Schlüsselmomente - Liz Mohn - E-Book

Schlüsselmomente E-Book

Liz Mohn

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Beschreibung

Liz Mohn ist eine der einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft

»Du hast die Welt immer als Arbeitsplatz betrachtet.« So beschrieb Reinhard Mohn, Nachkriegsgründer des Medienkonzerns Bertelsmann, 2009 die beeindruckende Leistung seiner Frau Liz Mohn. Das kleine Mädchen aus Wiedenbrück, hineingeboren in eine scheinbar hoffnungslose Welt, entwickelte sich zu einer zielorientiert handelnden und verantwortungsbewussten Persönlichkeit. Jetzt blickt sie zurück auf »Schlüsselmomente« ihrer persönlichen Geschichte. Mit großer Offenheit spricht sie über die schweren Anfangsjahre in Gütersloh, erzählt, wie sie in das Leben an der Seite des einflussreichen Unternehmers hineinwuchs. Liz Mohn erkannte ihre Stärken, setzte eigene Schwerpunkte und schöpft bis heute unablässig Energie aus Begegnungen mit Menschen, lässt sich vom scheinbar Unmöglichen nicht bremsen. Hier erläutert sie ihre Ziele, formuliert Perspektiven für die Gesellschaft von morgen. Immer getreu ihrem Lebensmotto: Probier’s mal. Du schaffst es.

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Seitenzahl: 177

Veröffentlichungsjahr: 2011

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Dieses Buch widme ich in Liebe und großer Dankbarkeit meinem Mann Reinhard Mohn, der mein Leben mehr als fünfzig Jahre lang begleitet hat. Ein großer Unternehmer und Stifter. Ein visionärer Denker. Für mich war er ein unendlich liebevoller Partner. Mit seinem Vorbild und seiner Überzeugung hat er mein Leben geprägt:

Menschlichkeit gewinnt!

Inhaltsverzeichnis

VORWORTPROBIER’S MAL. DU SCHAFFST ES!
INTUITION ALS CHANCEZWISCHEN ANGST UND ZUVERSICHT: EINE KINDHEIT IM KRIEGICH WOLLTE MEHR AUS MEINEM LEBEN MACHENKEIN EINFACHER WEGSPONTANEITÄT UND INTUITION. ERSTE ERFAHRUNGEN BEIM AUFBAU DER BERTELSMANN STIFTUNG
PROJEKTE IN DER BERTELSMANN STIFTUNG UND WEITERE INITIATIVEN
LERNEN IM DIALOG – INTERNATIONALE BEGEGNUNGEN UND WEGWEISENDE ERFAHRUNGENMEDIZIN- UND GESUNDHEITSPROJEKTEMUSIK- UND KULTURPROJEKTELIZ MOHN KULTUR- UND MUSIKSTIFTUNGEINE FRAGE DES GLAUBENS. RELIGIOSITÄT UND GEISTIGE ORIENTIERUNG IN EINER GLOBALISIERTEN WELT
VERANTWORTUNG FÜR BERTELSMANN
UNTERNEHMENSKULTUR ALS ERFOLGSGESCHICHTEFÜHRUNG IN DER VERANTWORTUNGDIE ZUKUNFT DER UNTERNEHMENSKULTUR
DIE ZUKUNFT GEHT UNS ALLE AN
EINE DEMOKRATIE OHNE WERTE UND VERTRAUEN GIBT ES NICHTZUR GESELLSCHAFTLICHEN VERANTWORTUNG VON UNTERNEHMENDIE VEREINBARKEIT VON FAMILIE UND BERUFFRAUEN IN FÜHRUNGSPOSITIONENMIGRATION UND INTEGRATION ALS HERAUSFORDERUNGBRÜCKEN BAUEN FÜR DIE ZUKUNFT
ANHANGANMERKUNGENPERSONEN- UND SACHREGISTERZUR ENTSTEHUNG DIESES BUCHESQUELLENANGABENCopyright

VORWORT

Im Dialog mit meinem Mann Reinhard Mohn habe ich unendlich viel gelernt. Es war für mich ein großes Geschenk, dass wir über mehr als fünfzig Jahre hinweg in engem Gedankenaustausch zusammenleben konnten und dass ich nun sein Werk in der Familientradition bei Bertelsmann und in der Bertelsmann Stiftung fortsetzen kann. Für sein Vertrauen bin ich ihm zutiefst dankbar.

