Scarlett - Die Fortsetzung von »Vom Winde verweht« - Alexandra Ripley - E-Book
SONDERANGEBOT

Scarlett - Die Fortsetzung von »Vom Winde verweht« E-Book

Alexandra Ripley

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nach "Vom Winde verweht" findet die größte Liebesgeschichte des Jahrhunderts ihre Fortsetzung.

Der amerikanische Bürgerkrieg ist vorbei und die leidenschaftliche Scarlett O'Hara ganz auf sich allein gestellt. Tara, die Plantage ihrer Familie, wird ihr Zufluchtsort und gibt ihr Geborgenheit. Ihr wird von Tag zu Tag stärker bewusst, wie sehr Rhett ihr fehlt, dass er ihre große Liebe ist. Und sie beschließt, für die Liebe zu kämpfen. Aber kann Scarlett die Fehler der Vergangenheit ungeschehen machen? Kann sie Rhett erneut für sich gewinnen und endlich glücklich werden?

Ein großes, ein bewegendes Meisterwerk - jetzt als eBook bei beHEARTBEAT.



Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 1654

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

1. BUCH: IM DUNKELN ALLEIN

1. KAPITEL

2. KAPITEL

3. KAPITEL

4. KAPITEL

5. KAPITEL

6. KAPITEL

7. KAPITEL

8. KAPITEL

9. KAPITEL

2. BUCH: MIT HOHEM EINSATZ

10. KAPITEL

11. KAPITEL

12. KAPITEL

13. KAPITEL

14. KAPITEL

15. KAPITEL

16. KAPITEL

17. KAPITEL

18. KAPITEL

19. KAPITEL

20. KAPITEL

21. KAPITEL

22. KAPITEL

23. KAPITEL

24. KAPITEL

25. KAPITEL

26. KAPITEL

27. KAPITEL

28. KAPITEL

29. KAPITEL

30. KAPITEL

31. KAPITEL

32. KAPITEL

3. BUCH: EIN NEUES LEBEN

33. KAPITEL

34. KAPITEL

35. KAPITEL

36. KAPITEL

37. KAPITEL

38. KAPITEL

39. KAPITEL

40. KAPITEL

41. KAPITEL

42. KAPITEL

43. KAPITEL

44. KAPITEL

45. KAPITEL

46. KAPITEL

4. BUCH: DER TURM

47. KAPITEL

48. KAPITEL

49. KAPITEL

50. KAPITEL

51. KAPITEL

52. KAPITEL

53. KAPITEL

54. KAPITEL

55. KAPITEL

56. KAPITEL

57. KAPITEL

58. KAPITEL

59. KAPITEL

60. KAPITEL

61. KAPITEL

62. KAPITEL

63. KAPITEL

64. KAPITEL

65. KAPITEL

66. KAPITEL

67. KAPITEL

68. KAPITEL

69. KAPITEL

70. KAPITEL

71. KAPITEL

72. KAPITEL

73. KAPITEL

74. KAPITEL

75. KAPITEL

76. KAPITEL

77. KAPITEL

78. KAPITEL

79. KAPITEL

80. KAPITEL

81. KAPITEL

82. KAPITEL

83. KAPITEL

84. KAPITEL

85. KAPITEL

86. KAPITEL

87. KAPITEL

88. KAPITEL

89. KAPITEL

Weiterer Titel der Autorin

Virginia

Über dieses Buch

Nach »Vom Winde verweht« findet die größte Liebesgeschichte des Jahrhunderts ihre Fortsetzung.

Der amerikanische Bürgerkrieg ist vorbei und die leidenschaftliche Scarlett O'Hara ganz auf sich allein gestellt. Tara, die Plantage ihrer Familie, wird ihr Zufluchtsort und gibt ihr Geborgenheit. Ihr wird von Tag zu Tag stärker bewusst, wie sehr Rhett ihr fehlt, dass er ihre große Liebe ist. Und sie beschließt, für die Liebe zu kämpfen. Aber kann Scarlett die Fehler der Vergangenheit ungeschehen machen? Kann sie Rhett erneut für sich gewinnen und endlich glücklich werden?

Ein großes, ein bewegendes Meisterwerk.

Über die Autorin

Alexandra Ripley (geb. 8. Januar 1934 in Charleston, South Carolina; gest. 10. Januar 2004 in Richmond, Virginia) veröffentlichte ihren ersten Roman im Jahre 1972. Fortan schrieb sie zumeist Historienromane. Einer breiten Öffentlichkeit wurde sie mit ihrem Buch Scarlett bekannt, einer Fortsetzung des Romans »Vom Winde verweht« von Margaret Mitchell. Sie war dreimal verheiratet: mit Leonard Ripley, von ihm hatte sie zwei Töchter, mit Thomas Garlock und mit John Graham.

Alexandra Ripley

Scarlett

Aus dem amerikanischen Englisch von Karin Kersten, Till R. Lohmeyer und Christel Rost

beHEARTBEAT

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1991 by Stephens Mitchell Trust.

Titel der amerikanischen Originalausgabe: Scarlett

Originalverlag: Warner Books, New York

Für die deutschsprachige Erstausgabe:

Copyright © der deutschen Übersetzung 1991 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von Motiven © thinkstock: Jupiterimages; © iStock: sandr2002

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 978-3-7325-6722-5

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

1. BUCH

IM DUNKELN ALLEIN

1. KAPITEL

Bald ist es vorbei, und dann kann ich nach Hause, nach Tara.

Scarlett O’Hara Hamilton Kennedy Butler stand allein, ein paar Schritte von den anderen Trauergästen entfernt, auf Melanie Wilkes’ Beerdigung. Es regnete, und die schwarz gekleideten Männer und Frauen hielten sich schwarze Regenschirme über die Köpfe. Sie stützten sich gegenseitig, die Frauen weinend, und teilten Regenschutz und Kummer.

Scarlett teilte ihren Schirm mit niemandem und auch nicht ihren Kummer. Windstöße peitschten schneidend kalte Regenschnüre unter ihren Schirm, die ihr als Rinnsale den Hals hinabliefen, doch sie merkte es nicht. Sie empfand nichts, der Verlust hatte sie betäubt. Sie würde später trauern, wenn sie den Schmerz ertragen konnte. Sie hielt ihn von sich fern, allen Schmerz, alles Empfinden, alle Gedanken. Außer den Worten, die sich in ihrem Kopf unablässig wiederholten, den Worten, die ihr verhießen, dass der Schmerz, der auf sie wartete, wieder vergehen und sie die Kraft zum Überleben finden würde, bis die Wunde verheilt war.

Bald ist es vorbei, und dann kann ich nach Hause, nach Tara.

»... Erde zu Erde, Asche zu Asche ...«

Die Stimme des Geistlichen durchdrang die Schale ihrer Betäubung, die Worte fanden Gehör. Nein! Scarlett schrie innerlich auf. Nicht Melly. Das ist nicht Mellys Grab, es ist zu groß, sie ist so winzig, sie hat Knochen wie ein Vögelchen. Nein! Sie darf nicht tot sein, sie darf nicht!

Scarletts Kopf wandte sich ruckartig ab, verweigerte sich dem Anblick des offenen Grabes, des schlichten Fichtenholzsarges, der in die Erde hinabgelassen wurde. Im weichen Holz waren kleine Halbkreise zu erkennen, Spuren des Hammers, der die Nägel hineingetrieben hatte, um den Deckel über Melanies sanftem, liebevollem, herzförmigem Gesicht zu schließen.

Nein! Das könnt, das dürft ihr nicht tun, es regnet, ihr könnt sie dort nicht hineinlegen, wo der Regen auf sie fallen wird. Sie friert so leicht, man darf sie nicht im kalten Regen zurücklassen. Ich kann es nicht mit ansehen, ich kann es nicht ertragen, ich will nicht glauben, dass sie nicht mehr ist. Sie liebt mich, sie ist meine Freundin, meine einzige wirkliche Freundin. Melly liebt mich; sie würde mich nicht gerade in diesem Augenblick verlassen, wo ich sie am meisten brauche.

Scarlett sah die Menschen an, die um das Grab standen, und heißer Zorn wallte in ihr auf. Keiner von denen nimmt es so schwer wie ich, keiner von denen hat so viel verloren wie ich. Keiner weiß, wie sehr ich sie liebte. Aber Melly doch wohl? Sie weiß es, ich muss glauben, dass sie es weiß.

Die da werden es niemals glauben. Weder Mrs. Merriwether noch die Meades oder die Whitings oder die Elsings. Schaut sie euch doch nur an, wie sie sich um India Wilkes und Ashley drängen, wie ein Schwarm nasser Krähen in ihrer Trauerkleidung. Na schön, sie trösten Tante Pittypat, wenn auch jeder weiß, dass sie um jede Kleinigkeit Theater macht und sich schon die Augen ausweint, wenn ich auch nur eine Scheibe Toast verbrenne. Nie käme denen in den Sinn, dass ich diejenige sein könnte, die ein bisschen Trost braucht, dass ich Melanie nähergestanden habe als irgend jemand sonst. Die tun so, als gäbe es mich gar nicht. Kein Mensch kümmert sich auch nur im Geringsten um mich. Nicht einmal Ashley. Er wusste, er konnte während der schrecklichen Tage nach Melanies Tod auf mich zählen, als er mich brauchte, um alles zu arrangieren. Alle haben mich da plötzlich gebraucht, selbst India hat mich hilflos angeblökt wie ein Schaf: »Was müssen wir nur wegen der Beerdigung unternehmen, Scarlett? Wegen des Essens für die Trauergäste? Weges des Sargs? Der Sargträger? Der Grabstelle? Der Inschrift auf dem Garbstein? Der Todesanzeige in der Zeitung?« Und jetzt hängen sie sich gegenseitig am Hals und heulen wie die Kinder. Nun, die Genugtuung werde ich ihnen nicht bereiten, dass sie mich hier mutterseelenallein weinen sehen. Ich darf nicht weinen. Nicht hier. Noch nicht. Wenn ich erst einmal anfange, höre ich womöglich niemals mehr auf. Auf Tara kann ich weinen.

