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"Vorsichtig schlage ich die dünne Decke über meinem Körper zurück und blicke an mir herunter. Zahlreiche Tattoos bedecken meine Unterarme. Ich kann die Muskeln an meinen Armen sehen und spüre, dass auch der restliche Körper sehr muskulös ist ... durchtrainiert ... kräftig. Ich bete zu Gott, dass ich nur in einem Schläger oder Einbrecher und nicht etwa in einem Vergewaltiger oder Mörder gelandet bin ..." Es ist sein Fluch: Bei Vollmond reist das Bewusstsein des Sandmanns ein Jahr in der Zeit zurück und erwacht im Körper eines Fremden. Dieses Mal ist es der Kleinkriminelle Bogdan, der wegen des Mordes an seiner Frau im Gefängnis sitzt – unschuldig, wie der Sandmann weiß. 365 Tage muss der Sandmann nun im Körper von Bogdan ausharren, bis er in seinen eigenen Körper zurückkehren kann. Zeit genug, die Unschuld seines Gastgebers zu beweisen und den wahren Täter zu finden. Ein Vorhaben, das in die tiefsten Abgründe der Hamburger Unterwelt führt und ihn und Bogdan in tödliche Gefahr bringt. "Sandmann: Albtraumleben" ist der zweite Band des neuen Imprints "Woobooks", das außergewöhnlichen Texten abseits des Mainstreams eine Chance gibt. Die Entstehung des Buches war von einer Crowdfunding-Aktion begleitet, die innerhalb kürzester Zeit erfolgreich war und das große Interesse an dem Roman und dem Autor gezeigt hat. Mehr Infos unter www.woobooks.de
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Seitenzahl: 259
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Sandmann
Albtraumleben
von Dieter Aurass
Mystery-Krimi
Inhalt
Inhalt
Prolog – Erwachen
Kapitel 1 – 364 Tage später
Kapitel 2 – im Gefängnis
Kapitel 3 – Alltag im Knast
Kapitel 4 – Mein Anwalt
Kapitel 5 – Finanzen
Kapitel 6 – Akteneinsicht
Kapitel 7 – Telefonat
Kapitel 8 – Besuch
Kapitel 9 – Haftprüfungstermin
Kapitel 10 – Marika
Kapitel 11 – Begegnung
Kapitel 12 – Moritz
Kapitel 13 – Gregori
Kapitel 14 – Zusammentreffen
Kapitel 15 – Oberkommissar
Kapitel 16 – Unterwelt
Kapitel 17 – traumatische Erinnerungen
Kapitel 18 – das Darknet
Kapitel 19 – Kriegsrat
Kapitel 20 – Möglichkeiten
Kapitel 21 – der Zuhälter
Kapitel 22 – Hausbesuch
Kapitel 23 – Verfolgung
Kapitel 24 – böses Erwachen
Kapitel 25 – erwischt!
Kapitel 26 – Rasputin
Kapitel 27 – böses Erwachen
Kapitel 28 – Anbahnung
Kapitel 29 – Folter
Kapitel 30 – überraschende Wendung
Kapitel 31 – Folter 2.0
Kapitel 32 – Psychospiel
Kapitel 33 – Gregori in Bedrängnis
Kapitel 34 – Informationen
Kapitel 35 – Täuschung
Kapitel 36 – Einmischung
Kapitel 37 – in der Falle
Kapitel 38 – Folter 3.0
Kapitel 39 – der Seher
Kapitel 40 – Einsicht
Kapitel 41 – schlechte Entwicklungen
Kapitel 42 – das Ende?
Epilog
Nachwort
Danksagung
Impressum
Prolog – Erwachen
Das erste Erwachen in einem fremden Körper ist immer das Schlimmste. Die Erfahrung hat mich gelehrt, zunächst die Augen geschlossen zu halten und erst meine anderen Sinne zu bemühen.
Ich fühle mit den Händen, auf was für einer Art Bett ich liege. Dabei spüre ich eine recht harte Unterlage und keine hochwertige Bettwäsche. Dann betaste ich meinen neuen Körper und stelle mit großer Erleichterung fest: Er ist männlich.
Die Umgebungsgeräusche sind sehr gedämpft, stammen aber von einer größeren Anzahl von Personen.
Den Geruch, der mir in die Nase strömt, kenne ich leider nur zu gut: Gefängnis oder Psychiatrie.
Langsam öffne ich die Augen. Eine kleine Zelle mit einem Tisch, einem Stuhl, einem Bücherregal an der Wand und einer Kloschüssel aus Metall ohne Deckel, die von einem niedrigen Mäuerchen als Sichtschutz abgedeckt wird.
Vorsichtig schlage ich die dünne Decke über meinem Körper zurück und blicke an mir herunter. Zahlreiche Tattoos bedecken meine Unterarme. Ich kann die Muskeln an meinen Armen sehen und spüre, dass auch der restliche Körper sehr muskulös ist … durchtrainiert … kräftig.
Ich bete zu Gott, dass ich vielleicht nur in einem Schläger oder Einbrecher und nicht etwa in einem Vergewaltiger oder Mörder gelandet bin. Zu einem Gott, an den ich im Grunde seit mehr als einem Jahrhundert nicht mehr glaube.
