Rechnung getragen.
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Die kritische Aufnahme der Existentialphilosophie Martin Heideggers
(Dissertation Wien 1949)
Aufgrund eines Textvergleichs mit dem literarischen Nachlaß herausgegeben von
Robert Pichl
Mit einem Nachwort von
Friedrich Wallner
© Piper Verlag GmbH, München 1985
Coverabbildung: Dr. Heinz Bachmann
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)
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Cover & Impressum
Zitierfähigkeit
Vorbemerkung
Deckblatt
Einleitung
Die Positionen der Kritiker
I. Philosophie der Materie
A. Logischer Positivismus
B. Historischer Materialismus
II. Philosophie der Idee
A. Neukantianismus der Marburger Schule
B. Neukantianismus der Badischen Schule
C. Aktualer Idealismus
D. Andere idealistische Standpunkte
III. Philosophie des Lebens
Diltheyschule
IV. Philosophie des Wesens
Jüngere Phänomenologen
V. Philosophie der Existenz
Dialektische Theologie
VI. Philosophie des Seins
A. Deutsche Ontologen und Metaphysiker
B. Neuthomismus
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
I. Veröffentlichungen Heideggers
II. Die Literatur über Heidegger
III. Allgemeine Literatur
Curriculum vitae
Anmerkungen
Editorische Notiz
Textzeugen
Zum textkritischen Verfahren
Jenseits von wissenschaftlicher Philosophie und Metaphysik
Nachwort zur Dissertation von Ingeborg Bachmann
Anmerkungen
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Literaturverzeichnis
Der Textkorpus ist nicht zeilen-, aber seitenidentisch mit dem Original. Ausgenommen davon ist das Literaturverzeichnis, wo die Originalpaginierung der Dissertation durch die in Klammern gesetzte Seitenzahl mit dem Zusatzf verdeutlicht wird. – Die Erklärung der diakritischen Zeichen sowie der Sternchen im Text findet sich in den Anmerkungen bzw. im Abschnitt »Zum textkritischen Verfahren«.
Die Seitenzahlen sind im E-Book zu Beginn jeder ursprünglichen Seite mit//Seitenzahl im Fließtext vermerkt.
Seit die Bachmann-Forschung nach dem Erscheinen der vierbändigen Werkausgabe im Jahre 1978 und der wenige Jahre später erfolgten Übergabe des geordneten literarischen Nachlasses an die Österreichische Nationalbibliothek auf breiter Basis neu einsetzen konnte, hat sie immer wieder die mangelnde Verfügbarkeit der Dissertation der Dichterin moniert. Da man diese theoretische Erstlingsarbeit aus naheliegenden Gründen nicht in die Textauswahl der großen Ausgabe aufgenommen hatte, blieb sie weiterhin nur in den beiden maschinschriftlichen Pflichtexemplaren der Österreichischen Nationalbibliothek und der Wiener Universitätsbibliothek zugänglich, was sich vor allem für die nicht vor Ort arbeitenden Forscher als beschwerlich erwies. Mittlerweile war aber im Zuge der zunehmenden »Wittgenstein-Renaissance« neben das Interesse der Literaturwissenschaftler auch jenes der Fachphilosophen an diesem für sie einschlägigen Text getreten. Es schien also an der Zeit, dem wissenschaftlichen Desiderat einer leicht verfügbaren Ausgabe Rechnung zu tragen.
