Schattenmann der Staatssicherheit - Heidrun Budde - E-Book

Schattenmann der Staatssicherheit E-Book

Heidrun Budde

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Beschreibung

Eltern suchen bis heute nach ihren Kindern, die in der DDR spurlos verschwunden sind. Zweifelhafte Gründe für Heimeinweisungen entzogen Vater und Mutter das Mitspracherecht über den Lebensweg ihrer Söhne und Töchter. Zahlreiche Indizien und ein erster belegter Fall für einen Babyraub durch einen vorgetäuschten Tod werfen die Frage auf, wo diese Kinder abgeblieben sind. Nach jahrelangen Recherchen in unterschiedlichen Archiven und dem Kontakt zu Zeitzeugen mit Insiderwissen offenbarte sich, dass es in der DDR ein streng geheimes Rekrutierungssystem für Eliteeinheiten gab, das von einem Mann geführt wurde, der 1945 angeblich in den Trümmern von Berlin verstorben sein soll - Ex-Gestapochef Heinrich Müller. In diesem Buch wird die zweite Lebenshälfte von Gestapo-Müller aufgedeckt, der für seinen Untergrundapparat familiengelöste Kinder und Jugendliche einfangen und zu Eliteeinsatzkräften drillen ließ. Es war ein sowjetisch-deutsches Gemeinschaftsprojekt, das bereits 1987 aufgelöst wurde, und es gibt heute starke Bestrebungen in Ost und West, diese dunkle Seite der DDR-Vergangenheit für immer zu verschweigen.

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Heidrun Budde

Schattenmann der Staatssicherheit

Auf den Spuren von Gestapo-Müller

© 2024 Dr. Heidrun Budde

ISBN Softcover: 978-3-347-98893-4

ISBN Hardcover: 978-3-347-98894-1

ISBN E-Book: 978-3-347-98895-8

Druck und Distribution im Auftrag:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne schriftliche Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Kontakt zur Autorin über E-Mail: [email protected]

Dieses Buch widme ich allen zwangsrekrutierten Kindern und Jugendlichen, den verschwiegenen Opfern des SED-Regimes.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Vorwort

Müller erste Lebenshälfte

Müllers Weg nach 1945

Aufnahme in Moskau

Privatleben in Moskau

Müllers Heimkehr 1952

Müllers Dienstsitz in Fürstenwalde/Spree

Die U-MA-Zentrale

U-Mitarbeiter

U-Mitarbeiter als „Geophysiker“

Absurdität der Täuschung – Urlaub für U-Mitarbeiter

U-Objekte

Objektlegende

VEM als „Legende“ der U-Objekte

Geldflüsse über die VEM

„Legenden“ durch Volkseigene Betriebe

Müllers „eigener Kosmos“

Autorität des U-MA-Chefs

Führungsanspruch des U-MA-Chefs

Müllers Konkurrenten

Oberst Gustav Röbelen

Oberstleutnant Werner Kukelski

Generalleutnant Markus Wolf

Anonyme Hinweise zum Zustand des MfS 1959

„H.V.A.“ in der Kritik

Heinrich Müller – Autor des anonymen Schreibens?

Müllers Personal

Die Stadt Fürstenwalde/Spree

Rückkehrer nach Fürstenwalde/Spree

Zuziehende nach Fürstenwalde/Spree

Finanzierung der U-MA-Zentrale

Verbindung der „Freunde“ zur HA VIII des MfS

Personalrekrutierung für die UM-A-Zentrale

Schwierige Freiwilligenrekrutierung für das MfS

Rekrutierung von „Perspektivkader“

Kaderpolitische Auslese

Gesundheitliche Eignungsprüfungen

Suche nach geeigneten Einstellungskandidaten

Kinder von MfS-Angehörigen

Dagmar G.

Kaderwerbung in der NVA

Fazit zur Freiwilligenrekrutierung

Alternative Personalrekrutierung über „Kaderstützpunkte“

Personalzuführungen durch systemtreue Helfer in der Bevölkerung

Kaderstützpunkt Schule

Kinder für die U-MA-Zentrale

Kinder in der Ausbildung der Staatssicherheit

Kinder von „Republikflüchtlingen“

Rekrutierung durch einen vorgetäuschten Säuglingstod?