Gäbe es einen Gott, wie könnte er mich dann so strafen? Oder ist es vielleicht doch gerade ein Beweis für Gott, dass er mich prüft oder mir Aufgaben gibt? Es ist müßig, darüber zu grübeln, und hat noch nie zu einem schlüssigen Ergebnis geführt.
Ich wappne mich für die kommende und sicherlich erneut sehr harte Zeit.
Kapitel 1 – 364 Tage später
Ich bin vermutlich der älteste Mensch der Welt und inzwischen 212 Jahre alt.
Geboren wurde ich am 22.04.1990 in … spielt keine Rolle.
Nein, Sie haben sich nicht verlesen und ich habe mich auch nicht verschrieben. Mein Geist, meine Seele oder wie auch immer man das spirituelle Bewusstsein eines Menschen bezeichnen möchte, lebt seit meinem 17. Lebensjahr pro Jahr 13 Jahre.
Morgen ist es erneut soweit – denn morgen ist wieder Vollmond.
Ich werde einschlafen, und wenn ich am nächsten Morgen aufwache, werde ich ein Jahr gelebt haben. Nicht körperlich, aber geistig. Denn ich werde einschlafen, und mein Geist wird ein Jahr früher in einem fremden Körper aufwachen.
Wenn dieser Körper den Tag meines ursprünglichen Einschlafens erreicht, wird die Person einschlafen, und am nächsten Tag werde ich in meinem eigenen Körper wieder aufwachen – geistig um ein Jahr gealtert, körperlich allerdings nicht.
Sie werden sagen: Das hab ich doch schon mal gelesen oder in einem Film gesehen!Alter Hut, Mutter im Körper der Tochter, oder Freund im Körper der Freundin, die lustige Geschichte mit dem Seelentausch. Hat es doch schon hundert Mal im Kino gegeben. Ja, ganz nett und unterhaltsam, aber doch schon ziemlich ausgelutscht.
Sie … haben … keine … Ahnung!
Es ist absolut nichts Lustiges daran, als junger Mann im Körper einer Frau Mitte 70 aufzuwachen.
Es ist nichts Lustiges daran, mit dem Bewusstsein eines anderen Menschen um die Vorherrschaft in seinem Körper zu ringen.
Es ist nichts Lustiges daran, zu glauben, man wäre verrückt geworden und demzufolge auch in der Psychiatrie zu landen, wie es mir bei meinem ersten Erlebnis dieser Art erging.
Es ist nichts Lustiges daran, aufzuwachen und plötzlich ein Kind, eine Frau, todkrank, alt, arm, dumm, verkorkst oder eine Mischung aus all diesem zu sein. Nun ja, das trifft natürlich alles nicht auf mein Bewusstsein zu, aber auf den Körper und das Bewusstsein, mit dem ich diesen Körper ab diesem Moment für ein Jahr teilen muss.
Aber seit meinem 17. Lebensjahr bleibt mir nichts anderes übrig, als damit zu leben.
Begleiten Sie mich nur einmal ein Jahr lang und Sie werden sich nichts sehnlicher wünschen, als dass Ihnen das nie passiert. Und obwohl ich mich inzwischen mit meinem Schicksal abgefunden, Strategien entwickelt und mich mit dem Unausweichlichen arrangiert habe – es ist ein Horror!
Kapitel 2 – im Gefängnis
Bogdan Kovač, so hieß mein aktueller Wirt, war 46 Jahre alt … und ein Kleinkrimineller, der sich mit Taschendiebstählen und Trickbetrügereien über Wasser hielt. Er war gebürtiger Kroate, lebte aber schon seit über 40 Jahren in Deutschland. Dass er keine wirkliche Geistesgröße war, hatte ich schnell bemerkt, als ich sein Bewusstsein »nach oben« kommen ließ, um mich mit ihm zu auszutauschen.
Inzwischen war es kein Problem mehr für mich, die Kontrolle über meinen Wirtskörper zu übernehmen. Anfangs war ich dazu verdammt gewesen, als passiver Gast lediglich mitzuerleben, was mein Gastgeber so alles veranstaltete. Meine Versuche, mit meinen Wirten in Kontakt zu treten, hatten sie verwirrt und ließen sie an ihrem Verstand zweifeln.
Inzwischen gab ich den Ton an. Also entließ ich Bogdan Kovač aus der passiven Rolle, um mit ihm in Kontakt zu treten.
Hallo, Bogdan. Ich denke, wir sollten uns unterhalten.
»Wer spricht da?«, fragte er laut in den Raum, in der Annahme, er hätte eine reale Stimme gehört.
Nenn mich »Sandmann«, und du brauchst dich nicht umzusehen. Ich bin in deinem Kopf.
»Hä?«
Oh je, das würde wieder einmal eine schwere Geburt werden. Aber ich hatte es inzwischen aufgegeben, meine Gastgeber direkt beim ersten Gespräch überzeugen zu wollen. Es würde genug Gelegenheiten geben, bei denen ich mit ihm »reden« konnte, und er würde zweifelsfrei feststellen können, dass kein Mensch in seiner Nähe war. Außerdem »hörte« ich ja seine Gedanken, und wenn meine Kommentare dazukamen, würde er schon schnell merken, wo ich wirklich war.
