Schlafstörungen und psychische Erkrankungen - Thomas Pollmächer - E-Book

Schlafstörungen und psychische Erkrankungen E-Book

Thomas Pollmächer

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Beschreibung

Sleep disturbances in individuals with psychological diseases may be a symptom of the underlying disease, a separate disturbance, or evidence of sleep-medicine conditions. Treatment is based on the cause, and may range from psychoeducational measures through behaviour therapy and drug approaches to mechanical forms of therapy. The book sums up all the essentials of sleep medicine for everyone treating people with sleeping disturbances in the field of psychological health care. It explains the foundations of sleep and sleeping disturbances and illustrates connections and interactions between sleeping disturbances and psychological diseases. Various procedures and options for diagnosis and treatment are discussed, as well as sociomedical aspects and consulting services for sleep disturbances.

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Thomas Pollmächer

Thomas C. Wetter

Schlafstörungen und psychische Erkrankungen

Eine Einführung für Ärzte und Psychologen

Verlag W. Kohlhammer

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Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-022983-9

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-033293-5

epub:   ISBN 978-3-17-033294-2

mobi:   ISBN 978-3-17-033295-9

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Inhalt

 

 

Vorwort

1 Schlaf und psychische Gesundheit – eine kurze Einleitung

2 Der normale Schlaf

3 Klassifikation von Schlafstörungen

4 Schlafmedizinische Diagnostik

5 Prinzipien der Therapie von Schlafstörungen und Tagesmüdigkeit

6 Affektive Störungen

7 Schizophrenie

8 Angststörungen

9 Zwangsstörungen

10 Trauma- und belastungsbezogene Störungen

11 Essstörungen

12 Persönlichkeitsstörungen

13 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) des Erwachsenenalters

14 Substanzinduzierte Schlafstörungen

15 Insomnien

16 Schlafbezogene Atmungsstörungen

17 Hypersomnien zentralen Ursprungs

18 Zirkadiane Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen

19 Parasomnien

20 Schlafbezogene Bewegungsstörungen

21 Schlaf und Schlafstörungen im Verlauf des Lebens

22 Sozialmedizinische Aspekte von Schlafstörungen

23 Schlafstörungen im Konsiliar- und Liäsondienst

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

 

Vorwort

 

 

Achtzig Prozent der Arbeitnehmer, oder hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung 34 Millionen Deutsche, schlafen schlecht. Seit 2010 ist die Zahl der Patienten mit Schlafstörungen um 66% angestiegen. 43% der Arbeitnehmer sind bei der Arbeit müde, 31% regelmäßig erschöpft. So steht es im Gesundheitsbericht der DAK 2017, der im März dieses Jahres publiziert wurde. Der gleichen Publikation ist aber zu entnehmen, dass nur etwas mehr als 1% der Versicherten eine diagnostizierte Schlafstörung hat und dass Schlafstörungen in der Fehlzeitenstatistik kaum eine Rolle spielen.

Wie nun also? Sind die Deutschen ein Volk müder und erschöpfter Zeitgenossen, die sich zu Millionen nachts schlaflos im Bett wälzen, oder sind Schlafstörungen medizinisch betrachtet ein absolut untergeordnetes Problem?

Beides ist falsch. Die exorbitanten Zahlen des DAK-Reports beruhen auf repräsentativen telefonischen Befragungen, die im Wesentlichen Banalitäten erfassen: Natürlich hat jeder von uns, und viele eben auch immer einmal wieder, eine schlaflose Nacht. Und natürlich hat nicht jeder, aber doch fast jeder von uns einmal einen Tag, an dem er bei der Arbeit müde ist – und sei es, weil er nach einer Familienfeier zu spät ins Bett gefunden hat. In aller Regel entsprechen solche kurzfristigen Störungen der Befindlichkeit aber keiner relevanten Erkrankung.

Falsch ist aber auch, dass Schlafstörungen und Müdigkeit am Tage medizinisch gesehen ein untergeordnetes Problem darstellen. Seriöse Statistiken und epidemiologische Studien belegen, dass behandlungsbedürftige Schlafstörungen etwa 10% der Bevölkerung betreffen – keine 34, aber doch immerhin 8 Millionen Menschen in Deutschland. Die allermeisten tauchen deshalb nicht in der offiziellen Krankheitsstatistik auf, weil es sich nicht um eine völlig eigenständige Erkrankung handelt, sondern um ein Symptom.

Ärzte und Psychologen, die im Bereich der psychischen Gesundheit tätig sind, wissen aus Erfahrung: Fast alle psychiatrischen Erkrankungen gehen bei der Mehrzahl der betroffenen Patienten mit Schlafstörungen einher. Oft verschwinden diese bei adäquater Behandlung der Grunderkrankungen, manchmal aber auch nicht. Und immer wieder stellen sich Patienten vor, die tatsächlich offenkundig keine psychiatrische Symptomatik zeigen – außer einer Schlafstörung. Müdigkeit, Erschöpftheit oder Tagesschläfrigkeit finden sich ebenfalls bei sehr vielen Patienten, stehen aber oft in keinem eindeutigen Verhältnis zum gestörten Schlaf.

Für Psychiater sowie ärztliche und psychologische Psychotherapeuten sind Schlafstörungen also täglich Brot.

Die Kenntnisse zu den Ursachen, der Diagnostik und den Behandlungsmöglichkeiten haben in den letzten 15 Jahren erheblich zugenommen, so dass es uns an der Zeit erscheint, sie erstmals in einer Monographie ausführlich darzustellen.

Ziel dieses Buches ist es nicht nur, den in Weiterbildung befindlichen oder bereits arrivierten Kolleginnen und Kollegen ein umfassendes Bild der Schlafstörungen bei psychiatrischen Erkrankungen einschließlich der primären Insomnie zu vermitteln, sondern ihnen darüber hinaus einen Überblick über alle Formen gestörten Schlafes zu geben. Schlafapnoesyndrome, Parasomnien, Bewegungsstörungen im Schlaf und zentralnervöse Hypersomnien kommen nicht nur gehäuft bei psychiatrischen Patienten vor, sie führen auch Patienten ohne eine Erkrankung im Kernbereich der Psychiatrie nicht selten primär zum Psychiater.

Wir hoffen, dazu beitragen zu können, dass möglichst viele Ärzte und Psychologen in unserem Fachbereich über ein breites schlafmedizinisches Grundwissen verfügen, welches ihnen die Einordnung aller schlafbezogener Beschwerden erlaubt und sie in die Lage versetzt, entweder selbst entsprechend therapeutisch zu handeln oder den Patienten gezielt an Spezialisten zu verweisen.