Zustände in den Spezialkinderheimen und Jugendwerkhöfen

Belege für zwangsrekrutierte Kursanten

Kranke Kursanten

Ahnungslose Kursanten

Die „Knochenmühle“ der MfS-Ausbildungscamps am Beispiel Struvenberg

Müllers „böse Buben“

Müllers schriftliche Anmerkungen

Das Originaldokument

Schriftenvergleich

Fazit der Nachforschungen

Müllers Leben in der U-MA-Zentrale

Auflösung der U-MA-Zentrale

U-MA-Zentrale – Drehscheibe alter SS-Kameradschaften

Alois Brunner in der U-MA-Zentrale

Diverse andere Kontakte

Was wurde aus Müllers „Jungs“?

Heinrich Müller auf einem jüdischen Friedhof beigesetzt?

Nachwort

Danksagung

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Schattenmann der Staatssicherheit

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Vorwort

Literaturverzeichnis

Schattenmann der Staatssicherheit

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Vorwort

Legenden bildeten sich um das Verschwinden von Ex-Gestapochef Heinrich Müller. Doch bis heute konnten seine sterblichen Überreste nicht aufgefunden werden.

Als ich Kontakte zu ehemaligen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) bekam, die mir erzählten, dass sie jahrelang unter der Führung von Müller gearbeitet hätten, hielt ich das zunächst für eine weitere Legende.

Im Zuge des jahrelangen Austausches erkannte ich allerdings immer mehr, dass diese Aussagen authentisch sein mussten. Nach und nach begriff ich das raffinierte System der Geheimhaltung, Vertuschung und Täuschung, das mit Müllers zweiter Lebenshälfte verbunden gewesen sein muss. Einer der Männer brachte es mit dem Satz auf den Punkt: „Uns gab es ja eigentlich nicht.“

Nach Zeitzeugenberichten kam Heinrich Müller Anfang der 50iger Jahre aus Moskau in die DDR. Er baute sich mit Hilfe des sowjetischen Geheimdienstes einen Untergrundapparat auf, der strengster Geheimhaltung unterlag. Die Aktenvernichtung soll rechtzeitig und gründlich bis 1987 erfolgt sein. Die Chance, Müllers Spuren zu finden, war deshalb gering.

Ein weiteres Problem war der schwierige Erkenntnisprozess, wie dieser Apparat aufgebaut war, welche Tarn-bezeichnungen verwendet wurden, was sich hinter dieser Fassade tatsächlich verbarg und wie die Strukturen funktionierten.

Die Zeitzeugen berichteten, dass sie zu einer „U-MA-Zentrale“, angelehnt an den Begriff U-Mitarbeiter („Unbekannter Mitarbeiter“), gehörten, die ihren Dienstsitz unter dem Dach einer sowjetischen Kaserne in Fürstenwalde/Spree hatte.

In dieser Kaserne soll Heinrich Müller als U-MA-Chef im Auftrage des sowjetischen Geheimdienstes in enger Zusammenarbeit mit der MfS-Führungsebene tätig gewesen sein. Sein Lebensbereich und seine Gewohnheiten wurden mir sehr konkret beschrieben.

Nach den Berichten agierte Müller jahrzehntelang heimlich und weitestgehend unerkannt im MfS-Apparat und er soll gerne schriftliche Anmerkungen gemacht haben, eine Angewohnheit noch aus NS-Zeiten. „Müller war ein gelernter Kriminologe, er handelte wie ein Musterbürokrat, brachte alles und jedes zu Papier und beraumte immer wieder Besprechungen mit einer großen Zahl von Untergebenen an. Auch behielt er sich das letzte Wort vor.“1

Deshalb konzentrierte sich die Nachsuche beim Bundesbeauftragen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) auf Dokumente, die Anmerkungen von Müller enthalten konnten.

Die Zeitzeugen wiesen darauf hin, dass der UM-A-Chef ein besonderes Interesse an der Ausbildung von Eliteeinsatzkräften zeigte, die für brisante Einsätze ins westliche Ausland geschickt wurden.

Gezielte Recherchen in den einstmals streng geheimen Berichten der MfS-Ausbildungsstätte Schule I „Maria“ in Struvenberg waren erfolgreich. Es konnten Dokumente aufgefunden werden, auf denen sich laut Zeitzeugenbestätigung die Schrift von Müller befindet.