Die vorliegende Edition ist bewußt nicht als »historischkritische Ausgabe« im umfassenden Sinn, sondern als »kritische Studienausgabe« konzipiert. Sie bietet einen aufgrund der Kollation der von der Autorin zur Approbation eingereichten »Fassung letzter Hand« mit der zeitlich früheren Nachlaßfassung gewonnenen Text, der den methodischen Forderungen der neueren Editionsphilologie gerecht wird, ohne daß allerdings der Benützer durch eine subtile typographische Dokumentation jeder einzelnen Entstehungs- und Redaktionsphase im Lesevorgang beeinträchtigt würde. Die unter den Gesichtspunkten der Autorintention bzw. (passiven) Autorisation relevanten »Lesarten« und »Varianten« sind im Text selbst diakritisch gekennzeichnet und werden in einem gesonderten Apparatteil, wo es notwendig scheint auch mit kommentierenden Bemerkungen, einander gegenübergestellt. Dieses Verfahren soll dem wissenschaftlichen Benützer die Verfolgung seines Fachinteresses ermöglichen, zugleich aber auch die wachsende Zahl spontaner Bachmann-Leser zur »unbelasteten« Lektüre einladen. Für beide Lesergruppen wird jedoch der abschließende Essay des Wiener Sprachphilosophen Friedrich Wallner von Nutzen sein. Schon die Abstraktheit des in der Dissertation abgehandelten Themas, aber auch die für den Nichtfachmann mitunter schwierige, nach Ingeborg Bachmanns eigenen Worten »verklemmte, erbarmungswürdige akademische Diktion« ließen die Beigabe dieses mit Absicht etwas propädeutisch gehaltenen Nachwortes wünschenswert erscheinen. Darüber hinaus aber bietet es neben der Analyse des wissenschaftlichen Gehaltes der Arbeit auch eine Interpretation vorhandener Indizien der frühen Wittgenstein-Rezeption Ingeborg Bachmanns, deren Spuren in einzelnen dichterischen Werken weiterverfolgt werden. Daher kann dieser Essay nicht nur zur einführenden Lektüre in den Problemhorizont des Textes mit Gewinn herangezogen werden, sondern er vermag auch dessen Bedeutung für die intellektuelle und künstlerische Weiterentwicklung der Dichterin in einem ersten Überblick darzustellen.
Danken möchte der Herausgeber zunächst Ingeborg Bachmanns Erben, Frau Isolde Moser (Kötschach) und Herrn Dr. Heinz Walter Bachmann (Ankara), für die Erlaubnis zur Edition dieses Textes sowie für zahlreiche sachliche und organisatorische Hilfestellungen. Ein weiteres Wort des Dankes gilt den Direktionen, zuständigen Abteilungsleitern und Mitarbeitern der Österreichischen Nationalbibliothek und der Wiener Universitätsbibliothek für die stets liberale, unbürokratische Bereitstellung der notwendigen Arbeitsgrundlagen, insbesondere dem Vizedirektor der Universitätsbibliothek, Hofrat Dr. Rudolf Rathei, sowie dem Leiter der Benützerabteilung der Nationalbibliothek, Oberrat Dr. Hermann Frodl, die das Entstehen der Ausgabe auch mit sehr persönlicher Anteilnahme verfolgt haben; ferner Frau Oberrat Dr. Eva Irblich von der Handschriften- und Inkunabelsammlung der Österreichischen Nationalbibliothek für ihre hilfreiche Beratung in Fragen der Beschreibung und Klassifizierung der Textzeugen; schließlich dem unermüdlichen Amtsrat Otto Hoschek sowie den Beamten der Fernleihe an der Wiener Universitätsbibliothek, da ohne ihre weit über das übliche Maß hinausgehenden Initiativen bei der Literaturbeschaffung die notwendige Überprüfung der zahlreichen Zitate und Belegstellen der Dissertation unmöglich gewesen wäre.
Vor allem aber möchte der Herausgeber seinem ehemaligen Studienkollegen, Universitätsdozent Dr. Friedrich Wallner, danken, dessen philosophisches Fachwissen nicht nur dem Nachwort, sondern auch heiklen textkritischen Entscheidungen zwischen terminologischen Varianten bzw. inhaltlich begründeten Emendationen zugute gekommen ist.
Ein kollegialer Gruß sei zuletzt an die Herausgeberinnen der Werkausgabe Ingeborg Bachmanns, Christine Koschel und Inge von Weidenbaum, gerichtet, deren verdienstvolle Arbeit nunmehr die langerwünschte Ergänzung erfahren hat.
Wien, Juni 1985 Robert Pichl
//1 Die vorliegende Arbeit macht es sich zur Aufgabe, die deutschen Kritiken zu Heideggers Existentialphilosophie vorzulegen, und versucht abschliessend, die aufgefundenen Einwände selbständig zu sehen.
Da viel wertvolles Material nicht zugänglich ist, musste die Arbeit lückenhaft bleiben. Aus diesem Grunde konnte auch das Literaturverzeichnis, das damit zum ersten Mal in dieser Vollständigkeit vorgelegt wird, nicht in kritische und positive Beiträge geschieden werden. Bücher, Broschüren und Aufsätze, die als kritische Beiträge erkannt und zu einem Teil verwendet werden konnten, sind als solche ausdrücklich bezeichnet.
