Schluss mit der Umerziehung! - Gisela Anna Erler - E-Book

Schluss mit der Umerziehung! E-Book

Gisela Anna Erler

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Beschreibung

Pragmatisch, erfrischend, ideologiefrei: ein neuer, endlich konstruktiver Beitrag zur Geschlechterdebatte

Warum sind Frauen in Spitzenpositionen so spärlich vertreten? Warum sind Jungen so häufig Bildungsverlierer? Es sind unterschiedliche Anreize, die beide Geschlechter antreiben. Frauen sind nicht für die männlich geprägten Spielregeln der Arbeitswelt zu gewinnen, Jungen nicht für einen Schulalltag, in dem ihre körperliche Energie und Risikofreude ausgegrenzt werden. Schluss mit der Umerziehung: Männer und Frauen sind verschieden, nutzen wir doch ihre unterschiedlichen Stärken, statt sie ihnen abzutrainieren!

Frauenquote, Gendertrainings, Führungs-Coaching für Frauen, Anti-Aggressionstraining für Jungen – es gibt viele Versuche, Frauen den Aufstieg in Unternehmen und Jungen eine erfolgreichere Schulkarriere zu ermöglichen. Von der Umerziehung der Geschlechter erhofft man sich mehr geschlechtsneutrale Gleichstellung. Doch das ist definitiv der falsche Weg. Den unterschiedlichen Antrieben der Geschlechter wird man damit nicht gerecht – so Gisela Erler, seit den 80er-Jahren provozierende Vordenkerin der Geschlechterdebatte und Gründerin eines großen Frauenunternehmens. Grundlegende Veränderungen in der Pädagogik wie in der Unternehmenskultur sind erforderlich. Denn Männer sind anders als Frauen und Frauen anders als Männer. Nicht das, was ihnen fehlt, sondern das, was sie an Verschiedenheit mitbringen, ermöglicht es, beider Potenzial zu entfalten und Gleichberechtigung herzustellen!

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Gisela A. Erler

Schluss

mit der

Umerziehung!

Vom artgerechten Umgang

mit den Geschlechtern

Wie Frauen in Unternehmen endlich aufsteigen und Jungen in der Schule nicht weiter abstürzen

Lektorat: Ingke Brodersen

Copyright © 2012 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Satz: EDV-Fotosatz Huber/ Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN 978-3-641-07372-5

www.heyne.de

Für meine Enkelkinder und ihre Zukunft – Selma, Nadia, Amon, Georg, Maya, Flavio

Vom Ende der Umerziehung

Vorwort

Dieses Buch will mit Leidenschaft, zuweilen mit Ironie, oft auch mit Selbstironie Gedankenfenster öffnen; es ist ein Text, der Bilanz zieht und sich in die Zukunft richtet. Als Leserinnen und Leser wünsche ich mir Menschen der mittleren und jüngeren Generation, die mitten im Leben stehen und sich mit Fragen konfrontiert sehen über das Miteinander der Geschlechter; Eltern, die es schwer haben, manche Verhaltensweisen ihrer Töchter und Söhne zu verstehen, sie erfolgreich zu führen und ihnen zu helfen, anspruchsvolle Ziele zu verfolgen; Lehrerinnen und Lehrer, die damit zu kämpfen haben, dass ihnen so viele Jungen an den Schulen entgleiten; Studentinnen und Studenten, die aus ihrem unbewussten Nebeneinander ein aktives Miteinander-Arbeiten machen wollen; Personalverantwortliche in kleinen und großen Unternehmen, die es schwer haben, Führungspositionen mit Frauen zu besetzen – ebenso wie Frauen, die gern Karriere machen möchten, und Männer, die ein latentes Unbehagen an den Umwälzungen im Verhältnis der Geschlechter empfinden. Aber auch Menschen, die in Vereinen, Bürgerinitiativen, Parteien, Gemeinderäten, in Behörden konkrete Weichen stellen für das Zusammenleben und Zusammenarbeiten, was immer auch bedeutet: von weiblichen und männlichen Wesen.

Dieses Buch ist eigentlich unfertig – täglich finden sich neue Beispiele, die sich einfügen ließen. Es sollte, als ich 2009 damit begann, eine Art Bilanz darstellen – nach mehr als vier Jahrzehnten Erfahrung mit dem Alltag von Großunternehmen im Hinblick auf neue Geschlechterverhältnisse, mit praktischen Projekten und Studien zum Thema Familie, Nachbarschaft und Beruf, nach Diskussionen in Parteigremien – aber es sollte auch meine eigenen widersprüchlichen Erfahrung als Partnerin und Ehefrau, als Mutter, Stiefmutter, Schwiegermutter, Großmutter reflektieren. In der Bilanz wollte ich auch der Frage nachgehen, warum mich das Thema Männer und Frauen ganz zu Beginn meines eigenständigen Denkens, in der Studenten- und Frauenbewegung der 1960er- und1970er-Jahre, kaum bewegt hat (so wie es heute unter vielen jungen Leuten wieder der Fall ist), obwohl ich in einer zutiefst sozialdemokratischen Familie aufgewachsen bin, in der der Geist der Chancengleichheit selbstverständlich war – und meine Mutter dennoch Hausfrau blieb.

Schwerpunkt dieses Buches ist die Auseinandersetzung mit der Frage, warum die vielen Bemühungen der globalen Wirtschaft, Frauen in wirkliche Führungspositionen zu befördern, so hartnäckig und gründlich scheitern und welche Strategien vielleicht erfolgreicher sein könnten. Ein wichtiges Ziel war es auch, meinen Kolleginnen und Kollegen in der von mir gegründeten Firma nach meinem Ausscheiden eine Art Navigationshilfe anzubieten – auf dem Weg von einem reinen Frauenunternehmen zu einem Kleinkonzern mit inzwischen über 1300 fest angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, überwiegend Frauen.

Es zeigt sich nämlich, dass die spontan entstandene Frauenführungskultur in ihrer Dynamik gut verstanden werden will; dass zugleich aber ebenfalls gut überlegt sein muss, wie sich diese Kultur für Männer stärker öffnen lässt, ohne den Kern des Erfolgs, die effiziente Kultur von Frauen, zu beschädigen. Beim Nachdenken darüber eröffneten sich hier viele Tiefen und Untiefen, mir wurde auch deutlich, dass es sich dabei um ein Problem handelt, das sich spiegelbildlich zu den Schwierigkeiten des Aufstiegs von Frauen in männlich geprägten Organisationen stellt.

Erst bei der Befassung mit meiner eigenen Firma und der Frage, wie denn Männer in ein über lange Zeit ausschließlich von der weiblichen Arbeitskultur geprägtes Unternehmen zu integrieren sind, fiel mir die Parallele zwischen dem Thema Frauen/Männer in der Berufswelt und dem Thema Mädchen/Jungen in der Schule auf: Jungen bekommen im heutigen Schulsystem nicht das, was sie brauchen, um voranzukommen, und Frauen nicht in der Arbeitswelt. Wenn ein Geschlecht erfolgreicher ist, ist das andere nicht etwa inkompetent, unbegabt oder ungeeignet, sondern es trifft auf Strukturen, die seinem Wachsen und Gedeihen, seiner Entfaltung nicht förderlich sind. Das gilt für Jungen in den heutigen Schulen ebenso wie für Frauen in der heutigen Wirtschaft. Großflächiger Misserfolg von Gruppen, seien es Frauen oder Männer, Nationalitäten oder Religionen hat primär mit falschen Strukturen und weniger mit Versagen, mit mangelnder Kompetenz einzelner zu tun. Talente und Begabungen sind immer breit über die Gesamtbevölkerung verteilt, Dummheit oder Antriebslosigkeit vererben sich, wenn überhaupt, dann sozial. Über Erfolg oder Scheitern entscheiden nicht nur (aber auch) konkrete Bedingungen: Einkommen, Kindergärten, Ganztagsschulen, gute Betreuung pflegebedürftiger Menschen; entscheidend aber ist, ob es gelingt, mit Angeboten, Anforderungen und Anreizen Motivationen zu mobilisieren: Diese müssen die inneren Orientierungen und Werten derer ansprechen, die sie erreichen wollen – und daran, so meine Kernthese, mangelt es. Der umgekehrte Versuch, grundlegende Motivationen an Strukturen anzupassen, endet hingegen häufig im Misserfolg.

Eine solche These mag noch zu wenig differenziert sein, sie lässt auch etliches, was ihr zu widersprechen scheint, erst einmal außen vor. Aber sie hat mir geholfen, das Scheitern vieler gut gemeinter Versuche, Frauen für die Führungsspitzen von Unternehmen zu gewinnen, zu erklären und, hoffentlich, Anstöße für erfolgreichere Strategien zu entwickeln. Denn das ist mein Ziel: Wir haben die reale Gleichstellung auf allen Ebenen noch lange nicht erreicht, wir könnten sie aber deutlich beflügeln, wenn wir das, was die Menschen antreibt, reizt und motiviert, was ihnen Freude macht und sie anspornt, wirklich ernst nehmen. Die Schaffung des neuen Menschen von oben oder von außen kann nicht Ausgangspunkt von Politik sein. Veränderungsmut ist gefordert, auf der Basis des Respekts vor dem, was die Menschen mitbringen, als Frauen oder Männer; neue Horizonte erschließen, indem neue Erfahrungen miteinander gemacht werden können, an denen beide Geschlechter – oftmals – mehr Gefallen finden als am Alten.