Mein Leben ist nicht immer gradlinig verlaufen. In mehr als vierzig Jahren Berufserfahrung habe ich Höhen und Tiefen erlebt, musste Krisen bewältigen und aus Fehlern lernen. Immer wieder stand ich vor Herausforderungen, musste neue Wege erproben. Aus spontanen Initiativen erwuchsen große Netzwerke, aus lokalen Unternehmungen entwickelten sich internationale Projekte. Und mit schöner Regelmäßigkeit werde ich immer wieder gefragt: »Wie schaffen Sie das nur?«

Meine Antwort finden Sie in diesem Buch.

Schon in meiner Kindheit war ich ausgesprochen neugierig. Aber erst später konnte ich, wie viele Frauen meiner Generation, meine eigenen Fähigkeiten erproben und erfahren, welche Begabungen mir tatsächlich in die Wiege gelegt worden waren. Ich bin immer neugierig geblieben, wollte immer weiter lernen. So habe ich erkannt, dass der Verstand allein nicht ausreicht, um schwierige Situationen zu meistern und Fehler zu vermeiden – ebenso wenig, wie Gefühle ausreichen, um verantwortliche Entscheidungen zu treffen. Wir müssen beides nutzen: Ratio und Intuition.

Mit diesem Buch möchte ich meine Erfahrungen weitergeben und den Menschen Mut machen, ihr Leben in die Hand zu nehmen und ihren eigenen Weg zu gehen. Geben Sie nicht auf, auch wenn es mal schwierig wird! Lassen Sie sich von Rückschlägen nicht unterkriegen!

Und ich möchte Ihnen meine wichtigste Erkenntnis mitgeben: Glauben Sie an sich selbst – dann schaffen Sie es auch.

Liz Mohn

PROBIER’S MAL. DU SCHAFFST ES!

INTUITION ALS CHANCE

In den zurückliegenden Jahrzehnten bin ich unzähligen Menschen begegnet. Dabei hat mich immer besonders interessiert, wie sich die Begabungen, Talente und Fähigkeiten des Einzelnen zusammensetzen und woran wir sie erkennen. Vor allem aber, wie wir das erkennen können, was nicht auf Anhieb sichtbar ist. Mit Menschen zusammenzuarbeiten ist bis heute meine Leidenschaft geblieben. Ob bei der Auswahl von Nachwuchskräften bei Bertelsmann oder bei Begegnungen mit jungen Menschen auf der ganzen Welt, immer interessiert mich vor allem eines: Was macht einen Menschen zu einer unverwechselbaren Persönlichkeit? Was gibt ihm innere Kraft? Was ermutigt ihn, Herausforderungen nicht nur anzunehmen, sondern auch an ihnen zu wachsen? Und last, but not least: Was ist notwendig, damit ein Mensch Führungsqualitäten entwickeln kann? Ich meine damit nicht nur bestimmte Positionen in einem Unternehmen. Führung heißt Vorbild sein. Das gilt auch für die Arbeit in einem Ehrenamt, für die Projektleitung in sozialen, kulturellen und anderen Bereichen. Natürlich ist Fachkenntnis unerlässlich. Für herausragende Positionen benötigt man heute eine gute Ausbildung und eine fundierte fachliche Kompetenz. Doch das ist es nicht allein. Ich habe viele außergewöhnlich begabte und hervorragend ausgebildete Menschen getroffen, die sich im Umgang mit anderen unsicher zeigten, kontroversen Diskussionen aus dem Wege gingen und es vermieden, persönliche Haltungen erkennen zu lassen. Kurzum, sich da zurückzogen, wo es gerade auf sie ankam. Menschen, die ihren eigenen Gefühlen nicht vertrauten und eine persönliche Haltung vermissen ließen. Analytische Fähigkeiten und erwiesene Fachkompetenz sind nicht alles. Die Hirnforschung weiß heute, dass wir im Unbewussten ungleich mehr Informationen verarbeiten können, als dies unser rational gesteuerter Verstand vermag.1 Anders, als es uns unsere abendländische Kultur seit Generationen vermittelt hat, sind Gefühle keine Gegenspieler unserer Intelligenz, sondern stellen selbst eine Form der Intelligenz dar.