 

Ingolstadt und Regensburg, September 2017

Thomas Pollmächer

Thomas C. Wetter

 

1          Schlaf und psychische Gesundheit – eine kurze Einleitung

 

 

Guter, ungestörter, erholsamer und erfrischender Schlaf hat für die meisten Menschen eine sehr hohe Priorität. Allgemein wird angenommen, dass gesunder Schlaf eine wesentliche Voraussetzung für Wohlbefinden, seelische Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Ausdauer am Tage ist. Umgekehrt wird ein als schlecht erlebter Schlaf häufig nicht nur in Zusammenhang mit Müdigkeit und Tagesschläfrigkeit gebracht, sondern auch für Depressivität, Antriebsmangel und verminderte Widerstandskraft gegen körperliche Erkrankungen verantwortlich gemacht. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Schlafstörungen zu den häufigsten Gründen zählen, deretwegen Patienten ihren Hausarzt aufsuchen (Wittchen et al. 2001).

Schlafstörungen haben allerdings keinesfalls immer Krankheitswert. Im Gegenteil, kurzfristige Störungen des Ein- und Durchschlafens oder eine Verminderung der Schlafdauer im Rahmen akuter psychosozialer Belastungen oder akuter körperlicher Erkrankungen verschiedenster Art sind in aller Regel harmlos und vorübergehend und beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit tagsüber nicht oder zumindest nicht wesentlich. Ähnlich wie wir zwingend auf die ausreichende Zufuhr adäquater Nahrung angewiesen sind und doch einige Tage fasten können, ohne Sorge um unsere Gesundheit haben zu müssen, so ist auch Schlaf in ausreichender Qualität und Quantität ein unbedingtes Muss, und doch können wir einen kurzfristigen Mangel problemlos ausgleichen.

Länger- und langfristige Schlafstörungen, die viele Wochen, Monate oder Jahre andauern, stellen hingegen ein erhebliches und ernsthaftes Gesundheitsproblem dar. Die 12-Monats-Prävalenz klinisch relevanter Schlafstörungen beträgt in Europa mindestens 10% (Wittchen et al. 2011; Arnardóttir et al. 2016). Ursächlich führend sind psychiatrische Erkrankungen einschließlich der primären Insomnie und nächtlicher Atmungsstörungen, aber darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer relevanter Kausalitäten. Schlafstörungen sind gut behandelbare Erkrankungen. Die therapeutischen Optionen reichen von einer nächtlichen Überdruckbeatmung beim obstruktiven Schlafapnoesyndrom über pharmakologische Strategien bis hin zu sehr effektiven verhaltenstherapeutischen Verfahren bei verschiedensten Formen der Insomnie. Schlafstörungen führen bei vielen Patienten zu erhöhter Schläfrigkeit und gehören damit auch zu Hauptursachen müdigkeitsbedingter Unfälle im Haushalt, bei der Arbeit und im Straßenverkehr (Karimi et al. 2014). Zunehmend wird klar, dass Schlafstörungen auch ursächlich an der Entstehung metabolischer Erkrankungen, insbesondere Übergewicht und Diabetes, beteiligt sind. Und schließlich wird begründet vermutet, dass Schlafstörungen nicht nur Symptome psychiatrischer Erkrankungen sind, sondern deren Entstehung auch begünstigen können (Riemann und Hajak et al. 2009).

Dennoch ist sowohl die klinische, wissenschaftliche Beschreibung der Phänomenologie von Schlafstörungen als auch die ihrer Ursachen und gesundheitlichen Folgen deutlich komplexer, als dies auf den ersten Blick scheint.

Ein wesentliches Problem stellt in diesem Zusammenhang die Diskrepanz zwischen der subjektiven Beurteilung des Schlafes und den Ergebnissen objektiver Messungen dar. Es kommt durchaus häufig vor, dass Menschen ihren Schlaf als völlig ungestört beschreiben und empfinden, obwohl sich im Schlaflabor erhebliche Störungen der Schlafkontinuität oder eine Verminderung der Schlafdauer objektivieren lassen. Ganz typisch ist dies bei Patienten mit nächtlichen Atmungsstörungen wie zum Beispiel dem obstruktiven Schlafapnoesyndrom. Umgekehrt klagen sehr viele Patienten über schwere Störungen des Ein- und Durchschlafens oder eine verminderte Dauer oder Erholsamkeit des Nachtschlafes, ohne dass sich im Schlaflabor relevante Normabweichungen objektivieren lassen. Dies ist typisch für Patienten mit primärer Insomnie, kommt aber auch häufig bei Schlafstörungen im Rahmen anderer psychiatrischer Erkrankungen vor.

Subjektive Wahrnehmung und objektiv messbare Aspekte des Schlafes sind allerdings nicht völlig unabhängig voneinander. Insbesondere bei Gesunden sind die entsprechenden Korrelationen hoch, die Zusammenhänge also eng. Im Kontext gestörten Schlafes hingegen können die Diskrepanzen enorm sein, was einerseits darauf hindeutet, dass Schlaferleben mit objektiven Messungen nicht umfassend und vollständig beschreibbar ist, andererseits aber auch zeigt, dass nicht jede Form einer Schlafstörung dem subjektiven Erleben und Empfinden direkt zugänglich ist.

Ähnlich verhält es sich mit Störungen der Tagesbefindlichkeit, die mit Schlafstörungen einhergehen. Messbare Veränderungen, wie zum Beispiel eine erhöhte Einschlafneigung oder verminderte Vigilanz am Tage gehen nicht zwingend mit dem subjektiven Eindruck von Tagesmüdigkeit einher und umgekehrt klagen viele Patienten ohne objektivierbare Veränderungen der Vigilanz über extreme Müdigkeit; oft zeigen diese Patienten sogar eine gegenüber Gesunden verminderte Einschlafneigung.

Schlafgestörte Patienten berichten über eine Vielzahl von Befindlichkeitsstörungen am Tage. Hierzu zählen neben Schläfrigkeit, Müdigkeit und Erschöpftheit Irritabilität, Unruhe, Traurigkeit und Konzentrationsstörungen. Überhaupt finden sich nahezu alle psychopathologischen Symptome bei schlafgestörten Patienten und umgekehrt gelten Schlafstörungen in unterschiedlicher Ausprägung als Symptome nahezu aller psychiatrischen Störungen (Baglioni und Riemann 2016). Diese enge Assoziation begründet die hohe Relevanz der Schlafmedizin für Psychiatrie und Psychotherapie. Die Bedeutung gestörten Schlafes für die psychische Gesundheit geht dabei weit über die symptomorientierte Betrachtungsweise hinaus. Schlafstörungen sind zwar häufig Symptom einer anderen psychiatrischen Erkrankung, sie können aber auch im Sinne einer primären Insomnie die Kernsymptomatik einer eigenständigen psychiatrischen Störung darstellen oder sie können hinweisend auf eine andere komorbide schlafmedizinische Problematik sein.

Komorbide schlafmedizinische Erkrankungen kommen bei psychiatrischen Patienten einerseits akzidentell in der gleichen Häufigkeit vor wie in der Allgemeinbevölkerung. Manche treten aber auch überzufällig häufig auf, wie zum Beispiel das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom oder das Restless-legs-Syndrom (RLS). Die Gründe hierfür sind vielfältig und reichen von der Induktion eines RLS durch manche Psychopharmaka über die erhöhte Prävalenz der Adipositas, eines Risikofaktors für nächtliche Atmungsstörungen, bei Menschen mit psychischen Erkrankungen, bis hin zu möglicherweise direkten Kausalzusammenhängen.