Damit komme ich zurück zu einigen heftigen Debatten der 1960er-, 1970er- und der frühen 1980er-Jahre, die viele der heutigen jüngeren Leserinnen und Leser gar nicht mehr kennen. Ich habe 1985 mit meinem Buch Frauenzimmer – für eine Politik des Unterschieds und 1987 mit dem Müttermanifest der Partei der Grünen intensiv zu dieser Diskussion beigetragen und fand mich mit meiner Position zwischen allen Fronten wieder. Alice Schwarzer hatte sich 1975 unendlich verdient gemacht mit ihrem Buch Der kleine Unterschied, in dem sie die Gebärfähigkeit der Frau zum einzig tatsächlichen Unterschied zwischen Frauen und Männern erklärte. Das Buch trug dazu bei, Frauen endlich alle grundlegenden Kompetenzen zu attestieren, über die auch Männer verfügen. Doch mit meinem Müttermanifest, das in heftigen Kontroversen mit vielen »grünen« Frauen entstand, tat sich unter den Frauen ein tiefer Graben auf, der unüberbrückbar erschien. Meine Aussage, dass Mutterschaft nicht nur Last, sondern auch Lust bedeutet, meine Kritik an der Arbeitswelt und den Karrierepfaden vieler Frauen (»Die Karrierefrauen in ihrem Aquarium«) wurde als »rückwärtsgewandt« und »biologistisch« verdammt, weil ich damals schon über Forschungen berichtet hatte, die das unterschiedliche Kommunikationsverhalten von Frauen und Männern nicht als ewig sich wiederholendes chauvinistisches Ritual, sondern als neurobiologische verankerte Differenz sahen. Inzwischen wissen wir viel mehr über solche neurobiologischen oder biochemischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Sie besagen allerdings keineswegs, dass Frauen oder Männer bestimmte Tätigkeiten jenseits von Schwangerschaft und Geburt nicht ausüben können, sondern nur, dass sie vieles mit unterschiedlichen inneren Strategien tun.

Heute klingen diese Debatten wie ein Echo aus einer fernen Zeit, die Heftigkeit, mit der sie damals ausgetragen wurden, erscheint kaum mehr verständlich; vieles, wenn auch nicht alles, ist in allgemeinen Konsens übergegangen. Nicht wenige Frauen aus meiner Generation halten das für »gegessen«, für »alte Kamellen«, über die doch längst alles gesagt sei. Und junge Menschen, mit denen ich über dieses Buch diskutiert habe, meinen, meine Sichtweise auf die beiden Geschlechter bei diesem Thema sei höchst altmodisch und gefährlich: Junge Männer von heute seien viel kommunikativer als früher, Mädchen viel rücksichtsloser und härter, wir befänden uns mitten in einer großen Verschiebung mit offenem Ausgang, die keinerlei Festschreibungen erlaube. Wir sollten im Gegenteil alles tun, um die Erprobung neuer Muster und Stile, Cross-over-Verhaltensweisen zu unterstützen. Frauenfußball! Männer im Ballett! Frauen als Feuerwehrfrauen! Männer als Geburtshelfer!

All das gefällt auch mir, macht mir Mut, all das sollten wir unterstützen. Die Grenzen zwischen den Geschlechtern liegen ganz sicher auf keinen Fall darin, dass eine Frau oder ein Mann bestimmte Dinge nicht tun sollte oder tun könnte – Auto fahren in Saudi-Arabien oder Panzer steuern in Deutschland. Die Grenzen liegen nicht in der erforderlichen Kompetenz. Wie stark Frauen noch werden und wann Männer vorwiegend Röcke tragen, ist ungewiss – und ich setze keine normativen Grenzen. Im Gegenteil: Das Austesten und Überwinden von Grenzen ist Teil unserer Zukunft, Spaß an neuen Identitäten ebenfalls. Für viele.

Und trotzdem gilt: Wir haben ein mächtiges kulturelles und neurobiologisches Erbe in uns, das weiterhin unterschiedliche Geschlechterdispositionen erzeugt. Die Unterschiede in Motivationen und Antrieben, in Kommunikationsstilen und Interessen sind groß und in vieler Hinsicht stabil, wenn nicht sogar wachsend. Meine sechs Enkelkinder sind individuell sehr verschieden, die Jungen teilweise sanfter als die Mädchen, aber die Jungen-Mädchen-Differenzen sind dennoch geradezu überwältigend. Ich habe, all meinem Wissen zum Trotz, nicht damit gerechnet, wie heftig sich dies heute auch in so fortschrittlichen jungen Familien mit äußerst aktiven und fürsorglichen Vätern noch immer Bahn bricht. Von Anfang an.

Wie also können wir als von unserem jeweiligen Geschlecht stark bestimmte Individuen mit unseren spezifischen inneren Dispositionen so zusammenarbeiten, dass es uns Spaß macht und dass es erfolgreich ist? Dass es wirklich gelingt, und zwar auf Augenhöhe? Ganz unten und ganz oben! Und nicht nur für eng begrenzte Minderheiten, die kulturell dem anderen Geschlecht am nächsten sind?

Die feministische Wissenschaft hat Unschätzbares geleistet zu den Themen, wie Frauen und Männer sich zueinander verhalten, wie Gewalt aussieht, wie sich Diskriminierung anfühlt und wie sich Körpersprache auswirkt. Sie wurde zur unsichtbaren Stiefschwester der Versuche, frauenpolitische Strategien für Unternehmen, Verwaltungen und Politik zu entwickeln, geronnen in den Katalogen zum »Gender-Mainstreaming«, die so richtig sind, wie sie letztlich folgenlos bleiben. Die meisten dieser Konzepte und Rezepte basieren aber auf zwei problematischen Annahmen: der Opferrolle von Frauen und dem Wunsch, Frauen wie Männer umzuerziehen.

Dieser Text geht nicht in Gegenposition zu all dem, was entwickelt wurde. Vieles, was ich hier ausbreite, mag anderswo genauer und klüger geschrieben oder gesagt worden sein. Aber mein Ansatz ist dennoch grundsätzlich anders: Ich gehe davon aus, dass neues Denken und Handeln Freude machen, dass es anziehend sein, persönlichen Gewinn versprechen muss – jedenfalls mehr als Verlust. Schon im Müttermanifest hieß es, dass Männer erst dann in die Familien einziehen werden, wenn die familiären Aufgaben nicht nur als schreckliche Pflichten weitergereicht werden, sondern wenn der Gewinn an persönlichem Wachstum, Kompetenz und auch an Macht ins Zentrum rückt. Wenn also, schlicht gesagt, Kochen, Kinderbetreuung und in Ansätzen selbst die Hausarbeit »hip« werden. Wir sind dabei noch nicht weit gekommen, aber wer vor dreißig Jahren Kinder hatte, kann den Unterschied zu heute gar nicht leugnen. Ja, Väter machen noch immer freiwillig Überstunden und flüchten vor dem Abwasch. Aber nur extrem bornierte Menschen können die drastische Umwertung und die damit einhergehende Änderung des Verhaltens noch bestreiten. Ist die partnerschaftliche Beziehung dadurch glücklicher? Nicht immer. Ist sie unterm Strich produktiver und zukunftsfähiger? Eher ja, wenn auch – heute noch – anstrengender. Die Anstrengung kann sich aber legen, mit wachsender Erfahrung. Das gilt auch für Unternehmen und Politik.

Anreize also und Belohnung, Spaß am Experiment und der Veränderung und am klaren Nutzen, der daraus für die Zukunft zu ziehen ist – das ist der Kern meiner Vorschläge. Muss Veränderung immer wehtun? Vielleicht manchmal – vor allem aber muss sie Befriedigung verleihen, ähnlich einer anstrengenden Bergtour! Braucht es dazu Quoten? Wahrscheinlich. Aber besser wären andere Hebel. Und ganz sicher können Quoten nicht allein die nötige Tiefe und Nachhaltigkeit der Veränderung herstellen.

Damit kommen wir zum letzten und unerwarteten Aspekt, der dieses Buch auf der Zielgeraden ganz unverhofft mitgeprägt hat: Mein ebenso plötzlicher wie später Einstieg in die Welt der Politik, als »Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung«, in die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg. Die Bitte des angehenden Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, dieses Amt zu übernehmen, ereilte mich am 9. Mai 2011, meinem 65. Geburtstag. Nach intensiver Rücksprache mit meinem Mann stimmte ich zu, wohl wissend, dass dies unser Leben noch einmal heftig durchschütteln würde. Viele Frauen sagen mir seitdem, dass ihnen allein die Tatsache, dass in meinem Alter ein solcher Einstieg für eine Frau in die Politik noch möglich ist, Hoffnung für ihr eigenes Leben macht. Es stimmt: Ich bin in diesem Amt auch Ausdruck dafür, dass nicht nur Frauen und die Politik sich ändern, sondern auch, dass unsere Generation anders altern möchte als bisher, mit spannenden Aufgaben. Dabei kann es auch bisweilen mit weniger Geld gehen – mein Amt als Staatsrätin ist kein voll bezahltes Ministeramt, sondern ein Ehrenamt mit Aufwandsentschädigung, dafür aber mit allen Stimmrechten einer Ministerin.

Mit der plötzlichen Übernahme dieser neuen Aufgabe fürchtete ich zunächst, nun würde ich mich weit vom Thema dieses Buches entfernen, könnte es vielleicht gar nicht fertigstellen oder womöglich täte sich ein politischer Widerspruch zu meinem Amt auf, schließlich ist dieser Text mit niemandem aus den Gremien abgestimmt. Er steht auch nicht für eine Partei oder gar die grün-rote Regierung. Allerdings liefert auch Baden-Württemberg für seine Problemstellung manches »Material«: Die Beteiligung von Frauen an der Politik, die nur 18 Prozent der Abgeordneten – und damit weniger als in der letzten Legislaturperiode – stellen, ist äußerst gering und signalisiert ein grundsätzliches Defizit an Bürgerinnenbeteiligung im Land, zumindest auf der Ebene der repräsentativen Demokratie.