Scarlett hob das Kinn und biss die Zähne zusammen, damit sie aufhörten, vor Kälte zu klappern, und um das Würgen in der Kehle zu unterdrücken. Bald ist es vorbei, und dann kann ich nach Hause, nach Tara.

Scarletts Leben war ein Scherbenhaufen, und überall um sie herum hier auf dem Oakland-Friedhof von Atlanta waren einzelne Bruchstücke davon zu finden. Eine hoch aufragende Granitnadel, grauer, mit Regenstreifen bedeckter Stein, erinnerte düster an jene Welt, die für immer dahin war, jene sorglose Welt ihrer Jugend vor dem Krieg – das Confederate Memorial, Symbol des stolzen, schonungslosen Mutes, der den Süden mit leuchtenden Fahnen in die Zerstörung gestürzt hatte. Es stand für zahllose verlorene Menschenleben, die Freude ihrer Kindheit, die Verehrer, die in jenen Tagen um Walzer und Küsse gebettelt hatten, als ihr größtes Problem noch darin bestanden hatte, welches ihrer vielen Ballkleider mit den ausladenden Röcken sie anziehen sollte. Es stand für ihren ersten Ehemann, für Charles Hamilton, Melanies Bruder. Es stand für die Söhne, Brüder und Ehemänner, die Väter all der regennassen Trauergäste auf der kleinen Hügelkuppe, wo Melanie beerdigt wurde.

Da waren andere Gräber, andere Gedenktafeln: Frank Kennedy, Scarletts zweiter Mann; und das kleine, entsetzlich kleine Grab mit dem Grabstein auf dem »Eugenie Victoria Butler« stand und darunter »Bonnie«. Ihr letztes Kind und das meistgeliebte.

Die Lebenden wie die Toten, alle waren sie um sie versammelt, doch Scarlett stand abseits. Halb Atlanta war gekommen, so schien es. Die Menge hatte die Kirche zum Bersten gefüllt und zog sich nun in einem weiten, unregelmäßigen Halbkreis um jenen herben Farbfleck im grauen Regen, das offene Grab, das man aus Georgias rotem Lehmboden für Melanie Wilkes ausgehoben hatte.

In der vordersten Reihe der Trauergäste fanden sich die, die ihr am nächsten gestanden hatten. Weiße und Schwarze, deren Gesichter, mit Ausnahme Scarletts, sämtlich tränenfeucht waren. Onkel Peter, der alte Kutscher, stand mit Dilcey und Cookie im schützenden Dreieck um Beau, Melanies verwirrten kleinen Sohn.

Atlantas ältere Generation war in der traurig dezimierten Zahl vertreten, die überlebt hatte. Die Meades, die Whitings, die Merriwethers, die Elsings, ihre Töchter und Schwiegersöhne, der verkrüppelte Hugh Elsing als einzig noch lebender Sohn, Tante Pittypat Hamilton und Henry Hamilton, ihr Bruder, die im gemeinsamen Kummer um ihre Nichte ihre uralte Fehde vergessen zu haben schienen. Jünger zwar, aber ebenso alt aussehend wie die Übrigen, suchte India Wilkes Schutz in der Gruppe und beobachtete ihren Bruder Ashley aus kummervollen und von Selbstvorwürfen verdüsterten Augen. Er stand allein, wie Scarlett, stand ungeachtet der Schirme barhäuptig im Regen, ohne das nasskalte Wetter auch nur zu bemerken, außerstande, die Endgültigkeit der Worte des Geistlichen und den Anblick des schmalen Sargs, wie er in das schlammige, rote Grab gesenkt wurde, zu begreifen.

Ashley. Groß und dünn und farblos, das blassblonde Haar fast grau, das bleiche, bekümmerte Gesicht so leer wie der Blick seiner blind vor sich hinstarrenden grauen Augen. Er stand straff aufgerichtet, in der Haltung des Salutierenden, ein Relikt jener Jahre als Offizier in der grauen Uniform. Er stand reglos, bar jeglichen Empfindens oder Verstehens.

Ashley. Er war Mittelpunkt und Symbol von Scarletts in die Brüche gegangenem Leben. Aus Liebe zu ihm hatte sie das Glück ausgeschlagen, als sie nur hätte zugreifen müssen. Sie hatte ihrem Ehemann die kalte Schulter gezeigt, keinen Blick für dessen Liebe gehabt, sich ihre Liebe zu ihm nicht eingestanden, da ihr Verlangen nach Ashley stets zwischen ihnen gestanden hatte. Und nun war Rhett fort, vertreten nur durch einen üppigen Blumenschauer aus warmen goldenen Herbsttönen zwischen so vielen anderen. Sie hatte ihre einzige Freundin hintergangen, Melanies unbeugsame Treue und Liebe verachtet. Und jetzt war Melanie nicht mehr da, und selbst Scarletts Liebe zu Ashley war vergangen, denn sie hatte – zu spät – erkannt, dass an die Stelle der Liebe selbst vor langer Zeit schon die Gewohnheit, ihn zu lieben, getreten war.

Sie liebte ihn nicht mehr, und würde es auch nie wieder tun. Doch nun, da sie ihn nicht mehr wollte, gehörte Ashley plötzlich ihr, war Melanies Vermächtnis an sie. Sie hatte Melly versprochen, sich um ihn und um Beau, ihr Kind, zu kümmern.

Ashley war der Grund dafür, dass ihr Leben ein Scherbenhaufen war. Und das Einzige, was ihr von diesem Leben geblieben war.

Scarlett stand abseits und allein. Zwischen ihr und den Menschen von Atlanta herrschte eine kalte, finstere Leere, eine Leere, die einst von Melanie ausgefüllt worden war, die sie vor Isolation und Ächtung bewahrt hatte. Und unter ihrem Regenschirm, dort, wo eigentlich Rhett hätte stehen sollen, um sie mit seinen starken, breiten Schultern und seiner Liebe zu beschützen, war nur der kalte Wind.

In ihn hinein reckte sie das Kinn, missachtete ihn, ohne ihn freilich zu spüren. Ihre Sinne waren völlig auf die Worte konzentriert, aus denen sie ihre Kraft und ihre Hoffnung schöpfte.

Bald ist es vorbei, und dann kann ich nach Hause, nach Tara.

»Sehen Sie sie sich doch an«, flüsterte eine schwarz gekleidete Dame ihrer Begleiterin zu, die den Schirm mit ihr teilte. »Hart wie Granit. Ich habe gehört, die ganze Zeit, als sie sich um die Bestattungsformalitäten gekümmert hat, hat sie nicht eine einzige Träne vergossen. Augen nur fürs Geschäft, das ist typisch für Scarlett. Und kein bisschen Herz.«

»Sie wissen ja, was man so redet«, flüsterte es zurück. »Sie hat ein großes Herz, wenn es um Ashley Wilkes geht. Glauben Sie, dass die beiden wirklich ...«

Die Leute um sie herum brachten sie zwar zum Schweigen, dachten aber nicht anders. Wie jeder es tat.

Das grässliche, hohle Aufschlagen der Erde auf das Holz ließ Scarlett die Fäuste ballen. Am liebsten hätte sie sich die Ohren zugehalten, geschrien, gebrüllt – alles, um nur das schreckliche Geräusch nicht hören zu müssen, als das Grab sich über Melanie schloss. Ihre Zähne gruben sich schmerzlich in ihre Lippe. Sie würde nicht schreien, sie würde es nicht tun.

Der Schrei, der die feierliche Stille schließlich durchbrach, war Ashleys: »Melly ... Melliieee!« Und noch einmal: »Melliieee!« Es war der Schrei einer gequälten Seele voller Einsamkeit und Angst.

Ashley torkelte wie ein mit Blindheit Geschlagener auf das tiefe, schlammige Loch zu, und seine Hände suchten tastend nach dem kleinen, stillen Geschöpf, das seine ganze Stärke gewesen war. Doch da war nichts, das sich greifen ließ, nur die herabströmenden Silberstreifen kalten Regens.

Scarlett sah Dr. Meade, India und Henry Hamilton an. Warum tun die denn nichts? Warum halten sie ihn nicht auf? Man muss ihn doch aufhalten!

»Mellyyyyyy ...!«

Um Gottes willen! Er wird sich gleich den Hals brechen, und die rühren sich nicht und sehen mit offenem Mund zu, wie er schwankend am Rande des Grabs steht.

»Ashley, hör auf!«, schrie sie. »Ashley!« Sie begann zu rennen, rutschte und schlitterte über das nasse Gras. Der Schirm, den sie hatte fallen lassen, fegte, vom Wind getrieben, über den Boden, bis er sich in den aufgehäuften Blumen verfing. Sie packte Ashleys Taille und versuchte, ihn aus der gefährlichen Lage zu ziehen. Er wehrte sich.

»Ashley, lass das!« Scarlett kämpfte gegen seinen energischen Widerstand an. »Melly kann dir jetzt nicht helfen.« Die Stimme war hart, um durch die Umnachtung seines Kummers zu dringen.

