Schmerzen behandeln mit EMDR - Jonas Tesarz - E-Book

Schmerzen behandeln mit EMDR E-Book

Jonas Tesarz

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Beschreibung

EMDR in der Schmerztherapie: wirkungsvoll und effizient - Das erfolgreiche Verfahren in überarbeiteter Neuauflage - Zahlreiche Arbeitsmaterialien, Ressourcenübungen und Patienteninformationen - Mit Video-Tutorials Chronische Schmerzen sind oft schwer zu behandeln und führen bei den Betroffenen zu einer großen emotionalen Belastung. Mit EMDR lassen sich chronische Schmerzen wirkungsvoll lindern und die Lebensqualität nachweislich verbessern. Das von den Autoren entwickelte Konzept bietet eine niederschwellige Therapieform für alle Arten chronischer Schmerzsyndrome. Das stark anwendungsorientierte Manual erläutert die Grundlagen der EMDR-basierten Schmerztherapie und zeigt anhand ausführlicher Fallbeispiele, wie Therapeut:innen effizient und sicher vorgehen können. Es stellt eine wertvolle Ergänzung zur alltäglichen Praxis in der Schmerzpsychotherapie dar. Die Neuauflage wurde komplett überarbeitet und um neue Kapitel zu EMDR-Gruppentherapie und Krankheitsangst ergänzt. Das Buch enthält außerdem ausführliches Videomaterial mit Fallbeispielen.

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Seitenzahl: 497

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Dies ist der Umschlag des Buches »Schmerzen behandeln mit EMDR« von Jonas Tesarz, Günter H. Seidler, Wolfgang Eich

Jonas Tesarz, Günter H. Seidler, Wolfgang Eich

Schmerzen behandeln mit EMDR

Das Praxishandbuch

6., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage mit umfangreichen Online-Materialien

Klett-Cotta

Impressum

Die digitalen Zusatzmaterialen haben wir zum Download auf www.klett-cotta.de bereitgestellt. Geben Sie im Suchfeld auf unserer Homepage den folgenden Such-Code ein: OM98784

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe zum Zeitpunkt des Erwerbs.

Klett-Cotta

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J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH

Rotebühlstr. 77, 70178 Stuttgart

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Alle Rechte inklusive der Nutzung des Werkes für Text und

Data Mining i. S. v. § 44b UrhG vorbehalten

Cover: Bettina Herrmann, Stuttgart,

unter Verwendung einer Abbildung von riakhinantonUkraine/Adobe Stock

Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Kempten

Gedruckt und gebunden von Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg

ISBN 978-3-608-98784-3

E-Book ISBN 978-3-608-12419-4

PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20697-5

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Geleitwort zur 1. Auflage 2015 von Michael Hase

Chronischer Schmerz ist eine mit großem Leiden für den Patienten und sein Umfeld verbundene Erkrankung. Ich erlebe immer wieder, wie massiv der chronisch Schmerzkranke in seiner Teilhabe am beruflichen und privaten Leben eingeschränkt ist. Gleichzeitig stellt der chronische Schmerz eine therapeutische Herausforderung dar und führt mich selbst immer wieder an die Grenzen meines Handelns. Von Beginn an habe ich die Versuche der EMDR-Therapeuten in der Arbeit mit Phantomschmerz mit großem Interesse und auch Respekt verfolgt. Mein Lehrer in der Ausbildung zum EMDR-Facilitator, Bob Tinker, ermutigte mich dazu, EMDR bei Schmerzpatienten anzuwenden. Bei allen eigenen Erfahrungen und ermutigenden Berichten von Kollegen blieben die Versuche bisher eher fragmentarisch und skizzenhaft. Veröffentlichungen waren im Wesentlichen dem englischen Sprachraum vorbehalten und fanden kaum ihren Weg nach Deutschland.

Mit dem jetzt vorliegenden anwendungsorientierten Manual Schmerzen behandeln mit EMDR erscheint ein lange erwartetes Buch. Das Warten hat sich allerdings gelohnt. Denn es gelingt den Autoren, die Brücke von der Forschung in die Praxis zu schlagen. Dabei bereichern sie durch den Verweis auf eigene wichtige Forschungsergebnisse das Verständnis für chronische Schmerzerkrankungen. Der Bezug auf das Krankheitsmodell der EMDR-Methode, das AIP-Modell, und der Rückgriff auf Begrifflichkeiten der Psychotraumatologie öffnet in nachvollziehbarer Weise den Weg zur Anwendung der EMDR-Methode. Gleichzeitig bietet das Manual dem EMDR-Novizen eine gute komprimierte Darstellung der EMDR-Methode und dem Fortgeschrittenen die Information im Detail. Den Autoren gelingt es dabei in hervorragender Art und Weise, die Struktur und Inhalte des Vorgehens durch Verweise auf die Forschungslage zu untermauern. Der Wissenstransfer in die Praxis wird durch zahlreiche illustrative Fallbeispiele erleichtert. Die klare Gliederung des Manuals vereinfacht die Orientierung ungemein.

Die Autoren sind in der Einführung neuer Begriffe angenehm zurückhaltend. Dort, wo sie es tun, ist es bereichernd und nicht, wie sonst oft, unnötig und verwirrend. Die sehr guten Grafiken präzisieren und fokussieren das breit dargebotene Wissen um EMDR und Schmerz. Es wird deutlich, dass die Autoren in beiden Gebieten gleichermaßen engagierte Forscher und erfahrene Praktiker sind. Diese Kombination zeichnet das Manual aus. Es wird das umfassende Wissen um den Schmerz immer mit Fokus auf die EMDR-Behandlung vermittelt. Mit dem vorliegenden Manual schließen die Autoren nicht nur eine seit langem bestehende Lücke in der deutschsprachigen Literatur, sondern setzen auch einen Maßstab für kommende Manuale. Bei der regen Forschungstätigkeit bezogen auf die EMDR-Behandlung verschiedener psychischer und psychosomatischer Störungsbilder sind weitere Publikationen zu erwarten. Sie werden sich an diesem Manual messen müssen.

Dr. Michael Hase,

EMDR Senior Trainer,

1. Vorsitzender des Wissenschaftskomitees der europäischen EMDR-Fachgesellschaft

Geleitwort zur 6. Auflage 2025 von Maria Lehnung

Schmerzen sind eine Lebensrealität aller Menschen, aber chronische Schmerzen erzeugen ein hohes Maß an Leiden und beeinträchtigen die Lebensqualität vieler unsere Patienten. Konventionelle Behandlungen sind vielfältig, häufig aber gerade bei chronischen Schmerzen geprägt von Medikamenten und nicht selten auch Operationen. Nicht immer sind die Schmerzen dadurch beseitigt. In ihrem Buch, das hier vorliegt, beschreiben Tesarz, Seidler und Eich einen unkonventionellen Weg, Schmerzen zu behandeln, nämlich mit EMDR. EMDR wurde ursprünglich für die Behandlung von Psychotraumata entwickelt und hatte zunächst keinen Bezug zu somatischen Behandlungen. Schon früh wurde allerdings beobachtet, dass es Menschen, die mit EMDR behandelt wurden, auch körperlich besser ging. EMDR arbeitet mit dysfunktional verarbeiteten, pathogenen Erinnerungen. Offensichtlich spielt sich eine EMDR-Therapie nämlich auch auf einer zellulären Ebene ab: Über die Augennerven vermittelt, gibt EMDR möglicherweise Impulse, die dann an andere neuronale Zentren weitergeleitet werden. So kommt es auf neuronaler Ebene zu einer Umstrukturierung, die sich dann auch auf höherer somatischer Ebene auswirkt.

Und so fand EMDR seinen Weg auch in die Behandlung somatischer und psychosomatischer Symptome. Die Autoren gehen in ihrem Buch davon aus, dass bei den chronischen Schmerzen ihrer Patienten Schmerzerinnerung eine entscheidende Rolle spielt. Diese Schmerzerinnerung wird in dem hier vorliegenden, spannenden Buch sehr differenziert betrachtet und behandelt. Da spielt zum einen die Erinnerung an den ursprünglichen, traumatischen Schmerz, die nicht verarbeitet worden ist, eine wichtige Rolle. Zum Zweiten werden aber auch mit dem Schmerz assoziierte traumatische und belastende Ereignisse fokussiert und behandelt. Und schließlich sind da mit dem gegenwärtigen Schmerz assoziierte Inhalte und Bilder, die durch ihre allgegenwärtige Präsenz immer neue Gedächtnisinhalte hervorbringen. Diese wirken ihrerseits pathogen und werden in den Fokus einer differenzierten Behandlung mit EMDR gerückt. Dabei verzichten die Autoren auf große Veränderungen des Standardablaufs im EMDR. Kreative Ressourcen ergänzen die Behandlung.