In meiner Generation war es bis vor wenigen Jahren verpönt, über Gefühle als Entscheidungshilfen zu sprechen. Wer emotional war, galt als minderbegabt. War es noch dazu eine Frau, die auf ihre intuitive Einschätzung verwies, wurde sie im Familien- und Freundeskreis belächelt und von den Kollegen nicht ernst genommen. Denn Bezeichnungen wie »emotionale Intelligenz« oder »intuitive Einschätzung« galten lange als weiblich. Von Managern traditionellen Typs wurden sie nur belächelt.

Das hat sich inzwischen grundlegend geändert, und die Frauen meiner Generation haben diesen Wandel besonders stark erlebt. Heute sind es gerade diese Eigenschaften, die zu den wichtigsten Führungsqualitäten gehören. Wer seiner Intuition vertraut, erweitert seine Persönlichkeit. Wir öffnen unser Handeln und können abseits bereits erprobter Pfade neue Wege beschreiten, neue Ideen entwickeln und neue Projekte initiieren. Wir können Menschen zusammenbringen, die einander sonst nie begegnet wären, und damit ungeahnte Potenziale erschließen. Der Kraft der eigenen Intuition zu vertrauen, ist deshalb eine große Chance. Ich habe unzählige Beispiele dafür erlebt.

Natürlich ist Intuition nicht alles. Das emotionale Wissen benötigt die Korrektur durch unseren Verstand, den Einbezug von Expertenwissen und analytischem Denken, wie umgekehrt der Verstand ohne die Intuition an seine Grenzen stößt. Ratio und Intuition zusammen aber sind ein unschlagbares Team. In dem Maße, wie ich gelernt habe, meiner Intuition zu vertrauen, sind mir ungeahnte Kräfte zugewachsen. Plötzlich ließen sich Projekte realisieren, von denen ich vorher kaum zu träumen wagte. Von dieser Chance möchte ich erzählen. Sie ist der Schlüssel zu einer Vielzahl meiner Projekte und Initiativen. Oft war da nur ein erstes Gefühl, dass etwas getan werden müsse, welches mich zum Telefonhörer greifen ließ. Eine erste Idee entstand, der weitere folgten. Aus meiner spontanen Initiative erwuchs allmählich ein Netzwerk, für das sich immer mehr Menschen engagierten. Aus einer intuitiven Entscheidung erwuchsen ungeahnte kreative Kräfte. Was klein anfing, wurde groß. Und doch ist es bis heute so, dass die kreativen Kräfte in unseren Schulen im Verhältnis zu den rationalen kaum gefördert werden.

Wer in unserer Gesellschaft etwas bewegen will, muss die ausgetretenen Pfade verlassen. Wir müssen Neues wagen, wir müssen scheinbar Vertrautes auch kreuz und quer denken dürfen, um sicher zu sein, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir müssen Fehler machen dürfen. Und wir sollten alle wieder neugierig genug werden, um lebenslang lernen zu wollen.

ZWISCHEN ANGST UND ZUVERSICHT: EINE KINDHEIT IM KRIEG

Die Welt, in die ich hineingeboren wurde, versprach wenig Sicherheit. Mein Leben begann am Vorabend der deutschen Kriegserklärung an Russland, die Erwachsenen waren voller Sorge. Heute wissen wir, dass die Angst der Mutter, Aufregung und Not in den ersten Lebenswochen tiefe Spuren im Unterbewusstsein der Menschen hinterlassen können. Wir tragen diese Ängste in uns, mitunter begleiten sie uns ein ganzes Leben. Aber die frühe Erfahrung, dass das Leben keine Insel der Seligen ist, sondern dass das Überleben enorme Kräfte erfordert, aber zugleich ungeahnte Kräfte in uns freisetzen kann, hat die Frauen meiner Generation stark gemacht.

Die gesellschaftlichen Veränderungen, die wir Kriegskinder erlebt haben, sind immens. Das gilt in ganz besonderem Maße für die Frauen, die ihre Teilhabe an Bildung, Ausbildung, Beruf und gesellschaftspolitischem Engagement oft mühsam erkämpfen mussten. Für die Frauen meiner Generation war nichts davon selbstverständlich. Wenn ich heute Vorträge halte und die vielen jungen, gut ausgebildeten Frauen sehe, dann erfüllt mich das mit großer Freude. Umgekehrt staunen die jungen Frauen oft über die Vielzahl meiner Aufgabenfelder und Interessen. Oft fragen sie mich ganz direkt: »Wie schaffen Sie das alles? Was hat Ihnen Kraft und Mut gegeben? Wie sind Sie zu der Frau geworden, die Sie heute sind?«

Was also ist es, das unsere Persönlichkeit prägt? Wann entdecken wir unsere ureigenen Kräfte? Wie entdecken wir unsere ureigenen Begabungen? Und was schließlich gibt uns den Mut, auch bei unvermeidlichen Fehlern und Rückschlägen nicht aufzugeben, sondern uns selbst und den einmal gesteckten Zielen treu zu bleiben?