Er hielt inne, und die Arme sanken an ihm herab. Er stöhnte leise, und dann sackte sein Körper in Scarletts stützenden Armen zusammen. Ihr Griff drohte sich schon unter seinem Gewicht zu lockern, als Dr. Meade und India Ashleys schlaffe Arme zupackten und ihn zurück auf die Beine stellten.

»Sie können jetzt gehen, Scarlett«, sagte Dr. Meade. »Sie haben schon genug Schaden angerichtet.«

»Aber ich ...« Sie blickte in die Gesichter um sie herum, die sensationslüsternen Augen. Dann wandte sie sich ab und ging durch den Regen davon. Die Menge wich zurück, als könne die Berührung ihrer Röcke sie beschmutzen.

Sie durften nicht wissen, wie sehr Scarlett sich getroffen fühlte, sie würde sich nicht anmerken lassen, dass sie imstande waren, sie zu verletzen. Trotzig hob sie das Kinn und ließ es zu, dass der Regen ihr über Gesicht und Hals lief. Den Rücken gerade, die Schultern straff, bis sie das Tor des Friedhofs erreicht hatte und außer Sicht war. Dann griff sie nach einem der eisernen Stäbe. Ihr war schwindlig vor Erschöpfung, und sie hielt sich nur schwankend auf den Beinen.

Elias, ihr Kutscher, kam zu ihr gelaufen und öffnete seinen Schirm, um ihn ihr über den Kopf zu halten. Scarlett ging zu ihrer Kutsche und übersah die Hand, die sich ihr entgegenstreckte, um ihr hineinzuhelfen. Im plüschbespannten Kutscheninneren sank sie in eine Ecke und zog das wollene Plaid über den Schoß. Sie war ausgekühlt bis auf die Knochen und entsetzt über ihr Verhalten. Wie hatte sie Ashley nur vor allen so blamieren können, wo sie Melanie doch noch vor wenigen Tagen versprochen hatte, sich um ihn zu kümmern und ihn zu beschützen, wie auch Melly es stets getan hatte? Aber was hätte sie denn tun sollen? Zusehen, wie er sich in das Grab stürzte? Sie hatte ihn aufhalten müssen.

Die Kutsche schwankte, als die hohen Räder tief in die schlammigen Lehmfurchen sanken. Um ein Haar wäre Scarlett vom Sitz gefallen. Ihr Ellenbogen schlug gegen den Fensterrahmen, und ein scharfer Schmerz durchfuhr ihren Arm.

Doch es war nur ein körperlicher Schmerz, den konnte sie aushalten. Der aufgeschobene, verzögerte, geleugnete Schmerz war es, den sie nicht ertragen konnte. Noch nicht, hier nicht, nicht, bevor sie nicht ganz allein war. Sie musste nach Tara fahren, unbedingt. Mammy war dort, Mammy würde ihre braunen Arme um sie legen, würde sie festhalten und ihren Kopf an ihrer Brust wiegen, wo sie schon sämtlichen Kummer ihrer Kindheit herausgeschluchzt hatte. Mammy würde sie im Arm halten und in Liebe hüllen, würde ihren Schmerz teilen und ihr so helfen, ihn zu ertragen.

»Beeil dich, Elias«, sagte Scarlett, »beeil dich.«

»Hilf mir aus den nassen Sachen, Pansy«, befahl Scarlett ihrer Dienerin. »Rasch.« Ihr Gesicht war geisterhaft bleich und ließ ihre grünen Augen dunkler aussehen, leuchtender, beängstigender. Das junge schwarze Mädchen war ungeschickt vor Nervosität. »Rasch, habe ich gesagt. Wenn ich deinetwegen den Zug verpasse, zieh ich dir eins übers Fell.«

Das durfte sie nicht, Pansy wusste, dass sie das nicht durfte. Die Tage der Sklaverei waren vorüber, sie war nicht der Besitz von Miss Scarlett, sie konnte sich jederzeit eine andere Stelle suchen. Der verzweifelte, fieberhafte Glanz in Scarletts grünen Augen führte jedoch dazu, dass Pansy an ihrem Wissen zu zweifeln begann. Scarlett sah aus, als sei sie zu allem fähig.

»Pack das schwarze Wolltuch ein, es wird bald kälter werden«, sagte Scarlett. Sie sah zum offenen Kleiderschrank hinüber. Schwarze Wolle, schwarze Seide, schwarze Baumwolle, schwarzer Körper, schwarzer Samt. Sie konnte bis ans Ende ihrer Tage weitertrauern. Noch trauerte sie um Bonnie und jetzt auch um Melanie. Ich sollte mir etwas suchen, was noch schwärzer ist als schwarz, etwas noch Trauervolleres, um mich selbst zu bedauern.

Aber: Ich will darüber jetzt nicht nachdenken, sonst werde ich noch wahnsinnig. Dafür ist Zeit, wenn ich auf Tara bin. Da habe ich die Kraft.

»Mach mich fertig, Pansy. Elias wartet. Und wehe, du vergisst den Trauerflor. Wir sind hier in einem Trauerhaus.«

Die Straßen in Five Points waren das reinste Schlammloch. Fuhrwerke, Kutschen und Einspänner steckten im Morast fest. Ihre Fahrer verfluchten den Regen, die Straßen, die Pferde und die anderen Fahrer, die ihnen den Weg versperrten. Es herrschte großes Geschrei, Peitschen knallten, die Menge lärmte. In Five Points traf man immer auf Scharen von Menschen, eilende, streitende, klagende, lachende Menschen. Five Points brodelte vor Leben, vor Gedränge, vor Energie. Five Points war Atlanta, das Scarlett liebte.

Nicht jedoch heute. Heute war ihr Five Points im Weg, hielt Atlanta sie auf. Ich muss den Zug erreichen, ich sterbe, wenn ich ihn verpasse, ich muss zu Mammy und nach Tara, oder ich breche zusammen. »Elias«, schrie sie gellend, »es ist mir gleichgültig, ob du die Pferde zu Tode peitschst, es ist mir gleichgültig, ob du sämtliche Leute auf der Straße in Grund und Boden fährst. Hauptsache, du schaffst es zur Bahnstation.« Ihre Pferde waren die kräftigsten, ihr Kutscher der tüchtigste, ihre Kutsche die beste, die für Geld zu haben war. Wehe dem, der sie aufhielt. Wehe.

Sie schaffte es pünktlich und hatte sogar noch etwas Zeit.

Lautes Zischen von Dampf war zu hören. Scarlett hielt den Atem an und lauschte auf die erste, schwerfällige Umdrehung der Räder, die bedeutete, dass der Zug sich in Bewegung gesetzt hatte. Da war sie. Dann noch eine. Und noch eine. Und das Rattern, Rucken des Waggons. Endlich waren sie unterwegs.

Alles würde gut werden. Sie fuhr nach Hause, nach Tara. Sie stellte sich das Haus vor, sonnig und hell, strahlend weiß, die weißen Vorhänge, die in den offenen Fenstern wehten, darunter das schimmernd grüne Laub der Kapjasminsträucher, die mit vollkommenen, wachsweißen Blüten bedeckt waren.

Schwerer, dunkler Regen strömte am Fenster hinab, als der Zug den Bahnhof verließ, doch das machte ihr nichts aus. Auf Tara würde es im Salon ein Feuer mit knisternden Tannenzweigen auf den Holzscheiten geben, die Vorhänge würden zugezogen sein und den Regen, die Dunkelheit und die Welt draußen aussperren. Den Kopf wollte sie an Mammys weiche Brust legen und ihr all die grässlichen Dinge erzählen, die geschehen waren. Danach würde sie wieder imstande sein nachzudenken, sich zu überlegen, was zu tun war ...

Zischender Dampf und quietschende Räder ließen Scarletts Kopf hochschnellen.

War das schon Jonesboro? Sie musste eingedöst sein, kein Wunder, so müde, wie sie war. Sie hatte zwei Nächte nicht schlafen können, trotz des Brandys, mit dem sie versucht hatte, ihre Nerven zu beruhigen. Nein, sie waren erst in Rough and Ready. Noch eine Stunde bis Jonesboro. Wenigstens hatte der Regen aufgehört, es war sogar ein blauer Fleck am Himmel zu sehen. Vielleicht schien ja auf Tara die Sonne. Sie stellte sich die Auffahrt vor, die dunklen Zedern, die sie säumten, dann den weiten grünen Rasen und das geliebte Haus auf der Kuppe des niedrigen Hügels.

Scarlett seufzte schwer. Ihre Schwester war jetzt die Herrin auf Tara. Pah! Heulsuse war der treffendere Ausdruck. Suellen tat nichts als jammern, sie hatte nie etwas anderes getan, seit ihrer Kindheit. Und mittlerweile hatte sie auch Kinder, weinerliche kleine Mädchen, wie sie selbst eins gewesen war.

Scarletts Kinder waren ebenfalls auf Tara. Wade und Ella. Zusammen mit Prissy, dem Kindermädchen, hatte sie sie fortgeschickt, als sie erfahren hatte, dass Melanie sterben musste. Wahrscheinlich hätten sie mit an Melanies Beerdigung teilnehmen sollen. So hatten all die alten Klatschtanten in Atlanta einmal mehr Grund dazu, sich die Mäuler darüber zu zerreissen, was für eine unnatürliche Mutter sie war. Sollten sie doch reden. Sie hätte die schrecklichen Tage und Nächte nach Mellys Tod nicht überstanden, hätte sie sich auch noch um Wade und Ella kümmern müssen.