Das vorliegende Buch ist ein echtes Lehrbuch: Es beinhaltet theoretische Informationen zum neuesten Stand der Schmerzforschung sowie ein ganz praktisches, manualisiertes Behandlungskonzept. Es besticht durch seine didaktische Qualität sowie das Onlinematerial, das es zu einem hochwertigen modernen Lehrbuch macht. Dieses Buch ist strukturiert, didaktisch gut aufbereitet und zeigt, wie man in der Praxis Schmerzen und chronische Schmerzsyndrome erfolgreich mit EMDR behandeln kann, in der Einzeltherapie, aber auch im Gruppensetting. Fallbeispiele und Studienergebnisse unterstreichen, dass es sich lohnt, diesen Weg zu gehen. In dieser Auflage wird auch präzise der heutige Stand der EMDR-Therapie dargestellt, die sich von einer Methode hin zu einem eigenständigen Therapieansatz entwickelt hat. Das Buch möchte ermutigen, EMDR-basierte Schmerztherapie anzuwenden.

Schon die bisherigen fünf Auflagen dieses Buches waren ein großer Erfolg und haben ärztliche und psychologische Psychotherapeuten und Schmerztherapeuten ermutigt, mit ihren Patienten diesen Weg zu gehen. Ich selber habe in meiner eigenen Praxis damit erstaunliche Ergebnisse erreicht. Die hier vorliegende komplett überarbeitete Neuauflage ist ein weiterer Schritt in Richtung einer ganzheitlichen Schmerzbehandlung.

Ich wünsche diesem Buch eine große Verbreitung und viel Erfolg zum Wohle und im Sinne der Schmerzfreiheit und Lebensqualität unserer Patienten und Ihnen, lieber Leser und liebe Leserin, spannende Lernerfahrungen mit dieser Neuauflage.

Dr. Maria Lehnung

Leiterin des EMDR-Instituts Deutschland

Einführung

EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing und ist eine evidenzbasierte psychotherapeutische Methode, die ursprünglich für die Verarbeitung von emotionalem Stress nach psychischer Traumatisierung entwickelt worden ist. Über EMDR können dysfunktional gespeicherte und belastende Erinnerungen neu prozessiert, desensibilisiert sowie im Gehirn neu assoziiert und heilsam integriert werden. Inzwischen ist EMDR international als eine der effektivsten Methoden zur Behandlung von Traumafolgestörungen und den damit einhergehenden emotionalen Belastungen anerkannt.

Die Anwendung von EMDR beschränkt sich bereits seit vielen Jahren nicht mehr nur auf die Traumatherapie, sondern erfasst inzwischen eine Vielzahl unterschiedlicher Störungsbilder, welche mit emotionalen Belastungen einhergehen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass der Einsatz von EMDR in der Behandlung chronischer Schmerzsyndrome bereits seit den Anfängen dieser Methode immer wieder intensiv diskutiert worden ist. Die Gründe hierfür sind vielfältig und wohl auch im Phänomen ›Schmerz‹ selbst begründet. Denn chronischer Schmerz wird von den Betroffenen – ganz ähnlich einem Trauma – häufig als eine Art Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren einerseits und den individuell zur Verfügung stehenden Bewältigungsmöglichkeiten andererseits erfahren. Das dadurch ausgelöste Gefühl von Kontrollverlust, Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe kann unter Umständen – ganz ähnlich einer Traumafolgestörung – zu einer dauerhaften Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis führen. Ein chronisches Schmerzsyndrom als ein belastendes Ereignis, welches genuin als Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit empfunden wird und stark mit Gefühlen von Angst und Hilflosigkeit assoziiert ist, erfüllt damit in der Regel die klassischen Kriterien eines psychischen Traumas. Es liegt in dieser Hinsicht nahe, EMDR als eine effektive und etablierte Technik zur Bearbeitung von posttraumatischen Belastungsstörungen auch auf das subjektive »Schmerztrauma« anzuwenden, das ein chronischer und damit »außer Kontrolle« geratener Schmerz hervorrufen kann.

Inzwischen weiß man durch die neueren Erkenntnisse aus der Hirnforschung, dass psychische Traumata und körperliche Schmerzen auch auf neurobiologischer Ebene viele Gemeinsamkeiten haben. Durch funktionell-hirnbildgebende Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass das menschliche Gehirn den durch Ausgrenzung und Demütigung hervorgerufenen seelischen Schmerz genauso wahrnimmt wie absichtlich zugefügten körperlichen Schmerz (Eisenberger 2012). Körperliche und seelische Schmerzen werden z. T. in den gleichen Regionen des Gehirns verarbeitet. Körperlicher Schmerz hat – neben der rein sensorischen Erfahrung des Schmerzes – in der Regel auch eine ausgeprägte emotionale Dimension, die bestimmt, wie schlimm oder quälend das Gehirn den Schmerz wahrnimmt. Neuere Studien belegen ferner, dass es im Gehirn bei der Chronifizierung von Schmerzen zusätzlich zu einem sogenannten »Emotional Shift« kommt. Damit verarbeiten nicht mehr die klassischen schmerzverarbeitenden Gehirnregionen den Schmerz, sondern emotionsverarbeitende Regionen (Hashmi et al. 2013). Andererseits konnten manche Untersuchungen zeigen, dass sehr schwerwiegende bedrohliche Erlebnisse auch in solchen Teilen des Gehirns prozessiert werden, welche für die sensorische Komponente des Schmerzes zuständig sind.

Mittlerweile ist ebenfalls belegt, dass traumatische Erlebnisse einen direkten und nachhaltigen Einfluss auf das Schmerzempfinden von Betroffenen haben können, unabhängig davon, ob eine klassische Traumafolgestörung vorliegt oder nicht. So konnte in psychophysiologischen Untersuchungen an chronischen Rückenschmerzpatienten nachgewiesen werden, dass Rückenschmerzpatienten mit traumatischen Erlebnissen in der Vorgeschichte sensibler für Druckschmerzreize sind und eine generalisierte Hyperalgesie1 für tiefe Schmerzqualitäten (z. B. Muskeln, Faszien) aufweisen, während Rückenschmerzpatienten ohne traumatische Erlebnisse nur eine lokalisierte, auf das schmerzhafte Areal des Rückens begrenzte Veränderung zeigen. Die Schwere des Traumas korrelierte dabei mit der Ausprägung der Hyperalgesie. Außerdem konnte bei den Rückenschmerzpatienten mit traumatischen Erlebnissen eine gesteigerte Schmerzausdehnung und eine vermehrte Ängstlichkeit nachgewiesen werden (Tesarz et al. 2015).

Besonders frühkindliche Traumata prägen neuronale Verbindungen im Gehirn, die sowohl an der Schmerz- als auch an der Emotionsverarbeitung beteiligt sind. Dadurch kommt es dazu, dass Schmerzen im Zusammenhang mit aktuellen Schmerzerlebnissen nicht nur länger anhalten, sondern auch einen zusätzlichen anhedonen »Load« erhalten: Diese Veränderungen im Gehirn bewirken, dass der Schmerz nicht mehr einfach nur Schmerz ist. Er wird von Gefühlen wie Depression und Angst begleitet, erfordert ständige Aufmerksamkeit und entwickelt einen besonders quälenden Charakter. Die therapeutische Arbeit mit EMDR hat speziell zum Ziel, durch eine therapeutische Bearbeitung solcher traumatischen Erlebnisse die nachgewiesenen dysfunktionalen Veränderungen im Gehirn gezielt adaptiv zu beeinflussen.

Interessanterweise scheint es gerade bei denjenigen Patienten mit Schmerzen und traumatischen Erlebnissen möglich zu sein, durch eine therapeutische Bearbeitung der traumatischen Erlebnisse mittels EMDR diese nachgewiesenen pathologischen Veränderungen spezifisch zu modulieren. Inzwischen wurde jedoch auch gezeigt, dass EMDR einen direkten Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung von Patienten hat, unabhängig davon, ob von einem traumatischen Ereignis berichtet wird oder nicht.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass es von der erstmaligen Beschreibung des entlastenden Effekts durch Augenbewegungen durch Francine Shapiro im Jahre 1987 mit der sich daran anschließenden Entwicklung der heutigen »Eye-Movement-Desensitization-Reprocessing«-Methode (schriftlich festgehalten in Shapiro 1989) bis zur erstmaligen Anwendung von EMDR in der Behandlung von chronischen Schmerzen Anfang der 1990er Jahre nur wenige Jahre brauchte. Bereits einige Jahre, nachdem Francine Shapiro unter Einbeziehung einer strukturierenden kognitiven Komponente die heutige Form von Eye Movement Desensitization and Reprocessing ausgearbeitet und veröffentlicht hatte, berichtete das amerikanische Therapeutenehepaar Ray und Carol Blanford (Blanford & Blanford 1991) erstmals öffentlich über den erfolgreichen Einsatz von EMDR in der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen. Im Jahr darauf veröffentlichte der amerikanische Psychiater David McCann (1992) eine eindrucksvolle Fallstudie über die erfolgreiche Heilung einer schweren Schmerzsymptomatik bei einem Patienten mit ausgeprägten Verbrennungen schon nach einer einmaligen EMDR-Sitzung. Und Bruce Eimer, einem Schmerztherapeuten mit bereits langjähriger Erfahrung in der Behandlung chronischer Schmerzen, der sich ergänzend in EMDR weitergebildet hatte, ist es schließlich zu verdanken, dass Mitte der 1990er Jahre erstmals ein eigenes Schmerzprotokoll veröffentlicht wurde (Eimer 1993a).