Die Gliederung der Positionen, von denen aus der Angriff auf Heidegger erfolgt, sowie deren Charakterisierung ist der Darstellung der Gegenwartsphilosophie I. M. Bochenskis[1] entnommen. Trotzdem bleibt in vielen Fällen die Zuordnung der als Kritiker in Erscheinung tretenden Autoren problematisch, wenn auch im Laufe der Darstellung versucht wird, auf die Unterschiedlichkeit mancher derselben Richtung zugeordneten Denker hinzuweisen.
//2 Der moderne logische Positivismus, für den Philosophie ausschliesslich Analyse der naturwissenschaftlichen Sprache ist, und der die Beschränkung auf die logische Methode fordert, hat sich eingehend mit den »Pseudoproblemen« der Philosophie beschäftigt. Da Objekt der Erfahrung für ihn nur die Empfindung ist, können nur Sätze verifiziert werden, die sich auf Empfindungen* beziehen. In Bezug darauf kann die Sprache etwas besagen, sie könne aber natürlich auch Wünsche und Gefühle zum Ausdruck bringen. Mit dem Ausdruck der letzteren haben wir es grösstenteils in der klassischen Philosophie zu tun. Die Probleme, die für sie bestehen, seien wahrscheinlich Ausdruck von Gefühlen, aber sie besagen nichts, weder das Realismus-Problem, noch das der Existenz Gottes, das des Geistes, etc.
Gegner der Metaphysik hat es immer schon gegeben, aber zu ihren Bedenken fehlte ihnen eine zureichende Methode, um die radikale Ueberwindung der Metaphysik zu gewährleisten. Während man einesteils glaubte, Metaphysik sei unmöglich, weil sie der Erfahrungserkenntnis widerspreche (Englischer Empirismus) oder in der Fragestellung die Grenzen der menschlichen Erkenntnis überschreite (Kant), sieht sich Rudolf Carnap, einer der Hauptvertreter dieser Richtung, in der Lage, durch logische Analyse der Sprache eine »schärfere Antwort« zu geben.
In einem Beitrag zur »Erkenntnis«: »Ueberwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache«[2] entnimmt er//3 Zitate aus Heideggers Antrittsvorlesung »Was ist Metaphysik?«[3], um metaphysische Scheinsätze geradezu klassischer Art aufzuzeigen, die gegen die logische Syntax verstossen. Obwohl von einer vorsätzlichen Heidegger-Kritik Carnaps nicht die Rede sein kann, sondern ihm eine prinzipielle Kritik metaphysischer Sätze vorschwebt, wird sich zeigen, dass die nachfolgenden Ausführungen in diesem Zusammenhang doch von grossem Interesse sind und zu Recht ihren Platz in dieser Arbeit haben.
Während auf dem Gebiet der empirischen Wissenschaften ihr formallogischer und erkenntnistheoretischer Zusammenhang aufgewiesen werden kann, erweise sich das Ergebnis der Prüfung auf dem Gebiet der Metaphysik, einschliesslich der Wertphilosophie und Normwissenschaft, als negativ; die »vorgeblichen« Sätze dieser Gebiete zeigen sich Carnap als gänzlich sinnlos.