Wegen alldem wollte sie sich keine Gedanken mehr machen, und fertig. Sie fuhr nach Hause nach Tara und zu Mammy, und sie wollte sich einfach verbieten, über immer noch mehr Dinge nachzugrübeln, die sie nur aufregten. Es gibt doch, weiß Gott, genug, was mich schier verrückt macht, da muss ich mir nicht noch zusätzlich was aufhalsen. Und ich bin so müde ... Der Kopf sank ihr hinab, und die Augen fielen ihr zu.

»Jonesboro, Ma’am«, sagte der Schaffner. Scarlett blinzelte und setzte sich auf.

»Danke.« Sie sah sich im Waggon nach Pansy und ihren Koffern um. Ich zieh’ dem Mädchen das Fell über die Ohren, wenn sie in irgendeinem anderen Waggon herumtrödelt. Herrje, wenn eine Dame doch nicht jedes Mal, wenn sie auch nur einen Fuß vor die Tür setzt, Begleitung haben müsste. Ich käme allein so viel besser zurecht. Da ist sie. »Pansy. Hol die Koffer aus dem Gepäcknetz. Wir sind da.«

Nur noch fünf Meilen bis Tara. Bald bin ich daheim. Daheim!

Will Benteen, Suellens Mann, erwartete sie auf dem Bahnsteig. Es war ein Schock, das Wiedersehen mit Will, die ersten paar Sekunden waren immer ein Schock. Scarlett liebte und respektierte Will aufrichtig. Wenn sie den Bruder hätte haben können, den sie sich immer gewünscht hatte, ihretwegen hätte er genau wie Will sein können. Einmal abgesehen natürlich von seinem Holzbein und dass er ein weißer Habenichts war. Man konnte Will eben nicht mit einem Gentleman verwechseln; er stammte eindeutig aus einfachen Verhältnissen. Doch das vergaß Scarlett, wenn sie ihn nicht sah, und brauchte ebenfalls kaum eine Minute, es zu vergessen, wenn sie ihm gegenüberstand, weil er ein so gütiger, freundlicher Mann war. Selbst Mammy hielt große Stücke auf Will, und Mammy war die gestrengste Richterin der Welt, wenn es darum ging, wer eine Dame oder ein Herr war.

»Will!« Mit seinem unverwechselbaren, schwingenden Gang kam er auf sie zu. Sie warf ihm die Arme um den Hals und umarmte ihn heftig.

»Oh, Will, ich bin so froh, dich zu sehen, dass ich heulen könnte.«

Will ließ sich ihre Umarmung ohne ein Zeichen der Rührung gefallen. »Ich freue mich, dich zu sehen, Scarlett. Es ist lange her.«

»Viel zu lange. Es ist eine Schande. Fast ein Jahr.«

»Eher zwei.«

Scarlett war verwirrt. War es wirklich so lange her? Kein Wunder also, dass ihr Leben in einem so tristen Zustand war. Ihr Zuhause hatte ihr immer neuen Lebensmut und neue Kraft geschenkt, wenn sie welche nötig gehabt hatte. Wie hatte sie nur so lange ohne Tara auskommen können?

Will winkte Pansy und ging auf den Planwagen vor der Bahnstation zu. »Wir beeilen uns besser ein bisschen, wenn wir es vor Anbruch der Dunkelheit schaffen wollen«, sagte er. »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass es etwas unbequem wird, Scarlett. Da ich nun schon mal in die Stadt musste, hab ich mir gedacht, ich nehme gleich noch ein paar Vorräte mit.« Der Wagen war voll beladen mit Säcken und Kästen.

»Überhaupt nichts«, sagte Scarlett wahrheitsgemäß. Sie fuhr nach Hause, und alles, was sie hinbrachte, war ihr recht. »Steig auf die Futtersäcke, Pansy.«

Auf der Fahrt nach Tara war sie ebenso schweigsam wie Will, sie sog die altbekannte ländliche Stille in sich ein und erfrischte sich daran. Die Luft war rein gewaschen, und warm lag die Nachmittagssonne auf ihren Schultern. Sie hatte recht daran getan, nach Hause zu fahren. Tara würde ihr die Zuflucht bieten, die sie brauchte, und zusammen mit Mammy würde sie einen Weg finden, ihre in Stücke gebrochene Welt wieder in Ordnung zu bringen. Sie beugte sich vor, als sie in den vertrauten Weg einbogen, ein Lächeln der Vorfreude umspielte ihre Lippen.

Doch als das Haus in Sicht kam, stieß sie einen verzweifelten Schrei aus. »Will, was ist denn das?« Die Stirnseite von Tara war von Ranken bedeckt, hässlichen Schnüren, voller toter Blätter, vier Fenster hatten schiefe Läden, zwei gar keine mehr.

»Nichts ist passiert. Es ist lediglich Sommer, Scarlett. Um das Haus kümmere ich mich im Winter, wenn ich auf den Feldern nicht gebraucht werde. Die Fensterläden da sind in ein paar Wochen an der Reihe. Es ist ja noch nicht einmal Oktober.«

»Ach, Will, warum darf ich dir denn um Himmels willen nicht ein bisschen Geld geben? Dann könntest du dir eine Hilfe leisten. Da gucken ja die Ziegelsteine durch die Tünche. Das sieht wirklich verlottert aus.«

Will blieb geduldig. »Hilfe ist für Geld und gute Worte nicht zu bekommen. Wer Arbeit mag, hat schon genug davon, und wer keine mag, ist mir keine Hilfe. Wir kommen schon zurecht, Big Sam und ich. Wir brauchen dein Geld nicht.«

Scarlett biss sich auf die Lippe und schluckte hinunter, was sie hatte sagen wollen. Oft genug schon hatte sie sich an Wills Stolz die Zähne ausgebissen, und sie wusste, dass er nicht umzustimmen war. Er hatte recht, die Ernte und das Vieh hatten Vorrang. Was sie verlangten, war nicht aufschiebbar, ein neuer Anstrich hingegen wohl. Jetzt kamen die Felder in Sicht, die sich hinter dem Haus erstreckten. Sie waren frei von Unkraut, frisch gepflügt, und ein leichter Geruch zog von dem Dung herüber, der für die nächste Pflanzung aufgebracht worden war. Die rote Erde sah warm und fruchtbar aus, und Scarlett entspannte sich. Das war das Herz von Tara, seine Seele.

»Du hast recht«, sagte sie zu Will.

Die Haustür flog auf, und die Veranda füllte sich mit Menschen. Suellen stand ganz vorn, ihr kleines Kind auf dem Arm über dem geschwollenen Leib, der die Nähte ihres ausgeblichenen Baumwollkleids spannte. Ihr Schultertuch war ihr auf den Arm hinuntergerutscht. Scarlett zwang sich zu einer Fröhlichkeit, die sie nicht empfand. »Mein Gott, Will, bekommt Suellen denn schon wieder ein Baby? Da wirst du wohl noch ein paar Zimmer anbauen müssen.«

Will kicherte. »Wir arbeiten noch immer an einem Jungen.« Er hob die Hand und grüßte seine Frau und seine drei Töchter.

Scarlett winkte ebenfalls und bedauerte, dass sie nicht daran gedacht hatte, den Kindern etwas zum Spielen mitzubringen. Meine Güte, nun seht sie euch bloß an. Suellens Miene war finster. Scarletts Blick schweifte über die Gesichter und suchte nach den schwarzen ... Prissy war da; Wade und Ella versteckten sich hinter ihrem Rock ... und Big Sams Frau Delilah, den Löffel in der Hand, mit dem sie anscheinend gerade noch im Topf gerührt hatte ... und da war auch – wie hieß sie noch? –, ach ja, Lutie, die Kinderfrau von Tara. Aber wo war Mammy? Scarlett rief ihren Kindern zu: »Tag, meine Kleinen, Mutter ist da!« Dann wandte sie sich Will zu und legte ihm die Hand auf den Arm.

»Wo ist Mammy, Will? Sie ist doch nicht so alt, dass sie mich nicht begrüßen kommen kann.« Angst schnürte ihr die Kehle zusammen.

»Sie liegt krank im Bett, Scarlett.«

Scarlett sprang vom Wagen, noch ehe er ausgerollt war, stolperte, fand das Gleichgewicht wieder und rannte zum Haus hinüber. »Wo ist Mammy?«, fragte sie Suellen, ohne ein Ohr für die Begrüßungsfreude der Kinder.

»Das ist ja eine schöne Begrüßung, Scarlett, aber ich habe auch nichts anderes erwartet. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, als du Prissy und die Kinder einfach so hergeschickt hast, ohne auch nur ein Wort der Erklärung, wo du doch weißt, dass ich alle Hände voll zu tun habe, und überhaupt?«

Scarlett hob die Hand, sie war nahe daran, ihre Schwester zu schlagen. »Suellen, wenn du mir nicht sofort sagst, wo Mammy ist, fange ich an zu schreien.«

Prissy zog Scarlett am Ärmel. »Ich wissen, wo ist Mammy, Miss Scarlett, ich wissen. Sie mächtig krank, so wir kleine Kammer neben Küche zurechtmachen für sie, die, wo immer Schinken aufhängen, als noch viele Schinken da. Ist schön da, warm, gleich bei Schornstein. Sie schon da, wenn ich kommen, kann nicht sagen, machen alle zusammen Kammer zurecht, doch bring ich Stuhl rein zum Sitzen, wenn sie will aus dem Bett oder kommt Besuch ...«

Prissy redete ins Leere. Scarlett war bereits an der Tür zu Mammys Krankenzimmer und griff Halt suchend nach dem Türrahmen.