Dieses erste Chronic Pain Protocol, welches u. a. auf Arbeiten zu spezifischen Copingtechniken aus den 1960er Jahren aufbaute (Cheek & LeCron 1968) und sich im Wesentlichen am klassischen EMDR-Protokoll nach F. Shapiro (1989) orientierte, integrierte nun zum ersten Mal schmerzrelevante Aspekte in den klassischen EMDR-Ablauf – damals ein Novum in der EMDR-Szene. Während die erste Version zunächst noch 13 Schritte enthielt, wurden in der überarbeiteten Version kurze Zeit später bereits schon mehr als 20 Schritte spezifiziert (Eimer 1993b). Die besondere Leistung von Bruce Eimer liegt auch darin, dass er erstmals mittels der EMDR-Technik nicht nur traumatische Erinnerungen, sondern auch den Schmerz selbst in den Fokus der EMDR-Arbeit rückte. Zudem führte er erstmals die sogenannte »Antidot-Imagination«, auf welche wir im praktischen Teil dieses Buchs noch näher eingehen werden, als eine schmerzspezifische Imaginationstechnik in die EMDR-basierte Schmerztherapie ein. Die Antidot-Imagination hat später insbesondere durch die Arbeiten von Mark Grant, einem klinischen Psychologen und erfahrenen EMDR-Therapeuten aus Australien, einen festen Stellenwert in der EMDR-Therapie bekommen.

Im Rahmen dieser ersten Erfahrungen mit EMDR in der Behandlung chronischer Schmerzsyndrome zeigte sich, dass selbst schwerste Schmerzsyndrome, welche bereits seit vielen Jahren persistierten und sich trotz intensiver Behandlungsversuche gegen alle bisherigen Therapieversuche resistent gezeigt hatten, nach nur wenigen EMDR-Sitzungen deutlich gelindert oder sogar vollständig geheilt werden konnten.

Diese ersten Anwendungen von EMDR in der Schmerztherapie konzentrierten sich meist noch auf »posttraumatische« Schmerzsyndrome, d. h. auf chronische Schmerzsyndrome nach traumatischen Unfällen, welche zu einer sowohl körperlichen als auch seelischen Verletzung geführt hatten. So wurde – und wird natürlich auch heute noch – EMDR sehr erfolgreich bei der Behandlung von Patienten mit Phantomschmerzen (PLP: phantom limb pain) eingesetzt, bei Patienten also, die ein chronisches Schmerzsyndrom entwickelten, nachdem sie ein Körperglied als Folge eines traumatischen Ereignisses (z. B. eines schweren Motorradunfalls) verloren hatten. Es ist gerade diesen damaligen und z. T. sehr eindrucksvollen Erfolgen zu verdanken, dass die EMDR-Therapeuten zunehmend mutiger wurden und das Einsatzgebiet von EMDR immer mehr ausweiteten. Denn diese überwiegend positiven, teils enthusiastischen Berichte führten schließlich dazu, dass sich der Fokus weg vom initial »traumatischen Schmerzauslöser« über schmerzassoziierte belastende Erinnerungen und mögliche Trigger hin zum Schmerz selbst als einem traumatischen Erlebnis oder einem Äquivalent eines solchen bewegte. Vor diesem Hintergrund entstanden nach und nach verschiedene spezifische Schmerzprotokolle, welche zunehmend den Schmerz selbst in den Fokus des Desensibilisierungs- und Reprozessierungsprozesses rückten und die Bedeutung eines möglichen Traumas zunehmend in den Hintergrund treten ließen.

Es ist vor allem den Arbeiten des bereits genannten Psychologen Mark Grant zu verdanken, dass in der Folge die spezifischen Effekte von EMDR auf den Schmerz selbst detailliert aufgearbeitet und mit klassischen Elementen aus der Schmerzpsychotherapie kombiniert wurden. Als Folge dieser Entwicklung, und insbesondere durch die Arbeiten von Mark Grant, bestand nun die Möglichkeit, Schmerz auch unabhängig vom Vorliegen psychischer Traumatisierungen oder belastender Lebensereignisse mittels spezifizierter EMDR-Techniken zu behandeln. Neben den bereits genannten Erfolgen in der Behandlung von Phantomschmerz und traumaassoziierten somatoformen Schmerzstörungen gibt es inzwischen sehr gute Ergebnisse für die Anwendung von EMDR in der Behandlung von chronischen Kopfschmerzsyndromen, Fibromyalgie, chronischen Rückenschmerzen sowie weiteren muskuloskelettalen Schmerzsyndromen (Tesarz et al. 2014).

Doch auch wenn das Einsatzfeld inzwischen mannigfaltig und die Berichte vielfältig sind, so ist die Variabilität der heute existierenden Protokolle erstaunlich gering. Denn obwohl in den letzten Jahren unterschiedliche Autoren unabhängig voneinander »eigene« Schmerzprotokolle entwickelt und validiert haben, so hat sich trotz unterschiedlicher Erfahrungen stets ein ähnliches Vorgehen entwickelt! Es lässt sich somit ein Grundtypus eines EMDR-Schmerzprotokolls identifizieren, dessen Kernelemente sich in allen Schmerzprotokollen wiederfinden lassen. Es sind offenbar die Besonderheiten und Eigenheiten von Patienten mit chronischen Schmerzen, die der EMDR-basierten Schmerzbehandlung ihren spezifischen Charakter geben, so dass sich selbst bei unabhängig voneinander arbeitenden Therapeuten ein ähnliches Vorgehen entwickelt hat. Dieser Grundtypus, der sich stark am klassischen EMDR-Protokoll nach Shapiro orientiert und spezifische Elemente der Wahrnehmung und Interozeption integriert, zeichnet sich durch die Möglichkeit aus, den Schmerz selbst spezifisch in den Fokus zu nehmen und die kognitiven, emotionalen und behavioralen Aspekte schmerzspezifisch zu reprozessieren. Unsere Hypothese einer Äquivalenz von Erinnerungsspuren bezüglich eines traumatisierenden Ereignisses und als präsentisch erlebten Schmerzen, wobei das für sie kausale Ereignis oft genug ebenfalls längst vergangen ist und sie insofern eher Erinnerungscharakter haben, trägt dem Rechnung.

Das hier von uns im Folgenden vorgestellte Protokoll ist im Rahmen des vom BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) geförderten Forschungsverbundes LOGIN (Förderkennzeichen: 01EC1010A) entwickelt und validiert worden. Es basiert zum einen auf einer systematischen und wissenschaftlichen Auswertung aller bisher im Bereich zu EMDR und Schmerz durchgeführten Studien sowie eigener Untersuchungen zur Wirkung von EMDR auf chronische Schmerzen. Darüber hinaus stützt es sich auch auf die wertvollen Erfahrungen aus unserer täglichen Arbeit mit Patienten mit chronischen Schmerzen sowie den regen Austausch mit zahlreichen praktisch tätigen Kollegen und deren Erfahrungen in der Behandlung chronischer Schmerzsyndrome mit EMDR. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der Einfluss der exzellenten und intensiven Vorarbeiten von Claudia Erdmann (2009), Michael Hase und Ute Mirian Balmaceda (Hase & Balmaceda 2014) sowie Mark Grant (2009), denen ein wesentlicher Beitrag zur Etablierung und Standardisierung von EMDR in der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen zu verdanken ist. Des Weiteren seien an dieser Stelle auch Sabine Leisner, Andreas Gerhardt und Susanne Janke genannt. Sie haben ganz wesentlich dazu beigetragen, dass dieses Behandlungsmanual im Rahmen einer randomisierten kontrollierten klinischen Studie (ClinicalTrials.gov: NCT01216696) wissenschaftlich validiert werden konnte.

Ziel dieses Manuals ist es, dem Leser einen sowohl wissenschaftlich fundierten als auch praxis- und lösungsorientierten Leitfaden an die Hand zu geben. Es ermöglicht ihm, einen fachkundigen und umfassenden Einblick in die Anwendung von EMDR in der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen zu gewinnen und dabei die Besonderheiten und Schwierigkeiten bei der Anwendung von EMDR in der Behandlung solcher Patienten kennenzulernen und zu berücksichtigen. Wir möchten an dieser Stelle bereits hervorheben, dass es nicht ›ein‹ richtiges Schmerzprotokoll für alle Arten von chronischem Schmerz gibt. Entsprechend gibt es auch nicht ›ein‹ richtiges Vorgehen, das sich im Sinne des »One-Size-Fits-All«-Prinzips jedem Patienten überstülpen ließe. Vielmehr ist es unserer Erfahrung nach immer wieder notwendig und sinnvoll, das klassische Vorgehen zu modifizieren, um den individuellen Anforderungen und Bedürfnissen des einzelnen Patienten ausreichend gerecht werden zu können. Vor diesem Hintergrund war es uns ein besonderes Anliegen, ein Manual zu entwickeln, das dem Anwender genug Raum und Gelegenheit lässt für einen möglichst offenen und flexiblen Gebrauch.