»Sinnlos« ist in strengem Sinn zu verstehen. Ein Beispiel Carnaps soll zur Erläuterung angeführt werden: Der Satz »A und B sind jeder ein Jahr älter als der andere« ist, weil er kontradiktorisch ist, falsch und unfruchtbar, aber sinnvoll, weil man Sätze dieser Art in wahre und falsche einteilen kann, weil die Möglichkeit besteht, sie richtigzustellen und in wahre zu verwandeln. Von diesen falschen Sätzen müssen wir »Scheinsätze« unterscheiden, die aussehen, als bildeten sie einen Satz. Zwei Arten solcher Scheinsätze werden laut Carnap in der Metaphysik verwendet: syntaxwidrige und solche, in denen Wörter verwendet werden, von denen angenommen wird, dass ihnen eine Bedeutung zukommt. [S. 220]
Zuerst muss aber geklärt werden, worin die Bedeutung eines Wortes besteht. Carnap beantwortet die Frage dahin, dass dazu die Art seines Auftretens in der einfachsten//4 Satzform, in der es vorkommt, d. h. die Syntax, festliegen müsse. Den einfachsten Satz, den sog. »Elementarsatz« bezeichnet er mit S. Von diesem Elementarsatz (S), in dem das betreffende Wort vorkommt, müsse eine Antwort auf folgende Frage erfolgen, die in der metalogischen Redeweise lautet: »Aus was für Sätzen ist S ableitbar und welche Sätze sind aus S ableitbar?« (S. 221)[4], während die Formulierung dieser Frage in der Redeweise der Philosophie (Phänomenologie) laute: »Welchen Sinn hat S?« (S. 222)
In der Wissenschaft sei es nun bei der Mehrzahl der verwendeten Wörter möglich, ihre Bedeutung durch Zurückführung auf andere zu geben. Ein Beispiel Carnaps soll das beleuchten: »>Arthropoden< sind Tiere mit gegliedertem Körper, gegliederten Extremitäten und einer Körperdecke aus Chitin. Hierdurch ist für die elementare Satzform des Wortes >Arthropode<, (nämlich für die Satzform >das Ding ist ein Arthropode<,) die vorhin genannte Frage beantwortet; es ist bestimmt, dass ein Satz dieser Form ableitbar sein soll aus Prämissen von der Form >x ist ein Tier<, >x hat einen gegliederten Körper<, >x hat gegliederte Extremitäten<, >x hat eine Körperdecke aus Chitin<, und dass umgekehrt jeder dieser Sätze aus jenem Satz ableitbar sein soll. Durch diese Bestimmungen über Ableitbarkeit (in anderer Ausdrucksweise: über das Wahrheitskriterium, die Verifikationsmethode, den Sinn)[5] des Elementarsatzes über >Arthropode< ist die Bedeutung des Wortes >Arthropode< festgelegt.« (S. 222) So wird bei Carnap jedes Wort der Sprache auf andere Wörter und schliesslich auf die sog. »Beobachtungssätze« oder »Protokollsätze« zurückgeführt.
//5 Die Bedeutung ist also implizit im Kriterium enthalten. Wollte jemand behaupten, es gäbe Dinge, die »babig« sind, so werden wir nach dem Kriterium fragen müssen, und es ist im konkreten Fall festzustellen, ob ein bestimmtes Ding »babig« ist oder nicht. Wird uns geantwortet, dass es keine empirischen Kennzeichen für »babig« gebe, so ist die Verwendung des Wortes unzulässig; wird geantwortet, dass es ein Ding sei, das eben für den menschlichen Verstand nicht erkennbar ist, so haben wir es mit leerem Gerede zu tun; versichert man uns aber, dass etwas Wirkliches damit gemeint sei, so »erfahren wir jedoch nur das psychologische Faktum, dass [man] irgendwelche Vorstellungen und Gefühle mit dem Wort verbindet.« (S. 223)
Carnap konstruiert noch einen anderen Fall: ein Wort »bebig« wird für viereckige Dinge gebraucht, soll aber doch nicht das gleiche besagen, sondern es wird behauptet, viereckig sei nur der sichtbare Ausdruck für die »Bebigkeit«. Nachdem das Kriterium festliegt, müsse eingewandt werden, dass man nicht die Freiheit hat, dieses oder jenes mit einem Wort zu meinen.
Ueberall soll gezeigt werden, dass die Bildung von Scheinsätzen, mit denen wir es auch bei Heidegger zu tun haben, auf einer Verletzung der logischen Syntax beruht, an deren Gewinnung Carnap arbeitet. Selbst wenn die Ansprüche der grammatischen Syntax erfüllt sind, brauchen es die der logischen nicht zu sein. Der Satz: »Cäsar ist eine Primzahl« (S. 227) ist zum Beispiel syntaxgemäss, aber da »Primzahl« eine Eigenschaft von Zahlen ist, ist die logische Syntax verletzt. Von hier aus könnte eine sinnlose Wortreihe entstehen. Als ein der Metaphysik entnommenes Beispiel, in dem ebenso die logische Syntax verletzt sei, fungiert eine Zusammenstellung von//6 Heideggerschen Sätzen,[6] »Erforscht werden soll das Seiende nur und sonst – nichts; das Seiende allein und weiter – nichts; das Seiende einzig und darüber hinaus – nichts. Wie steht es um dieses Nichts?[7] – Gibt es das Nichts nur, weil es das Nicht, d. h. die Verneinung gibt? Oder liegt es umgekehrt? Gibt es die Verneinung und das Nicht nur, weil es das Nichts gibt? – Wir behaupten: Das Nichts ist ursprünglicher als das Nicht und die Verneinung. – Wo suchen wir das Nichts? Wie finden wir das Nichts?[8] – Wir kennen das Nichts. – Die Angst offenbart das Nichts.[9] – Wovor und warum wir uns ängsteten, war >eigentlich< – nichts. In der Tat: das Nichts selbst – als solches – war da.[10]– Wie steht es um das Nichts? – Das Nichts selbst nichtet.[11] « (S. 229)
In einem Schema versucht Carnap nun, die einzelnen sinnlosen Bildungen herauszustellen, indem er ihnen unter »I« Sätze in grammatischer Analogie zur Seite stellt und unter »III« die Schreibweise der Logistik beifügt. Dieses Schema wird hier, der Anschaulichkeit wegen, ganz wiedergegeben: (S. 230)
