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Im Herbst des Jahres 1951 tritt eine »kettenrauchende Meerfrau mit Engelhaar, die mehr flüsterte als sprach« in die Hörspielabteilung des amerikanischen Besatzungssenders Rot-Weiß-Rot in Wien ein. Ingeborg Bachmann, so der Name der jungen Frau, wird für die nächsten beiden Jahre das Unterhaltungsprogramm des Senders prägen und die Radiofamilie Floriani zur bekanntesten und beliebtesten Sendung der Nachkriegszeit machen. Sie sind bürgerlich, und sie sind verschroben, die Florianis: Da ist Hans, der Paterfamilias, Oberlandesgerichtsrat und ehrenhaft bis in die Knochen. Von den rotzfrechen Kindern wird er um den Finger gewickelt: »Ich bin eine komische Figur in meiner Familie«, beklagt er sich bei seiner Frau Vilma, Generalstochter aus dem Ersten Weltkrieg, »also ein bisserl etwas Höheres«, und in dieser Frage nicht gewillt, dem Herrn Gemahl zu widersprechen. Strenger geht sie da schon mit dem Onkel Guido ins Gericht, dem Halbbruder des Oberlandesgerichtsrats. Er war ein Nazi, aber ein kleiner, der sonst nichts angestellt hat. »Nur ein Trottel, der auf den Hitler hereingefallen ist.« Woche für Woche kommen sie zusammen und verhandeln mit viel Witz und Ironie den Kalten Krieg, die Entnazifizierung, den beginnenden Wiederaufbau – und neben dem großen auch das kleine Geschehen im Nachkriegsösterreich. Lange galten die von Ingeborg Bachmann verfaßten Skripte als verloren. In diesem Band sind sie nun, zusammen mit einem ausführlichen editorischen Nachwort des Herausgebers, erstmals publiziert.
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Seitenzahl: 493
Sie sind bürgerlich und verschroben, die Florianis: Da ist Hans, der Paterfamilias, Oberlandesgerichtsrat und ehrenhaft bis in die Knochen. Von den rotzfrechen Kindern wird er um den Finger gewickelt: »Ich bin eine komische Figur in meiner Familie«, beklagt er sich bei seiner Frau Vilma, Generalstochter aus dem Ersten Weltkrieg, »also ein bisserl etwas Höheres.« Dann ist da noch Onkel Guido, der Nazi war, aber ein kleiner, der sonst nichts angestellt hat. »Nur ein Trottel, der auf den Hitler hereingefallen ist.« Woche für Woche verhandeln sie mit viel Witz und Ironie das große und auch das kleine Weltgeschehen.
»Beim Lesen der Radiofamilie sind laute Lacher ständige Begleiter.« Berliner Zeitung
Ingeborg Bachmann, geboren am 25. Juni 1926 in Klagenfurt, begann ihre Arbeit beim Sender Rot-Weiß-Rot 1951 als Sekretärin in der Nachrichtenabteilung. Im Herbst desselben Jahres wechselte sie ins Script-Department. Im Sommer 1953 verließ sie den Sender. Sie starb am 17. Oktober 1973 in Rom.
Joseph McVeigh ist Professor am Smith College, dem renommierten Frauencollege in Northampton, Massachusetts. Er forscht schwerpunktmäßig zur österreichischen und deutschen Nachkriegsliteratur.
Ingeborg Bachmann
Die Radiofamilie
Herausgegeben
und mit einem Nachwort
von Joseph McVeigh
Suhrkamp
Umschlagfoto: bpk / Bayerische Staatsbibliothek / Felicitas Timpe
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012
© Suhrkamp Verlag Berlin 2011
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski
eISBN 978-3-518-74550-2
www.suhrkamp.de
Geldborgen, Guido
Personen:
Hans, der Vater
Vilma, die Mutter
Hanni, die Tochter, 16 Jahre alt
Peter, der Sohn, 12 Jahre alt
Guido, der Bruder von Hans
Jette, die Frau von Guido
Marie, das Dienstmädchen
(langes Ratschen des Telefons; dann energisches Abheben des Hörers, sofort sprechend)
HANNI: Hier bei Floriani, ja Flo-ri-a … oh, grüß dich, Anni, also, ich finde das einfach phantastisch, daß du mich ausgerechnet jetzt anrufst, stell dir vor, wie wir gestern von der Schule nach Hause sind und auf die Landesgerichtsstraße einbiegen, wer kommt uns entgegen … aber nein, geh, mach mich nicht nervös, wieso, die Gisela, die war doch krank … du, das ist ja zum Verrücktwerden, du hast sie gesehen, wie sie mit einem älteren Herrn … ich werd hin … Aber das ist doch ihr Onkel gewesen, der Juwelier wahrscheinlich, von dem sie damals die goldene Brosche bekommen hat, du weißt schon, die mit den Roserln … Roserln, sag ich, und einer kleinen weißen Perle drin …
PETER: Jetzt hör schon auf mit deinem Geschnatter, gestern hast mir doch versprochen, daß du mir bei der Lateinaufgabe hilfst, gleich wird der Vater da sein, und der soll dich nur telefonieren sehen, dann staubt’s aber.
HANNI: Sei schon still, zupf mich nicht – nein, Anni, das hab ich zum Peter gesagt, der gibt mir keine Ruh … Du, Anni, sei nicht bös, ich hör grad den Vater nach Haus kommen, nein, jetzt nicht, morgen, gell, komm halt um zehn Minuten früher, pünktlich vor der Schule, ja! (hängt das Telefon krachend auf) Daß du nichts sagst, Peter, verstanden.
PETER: Bäh.
