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Kopfschmerzen, Tinnitus, Sehstörungen, unruhiger Schlaf: Zähneknirschen kann das Leben stark beeinträchtigen, der Weg zu einer erfolgreichen Behandlung oft langwierig sein. Das weiß Christian Koch aus eigener Erfahrung. Seine mehrjährige Odyssee führte ihn zu diversen Ärzten und Therapeuten. Doch niemand brachte seine Beschwerden oder seine übermäßig ausgeprägte Kaumuskulatur mit Zähneknirschen in Verbindung. Eine Erklärung für seine Beschwerden fand er schließlich im Internet und nahm seine Therapie – unterstützt von Experten – selbst in die Hand. Seine Erfahrungen und intensiven Recherchen hat er ebenso in sein Buch eingebracht wie Interviews mit Therapeuten und Entwicklern neu erschienener Hilfsmittel. Ein Ratgeber für jeden, der etwas über die Behandlungsmöglichkeiten von Bruxismus erfahren möchte.
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Seitenzahl: 211
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Welche Vor- und Nachteile bieten die verschiedenen Behandlungsansätze von Bruxismus?
WILLKOMMEN IM CLUB!
WAS IST DA LOS? SYMPTOME UND URSACHEN
S3-Leitlinie: Was Ärzte sagen
Wie geht Knirschen?
Zähneknirschen, Zähnepressen, Kieferpressen
Kurze Vorstellung der Kaumuskulatur
Hypertrophe Muskeln
Enorme Kräfte
Schlaf- und Wachbruxismus
Ab- oder aufsteigende CMD
Woran kann man eine CMD erkennen?
Schmerzen
Missempfindungen
Bewegungseinschränkungen
Geräusche
Warum sind so viele Menschen betroffen?
Ist Bruxismus eine Zivilisationskrankheit?
Oder hat Zähneknirschen eine Funktion?
Wenn die Zähne sich nicht treffen – die Aufbiss-Hypothese
Okklusion: Der perfekte Biss
Was 0,1 mm anrichten können
Mögliche Ursachen für einen unebenen Aufbiss
Ist Zahnersatz schädlich?
Lost Wisdom – die Weisheitszahn-Hypothese
Serienausstattung mit Problemen?
Kiefer zu klein?
Ernährung im Kindesalter
Weisheitszahn-OP: Ein handwerklicher Eingriff
Und nun?
Ich hatte mal alles unter Kontrolle – die Stress-Hypothese
Ein beliebter Wahrnehmungsfehler
Wie der Körper Stress signalisiert
Haben wir mehr Stress als unsere Vorfahren?
Erste Ideen zum Stressabbau
Ich wäre gern abends so müde wie morgens – die Tiefschlaf-Hypothese
Gibt es einen „natürlichen“ Schlafrhythmus?
Schlaf- und Wachmacherhormone
Ein Warnsignal
Drei Freunde: Tryptophan, Serotonin und Melatonin
Blaues Licht und der Tag-Nacht-Rhythmus
Sitzen ist das neue Rauchen – die Bürostuhl-Hypothese
Körperhaltung bei Computerarbeit
Eine gesunde Körperhaltung anstreben
Ergonomie: körpergerechte Büroarbeit
WIE GEHT DAS WEG? WEGE, UM WENIGER ZU KNIRSCHEN
Selbstbeobachtung: kostenlos und doch hilfreich
Meine Forschung an mir selbst
Eine kleine Warnung
Dorothee knirscht nicht mehr
Schienentherapie – der Klassiker
Sinn und Zweck der klassischen Knirscherschiene
Schiene allein ist zu wenig
Tipps aus dem Dentallabor
Große, kleine, dicke, dünne: Schienen für jedes Problem
CMD-Zahnarztpraxis – das wird teuer
Ganzheitliche Zahnheilkunde
Qualitätsmerkmal: Interdisziplinäres Arbeiten
Vor der Schiene erst mal locker machen
Stoßdämpfer im Mund – Aqualizer
Abschleifen der Mahlzähne? Besser nicht!
Meine erste Knirscherschiene
Physiotherapie und Übungen: Massiere den Masseter!
Masseter: doppelseitige Massage
Wie findet man gute Übungen?