Um die praktische Anwendbarkeit und Handhabbarkeit dieses Manuals zu erleichtern, ist es in mehrere Abschnitte untergliedert. Der erste und der zweite Abschnitt enthalten neben einigen theoretischen Informationen zur Wirkungsweise von EMDR in erster Linie Informationen zum theoretischen Hintergrund von EMDR bei Schmerz und sollen dem Leser einen möglichst fundierten und umfassenden Einblick in die Anwendung von EMDR in der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen geben. Es werden unterschiedliche Effekte von EMDR bei Patienten mit chronischen Schmerzen im Hinblick auf mögliche therapeutische Konsequenzen dargestellt, die dann diskutiert werden. Der dritte und der vierte Abschnitt umfassen den praktischen Teil dieses Manuals und geben Informationen zur Anwendung und konkreten Umsetzung von EMDR bei Schmerzpatienten. Anhand von konkreten Instruktionen und Fallbeispielen soll dem Leser so ein möglichst praxisnahes und alltagsbezogenes Protokoll an die Hand gegeben werden. Abschließend werden zur Erleichterung der täglichen Anwendung ergänzend praktische Arbeitshilfen (Protokollvorlagen, Patientenedukationsmaterial sowie weitere spezifische Arbeitsblätter) zur Verfügung gestellt. An verschiedenen Stellen im Buch finden Sie außerdem QR-Codes abgedruckt. Über diese gelangen Sie zu unserem umfangreichen Video-Material, welches die Inhalte des Buchs zusätzlich erweitert.

Die verschiedenen Abschnitte sind – soweit möglich – so aufgebaut, dass sie auch selektiv und unabhängig voneinander gelesen werden können, so dass jederzeit ein schnelles Nachschlagen und lösungsorientiertes Vorgehen möglich ist. Wir hoffen, den Lesern auf diese Weise einen möglichst ermutigenden Einblick in diese neu entwickelte und zunehmend Eingang in die Praxis findende Behandlungsmöglichkeit einer EMDR-basierten Schmerztherapie zu vermitteln und gleichzeitig einen pragmatischen, wissenschaftlich fundierten und praxisorientierten Leitfaden für die tägliche Anwendung von EMDR in der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen an die Hand zu geben.

Ergänzend sei angemerkt, dass wir aus Gründen der besseren Lesbarkeit für dieses Manual für Patienten und Patientinnen sowie Therapeutinnen und Therapeuten stets die männliche Form gewählt haben. Natürlich sind hiermit alle gemeint: Patienten, Patientinnen, Therapeutinnen und Therapeuten und Personen jeglicher diversen Identitäten.

Was ist EMDR?

Woher kommt EMDR?

Eye Movement Desensitization and Reprocessing ist eine psychotherapeutische Methode, die ursprünglich für die Verarbeitung von emotionalem Stress durch erlebte traumatische Ereignisse entwickelt wurde. Über EMDR können die mit solchen Ereignissen einhergehenden belastenden und im Gedächtnis dysfunktional gespeicherten Erinnerungen neu prozessiert und heilsam integriert werden.

Die Entstehungsgeschichte von EMDR ist, wie bereits erwähnt, geprägt von der 1948 in New York geborenen amerikanischen Literaturwissenschaftlerin und Psychologin Francine Shapiro vom Mental Research Institute in Palo Alto (Kalifornien) und ihrer fast anekdotenhaft beschriebenen Entdeckung der therapeutischen Wirkung von Augenbewegungen Mitte der 1980er Jahre (Hofmann 2014). Ihrer besonderen Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und ihrer strukturierten Umsetzung in ein »anwendbares« Therapieprotokoll ist es zu verdanken, dass EMDR heute ein weltweit anerkanntes Verfahren zur Behandlung von Patienten mit psychischer Traumatisierung darstellt.

Nachdem sie diesen neuen Ansatz zunächst bei Freunden und Bekannten erprobt hatte, setzte sie die Technik zunehmend bei ihren Patienten ein – sie behandelte damals v. a. Kriegsveteranen aus Vietnam, Missbrauchsopfer und andere Personen mit emotional belastenden Lebensereignissen. Es folgten schließlich intensive Studien speziell mit psychisch traumatisierten Patienten. Ihre Dissertation Efficacy of the eye movement desensitization procedure in the treatment of traumatic memories (Shapiro 1989), hervorgegangen aus der Arbeit mit diesen Patienten, ist der erste wissenschaftliche Beleg für die desensibilisierende Wirkung von Augenbewegungen. In den Folgejahren entwickelte F. Shapiro EMDR zu einem umfassenden therapeutischen Behandlungskonzept weiter, in dem die Patienten ihren ungelösten traumatischen Erinnerungen und Ängsten auf eine kontrollierte Art und Weise ausgesetzt werden konnten, ohne dass dabei das Gefühl einer physischen oder emotionalen Überwältigung entstand.

Die dort eingesetzte Methode nannte sie damals noch Multi-Saccadic Movement Desensitization (MSMD). Erst später führte sie den heute etablierten Begriff der Eye Movement Desensitization ein (Luber 2010). Bereits vier Jahre vor ihrer Dissertation hatte sie erstmals einen Beitrag über die Bedeutung von Augenbewegungen und den Einsatz des Verankerns positiver Ich-Zustände veröffentlicht (Shapiro 1985). Dort integrierte sie Hinweise und Einflüsse von Milton Erickson (Prinzip der Ratifizierung), Joseph Wolpe (Einführung der Belastungsskala), John Grinder (Augenbewegungen), Mark C. Russel (Konzept des Reprozessierens), Stephen Levine (Prozessbegleitung) sowie auch einzelne Elemente aus dem Vipassana Yoga (z. B. die »Lichtstrahlmethode«) (Schubbe & Brink 2019). All diese Aspekte sind heute wichtige Bestandteile der EMDR-basierten Behandlung von Schmerzpatienten.

Inzwischen ist diese Methodik intensiv erforscht und weiterentwickelt worden. So integriert EMDR heute zunehmend neuere Erkenntnisse aus den Bereichen der Neurobiologie und Therapieforschung. Im Juli 2006 wurde EMDR vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (Deutschland) als wissenschaftlich begründete Methode zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen bei Erwachsenen anerkannt. Der entsprechende Antrag war unter Leitung von Günter H. Seidler von einer Reihe von Kollegen ausgearbeitet (Seidler et al. 2005) und von EMDRIA Deutschland e. V. eingereicht worden.

Seit 2013 ist EMDR auch von der WHO als eine von zwei Methoden zur Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen anerkannt und zählt weltweit zu den effektivsten Psychotherapiemethoden bei diesem Krankheitsbild (World Health Organization 2013).

Die Kernelemente von EMDR

Der Verlauf der EMDR-Therapie folgt dem von F. Shapiro entworfenen Konzept von acht nacheinander ablaufenden Therapiephasen. Im Rahmen dieses strukturierten Vorgehens werden verschiedene Techniken eingesetzt, um das gesamte Krankheitsbild zu behandeln. Nach einer ersten »Diagnose- und Stabilisierungsphase« werden in den Verarbeitungsphasen belastende Erinnerungen der Vergangenheit, gegenwärtige Belastungsfaktoren (sog. »Trigger«) sowie auch negative Zukunftsvorstellungen der Patienten angesprochen. Während der EMDR-Behandlung, die sich daran anschließt, werden die Patienten vom Therapeuten dazu angeleitet, in kurzen Abschnitten mit den belastenden Erinnerungen in Kontakt zu gehen. Parallel dazu wird die Aufmerksamkeit auf die äußere bilaterale Provokation gerichtet. Basierend auf diesem Prinzip der dualen Aufmerksamkeitsfokussierung kommt es bei den Patienten zu der genannten entlastenden Veränderung der Erinnerung. Die damit verbundene körperliche Erregung klingt ab und negative Gedanken können emotional-kognitiv integriert und positiv umformuliert werden.

Der behandelnde EMDR-Therapeut unterstützt den Patienten während dieser Bearbeitungsphasen lediglich dabei, das Material in angemessener Weise zu fokussieren, während wiederholt Serien von bilateralen Provokationen durchgeführt werden. Dieses Vorgehen prägt den patientenzentrierten Charakter des Verfahrens.

Hierdurch kann der Patient autonom darüber entscheiden, an welchen Themen oder Entwicklungen er individuell weiterarbeiten möchte. Bei manchen Patienten steht die Verarbeitung einer bestimmten belastenden Situation im Vordergrund, bei anderen liegt der Fokus dagegen auf der Wahrnehmung zugehöriger entsprechender Körperempfindungen und interozeptiver Prozesse.3 Die dabei erlebten Verarbeitungsprozesse entsprechen häufig dem natürlichen Heilungs- und Verarbeitungsprozess und müssen – bis auf die bilaterale Provokation und gelegentliche Unterstützung bei der Fokussierung – meist nur wenig aktiv durch den EMDR-Therapeuten beeinflusst werden.