(Tür auf, Schritte näher kommend)
HANS: Grüß euch Gott …
VILMA: (kommt hinter ihm herein; erst fern vom Mikro, dann näher) Geh, bitt dich, Lieber, du kommst da mit den nassen Schuhen herein, kannst du nicht draußen wenigstens …
MARIE: Jesus, der Herr Rat, ich habe mir ja gleich gedacht … und wo doch die Flecken von die Parketten ewig nicht aussagehn … Gnä’ Frau, ich hab’s mir ja gleich gedacht …
VILMA: Ja regnet’s denn noch so stark … Hans, daß du auch gar nicht … was denkst du dir eigentlich dabei.
HANS: Also vor allem denke ich mir, daß meine liebwerten Kinder grüßen könnten, wenn ich abends … todmüde … also ich muß schon sagen …
VILMA: Hanni, Peter … der Papa hat ganz recht …
PETER: Natürlich, wenn ich mitten in der Lateinaufgabe bin … ich muß mich doch konzentrieren … sagt ihr immer …
HANNI: (gedehnt) Grüß dich Gott, Papa … ich helf doch dem Peter.
PETER: Ha, die hat ja keine Ahnung von Latein … Sie liest ja nur heimlich einen Liebesroman.
(Ein Buch wird auf den Tisch geschmettert; langsam laut und deutlich: Gib mich frei …)
HANNI: Gib das sofort her … au, du, so ein frecher Bengel … du drückst mir ja den Arm ab, gib mir augenblicklich das Buch …
(Die beiden raufen hörbar miteinander.)
PETER: (triumphierend)Gib mich frei … Gib mich frei … Nein, ich geb dich nicht frei … Und das Buch geb ich auch nicht frei. Der Papa sagt immer, du sollst lieber die Klassiker lesen …
HANS: Also ich muß schon sagen … eine Begrüßung ist das. Besser hättet ihr euch das nicht ausdenken können. Eins nach dem andern.
HELLI: Der Peter soll lieber dem Papa die Hausschuhe hereinbringen, sonst gibt’s eine Überschwemmung …
PETER: Ooch, immer ich! Das soll die Marie tun …
VILMA: Die Marie hat genug Arbeit. Ihr müßt ihr das Leben nicht noch schwerer machen. Ihr führt euch ja traurig auf; und ausgerechnet jetzt am Abend, wenn der Papa …
HANS: (leicht ironisch) Nur keine Rücksichten bitte, nur keine … Bevor ich demonstrativ ein Familienidyll vorgesetzt bekomme, ist’s mir schon lieber, ihr benehmt euch so wie immer, auch wenn ihr euch schlecht benehmt.
PETER: (schmeichelnd) Papalein, ich hol dir gleich die Hausschuhe, aber du sagst mir dann, wie die Sätze gehen … So was Blödes, ein ganzes Lesestück sollen wir übersetzen. Ein Besuch in Rom: »Roma urbs pulchrissima est … quando, magister, Pompeii proficisceremur? Discipulus rogavit.«
HANS: Vor allem versteh ich nicht, warum du jetzt noch … es ist halb sieben Uhr … Was hast du eigentlich am Nachmittag gemacht, daß du jetzt erst zu einem Rom-Besuch aufbrichst?
PETER: Nachmittag war Turnen.
HANS: Den ganzen Nachmittag?
PETER: Mmm.
VILMA: Die Herren haben dann noch Fußball gespielt. Bis zum Einbruch der Dämmerung.
PETER: (schreiend) Um fünf Uhr war ich zu Hause.
VILMA: Um dreiviertelsechs.
PETER: (steckt um) Der Papa versteht mich viel besser als du, du hast ja keine Ahnung – aber er hat auch einmal Fußball gespielt.
HANS: (räuspert sich) Aber ich habe eben zuerst meine Aufgaben gemacht und dann erst Fußball, oder was immer, gespielt. (dozierend) Überhaupt sollte das Spiel, das Vergnügen, eine Belohnung sein, die aus einer richtigen Arbeitseinteilung entspringt. Du kannst ja kein gutes Gewissen und keine ganze Freude an deiner Fußballschlacht haben, wenn dir dabei konstant durch den Kopf geht, daß du noch dieses und jenes zu tun hast.
PETER: No, ja schon, aber eigentlich denk ich beim Spielen gar nicht so an die Aufgaben. (ein Versuch, altklug zu sein) Das ist es eben, daß das Gewissen nicht immer funktioniert – so wie bei Landesgerichtsräten.
HANNI: (schallend herauslachend) Hahahaha … wie bei Landesgerichtsräten.
VILMA: Ich weiß nicht, Kinder, ich finde das gar nicht so lustig.
HANNI: (schluckt noch weiter vor Lachen)
VILMA: Ja, denn es scheint mir sehr wichtig, daß einmal etwas Ordnung in unsere freie Zeit gebracht wird. Von heute ab werdet ihr gleich nach dem Essen die Aufgaben machen – dann erst dürft ihr Freunde anrufen und davonlaufen.
HANS: Meine Liebe, natürlich hast du ganz recht. Was mich betrifft, so wollte ich dich eigentlich auch längst ersuchen, über die guten Vorsätze hinaus, die bei uns ab und zu, in jedem Herbst vorm Schulanfang und zu Neujahr, gefaßt werden, auch einmal auf die Verwirklichung dieser löblichen Vorsätze zu dringen. Ich kann mich ja nicht um alles kümmern.
VILMA: »Ich kann mich ja nicht um alles kümmern« … Ich find, du machst es dir wirklich manchmal etwas zu leicht …
HANS: Nun sag schon!
