Scarred - Emily McIntire - E-Book + Hörbuch

Scarred Hörbuch

Emily McIntire

5,0

Beschreibung

Er kann sie niemals haben, denn sie gehört der Krone – Der BookTok-Hit über verbotene Liebe und einen abtrünnigen Prinzen Prinz Tristan ist nicht für den Thron bestimmt. Der gehörte seinem Bruder Michael. Dem Bruder, der ihn in der Kindheit quälte und für die Narbe in seinem Gesicht verantwortlich ist. Als Anführer einer geheimen Rebellion will Tristan den Thronerben stürzen. Doch als er Michaels Verlobter Sara begegnet, beginnt für ihn ein neuer Kampf. Ein Krieg, bei dem sich Tristan die Frage stellen muss, was wichtiger ist – die Krone oder die Frau, die sie tragen wird. Saras Plan ist einfach: Sie will den König heiraten und das Geschlecht der Faasa ausrotten, selbst wenn sie sich dabei selbst in Gefahr bringt. Doch sie hat die Rechnung ohne den vernarbten Prinzen Tristan gemacht. Er ist gefährlich. Verboten. Und einer der Männer, die sie töten soll. Doch der Grat zwischen Hass und Leidenschaft war noch nie so schmal. Als Geheimnisse ans Licht kommen, wird Sara unsicher, wem sie trauen kann, und ist hin- und hergerissen zwischen Rache und dem Schurken, den sie nie hätte lieben sollen.

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Zeit:10 Std. 40 min

Sprecher:Richard LingscheidtKatja Sallay
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Deutsche Erstausgabe

© Scarred by Emily McIntire 2021

© der deutschsprachigen Erstausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2024

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Victoria Anagour

Sprachredaktion: Uwe Raum-Deinzer

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: zero-media.net, München, nach einem Entwurf von TRC Designs

Covermotiv: depositphotos (AntonMatukha; Rastan; rehanalisoomro10; tanantornanut); Shutterstock (Cassandra Madsen; P Maxwell Photography)

© Karte und Wappen: sourcebooks/Ashley Holstrom

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Playlist

Widmung

Zitat

Anmerkung der Autorin

Wappen

Karte

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Epilog

Erweiterter Epilog

Charaktere

Tristan Faasa

Sara Beatreaux

Vielen Dank fürs Lesen!

Werde Mitglied bei McIncult!

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Playlist

»You Should See Me in a Crown« – Billie Eilish

»lovely« – Billie Eilish and Khalid

»Sucker for Pain« – Lil Wayne, Wiz Khalifa, Imagine Dragons, X Ambassadors, Logic, Ty Dolla $ign

»Human« – Christina Perri

»Million Reasons« – Lady Gaga

»Take me to Church« – Hozier

»Mad World« – Demi Lovato

»Everybody Wants to Rule the World« – Lorde

»Play with Fire« – Sam Tinnesz ft. Yacht Money

»This is Me« – Keala Settle and The Greatest ShowmanEnsemble

Für die Freaks.Die Außenseiter.Die Gemobbten.Die Einzelgänger.Die Unsicheren.Die Gebrochenen.Ihr seid es wert. Ihr seid Kämpfer.

»Zweifle an der Sonne Klarheit,

Zweifle an der Sterne Licht,

Zweifl’, ob lügen kann die Wahrheit,

Nur an meiner Liebe nicht.«

William Shakespeare, Hamlet

Anmerkung der Autorin

Scarred ist ein düsterer königlicher Liebesroman.

Es handelt sich um ein gebrochenes Märchen, keine Fantasy oder Nacherzählung.

Die Hauptfigur ist ein Schurke. Wenn du nach einer sicheren Lektüre suchst, wirst du sie auf diesen Seiten nicht finden.

*

Scarred enthält reife Themen und grafische Inhalte, die möglicherweise nicht für alle Leser:innen geeignet sind. Diskretion wird empfohlen. Ich fände es schöner, wenn du dich blind darauf einlässt, aber falls du dir eine detaillierte Liste der Trigger wünschst, findest du sie auf EmilyMcIntire.com.

Prolog

Tristan

Loyalität.

Ein Wort. Vier Silben. Neun Buchstaben.

Null Bedeutung.

Doch wenn man sich die endlosen Reden meines Bruders anhört, könnte man meinen, sie flösse durch seine Adern, dicker als das Blut, das uns verbindet.

Wenn man dem Klatsch und Tratsch im Gerichtssaal lauschte, würde man es auch glauben.

»Prince Michael wird ein guter König sein.«

»Er wird das Erbe seines Vaters weiterführen, das ist sicher.«

Etwas Dickes, Stacheliges bleibt mir im Hals stecken, und mein Blick wandert von den lodernden Flammen im Kamin am anderen Ende des Saals zur Öllampe mitten auf dem Tisch, an dem die Mitglieder des Geheimen Rates sitzen. Ein halbes Dutzend Gesichter, und in keinem lese ich Trauer.

Es versetzt mir einen Stich.

»Im Leben geht es um Schein, Sire, und deshalb müssen wir tun, was getan werden muss«, sagt Xander, der Chefberater meines Vaters – jetzt meines Bruders –, und sein Blick ruht auf Michael. »Genauso wie bekannt ist, dass Euer Vater friedlich in seinem Bett eingeschlafen ist, weiß man auch, dass Ihr einen ziemlichen … Appetit habt.«

»Xander, bitte«, mische ich mich ein und drücke den Rücken an die holzgetäfelte Wand. »Uns musst du nicht davon überzeugen, wo Vater gestorben ist.«

Mein Blick wandert zu meiner Mutter, der einzigen Frau im Raum, die sich mit einem Taschentuch mit Monogramm die leeren braunen Augen abtupft. Normalerweise wäre sie gar nicht hier in Saxum, sie verbringt die meiste Zeit auf dem Landgut. Aber da wir gerade erst ihren Mann beerdigt haben, hat Michael darauf bestanden, dass sie bleibt.

Und sein Wort ist Gesetz.

»In puncto ›friedlich‹ müssen wir lügen«, fahre ich fort und sehe meinen Bruder an.

Ein kleines Grinsen umspielt seine Lippen, und seine bernsteinfarbenen Augen funkeln. Eine feurige Wut schießt mir vom Magen in die Kehle und wickelt sich um meine Zunge, der Geschmack ist bitter und säuerlich.

Ich stoße mich von der Wand ab und gehe mit lauten Schritten in die Mitte des Saals, bis ich, eingeklemmt zwischen meiner Mutter und Xander, über dem Tisch aufrage. Ich nehme mir Zeit und blicke in jedes einzelne Gesicht. Sie sind aufgeblasen und angeberisch und tun so, als wäre es ein ganz normaler Tag.

Als hätten wir nicht gerade jemand Wichtiges verloren.

Jemand Lebenswichtiges.

Die einzige Person, die sich gekümmert hat.

»Ich weiß nicht, was Ihr meint«, quietscht Xander mit erstickter Stimme und schieb sich die Hornbrille hoch.

Mit vorgerecktem Kinn blicke ich ihn an, und mir fallen die grauen Strähnen in seinem ansonsten dunklen Haar auf. Er gehört schon ewig zur Familie – seit ich ein Junge war –, und anfangs habe ich ihn sehr geschätzt. Aber das Leben verändert sich ständig, und Xanders Wärme wurde schnell von der eisigen Bitterkeit der Gier abgelöst.