Denk einfach mal ein wenig drüber nach, sendete ich in Gedanken an ihn aus, und ich melde mich zu gegebener Zeit wieder.
Ich hatte es nicht eilig. Wenn man in über 200 Lebensjahren etwas lernte, dann war es Geduld. Bogdan sah sich hektisch in seiner Zelle um, und ich begann, in seinen Erinnerungen zu kramen. Ich sollte wissen, warum er überhaupt in dieser Zelle saß.
Wie bin ich nur in diesen Schlamassel geraten?
Das Ergebnis meines kleinen Stupsers, von dem er dachte, es hätte sich um einen eigenen Gedanken gehandelt, war eine Flut von Gedanken, Bildern und Erinnerungen, die in wirrer Folge durcheinander schwirrten – aber diesbezüglich hatte ich ja nun wirklich viel an Erfahrung aufzuweisen.
Das bedeutete allerdings nicht, dass ich erfreut gewesen wäre über das, was ich da sah. Wenn ich Pech hatte, würde es bedeuten, dass ich ein ganzes Jahr innerhalb eines minderbemittelten Wirtes im Knast verbringen musste. Der gute Bogdan saß zwar erst in Untersuchungshaft – also stand ein Prozess noch aus –, allerdings saß er wegen Mordes ein. Ihm wurde vorgeworfen, seine Ehefrau umgebracht zu haben. Interessant an der ihm vorgeworfenen Tat war, dass er seine Frau nicht einfach nur erdrosselt oder von einer Klippe gestoßen haben, sondern sie regelrecht abgeschlachtet und dann in der gemeinsamen Wohnung zerstückelt haben sollte.
Als noch wesentlich interessanter empfand ich allerdings die Tatsache, dass Bogdan nicht der Täter gewesen war. Niemand konnte behaupten, dass er ein Unschuldslamm wäre, das bewies seine bewegte Vergangenheit. Aber im Fall seiner ermordeten Frau war er tatsächlich so unschuldig wie frisch gefallener Schnee.
Woher ich das wusste? Gedanken können nicht lügen. Das war eine der ersten Erfahrungen, die ich schon vor über 190 »erlebten« Jahren erfahren durfte, allerdings beileibe nicht immer eine angenehme Erfahrung. Leider musste ich im Laufe der Jahre in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele schauen. Stellen Sie sich vor, Sie befänden sich im Kopf eines Pädophilen, der sich ständig ausmalt, wie er kleine Kinder missbraucht … und sich noch nicht einmal schlecht dabei fühlt.
Aber wie so oft im Leben entstand aus etwas Schlechtem schließlich doch irgendwann auch etwas Gutes. Es war gerade diese spezielle Erfahrung, die mich gezwungen hatte zu lernen, wie ich die Seele – oder besser gesagt das Bewusstsein – eines Wirtes in die hinterste Ecke verbannen konnte. Anders hätte ich das Jahr in diesem abartigen Mitglied der menschlichen Gesellschaft nicht bei geistiger Gesundheit überstanden. Erschwerend in einem solchen Fall war allerdings, dass ich seinen Körper ganz allein steuern musste. Natürlich war das ja genau das Ziel, damit er seine Triebe nicht ausleben konnte und die Kinder vor ihm sicher waren. Allerdings hatte ich dann auch keinen Zugriff auf seine Erinnerungen, was bedeutete, dass ich weder Arbeitskollegen, Bekannte oder selbst gute Freunde erkannte. Und welcherart seine »guten Freunde« waren, können Sie sich sicher lebhaft ausmalen.
Aber ich überstand das Jahr einigermaßen. Lediglich im letzten Monat hatte ich ein moralisches Problem, nämlich, was passieren würde, wenn ich nicht mehr in ihm, sondern wieder in meinem eigenen Körper war und er damit erneut die Kontrolle über seinen Körper hatte.
Allerdings ist einer meiner ehernen Grundsätze: Probleme sind dazu da, gelöst zu werden. Punkt! Aber darüber später mehr.
Vorrangig war in einem so frühen Stadium des Eintritts in einen neuen Gastkörper, einen Modus zu finden, wie ich mich mit dem neuen Wirt – also in diesem Fall Bogdan – möglichst vernünftig arrangieren konnte. Da hatte ich schon die verschiedensten Varianten erlebt. Von absoluter Verweigerung und Negierung der Fakten bis zum sofortigen, vorbehaltlosen und begeisterten Einlassen auf die »tolle spirituelle Erfahrung«. In der Regel war es ein Mittelding und dauerte einfach eine gewisse Zeit, bis der Wirt akzeptieren konnte, was er sowieso hinnehmen musste … dass er nicht mehr allein in seinem Körper war.
Aber da gab es viele verschiedene Methoden der Überzeugung. Subtile und weniger subtile.
Kapitel 3 – Alltag im Knast
Kannst du denn nicht akzeptieren, dass eine Seele den Weg in deinen Kopf gefunden hat?
»Ich kann das irgendwie nicht glauben. Ich muss übergeschnappt sein.«
Frag beim nächsten Hofgang deinen Kumpel Mirco, was ihr gestern vereinbart habt.