I. Sinnvolle Sätze der üblichen Sprache
II. Entstehung von Sinnlosem aus Sinnvollem in der üblichen Sprache
III. Logisch korrekte Sprache
A. Was ist draußen?
A. Was ist draußen?
A. Es gibt nicht (existiert nicht, ist nicht vorhanden) etwas, das draußen ist.
dr(?)
dr(?)
Draußen ist Regen.
Draußen ist nichts.
dr (Re)
dr(Ni)
~ (Ǝ; x)∙dr(x)
//7 B. Wie steht es um diesen Regen? (d. h.: (…)was lässt sich über diesen Regen sonst noch aussagen?)
B. »Wie steht es um dieses Nichts?«
B. Alle diese Formen können überhaupt
nicht gebildet werden.
?(Re)
?(Ni)
1. Wir kennen den
Regen. k (Re)
1. »Wir suchen das Nichts«,
» Wir finden das Nichts«,
»Wir kennen das Nichts«,
k (Ni)
2. Der Regen regnet
2. »Das Nichts nichtet«.
ni (Ni)
re (Re)
3. »Es gibt das Nichts nur, weil…«
ex(Ni)
Schon die Satzform II A als Frage und Antwort entspreche nicht den Forderungen, die an eine logisch korrekte Sprache zu stellen sind, aber sie sei noch sinnvoll, weil man sie in die korrekte Sprache übersetzen kann (III A). Ihre Unzweckmässigkeit ergebe sich aber, wenn wir zu den Sätzen II B fortschreiten, die sich in der logisch korrekten Sprache überhaupt nicht bilden lassen. Der Grund ist darin zu suchen, dass in II B 1. das Wort »nichts« als Gegenstandsname verwendet werde, »weil man es in der üblichen Sprache in dieser Form zu verwenden pflegt, um einen negativen Existenzsatz zu formulieren (siehe II A).« (S. 230)
Im Satz II B 2. komme das bedeutungslose Wort »nichten« dazu und mache diesen Satz doppelt sinnlos; es liegt hier ein Fall vor, wo ein neues Wort eingeführt wird, das schon von Anfang an keine Bedeutung hat. Der Satz IIB 3., der als einziger nicht in grammatischer Analogie zu I B steht, stimme mit den vorhergehenden Sätzen in dem Fehler überein, das Wort »nichts« als Gegenstandsnamen zu benutzen, aber selbst wenn es zulässig wäre, »nichts« als Kennzeichnung eines Gegenstandes einzuführen, enthielte er einen Widerspruch, weil in dem Satz diesem Gegenstand wieder Existenz zugeschrieben wird, die//8 ihm in seiner Definition abgesprochen worden ist. »Dieser Satz würde also, wenn er nicht schon sinnlos wäre, kontradiktorisch, also unsinnig sein.« (S. 231)
Die Vermutung Carnaps, dass das Wort »nichts« vielleicht eine andere Bedeutung haben solle als sonst, bestätigt sich aber nicht, da Heidegger stellenweise das Wort »nichts« in der üblichen Weise als logische Partikel verwendet, zum Beispiel in dem Satz: »Erforscht werden soll das Seiende nur und sonst – nichts.« (24) Noch entscheidender ist aber, dass Heidegger selbst sich ja bewusst ist, gegen die Gesetze der Logik zu verstossen: »Im Wirbel eines ursprünglicheren Fragens« (33) glaubt er die Idee der Logik sich auflösen zu sehen und fühlt sich ihr nicht mehr verpflichtet. »Frage und Antwort im Hinblick auf das Nichts sind gleicherweise in sich widersinnig.« (25)
Darauf kann die Antwort Carnaps nur sein, dass sich die Wissenschaft mit einem Wirbel widerlogischen Fragens nicht einlassen könne, wie Heidegger das von ihr fordert. Offensichtlich empfindet Heidegger ja auch die Geschiedenheit der beiden Bereiche Wissenschaft und Metaphysik, da er das von ihm betriebene Philosophieren als unvereinbar mit der Denkweise der Wissenschaft ansieht.