Kein Fabelwesen: Die Massagefee
Faszienbehandlung durch Cupping
Muskelentspannung durch Wärme: JawLax
Rolfing, Osteopathie und Kieferorthopädie
Rolfing
Kieferorthopädie bei Erwachsenen?
Beinlängendifferenz durch Kieferblockade
Den Brustkorb befreien
Kombination von Rolfing, Osteopathie und Somatic Yoga
Logopädie und Stressmanagement
Prof. Dr. Ulla Beushausen über Logopädie bei Bruxismus
Schwache Zunge wegen Schnuller in der Kindheit?
Mit Stress umgehen
Atlaskorrektur – endlich wieder aufrecht
Anzeichen einer Atlasfehlstellung
Atlantomed für eine schonende Atlaskorrektur
Atlasbehandlung: Mögliche Nebenwirkungen
Optometrie – Schiefhals wegen Schielaugen
Was ist Winkelfehlsichtigkeit?
Prismendioptrien und CMD
Die Arbeit von Optometristen
Trigeminusnerv und Augen
Biofeedback – unbewusste Vorgänge beeinflussen
Biofeedbacktherapie: EXPAIN change advanced
Biofeedback im Mund: Die bruXane
Treffen sich eine Rettungssanitäterin, ein Zahnarzt und eine Extremsportlerin …
Wirkungen in zwei Phasen
Zähnepressen am Tag – die Behandlung von Wachbruxismus
Die bruxApp
Der RelaxBogen: Entspannung der Faszien im Gesicht
Drei Tipps für weniger Stress
Unterschätze deine Möglichkeiten nicht!
Beziehe Position
Nutze den Stresskiller Ausdauersport
Kenne deine Stressoren und Antreiber
Über zwei Ängstliche
Innere Glaubenssätze
Mineralstoffhaushalt überprüfen – Kalzium und Magnesium
Ernährung und Nahrungsergänzungsmittel
Botox – Gift gegen Knirschen
Nicht gegen Bruxismus zugelassen
Kritische Nebenwirkungen
Symptom- statt Ursachenbehandlung
Mein Ampelsystem für Behandlungsansätze
Grüne Ampel: Schnell, einfach und fast bedenkenlos umsetzbar
Gelbe Ampel: Bewusste Entscheidung nötig
Rote Ampel: Besser dreimal drüber nachdenken
Weitere Ansätze und Ideen
Ganz subjektiv – mein persönlicher Rückblick und Ausblick
Zähneknirschen durch Augenstress
Informieren und ausprobieren
Was mir beim Bruxismus am meisten geholfen hat
Wie geht es weiter?
Die wichtigsten Ziele
ANHANG
Weiterlesen, -hören und -anschauen
Hallo und willkommen im Club! Jedenfalls nehme ich an, dass auch du zum Club der Zähneknirscher gehörst, denn sonst würdest du dieses Buch vermutlich nicht lesen.
Ich werde dir in diesem Buch meine persönliche Geschichte mit dem Knirschen erzählen: Durch welche Symptome habe ich es bemerkt, was habe ich dagegen getan, was hat geholfen und was nicht? Um dir nicht nur meine eigenen Gedanken vorzustellen, habe ich bei den Recherchen zu diesem Buch Experten getroffen, Interviews geführt, Bücher gelesen und neue Ansätze kennengelernt. Mehr dazu später – lass dich überraschen. Gleich zu Beginn möchte ich dich vorwarnen: Falls du auf der Suche nach dem einen Patentrezept bist, bei dem du nur einen Zaubertrank oder eine Tablette schlucken musst, dann ist dieses Buch leider nicht das richtige für dich. Wenn du aber bereit bist, Eigenverantwortung zu übernehmen und aktiv etwas dafür zu tun, dass es dir besser geht, dann ist dieses Buch für dich bestens geeignet.
Zähneknirschen, Zähnepressen und Kieferfehlfunktionen können ganz unterschiedliche Ursachen haben. Deshalb sind die Behandlungsansätze genauso unterschiedlich. Das, was mir geholfen hat, ist vielleicht nicht das, was dir helfen wird. Du entscheidest also am Ende selbst, welche Ideen aus diesem Buch du weiterverfolgen möchtest. Bist du dabei? Schön! Dann nicht nur willkommen im Club der Zähneknirscher, sondern auch willkommen im Club der eigenverantwortlich Handelnden! Da wir gleich doppelt Clubfreunde sind, mache ich so weiter wie bisher und duze dich. Ich hoffe, das ist für dich in Ordnung. Außerdem noch etwas: Damit dieses Buch angenehm zu lesen ist, spreche ich nicht von Zähneknirscherinnen und Zähneknirschern oder Bruxistinnen und Bruxisten. Ich spreche von Zähneknirschern und Bruxisten – und damit meine ich alle.