Kein Zufall, kann ich als Autorin dieses Buches sagen: Gerade auch die Politik sowie viele bisherige Formen der Bürgerbeteiligung, »runden Tische« und Expertenkommissionen sind zutiefst geprägt von den Barrieren, die eine Kooperation der Geschlechter auf Augenhöhe verhindern; nicht nur die Zeitbudgets, die Fragestellungen, Diskussionsstile, Sitzordnungen und auch die zuweilen etwas bauerntheatermäßig anmutende Debattenführung im Landtag sind wenig geeignet, Frauen anzusprechen und dazu einzuladen. Sicher, sicher, es geht um objektive Anforderungen und Aufgaben, aber eben auch um die innere Zugehörigkeit. Vieles, was geschlechtsneutral scheint, ist, ganz ungewollt und unschuldig, Männern oder – wenn auch viel seltener – Frauen »auf den Leib geschneidert« und grenzt das jeweils andere Geschlecht aus.

Und doch befinde ich mich – mit einem Bein in Stuttgart, wo ich etwa vier Tage meinem neuen Amt widme, und einem Bein in Berlin, wo ich dieses Buch fertigstelle und noch in meiner Firma beratend tätig bin – mit beiden Beinen, theoretisch wie praktisch, mitten in meinem Herzensthema: dem lösungsorientierten Umgang mit Konflikten, der aktiven Einbindung von Menschen, die sich zu wenig Gehör verschaffen können: Frauen, jungen Leuten, Senioren, den verzweigten kritischen Online-Communitys. Es gilt, sinnvolle und frühzeitige transparente Verfahren für die Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern durch die Verwaltungen zu entwickeln, ob es nun um die bessere Versorgung von alternden Migrantinnen und Migranten geht, um neue Kriterien für die Verleihung von Ehrennadeln oder um die Einbeziehung von Bäuerinnen in die Planung neuer Windräderparks, sodass sie auch wirtschaftlich an der Windernte beteiligt sind.

Ein dicht besiedeltes Land, das sich in einer »neuen Gründerzeit« befindet, braucht viele Diskussionen, wenn es um neue große Infrastrukturprojekte geht, und es muss dennoch in vernünftigen Zeiträumen zu Entscheidungen finden können. Ich gehe davon aus, dass die frühzeitige Einbeziehung der Menschen die Entscheidungen letztlich beschleunigt und die Beteiligten gleichzeitig klüger macht.

Zwischen meinem Ansatz in der Geschlechterfrage und der heutigen Politik gibt es eine unsichtbare Klammer: die sogenannte ökolibertäre Position bei den Grünen. Diese wurde vor über 25 Jahren in einem sehr kleinen Diskussionszirkel entwickelt, dem neben anderen auch Winfried Kretschmann, Wolf-Dieter Hasenclever, die heutige Europaabgeordnete Helga Trüpel, der spätere Chefredakteur der Welt, Thomas Schmid, mein früherer Lebenspartner Joachim Bergmann und ich selbst angehörten. Dieser Zirkel formulierte als erste Gruppierung innerhalb der Grünen, dass die Ökologisierung der Wirtschaft nicht primär mit Verboten durchsetzbar sein würde, sondern eines klaren Ordnungsrahmens und kluger marktwirtschaftlicher Anreize bedürfe. Es war eine Position, die damals absolut nicht mehrheitsfähig war. Winfried Kretschmann hat sie innerhalb der Partei konsequent weiterverfolgt und letztlich zu seinem Markenzeichen gemacht.

Hier trifft sich die Frage erfolgreicher nachhaltiger Wirtschaftspolitik, die den Ehrgeiz der Tüftler, Ingenieure und Unternehmer herausfordert, mit meinem Ansatz in der Geschlechterpolitik. Auch ich bin überzeugt, dass Wirtschaft und Verwaltung letztlich selbst erkennen werden, wie stark sie von einer echten Beteiligung von Frauen in den Top-Entscheidungsgremien langfristig profitieren werden. Der Anfang mag gesetzliche Hilfestellungen benötigen, ähnlich wie die Schulpflicht in Preußen gegen den Widerstand der Unternehmer und Großgrundbesitzer durchgesetzt werden musste, während heute alle Firmen wissen, wie entscheidend gut gebildete Arbeitskräfte für sie sind.

Auch wenn ich diesem Buch gern noch mehr Zeit gewidmet hätte, um hier und da zu glätten, Recherchen noch zu vertiefen, einige Zusammenhänge noch deutlicher zu machen – so glaube ich doch, dass seine Kernaussagen deutlich werden. Vieles wird hier nur gestreift und zusammengetragen, die Fachleute einzelner Disziplinen werden manches davon kritisch kommentieren. Aber ich habe keinen fachwissenschaftlichen Beitrag geschrieben, sondern wollte zur Debatte um Integration, um Einbeziehung – hier am Beispiel von Jungen in der Schule, von Frauen in berufliche Spitzenpositionen – beitragen. Im modernen Personalmanagement spricht man von »Diversity«-Strategien. Zwar hat die Debatte um Integration von Migrantinnen und Migranten mit diesem Thema manches gemeinsam, ist aber nicht deckungsgleich mit ihm. Der Geschlechterunterschied ist weiterhin eine grundlegende Unterscheidungslinie in allen Kulturen – und kommt in fast allen Konzepten und Strategien zur Integration, Diversity und Inklusion nicht vor oder sie zielen auf Umerziehung: Frauen sollen, um Karriere zu machen, ihr Verhaltens- und Darstellungsrepertoire männlich »aufrüsten«, Jungen in der Schule sollen »abrüsten«.

Eine pädagogische Zielsetzung auf eine völlige Angleichung der Geschlechter, mag sie den einen wünschenswert, den anderen erschreckend scheinen, ist jedoch weder in Sicht, noch ist sie wünschenswert, noch wird sie von Erfolg gekrönt sein. Nirgendwo. Nutzen wir doch also eher kreativ die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen, Männern und Frauen und spielen wir mit den Überschneidungen und Grenzverwischungen, die es bereits gibt. Und erschließen uns ihre unterschiedlichen inneren Antriebe und Motivationen als bisher ungenutzte Energiequellen für Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Parallele des Themas der Geschlechter zur Energiewende gibt mir Hoffnung. Manchmal gehen Veränderungen, die sich lange angekündigt haben, viel schneller als erwartet. So verkündet in diesen Tagen Japan seinen Ausstieg aus der Atomenergie – ein Land, das so fest auf Atomenergie gegründet war, dass trotz der Katastrophe von Fukushima eine rasche Umorientierung unvorstellbar schien. Das Land würde sicher auch großen Nutzen daraus ziehen, seine Frauen endlich stärker in die Führungsetagen einzubinden, sie sind dort ähnlich ausgeschlossen wie in Deutschland, nicht zuletzt, weil Japan einst die bismarcksche Sozialgesetzgebung mit dem männlichen Einverdiener als Modell für seine Entwicklung übernommen hatte. Alles hängt eben mit allem zusammen in unserer globalen Welt.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen.

Berlin, im November 2011

Ein Frauenunternehmen: Über die Erschließung verborgener Rohstoffe

Es ist kein Zufall, dass die Firma, die ich 1991 – zunächst unter dem Titel »Kinderbüro« – gegründet habe, ein Frauenunternehmen geworden ist – aber es war auch keine Absicht. Heute beschäftigen wir – unter dem Namen pme Familienservice GmbH – über 1300 Personen und reiben uns selbst verwundert die Augen über dieses rasante Wachstum eines kleinen Start-ups, das sich innerhalb von zwei Jahrzehnten von einem Ladenlokal im Münchner Schlachthofviertel zu einem echten Großbetrieb entwickelt hat. In ganz Deutschland gibt es nur ca. 2500 Betriebe dieser Größenordnung, und nur wenige davon wurden von Frauen gegründet und aufgebaut. Neugründungen sind hierzulande zu etwa 40 Prozent weiblich1, aber es bleiben oft Kleinstbetriebe und Alleinunternehmerinnen. Die Mehrzahl der DAX-Unternehmen zählt zu unseren Kunden, darunter sind viele internationale Konzerne; aber auch kleine Rechtsanwaltkanzleien verlassen sich zur Lösung familiärer Aufgaben zunehmend auf uns. Mehr als drei Millionen Beschäftigte können unsere Dienstleistungen in Anspruch nehmen.

War dieses Wachstum, war dieser Erfolg zufällig? Spielte es dafür eine Rolle, dass wir ein von Frauen geführtes und geprägtes Unternehmen sind? Ich meine: ja. Der Aufbau der Firma war untrennbar verbunden mit einer ungeahnten Freisetzung von Dynamik, Kompetenz, Energie von Frauen, denen dies oft niemand zugetraut hätte. Heute, in einer »reiferen« Phase des Unternehmens, lassen sich viele dieser spontanen Stärken des Aufbaus nicht mehr mit der gleichen Selbstverständlichkeit herstellen: Dennoch hängt unsere Zukunft auch davon ab, dass wir erkennen, welche Arbeitsweisen, Einstellungen und Handlungsmuster für dieses Unternehmen entscheidend sind – und was wie verändert werden kann, darf oder muss.