Daneben fand ich in einer BStU-Akte ein Dokument mit Müllers Unterschrift. Zusätzlich wurden mir als Beleg für die Zeitzeugenauskünfte zwei Originalfotos des Ex-Gestapochefs im hohen Alter gezeigt.

In diesem Buch wird der Weg von Heinrich Müller nach 1945 aufgezeigt, so, wie er sich aus den Akten, aus den Überlieferungen der Zeitzeugen, die mit Müller Kontakt hatten, und aus bisher erschienenen anderen Quellen ergibt.

Dieses Buch kann nur einen Anfang geben und es soll weitergehende Recherchen anregen. Ich bin mir sicher, dabei werden sich Zusammenhänge auftun, die ein völlig neues Licht auf die jüngste deutsche Vergangenheit werfen.

1 Bornschein, Joachim: Gestapochef Heinrich Müller. Technokrat des Terrors. Militzke Verlag Leipzig 2004, S. 104.

Müller erste Lebenshälfte

Heinrich Müller wurde am 28. April 1900 als einziges Kind des Gendarmerie- und Verwaltungsbeamten Alois Müller und seiner Ehefrau Anna in München geboren. Er wuchs in einem katholischen Elternhaus auf, das ihn sehr prägte.

Müller absolvierte eine Lehre als Flugzeugmonteur, nahm am Ersten Weltkrieg teil und wurde im Alter von 19 Jahren Hilfsassistent bei der Polizeidirektion München. In den zehn folgenden Jahren wurde er zum Polizeiassistenten und 1929 zum Polizeisekretär befördert.

Bis 1933 war Müller ein „ausgesprochener Gegner des Nationalsozialismus“2 und ursächlich war dafür wohl seine strenge katholische Erziehung, denn der Papst warnte vor dieser Ideologie und verbreitete am 23. September 1930 im jesuitisch-päpstlichen Organ, der „Osservatore Romano“, „dass die Zugehörigkeit zum Nationalsozialismus unvereinbar sei mit dem katholischen Gewissen.“3

Müllers Einstellung änderte sich erst 1933, dem Jahr der Machtergreifung von Hitler. Zu diesem Zeitpunkt über-nahm Reinhard Heydrich die Aufgabe des stellvertretenden Chefs der bayrischen Polizei. Müller wurde im Mai 1933 zum Polizeiobersekretär und im November 1933 zum Kriminalinspekteur befördert und zur bayrischen politischen Polizei in München versetzt. 1934 trat er der SS bei.

Im April 1934 nahm Heydrich Müller mit nach Berlin: „Doch sein neuer Vorgesetzter, Reinhard Heydrich, war auf sein Fachwissen angewiesen. Zudem beeindruckte Müller mit Rücksichtslosigkeit und enormen Fleiß sowohl Heydrich als auch Himmler innerhalb kürzester Zeit. Sie nahmen ihn im April 1934 mit nach Berlin, wo er nun eine steile Karriere im Gestapa machte.“4

Er wurde zum Kriminaloberinspektor befördert und übernahm die Aufgabe eines Abteilungsleiters: „Müller war ein Schreibtischtäter per exellence, apart, unnahbar, reserviert, aber äußerst korrekt in der Durchführung seiner ihm übertragenen Aufgaben. Als Leiter des Amtes IV waren ihm zahlreiche Referate und Unterabteilungen unterstellt. Für alle in diesen Referaten begangenen Verbrechen trägt Müller die volle Verantwortung. Das Schutzhaft-Referat (IV-C-2) stellte das wichtigste Instrument der Gestapo dar. In dieser Abteilung wurden nicht nur Schutzhaftanträge, sondern auch alle Einweisungen in die Konzentrations-lager bearbeitet. Von immenser Bedeutung war ebenfalls die Abteilung Kriegsgefangenen-Angelegenheiten (IV-A-1). In diesem Referat wurden die sogenannten Sonderbehandlungen angeordnet, wobei sich Müller die Entscheidungen über Hinrichtungen und ,Sonderbehandlungen‘ vorbehielt. Hervorzuheben sind in dieser Hinsicht das speziell für die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener eingerichtete Referat (IV-A-1-c) sowie Adolf Eichmanns Juden-Referat (IV-B-4).“ 5