Einige wenige Fragen zum Schlaf sind Teil jeder sorgfältigen psychiatrischen Statuserhebung, auch dann, wenn Patienten von sich aus keine Schlafstörungen berichten. Hierzu gehören nicht nur Fragen, die das Ein- und Durchschlafen betreffen, sowie spezifische schlafbezogene Phänomene wie Schnarchen, Albträume oder das frühmorgendliche Erwachen, sondern auch Aspekte der Vigilanz am Tage, z. B. Müdigkeit oder Tagesschläfrigkeit. Wenn aus Sicht des Patienten schlafbezogene Symptome weder im Vordergrund stehen noch als sehr belastend erlebt werden und der psychopathologische Befund sowie die Anamnese eine eindeutige psychiatrische Diagnose erlauben, ist eine differenziertere schlafbezogene Diagnostik entbehrlich.

Wenn jedoch aus Sicht des Patienten oder des Untersuchers Schlafstörungen, Müdigkeit und/oder Tagesschläfrigkeit prominent und subjektiv deutlich beeinträchtigend sind, sind zunächst eine ausführlichere Anamnese und die Anwendung einfacher Messinstrumente, wie eines Schlaftagebuches und/oder spezifischer Selbstbeurteilungsfragebögen indiziert. Bei einem Teil der Patienten sind darüber hinaus apparative Untersuchungen, zum Beispiel eine Polygraphie oder Polysomnographie zielführend, wie dies detailliert im Kapitel zur Schlafmedizinischen Diagnostik diskutiert wird.

Eine nicht unerhebliche Zahl von Patienten sieht subjektiv nicht nur die Schlafstörung ganz im Fokus ihrer Beschwerden, sondern führt darüber hinaus auch jegliche Störung der Tagesbefindlichkeit direkt auf die Schlafstörung zurück. Unter solchen Patienten finden sich nicht selten depressive Erkrankte, denen es extrem schwerfällt, eine »klassisch« psychiatrische Diagnose zu akzeptieren, meist deshalb, weil solche Diagnosen – auch die Depression – immer noch als erheblich stigmatisierend erlebt wird. Um mit solchen Patienten ein tragfähiges therapeutisches Bündnis erreichen zu können, sollten man sich die Zeit nehmen, mit ihnen den komplexen und bidirektionalen Zusammenhang zwischen Schlaf und Befindlichkeit zu besprechen, um sie für die Möglichkeit zu sensibilisieren, dass der gestörte Schlaf nicht Ursache einer Depression sein muss, sondern viel häufiger ein wesentlicher symptomatischer Aspekt dieser Erkrankung.

Viele Menschen mit subjektiv sehr schweren Schlafstörungen neigen zu einer erheblichen Katastrophisierung. Oft sind solche Patienten der Ansicht, gar nicht oder nahezu nicht mehr zu schlafen und dadurch sowohl ihre körperliche als auch ihre seelische Gesundheit massiv zu gefährden. Obwohl es gute wissenschaftliche Belege dafür gibt, dass solche Patienten in aller Regel objektiv betrachtet wesentlich besser schlafen, als sie selbst vermuten, sollten man sich gerade am Beginn einer therapeutischen Beziehung diesbezüglich nicht auf kontroverse Diskussionen einlassen. Es gilt zunächst, die subjektive Sicht des Patienten ernstzunehmen und zu akzeptieren. Im weiteren Verlauf, wenn tatsächlich Daten zum Schlafverhalten vorliegen, können diese dann sehr wohl zur Beruhigung des Patienten und Entkatastrophisierung beitragen.

Die Behandlung von Schlafstörungen muss ursachenorientiert erfolgen. Schlafstörungen als reine Begleiterscheinung psychiatrischer Erkrankungen bedürfen, insbesondere wenn der Patient sie selbst als wenig störend empfindet, keiner spezifischen Therapie; sie remittieren typischerweise im Rahmen der adäquaten Therapie der Grunderkrankung. Sind die Schlafstörungen eines Patienten aber subjektiv stark ausgeprägt und störend, empfiehlt sich zusätzlich eine spezifische schlafbezogene Intervention. Hierzu gehören je nach Ausprägung und Situation psychoedukative Maßnahmen, eine schlafanstoßende Medikation oder eine kognitiv verhaltenstherapeutische Intervention speziell zur Behandlung von Insomnien. Letztere ist immer bei einer primären Insomnie indiziert, kann aber auch bei Schlafstörungen im Rahmen anderer psychiatrischer Erkrankungen sehr hilfreich sein.

Auch die Behandlung komorbider schlafmedizinischer Erkrankungen sollte stets ursachenorientiert erfolgen. So empfiehlt es sich, z. B. bei einem psychopharmaka-induzierten RLS die verursachende Substanz abzusetzen, während zur Behandlung eines komorbiden idiopathischen RLS nur mit großer Vorsicht dopaminerge Substanzen verwendet werden sollten, weil mit erheblichen psychotropen Nebenwirkungen zu rechnen ist. Die auch und gerade bei psychiatrischen Patienten häufigste Ursache erhöhter Tagesschläfrigkeit, das obstruktive Schlafapnoesyndrom, bedarf in der überwiegenden Zahl der Fälle einer nächtlichen Beatmungstherapie.

Schlafstörungen bei psychiatrischen Patienten sind also ein ungemein häufiges und komplexes Problem, welches sorgfältiger Diagnostik und eines individuellen therapeutischen Vorgehens bedarf, wie sie in den folgenden Kapiteln detailliert dargestellt sind.

 

2          Der normale Schlaf

 

 

Der Schlaf ist ein Verhaltenszustand besonderer Art. Betrachtet man den Schlafenden, ohne etwas über die Physiologie des Schlafes zu wissen, drängt sich einem zunächst der Eindruck auf, es handele sich um einen passiven Ruhezustand, einem Zustand also, der sich vom Wachen vor allem durch das Fehlen von Bewegung und Aktivität unterscheidet. Nicht umsonst hat die griechische Mythologie den Schlaf, Hypnos, als den Zwillingsbruder des Todes, Thanatos, begriffen, erscheint doch der Mensch in beiden Zuständen oberflächlich betrachtet leblos.

Erst die systematische, naturwissenschaftliche Erforschung des Schlafes, die im 19. Jahrhundert zunächst durch intensive Beobachtung und die Bestimmung von Weckschwellen erfolgt ist, und deren wesentlicher Motor im 20. Jahrhundert die Entdeckung des Elektroencephalogramms durch den Psychiater Hans Berger war, hat unser Bild vom Schlaf grundlegend verändert.

