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»Das ist der schönste Sommer meines Lebens, und wenn ich hundert Jahre alt werde – das wird der schönste Frühling und Sommer bleiben. Vom Frieden merkt man nicht viel, sagen alle, aber für mich ist Frieden, Frieden!« 1945, unmittelbar nach Kriegsende, notiert die achtzehnjährige Ingeborg Bachmann diese Zeilen in ihrem Tagebuch. Aus ihnen sprechen die Abscheu vor der NS-Ideologie und die Erleichterung über das Ende der Nazi-Herrschaft. Der euphorische Ton hat noch einen weiteren Grund: Ingeborg Bachmann hat sich in den britischen Besatzungssoldaten Jack Hamesh verliebt, einen Wiener Juden, dem 1938 die Emigration gelang. Er befragt die junge Frau zunächst zu einer Mitgliedschaft im »Bund deutscher Mädel«; es entsteht bald eine enge Freundschaft. Dennoch wandert Hamesh im Frühjahr 1946 in das damalige Palästina aus. Zum ersten Mal wird Ingeborg Bachmanns Kriegstagebuch vom Spätsommer 1944 bis zum Juni 1945 vollständig aus dem Nachlaß publiziert. Der Band versammelt zusätzlich sämtliche erhaltene Briefe von Jack Hamesh an Ingeborg Bachmann. Zusammen mit den Journalaufzeichnungen entsteht so ein einzigartiges Dokument des Dialogs zwischen den Kindern der Opfer und der Täter.
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Seitenzahl: 89
Veröffentlichungsjahr: 2015
Eine Achtzehnjährige jubelt in ihrem Tagebuch über den schönsten Sommer ihres Lebens. Es ist nicht irgendeine junge Frau und auch nicht irgendein Sommer. Ingeborg Bachmann hält ihr Erleben des Kriegsendes fest. Dabei ist nicht allein der ersehnte Frieden Grund für ihre Euphorie, sondern auch die tiefe Verbindung mit dem britischen Besatzungssoldaten Jack Hamesh. Die Gespräche mit ihm, dem Juden, der 1938 als Kind aus Wien flüchten mußte und seine Eltern im Holocaust verlor, prägen sie tief. Er wird ihr, nachdem er in das damalige Palästina ausgewandert ist, in berührenden Briefen schildern, wie sie ihm den Glauben an die Menschen zurückgab.
Ingeborg Bachmanns ergreifendem Kriegstagebuch sind in diesem Band die erhaltenen Briefe von Jack Hamesh an sie zur Seite gestellt. Zusammen bilden sie ein einzigartiges Dokument des Dialogs und der Zuneigung zwischen Kindern der Opfer und der Täter.
Ingeborg Bachmann, geboren am 25. Juni 1926 in Klagenfurt, starb am 17. Oktober 1973 in Rom. Sie ist eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts.
Hans Höller, geboren 1947, Professor am Institut für Germanistik der Universität Salzburg; Mitherausgeber von: Ingeborg Bachmann/Paul Celan: Herzzeit. Briefwechsel. Suhrkamp 2008.
Ingeborg Bachmann
Kriegstagebuch
Mit Briefenvon Jack HameshanIngeborg Bachmann
Herausgegebenund mit einem Nachwortvon Hans Höller
Suhrkamp
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015
Der vorliegende Text folgt der ersten Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 4243.
© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Berlin 2011
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Umschlagabbildung: Privater Nachlaß Ingeborg Bachmann
Umschlaggestaltung: Göllner, Michels, Zegarzewski
eISBN 978-3-518-73080-5
www.suhrkamp.de
Ingeborg BachmannKriegstagebuch
Jack HameshBriefe an Ingeborg Bachmann
Anhang
Nachwort
Editorischer Bericht
Mein geliebtes Tagebuch, jetzt bin ich gerettet. Ich muss nicht nach Polen und nicht zur Panzerfaustausbildung. Papa war da und ist von Vellach nach Klagenfurt gefahren; er ist zu Dr. Hasler gegangen, der ihm geraten hat, mich sofort an der Lehrerbildungsanstalt anzumelden, denn man braucht so viele Lehrer. Das hätte ich mir auch nicht träumen lassen, dass mich die verhasste Lehrerbildungsanstalt einmal retten würde. Ich bin sofort in den letzten Jahrgang eingeschrieben und aufgenommen worden, zu einem »Schnellsiederkurs« eigentlich, und man muss schon unterrichten, während man noch selbst in die Schule geht. In der Kr. a. ist alles leicht gegangen. Schlimm war es nur bei der Referentin für die Ausgleichsstudentinnen. Zweimal war ich dort, das erstemal war sie nicht da, ich konnte mich kaum mehr an sie erinnern, an ihr Gesicht, nur noch an die schreckliche Anmeldung, bei der sie mir sagte, ich müsse mich »gut führen«, [sonst] wäre ich trotz dem guten Zeugnis erledigt. Und an »Mädel« mit dreifachem ä. Diesmal hat sie mir wieder ins Gewissen reden wollen, aber ich bin ihr zuvorgekommen, weil ich von H. schon gewusst habe, wie man es machen muss, und habe gesagt, ich sei jetzt sicher, dass ich mich für ein Studium nicht eigne und daher Lehrerin werden wolle, auch weil es kriegswichtiger sei, für die Kinder, habe ich dazugesagt, und dagegen konnte sie nichts sagen. Nur habe ich gewusst, dass man ein Formular unterschreiben muss mit eidesstattlicher Erklärung, dass man auf das Studium verzichtet. Ich habe einen Augenblick gezögert und dann unterschrieben. Nein, ich bin sicher, in diesem Land werde ich nicht mehr studieren, in diesem Krieg nicht mehr. So ein Irrsinn, auch nur einen Augenblick zu zögern! Heute war die erste Schulstunde. Ich war fast froh, wieder in die Schule gehen zu können. Aber kann man das Schule nennen. Ich glaube, die Mädeln in der Klasse sind alle Fanatikerinnen. Nach der ersten Stunde war schon Vollalarm, und aus wars. Aber Wilma von unserer Klasse ist auch da. Sie hat das gleiche gemacht wie ich. Sie ist nicht mitgekommen, sondern nach Annabichl mit dem Rad, nachhause, und ich liege hier am Waldrand, an unserem Platzerl. Issi hat wieder den Mehlpapp aus der Apotheke mitgebracht, und wir holen zum Anrühren Wasser vom Bach. Sonnenschein. Sie schläft und sonnt sich, der Alarm dauert schon fünf Stunden. Noch keine Bomben. Einmal waren zwei Tiefflieger da und haben ein bisserl geschossen.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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