VILMA: Einmal muß ich es ja sagen. Du hast bestimmt den Kopf mit allem möglichen voll und ich will nicht haben, daß du ihn nicht damit voll hast, aber diese Bemerkung geht doch zu weit. Wer kümmert sich hier zu Hause um alles?
PETER: (halblaut) Gehen wir, Hanni?
HANS: Beruhig dich, so war es nicht gemeint … die Kinder (Er ist offensichtlich verlegen.) Wo ist denn die Zeitung? Ah! (Blättern von Papier) Peter, wenn du die Zeitung liest, leg sie gefälligst auch wieder zusammen. Es ist kein Vergnügen für mich, dieses zerknüllte Gebilde jeden Abend zu entwirren.
VILMA: Natürlich, jetzt lenkst du wieder ab. Bitte, hör mir zu, wenn ich zu dir spreche.
PETER: (beiseite) Au weh, dicke Luft.
HANS: Halt den Mund, mein Junge.
VILMA: (leise, spöttisch) Auch eine Erziehungsmethode! (laut) Aber wenn du meinst, lassen wir’s.
HANS: Kinder, geht einmal hinaus, ja.
HANNI: (gedehnt) Mit Vergnügen!
PETER: (affektiert) Aber, bitte.
VILMA: (unsicher) Was hast du denn?
HANS: (lachend) Nichts. Einen Kuß möchte ich dir geben.
VILMA: Das kommt aber plötzlich …
HANS: Ich möchte uns dran hindern, dumm zu sein.
VILMA: Ja? Das ist aber auch dumm.
HANS: Aber schön dumm.
VILMA: Weißt du noch, in den ersten Jahren …
HANS: Ja, in den ersten Jahren … aber sind’s denn nicht immer noch die ersten Jahre?
VILMA: Wie du mich anschaust …
HANS: Es wär gut, wenn du auch manchmal so zurückschauen würdest … »aber ich kann mich ja nicht um alles kümmern« …
VILMA: (lacht sehr lieb) Werd ich mich halt kümmern … Du, was ich übrigens sagen wollte. Der Guido hat angerufen und will heute noch kommen. Ich hab so ein untrügliches Gefühl, daß er sich wieder Geld ausborgen will.
HANS: Alle Achtung vor deinem untrüglichen Gefühl!
VILMA: Geh, bitt dich! Ich frag mich nur manchmal, ob es unmoralisch ist, ihm etwas zu geben oder ihm nichts zu geben.
HANS: Mein lieber Halbbruder ist nun einmal ein trauriges Kapitel.
VILMA: Aber es hat auch seine amüsanten Seiten. Zudem kommen die Guidos in den besten Familien vor. Was mich aber wirklich brennend bewegt, ist, weißt, ganz prinzipiell sozusagen, ob das richtig ist, was wir tun: dem armen Guido ab und zu seine Hirngespinste finanzieren und ein anderes Mal dann wieder ablehnen. Glaubst du nicht, daß es für ihn beschämend ist?
HANS: Ja und nein. Schau, das ist so kompliziert, Liebe, daß ich selbst oft nicht weiß, was zu tun ist. Wir haben uns doch selbst schon ein-, zweimal etwas ausborgen müssen – wie der Peter nach der Operation auf Erholung mußte, nicht wahr –, und da waren wir doch sehr froh, daß uns jemand geholfen hat.
VILMA: Aber das ist doch etwas ganz anderes! Und wie du sagst, ein-, zweimal in Jahren. Und der Guido braucht es doch nur für allen möglichen Unsinn, wenn man da überhaupt noch von »brauchen« sprechen kann! Es gibt Leute, die mit viel weniger auskommen müssen und sich doch nie etwas ausborgen. Ich halte es mehr oder weniger für eine Charaktersache.
HANS: Eben – und darum werden leider unsre tiefgründigsten prinzipiellen Erörterungen fruchtlos bleiben. Ich glaube, ich werde nach wie vor mein Gefühl entscheiden lassen, wann wir etwas geben und wann nicht –
VILMA: Und mein Haushaltsbuch soll bitte auch mitsprechen.
MARIE: (Tür auf, mit Schritten näher) Entschuldigen schon, gnä’ Frau, aber ich hab zweimal geklopft … Der Herr Bruder vom Herrn Rat is kommen. Kann ich ihn reinführen?
HANS: Führen Sie ihn herein, Frau Marie.
MARIE: (fern vom Mikro) Bitte nur hereinzukommen, Herr Doktor.
VILMA: Servus, Guido, für die Marie bist du ein für allemal zum Doktor avanciert.
HANS: Sei uns willkommen, Lieber.
GUIDO: Gott zum Gruß, küß die Hand. Reizend siehst du aus, nein so was, wie dir das Blau steht … Moment mal, ich seh, ich komme grad im richtigen Augenblick. Hans, einen Hammer, bitte. Das Bild – ich bitt euch – no sag schon, daß du das aufgehängt hast, du lieber, zerstreuter … Einen schlanken Nagel tät ich auch brauchen.
VILMA: Peter, Hanni, Kinder, kommt herein, der Onkel Guido ist da!
PETER UND HANNI: (zugleich; hereinstürmend) Onkel Guido, grüß Gott, fein, daß du gekommen bist!
GUIDO: Peter, aufgepaßt! Ich brauch Hammer und Nagel, einen feinen, weißt du, und wir zwei Männer werden das schon schaukeln!
HANS: (pikiert) Was sind das für Ausdrücke, Guido! Wir sind doch nicht bei Preußens. Wenn du meine Ohren nicht unbedingt beleidigen mußt, bedien dich eines anderen Vokabulars.