Müller gehörte zu den bedeutendsten Schreibtischtätern des NS-Staates. Er war Teilnehmer der Wannsee-Konferenz und Vorgesetzter von Adolf Eichmann, der über ihn sagte: „Müller war noch mehr gefürchtet als der Reichsführer Himmler.“6

Wie viele Morde auf seine Veranlassung hin geschahen, kann nur geschätzt werden,7 aber Müller schreckte auch nicht davor zurück, selbst Hand an zu legen, wenn Verrat in den eigenen Reihen entdeckt wurde, so im Fall Lehmann.

Willy Lehmann stieg 1938 im Amt IV E 1 des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) zum Leiter der „Personenregistratur“ auf. Er war im Polizeipräsidium auf NS-Gegner spezialisiert. Schon 1930 ließ er sich vom sowjetischen Geheimdienst anwerben, um seine finanziellen Mittel für Pferdewetten aufzubessern. Er lieferte Informationen über geplante Verhaftungen, so dass sich die Personen rechtzeitig absetzen konnten.

Ende Juni 1942 wurde eine Nachricht abgefangen, die Lehmann als Zuträger belastete. SS-Gruppenführer Heinrich Müller ließ ihm eine Falle stellen. Man gab Lehmann eine fingierte russische Nachricht, dass er im Tiergarten ein vergrabenes Funkgerät und 10.000 RM finden würde. Lehmann suchte diese Stelle auf und wurde verhaftet:

„Damit Lehmann von der SS-Wache der Prinz-Albrecht-Straße nicht erkannt wurde, ließ ihn Strübing einen Sack über den Kopf stülpen. Dann wurde er in das Dienstzimmer von Heinrich Müller geprügelt. In dessen Gegenwart legte Lehmann ein Geständnis ab, worauf Müller ihn stehenden Fußes erschoss.“8

Der Verrat von Lehmann wurde vertuscht. Offiziell wurde die Nachricht verbreitet, dass er „für Führer und Reich“ sein Leben geopfert hätte. Müller hatte angewiesen, die Affäre hausintern und mit höchster Geheimhaltungsstufe abzuwickeln.

Heinrich Müller gehörte bis zum Schluss zu den gefürchteten und getreusten Gefolgsleuten Adolf Hitlers. Noch im April 1945 gab er den Befehl, alle im Lehrter Gefängnis Berlin inhaftierten politischen Häftlinge zu erschießen.9 Das Schwurgericht Stuttgart stellte 1945 anhand von Dokumenten und Zeitzeugenaussagen die Schuld von Müller eindeutig fest und brachte zum Ausdruck, dass der Ex-Gestapochef als Täter und Mittäter, nicht aber als Gehilfe anzusehen war.10

Sein Verschwinden im Jahre 1945 ist bis heute mysteriös, wurde kontrovers diskutiert und führte zu unterschiedlichen Spekulationen.

2 Fest, Joachim C.: Das Gesicht des Dritten Reiches. Profile einer totalitären Herrschaft, Piper München 11. Auflage 1994, S. 446. Müller trat erst 1939 der NSDAP bei.

3 Ludendorff, Erich: Hitler entlarvt! Schwarzbraunes Edelmenschtum vereint! Ludendorffs Volkswarte Verlag ohne Datum, S. 11.

4 Dams, Carsten; Stolle, Michael: Die Gestapo. Beck Verlag München 2008, S. 52.

5 Bornschein, Joachim: Gestapochef Heinrich Müller. Technokrat des Terrors. Militzke Verlag Leipzig 2004, S. 11.

6 Ebenda S. 125.

7 "Für viele in den KZ ermordete Häftlinge trägt Müller die Verantwortung. So sind auf Anweisung Müllers in mehreren Konzentrationslagern Massenerschießungen, insbesondere von sowjetischen Kriegsgefangenen, durchgeführt worden." Bornschein, Joachim: Gestapochef Heinrich Müller. Technokrat des Terrors. Militzke Verlag Leipzig 2004, S. 174.

8 Der Fall ist ausführlich dokumentiert bei Koch, Peter-Ferdinand: Enttarnt. Doppelagenten: Namen, Fakten, Beweise. Ecowin Verlag Salzburg 2011, S. 40-43, Zitat auf S. 42.