Es war ein weiter Weg für das kleine Mädchen aus Wiedenbrück bis zu meiner Verantwortung für die Bertelsmann AG und die Bertelsmann Stiftung. Ich hatte das große Glück, an der Seite meines Mannes Reinhard Mohn auf zahlreichen Reisen, bei faszinierenden Begegnungen und im Dialog mit außerordentlichen Persönlichkeiten aus der ganzen Welt unschätzbare Erfahrungen zu sammeln. Diese Erfahrungen haben mich aber auch mit mir selbst bekannt gemacht. Heute kann ich meine Stärken und Schwächen einschätzen. Vor allem aber habe ich gelernt, all mein Tun unablässig zu hinterfragen: War das richtig? Was kannst du noch verbessern, was musst du verändern?

In vielen schwierigen Situationen, in der beständigen Anspannung neuer Herausforderungen habe ich – wie andere Frauen auch – gelernt, auf meine innere Stimme zu hören. Das war nicht immer so. Umso mehr freut es mich, dass mit dem wachsenden Erfolg von Frauen in Führungspositionen auch die Bedeutung der Intuition bei unserer täglichen Entscheidungsfindung mehr Beachtung erfährt.

In der Geschichte meines Lebens und in der Entwicklung meiner beruflichen Aufgaben hat es immer wieder Schlüsselmomente gegeben, in denen ich wusste: Das ist es! Das will ich machen! Das könnte ein Erfolg sein. Und oft genug war der Weg dorthin nur mit harter Arbeit, enormer Zähigkeit, strenger Disziplin und Ausdauer zu bewältigen. Zahllose nationale und internationale Projekte und die verschiedensten Arbeitsfelder der Bertelsmann Stiftung sind so entstanden. Ein mitunter zaghafter Beginn ist an den Widerständen gewachsen. All das hat mir eine Fülle von Erfahrungen beschert, die ich mit diesem Buch weitergeben möchte.

Die widerstrebenden Gefühle von Angst und Zuversicht haben meine ganze Kindheit geprägt. Durch die Nähe meines Geburtsorts Wiedenbrück zum Ruhrgebiet und die Nachbarschaft zu Bielefeld erlebten wir eine starke Bombardierung. Wie oft riss meine Mutter mich aus meinem Kinderbett und trug mich in den Luftschutzkeller. Die jahrelangen Erfahrungen von Angst, Hunger, Kälte und Not gehören zu meinen unauslöschlichen Erinnerungen. Doch in den schlimmsten Stunden war da auch immer die rettende Hand meiner Mutter, deren ungeheuren Lebensmut und Optimismus ich bis heute nicht hoch genug einschätzen kann.

Mein Vater kämpfte mit schweren gesundheitlichen Problemen. Seine Invalidität bewahrte ihn vor dem Kriegsdienst, doch für einen Mann seiner Generation bedeutete das eine Schmach. Er hat darunter gelitten. Als zweitjüngstes von fünf Kindern erlebte ich, wie meine Mutter uns in den schweren Kriegszeiten weitgehend allein großziehen und versorgen musste. Es blieb ihr gar nichts anderes übrig, als eigenständige Entscheidungen zu treffen und für ihre Familie die Verantwortung zu übernehmen. Während sie für uns kochte, nähte und wusch, sang sie oft vor sich hin – durch sie lernte ich unzählige Lieder kennen.

Obwohl wir selbst jeden Pfennig umdrehen mussten, blieben die Güte und Großzügigkeit meiner Mutter anderen Hilfsbedürftigen gegenüber davon unberührt. Ohne einen Teller Suppe, ohne ein Stück Brot wurde keiner fortgeschickt. In den dunkelsten Jahren hat sie viel Kraft aus ihrem katholischen Glauben geschöpft. Auch wir Kinder mussten jeden Morgen um sieben Uhr vor der Schule zur Andacht gehen, das gemeinsame Tischgebet war selbstverständlich.