Genau wie bei den anderen.

»Mmm, natürlich nicht«, brumme ich und tippe mir an die Schläfe. »Wie dumm von mir.«

»Können wir zum Thema zurückkommen?«, schnauft Michael, fährt sich über den Kopf, und seine hellbraunen Haare kräuseln sich unter seinen Fingern. »Es ist nicht von Bedeutung, wie Vater seinen letzten Atemzug getan hat.«

»Michael«, keucht meine Mutter, die noch immer unter ihren Augen herumtupft.

Ich wende mich ihr zu, beuge mich vor und streiche ihr über das Gesicht, ihr Wangenknochen ist hart unter meiner Handfläche. Sie holt scharf Luft, sieht zu mir auf, und ich drücke den Daumen in ihre Haut, bevor ich mich zurückziehe und meine Hand betrachte.

Meine Fingerkuppen sind knochentrocken, und in meinem Magen entsteht ein Brennen.

Schauspieler, allesamt.

»Mutter«, mahne ich. »Hör auf mit dem Theater. Noch mehr falsche Tränen, und du bekommst Falten.« Zwinkernd tätschle ich ihr die Wange, richte mich auf, und alle Augen blicken uns an.

Wir haben nichts füreinander übrig. Das ist kein Geheimnis. Ich grinse, zeige dabei die Zähne und blicke einen nach dem anderen an. Die Luft ist zum Schneiden, und Lord Reginald, ein Ratsmitglied, rutscht auf seinem Samtstuhl herum.

»Entspann dich.« Ich verdrehe die Augen. »Ich werde schon nichts Unpassendes tun.« Lord Reginald schnaubt, und ich richte meine Aufmerksamkeit auf ihn. »Willst du mir etwas sagen, Reginald?«

Er räuspert sich, seine Wangen färben sich rosa und verraten die Nervosität, die er so sehr zu verbergen sucht. »Vergebt mir, dass ich Euch nicht glaube, Tristan.«

Ich lege den Kopf schief. »Du meinst wohl Eure Hoheit.«

Er verzieht den Mund, dann senkt er den Kopf. »Natürlich, Eure Hoheit.«

Mein Kiefer zuckt, als ich ihn betrachte. Reginald war immer eines der schwächsten Ratsmitglieder, verbittert und neidisch. Als sie noch jung waren, hat er sich an meinen Bruder geklammert und war dabei, wenn Michael und sein Rudel mich gequält haben.

Aber ich bin kein Kind mehr, und sie können mich nicht länger schikanieren.

Xander kneift sich in den Nasenrücken. »Sire, bitte. Ihr braucht eine Frau. Euer Volk braucht eine Königin.«

»Sie haben eine«, dröhnt Michael und nickt in Richtung unserer Mutter. »Ich wünsche nicht, zu heiraten.«

»Niemand verlangt von Euch, mit Euren Tändeleien aufzuhören.« Xander seufzt. »Aber diese Gesetze gelten schon seit Generationen. Wenn Ihr Euch keine Frau nehmt, lässt Euch das schwach wirken.«

»Solltest du der Aufgabe nicht gewachsen sein, Bruder, dann tu uns den Gefallen und verschwinde.« Ich wedle mit der Hand.

Michael schaut mich finster an, sein Mundwinkel verzieht sich zu einem spöttischen Grinsen. »Um Gloria Terra dir zu überlassen?«

Am Tisch wird gekichert, meine Muskeln spannen sich an, und mich durchströmt der Drang, ihnen allen zu beweisen, wie leicht ich sie in die Knie zwingen kann.

Der lange Zeiger der hölzernen Uhr bewegt sich klickend und zieht meine Aufmerksamkeit auf sich.

Es ist bald Zeit für das Abendbrot.

Mit verkrampften Fingern fahre ich mir durch die zerzausten schwarzen Strähnen und trete einen Schritt zurück in Richtung der großen Flügeltüren aus Eiche. »Nun, es war mir eine Freude«, setze ich an. »Aber leider ist mir langweilig geworden.«

»Du bist noch nicht entlassen, Tristan«, schnauzt Michael mich an.

»Du entlässt mich nicht, Bruder«, spotte ich, während die Wut in meiner Brust aufsteigt. »Es ist mir völlig gleichgültig, welch unglückliche Seele sich bis in alle Ewigkeit von dir quälen lassen muss.«

»Wie respektlos«, faucht Xander und schüttelt den Kopf. »Euer Bruder ist der König.«

Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus, ich sehe Michael durchdringend an, und die Vorfreude pulsiert in meinen Adern.

»Nun denn.« Ich neige den Kopf. »Lang lebe der König.«

Kapitel 1

Sara

»Morgen früh reist du ab.«

Mein Onkel nippt an seinem Wein, seine dunklen Augen sind wie Pfeile, die über den Tisch fliegen und das Fleisch meiner Brust filetieren. Er war noch nie besonders liebevoll, aber er gehört zur Familie, und wir haben das gleiche Ziel.

Für den Mord an meinem Vater wollen wir uns an den Faasas rächen.

Wir haben viele Puzzleteile sorgfältig zusammengefügt, um sicherzustellen, dass ich die Hand des Kronprinzen entgegennehme, wenn er in Not ist. Und nun haben wir endlich die Nachricht erhalten.

Es ist so weit.

Arrangierte Verlobungen sind zwar nicht unüblich, aber in den letzten Jahren ein wenig aus der Mode gekommen. Schließlich schreiben wir das Jahr 1910, das 19. Jahrhundert liegt hinter uns. Und auch in all den Märchenbüchern und selbst hier in den von Armut geprägten Straßen Silvas heiraten die Menschen aus Liebe.

Oder dem, was sie darunter verstehen.

Aber ich habe mich noch nie großspurigen Ideen hingegeben und geglaubt, dass ein Ritter auf seinem weißen Pferd angeritten kommt und mich rettet wie eine hilflose Jungfrau in Nöten. Das mit der Not mag stimmen, aber ich bin keine hilflose Jungfrau.

Außerdem kann man manchmal nur dann echten Wandel herbeiführen, wenn man Teil der Maschinerie wird und die kaputten Stücke selbst herausreißt. Wenn ich also lächeln, flirten und verführen muss, um die Gunst des neuen Königs zu erlangen, werde ich es tun.

Es ist schließlich meine Pflicht.

Meiner Familie und meinem Volk gegenüber.

Silva, das einst für seine reichen Ländereien und seine bahnbrechende Industrialisierung bekannt war, ist nun unfruchtbar und schwach. An den Rand gedrängt wie ein hässliches Stiefkind, das weder die Zeit noch die Aufmerksamkeit der Krone verdient. Völlig unbeachtet mischen sich Dürre und Hungersnot mit der Verzweiflung, die sich wie Risse im Pflaster durch die Straßen der Stadt zieht.

Das geschieht wohl, wenn man sich tief im Wald und hoch in den Wolken befindet. Aus den Augen, aus dem Sinn.

»Du weißt, was auf dem Spiel steht?«, fragt Onkel Raf und reißt mich aus meinen Überlegungen.