»Wieso? Wir haben nichts vereinbart.«
Frag ihn einfach.
Mirco war ein kroatischer Drogendealer, der mit einem ganzen Kilo Koks geschnappt worden war. Ihm drohten mehrere Jahre Haft, da es nicht sein erstes Mal gewesen war. Bogdan hatte sich bereits kurz nach seiner Inhaftierung mit seinem Landsmann angefreundet, wenn er auch keinerlei Ambitionen hatte, jemals Kunde von Mirco zu werden.
Auf dem Hofgang sah ich Mirco, der lauernd an einer Wand lehnte und anscheinend nur auf Bogdan wartete, sofort. Allerdings muss ich an dieser Stelle zugeben, dass ich immer nur das sehen konnte, was auch Bogdan gerade sah. Wollte ich in eine bestimmte Richtung sehen, in die er nicht schaute, dann musste ich die Kontrolle übernehmen, was ich im Moment aber nur in Ausnahmefällen tun wollte. Gerade war es aber auch nicht erforderlich.
Mirco steuerte schnurstracks auf uns zu … na ja, für ihn stand da nur Bogdan, aber ich sah uns eben als Team, also werde ich weiterhin von »uns« sprechen.
»Alter, ich hab’s. Aber mach jetzt keinen Aufstand, sonst merkt noch jemand was«, überfiel Mirco uns, wobei er sich geheimnisvoll gab und ständig nervös über seine Schulter blickte.
»Was meinst du?« Ich spürte Bogdans Unsicherheit und aufsteigende Angst.
»Ey, Alter, mach jetzt keinen Scheiß. Ich hab mich an das gehalten, was wir gestern vereinbart haben.«
»Wir haben was vereinbart? Gestern? Wann? Was?«
Mirco sah Bogdan nun entgeistert an, und erstmals machte sich Misstrauen in ihm breit.
»Du willst mich verscheißern, oder? Wenn das eine Falle ist und ich dir den Stoff nur besorgen sollte, damit du mich in die Pfanne hauen kannst, dann bist du tot, das verspreche ich dir.«
Es wurde Zeit, dass ich mich einmischte, damit die Geschichte nicht aus dem Ruder lief.
Sag ihm, du hast nur Spaß gemacht und nimm den Stoff, den ich gestern für dich geordert habe. Ich erklär’s dir später.
Zum Glück reagierte Bogdan erstmals ohne laute Rückfragen, ohne dummes Gestotter, sondern tatsächlich genau so, wie ich es ihm geraten hatte.
»Quatsch, Alter, hab nur Spaß gemacht. Lass rüberwachsen … äh … den Stoff, meine ich.«
Nach einer kurzen Unsicherheit und noch einigen misstrauischen Blicken über seine Schulter zog Mirco schließlich ein kleines Plastiktütchen aus der Tasche und drückte es Bogdan unauffällig in die Hand. Dann entfernte er sich, so schnell es ging, ohne dass es nach Flucht aussah.
»Was hast du getan?«, fragte Bogdan völlig konsterniert. »Willst du mich umbringen?«
Kannst du das bitte endlich sein lassen, laut mit mir zu sprechen? Deine Mithäftlinge sehen dich schon als den durchgeknallten Sonderling, der mit sich selbst redet.
Kannst … du … mich … hören?, dachte er nun überdeutlich und so langsam, als wollte er sich mit einem Grenzdebilen unterhalten.
Allerdings, du Vollidiot. Sogar, wenn du schneller denkst.
Nenn mich noch einmal Vollidiot, dann … dann …
Ob Sie es glauben, oder nicht, aber man kann auch in Gedanken lachen – was ich auch ausgiebig tat.
Was dann? Haust du dir dann selbst eine rein, in der Hoffnung, es tut auch mir weh? Aber immerhin hast du es ja jetzt endlich kapiert. Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
In welche Richtung?
Willst du denn nicht hier raus? Vielleicht beweisen, dass du deine Frau nicht umgebracht hast?
Ja, klar, aber wie soll das gehen?
Lass das mal meine Sorge sein. Wir werden uns der Sache schon nähern. Ich weiß, dass du unschuldig bist, dann sollte es möglich sein, das auch zu beweisen.
Woher weißt du, dass ich es nicht war, der meine Katarina umgebracht hat?
Hast du vergessen, dass ich in deinem Kopf bin? Ich sehe deine Gedanken … Ich weiß alles, was du weißt. Ich weiß, es ist schwer, sich damit abzufinden, aber du wirst dich daran gewöhnen müssen. Du kannst keine Geheimnisse vor mir haben.
Die Gefühle, die mich überfluteten, stellten eine Mischung aus Angst, Verzweiflung, schlechtem Gewissen und Hilflosigkeit dar. All das waren die Reaktionen einer Person, der man gerade offenbart hatte, dass sie keine Geheimnisse vor jemandem haben konnte und man auch den letzten, schmutzigen Gedanken mitbekam.
Mach dir keine Gedanken, Bogdan. Du bist nicht der Erste, in dem ich mich aufhalte, und du bist leider auch nicht der Letzte. Ich habe schon Dinge erlebt und gesehen, von denen du keine Vorstellung hast. Also bleib locker, mach dir keine Sorgen, und dann werden wir gut miteinander auskommen.