Meine Mutter klagte nicht. Sie nahm ihr Leben so, wie es war, und hat oft genug mit ihrer tiefen Lebensbejahung das Unmögliche für uns Kinder möglich gemacht. Wie sehr mich ihre starke Persönlichkeit, ihr geselliges und fröhliches Wesen geprägt haben, ist mir erst Jahrzehnte später bewusst geworden. Damals war sie mein ganzes Glück, ich hing an ihr und mochte mich gar nicht von ihr trennen! Dem Kindergarten widersetzte ich mich mit ganzer Kraft, doch dem Tag der Einschulung konnte ich nicht entgehen. Ich hatte große Angst! Doch der Schritt in die Schulgemeinschaft weckte auch meine Neugierde, und bald hatte ich mich an den Unterricht gewöhnt.

Wenn ich mich geliebt und geborgen fühlte, wuchsen mir mitunter ungeahnte Kräfte zu. Ich vergaß meine Ängste und probierte einfach aus, was mir in den Sinn kam. So spazierte ich manchmal mutterseelenallein durch die Wiesen am Ufer der Ems. Ich hatte einfach beschlossen, den Vögeln zu lauschen. Entsetzte Nachbarn hatten meiner Mutter berichtet, dass ich seit meinem vierten Lebensjahr versuchte, wieder und wieder in den Fluss zu springen, um mich an den Weiden entlang an das gegenüberliegende Ufer zu hangeln. Ich wollte um jeden Preis schwimmen lernen, und das gelang mir auch. Das Wasser ist seitdem mein Element, und ich bin bis heute eine begeisterte Schwimmerin geblieben. So klein, wie ich war, hatte ich damit die Kraft meines Willens entdeckt. Meine Mutter erkannte ihr ängstliches kleines Mädchen nicht wieder und begann zu ahnen, dass ihr mit mir noch manche Überraschung bevorstehen würde.

In Schule und Sportunterricht nutzte ich immer wieder die Gelegenheit, mein neu gewonnenes Selbstvertrauen zu erproben. »Probier’s mal. Du schaffst es!« Dieser Satz eines Lehrers, der mich als Einzige aus der Klasse zum Sprung vom Fünfmeterbrett ermutigen konnte, wurde für mich zu einem inneren Motto. »Du schaffst das«, sagte ich mir, auch wenn mir dabei die Knie zitterten und das Herz bis zum Hals schlug.

Schritt für Schritt wurde ich mutiger, meine Abenteuerlust wuchs. Und es dauerte nicht lange, bis meine Mutter kaum mehr wusste, wie sie mich bändigen konnte. Bereits mit sechs Jahren meldete sie mich bei den Pfadfindern an. Ich wurde »Wichtel« und blieb dieser Gemeinschaft viele Jahre lang treu. Die gemeinsamen Unternehmungen in der freien Natur, die Fahrten zu den Jugendherbergen, das gemeinsame Singen und Wandern, all das waren herrliche Erfahrungen für mich. Hier lernte ich auch erstmals, Verantwortung für eine Gruppe zu übernehmen und eigene Wünsche im Dienst der Gemeinschaft zurückzustellen. Diese frühen Erfahrungen haben mich geprägt und geöffnet für die besonderen Chancen, die aus einer sozial verantwortlich geführten Gemeinschaft erwachsen können.

Mit den Jahren wurde ich eine richtige Leseratte. Ich liebte alle klassischen Jugendbücher, die ich ausleihen konnte, vor allem von Abenteuergeschichten bekam ich nie genug. In Deutsch und Geschichte war ich gut, Mathematik mochte ich nicht besonders. Obwohl ich gut zurechtkam, musste ich mir mit vierzehn Jahren eingestehen, dass es für mich keine Hoffnung geben würde, je eine weiterführende Schule besuchen zu dürfen.