Wir wissen heute, dass Schlaf ein aktiv vom zentralen Nervensystem regulierter Verhaltenszustand ist, der gerade eben keinen passiven Ruhezustand darstellt. Zu dieser Erkenntnis hat in den 1950er Jahren die Entdeckung des REM-Schlafs (Rapid Eye Movement Sleep) ganz entscheidend beigetragen, durch die klar wurde, dass der Schlaf aus zwei physiologisch distinkten Unterzuständen besteht, die sich in ultradianer Rhythmik regelmäßig abwechseln. Wir wissen, dass gesunder Schlaf typischerweise mit non-REM-Schlaf beginnt, dessen intensivste Form der Tiefschlaf darstellt, und dass sich im Verlauf der Nacht non-REM- und REM-Schlaf-Episoden in 90- bis 120-minütigen Abständen abwechseln.

Funktionelle Veränderung physiologischer Systeme im Schlaf:

 

•  Motorik

•  Sensorik

•  Thermoregulation

•  Autonomes Nervensystem

•  Atmung

•  Herz-Kreislauf-System

•  Neuroendokrine Aktivität

•  Immunsystem

•  U. v. m.

Wie aus der Aufzählung ersichtlich ist, geht Schlaf mit einer funktionalen Veränderung fast aller physiologischen Systeme einher und betrifft bzw. verändert Körperfunktionen weit über das Gehirn hinaus. Im Gehirn selbst kommt es zu grundlegenden Veränderungen der Interaktion mit der Umwelt. Wie funktionelle kernspintomographische Untersuchungen kurz nach der Jahrtausendwende gezeigt haben, verändert sich die Signalverarbeitung z. B. akustischer Reize dramatisch. Im non-REM-Schlaf bleibt die klassische Aktivierung des primären Hörkortex aus, während weite Teile des Neokortex sogar deaktiviert werden. Im REM-Schlaf kommt es zu zusätzlichen Veränderungen der Hirnrindenaktivität, die wahrscheinlich in enger Beziehung zum Traumerleben stehen (Czisch et al. 2004, Wehrle et al. 2005).

Bedeutsam sind auch Veränderungen der Atmung mit einer im Schlaf weitgehend autonomen Steuerung, einer Verminderung der CO2-Sensibilität, einer Reduktion von Atemfrequenz und Tiefe, einer Zunahme der Atemwegswiderstände und einer erhöhten Fehlertoleranz der Regelsysteme. Diese Veränderungen sind für das Verständnis nächtlicher Atmungsstörungen von Bedeutung ist (Randerath et al. 2014).

Es kommt im Schlaf zu dramatischen Veränderungen der Freisetzung von Hormonen ( Abb. 2.1). Hierbei sind solche Veränderungen, die tatsächlich schlafbedingt sind, von anderen zu unterscheiden, die nicht dem Schlaf selbst, sondern zirkadianen Rhythmen geschuldet sind. Das klassische Beispiel im zuletzt genannten Kontext ist die Freisetzung des Nebennierenrindenhormons Cortisol, eines der zentralen Effektorhormone der neuroendokrinen Stressantwort, die während des Schlafes typischerweise ein Minimum erreicht und in der zweiten Nachthälfte zum Morgen hin deutlich ansteigt. Diese Veränderungen persistieren allerdings auch dann, wenn Schlaf experimentell verhindert wird, so dass sie nicht direkt schlafabhängig sind, sondern durch einen zirkadianen Rhythmus generiert werden. Die Freisetzung von Wachstumshormonen hingegen erfolgt bezogen auf den 24-Stunden-Tag zu 90% während der ersten Stunde des Nachtschlafes. Schlafentzug blockiert die Freisetzung von Wachstumshormonen fast vollständig, so dass hier davon auszugehen ist, dass die Sekretion dieses Hormons direkt vom Zustand Schlaf, genauer gesagt vom non-REM-Schlaf abhängt.

Abb. 2.1: Verlauf der Plasmakonzentrationen von Cortisol und Wachstumshormon im Schlaf (links) und während nächtlichen Schlafentzugs (rechts). Nur die Wachstumshormonsekretion wird durch den Schlafentzug unterdrückt.

Ähnlich wie neuroendokrine Systeme zeigt auch die Funktion des Immunsystems schlafabhängige Veränderungen, die teilweise zirkadianer Natur sind und teilweise direkt mit der Schlafregulation zusammenhängen. Es finden sich komplexe Änderungen der Zahl zirkulierender Immunzellen, der Proliferationsantworten und der Freisetzung inflammatorischer Mediatoren (Zytokine), deren funktionelle Bedeutung bis heute nicht abschließend geklärt ist.

Ganz besonders bedeutsam ist der Einfluss des Schlafes auf den Glukosestoffwechsel, also auf die Bereitstellung und Verarbeitung unseres primären Energielieferanten, der insbesondere für die Hirnfunktion von entscheidender Bedeutung ist. Auch bezüglich des Glukosemetabolismus, der letztlich ein filigranes Netzwerk aus Glukoseaufnahme, Glukoseverwertung, Glukosespeicherung und Glukosefreisetzung ist, finden sich erhebliche schlafassoziierte Veränderungen. Passend zum im Schlaf etwas verminderten Energiebedarf wird weniger Glukose bereitgestellt. Schlafentzug hingegen führt, wahrscheinlich über eine Verminderung der Wirkung von Insulin, zu einer vermehrten Bereitstellung von Glukose und damit zu einer Stoffwechsellage, wie sie prinzipiell für die Zuckerkrankheit charakteristisch ist.

2.1       Messung des Schlafes

Während im 19. Jahrhundert die experimentelle Erforschung des Schlafes auf die Beobachtung und die Registrierung der Motorik reduziert war, ermöglichte nach der Entdeckung des EEG in den 1930er Jahren die objektive Messung der hirnelektrischen Aktivität im Schlaf die Erfassung verschiedener Schlafstadien. Zunächst wurde klar, dass die Schlaftiefe im sogenannten non-REM-Schlaf sehr eng mit der langsamwelligen Aktivität im EEG (Delta-Aktivität) zusammenhängt. Die Menge dieser Aktivität und damit die Schlaftiefe veränderten sich in regelmäßigen Abständen von 90 bis 120 Minuten, ohne dass zunächst klar war, warum dies geschieht und welchem physiologischen Zustand die Zwischenphasen entsprachen, in denen das EEG dem im Wachen glich, die Probanden aber offensichtlich schliefen. In den 1950er Jahren lösten sich diese Rätsel durch die Entdeckung des REM-Schlafes, der so benannt ist, weil sich in diesem Zustand die Augen unter den geschlossenen Lidern rasch bewegen (rapid eye movements, REM).

Abb. 2.2 zeigt, wie sich non-REM und REM-Schlaf im Verlauf der Nacht beim gesunden Menschen abwechseln und welche Charakteristika die einzelnen Biosignale in den verschiedenen Schlafstadien zeigen. Neben den raschen Augenbewegungen ist dabei für den REM-Schlaf vor allem typisch, dass der Muskeltonus der Halte- und Stellmuskulatur fast vollständig unterdrückt ist. Es handelt sich hierbei um eine aktive supraspinale Inhibition, die verhindert, dass wir unsere Träume ausagieren.