GUIDO: Gut, gut, also, dann schaukeln wir es eben nicht, sondern nageln es. Moment mal, ich dank dir, mein Sohn!
PETER: Ich bin nicht dein Sohn …
GUIDO: Gut, mein Neffe. (hämmert)
VILMA: (entsetzt) Guido, ich flehe dich an, das geht nicht gut aus. Das Bild kann nicht so schlecht gehängt sein, wie’s mir jetzt schlecht vor den Augen wird.
GUIDO: (hämmert weiter; Mauer bröckelt ab)
HANS: Deine Aktivität in Ehren, Guido, aber du bringst ja die ganze Wand ins Wanken.
GUIDO: (hämmert unbeirrt weiter) Nicht schlecht, das Bild. Der Amerling von der Mama …
HANNI: Das war auch bei den verlagerten Sachen, aus der Bombenzeit, die Mutter hat es jetzt geholt, von der Tante Lizzi, die wollt die ganzen Jahre nicht damit herausrücken.
GUIDO: Ein früher Amerling natürlich, das sieht man auf den ersten Blick …
HANS: Seit wann bist du Kunstsachverständiger? Du setzt mich immer wieder in Erstaunen. Nicht genug, daß man das Gefühl hat, du habest das Penicillin erfunden, die Zukunft des Boxsports auf dem Gewissen, die portugiesische Lyrik für das Abendland gerettet – nein, du mußt auch noch Bilder auf ihren Form- und Farbwert prüfen – daß ich mir wie ein Barbar daneben vorkomme.
VILMA: (leise, vorwurfsvoll lachend) Aber Hans, so laß doch …
GUIDO: Ja, das Universale, die universale Bildung ist uns abhanden gekommen. Du bist eben ein tüchtiger Beamter, du hast dich rechtzeitig zu beschränken gewußt, und das ist etwas sehr Schönes, ja, ja, das ist keine Redensart, Hans, ich schätze dich … aber weißt du, mir ist das nie gelegen. (hämmert lauter)
VILMA: Um Gottes willen, Guido, wer soll denn dieses Loch wieder zukleistern, da fällt überdies jeder Nagel sofort heraus.
GUIDO: (läßt sich nicht beirren) In mir war immer etwas Faustisches, ein deutsches Schicksal, ja …
HANS: Erinnere mich lieber nicht an dein deutsches Schicksal. Du weißt, in dem Punkt bin ich empfindlich. Nach wie vor.
GUIDO: (leicht gekränkt) Bitte, bitte, ich hab halt zuerst geglaubt, daß die sozusagen den Nihilismus des 20. Jahrhunderts überwinden würden. Aufrichtig gesagt, wie hättest du denn reagiert, wenn sie dich nicht gleich hinausgeschmissen hätten im ’38er Jahr. Du mußt doch zugeben, daß man damals sehr – wie drücke ich mich aus – empfänglich war, und war ich dann nicht unter den ersten, die sich betont distanziert haben, was? Und hab ich euch einen Augenblick lang im Stich gelassen? No also …
VILMA: (resigniert) Bitt dich. Laß schon, wir wissen’s bereits.
GUIDO: Aber das Faustische, das ist doch wohl erlaubt, in einem höheren Sinne, im goethischen, meine ich.
HANNI: Onkel Guido, wir sollen jetzt den Faust lesen, du, der war aber ganz anders als du!
GUIDO: Hanni, halte deinen entzückenden Mund.
HANNI: Hu, ich hab einen entzückenden Mund! Der Onkel Guido … einfach phantastisch. Mutter, hast du das gehört?
GUIDO: Ich kann’s eben nirgends aushalten, mich treibt’s zu neuen Taten. So, das Bild hätten wir gleich, fabelhaft, was? Jetzt sitzt das!
HANNI: Aber neben dem Bild ist ein Loch. Das läßt sich nicht übersehen, Onkel!
GUIDO: (zärtlich) Mistfratz, Pardon, junge Dame.
HANNI: Onkel Guido, was macht deine Hendlfarm?
GUIDO: Ach was, Hendlfarm … Übrigens, wißt ihr, was für einen Ertrag wir haben. Das muß sogar die Jette zugeben, daß, seitdem ich das neue Hühnerfutter, selbst gemischt, nach eigener Methode und Überlegung … also, ich sag euch, wir haben einen Ertrag, phänomenal!
HANNI: Phantastisch. Was ist das für ein Wort. Phäno …
GUIDO: Phänomenal. Laß dir’s von deinem Vater erklären.
HANNI: Vater …
HANS: (etwas mürrisch) Ihr erlaubt schon, daß ich jetzt endlich meine Zeitung lese.
PETER: Ach, Papa, du liest ja alle im Gericht. Mußt du zu Haus noch einmal anfangen?
HANS: Jawohl, das bitte ich mir aus, ich lese Zeitungen, sooft und soviel es mir beliebt.
PETER: Dann soll der Onkel Guido uns was erzählen oder mit uns kommen. Onkel Guido, ich hab einen Plan für einen Düsenjäger … du, ich glaub, wenn die Amerikaner den nehmen und mir patentieren, fliegen sie um 1 000 Stundenkilometer schneller.
GUIDO: Einen prächtigen Sohn habts ihr, ich glaub, der ist mir nachgeraten. Der hat das Zeug zum Erfinder und Entdecker.
VILMA: Ich bin da skeptisch, momentan merk ich nur, daß er das Zeug zum Nichtlernen, zum Hosenzerreißen und anderen unangenehmen Leidenschaften hat.
GUIDO: Vilma, du bist ja hinreißend in deiner Ironie, so hab ich’s gern bei den Frauen … aber dem Peterl tust du unrecht.