Nickend wische ich mir den Mund mit einer weißen Stoffserviette ab, ehe ich sie wieder in den Schoß lege. »Ja, natürlich.«

Er grinst, seine Haut legt sich in Falten, während er mit den Fingern auf den knochigen Griff seines Holzstocks tippt. »Du wirst unserem Namen Ehre machen.«

Das berauschende Gefühl seiner Anerkennung befeuert mich wie eine Kanone und ich setze mich aufrechter hin und lächle ihn an.

»Und vertraue niemandem, außer deinem Cousin«, fügt er hinzu.

Er wirft einen Blick auf meine Mutter. Sie isst ihre Mahlzeit immer brav und ruhig in kleinen Bissen, und ihre widerspenstigen schwarzen Haare, die meinen so ähnlich sind, fallen dabei wie ein Vorhang um ihr Gesicht. Sie nimmt nur selten Blickkontakt auf, hält den Kopf meistens gesenkt und beschäftigt ihre Finger mit Handarbeiten und staubigen Büchern, anstatt eine Beziehung zu ihrer Tochter aufzubauen, die alles übernommen hat, seit Vater sie als Witwe zurückgelassen hat.

Vermutlich wollte sie nie Mutter werden und noch weniger heiraten. Sie hat es nie ausgesprochen, aber das ist auch nicht nötig, denn ihre Taten sprechen Bände. Doch mein Vater wollte sie, und das war alles, was zählte.

Und als sie schwanger wurde, erwarteten sie den nächsten männlichen Erben des Geschlechts der Beatreaux. Stattdessen bekamen sie ein wildes Mädchen mit rabenschwarzen Haaren, Sinn für Abenteuer und einem frechen Mundwerk. Und mein Vater hat mich trotzdem geliebt, wohingegen meine Mutter nie auch nur einen Hauch Zuneigung gezeigt hat.

Als ich ihn verlor, verlor ich auch ein Stück von mir selbst, das nun mitten in meiner Brust eitert und verrottet.

Er zog aus, um die Monarchie um Hilfe zu bitten. Er nahm es auf sich, durch unsere Wälder und das Flachland bis nach Saxum Castle zu reisen. Aber die Krone kümmerte seine Notlage nicht, und mein Cousin Alexander ließ ausrichten, sie hätten ihn wegen Hochverrats gehängt. Weil er es gewagt hatte, ihnen zu sagen, sie müssten mehr tun. Xander versuchte, ihn zu retten, aber als Chefberater des Königs konnte er nicht viel bewirken.

Seitdem ist Onkel Raf unentbehrlich, und auch wenn er mich immer unterstützt hat, sehne ich mich bis heute nach der Umarmung meines Vaters. Stattdessen ist mir nur ein Familienanhänger geblieben, den ich wie einen Schwur um den Hals trage und der mich jeden Tag an das erinnert, was ich verloren habe.

Und wer die Schuld an meinem Kummer trägt.

Während andere Mädchen in meinem Alter von der Liebe träumen, lerne ich, wie man in politische Kriege eingreift, ohne die Etikette zu verletzen. Wenn man die Hölle niederbrennen will, muss man sich das Spiel des Teufels aneignen. Die metaphorische Krone, die mir aufgesetzt wird, ist fast so schwer wie das Wissen, dass alle von meinem Erfolg abhängig sind.

Und die Herrschaft der Familie Faasa währt schon viel zu lange, ihre Macht und ihr Einfluss wurden mit der Zeit verdorben, es geht ihnen nicht mehr um Land und Leute, sondern um Maßlosigkeit und Gier.

Deshalb werde ich an den Hof gehen. Und ich werde tun, was nötig ist, um mein Volk zu retten, und Gerechtigkeit für diejenigen einfordern, die wir verloren haben.

Doch die volle Erkenntnis trifft mich erst Stunden später.

Heute ist mein letzter Abend in Silva.

Mein Herz schlägt einen Stakkato-Rhythmus, während ich mir dicke schwarze Stiefel anziehe, mir den Mantel um die Schultern wickle und mir die wilden Locken im Nacken zu einem festen Knoten binde. Ich ziehe mir die Kapuze über den Kopf und schaue in den Spiegel, um mich zu vergewissern, dass sie mein Gesicht verdeckt. Ich werfe einen Blick auf die Schlafzimmertür, prüfe, ob sie verschlossen ist, dann drehe ich mich um und eile zum Fenster.

Mein Zimmer ist im ersten Stock, aber die Höhe macht mir keine Angst, denn ich bin schon Dutzende Male die rissige Steinmauer hinuntergeklettert. Auf dem Weg nach unten krampft meine Lunge von den flachen Atemzügen, und Adrenalin peitscht mir durch die Adern, bis ich schließlich mit den Füßen auf dem Gras lande.

Mich hinauszuschleichen ist riskant, aber ich würde es immer wieder tun.

Ich bleibe eine Weile stocksteif stehen und vergewissere mich, dass mich niemand gehört hat, bevor ich um die Ecke unseres heruntergekommenen Anwesens biege. Ich halte mich im Schatten, bis ich beim Kopfsteinpflaster ankomme und am verrosteten drei Meter hohen Tor hinaufblicke. Mir tun die Finger weh, und meine Muskeln brennen, als ich das spröde Eisen hochklettere, ein Bein hinüberschwinge und auf der anderen Seite hinunterspringe.

Sobald mein Fuß auf festen Boden trifft, hole ich tief Luft, und dann bin ich weg, renne den Bürgersteig hinunter, ziehe den Kapuzenmantel enger um mich und hoffe, dass ich auf dem Weg niemandem begegne.

Ich brauche zwanzig Minuten bis zum Waisenhaus am Rande der Stadt. Es ist in einem kleinen, baufälligen Gebäude untergebracht und verfügt über bescheidene Mittel und zu wenig Betten. Aber Daria, die Leiterin, ist eine meiner wichtigsten Kontaktpersonen, und alles, was ich ihr zustecke, gelangt in die richtigen Hände.

»Damit müsstet ihr durchkommen, bis ich mehr schicken kann.« Ich umfasse Darias Hände mit dem Bündel Geld und dem kleinen Korb mit Brot, die ich ihr gegeben habe.

Sie schnieft, und ihre Augen glänzen im schummrigen Kerzenlicht der kleinen Küche. »Danke, Sara! Ich kann nicht …« Von draußen ist ein Geräusch zu hören, und ihr Flüstern bricht ab.

Mein Herz krampft sich zusammen, und ich hole scharf Luft, mein Blick huscht zum dunklen Flur, und ich hoffe, dass keins der Kinder aus dem Bett gekommen ist.

Niemand darf wissen, dass ich hier bin.

»Ich muss gehen«, sage ich, nehme die Hände weg und ziehe mir die Kapuze über den Kopf. »Ich lasse dir eine Nachricht zukommen, sobald ich kann, um mich zu vergewissern, dass es euch gut geht.«

Daria schüttelt den Kopf. »Du hast schon so viel getan.«

»Bitte«, schnaube ich. »Das ist kaum genug.«

Die Uhr schlägt, und ich werde mir bewusst, wie spät es ist. Die Sonne wird sich bald an den Horizont schmiegen, bis ihr Licht den Boden überflutet und die Dunkelheit und damit auch meine Deckung auslöscht.

»Ich muss gehen«, wiederhole ich leise, strecke die Hand aus und ziehe sie in eine Umarmung. Mir wird das Herz schwer, als sie die Arme um mich legt und mich fest an sich drückt. »Vergiss mich nicht, Daria.«

»Niemals.« Sie lacht, auch wenn es hohl klingt.