Die Messung des Schlafes erfolgt heutzutage mit digitalisierten Messsystemen in Schlaflaboren, die neben den zur Bestimmung der Schlafstadien notwendigen Signalen EEG, EOG und EMG eine Vielzahl weiterer Biosignale erfassen, darunter das EKG, nächtliche Atmungsparameter und die motorische Aktivität der Beinmuskulatur, um bestimmte pathologische Phänomene zu erfassen (Rodenbeck 2013), die in späteren Kapitel dieses Buches thematisiert werden.

Abb. 2.2: Schlafverlauf einer gesunden Versuchsperson (rechts) und Charakteristika der Biosignale in den verschiedenen Schlafstadien (links). Das EEG synchronisiert mit zunehmender Schlaftiefe, so dass im Tiefschlaf (SWS) hohe, langsame Delta-Wellen dominieren. Die Muskelspannung am Kinn nimmt parallel dazu ab, ist aber im REM Schlaf am allerniedrigsten. Rasche Augenbewegungen finden im Wachen und im REM-Schlaf statt. Langsame, rollende Augenbewegungen sind auf den leichten nonREM-Schlaf beschränkt.

2.2       Subjektive und objektive Aspekte des Nachtschlafs

Gerade für den Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie ist es von großer Bedeutung, sich darüber klar zu sein, dass objektiv gemessener und subjektiv erlebter Schlaf sich in vielerlei Hinsicht deutlich unterscheiden. Schon in Experimenten der frühen 1960er Jahren wurde klar, dass die neurophysiologisch definierten und gemessenen Schlafstadien nicht zu 100% mit dem Erleben vom Probanden korrelieren. Weckversuche haben gezeigt, dass Probanden einerseits der Meinung waren, wach zu sein, obwohl sie sich objektiv betrachtet in einem eindeutigen Schlafstadium befanden, und dass andererseits auch bei Ansprache im objektiven Wachzustand Probanden gelegentlich der Ansicht waren, vor der Weckung geschlafen zu haben. Dennoch besteht bei gesunden Schläfern ein sehr enger Zusammenhang und damit auch eine hohe Korrelation zwischen den wesentlichen Aspekten objektiv gemessenen Schlafes und der subjektiven Empfindung. Gesunde Schläfer schätzen sowohl ihre Einschlafdauer als auch die Gesamtdauer des Schlafes typischerweise weitgehend korrekt ein. Die Zahl und Dauer nächtlicher Aufwachereignisse wird aber von gesunden Probanden in aller Regel unterschätzt, weil offenbar für kurze Aufwachereignisse bis zu einer Dauer von fünf bis zehn Minuten eine Amnesie besteht. Entsprechend finden sich objektiv betrachtet auch bei Probanden, die über einen völlig ungestörten Nachtschlaf berichten, mehrere, meist bis zu zehn kurze Aufwachereignisse.

Wesentlich größere Diskrepanzen zwischen dem, was objektiv gemessen werden kann und dem, was subjektiv empfunden wird, zeigen sich hingegen bei schlafgestörten Patienten. Schlafstörungen, die vorwiegend mit einer Schlaffragmentation einhergehen, die also die Synchronisation des EEG behindern und/oder immer wieder zu kurzfristigen Arousals führen, werden von Patienten subjektiv oft überhaupt nicht als Schlafstörung bewertet. Ein klassisches Beispiel hierfür sind Patienten mit einem Schlafapnoe-Syndrom, bei denen es im Schlafverlauf aufgrund der immer wieder auftretenden Atempausen zu hunderten von nächtlichen Weckreaktionen und Aufwachereignissen kommen kann, die allerdings weit überwiegend von sehr kurzer Dauer sind. Solche Patienten berichten sehr häufig davon, ungestört, möglicherweise auch überraschend schnell, einzuschlafen und problemlos durchzuschlafen. Die bei diesen Patienten sehr häufige Tagesschläfrigkeit führen sie selbst meist überhaupt nicht auf die für sie gar nicht wahrnehmbare Schlafstörung zurück.

Ganz anders verhält es sich bei Patienten mit Insomnie. Patienten, die über schwere Ein- und/oder Durchschlafstörungen und einen nicht erholsamen Schlaf klagen, zeigen häufig aus der Perspektive objektiv messbaren Schlafverhaltens eine wesentlich weniger gravierende Schlafstörung, als es ihrer subjektiven Einschätzung entspricht (Feige et al. 2013). Während eine Vielzahl dieser Patienten ihre Einschlafdauer und die Zeit nächtlicher Wachphasen deutlich überschätzt, obwohl die Korrelation zu den objektiven Messungen nicht ganz verloren geht, kommt es bei einer kleinen Zahl von Patienten sogar vor, dass einem völlig unauffälligen Schlafprofil die subjektive Einschätzung des Patienten gegenübersteht, er habe überhaupt nicht geschlafen.

Während sich für solche extremen Divergenzen zwischen objektiver und subjektiver Beurteilung des Schlafes bis heute keine befriedigende Erklärung findet, so gibt es doch verständliche Gründe, warum grundsätzlich das Ausmaß einer Schlafstörung tendenziell subjektiv eher überschätzt wird. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass wir Schlaf per se nicht wahrnehmen. Definitionsgemäß ist Schlaf ein Zustand der Bewusstlosigkeit, so dass unsere subjektive Beurteilung des Schlafes indirekt über den bewussten Wachzustand erfolgen muss. Die Amnesie für kurze Aufwachereignisse im Schlaf, die oben schon erwähnt wurde, erklärt, weshalb uns kurze Wachphasen innerhalb einer Schlafepisode gar nicht bewusst werden. Überschreitet die Dauer dieser Wachphasen allerdings einen bestimmten Wert, dann hängt die subjektive Wahrnehmung ihrer Dauer von Faktoren ab, die nicht direkt abhängig von der tatsächlichen messbaren Wachzeit sind. Es macht für die subjektive Beurteilung einer z. B. 30-minütigen nächtlichen Wachphase einen großen Unterschied, ob sie vom Patienten nach einer Schlafunterbrechung, z. B. durch eine akustische Störung, gelassen hingenommen wird oder aber bei einem schlafgestörten Patienten von negativen Kognitionen, Gedankenkreisen oder Grübeln begleitet ist. Es liegt auf der Hand, dass die Dauer der Wachphase in der zuletzt genannten Situation tendenziell überschätzt wird.