PETER: Peter! Ich lieg ja nicht mehr in den Windeln.
VILMA: (seufzt) Kinder, ihr seid heute ungezogen, was soll sich denn der Onkel Guido denken.
HANNI: (entrüstet) Immer heißt es, die Kinder sind ungezogen, auch wenn nur der Peter seinen ungewaschenen Schnabel … und überhaupt, dieses Wort »Kinder« geht mir schon so auf die Nerven. Ihr könnt euch wohl nicht dran gewöhnen, daß wir groß werden. Ich geh ja schließlich schon in die Tanzstunde, und der Alfred …
VILMA: Was für ein Alfred?
HANNI: Der Herr Professor Bumminger, der Bummi, aber du weißt es doch, unser Mathematikprofessor, Onkel Guido, hat heute in der Pause gesagt »Fräulein Floriani, tragen Sie bitte die Hefte ins Konferenzzimmer«. Ach, »Fräulein Floriani«, sonst sagt er immer »Floriani« – aber das versteht ihr ja nicht … Und dann muß ich mir zu Hause noch bieten lassen, daß man immer »Kind« zu mir sagt.
HANS: Sei doch nicht so überspannt, Kind. Und was ist das überhaupt mit dem Mathematikprofessor, du kannst doch nicht per Albrecht mit ihm sprechen.
HANNI: (verbessernd)Alfred!
PETER: (brüllend) In den ist sie auch verliebt …!!!
GUIDO: Sieh an, sieh an …
VILMA: Ruhe, was sind denn das für Gespräche, Hanni, ein für allemal, beherrsch dich ein bisserl, und wenn du deinem Professor etwas zuliebe tun willst, mach vielleicht lieber die Aufgaben ordentlicher, anstatt »Alfred« zu seufzen, das wird ihm wesentlich mehr Freude machen.
HANNI: Ach ja …
GUIDO: Ich weiß nicht, Vilma, ihr habt so eine pädagogische Art in letzter Zeit mit den Kindern, die blühen und gedeihen doch ohnehin auf das lieblichste.
PETER: Brrrr. Onkel Guido, ich glaub, das ist eine poetische Entgleisung.
GUIDO: Also gehen wir uns deine Konstruktionen ansehen. Oder bring sie rein. Wenn’s dich nicht stört, Hans …
HANS: Aber bitte, mich stört wirklich nichts mehr in diesem von Dauerstörungen heimgesuchten Haus. Ich hab mir zwar den Abend wesentlich anders vorgestellt, vielleicht mit einem vernünftigen Gespräch, das wir uns zu führen vorgenommen haben, aber ich habe schon wiederholt den Eindruck gewinnen müssen, daß du dich nicht konzentrieren kannst. Hast du mir nicht gestern am Telefon gesagt, du hättest mit mir etwas ungeheuer Wichtiges zu besprechen? Aber laß dich nicht stören, befaß dich ruhig mit den Schöpfungen meines Sprößlings. Das muß dir ja viel interessanter sein.
GUIDO: Eine Aggressivität ist das, reizend, die arme Vilma –
VILMA: (lachend) Aber Guido!
PETER: Also soll ich jetzt meine Pläne holen oder nicht?
HANNI: Wenn der Onkel Guido einmal da ist … nicht einmal dann haben wir etwas von ihm! Onkel Guido, du wolltest doch mit mir Tango probieren.
HANS: Ah, da schau her, du wirst doch nicht glauben, daß Onkel Guido tatsächlich diesen Blödsinn mitmacht und dir noch privaten Tanzunterricht geben wird. Wo sind wir denn eigentlich, Guido, ich kann dir den Vorwurf nicht ersparen, daß du deine Autorität bei den Kindern systematisch untergräbst, wenn du dich auf solchen Hokuspokus einläßt.
HANNI: Das ist nicht Hokuspokus, sondern moderner Tanz, und du selbst hast mir das Tanzen erlaubt, Papa!
HANS: Natürlich hab ich dir den Tanzunterricht bewilligt, aber ich habe nicht angenommen, daß ich nun auch zu Hause damit behelligt werde. Du hast einmal in der Woche beim Ellmayer zu tanzen, herumzuwalzen und Knickse zu lernen, und dann ist es Schluß.
GUIDO: Moment, bitte, ich gestehe reuig, daß ich dem Hannikind versprochen habe, einmal mit ihr zu tanzen.
HANNI: Phantastisch bist du, Onkel Guido, gell, ich schalte gleich das Radio ein und such eine phantastische Musik.
HANS: Das Radio wird natürlich nicht eingeschaltet, nicht, solange ich zu Hause bin.
HANNI: So ist der Vater, da siehst du’s wieder, Onkel, er versteht mich eben nicht, niemand versteht mich zu Hause! Papa, wenn du ein Herz hättest, dann tätest du selbst mit mir tanzen, dann müßtest du nicht auf den Onkel Guido eifersüchtig sein, der sagt, daß ich einen entzückenden Mund hab.
HANS: (stöhnend) Ah, ich geb mich geschlagen, ich bin eine komische Figur in meiner Familie. Meine Tochter bezichtigt mich der Eifersucht auf meinen Bruder, Pardon, Halbbruder, daß ich’s richtig vermerke. Das ist ja die Höhe. »Einen entzückenden Mund« – so weit kommt es noch – »ein entzückender Mund« muß das sein, von dem die Mutter behauptet, daß sie jeden Morgen und Abend Gewalt anwenden muß, daß die entzückenden Zähne drin geputzt werden.