Die oben erwähnte Eigenverantwortung habe ich im Verlauf meiner Gesundheits- und Krankheitsgeschichte als den besten Weg für mich erkannt. Denn als ich nach 22 rundherum gesunden Lebensjahren eine Reihe unerklärlicher Symptome bekam, habe ich eine ganze Zeit lang auf das Urteil einzelner Ärzte vertraut und mir gedacht: Die werden schon wissen, was sie tun. Schließlich haben sie Medizin studiert und ich nicht. Als dann aber trotzdem mein Gesundheitszustand immer schlechter wurde und ich dafür von keinem Arzt eine nachvollziehbare Erklärung bekommen konnte, habe ich entschieden: Ich nehme die Sache selbst in die Hand. Seitdem habe ich mich mit Ernährung, Schlaf, Sport, Psychologie, Hirnforschung, Evolution und mehr befasst – und nach und nach viel an meinem Lebensstil geändert. Ich habe mein Leben entstresst, bewege mich vielseitiger und ernähre mich bewusster. Ich habe den Rat von Freunden wie von Experten eingeholt, Bücher gelesen, ausprobiert, manches beibehalten und anderes verworfen.
Heute bin ich sehr zufrieden mit meinem Gesundheitszustand und meinem Leben im Allgemeinen. Ich bin fit, als geborener Optimist sowieso meistens gut gelaunt und werde vielleicht ein oder zwei Mal im Jahr für ein paar Tage von einem Infekt ins Bett verfrachtet. Das finde ich ganz in Ordnung so. Mehrere Jahre zurück hatte ich noch mit ständigen Erkältungen, Rückenschmerzen, Magen-Darm-Problemen, schlechtem Schlaf und mehr zu kämpfen. Diese Probleme bin ich nach und nach losgeworden. Geblieben ist mir eine immer noch unerklärte Blendempfindlichkeit der Augen. Deshalb sieht man mich fast immer mit Hut und relativ häufig mit Sonnenbrille – immerhin eine Art Markenzeichen mit Wiedererkennungseffekt.
Ärzte und Therapeuten jeder Art schätze ich nach wie vor mit ihrer Erfahrung und ihren fachlichen Fähigkeiten. Heute bin ich mir allerdings bewusst, dass jeder Arzt und Therapeut nur einen bestimmten Kompetenzbereich hat. Es gibt Dinge, die er weiß, und das ist meistens eine ganze Menge. Aber es gibt auch Dinge, die er nicht weiß. Und auch das ist eine ganze Menge. Die besten Chancen auf eine gute Gesundheit gibt es daher in einem guten Zusammenspiel kluger Ärzte mit engagierten Patienten: Ein guter Arzt weiß, dass er nicht alles weiß. Deshalb begründet er seine Vorschläge und lässt den Patienten selbst entscheiden. Ein guter Arzt hört nie auf zu lernen, genauso wie ein guter Patient. So wie die Verantwortung für die eigene Gesundheit nicht durch den Rat eines Arztes ersetzt wird, so können umgekehrt das Wissen und die Erfahrung eines Arztes bei schweren Krankheiten weder durch die eigene Meinung noch durch das Lesen eines Buchs ersetzt werden.
Benutze dieses Buch hier also bitte als Ideenkiste, aber keineswegs als Ersatz für einen Arztbesuch. In diesem Buch stehen meine persönlichen Ideen und Erfahrungen. Ich bin kein Arzt. Ich weiß nicht, ob sie bei dir persönlich irgendwelche Nebenwirkungen haben können. Ich kenne deine individuelle Geschichte nicht und kann dir keinen auf dich zugeschnittenen Ratschlag geben. Daher übernehme ich auch keine Haftung dafür, wenn du Anregungen aus diesem Buch ausprobierst oder nicht ausprobierst. Besprich dich bitte mit deinem Arzt und triff deine persönlichen Entscheidungen, auf deine ganz eigene Verantwortung. Es geht schließlich um deine Gesundheit. Und die ist wichtig!