Vom Start-up zum Großunternehmen

Der Familienservice gehört ohne Zweifel einer typisch weiblichen Branche an: Dienstleistungen rund um Familie und Beruf, Vermittlung von Kinderfrauen, Krippenplätzen, Tagesmüttern, Altenbetreuerinnen, Au-pairs für Familien. Im Unterschied zur »normalen« Vermittlungsagentur wird allerdings unser Service größtenteils von Arbeitgebern finanziert – Unternehmen haben heute ein Interesse daran, dass die Tagesmutter zuverlässig ist, die Kinderfrau nicht abspringt, das Au-pair nicht in der Jahresmitte ersatzlos verschwindet; sie wollen sich als attraktive Arbeitgeber für Familien positionieren und Störungen oder Ausfälle bei ihren Mitarbeitern durch familiäre Krisen möglichst vermeiden.

Ein solches Geschäftsmodell bietet die Chance, einen viel breiteren Markt zu entwickeln, als es sonst möglich wäre. Denn: Die meisten Familien in Deutschland, auch solche mit guten Einkommen, würden sich eine solche Dienstleistung selbst nicht kaufen, da Maklerdienste fast immer als parasitär gelten; die meisten Menschen versuchen, diese Kosten zu sparen, selbst wenn sie ohne Unterstützung viel mehr Zeit investieren müssen und qualitativ oft schlechtere Arrangements zustande kommen.

Unser ursprünglicher Geschäftsbereich der Beratung und Vermittlung rund um Kinderbetreuung wurde inzwischen um den Betrieb von etwa sechzig Kinderbetreuungseinrichtungen in Kooperation mit Unternehmen ergänzt, um die nach wie vor krassen Lücken unseres öffentlichen Betreuungssystems zu schließen: Aufnahme von Kindern bereits im ersten Lebensjahr, flexible Teilzeitbetreuung, stunden-, tage- und wochenweise, Ferienprogramme und das Ganze mit einem hohen Personalschlüssel (jedes Kind, das weint, muss jemand auf den Arm nehmen können) und hochwertigen pädagogischen Konzepten ausgestattet.

Der Quantensprung von der lokalen Nanny-Agency für BMW zum überregional tätigen Großunternehmen hatte bei uns durchaus spezifisch weibliche Antriebskräfte: Bereits 1992 war es eine junge Frau in der Personalabteilung von BMW, die im Gespräch mit meiner mittlerweile verstorbenen Kollegin Monika Jaeckel am Deutschen Jugendinstitut und mir dieses Projekt entwickelte, ihre männlichen Vorgesetzten davon überzeugte und mich gewissermaßen coachte, wie ein erfolgreiches Angebot zu formulieren sei. Etwas Vergleichbares existierte bis dahin nicht in Deutschland; ich übernahm die wichtigsten Bausteine des amerikanischen Vorreiters zu diesem Thema: »Work-Family-Directions« in Boston – ebenfalls eine Gründung durch eine Frau, Fran Rogers, die wie ich ihre Prägung in den 1960er-Jahren erhalten und ihre Ideen im Auftrag von IBM und der Telefonfirma ATT im ganzen Bereich der USA umgesetzt hatte.

Die Bereitschaft, soziale Dienste für Familien im Auftrag von Großunternehmen anzubieten, setzte die Überwindung von Vorurteilen auf beiden Seiten voraus. Nicht viele Sozialwissenschaftler oder Praktiker der Jugendhilfe konnten sich 1991 einen solchen Zugang zum Thema Familienpolitik vorstellen. Aber es fiel mir als Frau doch leichter, die Barrieren zwischen Sozialarbeit und Unternehmen, sozialem Engagement und Gewinnorientierung, von reiner Wissenschaft und gezielter Auftragsarbeit aufzuweichen. Noch immer stößt dieses Vorgehen sowohl auf Bewunderung als auch auf grundlegende wirtschaftskritische Skepsis.

Es waren zunächst, Anfang der 1990er-Jahre, überwiegend Frauen in Unternehmen bundesweit, die über Presse und Mundpropaganda vom Münchner »Kinderbüro« gehört hatten und sich an uns wandten – Personalreferentinnen in öffentlichen Banken, die Gleichstellungsbeauftragte einer Fluggesellschaft, die beiden Sozialarbeiterinnen eines Pharmaunternehmens. Doch bald erreichte die Kunde von dieser neuartigen und, im Unterschied zu einer Kinderkrippe, eher kostengünstigen Dienstleistung auch männliche Führungskräfte, und einige Unternehmen boten sich an, als Werbeplattform für den Start einer Filiale im jeweiligen Standort zu fungieren und aktiv weitere Kunden mit uns zu suchen, denn eine Erweiterung des Abnehmerkreises machte die Dienstleistung auch für sie deutlich günstiger.2

Meine eigene Motivation für die Unternehmensgründung lag vor allem in meiner Leidenschaft für eine bessere Familienpolitik zugunsten erwerbstätiger Familien. Mein langjähriges Tätigkeitsfeld im Deutschen Jugendinstitut wurde mir zu eng; ich hatte dort seit 1974 spannende Projekte wie das Modellprojekt »Tagesmütter«, wissenschaftlich und praktisch begleitet, nun wollte ich unsere Ergebnisse aus vielen Jahren Forschung zum Thema Familie und Arbeitswelt, in West- und Osteuropa und den USA, stärker praktisch umsetzen, den lähmenden Stau an moderner Familienpolitik in Deutschland mit aufbrechen, anderen Müttern und Vätern die Erwerbstätigkeit erleichtern. Angesichts verkrusteter Machtstrukturen in den Parteien, verstockter kommunaler Bürgermeister und Stadträte, tatenloser Jugendämter, fundamentaler Bedenken von Kinderärzten, Medien und Kirchen, angesichts des Widerstands der großen Träger Caritas und Diakonie, wurden die Unternehmen die wichtigsten Partner für eine Ausdehnung der ganztägigen Betreuung in allen Altersstufen – besonders aber für Kinder unter drei Jahren. Die Familienministerinnen Renate Schmidt und Ursula von der Leyen nutzten nach 2000 dies dann für eine effektive Bündnispolitik und für gesetzliche Veränderungen, die einer kleinen Revolution gleichkamen. Vergessen wir nicht: Vor dem Mauerfall war die Familienpolitik, die in Westdeutschland fest auf dem Alleinverdiener-Modell beruhte, das zentrale ideologische Unterscheidungsmerkmal zwischen Ost und West. Nach der Wende wurde deutlich, dass das Ost-System der Betreuung von Kindern und die Erwerbsarbeit von Müttern viele Vorteile aufwies. Etliche Menschen im Westen waren durchaus angetan von diesen Errungenschaften – und Hunderttausende von Frauen aus den neuen Bundesländern, die in den Westen abwanderten, trugen zur Öffnung des Klimas bei. Doch entbrannte gleichzeitig eine letzte wütende Abwehrschlacht, die alle Fehlentwicklungen im DDR-Staat der dortigen Krippenerziehung und frühkindlichen Betreuung zuschrieb und vorübergehend noch einmal die alten Gräben aufriss. Unbestritten ist inzwischen, dass es in der DDR hohe Kompetenzen in frühkindlicher Betreuung und gut qualifizierte Erzieherinnen gegeben hat, trotz einer höchst problematischen kollektivistischen Rigidität.

Eine privatwirtschaftliche Firma, kein gemeinnütziger Verein

Neben der spannenden inhaltlichen Botschaft des Projekts lockten mich noch andere Aspekte: Ich war 45 Jahre alt und musste abwägen zwischen dem Abenteuer des Neuen und der Sicherheit meiner damaligen Stellung im öffentlichen Dienst, im Deutschen Jugendinstitut in München. Anreiz für die Unternehmensgründung waren die erhoffte inhaltliche Freiheit und die Möglichkeit, Zeit und Ort meiner Arbeit selbst zu bestimmen. Am Jugendinstitut wurde just in jener Zeit die Stechuhr mit Anwesenheitspflicht der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingeführt. Für mich wäre ein solches Stechuhrregiment aufgrund einer komplizierten familiären Lage gar nicht realisierbar gewesen – ich lebte in Bonn mit meinem Partner, die Kinder wohnten bei ihrem Vater in Niederbayern. Ich pendelte und erfüllte meine Berufspflichten an vielen Orten, in der Bahn, im Hotel, auf dem Flughafen und im Büro. Meine Aufgaben als Mutter nahm ich ebenfalls, so gut es ging, wahr, nicht zuletzt half ich den Kindern per Fax bei den Hausaufgaben – es war die Zeit eines ewig schlechten Gewissens, vor E-Mail oder Skype.

Darüber hinaus verletzte die Logik der Zeiterfassung aber sehr grundsätzlich alles, was ich zum Thema Effizienz und Produktivität von Kopfarbeitern schon damals verstanden hatte. Es ist ein Streit, der bis heute anhält, aber die Tatsache, dass immer mehr Betriebe von der Zeiterfassung zur Vertrauensarbeitszeit übergehen, ist Ausdruck dafür, dass Präsenzzeiten kein aussagekräftiger Indikator für Leistung sind. In unserem Unternehmen arbeiten wir konsequent und sehr erfolgreich mit Vertrauensarbeitszeit für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – auch für diejenigen, die in der Verwaltung tätig sind, in unseren Krippen oder als Beraterinnen im Telefondienst.

Die Entscheidung, ein Unternehmen zu gründen und keinen gemeinnützigen Verein oder eine gemeinnützige GmbH, war für mich praktischer und theoretischer Natur: Ich musste von diesem Projekt leben, musste für mich und meine Söhne materiell sorgen können. Ich musste mich finanziell deswegen eher besserstellen als während meiner Tätigkeit als Wissenschaftlerin im öffentlichen Dienst.