HANNI: (schluchzend) Oh, das ist … das ist … das kannst du doch nicht vor dem Onkel Guido sagen, nein, gemein ist das …
VILMA: Hanni, mach einen Punkt, wie kannst du sagen, daß der Vater gemein ist … wie kannst du nur so ein Wort in den Mund nehmen, du wirst dich sofort entschuldigen und dann das Zimmer verlassen. (leise, sanft, aber eindringlich) Sei vernünftig und folg jetzt, ja.
HANNI: (schluchzt herzzerreißend)
HANS: Na, es ist schon gut, komm her und gib mir einen Kuß.
HANNI: (unmäßig laut schnupfend) Papa, du bist ja so lieb, bitte, sei nicht bös!
PETER: Vater, heißt es!
VILMA: (für sich) Kindisch ist so ein Backfisch, nicht zu glauben, und er läßt sich ja doch von ihr um den Finger wickeln.
GUIDO: (der bemerkbar die allgemeine Rührseligkeit überspielen will) Kinder, Kinder, ich hab euch furchtbar lieb, aber seid jetzt bitte einen Augenblick gescheit und laßt mich wirklich eine Viertelstunde mit eurem Vater sprechen. Dann schauen wir uns die Düsenjäger an und tanzen im Zweivierteltakt …
HANS: Ja, ja, so ein vielseitiger, Pardon, universaler Mensch hat es leicht, besonders bei Kindern. Als Vater komm ich mir manchmal noch immer wie ein Anfänger vor. Ab und zu glaubt man, man beherrscht gewisse Situationen schon, aber die Variationsmöglichkeiten, die Register des Familienlebens sind so groß, daß die Erfahrung eines Lebens nicht ausreicht, ihm gewachsen zu sein.
VILMA: Kinder, ihr könnt jetzt vielleicht einen Augenblick in den Salon hinübergehen oder zur Hanni, der Vater hat mit dem Onkel zu reden.
PETER: Ach, da ist es viel wärmer … drüben frier ich mir ja einen Katarrh an den Hals.
HANNI: Und bei mir geht es auf keinen Fall. Wenn der Peter zehn Minuten bei mir ist, schaut es aus wie in einer Räuberhöhle. Und in den Laden laß ich mir auch nicht herumkramen. Und überhaupt kann man von mir nicht verlangen, daß ich mit dem Buben hinausgeh, dann verliert er ja ganz den Respekt vor mir und bildet sich ein, daß überhaupt kein Unterschied da ist zwischen einer 17jährigen und einem 12jährigen Gschropp.
PETER: Ich weiß nicht, warum die Hanni immer sagt, daß sie 17 ist, wenn sie erst 16 ist.
HANNI: 17 bin ich – fast – werd ich, und das ist ausschlaggebend.
PETER: Tatsache ist, daß du erst 16 bist.
VILMA: Keine Debatten, geht also schon.
HANS: Aber laß sie, in Gottes Namen, wenn es ihnen zu kalt ist …
VILMA: Ich weiß nicht, plötzlich, wenn ich sie endlich so weit habe, daß sie parieren, kriegst du Anwandlungen von Milde und erlaubst ihnen alles.
HANNI: Wir hören ja sowieso nicht zu … und überhaupt soll man keine Geheimnisse voreinander haben.
VILMA: (lachend) Was soll man da sagen, Guido, auf den Mund gefallen sind diese Rangen wirklich nicht.
GUIDO: Oh, glückliche Jugend, »oh selig, ein Kind noch zu sein«.
HANS: Komm uns bitte nicht lyrisch …
PETER: Gar so selig sind wir ja auch wirklich nicht …
GUIDO: Bitte. Unselige, was hör ich!
HANS: Jetzt aber einmal im Ernst: Was hast du auf dem Herzen, Guido?
GUIDO: Die Vilma soll sich doch zu uns setzen, es lenkt mich so ab, wenn sie mit dem Nähkorb durch das Zimmer schwebt und fort und fort neue Beschäftigungen findet.
VILMA: Ich finde mir keine Beschäftigungen, sie finden mich!
GUIDO: Also, meine Lieben, ich wollte euch etwas unterbreiten und dich, Hans, um einen juristischen Rat bitten, das heißt, es wird gar nicht notwendig sein, denn diesmal überzeugt dich sicher die Sache selbst gleich … Ich starte einen phänomenalen Coup. Ich habe ein großartiges Geschäft in Aussicht. Die Hühnerfarm wird aufgegeben, unser Haus in Purkersdorf verkauft, wir nehmen eine Wohnung in Wien, und ich fahre mit dem Wagen …
HANS: Mit welchem Wagen?
GUIDO: Einen Opel Admiral, du hast doch früher selbst einen Opel gehabt. Wie warst du eigentlich damit zufrieden?
HANS: Langsam. Ich verstehe noch nicht ganz. Wo hast du den Wagen? Ich meine, wie kommst du zu einem Wagen, mit welchem Geld, oder hast du ihn am Ende schon?
GUIDO: Unterbrich mich, bitte, einmal zwei Minuten lang nicht! Ich fahre durchschnittlich eine Strecke von … na, ist ja gleichgültig, aber ich stelle mir vor, einmal den Westen, Innsbruck, Dornbirn … dann einmal den Süden, Bruck, Klagenfurt, Villach … Ich glaube, daß sich sogar mit Oberitalien etwas machen ließe … Ich wär direkt selbst fasziniert, wenn ich nicht Schritt für Schritt ausgedacht hätte, bis ins kleinste Detail, mit einer Sorgfalt, mit einer Präzision, mit einer Pedanterie, mit einer Hintanstellung aller …
VILMA: Geh bitt dich, wovon redest du eigentlich?