9 Bornschein, Joachim: Gestapochef Heinrich Müller. Technokrat des Terrors. Militzke Verlag Leipzig 2004, S. 175.

10 Ebenda S. 86.

Müllers Weg nach 1945

Heinrich Müller hielt sich noch im April 1945 im Führerbunker in Berlin auf.11 Danach verliert sich seine Spur.

Müller berichtete seinen Männern, dass er sich allein bis nach Bayern durchgeschlagen hat und zunächst im Kloster Andechs Aufnahme fand.

Meine Anfrage an den Abt des Klosters vom 29. November 2011, ob diese Angaben bestätigt werden können, blieb unbeantwortet. Eine amerikanische Militärstreife soll ihn 1945 aufgegriffen und festgenommen haben, als er sich zeitweilig außerhalb des Klosters aufhielt.

Müller erzählte den Zeitzeugen, dass er in Nürnberg vor Gericht gestellt werden sollte, aber gerettet hätte ihn ein Gebietsaustausch zwischen der amerikanischen und sowjetischen Seite. Weil die Amerikaner diesen Gebietsaustausch wegen einer Eisenbahnlinie unbedingt wollten, hätten sie Heinrich Müller sozusagen als „Draufgabe“ an Stalin übergeben, der ein großes Interesse an diesem „Fachmann“ gehabt haben soll.12

Diese Selbstdarstellung von Müller, dass er ohne sein Zutun aufgrund des Abkommens an Stalin überstellt wurde, sollte ihn offensichtlich vor seinen Männern in ein besseres Licht stellen.

Eher wahrscheinlich ist eine gezielte Anwerbung durch die sowjetische Seite, denn Stalin soll Müller gekannt und geschätzt haben. Hannah Arendt bezeichnete ihn als eine „Autorität auf dem Gebiet des sowjetrussischen Polizeisystems.“13

Der Ex-Gestapochef erzählte seinen Männern, dass er Ende der zwanziger/Anfang der dreißiger Jahre mehrmals in Moskau war, auch zu Gesprächen mit Stalin und dass er bei der Verhaftung des Marschalls Tuchaschewski mitgeholfen hätte. Die gefälschten Papiere, die Tuchaschewski belasteten, kamen von der Gestapo aus Berlin und Stalin vergaß solche „Freundschaftsdienste“ nicht.14

Es ist inzwischen belegt, dass der sowjetische Diktator zunächst eine große Sympathie für Hitler und Deutschland empfand. Als ihn die Nachricht über die „Säuberungen“ innerhalb der SA aus Deutschland erreichte, kommentierte er das mit den Worten: „Hitler, was für ein großer Mann! So geht man mit seinen politischen Gegnern um.“15

Die Sympathie beider Diktatoren war gegenseitig. So stellt Hannah Arendt heraus: „Unbedingten Respekt hatte Hitler nur für den ‚genialen Stalin‘, und wenn uns auch für Stalin und die russische Herrschaftsform das reiche Quellenmaterial, das wir für Deutschland besitzen, nicht zur Verfügung steht, (…) so gibt es doch viele Anhaltspunkte dafür, daß Hitlers Gefühle, die natürlich auf einer sehr exakten Erkenntnis der Verwandtschaft der beiden Systeme gegründet waren, nicht unerwidert blieben.“16

Stalin las Bücher über Bismarck und Hindenburg und bezeichnete Berija als seinen Himmler. Er beschaffte sich eine eigens gefertigte Übersetzung von Hitlers Buch „Mein Kampf“ und diskutierte mit Schdanow endlos über das Für und Wider eines Bündnisses mit Deutschland.17

Bis zum Überfall auf die Sowjetunion gab es ausgesprochen freundschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Diktatoren. Den Höhepunkt erlebte diese Zusammenarbeit mit dem Moskauer Vertrag vom 23. August 1939 (Nichtangriffspakt), der in der Anlage das geheime Zusatzprotokoll über die geplante Aufteilung Polens beinhaltete.18