Es hätte mich allerdings sehr gewundert, wenn er damit so einfach klargekommen wäre. Er wäre der Erste gewesen.
***
Es hat selbst für mich lange gedauert, alle Implikationen dieser »Seelenwanderung«, wenn man sie so nennen kann, vollständig zu begreifen. Es gibt ein paar Dinge, die man auf den ersten Blick nur sehr schwer versteht oder gar nicht erst bedenkt.
In meinem eigenen Körper lebe ich ja nur ein Dreizehntel meines gesamten Lebens, sieht man von den ersten 17 Jahren ab – und auch immer nur für einen Monat, bis ich wieder ein Jahr lang weg bin.
Was würden Sie beruflich machen, wenn Sie einen Monat da wären und dann wieder ein Jahr weg? Genau! Es hat mich mein Abitur gekostet, da ich im letzten Schuljahr nach einem Vollmond keine Ahnung mehr hatte, was am Vortag besprochen worden war, geschweige denn den Stoff des vergangenen Monats noch draufhatte. Für mich verging ein ganzes Jahr – und das war oft nicht einfach. Zum Leidwesen meiner Eltern musste ich die Schule abbrechen und hing einfach nur noch so herum.
Wovon sollte ich leben? Was sollte ich in den Tagen zwischen zwei Vollmonden Sinnvolles tun? Zwischen zwei Vollmonden liegen immer 29,5 Tage, also grob gesagt, findet das Ereignis einmal pro Monat statt. Es gibt allerdings auch Jahre mit 13 Vollmonden, aber eigentlich interessiert mich die Anzahl nicht wirklich, lediglich, dass ich alle 30 Tage einschlafe und ein geistiges Jahr älter und mit all den Erinnerungen an das für mich vergangene Jahr aufwache.
Nachdem ich anfänglich zwischen den Ereignissen rumgegammelt hatte, merkte ich schließlich, dass ich die Zeit sinnvoller nutzen sollte, denn schließlich musste ich ja irgendwann auch von etwas leben. Sicherlich hatte jemand von Ihnen schon mal den Gedanken: Der reist doch durch die Zeit, kann man da nicht Geld machen?
Nur … mein Bewusstsein reist in die Vergangenheit, nicht in die Zukunft. Sonst hätte ich ja bei der Rückkehr in meinen eigenen Körper gewusst, was in der Zukunft passieren würde. Damit hätte ich sicherlich viel Geld machen können.
Schade – dachte ich zunächst, bis mir dann doch recht schnell bewusstwurde, was da eigentlich passierte und dass genau dieser Umstand auch ein Vorteil war.
Mein Bewusstsein verbringt ein Jahr in der Vergangenheit, aber es reist ja mit dem Wissen der Person in die Vergangenheit, die das Jahr schon mal durchlebt hat. Demzufolge weiß ich (mein dann Vergangenheits-Ich), was in diesem Jahr passieren wird. Das ist doch ungefähr so, als könnte ich in die Zukunft sehen, oder? Das ist schon sehr verwirrend und ich brauchte einige Zeit, bis ich es so weit verstand, um einen Versuch zu unternehmen.
Die Gelegenheit hatte ich, als ich im Körper eines jungen, dynamischen und notorisch erfolglosen Börsenmaklers landete. Durch Zufall hatte ich (mein Gegenwarts-Ich) nur kurz zuvor einen Artikel gelesen, dass die Aktien einer sehr bekannten Softwarefirma wegen eines ihr angedichteten Fehlers in den Keller fielen, um dann wenige Wochen später, nach Klarstellung der Falschmeldung, in nie gedachte Höhen zu schnellen.
Dieses Wissen zu meinem Vorteil zu nutzen, gedachte ich auf jeden Fall einmal auszuprobieren. Das Ergebnis war … nun ja, erstaunlich. Ich werde darauf zurückkommen.
Kapitel 4 – Mein Anwalt
In den meisten Kriminalfilmen werden aus Zeitgründen der Aufenthalt in der Untersuchungshaft und die dort stattfindenden Besuche eines Anwaltes beim Beschuldigten immer so dargestellt, als käme der Anwalt alle naselang und in kurzen Abständen seinen Mandanten besuchen.
Die Wahrheit sah leider anders aus. Bogdan war zwar ein Kleinkrimineller, aber er hielt nicht viel von Anwälten. Auch bei ihm waren wie bei vielen anderen Kriminellen schlechte Erfahrungen der Auslöser. Also hatte er sich keine Mühe gegeben, einen passenden Anwalt zu finden, weshalb ihm wegen der Schwere des Tatvorwurfs – immerhin ging es um den Mord an seiner Ehefrau – ein Pflichtverteidiger zugeordnet werden musste. Bogdan hielt nicht viel von ihm. Er sah in ihm einen arroganten Schnösel, der sich seine ersten Sporen in einem medienwirksamen Mordfall verdienen wollte. Zuletzt war er vor drei Tagen zu einer kurzen Besprechung dagewesen, aber Bogdan hatte ihm kaum zugehört.