GUIDO: Das müßt ihr doch schon gespürt haben, ich hab doch aufgelegt in der letzten Zeit, seit mir diese Idee gekommen ist, seit mir der geniale Einfall … Also, stellt euch vor: mit 100 000 Schilling …
PETER: (plötzlich herbeistürzend) Onkel Guido, du hast 100 000 Schilling? Fein, wir sind reich, gell? Du gibst uns auch was davon!
GUIDO: Langsam, mein Sohn.
PETER: Neffe, bitte!
GUIDO: Die 100 000 Schilling müssen natürlich investiert werden, die sieht man vorerst nicht.
HANS: In was sollen 100 000 investiert werden, und wer wird sie investieren?
GUIDO: Das ist doch völlig egal. Jeder wird sich doch drum reißen, das Geld dafür hergeben zu dürfen. Das ist doch sonnenklar. Das muß dir doch einleuchten?
HANS: Leider nein.
GUIDO: Daß ich immer in meiner Familie auf die größte Borniertheit stoße, das wirkt derart hemmend auf meine Impulse …
VILMA: Guido, du kannst doch nicht sagen, daß Hans und ich borniert sind, manchmal benimmst du dich wie ein Kind, du hast wirklich Glück, daß wir so viel Humor haben, über deine zeitweiligen Entgleisungen hinwegzugehen.
GUIDO: Aber das grenzt doch an … dieses Nichtverstandenwerden, dieses Mißtrauen in meine Fähigkeiten, in meine von aller Welt unbestrittenen Fähigkeiten …
HANS: (sarkastisch) Tango, Düsenjägerkonstruktionen …
GUIDO: Wahrhaftig, manchmal versteht mich die gute Jette noch besser, und das will viel heißen, denn ihr wißt doch …
VILMA: Ja, wir wissen.
GUIDO: Diesmal hab ich sogar die Jette überzeugen können, und da soll es mir nicht gelingen, euch zu überzeugen, wo ihr mir seelisch und geistig doch bei weitem näher steht …
HANS: Schön. Wir stehen dir seelisch und geistig – sehr hübsch gesagt – nah, und nun erklär dich bitte. Was ist das für ein Geschäft?
GUIDO: Du erinnerst dich doch noch, daß ich im Jahre 1937 nahezu mit Professor Hölzl ins Reine gekommen wäre mit meiner Erfindung. Ich war doch bei dem Empfang des Chemischen Institutes … ich war geradezu der Mittelpunkt, wenn ich denke, wie mir der Strahlenheim die Hand geschüttelt hat und der John Westbourn, der doch eine Kapazität auf seinem Gebiet …
HANS: Du meinst doch nicht etwa, daß du diese alte Textilgeschichte, diese Faserentdeckung noch einmal ans Licht ziehen willst.
GUIDO: Ans Licht! Jawohl, ans Licht. Ein Weltschlager wird mein »Pylon« werden, eine Faser, neben der das Nylon sich wie ein Rauhbein ausnimmt, wie ein Hanfstrick neben einem … Vergleiche reichen da nicht aus. Phänomenal, was ich aus dieser Faser in den letzten Jahren … in aller Stille gemacht habe. Ich habe gearbeitet und gearbeitet, seit Wochen schlafe ich doch nicht mehr, Tag und Nacht verfolgt mich dieser Faden, wie Ariadne dem Dingsda aus dem Labyrinth geholfen hat, so hat mich, ach was … jedenfalls, jetzt ist es soweit, die Verhandlungen werden aufgenommen, die österreichische Industrie liegt auf dem Bauch; ah, die sollt ihr sehen, morgen bin ich beim Präsidenten des Forschungsinstitutes gemeldet, na, auf den sein Gsicht freu ich mich, die werden Nasnlöcher machen, diese Ignoranten. Und der Hölzl, der ist jetzt in Amerika … weißt du, da wollt ich dich bitten, ob du vielleicht, wegen des wahnsinnig teuren Portos … du kriegst natürlich alles sofort, ich habe es ja auch, nur noch eine kleine Differenz mit der Jette, die sich eben nicht ganz so weich gekocht zeigt, wie sie’s eigentlich schon ist. Sie ist ja so zurückhaltend, eben die einzige, die richtigste Frau für einen Forscher und Suchenden, ich kann wohl sagen, daß ich ohne die Skepsis der Jette nie so weit gekommen wäre, denn eben dieses Sichimmerwiederbeweisenmüssen stachelt ja ungeheuer an …
HANS: Ich höre Porto? Du willst dem Holzer …
GUIDO: Dem Hölzl …
HANS: Dem willst du diese Faser, diesen Ariadnefaden zukommen lassen – aber wie paßt da eigentlich der Wagen dazu, und warum verkaufst du eigentlich das Haus von der Jette, Pardon, euer Haus?
VILMA: Das sieht der Jette eigentlich gar nicht ähnlich.
GUIDO: Ich weiß nicht, was du gegen die Jette hast, Vilma, ich wollte dir unlängst schon sagen, daß du ein bisserl nett zu ihr sein könntest, wie diese Frau sich bewährt hat in der letzten Zeit. Wir haben ihr vieles abzubitten.
HANS: Nein, du täuschst dich, Lieber. Ich habe – und ich glaube in Vilmas Namen zu sprechen – deine Frau immer großartig gefunden, wir sind uns völlig klar darüber, daß du sie brauchst und sie dich braucht, und ich verlasse mich eigentlich gerne auf sie. Sie hat einen bewunderungswürdigen Instinkt, und ich bin überzeugt davon, daß wir uns weiter auf ihren Instinkt verlassen können.
VILMA: Und nun zu deinem Coup, Guido …
MARIE: (klopft, mit Schritten gleich hinein) Bitte, gnä’ Frau, nur einzutreten.