Stalin sah sich lange Zeit als Verbündeter Hitlers und noch als er vertrauliche Informationen über den beabsichtigten Überfall Deutschlands bekam, ignorierte er diese Warnungen. „Bis zur letzten Stunde glaubte er an ein mögliches Komplott mit Hitler auf Kosten der anderen Völker und seines eigenen Volkes, das so großzügig und fügsam war.“19

Stalin schätzte Müller aus dieser Zeit der Zusammenarbeit. Vom Ex-Gestapochef sind zwar Äußerungen überliefert, dass er sich erschießen werde, „denn um nichts in der Welt wolle er den Russen lebend in die Hände fallen“20, aber er hatte nach der Verhaftung durch die Amerikaner gar keine andere Wahl als dem Werben der sowjetischen Seite nachzugeben, denn in Nürnberg hätte ihn als Vorgesetzter von Adolf Eichmann mit großer Sicherheit die Todesstrafe erwartet.

Aufnahme in Moskau

Müllers Reise ging nach seinen Erzählungen von Nürnberg über Berlin nach Moskau. Das deckt sich mit Berichten von SS-Obersturmbannführer Otto Skorzeny über ein Anwerbegespräch mit einem sowjetischen Staatsanwalt im November 1945 (vor seiner Gerichtsverhandlung) in Nürnberg, der ihm in Aussicht stellte: „Es wäre mir ein Leichtes, Sie in zwei oder drei Tagen durch unsere Kommandostellen nach Berlin rufen zu lassen. Dort könnten Sie sich bei uns eine Beschäftigung aussuchen, die Ihren großen Fähigkeiten entspricht.“21 Skorzeny lehnte dieses Angebot aus Moskau ab und stellte sich dem Nürnberger Gericht.

„Westliche wie östliche Geheimdienste warben ehemals hochrangige NS-Funktionäre als Agenten an: Schwer belastete Kriegsverbrecher fanden so eine Anstellung. Gefragt waren diese Leute wegen ihres informellen Wissens sowie aufgrund ihrer Kontakte zu ehemaligen SS-Kameraden. Je höher Status und Funktion im NS-Regime, umso begehrter waren sie offenbar für die Geheimdienste.“ 22

Der genaue Zeitpunkt von Müllers Reise ist nicht bekannt, wahrscheinlich noch 1945. Es soll eidesstattliche Versicherungen deutscher Kriegsgefangener geben, die besagen, dass Heinrich Müller Vernehmungen in der Sowjetunion durchgeführt hat und Viktor Abakumov vom sowjetischen Geheimdienst bestätigte Müllers Aufenthalt in Moskau.

„Der Mitarbeiter des KGB Abakumov gab an, daß Müller in die Sowjetunion gebracht und dort verhört worden sei. Abakumov will Auszüge aus der Einsatzbesprechung und dem Verhör mit Müller gelesen haben.“23

Auch Walter Schellenberg behauptete, dass Müller „im letzten Berliner Akt zu den Sowjets übergelaufen sei, für die er schon lange heimlich gearbeitet habe.“24

Stalin muss den deutschen „Fachmann“ ausgesprochen freundlich aufgenommen haben, denn nach Zeitzeugenerzählungen soll er noch Jahrzehnte später mit Verehrung vom sowjetischen Diktator gesprochen und eine Büste von ihm auf seinem Schreibtisch gehabt haben.

Müller soll sein Fachwissen beim Aufbau von Schulen nach dem Vorbild der „Nationalpolitischen Erziehungsanstalten“ (Napola) zur Verfügung gestellt haben. In der Sowjetunion wuchsen fast eine Million Kinder in Heimen auf.25 Da war die Auswahl für politisch gedrillten Nachwuchs groß.

Die Zeitzeugen berichteten, dass Stalin Müllers Mitarbeit belohnte und dass in seinem Wohnzimmer eine Vitrine stand, in der die goldenen Orden von Stalin, auf Samtkissen gebettet, ausgestellt waren.

Privatleben in Moskau

Heinrich Müller nannte seine Ehefrau in Gegenwart der Zeitzeugen „Ännchen“, aber offiziell soll ihr Name Olga gewesen sein. Er soll seine Olga mit Stalins Segen im August 1947 in der Datscha Kunzewo und zeitnah auch kirchlich in Krin bei Moskau geheiratet haben, so erzählte er das in den Donnerstagsrunden, die er mit seinen Männern abhielt. Trauzeugen sollen Stalin und Berija gewesen sein.