Die Geschichte dieses Buchs beginnt mit einer Wanderung im Jahr 2014. In der Nähe von Burghausen spaziere ich durch ein Waldstück am Inn und denke über die nächsten Etappen meines Lebens nach. Ich beschließe, mich mit meinem Kopf zu beschäftigen. Genauer gesagt mit den Stellen an meinem Kopf, die mir immer wieder wehtun. Wenn ich nämlich aufgrund meiner blendempfindlichen Augen Kopfschmerzen bekomme, dann beginnt das gar nicht bei den Augen. Es gibt zwei, drei andere Stellen am Kopf, die zuerst wehtun.
Bisher konnte mir niemand sagen, woran das liegt – weder der Hausarzt noch die Hals-Nasen-Ohren-Ärztin noch die zehn bis fünfzehn Augenärzte, bei denen ich war. Auch nicht die Augenklinik der Universität Münster, das Deutsche Klinikum für Diagnostik in Wiesbaden oder jener international renommierte Professor in der Schweiz, der mir eine beeindruckende Rechnung geschickt hat. Wenn die alle mir nicht sagen können, warum Licht mir Schmerzen bereitet, wie soll ich das dann selbst herausfinden? Ich weiß es nicht, aber ich möchte es versuchen.
Der erste Schritt ist klar: Wenn ich verstehen möchte, was in meinem Kopf passiert, dann muss ich herausfinden, was genau das für Körperteile sind, die mir wehtun. Sehnen, Knochen, Muskeln, Faszien, Nerven, Bindegewebe, keine Ahnung, was es da noch alles gibt. Das Vorhaben klingt nicht ganz einfach, aber es ist einen Versuch wert. Also unterbreche ich meinen Spaziergang, um das Smartphone aus der Tasche zu holen. Ich rufe Wikipedia auf und schaue anatomische Bilder von Köpfen an. Nach kurzer Zeit frage ich mich verblüfft: Kann das wirklich sein? Ich zoome noch etwas näher heran. Ich rufe das nächste Bild auf und schaue noch einmal genau hin. Aber ja, kein Zweifel. Das, was mir da ständig wehtut, sind meine Kaumuskeln!
Spontan stelle ich mir drei Fragen: Erstens frage ich mich, was eigentlich ein Kaumuskel bei den Schläfen zu suchen hat. Ich dachte, Kaumuskeln müssten irgendwie direkt beim Mund sein. Ist aber nicht so. Der Musculus temporalis deckt auf der Höhe der Stirn fast die gesamte Kopfseite ab. Zweitens frage ich mich, warum mir ausgerechnet die Kaumuskeln Probleme bereiten sollten. Essen macht mir doch Spaß: Ich esse gerne und viel. Aber auch wieder nicht so viel, dass deswegen gleich meine Kaumuskeln streiken müssten. Doch vielleicht ist das Essen auch gar nicht das Problem, denn beim Essen werden meine Kopfschmerzen normalerweise nicht mehr, sondern weniger – kurios. Also frage ich mich drittens, was da eigentlich für ein Zusammenhang zwischen Blendempfindlichkeit und Kaumuskulatur bestehen soll. Schon nach ziemlich kurzer Suche bietet Wikipedia dazu eine Antwort an: Lichtempfindlichkeit der Augen ist ein mögliches Symptom bei einer CMD. CMD ist die Abkürzung von Cranio-Mandibuläre Dysfunktion. Das bedeutet, dass in der Zusammenarbeit von Schädel (Cranium) und Unterkiefer (Mandibula) etwas nicht richtig funktioniert (Dysfunktion).
Der Temporalismuskel.
Cranio-Mandibuläre Dysfunktion bedeutet, dass in der Zusammenarbeit von Schädel (Cranium) und Unterkiefer (Mandibula) etwas nicht richtig funktioniert (Dysfunktion).
Ich weiß zwar an jenem Tag am Inn noch nicht so recht, was genau in meinem Kiefersystem nicht funktioniert und wie viele Muskeln auf die eine oder andere Weise mit dem Kauvorgang zu tun haben. Aber ich weiß schon einmal mit ziemlicher Sicherheit, dass meine vermeintlichen Kopfschmerzen in Wirklichkeit Kaumuskelschmerzen sind. Neben dem Temporalis kann ich eindeutig den Musculus masseter identifizieren. Wenn du versuchst, mit deinen Fingern durch deine Haut hindurch die Weisheitszähne zu berühren, dann sind deine Fingerspitzen ungefähr dort, wo auch der Masseter ist.