Also sah ich mir nun erst mal die Unterlagen an, die er in seiner Zelle aufbewahrte. Daraus ersah ich zum einen die Erreichbarkeit des Anwalts und zum anderen, was bisher so gelaufen war. Und was ich las … war unglaublich!
Dieser Grünschnabel von Rechtsverdreher hatte für Bogdan tatsächlich ein Schreiben aufgesetzt, in dem er ein umfängliches Geständnis ablegte und das er lediglich noch unterschreiben musste. Auf meine Nachfrage bestätigte Bogdan mir, dass der Anwalt der Meinung war, nur so könne er auf ein mildes Urteil hoffen.
So … ein … Bullshit! Offensichtlich glaubte Bogdans Möchtegern-Verteidiger nicht an dessen Unschuld und zog auch noch nicht einmal in Erwägung, dass er es sein könnte.
Ich sah mir die Daten an und informierte Bogdan darüber, was wir am nächsten Tag tun würden. Das bevorstehende Gespräch mit Rechtsanwalt Simon Hecker, den Bogdan auf etwa Ende zwanzig schätzte, würde sicherlich interessant werden … nur nicht für den Anwalt.
Bogdan verlangte natürlich, sofort zu erfahren, was ich mit Hecker besprechen wollte, aber im Gegensatz zu mir konnte er meine Gedanken nicht hören, wenn ich das nicht wollte.
Lass dich überraschen. Das wird ein nettes und lustiges Gespräch. Ich bin sicher, es wird dir gefallen. Du musst mich einfach nur machen lassen, okay?
Ich weiß aber nicht, ob ich das will. Woher soll ich wissen, dass du mich nicht noch tiefer in die Scheiße reitest?
Ich musste wieder lachen.
Bist du wirklich der Meinung, das wäre noch möglich? Du steckst schon knietief drin und ich bin deine einzige Hoffnung, dass sich daran etwas ändert. Also lass mich einfach mal machen.
Und noch mal … Was, wenn ich das nicht will und dich daran hindere?
Ich seufzte, auch für Bogdan vernehmlich. Also würde es wieder einmal ein Kräftemessen und eine Machtdemonstration geben … wie schon so oft. Aus Erfahrung wusste ich, dass er mir so lange nicht glauben würde, bis er es erlebt hatte. Da ergaben weitere Erklärungen keinen großen Sinn, also zog ich mich zurück und ließ ihn mit seinen Gedanken allein.
***
Der junge Schnösel hatte sich tatsächlich dazu aufgerafft, uns am nächsten Tag zwischen zwei Termine zu schieben. Allerdings war ihm nicht bewusst, dass er es nun mit zwei Personen zu tun hatte. Für ihn war es lediglich Bogdan, der ihm im Vernehmungsraum der Haftanstalt gegenübersaß … und das würde auch so bleiben.
Ich hatte Bogdan so weit in den Hintergrund des Bewusstseins verdammt, dass er keine Gewalt über seinen Körper hatte, aber immerhin noch mitbekam, was geschah. Ich wollte ihm nicht hinterher alles erklären müssen.
»Nun, Herr Kovač, Sie haben mir mitteilen lassen, dass Sie das Geständnis unterschrieben haben und mir noch weitere Einzelheiten über die Tat erzählen wollen. Ich bin ganz Ohr. Wo ist das unterschriebene Dokument?«
»Es gibt kein Dokument, Herr Anwalt.« Dessen dümmliches Gesicht amüsierte mich. »Haben Sie wirklich geglaubt, ich würde diesen Schwachsinn unterschreiben? Ich bin unschuldig, und wenn Sie nicht langsam Schritte unternehmen, die Ermittlungsbehörden in die richtige Richtung zu lenken, muss ich mir vermutlich tatsächlich einen Wahlverteidiger suchen. Wie weit sind Sie mit der Akteneinsicht?«
Simon Hecker sah mich mit offenem Mund an. Er hatte bisher zweimal mit Bogdan geredet, und der Bogdan, der ihm jetzt gegenübersaß, kam ihm sicherlich wie eine andere, eine gebildetere Version des ihm ursprünglich so einfach gestrickt erscheinenden Mannes vor. Sein Mund stand offen, und es sprach nicht gerade für eine überragende Intelligenz, dass ihm nichts Vernünftiges einfallen wollte.
»Sie … äh … Sie wirken … verändert«, stammelte er und hantierte mit den Papieren, die er aus seiner Yuppie-Leder-Aktentasche genommen und vor sich auf den Tisch gelegt hatte.
»Ja, das hat vermutlich damit zu tun, dass ich viel Zeit zum Nachdenken hatte und mir eine Art ›Erleuchtung‹ gekommen ist.« Innerlich musste ich über meine doppelsinnige Formulierung lächeln. »Aber lassen wir dieses Vorgeplänkel. Wie sieht es mit der Akteneinsicht aus? Ich muss wissen, was genau passiert ist, wie diese unsägliche Tat abgelaufen ist und wo wir Ansatzpunkte für die Ermittlung des wirklichen Täters finden können.«
Wieder stierte er mich ungläubig an. »Sie reden ganz anders als bisher«, brachte er schließlich mühsam hervor. »Haben Sie mir den geistig zurückgebliebenen Kleinkriminellen bisher nur vorgespielt?«
Ich merkte, wie Bogdan angesichts dieser Beleidigung aus der passiven Rolle, zu der ich ihn verdammt hatte, an die Oberfläche zurückkehren wollte – was ich gerade noch verhindern konnte.