Ich löse mich von ihr, mache mich auf den Weg zur Tür an der Seite der Küche und umschließe den kühlen Messinggriff.

»Seid vorsichtig, meine Königin«, flüstert Daria meinem Rücken zu.

Mein Herz setzt kurz aus. »Ich bin niemandes Königin. Ich bin nur diejenige, die die Krone verbrennen wird.«

Kapitel 2

Tristan

»Tristan!« Die kindliche Stimme schallt über den Schlosshof, und ich blicke von meinem Sitzplatz am Stamm der Trauerweide auf. Kohle schwärzt meine Handflächen, und das Skizzenbuch liegt ausgebreitet auf meinem Schoß. Ich wische mir die Fingerspitzen am Hosenbein ab und schüttle mir die Haare aus dem Gesicht.

Der kleine Junge hüpft herüber und bleibt vor mir stehen, seine Kleidung sitzt locker und ist schmutzig, als wäre er den ganzen Tag durch die geheimen unterirdischen Gänge gerannt.

Die ich ihm gezeigt habe.

»Hallo, kleiner Tiger«, sage ich, und Belustigung breitet sich in mir aus.

Sein Gesicht verzieht sich zu einem Grinsen, seine bernsteinfarbenen Augen funkeln, ein Schweißfilm glänzt auf seiner hellbraunen Haut. »Hi! Was machst du da?« Sein Blick fällt auf meinen Schoß.

Ich richte mich auf und schließe das Buch. »Zeichnen.«

»Für deine Arme?« Er nickt zu meinen Tattoos, die unter dem langärmeligen Hemd verborgen sind, die dunkle Tinte schimmert durch den cremefarbenen Stoff.

Mein Mundwinkel wandert nach oben. »Vielleicht.«

»Mama sagt, sie machen dich zu einer Schande.« Er senkt die Stimme und beugt sich so nah heran, dass seine Nase fast meinen Unterarm berührt.

Es widert mich an, dass ein Küchenmädchen sich anmaßt, meinen Namen auszusprechen. Ich lege den Kopf schief. »Und was glaubst du?«

»Ich?« Er richtet sich auf und beißt sich auf die Unterlippe.

»Du kannst es mir ruhig sagen.« Ich beuge mich vor. »Dein Geheimnis ist bei mir sicher.«

Seine Augen blitzen. »Ich möchte auch Tattoos.«

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Nur die mutigsten kleinen Tiger bekommen welche.«

»Ich bin mutig.« Er wirft sich in die Brust.

»Na dann.« Ich nicke. »Wenn du etwas älter bist und immer noch genauso denkst, komm zu mir.«

»Simon!«, zischt eine Frau, die auf uns zugerannt kommt und mit großen Augen zwischen uns hin- und herschaut. Vor uns bleibt sie abrupt stehen, macht einen tiefen Knicks, und ihr schwarzer Rock streift den Boden. »Eure Hoheit, ich entschuldige mich dafür, dass er Euch belästigt.«

Mein Kiefer zuckt, Verärgerung brodelt in mir. »Niemand hat mich belästigt, bis jetzt.«

»Siehst du, Mama? Tristan mag mich«, sagt Simon.

Sie schnappt nach Luft, macht einen weiteren Knicks und nimmt ihren Sohn beim Arm. »Sprich ihn angemessen an, Simon.«

»Warum? Das machst du doch auch nie?« Er runzelt die Stirn.

Ihre Schultern verspannen sich.

Mein Magen brennt, ich fahre mir über die Stirn und spüre die dünne Linie wulstiger Haut, die von meinem Haaransatz bis knapp über meine Wange verläuft.

Sie muss sich keine Sorgen darüber machen, denn wir beide wissen, wie ich genannt werde. Alle nennen mich so, auch wenn sie es mir nie ins Gesicht sagen. Dafür sind sie viel zu feige. Stattdessen tuscheln sie heimlich, ihr Flüstern sickert in die Steinmauern, bis selbst die Stille mich mit ihrem Urteil erstickt.

»Tristan ist gut, kleiner Tiger.« Ich stehe auf und klopfe mir die Hose ab. »Aber nur unter vier Augen. Die anderen sollen nicht auf dumme Gedanken kommen.«

»Simon«, schnauzt ihn seine Mutter an. »Geh zurück in unser Zimmer. Sofort.«

Er blickt erst sie an, dann mich. Ich nicke leicht, und er grinst. »Tschüss, Eure Hoheit!«

Er wirbelt herum und rennt davon.

Seine Mutter bleibt mit gesenktem Kopf in der Hocke, bis Lärm am Eingangstor sie dazu bringt, aufzustehen und sich dem Geräusch zuzuwenden. Ich trete dicht an sie heran, strecke die Hand aus, um ihr Gesicht zu umfassen und es zu mir zu drehen, während einzelne gedämpfte Sonnenstrahlen durch die Wolken dringen und auf dem Silber meiner Ringe funkeln.

»Kara«, säusele ich und streiche ihr mit den Fingerspitzen über die seidige, dunkle Haut.

Unsere Blicke treffen sich, und sie holt scharf Luft.

Ich verstärke meinen Griff, bis sie das Gesicht verzieht. »Ich habe dir nicht erlaubt aufzustehen.«

Ihr Atem geht stockend, als sie wieder einen Knicks macht und den Kopf senkt. Ich blicke auf sie hinab, während die Worte ihres Sohnes wie ein Sturm durch meinen Kopf fegen.

»Dein Sohn sagt, dass du gerne über mich sprichst.« Ich trete vor, meine Schuhspitzen berühren den Saum ihres Rocks. »Du solltest vorsichtig sein mit dem, was du sagst, Kara. Nicht jeder ist so nachsichtig. Es soll sich doch nicht herumsprechen, dass du offenbar vergessen hast, wo dein Platz ist. Schon wieder.« Ich gehe vor ihr in die Hocke. »Hältst du mich wirklich für eine Schande?«

Sie schüttelt den Kopf. »Er ist ein Kind. Er erfindet gern Geschichten.«

»Kinder haben so viel Fantasie, nicht wahr? Obwohl …« Ich strecke die Hand aus und streiche ihr über den Nacken. Ich genieße es, wie sie unter meiner Berührung zittert. »Wenn jemand etwas von schändlichen Taten weiß, dann seine Mutter.« Ich ergreife den Knoten dicker Locken an ihrem Hinterkopf und ziehe daran. Befriedigung brennt in meinem Brustkorb, als sie vor Schmerz nach Luft schnappt. Ihr Rücken biegt sich, ich beuge mich vor und streife mit der Nase ihre Wange.

»Denkst du, ich wüsste es nicht?«, zische ich.

Sie wimmert, und in mir zieht sich alles vor Vergnügen zusammen.

»Hältst du mich für genauso dumm wie alle anderen im Schloss? Dass ich die Ähnlichkeit nicht erkenne?«

»B-bitte …«, stammelt sie und drückt mir die Hände auf die Brust.

»Mmm«, brumme ich. »Hast du bei ihm auch so gebettelt?«, flüstere ich ihr ins Ohr und umfasse mit der freien Hand ihren Hals. Ich schaue zu den königlichen Wachen am Eingangstor und den Umstehenden, die sich um sie herum versammeln. Die Blicke einiger Leute streifen uns, sie wenden sich aber ebenso schnell wieder ab. Sie wissen, dass sie sich besser nicht einmischen.