Der Massetermuskel.
Nach der Beschäftigung mit den Kaumuskeln frage ich mich, ob ich mir selbst gerade mithilfe meiner Wikipedialektüre wirklich eine Diagnose gestellt habe, die mir 20 gut ausgebildete Fachärzte nicht geben konnten. – Um es vorwegzunehmen: Die Antwort lautet Ja. Zwar ist die Knirscherei nicht die einzige Ursache für meine Blendempfindlichkeit und die daraus entstehenden Schmerzen, das ist mir in den letzten Jahren klar geworden. Aber ich kann mit eindeutiger Sicherheit sagen, dass ein enger Zusammenhang besteht: Hatte ich einmal eine richtig schlechte Nacht mit viel Zähnepressen, dann litt ich tagsüber unter sehr schlimmen Kopfschmerzen und meine Augen waren empfindlich. Hatte ich aber tief, erholsam und knirschfrei geschlafen, dann hielt sich am nächsten Tag auch meine Blendempfindlichkeit in Grenzen.
In den Jahren nach meiner „Wikipedia-Diagnose“ habe ich mich über CMD und über das eng mit ihr verbundene Zähneknirschen und Zähnepressen, den sogenannten Bruxismus, informiert. Ich habe einige Therapeuten aus unterschiedlichen Fachrichtungen aufgesucht und viele Behandlungsansätze ausprobiert. Wenn ich von dem Thema erzählte, habe ich überraschend oft den Satz gehört: „Auch ich knirsche mit den Zähnen.“ Erstaunlich viele Menschen sind betroffen. Viele wissen nicht, dass man eine Menge tun kann, um das Zähneknirschen und mit ihm die Kopfschmerzen, den Tinnitus und die weiteren Symptome loszuwerden. Als ich nach Büchern zum Thema suchte, fand ich einige Ratgeber von Therapeuten. Was ich aber nicht fand, war ein Buch von einem Betroffenen, der selbst beschreibt, was ihm geholfen hat und was nicht. Da ich genau solche Bücher am liebsten lese, in denen jemand von seinen eigenen Erfahrungen berichtet, habe ich beschlossen, das fehlende Buch selbst zu schreiben. Nun hältst du es in Händen.
Im ersten Buchteil erwarten dich zunächst allgemeine Informationen zu Bruxismus und CMD sowie ihren Symptomen. Außerdem lernst du die wichtigsten Theorien zu den möglichen Ursachen kennen. Der zweite Buchteil stellt dir Ideen für die Behandlung vor und erzählt meine persönlichen Erfahrungen mit verschiedenen Ansätzen.
Was ist der Unterschied zwischen Zähneknirschen, Zähnepressen und Kieferpressen? Und warum hat die Zahl der Betroffenen in den letzten Jahrzehnten so dramatisch zugenommen? Es lohnt sich, über die verschiedenen Erscheinungsformen von Bruxismus, ihre typischen Symptome und die möglichen Ursachen Bescheid zu wissen. So kannst du deine persönliche Situation am besten einschätzen. Der erste Teil des Buchs vermittelt daher Basiswissen, über das jeder Betroffene verfügen sollte.
Die Theorien, worauf CMD und Bruxismus zurückzuführen sind und wie man sie folglich therapieren sollte, gehen auseinander. Wie bei anderen Themen gibt es Trends oder sogar „Hypes“. Mir ist diese Reihenfolge erzählt worden: Zunächst ging es in der Medizin viel um die störungsfreie Funktion der Kiefergelenke, die der Ursprung allen Übels sein sollten. Dann kamen die Kaumuskeln und das Bindegewebe in den Blick. Als nächstes haben einige Therapeuten den gleichmäßigen Aufbiss zwischen den oberen und unteren Zähnen zum heiligen Gral erklärt. Eine weitere Welle hob in den letzten Jahren Stress und psychische Belastungen als die Haupt ursache für Zähneknirschen hervor. Je nach dem, welche Ursache dein Behandler für eine CMD annimmt, fallen die Therapiemethoden unterschiedlich aus.