Der Umstand, dass wir den Schlaf selbst nicht wahrnehmen, hat bei Schlafgestörten noch einen zusätzlichen problematischen Effekt auf die Schlafwahrnehmung: Subjektiv erlebtes, oft stundenlanges nächtliches Wachliegen stellt sich bei der objektiven Messung häufig als ein Wechsel von Schlaf- und Wachphasen dar. Offenbar werden vom Schlafgestörten eigentlich voneinander getrennte, zeitlich distante Wachphasen subjektiv fusioniert und dazwischenliegende Schlafphasen in das Erlebnis, wach zu sein, mit einbezogen. Darüber hinaus spielt für die subjektive Bewertung der Qualität und Erholsamkeit des nächtlichen Schlafes auch eine wesentliche Rolle, wie sich das subjektive Befinden am Morgen darstellt bzw. entwickelt. Insbesondere Patienten mit depressiven Erkrankungen und deutlichen zirkadianen Schwankungen ihres Befindens fühlen sich typischerweise besonders morgens nach dem zum Teil sogar verfrühten Erwachen besonders unwohl und führen diese schlechte Befindlichkeit auf einen schlechten Schlaf zurück. Der Effekt des therapeutischen Schlafentzugs allerdings zeigt, dass paradoxerweise die schlechte Befindlichkeit am Morgen sogar durch vollständigen Schlafentzug gebessert, wenn nicht sogar antagonisiert werden kann und damit ein Zuwenig an Schlaf in der Nacht zuvor offensichtlich keine hinreichende Erklärung für das Morgentief depressiver Patienten darstellt.

2.3       Mentale Aktivität im Schlaf

Der Traum gilt als Prototyp mentaler Aktivität im Schlaf. Dennoch ist unklar, ob es mentale Aktivität im Schlaf wirklich gibt. Unser wissenschaftlicher Zugang zu mentaler Aktivität im Schlaf erfolgt immer über das Wachen. Nur ein wacher Mensch kann über seine Träume berichten, sie aufschreiben und über sie nachdenken – ein schlafender Mensch kann dies nicht. Es bleibt also schon aus erkenntnistheoretischen Gründen unmöglich zu entscheiden, ob ein Traumbericht tatsächlich Vorgänge während des Schlafes wiedergibt oder ob der Traum und sein Inhalt nicht letztlich erst beim Aufwachen durch einen Transfer ins Wachbewusstsein entstehen.

Versuche, aus den messbaren Aspekten des REM-Schlafes, z. B. den raschen Augenbewegungen und den Veränderungen von Herz- und Kreislaufparametern, auf Trauminhalte zu schließen, sind bisher nicht erfolgreich gewesen. Ebenso haben funktionelle kernspintomographische Untersuchungen zwar distinkte Aktivitätsmuster des Gehirns im REM-Schlaf dokumentiert (Wehrle et al. 2005; Wetter 2010), aber auch hier lässt sich aktuell kein Bezug zum Trauminhalt herstellen. Wichtig zu wissen ist darüber hinaus, dass Träume – so wie sie nach experimentellen Weckungen berichtet werden – keineswegs auf den REM-Schlaf beschränkt sind. Zwar ist die Rate von Traumberichten bei Weckungen aus REM-Schlaf etwas höher, aber sie liegt auch im non-REM-Schlaf noch bei etwa 60 bis 70%. Die Trauminhalte im non-REM-Schlaf scheinen grundsätzlich eher realistisch und kognitiver Aktivität im Wachen nahe zu sein, während die bizarren Aspekte des Traumes wie die Verwischung von Raum-Zeitgrenzen für Traumberichte nach dem REM-Schlaf typisch sind. Häufig enthalten Träume des REM-Schlafes auch Elemente, die der aktiven Hemmung der Halte- und Stellmuskultur entsprechen, also das Gefühl, unkontrolliert zu fallen, sich nicht bewegen zu können oder erschwert zu atmen.

Als luzide Träume (Klarträume) werden Träume bezeichnet, in denen sich der Träumende des Traumes bewusst ist (Sanders et al. 2016). Schon diese Definition zeigt, dass es sich hier um ein komplexes, schwer zu verstehendes Phänomen handelt. Entweder ist der Klarträumende wach, denn er ist sich ja des Traums bewusst, oder aber es gibt innerhalb des an sich bewusstlosen Zustandes Schlaf einen Subzustand, der eben doch mit Bewusstsein einhergeht. Definitionsgemäß weiß also der Klarträumende, dass er träumt, und häufig kann er diese Träume auch steuern. Klarträume sind nicht selten und werden von etwa einem Viertel der Bevölkerung zwei- bis viermal im Jahr erlebt. Es wird gelegentlich beschrieben, dass Probanden im Klartraum vorher vereinbarte Augenbewegungen durchführen können, was klar belegt, dass es sich um einen bewussten Zustand handelt. Allerdings bleibt somit fraglich, ob es sich, wie dann meist behauptet, um REM-Schlaf handelt, der definitionsgemäß gerade nicht mit der Möglichkeit zu willkürlichen Bewegungen einhergeht. Die genaue Einordnung von Klarträumen zwischen Schlafen und Wachen bleibt also ungewiss, was der Faszination für diesen Zustand keinen Abbruch tut.

Die Traumdeutung hat sich seit Freud bis heute weitgehend unabhängig von der naturwissenschaftlichen Untersuchung des Schlafes entwickelt, jedenfalls gibt es keine messbaren schlafassoziierten Phänomene, die Traumdeutung in irgendeiner Form objektivieren könnten. Es gibt hingegen sehr viele Hinweise darauf, dass REM-Schlaf (also nicht der Traum an sich) und non-REM-Schlaf unterschiedliche neurophysiologische Funktionen insbesondere hinsichtlich der Generierung und Stabilisierung von Gedächtnisinhalten haben. Hierzu werden im Zusammenhang mit der Funktion des Schlafes noch weitere Ausführungen gemacht.

2.4       Zahlen, Daten und Fakten zum normalen Schlaf

Obwohl der Schlaf bezüglich seiner Regulation und Struktur beim Gesunden immer wieder in verlässlicher und reproduzierbarer Weise auftritt, so unterliegt er doch erheblichen inter- und intraindividuellen Variationen. Die folgende Aufzählung fasst die wesentlichen Einflussfaktoren zusammen:

•  Genetik

•  Arbeitssituation (z. B. Schichtarbeit)

•  Soziokulturelle Gegebenheiten

•  Geoklimatische Situation

•  Lärm, Licht, andere Umwelteinflüsse

•  Krankheiten

•  Geschlecht

•  Alter

Unter anderem spielen genetische Faktoren eine wesentliche Rolle. Insbesondere Zwillingsstudien haben während der letzten fünf Jahrzehnte gezeigt, dass wesentliche Aspekte der subjektiven Schlafwahrnehmung, aber auch objektiv messbarer Parameter wie Schlafqualität und die Schlafstadienorganisation, die Schlafdauer, ja selbst der zeitliche Abstand zwischen den non-REM- und den REM-Episoden (also die Länge der non-REM-REM-Zyklen) ganz erheblich genetisch determiniert sind (Dauvilliers et al. 2005). Dies trifft auch für zirkadiane Aspekte zu, z. B. für die Frage, ob Menschen eher Morgen- oder Abendtypen sind. Soziokulturelle Gegebenheiten spielen eine wesentliche Rolle, wie z. B. die in den Mittelmeerländern übliche Gepflogenheit, einen Mittagsschlaf zu halten (»Siesta«), was in den nördlichen Regionen Europas eher unüblich ist. Lärm, Licht und andere Umwelteinflüsse spielen eine erhebliche Rolle, wenngleich der Schlaf Gesunder gegen solche Einflüsse sehr robust ist.