Für unsere Unternehmenskunden war es sehr wichtig, die Anbieter solcher Dienstleistungen von Anfang an als reguläre Firma wahrzunehmen, das ermöglichte klare Absprachen und Verträge zum Leistungsumfang und der Bezahlung, jenseits der eher willkürlichen Spendenlogik. Es ging auch darum, unsere Arbeit als tatsächlich wertschöpfendes Angebot für das Unternehmen, nicht etwa als sozialen Luxus für gute Zeiten, im Bewusstsein der Entscheidenden zu verankern.

Für die Mitarbeiterinnen, die ich bald gewann, war unsere private Unternehmensform ebenfalls ein starkes Signal. Viele kamen aus der sozialen Arbeit, verstanden sich primär als Helferinnen für Not leidende Familien. Bei »Klienten« aus sozial problematischen Familien ist für die Sozialarbeit stets der mentale Rückzug auf eine kulturelle Überlegenheit möglich – die institutionelle Autorität im Hintergrund macht es möglich, Dienstleistungen zu verweigern, kritisch oder unfreundlich zu den Kunden zu sein. Nun mussten die Kolleginnen lernen, sich als Dienstleisterinnen auch für Familien mit teilweise sehr hohen Einkommen, Ansprüchen und starker Karriereorientierung zu betrachten und dabei keine negativen Werturteile über diese Kunden zu fällen, auch wenn die Mütter sehr früh in den Beruf zurückkehrten oder sich für sehr lange tägliche Arbeitszeiten entschieden. Es ging darum, alle Lebensmodelle so zu unterstützen, dass sie für Eltern wie für Kinder geeignet waren.

Gerade in dieser Umorientierung begannen die Kolleginnen aber auch, ihre Arbeit viel stärker wirtschaftlich zu definieren, sich als Akteurinnen auf dem Feld der Wirtschaft, als selbstbewusste Partnerinnen von großen Unternehmen zu betrachten. Das mag für Frauen mit einem MBA-Abschluss und der Absicht, in einem Großkonzern tätig zu werden, eine Selbstverständlichkeit sein; für unsere Kolleginnen, die teilweise zuvor Hausfrauen und davor Büroangestellte oder Sozialarbeiterinnen gewesen waren, bedeutete dies eine ungeheure Stärkung ihres Selbstbewusstseins in einem Bereich, der bis dato ihren Ehemännern vorbehalten war. Die Botschaft war: Wir sind effektiv, wir behaupten uns in der Welt der Marktwirtschaft, wir sind Geschäftspartnerinnen großer Konzerne! Wir spielen unsere Kosten und auch den nötigen Gewinn ein – zumindest machen wir keine Verluste und sind nicht auf Wohltätigkeit angewiesen.

Soziale Arbeit in einem Unternehmen, im Auftrag der Personalabteilungen der DAX-Konzerne – das war ein dramatischer Sprung, trotz bescheidener Gehälter. Die Tätigkeit erschien auch vielen Frauen in Unternehmen, die uns beauftragt hatten, so attraktiv, dass sie sich bei uns bewarben – und in einigen Fällen auch zu uns wechselten, trotz geringerer Bezahlung. Das alles war vor zwanzig Jahren an sich schon durchaus eine Zeitungsnachricht wert, und die Presse reagierte denn auch ganz ohne Zutun unsererseits so heftig, dass wir immer wieder gefragt wurden: Wie hoch ist denn Ihr Werbeetat? Wir besaßen keinen und haben bis heute kaum einen!

Eine Firma zu sein, bedeutete aus meiner Sicht aber auch, dass rasche Entscheidungen möglich waren, dass im Zweifelsfall nicht lähmende Konflikte unter Mitgliedern und Vorständen, wie in so vielen Vereinen, sinnvolle und notwendige Entwicklungen blockieren konnten. Aus diesem Grund blieb ich auch lange Alleingesellschafterin – ich hatte viele GmbHs gesehen, deren Gesellschafter miteinander in Krieg geraten und deren Firmen daran zerbrochen waren. Heute sind mir aus dem Kreis der Mitarbeiterinnen unsere jetzige Geschäftsführerin Alexa Ahmad und die Entwicklerin unserer Datenbanken an die Seite getreten sowie ein externer Gesellschafter, mit dem aber die Kooperation in der Tat nicht immer reibungslos verläuft – hier stoßen die Besonderheiten unserer spezifisch weiblichen Unternehmenskultur und die Vorstellungen eines Menschen aufeinander, der ganz anders betrieblich sozialisiert wurde.

Mit dem Bekenntnis zur Rechtsform des Privatunternehmens – später ergänzt durch eine gGmbH – ist auch der Keim für den zentralen Widerspruch in der privaten Wirtschaft gelegt: Trotz starker Beteiligung der Kolleginnen an allen Prozessen, gilt letztlich die Verfügungsmacht der Gesellschafter. Dieser Widerspruch ist in unserer Firma bisher gut aufgefangen worden – durch unser sichtbares Engagement zugunsten unserer Mitarbeiterinnen, spannende Arbeitsinhalte, viel Vertrauen und viel Freiheit, flache Hierarchien, durch starke Unterstützung von Familien, Entgegenkommen bei Krisen, durch Reisemöglichkeiten, Benefits wie Diensthandys und durch die erkennbare Betonung eines positiven Teamgeists. Der Konflikt zwischen Kolleginnen und Gesellschaftern ist jedoch latent immer angelegt und droht aufzubrechen, wenn etwa der Unternehmensbereich schrumpft, Strukturen neu organisiert werden müssen, wenn durch die aggressive Niedrigpreispolitik von Kunden, insbesondere der Controller und Wettbewerber, die Spielräume für finanzielle Leistungen noch kleiner werden und notorische Überlastung droht. Auch der mögliche Verkauf von Unternehmensanteilen oder des Unternehmens in späterer Zeit wäre ein potenzielles Konfliktfeld.

Zur DNA eines Frauenunternehmens

Die Branche, in der wir tätig sind, ist also frauentypisch. Nicht frauentypisch dagegen ist die Tatsache, dass wir Unternehmen in die Finanzierung einbinden und unsere Tätigkeit für sie mit den Strukturen der kommunalen und länderspezifischen Förderung im Bereich Kinderbetreuung und Nachbarschaftshilfe verknüpfen. Diese Felder sind traditionell von den Wohlfahrtsverbänden besetzt – von männerdominierten Strukturen, die das Auftreten einer dynamischen, marktwirtschaftlich orientierten Organisation auf den Gebieten, die sie als ihre eigenen Domänen betrachten, mit Misstrauen und Abwehr beobachteten.

Unsere Firma ist aufgrund ihres sozialen Tätigkeitsfeldes nicht gerade im Hochlohnbereich angesiedelt, obwohl die Tätigkeiten äußerst komplex und anspruchsvoll sind. Ganz grob gesagt, wären die hohe Motivation und Effektivität, das enorme Engagement der lokalen Standortleiterinnen und ihrer Teams, das unternehmerische Denken, in der Form, wie es sich im Familienservice entwickelt hat, nach meiner Einschätzung zunächst mit Männern nicht möglich gewesen – zumindest nicht für mich. Das hat mit dem Themenfeld zu tun, aber auch mit den Erwartungen und Herangehensweisen von Männern an ihre Arbeitsplätze und an ihre Bezahlung.

Inzwischen sind etwa hundert Männer Teil unserer Belegschaft, vorwiegend im IT-Bereich, als technische Dienstleister, als Erzieher, Köche, aber auch als Berater für Lebenskrisen, Schulden und rund um alle Fragen der Pflege und Betreuung älterer Menschen. Der Anteil von Männern wird wohl in Zukunft noch wachsen – gerade im Bereich der Kindertagesstätte und Schule ist es ein vordringliches Ziel, mehr männliche Pädagogen zu gewinnen. Die gezielte Förderung von Jungen in den weiblich dominierten Bereichen von Kindertagesstätten und Schulen ist uns ein programmatisches Anliegen.

Doch die ersten prägenden Jahre, in denen die Organisationsstrukturen und Arbeitsweisen des Unternehmens sich entwickelten, waren ausschließlich von Frauen bestimmt. Die Firma war und ist deswegen eine Art Laborversuch, an dem wir beobachten können, wie sich Frauen aufstellen und organisieren, wenn sie selbst die Regeln entwickeln. Die Unterschiede zu einem von Männern bestimmten Unternehmen im Hinblick auf das, was Frauen motiviert, was sie antreibt, wie sie miteinander umgehen und Prozesse organisieren, wie sie sich Ziele setzen, was sie als Erfolg definieren, aber auch, wo sich Konflikte bilden, wie sie gelöst oder ausgetragen werden, sollten sich in einem solchen Umfeld klar ablesen lassen. Es wird sich dann vielleicht auch die Frage beantworten lassen, ob und wie es gelingen kann, mehr Männer in ein so geführtes Unternehmen gut zu integrieren, ohne dass die speziellen Stärken der Firma, besonders bei der Personalentwicklung und dem Freisetzen von Motivation und Kompetenzen von Frauen, geschwächt werden.