Ehe Carnap die Sinnlosigkeit der Metaphysik abschliessend behaupten will, gibt er noch Antwort auf Bedenken, die sich einer so radikalen Absage gegenüber hervorwagen könnten. So wäre es zum Beispiel denkbar, dass wir unseres beschränkten Erkenntnisvermögens wegen metaphysische Sätze nicht verifizieren könnten, dies aber einem höheren Wesen mit einem vollkommenen Erkenntnisvermögen möglich wäre. Jetzt kommen wir zu einer der Hauptthesen des logischen Positivismus, dass nämlich sinnlose Fragen nicht als Fragen angesehen werden dürfen,//9 sondern ausgeschaltet werden müssen. Carnap zum Beispiel sagt, auf die Frage: »Sind die geraden oder die ungeraden Zahlen dunkler« (S. 232) könne auch ein allwissendes Wesen nicht antworten, weil keine Frage vorliege.
Quantitativ könne sich unsere Erkenntnis wohl erweitern, eine Erkenntnis ganz neuer Art aber könne nicht hinzukommen, denn was wir nicht verifizieren könnten, könnten wir auch nicht verstehen. »Was uns (un)gewiss ist, kann uns mit Hilfe eines anderen gewisser werden, was aber für uns unverstehbar, sinnlos ist, kann uns nicht durch die Hilfe eines anderen sinnvoll werden, und wüsste er [auch] noch so viel. Daher kann uns auch kein Gott und kein Teufel zu einer Metaphysik verhelfen.« (S. 233)
Es sei auch nicht so, dass es unter vielen sinnlosen Sätzen, die in der Metaphysik anzutreffen sind, welche gebe, die sinnvoll wären.* Ein metaphysischer Satz sei auf jeden Fall sinnlos, weil er der empirischen Wissenschaft und ihren Methoden unzugänglich sei und doch mehr sein wolle, als ein analytisches Urteil (Kant) oder eine Tautologie (Wittgenstein). Ausser diesen »Tautologien« gebe es aber nur Erfahrungssätze, die zum Bereich der empirischen Wissenschaft gehören. [S. 236]
Der Philosophie bleibt nach Carnap nur die logische Analyse, da alle Sätze, die etwas besagen, zu den Realwissenschaften gehören. Sie habe die Ausmerzung bedeutungsloser Wörter und sinnloser Scheinsätze zu übernehmen, wie es hier am Beispiel Heideggers gezeigt wurde. [S. 237]
Bliebe noch die Möglichkeit, Metaphysik als Ausdruck eines Lebensgefühles gelten zu lassen, aber Carnap empfindet sie als hierfür inadaequat, weil sie ja die Form einer Theorie hat, einen, wenn auch scheinbaren Begründungszusammenhang bietet,//10 und weil der Metaphysiker glaubt, sich in einem Gebiet zu bewegen, wo es um wahr und falsch gehe, während ein Künstler nie die schöpferische Arbeit eines anderen zu widerlegen sucht. [S. 238]
Das Ergebnis der Untersuchung ist: Metaphysik könne nur ein unzulänglicher Ersatz für Kunst sein und befinde sich in einer Selbsttäuschung, wenn sie an ihren theoretischen Gehalt glaube. Das gelte nicht nur für Heidegger, sondern für jede spekulative oder intuitionistische Metaphysik, jede Ethik und Aesthetik als normative Disziplin, aber auch für eine Metaphysik, die von der Erfahrung ausgehen und durch irgendwelche Schlüsse das hinter oder ausser der Erfahrung Liegende erkennen wolle. [S. 240 f.]//11
Von teilweise aussertheoretischen Gesichtspunkten sagt Theodor Hartwig in seinem Buch »Der Existentialismus«[12]Heidegger den Kampf an, wie dies schon der Untertitel: »Eine politisch reaktionäre Ideologie« zu erkennen gibt.