Vorübergehende Erkrankungen, insbesondere Infektionskrankheiten, spielen eine wesentliche Rolle, da diese ganz regelhaft mit Müdigkeit, vermehrtem Schlafbedürfnis, bei hohem Fieber aber auch mit erheblichen transienten Schlafstörungen verbunden sein können (Pollmächer et al. 2000).

Des Weiteren spielt das Geschlecht eine nicht unwesentliche Rolle (Dzaja et al. 2009). So schlafen erwachsene Frauen üblicherweise unter ad libidum Bedingungen etwa ein bis eineinhalb Stunden länger als Männer. Ganz wesentlich moduliert wird der Schlaf durch das Lebensalter, welches auf die Schlafdauer, seine Mikrostruktur, die Schlafqualität und die zirkadiane Positionierung erheblichen Einfluss nimmt. Während ein Neugeborenes zwei Drittel des Tages schlafend verbringt, nimmt diese Zeit schon in den ersten beiden Lebensjahren auf etwa 50% ab, um in der frühen Adoleszenz den für Erwachsenen typischen Durchschnittswert von einem Drittel des Tages, also etwa acht Stunden, zu erreichen. Weit weniger als gemeinhin angenommen verkürzt sich die Gesamtschlafdauer im Alter, was zu einem erheblichen Teil aber daran liegt, dass ältere Menschen typischerweise mehrere Schlafepisoden pro 24 Stunden aufweisen. Der Anteil des REM-Schlafes am Gesamtschlaf beträgt beim Neugeborenen ungefähr 50% und erreicht schon im Teenageralter den Erwachsenenwert von 25%. Der non-REM-Schlaf, der beim Erwachsenen etwa 75% ausmacht, besteht wiederum zu einem Drittel aus Tiefschlaf.

Neben einer Veränderung von Schlafmenge und Anteilen der verschiedenen Schlafstadien verändert sich im Lauf des Lebens auch die zirkadiane Verteilung von Schlafen und Wachen. Während ein Neugeborenes ein typisches polyphasisches Schlafmuster mit einem ultradianen Rhythmus von etwa vier Stunden zeigt, tritt erstmals um die Vollendung des 1. Lebensjahres herum typischerweise eine konsolidierte Nachtschlafphase auf, eine oder mehrere Tagschlafepisoden sind aber mindestens bis zum 10. Lebensjahr typisch.

2.5       Die Schlafregulation

Die Regulation von Schlafen und Wachen ist, wie schon erwähnt, ein aktiver, vom zentralen Nervensystem gesteuerter Prozess. Eine epidemische Encephalitis, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts auftrat, ging mit erheblichen Störungen der Vigilanz und Wachheit einher und wurde deshalb als Encephalitis lethargica bezeichnet. Intensiv erforscht hat diese Krankheit Konstantin Freiherr von Economo (1876–1931), der anhand der Gehirnschnitte der betroffenen Patienten zeigen konnte, dass verschiedene Zwischen- und Mittelhirnstrukturen unterschiedlichen Einfluss auf Schlafen und Wachen nehmen. Bestimmte Läsionen im Rahmen des Mittelhirns waren typischerweise mit massiver Schlaflosigkeit verbunden, andere mit ausgeprägter Tagesschläfrigkeit. Es sind insbesondere Bereiche im Hypothalamus, die für die Schlafregulation besonders wichtig sind (Saper et al. 2005).

Insgesamt sind es aber viele Bereiche, einschließlich bestimmter Nuclei im Hirnstamm, die Schlafen und Wachen orchestrieren. Dabei sind eine Vielzahl von Neurotransmittern, Hormonen, Peptiden und anderen körpereigenen Substanzen beteiligt, die einerseits in komplexer Weise ineinandergreifen und andererseits die enge Verbindung der Schlaf-Wach-Regulation mit anderen Hirnfunktionen und auch mit anderen wesentlichen Regelkreisen des Gesamtorganismus erklären und ermöglichen.

Schlafregulierende humorale Faktoren sind:

•  Neurotransmitter:

–  Acetylcholin

–  Noradrenalin

–  Dopamin

–  Histamin

–  GABA

–  Adenosin

–  u. a.

•  Hormone/Neuropeptide:

–  Stresshormone

–  Wachstumshormon

–  Neurosteroide

–  Neurotensin

–  Orexin A und B

–  u. a.

•  Andere:

–  Zytokine

–  Prostaglandine

–  Fettsäuren

Die Schlafdauer hängt im Wesentlichen von zwei unabhängigen regulatorischen Komponenten ab. Zum einen reguliert die Schlafdauer ein von der vorausgehenden Wachdauer abhängiges, homöostatisches System, welches mit einem zweiten, unabhängigen System interagiert, welches Schlafen und Wachen zirkadian reguliert. Dies wurde im sogenannten Zwei-Prozess Modell der Schlafregulation in den 1980er Jahren konzeptualisiert (Daan et al. 1984).

Abb. 2.3: Das Zwei-Prozess-Modell der Schlafregulation (Daan et al. 1984).

Das homöostatische System verhält sich funktional ähnlich wie eine Sanduhr. Je länger wir wach sind, umso größer wird das Schlafbedürfnis, wobei dieser Zusammenhang kein linearer, sondern ein asymptotischer ist. Mit dem Schlafbedürfnis und dem Schlafdruck nimmt aber gleichzeitig die Schlaftiefe zu, so dass die Schlafdauer nach Schlafentzug nicht 1:1 der vorausgehenden zusätzlichen Wachdauer entspricht. Deutlich zeigt sich dies bei längerem Schlafentzug, z. B. dann, wenn eine ganze Nacht geschlafen wird. Geht der Schlafentzogene nach durchwachter Nacht zum üblichen Zeitpunkt, also am nächsten Abend zu Bett, findet zwar ein deutlich verlängerter Nachtschlaf statt, aber rein quantitativ wird die »verlorene« Schlafenszeit nicht voll kompensiert.

Abb. 2.4: Prinzipien der homöostatischen Schlafregulation. Links ist zu sehen, wie sich im Verlauf experimenteller Wachphasen der Schlafdruck aufbaut und wie er sich im nachfolgenden Schlaf als Delta-Power im EEG manifestiert. Rechts ist anhand der Ergebnisse verschiedener Experimente dargestellt, wie sich in Abhängigkeit von der Tageszeit und der Wachdauer der Schlafdruck aufbaut (Dijk, Beersma, Daan, J Biol. Rhythms 2(3), 207-19 © 1987 by SAGE Publications. Reprinted by Permission of SAGE Publications, Inc. ).