Zum Glück habe ich bei meinen Gesprächen und Recherchen kaum Behandler getroffen, die sich fest auf einen einzigen heilbringenden Weg festgelegt und damit in ihren Methoden eingeschränkt hätten. Tatsächlich hat es sich mittlerweile herumgesprochen: Die größten Erfolgschancen für ein so komplexes Phänomen wie eine CMD entstehen in der Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen. Jede oben genannte Philosophie bringt einen anderen Blick auf das Leiden eines Betroffenen und dadurch andere Lösungsansätze, die helfen können. Bei der Wahl deiner Behandler achtest du daher am besten auf interdisziplinäre Vernetzung von Zahnärzten, Physiotherapeuten und anderen Spezialisten. Dazu kannst du einen Blick auf die Praxishomepage werfen oder noch besser in der Praxis anrufen und nachfragen.
Im Mai 2019 haben erstmals wichtige medizinische Dachverbände eine sogenannte S3-Leitlinie zur Behandlung von Bruxismus herausgebracht. Das ist die höchste Qualitätsstufe einer medizinischen Leitlinie, die Ärzten und Patienten bei ihren Entscheidungen helfen soll. Die Leitliniengruppe hat drei Jahre lang Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Artikel aus der ganzen Welt analysiert, bewertet und Handlungsempfehlungen daraus abgeleitet. Eingesetzt wurde die Leitliniengruppe von der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) und der zu ihr gehörenden Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGFDT).
Da die Leitlinie den aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstand zu Bruxismus widerspiegelt, möchte ich dir ihre Ergebnisse nicht vorenthalten. Daher wirst du in verschiedenen Kapiteln immer wieder Zitate aus der Leitlinie finden. Du erkennst die Zitate beim Durchblättern des Buchs an diesem Symbol:
Wichtig: Die S3-Leitlinie gibt Empfehlungen zur Behandlung von Bruxismus, nicht zur Behandlung von CMD. Falls bei dir wie bei vielen Betroffenen zusätzlich zum Bruxismus eine CMD vorliegt, kommen möglicherweise andere Behandlungsmethoden in Frage als in der S3-Leitlinie empfohlen.
Fangen wir direkt mit dem ersten Zitat an: Was sagt die Leitliniengruppe zu meiner Idee, dass kluge Patienten sich gut informieren und mit den Ärzten gemeinsam die nächsten Behandlungsschritte entscheiden sollten?
Empfehlung der S3-Leitlinie
„Mit Bruxismus diagnostizierte Patienten sollten über die festgestellten Befunde, Diagnose, ätiologische Zusammenhänge, Risikofaktoren, Prognose, Therapiemöglichkeiten und deren Kosten sowie die Risiken der Behandlung und Nichtbehandlung nach aktuellem wissenschaftlichem Erkenntnisstand aufgeklärt werden.“ (S. 54)
Erst einmal freue ich mich, dass eine wichtige Gruppe von Ärzten dies so sieht und den Patienten etwas zutraut. Ein interessantes Detail hinterlässt bei mir allerdings ein Fragezeichen: Die meisten Empfehlungen der Leitliniengruppe sind einstimmig oder fast einstimmig beschlossen worden. Diese nicht. Es gab 14 Ja-Stimmen, 9 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen. Damit ist die Idee, Patienten aufzuklären, die mit großem Abstand umstrittenste Empfehlung der Leitlinie. Da hätte ich bei der Diskussion gerne Mäuschen gespielt und gehört, mit welchen Argumenten sich Ärzte gegen eine Aufklärung von Patienten ausgesprochen haben.
Bruxismus bedeutet nicht zwangsläufig, dass auch eine CMD vorliegt. Es gibt Bruxismus mit CMD und Bruxismus ohne CMD. Erfahrenen Therapeuten zufolge treten beide aber fast immer zusammen auf.
Klären wir zunächst einmal die Begriffe. Wie gesagt bedeutet CMD, dass etwas im Zusammenspiel von Schädel (Cranium) und Unterkiefer (Mandibula) nicht richtig funktioniert (Dysfunktion). Dieses Problem ist häufig mit Bruxismus verbunden, also mit Zähneknirschen oder -pressen. Da Bruxismus und CMD oft gemeinsam auftreten und sich gegenseitig verstärken können, werde ich in diesem Buch immer wieder auf die CMD eingehen. Das Hauptthema dieses Buchs ist trotzdem der Bruxismus, das Knirschen und Pressen.