ICH WOLLTE MEHR AUS MEINEM LEBEN MACHEN

Noch wusste ich nach dem Ende der Schule nicht, wie es mit mir weitergehen sollte. So plante ich für die großen Ferien erst einmal eine gemeinsame Radtour mit meiner Cousine. Ein Spediteur nahm uns auf Wunsch meines Vaters mit nach Würzburg, von dort wollten wir nach Wiedenbrück zurückradeln. Doch dann fand sich ein Hinweis auf das schöne Städtchen Rothenburg ob der Tauber, dort gab es ein Schild Richtung München. Ständig entdeckten wir neue Ziele. Es waren herrliche Sommertage, und wir hatten bis dahin so wenig von der Welt gesehen. Wir ließen uns treiben, fuhren bald hierhin, bald dorthin, ließen uns mitunter von Lastwagen mitnehmen und kamen schließlich von den oberbayerischen Seen bis hoch in den Norden nach Helgoland. Bis heute fühle ich den schmerzlichen Moment, als wir bei dieser Unternehmung auf eine Gruppe junger Studenten trafen. Ich spürte sofort ihre Unbeschwertheit, ihre weitfliegenden Pläne. Die Zukunft lag ihnen zu Füßen. Diese Freiheit hatte ich nicht.

Inzwischen hatte meine Mutter für mich eine Lehrstelle als Zahnarzthelferin ausfindig gemacht – das galt damals schon als großes Glück. Doch ich wollte mehr aus meinem Leben machen. Und so hielt ich beständig nach Menschen Ausschau, die mir dabei helfen konnten. Eine Bekannte arbeitete bei Bertelsmann und berichtete immer wieder begeistert von den dortigen Chancen. Ob ich das nicht auch mal versuchen wolle? Ohne mit meiner Mutter zu sprechen, bewarb ich mich heimlich bei der Vertriebsstelle des Buchclubs und wurde eingeladen. Noch konnte ich nicht ahnen, wie sehr dieser Schritt mein ganzes Leben verändern würde.

In meiner katholischen Erziehung gab es klare Regeln, die ich als junges Mädchen einzuhalten hatte. Dazu gehörte auch, dass man abends nicht einfach allein ausgehen konnte. Als sechs Wochen nach meinem Arbeitsbeginn bei Bertelsmann das alljährliche Betriebsfest stattfand, musste ich meine Eltern lange bitten, damit sie mir erlaubten, daran teilzunehmen. Beide waren überhaupt nicht begeistert, denn volljährig wurde man damals ja erst mit einundzwanzig Jahren. Nach langem Hin und Her erhielt ich schließlich die Erlaubnis, bis zehn Uhr abends zu bleiben. Dieser Abend wurde mir zum Schicksal!

Gemeinsam mit vielen anderen jungen Auszubildenden sah ich, wie der Chef des Unternehmens, Reinhard Mohn, in Begleitung mehrerer Mitarbeiter den Raum betrat. Wir waren alle neugierig auf ihn, er war ein gut aussehender junger Mann, über dessen Ideen viel gesprochen wurde. Sein sehr geradliniges, entschlossenes Auftreten beeindruckte mich, und offensichtlich muss auch ich ihm aufgefallen sein. Denn er forderte mich und keine andere aus der Mädchenschar zum Tanzen auf. Seine Offenheit und sein Charme berührten mich. Damals ist ein Foto entstanden, wie wir beide bei der »Reise nach Jerusalem« um den letzten Stuhl kämpften. Er war schneller.

KEIN EINFACHER WEG

Die nun folgenden Jahre waren nicht leicht. Meine Arbeit bei Bertelsmann brachte mich mit vielen Menschen zusammen, das bereitete mir Freude. Doch der Mann, den ich liebte, war gebunden. Reinhard Mohn hatte sehr rasch nach dem Krieg geheiratet und seine erste Familie gegründet. Er gehörte zu den Männern, denen der Krieg ihre Jugend geraubt hatte und die das Leben erst danach für sich entdecken und genießen konnten.

Das Leben hatte uns zusammengeführt, doch an eine Scheidung war in den späten fünfziger Jahren nicht zu denken. In den sechziger Jahren wurden unsere drei Kinder geboren, Brigitte 1964, Christoph 1965 und Andreas 1968. Reinhard Mohn versuchte, so oft wie möglich mit uns zusammen zu sein, doch die Hoffnung auf ein gemeinsames Leben war gering. In jenen Jahren hat mir mein späterer Mann jeden Tag einen Brief geschrieben, die er alle, nachdem wir schon längst verheiratet waren, in Ordnern gesammelt hat. Es sind viele Ordner geworden, in denen er unsere Sorgen, aber auch unsere Hoffnungen und Träume jener Jahre bewahrt hat. Noch heute fällt es mir schwer, darin zu blättern. Es ist kein einfacher Lebensabschnitt gewesen. Ich bin froh und dankbar, dass wir ihn gemeinsam bewältigen konnten.