»Machen Sie sich keine Gedanken über meine intellektuellen Fähigkeiten, sondern darum, so schnell wie möglich Akteneinsicht zu bekommen und dann mit der Akte wieder bei mir zu erscheinen. Bis dahin haben wir nichts zu besprechen.« Nach diesen klaren Worten erhob ich mich und klopfte an die von außen verschlossene Tür, um dem davor wartenden Schließer zu signalisieren, dass die anwaltliche Besprechung beendet war. In der Regel ist es der Anwalt, der das tut, aber selbstverständlich kann auch ein Häftling ein Gespräch abbrechen.
»Aber … ich … äh …«, hörte ich Simon Hecker stammeln und drehte mich noch einmal um. Vielleicht konnte ich ihn ja noch ein wenig motivieren.
»Vielleicht sollten Sie mal darüber nachdenken, wie viel mehr es Ihrem Ruf einbringt, wenn Sie statt mit einer milden Verurteilung eines Schuldigen durch den Freispruch eines Unschuldigen und mit der Verhinderung eines Justizirrtums ganz groß rauskommen.«
Ich grinste zum Abschied noch einmal in sein dümmlich dreinschauendes Gesicht und ließ mich dann von dem Schließer zurück in meine Zelle bringen.
Schon auf dem Weg zurück entließ ich Bogdan aus seinem vorübergehenden Exil zurück an die Oberfläche.
Meinst du, das war gut, den so zu verärgern?, war seine erste Sorge.
Bist du denn der Meinung, er hätte dich bisher gut vertreten? Nein, du musst nicht antworten, das war eine rhetorische Frage. Diese Null hat bisher nichts für dich getan, und wenn wir ihn gelassen hätten, wärst du hier drin versauert.
Was hast du vor?
Zum einen will ich die Aktenlage kennen, und dann müssen wir dringend ein Telefonat führen. Wir brauchen Geld.
Warst du Anwalt? Seit wann bist du tot?
Eine kuriose Kombination von Fragen, aber mir war klar, wie er darauf kam.
Ja, ich war auch mal Anwalt, aber ich bin nicht tot. Noch bevor er die Frage auch nur denken konnte, fuhr ich fort. Ich bin keine Seele eines Verstorbenen oder ein Geist, sondern ein Seelenwanderer. Bei Gelegenheit erzähle ich dir mal die ganze Geschichte, aber jetzt habe ich keine Lust dazu.
Woher willst du denn Geld bekommen?
Mach dir da mal keine Sorgen. Ich verfüge über fast unbegrenzte Geldmittel. Auf jeden Fall sollte es reichen, deine Unschuld zu beweisen.
Kapitel 5 – Finanzen
Sie fragen sich sicher genau wie Bogdan, woher ein durch den Äther umherstreifendes Bewusstsein »unbegrenzte Geldmittel« haben sollte. Keine ganz unberechtigte Frage. Erinnern Sie sich noch an den erfolglosen Börsenmakler, den ich bereits erwähnt habe? Natürlich erinnern Sie sich. Sie sind ganz gespannt darauf, wie die Geschichte ausgegangen ist, nicht wahr?
Auf mein Drängen hin hatte besagter Börsenmakler alle Geldmittel lockergemacht, die er bekommen konnte – unter anderem hatte er sogar einen Kredit aufgenommen –, und wir hatten durch den Kauf der Aktien besagter Softwarefirma innerhalb kürzester Zeit mehrere Hunderttausend Euro Gewinn gemacht. Leider hatte ich keine anderen Börseninformationen im Gedächtnis, um noch mehr Gewinne verbuchen zu können, aber der Anfang war gemacht. Mein Börsenmakler war happy, und ich wusste, wie ich in Zukunft agieren musste.
Mir war nun klar, wie ich die Zeit in meinem eigenen Körper zwischen zwei Seelenwanderungen sinnvoll nutzen konnte: Ich musste mich über bestimmte Entwicklungen im jeweils vergangenen Jahr schlaumachen. Das Problem dabei war, dass ich bei meiner Seelenreise keine Notizen mitnehmen konnte, also beschäftigte ich mich auch damit, wie ich mein Erinnerungsvermögen auf Vordermann bringen konnte. Ich las viel über Gedächtnistraining, Mnemotechniken und eben alle Tricks, wie man sich Unmengen von Informationen besser und vor allem auch langfristig merken konnte.
Das war zwar grundsätzlich gut und schön, aber was machen Sie, wenn Sie dann im Körper eines 13-jährigen Realschülers landen? Die Idee mit den Aktienkursen war nicht schlecht, aber es musste noch eine andere Möglichkeit geben, an viel Geld zu kommen.
Was würden Sie tun, wenn Sie quasi die Möglichkeit hätten, in die Zukunft zu schauen? Ich bin sicher, Sie sind bereits von selbst darauf gekommen, denn es ist der Traum von Millionen Menschen, die gerne sehr schnell an viel, viel Geld kommen würden.
Genau: Lotto spielen!