Viele Leute knirschen nicht im eigentlichen Sinn. Beim Knirschen reibt man die unteren und oberen Zähne aneinander oder stößt sie gegeneinander. Wahrscheinlich noch verbreiteter als das Knirschen ist das Zähnepressen. Dabei presst man die unteren und oberen Zähne kräftig aufeinander, aber man bewegt die Zähne nicht nach vorn, hinten oder zur Seite. Deswegen hört man beim Zähnepressen auch nichts – im Unterschied zum Knirschen. Wenn du schläfst, kann Knirschen dem Partner auffallen oder auch der App „Do I snore or grind“, die nächtliche Geräusche aufzeichnet. Über einen Schulfreund sagt seine Partnerin: „Es klingt so, als wenn er nachts ein ganzes Hähnchen zerkaut.“ Das ist also sicher ein Fall von Knirschen. Ob mein Freund zusätzlich presst, wissen wir noch nicht.
Er selbst war übrigens ganz überrascht davon, dass er nachts knirscht. Das könnte aber erklären, warum er morgens oft nicht ganz so erholt aufwacht und etwas Zeit braucht, bis er in die Gänge kommt. Während das Knirschen vor allem schädlich für die Zähne ist, schadet das Pressen besonders den Muskeln und auch dem Kiefergelenk. Das Pressen ist nicht weniger anstrengend als das Knirschen, weil wir mit den Kaumuskeln enorme Kräfte aufbringen können.
Eine dritte Form des Bruxismus ist das Kieferpressen. Dabei wird eine Spannung der Kaumuskulatur aufrechterhalten, ohne dass sich die Zähne berühren. Eine internationale Forschergruppe mit Lobbezoo, Ahlberg und anderen arbeitet seit Jahren an einheitlichen Kriterien, um Bruxismus zu definieren und in Grade einzuteilen. Den Fokus legt die Gruppe nicht auf den Zahnkontakt, sondern auf die Muskelaktivität – auch im Sinne des Kieferpressens. Im Deutschen fehlt eine einheitliche Sprachregelung. In manchen Texten werden die Ausdrücke Kiefer- und Zähnepressen gleichbedeutend verwendet.
Der Ausdruck Kieferpressen wird manchmal so verwendet wie hier beschrieben, manchmal aber auch gleichbedeutend mit Zähnepressen.
Mir persönlich ist egal, wie man eine angespannte Kaumuskulatur ohne Zahnkontakt nennt. Wichtig ist zu wissen, dass es das gibt. Wenn du wissen möchtest, ob du Kieferpresser bist, kannst du auf die bruxApp oder den RelaxBogen zurückgreifen. Beide stelle ich im Kapitel über Wachbruxismus vor. Ein Hilfsmittel im Mund wie ein Aqualizer oder eine Schiene bringt dir beim Kieferpressen hingegen nichts, weil sich die Zähne nicht berühren.
Bei Bewegungen des Unterkiefers, beim Kauen und beim Schlucken spielen mehrere Muskeln zusammen. Dazu zählen die Halsund Schluckmuskeln ebenso wie die Mundbodenmuskulatur. Für die Unterscheidung zwischen Pressen und Knirschen sind diese vier Muskeln wichtig:
• Beim Zähnepressen ohne Knirschen kommen vor allem drei Kaumuskeln zum Einsatz, nämlich der Temporalis, der Masseter und der Musculus pterygoideus medialis. Alle drei sind für den Kieferschluss wichtig.
• Der Musculus pterygoideus lateralis spielt vor allem beim Öffnen und Vorschieben des Unterkiefers sowie bei seitlichen Bewegungen eine Rolle. Er kommt stärker beim Zähneknirschen zum Einsatz, weniger beim Zähnepressen.
Die vier wichtigsten Kaumuskeln und das Kiefergelenk.
Zahnsubstanz wird vor allem beim Knirschen abgetragen. Es können Haarrisse in den Zähnen entstehen oder kleine Ecken abgebrochen werden. Das ist beim Pressen weniger der Fall. Dafür schadet das Pressen besonders stark der Muskulatur, denn sie wird über ein gesundes Maß hinaus angespannt. Beide Vorgänge können das Kiefergelenk in Mitleidenschaft ziehen.