»Mach nicht den Fehler, mich mit meinem Bruder zu verwechseln«, fahre ich fort, ihre Haare immer noch zwischen den Fingern. »Und vergiss nie wieder deine Stellung, sonst werde ich dich mit Vergnügen daran erinnern.« Beim Loslassen stoße ich sie von mir, sie fällt auf den Boden und muss sich mit den Händen abfangen. »Und im Gegensatz zu ihm wird es mir egal sein, wie sehr du mich anflehst.«

Ich richte mich auf, nehme mein Skizzenbuch, blicke auf sie herab und genieße, wie sie mir zu Füßen kauert. »Du darfst aufstehen.«

Schniefend erhebt sie sich, klopft sich den Schmutz von der Kleidung und hält den Blick zu Boden gerichtet.

»Geh!« Ich wedle mit der Hand. »Lass dich hier nicht wieder blicken.«

»Sire«, flüstert sie.

Ich drehe mich um, bevor sie zu Ende gesprochen hat, gehe in den Schatten der Trauerweide und lehne mich an den Stamm, die Rinde kratzig an meinem Rücken. Xander, mein Bruder, und sein Leibwächter Timothy betreten den Schlosshof, gerade als ein Automobil durch die Tore rollt.

Als wären meine Füße aus Blei, bleibe ich neugierig stehen und beobachte aus dem Schatten, wie Xander auf den Wagen zugeht und die Tür öffnet. Eine schlanke Frau mit blonden Haaren, die unter einem lila Hut hervorlugen, steigt lächelnd aus und tritt beiseite.

Dann kommt eine zierliche Handfläche zum Vorschein, und eine andere Frau legt ihre Hand in die von Xander.

Mein Magen fährt Achterbahn, weil ich wohl besser verschwinden sollte, mich aber nicht bewegen kann.

Denn sie ist da.

Die Königsgemahlin ist angekommen.

Kapitel 3

Sara

Mein Leben lang habe ich Gemälde vom Saxum-Reich gesehen. Im großen Saal meines Onkels hängt eins über dem Kaminsims: Ein düsteres Bild mit dräuenden Gewitterwolken über einem dunklen Schloss aus dem sechzehnten Jahrhundert, dessen Mauern über die Jahre schwarz geworden sind. Ich hielt es für künstlerische Übertreibung. Doch wie sich herausstellt, kommt das Gemälde nicht annähernd an die Realität heran.

Der Fahrer des Königs schlängelt sich durch Saxums Straßen, vorbei an Frauen, die in den Armen von Männern lachen, als müssten sie sich um nichts in der Welt sorgen. In seliger Unwissenheit, dass sich fünf Minuten entfernt das Kopfsteinpflaster in Dreck verwandelt und die breitkrempigen Hüte zu schmutzigen Hauben und zerrissenen Kleidern über Haut und Knochen werden.

Aber vielleicht wissen sie es auch, und es ist ihnen einfach egal.

»Nichts wird der Realität gerecht, nicht wahr?« Sheina, meine engste Freundin, die ich zu meiner Hofdame gemacht habe, blickt seufzend aus dem Fenster, die blonden Haare schauen unter der breiten Hutkrempe hervor. »Man hört sein ganzes Leben lang Märchen, aber der Anblick ist tatsächlich unheimlich.«

Sie deutet mit dem Kopf zu dem Schloss auf der Klippe am Ende einer langen, gewundenen Straße, die zu beiden Seiten von üppigen grünen Wäldern gesäumt ist.

Die Gemälde werden ihm wirklich nicht gerecht.

Dieser Teil des Landes wirkt eher düster – ein krasser Gegensatz zum Sonnenschein, der früher die Ernte in Silva begünstigte –, und während die Gebäude entlang der Straßen Platanen und Kiefern weichen und der Geruch von Immergrün sich im Wagen ausbreitet und mir in die Nase sticht, nagt eine ängstliche Anspannung an mir.

Die Straße wird schmaler, und meine Angst wächst im Rhythmus meines schneller schlagenden Herzens, als mir klar wird, dass das Schloss mit dem Rücken zum wütenden Vita Ozean steht und dies der einzige Weg hinein ist. Und der einzige Weg hinaus.

»Glaubst du, die Gerüchte stimmen?«, fragt Sheina und wendet sich mir zu.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Kommt drauf an, was du meinst.«

»Dass Geister der verstorbenen Könige im Schloss spuken.« Sie wedelt mit den Fingern vor ihrem Gesicht.

Ich lache, obwohl ich mich das ehrlich gesagt auch schon gefragt habe. »Sheina, du bist zu alt, um noch an Geistergeschichten zu glauben.«

Sie legt den Kopf schief. »Du etwa nicht?«

Mir läuft ein Schauer den Rücken hinunter. »Ich bin abergläubisch«, sage ich. »Aber gleichzeitig möchte ich gern glauben, dass die Seele eines Verstorbenen im Himmelreich zur Ruhe kommt.«

Sie nickt.

»Oder in der Hölle«, füge ich hinzu und ziehe einen Mundwinkel hoch. »Wenn sie es verdient hat.«

Ihr kommt ein Kichern über die Lippen, und sie hebt die Hand, um das Geräusch zu unterdrücken. »Sara, so etwas solltest du nicht sagen.«

»Wir sind allein, Sheina.« Mein Grinsen wird breiter, ich zucke mit den Schultern und lehne mich an sie. »Kannst du kein Geheimnis für dich behalten?«

Sie schnaubt. »Bitte. Seit unserer Kindheit habe ich keine einzige deiner Schandtaten verraten.«

Ich setze mich aufrecht hin, die Stahlknochen des Korsetts bohren sich in meine Rippen. »Würden sie ein böses Mädchen zur Königin machen?«

Sie schürzt die Lippen, und ihre blauen Augen funkeln. »Bei dir ist alles möglich, Sara.«

Zufriedenheit wärmt meine Brust, ich bin froh, dass mein Onkel mir erlaubt hat, sie mitzunehmen. Ein vertrautes Gesicht in der Nähe hilft, die Anspannung in meinen Schultern zu lösen.

Ich kenne Sheina schon seit meiner Kindheit, denn wir sind zusammen auf unserem Landgut aufgewachsen. Ihre Mutter ist ein Dienstmädchen, und Sheina und ich verbrachten die Sommertage damit, uns auf die Felder zu schleichen, frische Beeren zu pflücken und darüber nachzudenken, wie wir die giftigen Beeren den Jungs unterjubeln könnten, die uns ärgerten.

Aber einer der ersten Ratschläge meines Vaters war, dass man seine Freunde nah bei sich haben sollte und seine Geheimnisse noch näher. Und auch wenn ich Sheina sehr liebhabe, vertraue ich ihr deshalb nicht die schwere Last meiner Wahrheiten an. Sogar ihr gegenüber spiele ich meine Rolle, ohne dass sie etwas merkt.

Langsam kommt unser Auto zum Stehen, und die Landschaft rauscht nicht mehr an uns vorbei. Mein Blick bleibt an den beiden Türmen neben dem Eingang zum Schlosshof hängen. Die Steinmauern sind dunkelgrau, nass vom vorherigen Regen – oder vielleicht auch durch den Schmutz der Jahre –, an den Seiten schlängelt sich dichter Efeu bis zu den steilen Spitzen und in die kleinen, glaslosen Fenster hinein.