Die acht Phasen der EMDR-Therapie

Die beiden ersten und letzten Therapiephasen entsprechen dem in der Traumatherapie üblichen Vorgehen, während die Schritte drei bis sechs spezifische EMDR-Elemente sind (siehe auch Tabelle 3, S. 100).

Phase 1: Erhebung der Vorgeschichte, Diagnostik und Behandlungsplanung

Im Rahmen dieser Anamnese- und Kennenlernphase macht sich der Therapeut ein Bild über die Symptomatik, zurückliegende belastende Lebensereignisse sowie die physische und psychische Stabilität des Patienten. Es werden die Behandlungsindikation und Kontraindikationen geprüft und ein Behandlungsplan erstellt.

Phase 2: Vorbereitung und Stabilisierung des Patienten

In dieser Phase der Behandlung (meist »Patientenedukation« genannt, wir bevorzugen »Patienteninformation«) wird der Patient über den Behandlungsplan und die Methode aufgeklärt. Durch Entspannungstechniken, imaginative Verfahren und gegebenenfalls medikamentöse Unterstützung wird eine ausreichende Stabilität des Patienten erarbeitet. Einen hohen Stellenwert nimmt hierbei die Aktivierung von individuellen Ressourcen des Patienten ein. Als Ressourcen bezeichnet man in diesem Zusammenhang alle positiven Elemente, die eine betroffene Person in belastenden Situationen stabilisieren und stärken können (z. B. Lieblingsmusik, eine positive Erinnerung/Foto, Sport machen, Erholungspausen). Bevor mit der eigentlichen Desensibilisierung und Reprozessierung begonnen werden kann, sollte sich der Patient ausreichend gerüstet (»stabilisiert«) fühlen, um sich mit den belastenden Erinnerungen auseinanderzusetzen (siehe dazu Seidler 2013, S. 214–219).

Phase 3: Bewertung einer belastenden Erinnerung

In dieser sogenannten »Bewertungsphase« wird eine belastende Ausgangserinnerung (»Target«), die mit der Symptomatik assoziiert ist, umfassend mit all ihren visuellen, affektiven und sensorischen Komponenten in EMDR-typischer Weise strukturiert, erfasst und der damit einhergehende individuelle Belastungsgrad durch den Patienten auf einer numerischen Ratingskala quantitativ bewertet (z. B. »ein Belastungsgrad mit 8 von 10«). Ergänzend werden die mit dieser Erinnerung einhergehenden Kognitionen verbalisiert (»Ich werde sterben!«) und einer positiven Kognition gegenübergestellt (»Ich lebe!«). Abschließend lässt man den Patienten abschätzen, wie richtig sich die positive Kognition bereits jetzt (also noch vor der eigentlichen Desensibilisierung und Reprozessierung) anfühlt. Diese positive Kognition soll im weiteren Verlauf durch den Prozess der Reprozessierung an die Stelle der negativen Gedanken treten können. Die subjektive Stimmigkeit sollte im Verlauf des Prozessierens zunehmen.

Phase 4: Desensibilisierung und Durcharbeitung

In dieser Phase wird der Patient aufgefordert, das repräsentative Bild der Erinnerung (»das entgegenkommende Auto«) zusammen mit den zugehörigen sensorischen Eindrücken des Traumas (»ein aufsteigender Druck in der Brust«) sowie den zuvor erarbeiteten negativen Gedanken (»Ich werde sterben!«) wie auch gleichzeitig die vom Therapeuten induzierten bilateralen Stimuli (z. B. die Augenbewegungen) zu fokussieren. Damit ist der Patient, in aushaltbarem Maße, getriggert, also in seinem »Trauma-State«. Der nachfolgende Prozess folgt den individuellen Assoziationen des Patienten. Der EMDR-Prozess unterscheidet sich jedoch von jeder anderen Form freien Assoziierens durch die systematische Fokussierung der Aufmerksamkeit auf einen Moment der inneren Wahrnehmung auf allen Ebenen: den erzählbaren Teil der Ausgangssituation, die imaginative Repräsentation des schlimmsten Moments, die Generalisierung auf kognitiver Ebene, die Qualität und Quantität der emotionalen Belastung und zuletzt die Reaktionen auf Körperebene. Der erzählbare Teil bildet den Einstieg, die Körperebene führt als die tiefste Ebene der inneren Wahrnehmung gezielt in den EMDR-Prozess, der zusätzlich mit der Nennung von Ausgangsbild und negativer Kognition angestoßen wird. Dem durch dieses Vorgehen hervorgerufenen dualen Aufmerksamkeitsfokus zwischen einerseits innerem Wahrnehmen und andererseits äußerer Wahrnehmung wird eine zentrale Funktion in der therapeutischen Wirkung von EMDR beigemessen.

Phase 5: Verankerung

Die fünfte, die Verankerungsphase hat zum Ziel, die günstigeren Gedanken und die erreichte Belastungsreduktion zu festigen. Nachdem der emotionale Belastungsgrad der Erinnerung ausreichend abgenommen hat, wird noch einmal die in Phase 3 erarbeitete positive Kognition aufgegriffen und geprüft. Falls erforderlich, kann diese durch eine im Verlauf des Verarbeitungsprozesses neu gefundene, nun besser passende Kognition ersetzt werden. Ist eine für den Patienten passende positive Kognition identifiziert, so wird sie durch gezielte Fokussierung des Patienten darauf, zusammen mit einer langsamen bilateralen Provokationsserie, verstärkt.

Phase 6: Körpertest

Im Anschluss an die Prozessierung werden im Rahmen eines sogenannten Körpertests verbliebene sensorische Erinnerungsfragmente (Körpererinnerungen) des Traumas gesucht und, wenn nötig, mittels bilateraler Provokation so lange bearbeitet, bis diese ebenfalls aufgelöst sind. Hierfür wird der Patient gebeten, mit seiner Aufmerksamkeit seinen Körper einmal langsam von oben nach unten gedanklich »durchzutasten« und die dabei auftretenden Körperempfindungen zu schildern. Tauchen weitere negative Köpersensationen auf, werden diese in bifokalen Provokationsserien angesichts der positiven Kognition aufgelöst.

Phase 7: Abschluss

In dieser Phase wird die häufig auch für den Patienten eindrückliche Bearbeitung individuell nachbesprochen. Gegebenenfalls erfolgen noch kurze Abschlussübungen (Imaginationsübungen, Entspannungstechniken), um den Patienten in einem möglichst positiven Zustand aus der jeweiligen Therapiesitzung entlassen zu können.

Phase 8: Nachbefragung

Diese letzte Phase findet meist zu Beginn der nächsten Therapiestunde statt und beinhaltet eine erneute Überprüfung der in der letzten Sitzung bearbeiteten Erinnerung. Empfindet der Patient diese weiterhin als belastend, erfolgt eine erneute Prozessierung dieser Erinnerung. Hat sich die Belastung inzwischen aufgelöst, so kann an anderen belastenden Erinnerungen weitergearbeitet werden.

Die Grundstruktur der EMDR-Therapie besteht aus den oben genannten acht Phasen, die sich als äußerst wirksam erwiesen haben. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass hier auch alternative Strukturen diskutiert werden (Laliotis et al. 2021). Der Begriff »Phase« bezieht sich im Allgemeinen auf eine Abfolge von zusammenhängenden Ereignissen oder Handlungen. Jede Phase stellt in diesem Verständnis einen Schritt in einer bestimmten Abfolge dar. Diese chronologische Abfolge ist jedoch nicht zwingend gegeben. Innerhalb der EMDR-Therapie gibt es einige Phasen, die tatsächliche Behandlungsabschnitte in einer bestimmten Reihenfolge sind und sich über einen festgelegten Zeitraum erstrecken, wie z. B. Anamneseerhebung, Vorbereitung und Reevaluation (entspricht oben den Phasen 1, 2 und 8). Andere Phasen hingegen sind nicht notwendigerweise aufeinander aufbauend und ineinander übergehend. Um die Reihenfolge und Grundstruktur klarer abzubilden, wurde vorgeschlagen, die EMDR-Therapie alternativ als ein dreiteiliges Behandlungskonzept zu betrachten:

Teil I umfasst die Anamneseerhebung und Vorbereitung.

Teil II konzentriert sich auf die Verarbeitung der Erinnerungen.

Teil III beinhaltet die Neubewertung und Rekonsolidierung.

Die Phase der Anamnese umfasst derzeit – neben der Anamnese – auch die Behandlungsplanung, ein Prozess, der zu Beginn der Therapie stattfindet, sich aber im Laufe der Zeit verändern kann. Es wurde daher vorgeschlagen, die Anamneseerhebung alternativ als »Anamneseerhebung und Behandlungsplanung« zu bezeichnen.

Frau K.: Traumafolgestörung nach Herzrhythmusstörungen

Frau K. ist eine verheiratete Frau mittleren Alters, sie leidet unter diffusen Ganzkörperschmerzen, Panikattacken und ausgeprägten Schlafstörungen.