Da das Kiefergelenk nah am Ohr liegt und beide durch die sogenannte Glaser-Spalte miteinander verbunden sind, werden Schmerzen im Kiefergelenk manchmal mit Schmerzen im Ohr verwechselt. Auch ich selbst hatte vor einigen Jahren diese unangenehmen Schmerzen, in beiden Ohren, ganz tief drinnen. Der HNO-Ärztin zufolge war aber alles in Ordnung. Erst im Rückblick ist mir klar geworden, dass seinerzeit vermutlich meine Kiefergelenke geschmerzt haben. Schön, dass sich das ganz nebenbei erledigt hat, als es mir nach und nach besser ging und ich weniger knirschte. Ganz selten höre ich mein Kiefergelenk knacken, wenn ich den Mund besonders weit öffne. Ein solches Knacken kann zwar eine Folge von Zähneknirschen sein, muss es aber nicht.
Den Masseter unterhalb der Kiefergelenke kannst du übrigens im Spiegel gut erkennen, wenn du die Zähne fest aufeinanderbeißt – bitte mit etwas dazwischen. Auch den Temporalis kannst du dabei gut sehen. Oder du beobachtest diese Muskeln ganz einfach bei anderen, am besten während du beim Mittagessen einem Menschen mit Glatze gegenübersitzt.
Beide Muskeln werden durch regelmäßiges Zähnepressen stärker, als sie sein sollten. Dann entsteht ein Teufelskreis: Durch das ständige Pressen werden die Mundschließermuskeln trainiert und wachsen. Dadurch kannst du noch kräftiger pressen und knirschen. So werden die Muskeln noch stärker. Und dann kannst du noch kräftiger pressen und knirschen … Du erkennst das Problem. Manche Zähnepresser kannst du am gut trainierten, in der Fachsprache „hypertrophen“ Masseter erkennen. Mein Vater hat mich einmal verwundert angeschaut und gefragt: „Sage mal, hast du Hamsterbacken?“ Vielleicht hätte er mit seinen diagnostischen Augen Zahnarzt werden sollen. Auch ein Wuppertaler Arzt wunderte sich 2012 über die Beule an meiner linken Kopfseite. Ein MRT, das zur Aufklärung der merkwürdigen Verformung gemacht wurde, zeigte meinen viel zu kräftigen linken Masseter. Ob ich vielleicht nachts die Zähne aufeinanderpresse, hat mich leider trotzdem keiner gefragt. Es mussten weitere zwei Jahre vergehen, bis ich durch Wikipedia selbst auf diesen Zusammenhang gekommen bin – ohne MRT.
Teufelskreis: Nächtliches Zähnepressen trainiert die Mundschließermuskeln. Mit kräftigeren Muskeln kannst du noch stärker pressen.
Der Masseter ist der stärkste Muskel im menschlichen Körper, zumindest im Verhältnis zu seiner Größe. Unser Schmerzempfinden ist im Schlaf um ein Vielfaches abgesenkt, sodass wir noch bei Schmerzen weiterschlafen können, die uns tagsüber stören würden. Beides zusammen führt dazu, dass beim nächtlichen Bruxismus wahnsinnige Kräfte wirken. Durchschnittliche Knirscher und Presser bringen einen Druck von 100 bis 800 Newton pro Quadratzentimeter Zahnfläche zum Einsatz. Das sind (physikalisch unkorrekt gesagt) 10 bis 80 Kilogramm pro Quadratzentimeter! Profis und Leistungsknirscher schaffen laut einem Positionspapier der Bundeszahnärztekammer sogar 480 Kilogramm pro Quadratzentimeter! Damit können sie eine Aufbissschiene kaputt knirschen.
Es gibt nicht nur den Schlafbruxismus, das nächtliche Zähneknirschen, sondern es kann auch passieren, dass wir tagsüber die Zähne aufeinanderpressen, besonders in Stresssituationen. Ich beobachte solchen Wachbruxismus in meiner Arbeit als Paarberater immer wieder, wenn ein Partner mit einem Vorschlag oder Vorwurf des anderen nicht einverstanden ist, aber nicht widersprechen möchte. Dann schluckt er seine Antwort herunter, oder anders gesagt: Er beißt die Zähne zusammen.