Das muss ein Ausguck sein.

Ich frage mich, ob sich meinem Vater bei seiner Ankunft derselbe Anblick bot, sein Geist voller Hoffnung und sein Herz voller Mut.

Das Loch in meiner Brust schmerzt.

»Wir sind da, Milady«, verkündet der Fahrer.

»Ja, das sehe ich, danke«, antworte ich, richte mich auf und streiche mir das hellgrüne Reisekleid glatt.

Knarrend öffnen sich die Eisentore. Beide Seiten des Hofs säumen königliche Wachen in Schwarz und Gold mit dem Wappen eines brüllenden Löwen auf der Brust. Dasselbe Bild ziert jede Flagge in Gloria Terra.

Das Wappen der Familie Faasa.

Ich schlucke die Nervosität hinunter und blicke in ausdruckslose Gesichter, als sich das Auto wieder in Bewegung setzt und kurz hinter den Toren anhält. Ein Dutzend Schaulustige beobachten uns, aber ansonsten gibt es kein großes Aufsehen.

Vor uns steht eine Gruppe Männer – den Kleineren erkenne ich sofort. Beim Anblick meines Cousins Xander, der uns entgegenkommt, durchströmt mich Erleichterung.

Die Tür wird geöffnet, und zuerst wird Sheina hinausgeholfen, dann reicht Xander mir die Hand. Ich lege die Hand in seine, steige aus, und der spitzenbesetzte Ärmel raschelt an meinem Handgelenk.

»Xander«, sage ich, als er sich verbeugt und meine Hand für einen Kuss an die Lippen führt.

»Cousine, es ist zu lange her«, antwortet er und richtet sich auf. »Ist deine Reise gut verlaufen?«

Ich lächle. »Sie war lang und wenig komfortabel. Ich bin froh, hier zu sein.«

Er schnalzt. »Und mein Vater? Geht es ihm gut?«

»Den Umständen entsprechend. Er bedauert, dass er die Reise nicht antreten konnte.«

»Natürlich.« Er neigt den Kopf. »Komm! Ich werde dich Seiner Majestät vorstellen.«

Er zieht an meiner Hand, bis sie in seiner Armbeuge liegt, und führt mich zu einem Mann mit einem hellbraunen Anzug, auf dessen hübschem Gesicht sich ein Lächeln ausbreitet, während er mich von Kopf bis Fuß mustert.

Ich habe im Laufe der Jahre so viel über die königliche Familie gelernt und würde jedes ihrer Mitglieder mit einem Blick erkennen, obwohl ich sie noch nie gesehen habe. Und diesen Mann identifiziere ich sofort anhand der frisierten braunen Haare, der breiten Brust und der riesigen Statur gepaart mit den ungewöhnlich bernsteinfarbenen Augen.

König Michael Faasa III. von Gloria Terra.

Feuer lodert in meiner Brust auf, Hass tropft in mein Inneres, als ich einen Knicks mache und der spitzenbesetzte Saum meines Rocks über den Boden streift. »Eure Majestät.«

»Lady Beatreaux.« Seine Stimme ist ein tiefes Grollen, das durch den Innenhof dröhnt. »Sie sehen viel besser aus, als ich es mir vorgestellt habe.«

Ich richte mich auf und neige den Kopf, um den Anflug von Verärgerung zu verbergen, der mir über das Gesicht huscht. »Ihr seid zu freundlich, Majestät.«

Er neigt das Kinn, die Hände ruhen in den Taschen. »Ich habe Ihren Vater kennengelernt, wissen Sie?«

Ich lächle noch breiter, auch wenn die Erwähnung meines Vaters mir einen Schauer über den Rücken jagt. »Was für eine Freude, dass er Eure Gesellschaft genießen durfte.«

König Michaels Augen funkeln, er richtet sich auf, und ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. »Ja, nun … es sieht so aus, als würde jetzt mir diese Freude durch Eure Anwesenheit zuteilwerden.«

Befriedigung ergreift mich und erwärmt das Blut in meinen Adern, während ich meinen Onkel innerlich flüstern höre. Je schneller du seine Gunst gewinnst, desto schneller gewinnst du auch sein Vertrauen.

Michael kommt auf mich zu, bis er so nah vor mir steht, dass ich die Stärke an seiner Kleidung riechen kann. Er beugt sich vor und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Er ist so direkt, dass mir unwohl wird, und ich schaue mich auf dem Hof um, um die Reaktionen der Anwesenden zu sehen, neugierig, ob sein Verhalten normal ist oder etwas Besonderes, nur für mich. Aber abgesehen von ein paar Leuten, die über den riesigen Hof verstreut sind, schenkt uns kaum jemand offen Beachtung, obwohl ich ihre anhaltenden Blicke spüre.

Seine Hand streift meine Taille.

Ich lasse die Berührung zu, denn natürlich habe ich keine andere Wahl. Den König kann man nicht abweisen, und ich möchte nicht den Eindruck erwecken, schwierig zu sein. Als ich mich weiter umschaue, bleibt mein Blick an einer wunderschönen Trauerweide in der hinteren Ecke hängen, unter deren herabhängenden Ästen eine Gestalt im Schatten hockt, die Augen auf mich gerichtet.

Mein Herz krampft sich zusammen.

König Michael flüstert mir etwas ins Ohr, und ich brumme zustimmend, obwohl ich ihn nicht verstanden habe. Ich bin viel zu sehr in die Miene des Fremden vertieft, auch wenn ich wohl den Blick abwenden sollte. In seinen Augen liegt eine Herausforderung, die mich fesselt, meine Wirbelsäule versteift und meine Nerven reizt, sodass ich mir wünsche, dass er als Erster aufgibt. Was er natürlich nicht tut. An den Stamm gelehnt lächelt er nur, fährt sich durch die unordentlichen tiefschwarzen Haare und schiebt sich die verirrten Strähnen aus der Stirn.

Mit stockendem Atem mustere ich die harten Linien seines blassen Gesichts, seine silbergeschmückten Finger, mit denen er sich über das markante Kinn streicht, und seine vollständig tätowierten Unterarme. Dann bemerke ich die Narbe auf seiner Stirn, die knapp oberhalb seiner Wange endet, und mein Herz setzt kurz aus. Aus dieser Entfernung ist sie kaum sichtbar und wirkt stumpf im Vergleich zum durchdringenden Jadegrün seiner Augen.

Mir wird bewusst, wer er ist, und in mir krampft sich alles zusammen.

Selbst wenn ich die Familie Faasa nicht jahrelang studiert hätte, eilt ihm sein Ruf voraus, Gerüchte über sein Temperament und seine ungewöhnlichen Aktivitäten reichen bis in die entlegensten Winkel von Gloria Terra.

Man sagt, er sei gleichermaßen gefährlich wie gestört, und mir wurde nachdrücklich nahegelegt, mich von ihm fernzuhalten.

Tristan Faasa.

Der jüngere Bruder des Königs.

Der Prinz mit der Narbe.