In der initialen Anamnese (Phase 1: Erhebung der Vorgeschichte, Diagnostik und Behandlungsplanung) berichtete die Patientin, dass die geschilderte Symptomatik bereits seit über einem Jahr bestehe und erstmalig im Rahmen einer schweren Herzattacke aufgetreten sei. Sie habe damals plötzlich Herzrasen, Bruststechen und massive Todesangst verspürt. Sie sei familiär vorbelastet, da ihr Vater im 60. Lebensjahr an einem Herzinfarkt verstorben sei. Aufgrund der Herzattacke sei sie notfallmäßig in eine Klinik eingeliefert worden, dort habe sie jedoch trotz Schmerz und Angst über eine Stunde auf einen Arzt warten müssen. Dies seien grauenvolle Momente gewesen. Auch wenn später eine bedrohliche Herzrhythmusstörung ausgeschlossen wurde, sei dies die bisher schlimmste Zeit ihres Lebens gewesen. Sie habe damals wahre Todesängste durchlebt und sich von den Ärzten vollkommen im Stich gelassen gefühlt.

Ihr Leben habe sich seit diesem Ereignis vollkommen verändert. Sie habe das Gefühl, sie sei ein gänzlich anderer Mensch geworden! Sie lebe in einer ständigen inneren Anspannung, traue sich kaum noch, sich zu belasten, und träume immer wieder von der damaligen Situation in der Notfallambulanz. Auch habe sie seitdem am ganzen Körper Schmerzen. Angefangen habe es mit dumpf stechenden Schmerzen in Kopf, Schultern und Nacken. Inzwischen habe sich der Schmerz im ganzen Körper ausgebreitet – und dies, obwohl alle medizinischen Untersuchungen unauffällig gewesen seien.

Trotz anfänglichen Misstrauens fand sich schnell eine gemeinsame Beziehungsebene zwischen der Patientin und dem Therapeuten. Um die Bedeutung der Herzattacke im biographischen Zusammenhang besser verstehen zu können, wurde im nächsten Schritt eine Liste mit allen bisherigen traumatischen oder sehr belastenden Lebensereignissen im Leben von Frau K. erstellt. Hierzu wurden zu jedem Ereignis ein Stichwort und eine Zahl für ihr jeweiliges Alter sowie der Grad der mit jedem Ereignis einhergehenden Belastung – zwischen 0 für keine und 10 für maximale Belastung – notiert.

Die Anwendung von EMDR schien in diesem Fall besonders indiziert, da sich zum einen für den Beginn der Symptomatik eine klare »traumatische« Auslösesituation identifizieren ließ (die Herzattacke und die sich anschließende Situation im Krankenhaus mit Ohnmachtsgefühl und Hilflosigkeit) und die Patientin zum anderen klassische Symptome einer Traumafolgestörung (Übererregbarkeit und Wiedererleben) zeigte und es keine Hinweise für mögliche Kontraindikationen gab. Vor diesem Hintergrund besprach der Therapeut mit der Patientin die Möglichkeit einer EMDR-basierten Behandlung, womit sich die Patientin einverstanden zeigte.

Im zweiten Teil der ersten Sitzung (Phase 2: Vorbereitung und Stabilisierung des Patienten) wurde die Patientin daher zunächst über EMDR im Allgemeinen, dessen Wirkungsmechanismus sowie über mögliche Nebenwirkungen informiert. Durch die Verknüpfung einer imaginativen Entspannungsübung (Reise zu einem inneren sicheren Ort) mit einer Serie von Rechts-links-Provokationen in Form bilateraler Augenbewegungen konnte die Patientin bereits in der ersten Sitzung einen ersten Eindruck vom EMDR-Ablauf bekommen. Ferner konnte der Therapeut in diesem Rahmen mit der Patientin die Art und Geschwindigkeit der bilateralen Provokation abstimmen und ein Stoppsignal vereinbaren: Durch Heben der Hand konnte Frau K. den EMDR-Prozess jederzeit unterbrechen. Dieses Vorgehen vermittelte Frau K. einen positiven ersten Eindruck der EMDR-Technik, ohne zu direkt eine traumatische Situation selbst bearbeiten zu müssen.

In der nächsten Sitzung wurde die Szene der Herzattacke zum Ausgangsthema gewählt. Entsprechend Phase 3 des EMDR-Protokolls (Phase 3: Bewertung einer belastenden Erinnerung), der Einschätzung vor dem Prozessieren, wurde die Patientin gefragt, was die schlimmste Erinnerung sei, die bei ihr innerlich auftauche, wenn sie an die damaligen Ereignisse zurückdenke. Frau K. berichtete: »Das Stechen in der Brust und das Warten auf den Arzt! Es war alles sehr chaotisch, die Ambulanz war sehr voll mit anderen Patienten, aber niemand schaute nach mir!«

Es folgten Fragen nach assoziierten negativen Gedanken, die sie mit den schlimmsten Momenten der damaligen Erlebnisse verknüpfe. Auf die von ihr spontan genannte negative Kognition »Es ist aus!« wurde die Patientin direkt aufgefordert, eine positive Gegenkognition zu formulieren: »Was möchten Sie stattdessen heute lieber über sich denken?« Frau K. wählte: »Es ist vorbei!« Als Nächstes erfolgte die Einschätzung der Stimmigkeit der günstigeren Kognition: »Und wie stimmig ist der Satz ›Es ist vorüber!‹ im Moment für Sie? Wenn Sie die Stimmigkeit auf einer Skala von 1 für ›gar nicht‹ bis 7 für ›absolut stimmig‹ angeben sollten, mit welcher Zahl würden Sie die Stimmigkeit bewerten?« Frau K. schätzte die momentane Stimmigkeit ihrer positiven Kognition »Es ist vorüber!« mit 2 von 7 ein. Als Nächstes wurde nach den zugehörigen Gefühlen gefragt und die dadurch hervorgerufene Belastung abgeschätzt. So berichtete Frau K., beim Gedanken an die traumatischen Erinnerungen »Angst, bis hin zu Todesangst« zu verspüren, und dass sie diese Angst vor allem »in der Brust« wahrnehme. Auf die Frage, wie belastend (auf einer Skala von 0, »gar keine Belastung«, bis 10, »stärkste vorstellbare Belastung«) sich dieses Gefühl der Angst für sie anfühle, schätzte Frau K. ihren momentanen Belastungsgrad mit 9 von 10 ein.

Mit dem Ausgangsbild des Beginns der Herzattacke zu Hause im Wohnzimmer stiegen Therapeut und Patientin in den EMDR-Prozess ein (Phase 4: Desensibilisierung und Durcharbeitung). Die Patientin wurde ermutigt, sich auf das Ausgangsbild (Herzattacke) zusammen mit dem zugehörigen Körpergefühl (Brustenge) und ihrer negativen Kognition (»Es ist aus!«) zu fokussieren und dabei simultan mit ihrem Blick den Fingerbewegungen des Therapeuten zu folgen. Dabei bewegte der Therapeut seinen Finger in einem Abstand von ca. 45–70 cm vor dem Gesicht der Patientin horizontal hin und her. Nach jeder Provokationssequenz wurde die Patientin gebeten, die inneren Wahrnehmungen auszublenden, tief durchzuatmen und den Inhalt ihrer letzten inneren Wahrnehmung zu benennen. So berichtete die Patientin nach der ersten Provokationsserie: »Ich sehe mich jetzt auf einer Liege in der Notfallambulanz, mein Herz schlägt immer noch sehr schnell, ich habe Angst und bekomme schlecht Luft, es ist niemand da, der mir hilft!« Um die Unterbrechung möglichst kurz zu halten und die Prozessierung so wenig wie möglich zu stören, folgten direkt weitere Provokationsserien. Frau K. wurde aufgefordert, stets zu beobachten, was weiter auftauche. Nach einigen weiteren Provokationssequenzen zeigte sich bei Frau K. eine deutliche Abnahme der Anspannung. Die Patientin erzählte, sie sei nun im Stationszimmer, ihr Mann sei nachgekommen, er beruhige sie und halte ihre Hand. Sie spüre, wie gut ihr das tue, dass sie nun wieder besser Luft bekäme und die Enge in der Brust sich aufgelöst habe. Mit den Worten »Sehr gut, dann beobachten Sie bitte weiter!« folgte eine weitere Provokationssequenz. Nach einer Weile meinte die Patientin, dass es nun vorbei sei und dass sie sich nun freue, am Leben zu sein.

Frau K. war spontan zu der Assoziation »Ich lebe!« gekommen, die positive Kognition traf damit nun vollständig zu, der Grad der Belastung lag am Ende der Sitzung bei 0.

Um diesen positiven Zustand zu festigen (Phase 5: Verankerung), wurde Frau K. aufgefordert, noch einmal an die Herzattacke und den sich daran anschließenden Krankenhausaufenthalt zu denken, sich die positive Kognition »Ich lebe!« innerlich vorzusagen und dabei mit den Augen den bilateralen Fingerbewegungen des Therapeuten zu folgen. Die positive Kognition passte nun absolut zur Ausgangssituation.