In einem integrierten Modell der Schlafregulation wird diese homöostatische Komponente als Faktor S bezeichnet. Das davon unabhängige zirkadiane Regulationssystem Prozess C hat eine völlig andere Funktionsweise. Die innere Uhr, lokalisiert im Nukleus suprachiasmaticus des Hypothalamus, generiert für viele physiologische Systeme periodische Schwankungen, so auch für eine Schlaf- und eine Wachschwelle. Wie lange wir schlafen, hängt also nicht nur von der vorausgehenden Wachdauer ab, sondern auch davon, wann wir uns im Verhältnis zu den zirkadianen Variationen dieser Schlaf- und Wachschwellen zu Bett legen. Abb. 2.5 zeigt diesen Zusammenhang graphisch anhand experimenteller Daten. Es ist gut zu sehen, dass trotz zunehmender Wachzeit sich die Schlafdauer verkürzt, je später in der subjektiven Nacht der Proband zu Bett geht. In Alltagssituationen wird dies z. B. gut spürbar, wenn man sich nach einer durchwachten Nacht am Morgen hinlegt, oder aber wenn man die innere Uhr mit erheblichen Zeitzonenwechseln konfrontiert, wie sie z. B. bei transatlantischen Flügen. auftreten. Hierbei bleiben die zirkadianen Schlaf- und Wachschwellen zunächst unverändert, stehen aber nicht mehr im Einklang mit dem zeitlichen Ablauf des Hell-Dunkel-Wechsels am neuen Ort, so dass erhebliche Ein- und Durchschlafstörungen resultieren können, die sich erst nach ein bis zwei Wochen legen.

Abb. 2.5: Die Interaktion zwischen Faktor S und Faktor C bezüglich der Dauer des Erholungsschlafes nach Schlafentzug (Akerstedt & Gillberg 1981, The circadian variation of experimentally displaced sleep. Sleep 1981;4:159–69, by permission of Oxford University Press).

Die interne Regulation des Ablaufs von non-REM- und REM-Schlaf-Episoden wird im Wesentlichen durch die Interaktion bestimmter Regionen des Hirnstamms und des Pons reguliert. Die entsprechenden Vorstellungen wurden in einem Regulationsmodell formalisiert, das reziproke Interaktionsmodell nach Hobson und McCarley heißt ( Abb. 2.6). Es ist insbesondere die reziproke Interaktion zwischen aminerger Inhibition und cholinerger Exzitation, die den regelmäßigen Wechsel von REM- und non-REM-Phasen generiert.

Abb. 2.6: Das reziproke Interaktionsmodell der internen Schlafregulation nach Hobson and McCarley (Hobson et al. 1975. Sleep cycle oscillation: Reciprocal discharge by two brainstem neuronal groups. Science 189:55–58. Reprinted with permission from AAAS.) Aminerge und cholinerge Neuronenverbände im Hirnstamm interagieren in einer gegenseitig hemmenden und aktivierenden Weise miteinander, die den rhythmischen Wechsel von REM- und non-REM-Schlaf hervorbringt. REM-Schlaf fällt mit hoher cholinerger, non-REM-Schlaf mit hoher aminerger Aktivität zeitlich zusammen.

2.6       Funktionen des Schlafes

Der Schlaf erfüllt eine ganze Reihe von in ihrer Summe lebensnotwendigen Funktionen. Obwohl noch lange nicht alle Details der Schlafregulation und der im Schlaf aktiven neuronalen Prozesse bekannt ist, scheint zumindest sicher, dass der Schlaf für alle höheren Lebewesen lebensnotwendig ist. Die wohl wesentlichste, gleichwohl auf den ersten Blick vielleicht trivial anmutende Funktion des Schlafes ist es, uns wach zu halten. Schon wenige Tage kompletten Schlafentzugs führen zu extremster Müdigkeit. Wenngleich Berichte existieren, die vermuten lassen, dass einzelne Menschen eine ganze Woche nicht geschlafen haben, so liegt doch etwa bei dieser Dauer eine Grenze, die nicht oder kaum je überschritten werden kann. Offenbar erzwingt das Gehirn ab einem gewissen Punkt den Schlaf, obwohl dieser Zustand, der mit verminderter Reagibilität und Aufmerksamkeit verbunden ist, das betroffene Lebewesen in Gefahr bringt. Evolutionsbiologisch ergibt deshalb der Verhaltenszustand Schlaf nur dann Sinn, wenn er seinerseits wesentliche Überlebensvorteile mit sich bringt.

Offenkundig führt Schlafentzug zu erheblichen neurokognitiven Defiziten, die sich vor allem in einer Reaktionsverlangsamung und in einer Verminderung von Aufmerksamkeit und Konzentration zeigen. Schlaf hat aber, wie eine Vielzahl von wissenschaftlichen Experimenten zeigt, auch eine wesentliche Funktion für die Bildung und Konsolidierung von Gedächtnis. Schlaf verbessert sowohl die Akquisition deklarativer wie nichtdeklarativer Gedächtnisinhalte, wobei sowohl non-REM- wie REM-Schlaf dabei eine Rolle spielen, deren Details noch nicht bis ins Letzte geklärt sind (Forster und Born 2015). Diese Befunde passen gut zu grundlagenwissenschaftlichen, neurophysiologischen Experimenten, die eine enge Beziehung zwischen Schlaf und neuronaler Plastizität belegen konnten (Tononi und Cirelli 2014).

Schlaf ist aber auch für komplexe Hirnfunktionen von erheblicher Bedeutung und hierunter insbesondere für die Affektregulation. Irritabilität und Reizbarkeit sind typische Folgen von Schlafentzug und es gibt zunehmend Hinweise darauf, dass chronische Schlafstörungen langfristig zu depressiven Syndromen führen (Riemann und Hajak 2009).

Schlaf ist aber nicht nur für bestimmte Hirnfunktionen essenziell, sondern das Schlaf-Wach-Verhalten interagiert auch intensiv mit dem Immunsystem, mit metabolischen Funktionen und mit endokrinen Netzwerken. In dieser Hinsicht besondere Beachtung hat in den letzten Jahren die Tatsache gefunden, dass es eine klinische Assoziation zwischen verkürzter Schlafdauer und gestörtem Schlaf einerseits und dem Auftreten von Adipositas und Diabetes andererseits gibt (Keckeis et al. 2010). Darüber hinaus zeigen experimentelle Studien an Gesunden, dass Schlafentzug für nur wenige Nächte den Glukosemetabolismus negativ beeinflusst, wahrscheinlich durch eine Verschlechterung der Glukosetoleranz. Wesentlich komplizierter scheinen die Zusammenhänge zwischen Schlaf und Immunsystem zu sein (Lange et al. 2010), aber auch hier sind klinisch bedeutsame Zusammenhänge wahrscheinlich. So verschlechtert Schlafentzug auch nur für eine Nacht die Impfantwort auf eine Hepatitis-Impfung und subjektiv berichtete Schlafstörungen innerhalb eines Zeitraums von einigen Wochen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, nach einer experimentellen viralen Infektion mit mehr Symptomen zu reagieren.

 

3          Klassifikation von Schlafstörungen

 

 

Die Nosologie der Schlafstörungen hat in den letzten Jahrzehnten eine erhebliche Differenzierung erfahren. Dennoch ist die aktuell in Deutschland gültige, für Dokumentations- und Abrechnungszwecke verbindliche Klassifikation, die ICD-10 GM ( Tab. 3.1