Gerade durch das Fehlen von Männern in unserem Unternehmen haben Frauen ganz selbstverständlich alle Aufgaben und Hierarchiestufen besetzt und gestaltet. Den krassesten Ausdruck fand dies im IT-Bereich. Die Beratung und Vermittlung im Auftrag von Familien erfordert, besonders wenn sie überregional erfolgt, umfassende Datenbanken – mit allen Familien und Kindern, die uns nutzen, allen Betreuungspersonen, die wir vermitteln, allen Einrichtungen, die uns bekannt sind. Das Ganze muss verknüpft werden mit den Unternehmen, die uns beauftragen – und es muss erkennbar sein, wer wann was für wen erledigt hat.

Die erste Software in unserem Haus wurde von einer Kollegin eingeführt, die noch bei ihrer Einstellung die Bedingung gestellt hatte, niemals mit einem Computer arbeiten zu müssen. Jedoch nicht nur hatte sie nach kurzer Zeit gelernt, einen Computer zu bedienen, sondern auch erkannt, dass wir die engen Grenzen unserer Dokumentation überwinden mussten, um leistungsfähiger zu werden – ein Fall von Empowerment einer Frau und pragmatischer Eroberung eines Feldes, das sie vorher weder kannte noch sich zutraute.3

Für unsere internen Zwecke wählten wir schließlich eine Datenbank, die unter Programmierern sehr umstritten ist, dafür aber einen für unser Frauenunternehmen unschätzbaren Vorteil bot: Sie ließ sich schnell anpassen und umprogrammieren, wenn neue Anforderungen gestellt wurden. Dafür müssen die Programmierer keine IT-Expertinnen sein; das Wissen lässt sich mit Motivation, Geduld und praktischer Intelligenz selbst aneignen, wobei eine Kollegin dabei ganz ungewöhnliche strategische und konzeptionelle Fähigkeiten einbrachte. Immer wieder stieß unser weibliches IT-Team auf Erstaunen in der Außenwelt, nicht nur weil es sich um junge Frauen handelte, sondern auch wegen der unkonventionellen Arbeitsweise: Bei den Datenbankbesprechungen zum »Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser« im Familienministerium erschien unsere langhaarige blonde Kollegin mit ihrem starken bayerischem Akzent und setzte neue Wünsche an die Datenbank auf dem Laptop noch vor Ort um, was mit »normalen« Datenbanklösungen niemals möglich wäre.

Markenzeichen unserer von Frauen für die Praxis entwickelten IT-Lösungen ist die sehr enge Verknüpfung von Inhalt und Programmierung. Die übliche Trennung zwischen denen, die die Abläufe kennen, oft Frauen, und denen, die diese Abläufe programmieren, gab es bei uns nicht. Genau diese Trennung ist jedoch Quelle zahlloser Störungen und Probleme der Anwender mit Datenbanken in der Welt von SAP und anderen. Dieser weiblich-pragmatische Zugang hat uns befähigt, eine ungeheuer leistungsstarke Datenplattform herzustellen. Mit dieser Eigenentwicklung unserer Software durch Frauen, die niemals eine IT-Ausbildung genossen hatten, die zugleich die datentechnische wie auch die inhaltliche Seite vollständig beherrschten, haben wir einen großen Beitrag zur Öffnung von Geschlechterstereotypen von Frauen geleistet – ohne dass dies programmatisch bewusst so angelegt war. Es war vielmehr eine Folge geringer finanzieller Mittel und der Tatsache, dass wir ein Frauenunternehmen waren.

Es kam dann zwischenzeitlich zu Krisen und Konflikten in diesem Bereich. Eine Zeit lang schien es so, als ob wir unseren eigenen weiblich geprägten Entwicklungspfad wie die Kinderkrankheit eines noch nicht ganz reifen Unternehmens betrachten und statt dessen die gängigen Ansätze und Modelle von Datenbanken übernehmen müssten, obwohl diese viel längere Umsetzungszeiten und damit Kosten erfordern und eine sehr viel geringere Flexibilität ermöglichen. Diese Krise im IT- Bereich ging einher mit der Phase, in der wir verstärkt Männer in viele Bereiche integrierten, was eine ganz neue Herausforderung für unser Unternehmen bedeutete. Und noch sind wir nicht am Ende dieses notwendigen Strukturwandels – es gelingt uns aber allmählich, die Denkmodelle zu versöhnen.

Viele Ehemänner oder Lebenspartner unserer Kolleginnen waren höhere Angestellte in großen Unternehmen und beäugten die Praktiken unserer rasch wachsenden Firma mit wohlwollender Skepsis. Dass ihre Frauen ein Unternehmen aufbauten, das sich so dramatisch von anderen Unternehmenskulturen unterschied, dabei sogar wirtschaftlich erfolgreich war und sich langfristig als Marktführer behaupten konnte, führte zu hitzigen Debatten. Es bewirkte allerdings auch, dass viele männliche Partner unsere Erfolge hartnäckig eher dem Zufall, dem Glück der ersten Stunde, nicht aber unseren Praktiken oder Kompetenzen zuschrieben, und der Ansicht waren, es werde schon die Zeit kommen, in der sich alles ändern und die Firma »normal« werden müsse. Und es führte dazu, dass viele Kolleginnen selbst der Ansicht waren, dezentrale Entscheidungen, unsere Prinzipien des unbedingten Vertrauens, der guten Laune, der offenen Strukturen und Projekte seien wahrscheinlich Zeichen von Unreife.

Genau das aber ist die zentrale Zukunftsfrage für unser Unternehmen: Was sind eigentlich die Kernpunkte der bisherigen weiblich bestimmten Unternehmenskultur? Wie weit sind sie tragfähig und produktiv für eine Zukunft, in der das Unternehmen vielleicht noch größer sein und ganz sicher mehr männliche Kollegen beschäftigen wird? Und wie weit sind sie sogar unverzichtbar, wenn wir uns behaupten wollen?

Gemeinschaftsgefühl und soziale Unterstützung

Im Rückblick liegt aus meiner Sicht der stärkste Motor für unseren Erfolg in unserer gemeinsam gelebten Vision, einer erfahrbaren Sinnorientierung, einer starken Teamkultur und in dem Gefühl, einen echten Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten – zumindest für Kinder und Familien, aber auch für die Wirtschaft. Zweimal im Jahr trafen sich zu Beginn alle Mitarbeiterinnen im Lufthansa-Schulungszentrum in Seeheim, um miteinander zu lernen, zu diskutieren, sich auszutauschen und zu feiern. Die Kolleginnen spürten dort nicht nur, dass wir viele waren und ständig wuchsen – sie ließen sich von den persönlichen Berichten über neue Ideen, Erfolge und Probleme auch inspirieren. Sie erlebten das Zusammensein mit so vielen Frauen eben nicht als das, was sie oft befürchtet hatten: als gefühlsduselige Weiberwirtschaft voller Intrigen, als ineffektive Zeitverschwendung mit zu wenig Lerngelegenheiten; vielmehr waren die Treffen voller neuer Erkenntnisse, bis zu zwölf Stunden am Tag – neue Freundschaften, Begegnungen, der Austausch über die Lebensgeschichten, Kinder, Ehemänner fanden am Rande statt. Es war eine Art explosiver Veränderungskultur, die Lernen und Lachen, Kopf und Gefühl verknüpfte. In dem Wissen, dass Frauen dazu neigen, sich in Emotionen zu verlieren, um dann genau darüber unzufrieden zu sein, hatten wir uns für ein Format entschieden, das eben nicht die persönlichen Beziehungen thematisierte, sondern die neue Software, die Gesetze zur Tagespflege, Kunden- und Arbeitsverträge etc. Es gab so vieles, was in rascher Folge aufbereitet und verarbeitet werden musste, denn wir eroberten und gestalteten ja gemeinsam ganze Kontinente von neuem Fachwissen. Vorbereitet und vorgetragen wurde dieses nötige Fachwissen jeweils von Kolleginnen unserer eigenen Standorte – nach dem Prinzip, dass die Frauen sehr schnell zu Expertinnen auf ihren Arbeitsgebieten werden mussten, und es in erstaunlichem Umfang auch wurden.

Die Erlebnisse waren so intensiv, die Ausstrahlung der Firma so stark, dass bisweilen von außen gemunkelt wurde, beim Familienservice handle es sich um eine Art Sekte. Aber hier fand keine Gehirnwäsche statt, sondern das Gegenteil: Wissen, Kompetenz, Entscheidungsfähigkeit jeder Einzelnen wuchsen im Eiltempo. In anderer Hinsicht jedoch traf das Gerücht zu: Es entstand ein starkes Gemeinschaftsgefühl für eine gemeinsame Sache. Gemeinsame große Gefühle bieten eine wichtige Brücke zur Verständigung – gerade unter Frauen.

Eine solche Kraftkur ist heute viel schwerer herbeizuzaubern. Das Unternehmen ist inzwischen mit über 1300 festen Angestellten zu groß für ein gemeinsames Erlebnis dieser Art – und es wäre in dieser Form auch nicht mehr effektiv. Die Wissensvermittlung ist aufgrund der Größe der Firma teilweise ins Internet abgewandert. Persönliche Treffen sind kleiner, und Telefonkonferenzen ersetzen nicht die starke Gemeinschaftserfahrung der Aufbauphase. Noch haben wir nicht den richtigen Ersatz für ein solches machtvolles Erleben gefunden. Wir suchen noch. Denn ohne solche Formen der erlebten Rückbindung an das »Ganze«, ohne Vergewisserung mit den anderen, ist es schwieriger, entstehende Interessenskonflikte zwischen Regionen und Projekten, aber auch persönliche Unstimmigkeiten klug zu bearbeiten.