Als Nächstes wurde Frau K. im Rahmen des Körpertests (Phase 6) zur Erhebung noch bestehender sensorischer Erinnerungsfragmente dazu angeleitet, sich an die Ausgangssituation zu erinnern, sich dabei den Satz »Ich lebe!« innerlich vorzusagen und ihre Aufmerksamkeit langsam von oben nach unten durch den Körper zu lenken. In der Brust konnte sie eine leichte Anspannung wahrnehmen, woraufhin sie vom Therapeuten dazu aufgefordert wurde, ihre Aufmerksamkeit auf die Anspannung zu richten, während gleichzeitig eine erneute Provokationssequenz durchgeführt wurde. Die Missempfindung konnte rasch aufgelöst werden und Frau K. berichtete, dass sich ihr ganzer Körper nun für sie warm und entspannt anfühle.

Frau K. befand sich zu diesem Zeitpunkt der Sitzung in einem positiven Zustand, so dass direkt zum Abschluss der Sitzung übergegangen werden konnte (Phase 7: Abschluss), ohne dass weitere Interventionen von Seiten des Therapeuten notwendig gewesen wären. Allerdings wurde Frau K. zum Ende der ersten EMDR-Sitzung noch darüber informiert, dass es ganz normal sei, dass vereinzelte Themen aus den Sitzungen auch nach der Sitzung noch weiterarbeiten könnten, z. B. in Form von Träumen. Falls das bei ihr der Fall sein sollte, so solle sie sich die Inhalte stichwortartig notieren und in die nächste Sitzung mitbringen, damit man daran weiterarbeiten könne.

Beim nächsten Treffen zwei Wochen später wirkte die Patientin bereits deutlich heiterer. Frau K. berichtete, die Tage nach der letzten Sitzung seien sehr anstrengend gewesen. Ihr Blutdruck habe zunächst verrückt gespielt, die Anspannung sei zunächst deutlich stärker gewesen, habe jedoch kontinuierlich abgenommen. Inzwischen könne sie wieder durchschlafen und habe bereits seit über einer Woche keine Albträume mehr, sie fühle sich jetzt deutlich besser. Zur Überprüfung auf etwaige Restsymptomatiken hin (Phase 8: Nachbefragung) wurde die Patientin dazu aufgefordert, sich noch einmal an die Herzattacke zu erinnern und die damit verbundene Belastung auf einer Skala zwischen 0 (keine) und 10 (maximale Belastung) einzuschätzen. Mit ruhiger und fester Stimme antwortete sie, dass sie keine Belastung mehr verspüre. Zwar seien die Erinnerungen immer noch sehr scheußlich, aber die Bilder seien nun blass und fern und für sie nicht mehr belastend. Frau K. wurde nun angeleitet, sich ein letztes Mal an die gesamte Abfolge der Ereignisse im Zusammenhang mit der Herzattacke zu erinnern. Zu jeder Szene wurde die Patientin nach dem Belastungsgrad und begleitenden körperlichen Reaktionen gefragt, aber es war keine Belastung mehr auszumachen.

EMDR: eigenständige Therapieform oder therapeutische Technik?

In den letzten Jahren hat es immer wieder Debatten über das Wesen von EMDR gegeben, in denen diskutiert wurde, ob EMDR als eigenständige Therapieform oder lediglich als therapeutische Technik angesehen werden sollte. Angesichts der Bedeutung dieses Themas und der kontinuierlichen Fortschritte auf diesem Gebiet hat die Global Alliance of EMDR eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit einer Definition der EMDR-Therapie befasst. Vorrangiges Ziel war es, eine einheitliche und umfassende Definition zu erarbeiten, da der Bedarf an Klarheit wächst. Nach einer Reihe von Sitzungen schlug die Arbeitsgruppe schließlich drei verschiedene Kategorien vor: 1.) EMDR-Psychotherapie, 2.) EMDR-Behandlungsprotokolle und 3.) EMDR-abgeleitete Techniken; wir erläutern die Terminologie im Folgenden modifiziert nach Laliotis et al. (2021).

EMDR-Psychotherapie

EMDR-Psychotherapie ist eine umfassende Anwendung der EMDR-Therapie, die den ganzen Menschen behandelt und das gesamte Krankheitsbild einschließlich der individuellen, beziehungsbezogenen und verhaltensbezogenen Bereiche berücksichtigt. Sie zielt darauf ab, die Fähigkeit des Patienten zu optimieren, adaptiv auf Lebensherausforderungen zu reagieren, die aus einem Entwicklungstrauma resultieren, und gleichzeitig die Resilienz aufzubauen bzw. wiederherzustellen sowie das persönliche Wachstum zu fördern. Sie betrachtet die therapeutische Allianz als integralen Bestandteil der Therapie. Behandelt werden präsentierte Symptome, geringes Selbstwertgefühl, Bindungsprobleme, Entwicklungsdefizite und/oder andere persönliche Merkmale, die als Behandlungsziele über verschiedene diagnostische Kategorien hinweg gemeinsam erarbeitet werden. Es handelt sich um einen kooperativen, evidenzbasierten Praxisansatz, der auf dem Modell der adaptiven Informationsverarbeitung basiert und EMDR-Behandlungsprotokolle und aus EMDR abgeleitete Techniken als Teil eines umfassenden Behandlungsplans einbezieht, der die acht Phasen und den dreigleisigen Ansatz in der Targetauswahl von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft berücksichtigt.

EMDR-Behandlungsprotokolle

EMDR-Behandlungsprotokolle sind Protokolle für Einzelpersonen oder Gruppen, die mit der Definition der EMDR-Therapie übereinstimmen, und sind zur Behandlung bestimmter Störungen oder Symptome oder zur Bewältigung spezieller klinischer Situationen gedacht sind. Ziel ist die teilweise oder vollständige Aufarbeitung von Erinnerungen, die zu den aktuellen Problemen des Patienten beitragen. Protokolle können als eigenständiger Ansatz oder als Teil einer umfassenderen Psychotherapie verwendet werden. Protokolle, die mehr als eine einfache Abwandlung des achtphasigen, dreigleisigen Standardansatzes enthalten, gelten als Innovationen, solange ihre Wirksamkeit nicht durch Forschungsergebnisse untermauert ist.

Von EMDR abgeleitete Techniken

Von EMDR abgeleitete Techniken sind verkürzte Protokolle und Verfahren, die Kernelemente der EMDR-Therapie verwenden und die entweder als eigenständige Kurzintervention oder als Ergänzung zur EMDR-Therapie eingesetzt werden. Diese Techniken verfolgen ein oder mehrere Ziele (aber nicht das den ganzen Menschen und das gesamte Krankheitsbild betreffende Ziel der EMDR-Therapie), wie z. B. die Desensibilisierung einer störenden Erinnerung oder eines Teils einer Erinnerung, die Verringerung des Leidensdrucks, die Erhöhung der Stabilität, die Verbesserung der Fähigkeit zur emotionalen Selbstregulierung, die Vorbereitung auf die Erinnerungsaufarbeitung sowie die Stärkung positiver Erfahrungen. Diese EMDR-Techniken können sowohl in der Praxis als auch in klinischen Sitzungen eingesetzt werden und können vom Patienten selbst durchgeführt werden. Die Techniken können auch als Teil einer klinischen Bewertung eingesetzt werden, um die Motivation und Bereitschaft sowie die emotionale Fähigkeit des Patienten zu erkennen, auf die Anforderungen der Erinnerungsverarbeitung zu reagieren.

Weiterentwicklung von EMDR und neue Begriffe

In den letzten Jahren hat die EMDR-Therapie eine bemerkenswerte Weiterentwicklung erfahren und wird heutzutage in einer Vielzahl von klinischen Gruppen und unterschiedlichen klinischen Kontexten angewendet. Während sich die Konzepte und Verfahren kontinuierlich weiterentwickeln, hat sich ein Teil der verwendeten Sprache als veraltet erwiesen und es wurde kritisiert, dass dies nicht mehr den aktuellen Anwendungen von EMDR entspricht. Im Folgenden werden einige Empfehlungen zur Anpassung der veralteten Sprache vorgestellt, die kürzlich vorgeschlagen wurden, um die Konzepte und Behandlungsziele präziser darzustellen (Laliotis et al. 2021).4

Reprozessierung statt Desensibilisierung

Mit der Weiterentwicklung von EMD zu EMDR scheinen die Effekte von EMDR als Ergebnis des Erinnerungs-Reprozesses weit über eine einfache Desensibilisierung hinauszugehen. Stattdessen erwarten und beobachten wir routinemäßig umfassendere zusätzliche Behandlungseffekte, die Einsichten, eine veränderte Selbst- und Fremdwahrnehmung des Patienten, eine veränderte Ausrichtung auf das Erlebte, ein adaptiveres Verständnis des Geschehenen und häufig die Fähigkeit, dem Erlebnis oder einer Reihe von Erlebnissen eine neue Bedeutung zuzuweisen, einschließen. Daher wurde vorgeschlagen, die vierte Phase als »Reprocessing« zu bezeichnen, die neben anderen »Nebenprodukten« auch die Desensibilisierung beinhaltet, die zu einer stärker integrierten und gegenwärtigen Ausrichtung auf eine Zielerinnerung führt.