JETTE: Grüß Gott, grüß Gott, meine Lieben, wie sitzt ihr da beieinander, ich seh dem Guido auf der Nasenspitze an, daß er Blödsinn von sich gibt. Ihr hörts ihm hoffentlich nur mit einem halben Ohr zu. Wenn ich nicht schon seit Jahren meine Ohren auf Durchzugsverkehr, bei einem hinein, beim anderen heraus, eingestellt hätt, möcht ich schon am Steinhof sein. Guido, steh auf, pack deine Sachen, gehen wir.
GUIDO: (unendlich schüchtern) Jettelein, die Vilma und der Hans, die Lieben, laden uns zum Abendessen ein.
VILMA: Ja, setz dich doch, Jette.
(Im folgenden spürt man, daß die Kinder nicht sehr begeistert von ihr sind.)
HANNI: Küß die Hand, Tante Jette.
PETER: Guten Abend, Tante!
JETTE: Sehr lieb, aber draus wird nichts, die Hühner müssen noch gfüttert werden. Glaubst du, ich werd mir den Dreck allein machen?
GUIDO: Aber nein, wo werd ich, ich komme ja schon. Ich hab nur gedacht …
JETTE: Was hast du gedacht? Seit wann denkst du?
GUIDO: Liebe Vilma, lieber Hans, es hätt uns unendlich gefreut, und ich bin, wenn ich nicht mit der Jette sein kann, wirklich am liebsten bei euch, so traulich ist’s da … Aber ich erlaub meinem Schatz nicht, daß er die ganze Arbeit allein macht.
JETTE: Ja wirklich, aber ich besuch euch’s nächste Mal allein, wann der Guido nicht dabei ist, kann man ja viel vernünftiger reden. Ich werd ihn schon zu Haus anhängen, damit du und ich uns einmal vergnügt zusammensetzen können.
HANS: Und wie ist das nur mit dem Geschäft, da ich mich nun einmal auf dieses strapaziöse Gespräch eingelassen habe, möchte ich doch gerne wissen, was ich mir dazu denken soll? Ich höre, liebe Schwägerin, daß ihr im Begriffe seid, euer Leben gewaltigen Umwälzungen zu unterwerfen.
JETTE: Umwälzungen, hör auf, nix wird umgewälzt, nur den Guido muß ich mir noch einmal gründlich zurechtwalzen. Na, in dem sein »Laboratorium« hab ich heute aufgräumt und die »Fasern«, der »Wunderfaden«, der is mir schon im Vorstadium in den Mistkübel gflogen.
GUIDO: (aufschreiend) Jette, das hast du getan, das überleb ich nicht, daß du mir das angetan hast …
HANNI: Tante Jette, das ist aber nicht nett, daß du den Onkel Guido so …
JETTE: Was, daß ich den Onkel Guido? … Daß dir deine Eltern schon Dauerwellen erlauben, das find ich stark! Na ja, aber ich hab ja hier nicht zu bestimmen, ihr junge Ganserln heute, also ich hätt mich geschämt, in dem Alter schon so schamlos …
VILMA: (leicht pikiert) Aber was soll denn an der Hanni schamlos sein, Jette?
JETTE: Schamlos – aber ich mein doch nicht die Hanni, die Zeit ist schamlos, die ganze Zeit. Wenn man nicht grad in Purkersdorf lebt, wie wir, wird man halt von dem Zeitgift angesteckt …
PETER: Hu!
JETTE: Also gehen wir, avanti, alla hopp, Guido!
GUIDO: Lebt wohl, ihr Matten, ihr Wiesen, meine Lämmer …
HANNI: (triumphierend) Guido geht, und niemals kehrt er wieder.
JETTE: Schamlos!
VILMA UND HANS: (zugleich) Auf Wiedersehen, ruft halt wieder an!
PETER UND HANNI: (zugleich) Auf Wiedersehen, Onkel Guido, vergiß nicht (flüsternd) Tango … Düsenjäger …
GUIDO: (flüsternd) Ja, ja, Kinder, ich vergeß bestimmt nicht.
(mit Schritten ab, Tür zu)
HANS: Du, Vilma, jetzt haben wir ihm nichts gegeben. Hättest du was dagegen, wenn ich ihm morgen doch etwas schicke?
VILMA: Offen gestanden, mir ist auch leichter, wenn du’s tust. Ob’s sinnvoll ist oder nicht, drüber wollen wir halt nicht entscheiden. Auch wenn aus seinen Projekten nach wie vor nichts wird – es gibt ihm doch ein bisserl Hoffnung. Und Hoffnung braucht schließlich jeder Mensch.
ENDE
Geburtstag, Wolferl, Liesl
Personen:
Hans
Vilma
Helli, die Tochter, 16 Jahre alt
Wolferl, der Sohn, 12 Jahre alt
Guido
Liesl, die Frau von Guido
Sprecher
(Musik, kürzer als sonst)
SPRECHER: (als ob er eine Stiege hinaufginge/in einer Art von diskretem Reportageton) Meine Damen und Herren, verehrte Hörerinnen und Hörer, zum vierten Male sind wir mit unserem Mikrophon – ph, schwer ist so ein Ding, wenn man’s zwei Stock hoch tragen muß – sind wir also mit unserem Mikrophon in die Taubengasse 18 gegangen, um der Familie des Oberlandesgerichtsrats Floriani einen Besuch abzustatten, gleich sind wir im zweiten Stock, gleich werden wir an der Türglocke läuten, um …
(Sehr lautes Läuten der Türglocke, aber so, als ob man es von außen, durch die Türe, hörte)
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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