Das fällt manchmal schwer, besonders wenn es darum geht, zwischen Standorten oder Produktbereichen Hilfestellung zu leisten. Hier existiert ein ständiges Spannungsfeld, das sich meist an der Frage entzündet, was gegenseitig finanziell berechnet und verrechnet werden muss oder kann – zwischen Berlin und dem Ruhrgebiet, zwischen Frankfurt und der Zentrale usw. – und was gewissermaßen auf das Konto der Solidarität zu buchen ist, eine Verteilung, die immer wieder neu ausbalanciert werden muss. Denn das Gespür für Fairness ist ausgeprägt, die Empfindlichkeit von Frauen groß, wenn es um reale oder vermeintliche Benachteiligungen geht. Wettbewerb in einer Frauenkultur bedeutet auch hier, nicht unbedingt mehr zu bekommen – es bedeutet vor allem, nicht benachteiligt zu werden.

Die größte Gefahr für die zukünftige Stärke unseres Frauenunternehmens liegt darin, diesen positiven Zusammenhalt und die Bereitschaft zur Unterstützung langsam zu verlieren, die am Anfang an den einzelnen Standorten ganz selbstverständlich waren. Es kennen sich nicht mehr alle Kolleginnen, es gibt viele unterschiedliche Aufgabenbereiche: die Mitarbeiterin einer Kinderkrippe in Westfalen weiß nicht wirklich viel über die Inhalte und Arbeitsweisen der Serviceagentur im »Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser«. Die Zentrale in Berlin sollte, wie alle Zentralen, vorwiegend als Dienstleistung fungieren – und wird doch, wie alle Zentralen, oft eher als fragwürdiger Überbau erlebt. Hier ist von der Geschäftsführung aus die Kunst der Selbstbegrenzung und der ständigen Hinterfragung nötig: Was muss wirklich zentral behandelt werden? Was kann und muss weiterhin dezentral entschieden werden? Meine persönliche Meinung tendiert dahin, mithilfe der Technologien, Telefonkonferenzen, Foren und des Intranets die Fähigkeit zu dezentraler Autonomie weiter zu fördern, weil nur eigene Entscheidungsfreiheit die Kreativität von Frauen – wie auch Männern – wirklich zutage bringt.

Der Humus des Persönlichen

Die Basis unserer Firmenkultur sind Frauenteams mit hoher autonomer Entscheidungskompetenz, flacher Hierarchie, keiner rigiden Arbeitsteilung – Teams, die zugleich den Auftrag haben, für den wirtschaftlichen Erfolg in ihrem Bereich und die gute Stimmung ihrer Mitarbeiterinnen zu sorgen. Privates ist zulässig, die Gestaltung des Arbeitstages – so weit möglich – nach den Erfordernissen auch des Privatlebens eine Selbstverständlichkeit, gelegentliche Heimarbeit üblich. Dabei allerdings ist zu beachten: Viele Kolleginnen gehen gern ins Büro, Heimarbeit ist für die meisten nur eine attraktive Ergänzung zum Büroalltag mit den Kolleginnen. Wer Kinder hat, möchte dem Alltag entfliehen. Junge Singles suchen die Abwechslung bei den Kollegen.

Den Respekt für die privaten Lebensumstände aber bringen wir auch durch unsere – für Außenstehende manchmal vielleicht bizarr wirkende – Unterstützung für ganz verschiedene private Lebenslagen zum Ausdruck. Wir fördern zwar nicht den langen Ausstieg unserer vielen Mütter – dafür brauchen wir sie viel zu dringend –, meist ermuntern wir sie, schon nach wenigen Monaten wieder zurückzukommen. Auf Fernpartnerschaften aber wird Rücksicht genommen; und wenn eine Frau einen Kinderwunsch hat und deswegen mehr Zeit und Entspannung oder Reisegelegenheit braucht, um schwanger zu werden, kann sie dies anmelden. Die Geburtenrate in dieser Firma ist extrem hoch. Bei Beziehungskrisen, Geldsorgen, finanziellen Engpässen und in wachsendem Maß auch bei Pflegebedürftigkeit von Angehörigen stellen wir unsere eigenen Dienstleistungen unentgeltlich zur Verfügung.

Es ist dabei keineswegs eine Kultur der Bequemlichkeit, die wir fördern. Wir haben vielmehr oft Phasen extremer Belastung und auch Überlastung durchzustehen; es gab schon Zeiten, in denen ein junges Team wochenlang kaum zum Schlafen kam, um ein Projekt wie versprochen auf die Beine zu stellen. Viele arbeiten ständig mehr, als eigentlich in ihrem Vertrag steht, ohne ihre Überstunden bezahlt zu bekommen, denn die Budgets sind gedeckelt. Wir müssen neue Ausschreibungen gewinnen, um den Verlust wichtiger Kunden an neue Wettbewerber bei Ausschreibungen zu verhindern, ganz wie andere Unternehmen auch. Die Zeiten, wo große Unternehmensverträge auf Zuruf und nach Sympathie vergeben werden konnten, wie das noch vor zwanzig Jahren der Fall war, sind ein für alle Mal vorüber.

Bei uns herrscht auch im Arbeitsalltag keine Trennung zwischen harter »objektiver« Arbeit hier, Teamgeist und Betriebsfest dort. Das ist unter Frauen niemals der Fall, für sie sind auch im Alltag, ob beim Telefondienst, der Suche nach einer passenden Kinderfrau, beim Organisieren eines Ferienprogramms oder der Vorbereitung einer Präsentation immer persönliche Elemente dabei – das kleine Wort über die Kopfschmerzen, das Wahrnehmen eines Schattens im Gesicht, der Kurzbericht über den Streit mit dem Liebsten am Wochenende stehen nicht im Gegensatz zur Leistung, sondern sind in einer Frauenkultur untrennbar mit ihr verknüpft, und zwar für die allermeisten Kolleginnen. In einem solchen Mikroklima wird sogar besonders schnell gearbeitet – das Lächeln, die kleinen Späße, die Anteil nehmende Reaktion blockieren nicht etwa die Effektivität, sondern machen sie erst möglich. Der kleine Kommentar über die Befindlichkeit lenkt nicht ab, sondern läuft im Gehirn parallel zur Sachfrage über einen Gesetzesparagrafen zum Datenschutz; in diesem Modus der Gemeinsamkeit und gegenseitiger Wahrnehmung werfen Frauen sich rasch Gedanken zu, tauschen sie aus, wandern Ideen zweimal geschwind im Kreis, um dann plötzlich an einer ganz bestimmten, und zwar der richtigen Stelle zu landen. Was für Männer an solch einer Kommunikation oft diffus, zirkulär und ungerichtet wirkt, als geschwätzig und vom »Eigentlichen« wegführende Störung empfunden wird, ist also oft höchst effektiv und auch schnell. Das Persönliche ist für Frauen gewissermaßen der Humus, in dem die Arbeitsprozesse besser gedeihen.

Dieses unterschiedliche Herangehen an Aufgaben in einer Frauen- oder Männerkultur bleibt nicht ohne Folgen. Männer, die als Einzelne in einem solchen System agieren, werden von ihren Kolleginnen oft als langsam, begriffsstutzig und umständlich erfahren und sind es dann auch. Ihr eigener männlicher Weg zur Problemlösung wäre ein anderer, scheinbar direkterer, jedenfalls würde er die Schleifen der persönlichen Interaktion und Wahrnehmung4 weitgehend auslassen, dafür ist er aber häufig weniger pragmatisch.

Der Versuch, Professionalität von Frauen ohne Beziehungsdimension zu definieren und zu gestalten, ist zwecklos und kontraproduktiv. Unbestreitbar aber ist, dass die persönliche Ebene unter Frauen auch am Arbeitsplatz das Potenzial zu extrem schädlichen, anstrengenden, destruktiven und bösartigen Konflikten in sich birgt. Alle Klischees über Frauen, die einander sabotieren, hintergehen, mit Gerüchten demontieren, anfeinden, schneiden, ausschließen, ablehnen sind vollständig zutreffend. Alle diese Muster bilden sich, zumindest teilweise, auch in einer Frauenkultur heraus – nach der ersten Aufbruchszeit, dann, wenn es um Neubesetzungen von Positionen, um neue Aufgabenverteilung, Territorien, Allianzen geht. Diese Weiberschlachten sind anstrengend und können gefährlich werden – wir wenden uns dieser Frage weiter unten noch eingehender zu. Doch sind sie nur die Kehrseite der intensiven, produktiven und effektiven Verknüpfungen, die Frauen in der Arbeitswelt herstellen können. Frauenenergie ist wie Atomenergie: Sie ist ungeheuer mächtig, birgt viele Potenziale, die noch nicht erschlossen und nicht einmal verstanden sind. Aber sie verursacht auch gefährliche Eruptionen, die eine ganze Firma kontaminieren können. Und genau diese Gefahren gilt es auch zu verstehen, um ihnen vorzubeugen.

Die positiven und negativen Dynamiken unter Männern sind demgegenüber viel besser bekannt und leichter beherrschbar – die üblichen Hierarchien von Wirtschaft und Politik beruhen darauf, wie Männer funktionieren, was ihnen entspricht, was sie verstehen und wie sie sich am besten entfalten. Auch hier zeigt sich inzwischen Veränderungsbedarf, doch nicht derselbe wie für Frauen. Eine Anpassung von Strukturen an ihre innersten Funktionsweisen und Dynamiken steht aber für Frauen noch aus – und erst recht für eine Welt, die gemeinsam von Frauen und Männern gestaltet wird.