Das ... das ... das Etwas da im Bett, das war nicht ihre Mammy. Mammy war eine große Frau, kräftig und üppig, mit warmer, brauner Haut. Es war kaum sechs Monate her, dass Mammy Atlanta verlassen hatte, nicht lange genug, um derart hinfällig zu sein. Das durfte nicht wahr sein. Scarlett konnte es nicht ertragen. Das Wesen da war grauhaarig und eingeschrumpft, rührte sich kaum unter der ausgeblichenen Patchworkdecke, die es bedeckte, und die verschränkten Finger bewegten sich nur schwach über deren Falten. Scarlett überlief es kalt.

Dann hörte sie Mammys Stimme. Dünn und stockend zwar, aber doch Mammys geliebte, liebevolle Stimme. »Nu, Missy, ich dir nicht hundertmal sagen, du nicht einen Fuß aus dem Haus gehen, ohne Haube und einen Sonnenschutz zu tragen ... Und ich sagen und sagen und wieder sagen ...«

»Mammy!« Scarlett sank neben dem Bett auf die Knie. »Mammy, ich bin’s Scarlett. Deine Scarlett. Bitte sei doch nicht krank, Mammy, ich kann es nicht ertragen, nicht du.« Sie legte den Kopf neben die knochige Schulter auf das Bett und weinte hemmungslos wie ein Kind.

Eine federleichte Hand strich ihr über den gesenkten Kopf. »Wein nicht, Kind. Nichts so schlimm, dass sich nicht lässt wieder in Ordnung bringen.«

»Alles«, wimmerte Scarlett, »alles ist schiefgegangen, Mammy.«

»Nun mal pssst, ist doch nur eine Tasse. Und kriegst du sowieso ein neues Teeservice, genauso schönes. Kannst du immer noch deine Teegesellschaft haben, wie dir Mammy versprochen hat.«

Scarlett wich entsetzt zurück. Sie starrte in Mammys Gesicht und sah das Leuchten der Liebe in ihren eingesunkenen Augen, Augen, die sie nicht sahen.

»Nein«, flüsterte sie. Es war zu viel. Erst Melanie, dann Rhett und nun Mammy; alle, die sie liebte, verließen sie. Es war zu grausam. Es durfte nicht wahr sein.

»Mammy«, sagte sie laut, »Mammy, hör mich doch. Ich bin Scarlett.« Sie packte die Kante der Matratze und versuchte sie zu schütteln. »Schau mich an«, schluchzte sie, »mein Gesicht. Du musst mich doch erkennen. Ich bin’s, Scarlett.«

Wills große Hände schlossen sich um ihre Handgelenke. »Tu das lieber nicht«, sagte er. Seine Stimme war sanft, doch sein Griff war eisenhart. »Sie ist glücklich, wenn sie so ist, Scarlett. Sie ist wieder in Savannah und hütet deine Mutter, als sie noch ein kleines Mädchen war. Das waren glückliche Zeiten für sie. Sie war jung, sie war stark und hatte keine Schmerzen. Lass sie, wo sie ist.«

Scarlett versuchte sich loszumachen. »Aber ich will, dass sie mich erkennt, Will. Ich hab ihr nie gesagt, wie viel sie mir bedeutet. Ich muss es ihr sagen.«

»Du bekommst schon noch die Gelegenheit dazu. Sehr oft ist sie anders und erkennt alle. Weiß auch, dass sie sterben muss. So ist es besser für sie. Komm du jetzt mit. Alle warten auf dich. Delilah hat von der Küche aus ein Ohr auf Mammy.«

Scarlett ließ sich von Will auf die Füße helfen. Sie war von Kopf bis Fuß wie betäubt, bis in ihr Innerstes, war unfähig, irgend etwas zu empfinden. Schweigend folgte sie ihm in den Salon. Suellen fing auf der Stelle an, ihr heftige Vorwürfe zu machen und ihr Klagelied dort wieder aufzunehmen, wo sie es unterbrochen hatte, aber Will brachte sie zum Schweigen. »Scarlett hat einen schweren Schlag erlitten, Sue, lass sie in Ruhe.« Er goss Whiskey in ein Glas und drückte es Scarlett in die Hand.

Der Whiskey verfehlte seine Wirkung nicht. Er brannte sich den vertrauten Pfad durch ihren Körper und dämpfte den Schmerz. Sie hielt Will das leere Glas hin, und er goss noch etwas nach.

»Hallo, meine Herzchen«, sagte sie zu ihren Kindern, »kommt und gebt eurer Mutter einen Kuss.« Scarlett hörte ihre eigene Stimme; sie klang, als gehöre sie jemand anderem, doch wenigstens sagte sie das Richtige.

Sie verbrachte alle Zeit, die sie erübrigen konnte, in Mammys Zimmer, an Mammys Seite. Scarlett hatte all ihre Hoffnungen an Mammys tröstende Umarmung gehängt, doch nun waren es ihre starken jungen Arme, die die sterbende alte Frau umfingen. Sie hob die hinfällige Gestalt hoch, um sie zu baden, um ihr die Bettwäsche zu wechseln, um ihr zu helfen, wenn ihr das Atmen gar zu schwerfiel, und um ihr unter gutem Zureden ein paar Löffel Brühe einzuflößen. Sie sang die Schlaflieder, die Mammy ihr so oft vorgesungen hatte, und wenn Mammy im Delirium mit Scarletts Mutter sprach, antwortete Scarlett mit den Worten, die Ellen ihrer Vorstellung nach wohl gewählt hätte.

Manchmal erkannten Mammys tränende Augen sie, und die aufgesprungenen Lippen der alten Frau lächelten beim Anblick ihres Lieblings. Dann schalt ihre zitternde Stimme Scarlett, wie sie sie seit deren Säuglingszeit immer gescholten hatte. »Deine Haare, nicht zum Ansehen sind die, Miss Scarlett, nun gehen und hundert Striche bürsten, wie Mammy dir beigebracht.« – »Kriegst du keinen Verehrer ab, so zerknittertes Kleid, wie du hast. Geh gleich frisch dich anziehen, ehe Leute dich sehen.« Oder: »Siehst bleich wie Gespenst aus, Miss Scarlett. Wohl Puder auf Gesicht legen? Gleich abwaschen, sofort.«

Was immer Mammy befahl, Scarlett versprach zu gehorchen. Kaum hatte sie Zeit, allen Befehlen nachzukommen, ehe Mammy wieder in die Bewusstlosigkeit zurückglitt oder in jene andere Welt, in der Scarlett nicht existierte.

Am Tage und abends beteiligten sich Suellen, Delilah und sogar Will an der Arbeit im Krankenzimmer, und Scarlett konnte zwischendurch einmal eine halbe Stunde Schlaf ergattern, die sie mit angezogenen Knien im Schaukelstuhl verbrachte. Nachts jedoch hielt sie einsam Wache. Sie drehte die Flamme der Petroleumlampe herunter und hielt Mammys trockene Hand. Wenn das Haus und Mammy schliefen, gelang es ihr endlich zu weinen, und die bitterlichen Tränen linderten ihren Schmerz ein wenig.

Einmal, in der kurzen, stillen Stunde vor der Morgendämmerung, wachte Mammy auf. »Wozu denn weinen, Schatz?«, flüsterte sie. »Die alte Mammy ist bereit, will ihre Bürde niederlegen und ausruhen in den Armen des Herrn. Kein Grund so weiterzumachen.« Ihre Hand fügte sich in Scarletts, befreite sich von ihr und strich Scarlett über den gesenkten Kopf. »Still jetzt. Alles halb so schlimm.«

»Entschuldige«, schluchzte Scarlett, »ich kann einfach nicht aufhören zu weinen.«

Mammys gebeugte Finger schoben Scarlett das wirre Haar aus dem Gesicht. »Erzähl alter Mammy, was ihr Lämmchen für Kummer.«

Scarlett blickte in die alten, weisen, liebevollen Augen und verspürte den tiefsten Schmerz, den sie je erfahren hatte. »Ich habe alles falsch gemacht, Mammy. Ich weiß nicht, wie ich so viele Fehler machen konnte. Ich verstehe es nicht.«

»Miss Scarlett, du getan, was du tun musstest. Kann niemand mehr tun als das. Der gütige Gott hat dir ein paar schwere Bürden auferlegt, und du sie getragen. Kein Sinn fragen, warum sie dir auferlegt oder was dich gekostet hat, sie zu tragen. Was geschehen, ist geschehen. Nicht dich ängstigen jetzt.« Mammys schwere Lider schlossen sich über Tränen, die im trüben Licht glitzerten, und ihr mühsamer Atem verlangsamte sich, als der Schlaf sie übermannte.

Wie kann ich mich denn nicht ängstigen? hätte Scarlett am liebsten geschrien. Mein Leben ist ruiniert, und ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich brauche Rhett, und er ist weg. Ich brauche dich, und auch du verlässt mich.

Sie hob den Kopf, wischte sich die Tränen mit dem Ärmel vom Gesicht und straffte die schmerzenden Schultern. Die Kohlen im Kanonenofen waren fast ganz verbrannt, und der Eimer war leer. Sie musste ihn wieder füllen, sie musste das Feuer in Gang halten. Das Zimmer begann schon auszukühlen, und Mammy musste warm gehalten werden. Scarlett zog die ausgeblichene, zusammengestückelte Decke über Mammys zerbrechliche Gestalt, dann trat sie mit dem Kohleneimer in die kalte Finsternis hinaus. Sie eilte auf die Kohlenkiste zu und bereute, dass sie sich kein Tuch umgelegt hatte.