Das Leben als junge Mutter erfüllte mich sehr, doch es bescherte mir auch neue Sorgen und Ängste. Unsere Tochter Brigitte erkrankte im Alter von nur vier Monaten an schwerem Asthma. Jahrelang habe ich gemeinsam mit den Ärzten um ihr Leben gekämpft und unzählige bange Stunden, schlaflose Nächte und verzweifelte Augenblicke mit meinem kleinen Mädchen durchgestanden. Das Leiden des Kindes ließ mich meinen katholischen Kinderglauben kritischer sehen und steigerte das Vertrauen in meine eigene Entschlusskraft. Eine Mutter, die so viele Jahre in großer Sorge um ein krankes Kind leben muss, zerbricht, oder sie entwickelt ein Bewusstsein dafür, dass ihr in den schlimmsten Stunden völliger Not und Hoffnungslosigkeit ungeahnte Kräfte zuwachsen können, die es ihr erlauben, den einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen.

Im Lauf dieser Jahre hatten meine Kinder und ich eine ganze Reihe von mitunter schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen zu bewältigen. Wie oft zerbrechen Partnerschaften unter so einer Belastung. Meinen Mann und mich haben diese Herausforderungen nur noch enger zusammengeschweißt. Wir haben in diesen Jahren gelernt, auch das Schwierigste und Schmerzlichste zu besprechen. Offen miteinander reden zu können, gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen einer gelungenen Partnerschaft. Noch heute betrachte ich es als ein großes Geschenk, dass wir unsere Gedanken immer austauschen konnten. Ich habe unendlich viel von meinem Mann gelernt, aber auch er hat meine intuitive Einschätzung, meine Offenheit und Spontaneität im Umgang mit Menschen sehr geschätzt.

Im Umgang mit unseren Kindern konnte mein Mann selbst wieder zum Kind werden. Mit Humor und Fantasie hat er Gitte, Chris und Andreas oft verzaubert. Für die Kinder war er der geliebte »Tata«, der gemeinsam mit ihnen kleine Streiche ausheckte oder ihnen selbst ausgedachte Geschichten erzählte. In den wichtigen Grundsätzen der Erziehung waren wir uns einig. Unsere Kinder sollten bodenständig bleiben und jedem Menschen mit Respekt und Höflichkeit begegnen. Von früh an haben wir uns bemüht, ihnen ein Gefühl von Verantwortung und Fairness im Umgang mit anderen zu vermitteln. Dazu gehörte die Bereitschaft zur Diskussion, aber auch das Aufzeigen von Grenzen, wenn die Debatten kein Ende nehmen wollten.

Als die Kinder älter wurden, sprach mein Mann auch mit zunehmender Offenheit über seine tägliche Arbeit und gewährte ihnen Einblick in die Belange des Unternehmens. Für einen leidenschaftlichen Unternehmer wie Reinhard Mohn hatte die übliche Trennung von Beruf und Freizeit keinen Bestand. In seiner freien Zeit dachte er über das Wachstum des Unternehmens nach und stellte zahlreiche Überlegungen zur Unternehmenskultur an, die er mit seinen Mitarbeitern umsetzen wollte. Er war erfüllt von seiner Aufgabe.

In den sechziger und siebziger Jahren war es vielfach noch üblich, dass Frauen sich uneingeschränkt der Organisation des Haushalts und der Kindererziehung widmeten, wenn es die materielle Situation erlaubte. Doch ich ertappte mich immer häufiger dabei, dass ich eine innere Leere spürte, wenn mein Mann so begeistert von seiner Arbeit sprach. Auch ich sehnte mich nach Aufgaben, in denen ich etwas gestalten, und nach einer Gemeinschaft, in der ich Verantwortung übernehmen konnte. Unsere Kinder wurden größer, es war offensichtlich, dass sie die Anwesenheit der Mutter immer weniger benötigen würden.

Meine ersten beruflichen Aufgaben entwickelte ich aus meiner damaligen Lebenserfahrung heraus. Reinhard Mohn war nicht nur zwanzig Jahre älter als ich und ein viel