Über die Person der Olga („Ännchen“) kann nur spekuliert werden. Aufgrund des Namens zog ich zunächst in Erwägung, dass es sich um Stalins Schwägerin Anna Redens (geborene Allilujewa) gehandelt haben könnte, denn vieles, was mir die Zeitzeugen aus Olgas Leben erzählt haben, passt auf deren Biographie.

Müllers Olga („Ännchen“) soll in erster Ehe mit einem Offizier verheiratet gewesen sein, der dem Stalinistischen Terror zum Opfer fiel. Sie hatte zwei Söhne aus dieser Beziehung und sie soll zeitweilig in einem Gulag interniert gewesen sein.

Ähnliches wird aus dem Leben der Anna Redens berichtet. Stalin kannte Anna von Kindesbeinen an, hatte ein enges Verhältnis zu ihren Eltern. Er war in zweiter Ehe mit Nadeschda Allilujewa, der Schwester von Anna Redens, verheiratet. Ihm wird auch eine frühere Affäre mit der Mutter Olga der beiden Mädchen nachgesagt.

Olga Allilujewa hatte deutsche Wurzeln. Sie war die Enkelin von Maria Margaretha Aichholz, die 1816 aus Wolfsöldern nach Elisabethtal bei Tiflis auswanderte.

Olga soll im Kreml „das Leben einer grande dame“ geführt haben.26

Stalins Verhältnis zu seiner Schwägerin Anna Redens war widersprüchlich. 1940 ließ er ihren Ehemann Stanislas Redens erschießen, hielt aber weiter engen Kontakt zur Witwe und den Kindern, was sonst nicht üblich war.

Trotz einiger Auseinandersetzungen fanden Anna Redens und Stalin immer wieder zueinander. Stalin schätzte Annas Meinung. Als ein Institut nach seiner verstorbenen zweiten Frau benannt werden sollte, entschied das Stalin nicht selbst, sondern leitete die Anfrage an Anna mit den Worten weiter: „Bitte lass mich Deine Meinung wissen.“27

Die Witwe Anna Redens wäre die perfekte Ehefrau für Heinrich Müller gewesen, denn Stalin erkannte private Beziehungen nicht an. „Er betrachtete die Ehefrauen gleichsam als Geiseln, um das Wohlverhalten seiner Genossen zu erzwingen und Fehltritte zu bestrafen.“28

Mit Anna an Müllers Seite würde er eine perfekte Kontrolle über den Ex-Gestapochef ausüben können. Anna war trotz aller Auseinandersetzungen immer loyal zu Stalin und hatte sein Vertrauen.

Allerdings spricht etwas, neben der offiziellen Darstellung, dass sie 1964 verstorben ist, gegen die Annahme, dass Anna Redens seine Ehefrau war, denn sie wurde 1896 geboren.

Laut Zeitzeugenauskünften hatten Müller und Olga („Ännchen“) zwei Söhne. Gerhard, der 1951 in Moskau geboren wurde und Josef, der im Todesjahr von Stalin, 1953, geboren wurde und der wohl in Verehrung des sowjetischen Diktators seinen Vornamen bekam. 1951 und 1953 wäre Anna Redens bereits 55 und 58 Jahre alt gewesen und es ist nahezu ausgeschlossen, dass sie noch in so hohem Alter Kinder bekommen hat.

Die Zeitzeugen zeigten mir ein Kinderfoto (im Original) von einem der Söhne von Müller und Olga („Ännchen“). Die Ähnlichkeit des Kindes mit den Mädchen der Familie Allilujew ist verblüffend. Doch wer Olga („Ännchen“) tatsächlich war, ob sie zur Familie Allilujew gehörte, konnte leider nicht ermittelt werden.

Augenzeugen beschreiben sie als eine kleine dunkelhaarige Frau, die sich überall einmischte und stets an Müllers Seite war, ihn umsorgte und sehr aufpasste, dass es ihm gut ging. Sie soll auch Berichte für den sowjetischen Geheimdienst gefertigt haben.