Es gab keinen wirklichen Mond, nur die Andeutung einer zunehmenden Sichel, die sich hinter einer Wolke verlor. Die Luft war geschwängert von der Feuchtigkeit der Nacht, und die wenigen Sterne, die nicht hinter Wolken versteckt waren, schienen sehr, sehr weint entfernt und funkelten kalt. Scarlett fröstelte. Die Schwärze um sie herum war formlos, unendlich. Wie blind hastete Scarlett in die Mitte des Hofes, und noch immer vermochte sie die vertrauten Silhouetten von Räucherhaus und Schuppen nicht zu erkennen, die doch ganz in der Nähe sein mussten. In plötzlicher Panik suchte sie nach der weißen Masse des Hauses, die sie gerade verlassen hatte, doch auch das war in der Dunkelheit untergetaucht. Nirgendwo ein Licht. Sie fühlte sich verloren in einer trübsinnigen, stummen Welt; sie hatte sich verlaufen. Nichts rührte sich, nicht einmal ein Blatt, nicht einmal die Feder einer Vogelschwinge. Grauen zerrte an ihren angespannten Nerven, und am liebsten wäre sie gerannt. Doch wohin? Überall nur unheimliche Finsternis.

Scarlett biss die Zähne zusammen. Was war denn das jetzt für ein albernes Benehmen? Ich bin zu Hause, auf Tara, und die dunkle Kälte wird verschwinden, sowie die Sonne aufgeht. Sie zwang sich zu einem Lachen; der schrille, unnatürliche Laut ließ sie zusammenfahren.

Angeblich ist es ja vor der Morgendämmerung immer am dunkelsten, dachte sie. Ich habe eine Art von Koller, weiter nichts. Aber ich darf mich nicht davon überwältigen lassen, dafür fehlt mir die Zeit, der Ofen braucht Nachschub. Sie streckte eine Hand in die Schwärze vor ihren Augen und ging in die Richtung, wo die Kohlenkiste sein musste, neben dem Holzstoß. Eine Vertiefung im Boden ließ sie straucheln, und sie fiel hin. Der Eimer klapperte laut, dann war er weg.

Jedes erschöpfte, verängstigte Atom ihres Körpers schrie ihr zu, aufzugeben, zu bleiben, wo sie war, an den sicheren, unsichtbaren Boden unter sich geschmiegt, bis es Tag wurde und sie sehen konnte. Doch Mammy brauchte Wärme. Und das aufmunternde gelbe Licht hinter dem Quarzfenster des Ofens.

Scarlett stemmte sich langsam auf die Knie und tastete nach dem Kohleneimer. Auf der ganzen Welt hatte es bestimmt noch keine solch pechschwarze Finsternis gegeben. Keine so nasskalte Nachtluft. Ihr Atem ging schnell. Wo war der Eimer? Wo war die Morgendämmerung?

Ihre Finger streiften kaltes Metall. Auf den Knien krabbelte Scarlett darauf zu und umklammerte mit beiden Händen die geriffelte Blechwand der Kohlenschütte. Sie hockte sich auf die Felsen und presste das Metall verzweifelt gegen ihre Brust.

Herrgott, jetzt habe ich völlig die Richtung verloren. Ich weiß nicht einmal, wo das Haus ist, geschweige denn die Kohlenkiste. Ich bin im Dunkeln allein. Sie blickte fieberhaft auf und suchte nach irgendeinem Licht, doch der Himmel war schwarz. Selbst die fernen Sterne waren verschwunden.

Einen Augenblick lang wollte sie nur laut schreien und schreien und schreien, bis drinnen jemand aufwachte, jemand, der eine Lampe anmachen, der kommen, sie finden und ins Haus führen würde.

Ihr Stolz verbot es ihr. Hilflos im eigenen Hof, hinter dem eigenen Haus, nur ein paar Schritte von der Küchentür entfernt! Die Schande würde sie nicht überleben.

Sie klappte sich den Henkel der Kohlenschütte über den Arm und begann, unbeholfen auf Händen und Knien über den dunklen Boden zu kriechen. Früher oder später musste sie auf etwas stoßen, das Haus, den Holzstoß, den Schuppen, den Brunnen und so die Orientierung wiederfinden. Schneller würde es freilich gehen, wenn sie aufstehen und laufen würde. Sie würde sich dann auch nicht so albern vorkommen. Doch womöglich fiel sie wieder hin und verstauchte sich den Knöchel oder sonst irgendetwas. Dann war sie hilflos, bis jemand sie fand. Ganz gleich, was sie eigentlich hätte tun sollen oder nicht, alles war besser, als hilflos und allein dazuliegen und nicht zu wissen, wo sie war.

Wo war denn hier eine Mauer? Irgendwo musste doch eine sein, sie hatte das Gefühl, schon halb bis nach Jonesboro gekrochen zu sein. Panik streifte sie. Wenn diese Finsternis nun niemals aufhörte, wenn sie nun einfach immer nur weiter- und weiterkroch, ohne jemals irgendwo anzukommen?

Hör auf!, befahl sie sich, hör sofort auf! Ihre Kehle machte eigenartige Geräusche.

Sie stand mühsam auf und zwang sich dazu, langsamer zu atmen, zwang ihr Gehirn, das Kommando über ihr jagendes Herz zu übernehmen. Sie war Scarlett O’Hara, sagte sie sich. Sie war auf Tara, und sie kannte jeden Fußbreit dieses Geländes besser als ihre eigene Hand. Was machte es da schon aus, dass sie die Hand vor Augen nicht sehen konnte? Sie wusste doch, was um sie herum war, sie musste es lediglich finden.

Und sie würde aufrecht danach suchen, nicht auf allen vieren wie ein Säugling oder ein Hund. Sie hob das Kinn und straffte die schmalen Schultern. Gott sei Dank hatte sie niemand gesehen, wie sie der Länge nach im Schmutz gelegen hatte und wie sie, weil sie sich fürchtete aufzustehen, verängstigt umhergekrochen war. Nie im Leben hatte sie sich unterkriegen lassen, nicht von der Armee des alten Sherman und auch nicht von den ärgsten Spekulantenmachenschaften. Nichts und niemand vermochte sie unterzukriegen, wenn sie es nicht zuließ. Allein schon die Idee, dass sie sich vor der Dunkelheit fürchten sollte wie irgend so eine feige Heulsuse!

Ich muss schon sagen, ich lasse mich gehen, so sehr man sich überhaupt nur gehen lassen kann, dachte sie angewidert, und die eigene Verachtung wärmte sie. So weit werde ich es nie wieder kommen lassen, ganz gleich, was passiert. Wenn man erst einmal ganz unten angelangt ist, kann es nur wieder aufwärts gehen. Bis hierher habe ich mein Leben verpfuscht, aber ich werde es wieder in Ordnung bringen und mich nicht häuslich in den Scherben einrichten.

Die Kohlenschütte vor sich ausgestreckt, ging Scarlett mit festen Schritten vorwärts, und schon schlug Metall gegen etwas. Sie lachte laut, als sie den beißenden Harzduft von frisch gehacktem Kiefernholz roch. Sie war am Holzstoß, und unmittelbar daneben war die Kohlenkiste. Genau dahin hatte sie gewollt.

Mit einem lauten Geräusch schloss sie die eiserne Ofentür vor den wiederbelebten Flammen, und Mammy begann sich in ihrem Bett zu regen. Scarlett eilte zu ihr hinüber, um sie wieder zuzudecken. Das Zimmer war kalt.

Durch ihren Schmerz hindurch sah Mammy Scarlett blinzelnd an. »Dein Gesicht ist schmutzig und die Hände auch«, rügte sie sie mit schwacher Stimme.

»Ich weiß«, sagte Scarlett, »ich wasche sie sofort.« Und noch ehe die alte Frau wieder einschlief, küsste sie sie auf die Stirn. »Ich liebe dich, Mammy.«

»Nicht nötig zu sagen, was ich schon wissen.« Mammy glitt in den Schlaf und entkam so dem Schmerz.

»Doch, das ist nötig«, erklärte ihr Scarlett. Sie wusste zwar, Mammy konnte sie nicht hören, aber dennoch sprach sie laut, halb zu sich selbst. »Das ist sogar dringend nötig. Ich habe es Melanie nicht gesagt, und ich habe es Rhett nicht gesagt, bis es zu spät war. Ich habe mir nie die Zeit genommen, mir klarzumachen, wie sehr ich sie geliebt habe, und mit dir war es genauso. Wenigstens bei dir will ich den Fehler nicht noch einmal machen.«

Scarlett starrte auf das totenkopfähnliche Gesicht der sterbenden alten Frau nieder. »Ich liebe dich, Mammy«, flüsterte sie. »Was soll bloß aus mir werden, wenn ich dich und deine Liebe nicht mehr habe?«

2. KAPITEL

Prissy streckte den Kopf durch den Türspalt des Krankenzimmers. »Miss Scarlett, Mister Will sagen, ich bei Mammy sitzen, während Sie bisschen frühstücken. Delilah sagen, Sie werden noch ganz erschöpft von vieler Pflege, und sie hat schöne, große Scheibe Schinken mit Soße gemacht für Ihre Grütze.«

»Wo ist die Rinderbrühe für Mammy?«, drängte Scarlett. »Delilah weiß doch, dass sie morgens als Erstes eine warme Brühe bringen soll.«

»Hab ich hier in der Hand.« Prissy stieß mit dem Ellenbogen die Tür auf, ein Tablett vor sich. »Aber Mammy schlafen, Miss Scarlett. Wir sie wachrütteln, damit sie Brühe trinkt?«

»Deck sie einfach zu und stell das Tablett nah an den Ofen. Ich füttere sie, wenn ich zurückkomme.« Scarlett verspürte einen wölfischen Hunger. Der Duft der dampfenden Brühe bewirkte, dass ihr Magen sich zusammenkrampfte.