Kapitel 4

Tristan

 

»Wie ist sie?«

Mein Blick fällt auf Edward, den die meisten für meinen besten, meinen einzigen Freund halten würden. In Wahrheit habe ich keine Freunde, denn Freundschaften sind unbeständig und für gewöhnlich Zeitverschwendung. Er ist jedoch mein engster Verbündeter, und nur ihm vertraue ich genug, um seine Anwesenheit zu tolerieren. Dass er Kommandant in der königlichen Armee ist, ist ein Bonus, denn so hat er Zugang zu allem, was ich brauche, ohne dass jemand davon erfährt.

Seine schlanke Gestalt lehnt im Stuhl auf der anderen Seite des Zimmers, die blonden Haare fallen ihm in die Stirn. Ich werfe einen Blick auf den schweren Holztisch, streiche das Reispapier in meinen Händen glatt und vergewissere mich, dass der Inhalt schön fest eingewickelt ist, bevor ich die gummierte Kante anlecke.

»Sie war …« Ich halte inne und reibe die Finger aneinander, um die klebrigen Rückstände des Marihuanas zu entfernen, kleine Stücke der grünen Knospen kleben noch auf meiner Haut. »Mittelmäßig.« Ich lehne mich zurück, nehme ein Streichholz, schlage es an die raue Kante der braunen Lucifer-Schachtel und sauge mit dem Blick das leuchtend orangefarbene Glühen der Flamme auf. Es fesselt mich, zu beobachten, wie sie das Holzstück abbrennt und die Hitze intensiv wird, als sie an meiner Haut leckt. Ich bewege das Feuer zum Ende der Zigarette und atme ein, bevor ich es erlöschen lasse.

»Michael Faasas Braut ist ›mittelmäßig‹?« Edward lacht.

Ich brumme und stelle mir das Mädchen vor, das heute Morgen durch das Schlosstor kam, mit großen Augen und wilden Haaren, so begierig darauf, zu gefallen. Mit dem süßen Lächeln und wie sie mit den Wimpern in Michaels Richtung geklimpert hat, hat sie mich irritiert.

Aber nicht mein Bruder hat ihr die Röte in die Wangen getrieben.

»Bei Hofe heißt es, sie sei eine echte Schönheit«, fährt Edward fort.

»Meine Ansprüche sind viel höher als die bei Hof«, erwidere ich. Ich lege die Füße hoch, und als ich die Knöchel übereinanderschlage, knallen die schwarzen Stiefel auf den Tisch. »Sie ist hübsch anzusehen, aber genauso nutzlos wie alle anderen.«

»Was braucht man mehr als Schönheit?« Edward zuckt mit den Schultern. »Gelehrte Unterhaltung?«

Mein Stuhl kippt auf die hinteren Beine, und ich blicke zur stuckverzierten Decke hinauf. Mir ist kalt, obwohl in der Ecke ein Feuer lodert. Oder vielleicht liegt es an meinem Inneren – dort, wo früher mein Herz war, herrschen jetzt Leere und ein hohler Schmerz, der sich nach Chaos sehnt und alles in Brand setzen will.

Ich führe den Joint an die Lippen und inhaliere. Der Rauch strömt meine Kehle hinunter bis in die Lunge, und meine Nerven finden endlich Ruhe. Eine Ruhe, die ich sonst nicht spüren könnte. »Edward, es ist äußerst beunruhigend, dass du die List einer Frau unterschätzt. Frauen sind maskierte Schlangen. Vergiss das nicht.«

Er schürzt die Lippen, zieht die Augenbrauen hoch und richtet sich auf, als hätte ich ihn beleidigt. »Ihr habt schon immer dramatisiert.«

Ich blase eine Rauchwolke aus. »Bisher lag ich noch nie falsch.« Ich ärgere mich über seine lose Zunge, aber ihn zurechtzuweisen würde zu viel Energie kosten. Also speichere ich es ab, um ihn später daran zu erinnern, wenn ich Lust dazu habe. Im Moment würde ich ihn lieber zum Gehen bewegen.

Ich habe mich noch nie nach Gesellschaft gesehnt. Vielleicht liegt es daran, dass mir als Kind jeder ansah, dass ich ein bisschen anders war, sosehr ich mich auch anpassen wollte. Und selbst wenn es jemand nicht bemerkte, wies mein Bruder gern darauf hin.

Ich kippe mit dem Stuhl nach vorne, die Beine schlagen auf dem Boden auf, und mein Körper vibriert. »Lass mich allein.«

Plötzlich sehne ich mich nach Vergeltung, muss mich von den Erinnerungen an die Zeit befreien, als ich machtlos und der Gnade von Michael und seinem Rudel ausgeliefert war.

*

Zur Begrüßung von Lady Beatreaux gibt es eine inoffizielle Versammlung im Schloss. Inoffiziell, weil ich nicht zur Anwesenheit verpflichtet bin.

Aber selbst wenn, bin ich nicht dafür bekannt, mich an die Regeln des Adels zu halten, und sicher rechnet niemand mit meinem Erscheinen. Und genau deshalb gehe ich hin.

Das Who is Who des Königreichs ist hier versammelt. Hochrangige Beamte, Herzöge und Vicomte aus den umliegenden Gebieten und alle Damen und Herren des Hofes. Lachen und Geplauder hallen von den hohen Decken und Steinsäulen des großen Saals wider, juwelengeschmückte Finger umklammern Kristallgläser, und rosige Wangen täuschen über den wahren Grad des Rausches hinweg.

Mein Bruder sitzt vorne auf einem erhöhten Podest, zwei leere Stühle zu beiden Seiten, nippt am Wein und betrachtet sein Volk. So war er schon immer: Selbst als wir noch Kinder waren, musste er immer über allem stehen, auffällig und glamourös, von allen bewundert werden, egal, wen er dafür unterdrücken muss.

Ekel schnürt mir die Kehle zu, während er mit einem Dienstmädchen flirtet, das ihm das Glas nachfüllt.

Ich halte mich im Schatten und achte darauf, keine Aufmerksamkeit zu erregen, denn ich will sehen, wie die kleine rehäugige Lady Beatreaux die Höhle des Löwen betritt. Und ich muss nicht lange warten, die Eichentüren öffnen sich knarrend, und sie tritt ein, den Kopf hoch erhoben, die schwarzen Haare zurückgesteckt, perfekte Locken umrahmen ihr Gesicht.

Ihr Kleid schimmert bei jeder Bewegung, das Grün betont ihren blassen Teint, und es wäre eine Lüge, wenn ich behauptete, sie würde nicht allen anderen die Show stehlen. Auf ihrem Weg durch die Menge zu meinem Bruder zieht sie alle Blicke an wie eine Flamme die Motten.

Hinter ihr läuft dasselbe zarte Mädchen mit sandblonden Haaren, mit dem sie angekommen ist. Plötzlich stolpert es, sein Fuß bleibt am Saum des Kleides meiner neuen Schwägerin hängen und bringt beide ins Stocken. Lady Beatreaux verzieht das Gesicht und schaut das Mädchen kurz an.

Ihre Maske verrutscht – nur für einen Augenblick –, dann ersetzt sie ihre Verärgerung durch einen sanften, ansprechenden Ausdruck. Aber mit der Erkenntnis läuft mir ein Kribbeln über den Rücken, mein Interesse ist geweckt.

Und es wird noch größer, als sie vor meinem Bruder stehen bleibt und einen tiefen Knicks macht, bevor sie sich neben ihn setzt. Er mustert sie mit blitzenden Augen, und seine Lippen umspielt ein Lächeln.