Sie werden sich nicht mehr daran erinnern, aber am 23. September 2009 gewann eine Person den Lotto-Jackpot mit den Zahlen 3, 4, 23, 30, 43, 44, 6 und strich damit insgesamt 31,7 Millionen Euro ein.
Ja, genau, Sie vermuten richtig … das war ich.
Am 29. Januar 2014 gewann ein Handwerker aus Niedersachsen 24,4 Millionen Euro.
Glück brachten ihm die Zahlen 3, 12, 15, 26, 34, 36 sowie die Superzahl 5. Daran können Sie sich vielleicht besser erinnern, da es nicht so lange her ist.
Somit hatte ich innerhalb von fünf Jahren 56,1 Millionen Euro zu verbuchen. Die nächste Frage, die sich Ihnen selbstverständlich stellt, ist, was mir dieses Geld nutzen soll, wenn ich doch nach einem Jahr den Wirtskörper wieder verlasse.
Sehr gute Frage. Also habe ich mit meinen Wirten Deals gemacht. Die Hälfte des gewonnenen Geldes landete auf einem Schweizer Nummernkonto, von dem jeder Geld transferieren kann, der die Kontonummer und das geheime Kennwort kennt.
Und dieses Kennwort kennt nur eine Person: ich!
Somit standen mir etwas mehr als 28 Millionen Euro zur Verfügung, was für einige Leben reichen sollte. Und ich hatte noch nicht einmal jemandem geschadet, sondern im Gegenteil zwei meiner Wirte sehr, sehr glücklich gemacht. Sogar für die Zeit, nachdem ich sie wieder verlassen hatte.
Jetzt werden Sie zu Recht fragen, was mir dieses Geld nützen soll, wenn ich im Knast sitze und weder mit meiner Bank in der Schweiz telefonieren noch herumlaufen und dieses Geld sinnvoll einsetzen kann?
An dieser Stelle muss ich Sie leider darauf aufmerksam machen, dass Sie die ganze Geschichte mit der Seelenwanderung vermutlich noch nicht wirklich voll durchdacht haben. Sie haben einen Aspekt vergessen oder eben noch nicht in Ihre Überlegung mit einbezogen. Leider wird es jetzt ein wenig kompliziert, und ich muss zugeben, dass auch ich zu Anfang erhebliche Schwierigkeiten hatte, dieses komplexe Konstrukt zu durchschauen und alle sich daraus ergebenden Probleme zu bedenken.
Ich will versuchen, es Ihnen so einfach wie möglich zu erklären:
Also … mein Gastaufenthalt bei Bogdan startete damit, dass ich am 15. August 2019 bei Vollmond einschlief und am 15. August 2018 in Bogdans Zelle und in seinem Körper erwachte. Sozusagen ein doppeltes Gefängnis, haha. Aber egal. Ich würde nun die Zeit bis zum 14. August 2019 mit ihm verbringen.
Aber das wusste ich doch alles schon, werden Sie sagen. Ja, stimmt, aber haben Sie auch bedacht, dass ich fast einen Monat zuvor, am 09. Juli 2019 bei Vollmond, auch eingeschlafen bin und meine Seele ein Jahr zurück, also zum 09. Juli 2018, seelengewandert ist und dazu verdammt wurde, ein Jahr in einem anderen Körper zu wohnen?
Nein, da haben Sie nicht dran gedacht, seien Sie ehrlich.
Was bedeutet das aber für mich, zum Beispiel am 1. September 2018?
Genau, zu dieser Zeit bin ich in Bogdan … aber auch in dem anderen Körper. Es gibt mich quasi zweimal.
Ich rede deshalb inzwischen von Seelensplittern oder auch meinen anderen ›Ichs‹ – Alter Egos –, da es eine Person ja nicht zweimal geben kann. Und wenn Sie sich jetzt mal einen Moment lang bequem zurücklehnen und genau darüber nachdenken, dann kommen Sie sicherlich von selbst darauf, dass das ja auch für mein Einschlafen beim Vollmond am 09. Juni 2019 gilt. Verwirrend? Und ob, dabei bin ich noch nicht einmal fertig.
Haben Sie schon ausgerechnet, wie oft es mich zur gleichen Zeit jeweils gibt?
Richtig! Insgesamt zwölfmal, in verschiedenen Körpern, wobei einer meiner Seelensplitter erst seit einem Monat in einem anderen Körper wohnt, ein anderer schon seit elf Monaten.
Ich denke mal, das ist genug Stoff zum Nachdenken für den Moment und ich sollte es erst mal dabei belassen, dass ich genug Geld zur Verfügung hatte, um mir fast alles leisten zu können und darüber hinaus auf Hilfe von meinen anderen »Ichs« bauen konnte.
Das ist doch schon mal was, oder?
Kapitel 6 – Akteneinsicht
Es dauerte geschlagene drei Tage, bis Rechtsanwalt Hecker endlich mit den Akten erschien.
Inzwischen hatte ich ausreichend Zeit gehabt, Bogdan in die Besonderheiten meiner Situation einzuweihen und ihm in mehreren Sessions sogar das Konzept der Seelensplitter vermitteln zu können – na ja, wenigstens ansatzweise.