Sie wusch sich eilig Gesicht und Hände in der Küche. Auch ihr Kleid war schmutzig, doch daran konnte sie jetzt nichts ändern. Sie wollte sich umziehen, wenn sie gegessen hatte.

Will stand gerade vom Tisch auf, als Scarlett das Esszimmer betrat. Farmer durften keine Zeit vertrödeln und schon gar nicht an einem Tag so hell und warm, wie die goldene Sonne des frühen Morgens vor den Fenstern ihn verhieß.

»Darf ich dir helfen, Onkel Will?«, fragte Wade hoffnungsvoll. Er sprang auf und stieß dabei fast seinen Stuhl um. Dann sah er seine Mutter, und seine eifrige Miene schwand. Nun musste er am Tisch sitzen bleiben und seine besten Manieren an den Tag legen, sonst wurde sie böse. Langsam ging er und schob Scarlett den Stuhl hin.

»Was für ein wohlerzogener Junge du doch bist, Wade«, säuselte Suellen. »Guten Morgen, Scarlett, bist du nicht stolz auf deinen jungen Gentleman?«

Scarlett schaute erst Suellen, dann Wade verständnislos an. Du liebe Güte, er war doch einfach nur ein Kind, warum, um alles in der Welt, flötete Suellen dann so? Wie sie sich aufführte, konnte man ja meinen, Wade sei ein Tänzer, mit dem man flirten muss.

Wade ist wirklich ein hübscher Junge, dachte sie überrascht. Außerdem groß für sein Alter, er sah fast wie dreizehn aus und war doch nicht einmal zwölf. Suellen würde das nicht so herrlich finden, müsste sie die Kleider kaufen, aus denen er so rasch herauswuchs.

Du liebe Güte! Was mache ich nur wegen Wades Kleidern? Rhett hat sich doch immer um alles gekümmert, und ich weiß gar nicht, was Jungen tragen, geschweige denn, wo man es am besten kauft. Die Handgelenke ragen ja bereits aus seinen Hemdsärmeln heraus, wahrscheinlich braucht er längst alles eine Nummer größer. Und das auch noch schnell. Die Schule muss bald anfangen. Wenn sie nicht schon angefangen hat, ich weiß nicht einmal, was heute für ein Datum ist.

Scarlett ließ sich auf den Stuhl fallen, den Wade ihr hingeschoben hatte. Sie hoffte, er könne ihr sagen, was sie wissen musste. Doch zuallererst wollte sie frühstücken. Mir läuft dermaßen das Wasser im Mund zusammen, dass ich gleich anfange zu gurgeln. »Danke, Wade Hampton«, sagte sie geistesabwesend. Der Schinken sah genau richtig aus, üppig rosa und saftig mit einem knusprigen braunen Fettrand. Sie ließ die Serviette in ihren Schoß fallen und griff nach Messer und Gabel.

»Mutter?«, fragte Wade vorsichtig.

»Hm?« Scarlett schnitt in den Schinken.

»Darf ich bitte Onkel Will bei der Feldarbeit helfen?«

Scarlett verstieß gegen die oberste Regel der guten Tischmanieren und sprach mit vollem Mund. Der Schinken war köstlich. »Ja, ja, lauf nur.« Ihre Hände waren damit beschäftigt, einen weiteren Bissen abzuschneiden.

»Ich auch«, platzte Ella heraus.

»Ich auch«, echote Suellens Susie.

»Ihr werdet nicht gebraucht«, sagte Wade. »Feldarbeit ist Männersache. Mädchen bleiben im Haus.«

Susie fing an zu weinen.

»Siehst du, was du angerichtet hast!«, sagte Suellen zu Scarlett.

»Ich? Das ist doch nicht mein Kind, das hier so ein Spektakel veranstaltet.« Scarlett versuchte es immer zu vermeiden, sich mit Suellen zu streiten, wenn sie nach Tara kam, aber die lebenslange Gewohnheit war zu stark. Als Babys hatten sie zu streiten begonnen und im Grunde niemals wirklich wieder damit aufgehört.

Ich lasse mir von ihr nicht die erste Mahlzeit seit wer weiß wie langer Zeit verderben, auf die ich Appetit habe, beschloss Scarlett und konzentrierte sich darauf, gleichmäßig Butter unter den schimmernd weißen Berg Grütze auf ihrem Teller zu rühren. Sie hob nicht einmal den Blick, als Wade hinter Will herging und Ellas Geplärr sich mit dem von Susie vereinte.

»Still jetzt, alle beide«, sagte Suellen laut.

Scarlett träufelte Fleischsaft über ihre Grütze, häufte alles auf ein Stück Schinken und spießte das Arrangement mit der Gabel auf.

»Onkel Rhett würde mich lassen«, schluchzte Ella. Ich höre nicht hin, dachte Scarlett, ich verschließe einfach die Ohren und genieße mein Frühstück. Sie schob sich den Schinken mit der Grütze in den Mund.

»Mutter ... Mutter, wann kommt Onkel Rhett nach Tara?« Ellas Stimme schrillte durchdringend. Scarlett hörte die Worte wider ihre Absicht, und der wohlschmeckende Bissen wurde in ihrem Mund zu Sägemehl. Was sollte sie sagen, wie konnte sie Ellas Frage beantworten? Nie. War das die Antwort? Sie konnte es nicht, würde es selbst nicht glauben können. Angewidert sah sie ihre rotgesichtige Tochter an. Ella hatte ihr alles verdorben. Hätte sie mich nicht wenigstens für die Dauer des Frühstücks in Frieden lassen können?

Ella hatte das rötlich braune Haar Frank Kennedys, ihres verstorbenen Vaters. Es stand ihr um das tränenverschmierte Gesicht vom Kopf ab wie verrostete Drahtrollen; ständig entkam es den strammen Zöpfen, die Prissy ihr flocht, sosehr sie es auch mit Wasser anklatschen mochte. Ellas Körper war drahtig, dürr und knochig. Sie war älter als Susie, fast sieben, Susie erst sechseinhalb, doch bereits fast einen halben Kopf größer und um so viel stämmiger, dass sie Ella ungeniert schikanieren konnte.

Kein Wunder, dass Ella froh wäre, wenn Rhett käme, dachte Scarlett. Er hat sie wirklich gern, ganz im Gegensatz zu mir. Sie geht mir ebenso auf die Nerven, wie Frank es getan hat, und ich kann mir so viel Mühe geben, wie ich will, ich kann sie einfach nicht lieben.

»Wann kommt denn Onkel Rhett, Mutter?«, fragte Ella wieder. Scarlett schob ihren Stuhl vom Tisch weg und stand auf.

»Das ist Sache der Erwachsenen«, sagte sie. »Ich gehe nach Mammy sehen.« Jetzt an Rhett zu denken, war ihr unerträglich, sie würde sich später damit beschäftigen, wenn sie nicht mehr so große Sorgen hatte. Es war wichtiger – wesentlich wichtiger –, Mammy dazu zu überreden, ihre Brühe zu essen.

»Nur noch ein Löffelchen, Mammy-Schatz, mach mir die Freude.«

Die alte Frau wandte das Gesicht ab. »Müde«, seufzte sie.

»Ich weiß«, sagte Scarlett, »ich weiß. Dann schlaf nur. Ich werde dich nicht mehr quälen.« Sie blickte auf den fast vollen Napf nieder. Mammy aß mit jedem Tag weniger und weniger.

»Miss Ellen«, rief Mammy schwach.

»Hier bin ich, Mammy«, antwortete Scarlett. Es tat ihr jedes Mal weh, wenn Mammy sie nicht erkannte, wenn sie glaubte, die Hände, die sie so liebevoll pflegten, seien die von Scarletts Mutter. Es sollte mich nicht stören, sagte Scarlett sich jedes Mal. Schließlich ist es immer Mutter gewesen, die sich um die Kranken gekümmert hat, nicht ich. Mutter war gütig zu allen, war ein Engel, eine vollkommene Dame. Ich sollte mich glücklich schätzen, mit ihr verwechselt zu werden. Vermutlich komme ich in die Hölle, weil ich darauf eifersüchtig bin, dass Mammy sie lieber hat ... nur dass ich nicht mehr so recht an die Hölle glaube ... und auch nicht an den Himmel.

»Miss Ellen ...«

»Hier bin ich, Mammy.«

Die uralten Augen öffneten sich halb. »Du bist nicht Miss Ellen.«

»Scarlett bin ich, Mammy, deine Scarlett.«

»Miss Scarlett ... Ich will Mist’ Rhett. Will ihm sagen ...«

Scarlett biss sich auf die Lippen. Ich brauche ihn ja auch, rief sie innerlich. So sehr. Doch er ist weg, Mammy. Ich kann dir nicht geben, was du möchtest.