Empowerment durch Verantwortung

Der amerikanische Journalist und Bestsellerautor Daniel Pink macht in seinem Buch Drive5 deutlich, dass Menschen am Arbeitsplatz auf zwei grundverschiedene Arten agieren – als gehorsame Ausführende im Modus der Fügsamkeit und des Befolgens von Anweisungen oder im Modus des echten Engagements, als wahrhaft kreative Arbeitskräfte. Das gilt ganz allgemein, das Meinungsforschungsinstitut Gallup etwa weist in seinen Studien immer wieder nach, dass nur der geringste Teil von Mitarbeitern jeweils wirklich beteiligt ist, die Mehrheit dagegen gewissermaßen stets Dienst nach Vorschrift betreibt. In Deutschland ist dies noch ausgeprägter als anderswo.6

Bei Frauen ist dieser Unterschied besonders krass. Frauen sind geradezu darauf programmiert, Vorgaben besonders gewissenhaft und tüchtig zu erfüllen. Dies ist die Logik der meisten klassisch weiblichen Berufe, gerade auch in der Industrie, wo sie mit Geduld und Feinmotorik Puppenkleider nähen, Elektrogeräte montieren oder Chips beschichten – auch wenn solche Tätigkeiten heute überwiegend in den Schwellenländern stattfinden –, oder im Büro, wo sie etwa als Steuergehilfinnen mit großer Exaktheit, Umsicht und Fachkenntnis die Belege der Kunden sortieren und interpretieren.

Bei den gleichen Frauen aber, die sich so erfolgreich als Arbeitsbienen einsetzen lassen, stecken hinter der geduldigen Fassade oftmals ungeahnte Fähigkeiten, Ideenreichtum, Mut, Verantwortungsbereitschaft, Dynamik. Es ist dies die Goldreserve des weiblichen Arbeitsvermögens, die es zu heben gilt und die sich überall heben lässt – durch Empowerment, durch Zuschreibung von Verantwortung, durch Vertrauen. Dies zumindest ist der Kern unserer Unternehmenskultur.

Eine ausufernde Ratgeberliteratur und eine ganze Beratungsindustrie befasst sich damit, wie Frauen etwa durch Mentoring, Coaching und Ermunterung dazu angeregt werden können, ihre Kräfte und Kompetenzen zu mobilisieren. Diese Modelle sind überwiegend von der Anschublogik geprägt, von der Vorstellung, dass den Frauen etwas fehlt, nämlich Mut und Entschlossenheit, die Grenzen ihrer Tüchtigkeit auszutesten und ihre Kompetenzen auch nach außen zu erweitern. Unser Ansatz sieht ähnlich aus, beruht aber doch auf einer anderen Wahrnehmung der Frauen. Unsere Antwort als Frauenunternehmen heißt: Die Frauen einfach mitten hineinwerfen in den Strudel der Aufgaben – sie können nämlich schon schwimmen –, ihnen größere Aufgaben als bisher zutrauen. Natürlich nicht wahllos; niemand wird eine Kollegin zur Produktverantwortlichen im Bereich Lebenslagencoaching machen, die vom Thema nichts versteht und noch gar keine Erfahrung hat. Aber – und das ist ganz entscheidend: Es muss auch keineswegs eine Person sein, die besonders durchsetzungsstark ist oder bereits besonders sicher auftritt, sondern einfach eine Person, bei der sich in ihrer bisherigen Arbeit zeigt, dass sie strategisch mitdenkt, plant, verlässlich ist, gute Ideen hat, tragfähige Lösungen entwickelt – auch im Kleinen. Und die auch Vertrauen genießt.

Stellt sich eine neue Aufgabe in der Firma, so wird eine solche Kollegin aufgefordert, sie zu übernehmen, als Filialleiterin, als Produktmanagerin, als Key Account Managerin, als IT-Entwicklerin, als Sachbearbeiterin. Kürzlich suchten wir zum Beispiel eine Person, die gut schreiben und texten kann, um unsere vielen Webseiten rasch und sprachlich gekonnt zu ergänzen, Flyer zu erstellen u.ä.. Die inhaltlichen Argumente werden ihr von den Fachfrauen geliefert, aber sie muss rascher und flotter texten können als diese. Eigentlich wollten wir uns dafür auf die Suche nach einer externen Bewerberin machen – was sich jedoch immer als schwierig darstellt, denn wie in allen Unternehmen so muss auch bei uns erst ganz viel spezifisches Wissen über unsere Kultur aufgebaut werden, bevor eine Person das richtig gut wiedergeben kann. Abends jedoch, beim Über-den-Flur-Plausch, fällt einer Kollegin ein: Wir sollten doch eine neue Kollegin fragen. Sie hatte bei einem Kongress bisher vor allem Organisations- und Rechercheaufgaben übernommen, wirkt sehr jung und unauffällig – und von daher sind ihre Talente von außen nicht automatisch erkennbar. Aber im Rahmen ihrer Arbeit hat sie bereits ausgezeichnete Texte ganz selbstständig abgeliefert. Das Entscheidende ist hier nun, dass ihre erfahrene Kollegin und Vorgesetzte dies erkennt und weitergibt, ihr den Erfolg einer Profilerweiterung gönnt.

Karrieren sind immer relativ, auch kleine Schritte können Neid auslösen. Irritationen bei anderen bleiben dabei nicht aus – warum diese Kollegin und nicht eine andere? Warum nicht ich? Doch alle wissen: Es wird bei Gelegenheit auch neue Chancen für andere geben, dabei bleiben alle außerdem fest eingebunden in eine Teamkultur, die Gehaltsunterschiede sind ohnehin eher gering – vor allem aber wird ein kleiner oder großer Aufstieg auch nicht mit starken Machtinsignien ausgestattet. Das ist einerseits dem Mangel an Geld in der Firma geschuldet. Es passt aber auch zu einer Frauenkultur: Hier wird grundsätzlich nicht der Abstand zu anderen betont, sondern die Nähe und Gemeinsamkeit – dies macht Entwicklungsschritte auch für die Frauen selbst leichter. Denn nichts oder fast nichts fürchten sie so sehr wie eine deutlich exponierte Stellung gegenüber der Gruppe oder die Ausgrenzung, und zwar auf jeder Hierarchiestufe.

»Produktverantwortliche« – beispielsweise für den Bereich Elder Care oder für Au-pairs – zu sein, ist deshalb auch keine klare Führungsaufgabe im Sinn von eindeutiger Weisungsbefugnis. Wohl aber eine Aufgabe, die strategische Entwicklung beinhaltet und mehr Kontakt zur Leitungsebene hat. Es sind Aufgaben, die gewissermaßen in der Schwebe bleiben – zwischen klarer Führungsaufgabe durch Anweisungen, Moderation, Koordination und Dienstleistung für die anderen Kolleginnen. Das hat damit zu tun, dass solche Aufgaben teilweise gar nicht, oder nur sehr begrenzt zusätzlich vergütet werden; es ist aber auch der hohen Ambivalenz gegenüber eindeutigen Karriereschritten und Statusabgrenzungen geschuldet, der Tatsache, dass Frauen – anders als Männer – Autorität ungern fest zuschreiben und nur ungern an eine Person dauerhaft vergeben. Schon kleine Jungen agieren in dauerhaften verlässlichen Rangordnungen, in Dominanzhierarchien, Frauen hingegen bilden Ansehens- oder Geltungshierarchien heraus, in denen Führungspositionen immer wieder auch infrage gestellt werden.7

Die etwas diffuse Beschreibung von »Führungsaufgaben« in unserem Unternehmen erzeugt zwar oft Unbehagen bei denen, die sie innehaben und auch bei denjenigen, die so koordiniert oder geführt werden, aber eine klare Anweisungs- und Entscheidungsstruktur, wie sie oft gefordert wird, bedeutet unter Frauen weit mehr Widerstand und Konflikt. Sie bedeutet außerdem, dass die »Geführten« ihre eigene Mitverantwortung reduzieren – wo sie sich nicht mehr gefragt fühlen, neigen gerade Frauen dazu, entweder einfach zu funktionieren oder indirekt zu sabotieren. Beides kostet Kraft, Motivation und Geld. Die Organisation muss also zwischen den Polen von möglicher Entscheidungsschwäche und möglicher Demotivierung navigieren und immer wieder einen neuen Kurs finden.

Aber trotz keineswegs ausbleibender Konflikte rund um Führungs- oder Projektaufgaben ist es immer eindrucksvoll und bewegend, wie die Kolleginnen darin oft wachsen, wie sichtbar sie ihren Radius erweitern, Neues lernen, Sprache und Haltung festigen, sich entfalten wie ein Schmetterling, der aus der Raupe kriecht. Der Effekt der Verwandlung hat sich bei Frauen auch in anderen Zusammenhängen oft gezeigt, etwa in den Tagesmüttervereinen der 1970er-Jahre, wo Hausfrauen-Mütter zunächst gemeinsam antraten, um fremde Kinder zu betreuen und nach wenigen Jahren einige von ihnen zu kraftvollen öffentlichen Sprecherinnen geworden waren, die ohne Scheu in Rathäusern und Parlamenten vorsprachen.

Es gibt allerdings auch Grenzen in diesem Entfaltungsprozess, die es zu erkennen und ehrlich zu benennen gilt. Nicht jede Kollegin ist für eine Führungsaufgabe im Bereich Verwaltung, Kundenbetreuung, Verhandlungsführung, Management usw. geeignet. Das heißt nicht, dass eine Frau eine Rolle nicht übernehmen dürfte, obwohl sie weiß, dass sie diese noch nicht gänzlich ausfüllen kann. Sie muss dann aber selbst erkennen, wo sie Unterstützung und Ergänzung benötigt – und sie muss dies zulassen können.

Ernenne dich selbst!