Er mag sie.

Ich stoße mich von der dunklen Wand ab und trete ins Licht, die Menge teilt sich für mich genauso wie für sie, allerdings werde ich von stockenden Atemzügen und Flüstern begleitet. Die Leute machen einen großen Bogen um mich, denn sie fürchten sich vor dem, was passiert, wenn sie es nicht tun. Gerüchte über den Prinzen mit der Narbe kursieren im gesamten Königreich, und obwohl die meisten erfunden sind, enthalten einige doch ein Fünkchen Wahrheit. Und je mehr sie mich fürchten, desto weniger gucken sie.

Das gefällt mir, zumindest im Moment.

Als ich mich dem Podest nähere, verzieht mein Bruder das Gesicht, und ich weiß, dass er nicht mit mir gerechnet hat. Denn auch wenn die Leute misstrauisch in meine Richtung blicken, sehen sie immer noch mich an und nicht ihn.

Ich nehme auf dem Samtstuhl mit der hohen Rückenlehne neben ihm Platz, lege den Knöchel auf das Knie und setze eine gelangweilte Miene auf.

»Dich hätte ich hier nicht erwartet, Tristan. Willst du deine zukünftige Königin kennenlernen?«, fragt Michael und deutet auf Lady Beatreaux auf seiner anderen Seite.

Ich werfe ihr einen Blick zu, und als ich ihr in die Augen sehe, zieht sich in meinem Bauch etwas zusammen. Über den Schoß meines Bruders hinweg strecke ich ihr die Hand entgegen und ziehe den linken Mundwinkel hoch. Es ist unangemessen, sich im Gespräch über den Schoß des Königs zu beugen, und ich wundere mich ein bisschen, dass Michael mir nicht Einhalt gebietet. Aber das würde die falsche Aufmerksamkeit auf ihn lenken. Er darf sich in der Öffentlichkeit keine Ausfälle leisten. Das würde nicht gut zu seinem Charisma passen.

Sie blickt lange auf meine ausgestreckte Hand, ehe sie ihre Finger in meine legt. Als ich ihre Handfläche an die Lippen führe und einen sanften Kuss auf den Handrücken hauche, zuckt es in meiner Brust vor Überraschung. »Hallo, liebe Schwester!«

Michael schnaubt. »Vergraule das Mädchen nicht schon innerhalb der ersten zwei Wochen.«

»Sara«, flüstert sie und ignoriert meinen Bruder.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch.

»Nennt mich Sara. Wir werden schließlich bald eine Familie sein.« Ein ansprechendes Lächeln huscht über ihr Gesicht. Es erreicht ihre Augen nicht, doch das steigert nur meine Neugier.

»Geben Sie sich keine Mühe, Tristan gegenüber freundlich zu sein, meine Liebe«, sagt Michael. »Er wird schon bald wieder irgendwo in der Gosse landen und sich nicht einmal mehr daran erinnern, dass er Sie kennengelernt hat.«

Mein Kiefer verkrampft sich, die Wut brodelt, breitet sich in meinem Blut aus und versengt meine Adern.

Sara beugt sich vor, ihr Oberkörper liegt fast vollständig auf Michaels Schoß, und ihre braunen Augen bohren sich in meine. »Ihr tut mir weh.«

Beim Blick hinunter stelle ich fest, dass ich immer noch ihre Hand halte und meine Knöchel weiß geworden sind. Ich lasse sie los.

»Ach, tatsächlich?« Ich grinse. »So leicht?«

Sie verengt die Augen.

»Das reicht«, zischt Michael.

Ich lache leise, lehne mich zurück und konzentriere mich auf die Soiree. Den Ellenbogen auf die Armlehne gestützt reibe ich mir das Kinn, der Dreitagebart ist rau unter meinen Fingern.

Lady Beatreaux beginnt ein Gespräch mit meinem Bruder über die langweiligsten Themen: das Wetter in Silva im Vergleich zu hier, wie sehr sie die Fahrt in einem Automobil genossen hat und ob sie am Sonntagmorgen mit ihm zur Messe gehen soll oder mit ihren Hofdamen.

Ich höre nur mit halbem Ohr zu, und als ich in der hinteren Ecke des Saales eine dunkle Gestalt entdecke, schlägt mein Herz schneller.

Edward steht stolz ein paar Meter entfernt, die Hand am Gürtel, sein Gewand in den Landesfarben Schwarz und Gold, ein geflochtenes goldenes Band dekoriert seine linke Schulter, auf der Brust trägt er unser Familienwappen.

Unsere Blicke treffen sich, und ich deute mit einem Nicken auf die schattenhafte Gestalt.

Er folgt der Bewegung, die Erkenntnis ist ihm ins Gesicht geschrieben, und er bewegt sich auf sie zu. Ein markerschütternder Schrei ertönt, und mir stehen die Haare zu Berge.

»Bei Gott!«, schreit jemand.

Edward stürmt durch die Menge, jegliche Maskerade ist verschwunden, packt die Gestalt und wirft sie zu Boden. Sie fällt auf die Knie, und die Kapuze des Umhangs rutscht herunter, lange, schmutzige Haare fallen dem Eindringling über die Schultern.

Es ist eine Frau.

Etwas Schweres fällt polternd zu Boden, gefolgt von erschrockenem Keuchen und Kreischen. Menschen springen zurück, die Gesichter voller Entsetzen. Wie in Zeitlupe rollt das Objekt auf das Podest zu und bleibt fast genau vor Michaels Thron liegen.

Er schnellt von seinem Platz hoch und starrt mit aufgerissenen Augen auf Lord Reginalds abgetrennten Kopf hinunter, dessen offene Augen und heraushängende Zunge blau sind. Zerschnittene Sehnen baumeln aus seinem Hals, und er hinterlässt eine Blutspur.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragt Michael.

Edward reißt die Frau hoch, verdreht ihr mit einer Hand die knochigen Handgelenke hinter dem Rücken, mit der anderen packt er ihre Haare und zwingt sie, Michael anzusehen.

Beim Anblick der Szene schlägt mein Herz schneller, und meine Finger werden steif.

Sie grinst böse, ihre Augen sind glasig und verrückt. »Das ist eine Warnung, Michael Faasa III.«

»Von wem?«, dröhnt Michael.

Ihr Grinsen wird breiter.

Michael ballt die Fäuste, seine Kiefermuskeln arbeiten. Mein Blick wandert zu seiner zukünftigen Braut, denn ich erwarte, dass sie entsetzt blickt, und habe den egoistischen Wunsch, in ihrer Angst zu schwelgen, darin zu baden wie in Sonnenschein und mich von ihr durch die Nacht tragen zu lassen.

Stattdessen sitzt sie schweigend da, den Kopf schief gelegt, ein neugieriger Glanz liegt in ihrem Blick. Sie wirkt vollkommen gelassen und ungerührt.

Interessant.

»Ich bin dein König«, blafft Michael.

Die Frau krümmt sich zusammen, ein schrilles Gackern kommt ihr über die Lippen und entweicht in die angespannte Stille. Edward zieht sie hoch und verstärkt seinen Griff in ihren Haaren.

Sie spuckt auf den Boden. »Du bist nicht mein König.«

Xander taucht in der Menge auf und stürmt auf die Wahnsinnige zu. »Wer hat das Lord Reginald angetan? Warst du es?«