Sie erkannte, dass Mammy wieder in ihren komaähnlichen Zustand versunken war, und empfand heftige Dankbarkeit. Wenigstens war sie so von ihren Schmerzen befreit. Ihr eigenes Herz schmerzte, als steckten lauter Messer darin. Wie sehr sie Rhett brauchte, besonders jetzt, wo ihr Mammy immer schneller entglitt, dem Tod entgegen. Wäre er doch nur hier bei mir und spürte denselben Kummer wie ich. Denn auch Rhett hat Mammy geliebt und Mammy ihn. Im ganzen Leben habe er sich nicht so anstrengen müssen, um jemanden für sich einzunehmen, hatte Rhett gesagt, und nie habe er so viel Wert auf die Meinung eines Menschen gelegt wie auf Mammys. Er würde zutiefst betrübt sein, wenn er erfuhr, dass sie nicht mehr da war, es würde ihm so leidtun, dass er ihr nicht Lebewohl hatte sagen können ...

Scarletts Kopf hob sich, ihre Augen weiteten sich. Aber natürlich. Was war sie bloß für ein Dummkopf. Sie blickte auf die verhutzelte alte Frau, die klein und federleicht unter der Decke lag. »Oh, Mammy-Schatz, ich danke dir«, hauchte sie. »Ich bin zu dir gekommen, weil ich deine Hilfe brauche, damit du für mich alles wieder in Ordnung bringst, und genau das wirst du auch tun, genau wie du es immer getan hast.«

Sie traf Will im Stall dabei an, wie er gerade sein Pferd striegelte.

»Ach, ich bin froh, dich hier zu finden, Will«, sagte Scarlett. Ihre grünen Augen funkelten, ihre Wangen zeigten eine natürliche Röte statt des Rouges, das sie gewöhnlich auflegte. »Kann ich das Pferd und den Einspänner haben? Ich muss nach Jonesboro. Es sei denn ... du triffst gerade selbst Vorbereitungen, um nach Jonesboro zu fahren?« Sie hielt den Atem an, während sie auf seine Antwort wartete.

Will sah sie ruhig an. Er verstand Scarlett besser, als ihr bewusst war. »Kann ich dort irgendetwas für dich erledigen? Für den Fall, dass ich tatsächlich vorhabe, nach Jonesboro zu fahren, meine ich.«

»Ach, Will, du bist ein lieber, süßer Kerl. Ich würde so viel lieber bei Mammy bleiben, doch ich muss Rhett dringend Bescheid geben, wie es um sie steht. Sie fragt nach ihm, und er hat sie immer so gerngehabt, er würde es sich nie verzeihen, wenn er sie enttäuschen würde.« Sie nestelte an der Mähne des Pferdes herum. »Er ist wegen einer Familienangelegenheit in Charleston, seine Mutter traut sich ohne Rhetts Rat nicht einmal zu atmen.«

Scarlett blickte auf, sah Wills ausdrucksloses Gesicht und wandte den Blick ab. Sie begann, Zöpfe in die Pferdemähne zu flechten, und betrachtete ihr Werk, als sei es von lebenswichtiger Bedeutung. »Wenn du ihm also einfach nur ein Telegramm schicken würdest. Ich gebe dir gleich die Adresse. Und schick es lieber in deinem Namen, Will. Rhett weiß, wie sehr ich Mammy vergöttere. Er könnte annehmen, dass ich übertreibe, was die Schwere ihrer Krankheit betrifft.« Sie hob den Kopf und lächelte strahlend. »Er findet, ich hätte nicht mehr Verstand als ein Maikäfer.«

Will wusste, dass das die dickste Lüge überhaupt war. »Du hast wohl recht«, sagte er langsam. »Rhett sollte kommen, so rasch er kann. Ich reite gleich rüber, ein Pferderücken ist schneller als ein Fuhrwerk.«

Scarletts Hände entspannten sich. »Danke«, sagte sie, »ich habe die Anschrift in der Tasche.«

»Ich bin rechtzeitig zum Mittagessen zurück«, sagte Will. Er hob den Sattel von seinem Bock, und Scarlett war ihm behilflich. Sie fühlte sich voller Tatendrang und war überzeugt, dass Rhett kommen würde. Er konnte in zwei Tagen auf Tara sein, wenn er Charleston verließ, sobald er das Telegramm bekam.

Rhett kam jedoch nicht nach zwei Tagen. Und auch nicht nach drei oder vier oder fünf Tagen. Scarlett hörte auf, auf das Geräusch von Rädern oder Hufschlägen auf der Zufahrt zu horchen. Sie war ganz zermürbt von dem ständigen Gelausche. Und inzwischen gab es ein anderes Geräusch, das ihre Aufmerksamkeit beanspruchte, das grauenerregende Rasseln, mit dem Mammy nach Atem rang. Es schien unmöglich, dass der hinfällige Körper die Kraft aufbringen sollte, derer es bedurfte, um Luft zu holen und wieder auszuatmen. Doch sie schaffte es jedes Mal wieder, und bebend traten die Sehnen an ihrem runzligen Hals hervor.

Suellen teilte sich mit Scarlett in die Krankenwache. »Sie ist ja auch meine Mammy, Scarlett.« Die lebenslangen Eifersüchteleien und Quälereien zwischen ihnen waren vergessen angesichts ihres gemeinsamen Wunsches, der alten schwarzen Frau zu helfen. Überall aus dem Haus holten sie Kopfkissen, um sie aufzusetzen, und hielten den Inhalator ständig am Dampfen. Sie strichen ihr Butter auf die rissigen Lippen, flößten ihr löffelweise Flüssigkeit ein. Nichts jedoch konnte Mammys schweren Kampf erleichtern. Sie sahen sie mitleidig an. »Nicht überanstrengen«, keuchte sie. »Könnt nichts machen.«

Scarlett legte Mammy den Finger auf die Lippen. »Pssst«, bat sie, »bemüh dich nicht zu sprechen. Spar deine Kräfte auf.« Warum, ach warum, haderte sie insgeheim mit Gott, warum konntest Du sie nicht leicht sterben lassen, als sie in der Vergangenheit umherstreifte? Warum musstest Du sie aufwecken und lässt sie so sehr leiden! Ihr ganzes Leben lang war sie gut, hat immer nur an andere Menschen gedacht, nie an sich selbst. Sie hat wirklich Besseres verdient; niemals werde ich wieder das Haupt vor Dir senken. So lange ich lebe.

Laut jedoch las sie Mammy aus der abgegriffenen alten Bibel auf dem Nachttisch neben dem Bett vor. Sie las die Psalmen, und ihrer Stimme waren die Qual und der unfromme Zorn ihres Herzens nicht im Mindesten anzumerken. Wenn es Abend wurde, zündete Suellen die Lampe an und löste Scarlett ab, las, blätterte die dünnen Seiten um und las weiter. Dann kam Scarlett zurück, und schließlich war Suellen wieder da, bis Will sie wegschickte, damit sie sich ein bisschen ausruhen konnte. »Du auch, Scarlett«, sagte er. »Ich setze mich zu Mammy. Ich bin zwar kein großer Leser, aber ich kenne viele Bibelstellen auswendig.«

»Dann sag sie auf. Aber ich gehe nicht weg. Ich kann nicht.« Sie setzte sich auf den Boden und, den erschöpften Rücken an die Wand gelehnt, lauschte sie den entsetzlichen Lauten des Todes.

Als das erste dünne Tageslicht hinter den Fenstern sichtbar wurde, veränderten die Laute sich auf einmal, die einzelnen Atemzüge wurden geräuschvoller, die Stille zwischen ihnen dehnte sich aus. Scarlett stand mühsam auf. Will erhob sich von seinem Stuhl. »Ich hole Suellen«, sagte er.

Scarlett nahm seinen Platz neben dem Bett ein. »Möchtest du, dass ich dir die Hand halte, Mammy? Lass mich deine Hand halten.«

Mammys Stirn zog sich vor Anstrengung zusammen. »So ... müde.«

»Ich weiß, ich weiß. Streng dich durch Reden nicht noch mehr an.«

»Wollte ... warten auf ... Mist’ Rhett.«

Scarlett schluckte. Sie durfte jetzt nicht weinen. »Du musst nicht mehr warten, Mammy. Ruh dich aus. Er konnte nicht kommen.« Sie hörte eilige Schritte in der Küche. »Suellen kommt gleich. Und Mister Will. Wir werden alle hier bei dir sein, meine Beste. Wir lieben dich alle.«

Ein Schatten fiel über das Bett, und Mammy lächelte.

»Sie verlangt nach mir«, sagte Rhett. Scarlett schaute ungläubig zu ihm auf. »Mach Platz«, sagte er sanft. »Lass mich an Mammy heran.«

Scarlett stand und spürte seine Nähe, seine Größe, seine Stärke und seine Männlichkeit, und die Knie wurden ihr weich. Rhett drängte sich an ihr vorbei und kniete neben Mammy nieder.

Er war gekommen. Alles würde wieder gut werden. Scarlett kniete sich neben ihn, ihre Schulter berührte seinen Arm, und mitten in ihrem tiefen Schmerz um Mammy war sie glücklich. Er war gekommen, Rhett war da. Wie dumm war sie gewesen, dass sie die Hoffnung so einfach aufgegeben hatte.

»Ich möchte etwas von Ihnen«, sagte Mammy nun. Ihre Stimme klang kräftig, so, als habe sie sich ihre ganze Kraft für diesen Augenblick aufgehoben. Ihr Atem ging flach und rasch, fast hechelnd.

»Alles, was du willst, Mammy«, sagte Rhett, »ich tue alles, was du willst.«