Ich wollte herausfinden, ob die Heirat von Müller registriert ist. Der Dekan der Juristischen Fakultät der Univer-sität Rostock unterstützte meine wissenschaftlichen Nachforschungen. Am 16. Juni 2011 richtete er ein Schreiben an das Staatliche Archiv in Moskau und bat um eine Auskunft, ob eine solche Eheschließung im August 1947 unter dem Namen Müller oder Iwanow (Müller soll den Namen Alexander Iwanow benutzt haben) registriert ist.

Zeitgleich unterstützte mich eine Wissenschaftlerin in Moskau direkt vor Ort bei meinen Nachforschungen. Auch sie bemühte sich um diese Auskunft.

Leider vergeblich. Am 28. Oktober 2011, nach vier Monaten Wartezeit, teilte man mit, dass solche Auskünfte nur an Angehörige gegeben werden. Die Frage, ob überhaupt ein solcher Eintrag existiert, blieb unbeantwortet.

Die Wissenschaftlerin vor Ort fragte daraufhin auch in der Kirche in Krin nach. Dort wurde mitgeteilt, dass alle Unterlagen aus dieser Zeit abgegeben werden mussten und eine Auskunft deshalb nicht möglich sei.

11 Junge, Traudl: Bis zur letzten Stunde. Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben. List Verlag 2003, S. 189.

12 Es gab 1945 tatsächlich einen Gebietsaustausch, das so genannte Wanfrieder Abkommen (auch als Wodka-Whisky-Abkommen bezeichnet) vom 17. September 1945. Die Nord-Süd-Eisenbahnverbindung Bremen-Hannover-Göttingen-Eichenberg-Bebra führte im Raum Neuseesen/Werleshausen ca. 3 Kilometer durch die sowjetische Zone. Auf diesem Teil der Strecke kam es immer wieder zu Übergriffen auf die amerikanischen Transporte. Den Amerikanern war sehr an einer störungsfreien Bahnverbindung gelegen und als Ergebnis der Verhandlungen wurde ihnen diese ca. 3 km lange Eisenbahnlinie von sowjetischer Seite gegen Abtretung anderer Gebiete zugesprochen.

13 Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. Piper Verlag München 2004, 13. Auflage, S. 146.

14 Tuchaschewski war der jüngste Marschall der Sowjetunion, von adliger Herkunft und sehr beliebt, ein echter Konkurrent für Stalin. Am 26. Mai 1937 wurde er auf Befehl Stalins verhaftet, gefoltert und am 12. Juni 1937 erschossen. Siehe Fest, Joachim C.: Das Gesicht des dritten Reichs. Piper Verlag München 11. Auflage 1994, S. 447 und auch bei Skorzeny, Otto: "Meine Kommandounternehmen" Univer-sitas Verlag München 2007, S. 86. Skorzeny erinnerte sich an ein Gespräch mit Walter Schellenberg im April 1943, der ihm von einem "Unternehmen des Jahrhunderts" aus dem Jahre 1937 berichtete, womit die Vernichtung des Großen Generalstabes der Roten Armee und auch die Tuschaschewskiaffäre gemeint waren. Müller wurde im selben Jahr zum Oberregierungs- und Kriminalrat befördert und bekam das Polizeiverdienstkreuz.

15 Zitiert bei Overy, Richard: Die Diktatoren. Hitlers Deutschland, Stalins Rußland". Deutsche Verlagsanstalt München 2006, S. 91.

16 Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Piper Verlag München, 9. Auflage 2003, S. 664-665.

17 Montefiore, Simon Sebag: Stalin. Am Hof des roten Zaren. S. Fischer Verlag Frankfurt am Main 2010, S. 350.

18 Siehe Höffkes, Karl: Deutsch-sowjetische Geheimverbindungen. Grabert Verlag Tübingen 1988, S.209-213.

19 Nekrassow, Vladimir F.: Berija Henker in Stalins Diensten. Ende einer Karriere. Bechtermünz Verlag Augsburg 1996, S. 113.

20 Eberle, Henrik; Uhl, Matthias: Das Buch Hitler. Bastei Lübbe Verlag Köln 8. Auflage 2011, S. 455.

21 Skorzeny, Otto Meine Kommandounternehmen, Universitas Verlag München 2007, S. 411.

22 Dams, Carsten; Stolle, Michael: Die Gestapo. Herrschaft und Terror im Dritten Reich. Beck Verlag München 2008, S. 193.

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