»Strengthening« statt »Installation«

Der Begriff »Installation« bezieht sich auf die Verknüpfung einer adaptiven Selbstüberzeugung mit der neu aufgelösten Zielerinnerung unter Verwendung mehrerer bilateraler Stimulationssätze. Dieser Prozess wird so lange fortgesetzt, bis der Patient ein starkes Gefühl der Glaubwürdigkeit hinsichtlich der positiven Überzeugung hat. In dieser Phase berichten Patienten häufig von Assoziationen in Bezug auf andere positive Erfahrungen, bei denen sie sich ähnlich gefühlt haben. Man geht davon aus, dass dieser fortgesetzte Prozess das neue, anpassungsfähigere Selbstvertrauen des Patientenstärkt und die Verknüpfung zur positiven Selbstüberzeugung für die Zukunft verfügbarer macht. Das »Installieren« eines positiven Selbstbildes setzt eine kognitive Umstrukturierung voraus, worum es aber hier nicht geht. Daher wurde vorgeschlagen, diese Phase eher als »Stärkung« (»Strengthening«) zu bezeichnen.

Die SUD-Skala (vgl. auch Abbildung 5, S. 102; SUD für subjective units of distress) misst den Belastungsgrad der Zielerinnerung vor und nach Beginn des Prozessierens. Ein SUD-Wert von »0« wird als »neutral oder keine Belastung« und ein SUD-Wert von »10« als »höchste vorstellbare Belastung« definiert. Hinsichtlich des zu erreichenden SUD-Wertes gibt es unterschiedliche Ansätze. Während das klassische Behandlungsziel der EMD darin besteht, die Zielerinnerung auf einen SUD-Wert von 0 zu desensibilisieren, wurde in jüngster Zeit vorgeschlagen, dass das Ziel einer erfolgreichen Verarbeitung von Zielerinnerungen in der EMDR-Therapie primär darin bestünde, diese zu einer adaptiven Auflösung zu bringen. Eine solche adaptive Auflösung ist jedoch nicht notwendigerweise emotional neutral. Häufig haben Patienten einige Emotionen im Zusammenhang mit der Zielerinnerung, und obwohl ihre Reaktion adaptiv ist, ist sie möglicherweise nicht »neutral«. Zum Beispiel kann ein erwachsener Überlebender eines frühen Missbrauchs durch einen Elternteil aufgrund seiner Erinnerung an diesen Missbrauch Schmerz, Traurigkeit und ein Gefühl des Verrats empfinden. Diese Gefühle sind aus der Sicht eines Erwachsenen verständlich, aber sie sind nicht neutral. Die meisten Kliniker betrachten eine aktuelle Fokussierung auf die Zielerinnerung und ein ruhiges Körpergefühl als Anzeichen für eine vollständige Aufarbeitung. Es wurde daher vorgeschlagen, dass ein SUD von 0 als in erster Linie »ecologically appropriate« neu definiert werden sollte, d. h. als das, was als realistische Reaktion auf eine ähnliche Erfahrung angesehen werden könnte.

Prozessierung besser als Reprocessing

Obwohl die Bezeichnung EMDR das Wort »Reprocessing« enthält, argumentieren viele, dass die Effekte der Behandlung eher als Ergebnisse der »Verarbeitung« von Erinnerungen bezeichnet werden sollten. Der Begriff »Prozessierung« wird im Vergleich zu »Reprozessierung« als angemessener angesehen, um die natürlichen und angeborenen Phänomene zu beschreiben, die mit der Integration von Veränderungen in Emotionen, Kognitionen und Körperempfindungen einhergehen. Diese Veränderungen führen dazu, dass Erfahrungen eine neue Bedeutung erhalten. Im Gegensatz dazu beschreibt der Begriff »Reprocessing« den formalen Prozess innerhalb der EMDR-Therapie, der aus den Phasen vier bis sechs der insgesamt acht Phasen besteht.

EMDR und Schmerz

Warum EMDR bei Schmerz?

Über EMDR können dysfunktional gespeicherte und belastende Erinnerungen an traumatische Ereignisse neu prozessiert, desensibilisiert und im Gehirn neu assoziiert und heilsam integriert werden. EMDR ist damit ein klassisches Therapieelement in der Traumatherapie. Doch obwohl EMDR ursprünglich als ein Therapieansatz spezifisch für die Behandlung psychischer Traumata und posttraumatischer Belastungsstörungen gedacht war, wurde in der klinischen Praxis schnell deutlich, dass dieser Ansatz für die Behandlung von Schmerzpatienten geradezu optimal geeignet ist. Vor dem Hintergrund, dass EMDR sich spezifisch auf die Behandlung dysfunktionaler Gedächtnisprozesse und emotionaler Belastungsfaktoren fokussiert und dysfunktionale Gedächtnisprozesse, Schmerzgedächtnis und emotionales Leid gleichzeitig entscheidende Faktoren der Schmerzchronifizierung darstellen, wird EMDR bereits seit vielen Jahren erfolgreich in der Behandlung chronischer Schmerzen eingesetzt.

Bereits Francine Shapiro (1998) weist darauf hin, dass die psychische Belastung eines (chronisch) körperlich kranken Menschen ähnlich hoch sein kann wie die eines durch Vergewaltigung, Kriegsereignisse oder andere Katastrophen traumatisierten Menschen. Sie macht auch darauf aufmerksam, dass die meisten körperlich schwerkranken Menschen unter einer Symptomatik ähnlich der einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Krankheit kann bei den Betroffenen dazu führen, dass sie sich vom eigenen Körper verraten fühlen und erleben müssen, wie sie von Bekannten, Freunden, Familienangehörigen oder dem medizinischen System im Stich gelassen werden und wie sie dem Schmerz scheinbar schutzlos ausgeliefert sind. Das sind Zustände, die bei den Betroffenen oftmals intensive Gefühle von Enttäuschung, Wut, Angst, Hilflosigkeit, Selbstzweifel bis hin zu Selbsthass auslösen können. Psychologisch gibt es somit eine bedeutsame Ähnlichkeit zwischen chronischen Schmerzsyndromen und dem Störungsbild einer Traumafolgestörung. In diesem Sinne kann ein chronischer Schmerz auch als eine Art eigenständiges »Schmerztrauma« betrachtet werden, bei dem der eigene Körper als traumatisiert und traumatisierend zugleich in Erscheinung tritt.

Tab. 1: Vergleich der posttraumatischen Belastungsstörung und des chronischen Schmerzsyndroms

Posttraumatische Belastungsstörung

Chronisches Schmerzsyndrom

A. Es gab eine Konfrontation mit einem trauma­tischen Ereignis.

Am Anfang der Schmerzsymptomatik steht häufig eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit (Verletzung, Unfall oder Krankheit).

Ereignis: Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod oder ernsthafter Verletzung oder Gefahr für eigene oder fremde körperliche Unversehrtheit (objektiv), und

Der Schmerz wird häufig als eine existentielle Bedrohung erlebt.

Reaktion: Intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen (subjektiv)

Der Schmerz geht häufig mit Gefühlen von Furcht und Hilflosigkeit einher.

B. Es kommt zum beharrlichen Wiedererleben des Ereignisses.

Der Schmerz ist chronisch, d. h. es kommt zum ständigen Wiedererleben des Schmerzes.

Wiederkehrende und eindringlich belastende Erinnerungen (Bilder, Gedanken, Wahrnehmungen), und/oder

Der Schmerz wird ständig wiedererlebt in Form von unangenehmen Sinnes- und Gefühlserlebnissen.

Wiederkehrende belastende Träume, und/oder

Schmerzpatienten haben häufig eine wiederkehrende Beeinträchtigung des Schlafs durch den Schmerz.

Handeln oder fühlen, als ob das Ereignis wiederkehrte

Schmerzpatienten leben in einer ständigen Angst vor der nächsten Schmerzattacke. Handeln und Verhalten sind oftmals stark durch den Schmerz oder die Angst davor geprägt.

C. Anhaltendes Vermeidungsverhalten bzgl. traumaassoziierter Reize oder Abflachung der allgemeinen Reagibilität. Drei der sieben folgenden Kriterien sind erfüllt:

Anhaltendes Vermeidungsverhalten bzgl. schmerzassoziierter Aktivitäten (Sport, soziale Aktivitäten):

Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen in Bezug auf das Trauma

Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, die den Schmerz verstärken

Bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen wachrufen

Vermeiden von Aktivitäten, die Schmerzen triggern können, häufig einhergehend mit sozialem Rückzug

Unfähigkeit, sich an einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern

Häufig inadäquate Erinnerungsinhalte (verdrängend, katastrophisierend, neglect-like)

Deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten

Deutlich reduzierte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten

Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen

Gefühl der Entfremdung von wichtigen (»schmerzfreien«) Bezugspersonen durch den Schmerz

Eingeschränkte Bandbreite des Affektes

Häufig depressive Symptome mit Affektabflachung

Gefühl einer eingeschränkten Perspektive

Gefühl der Perspektivlosigkeit

D. Anhaltende Symptome erhöhter Erregung. Zwei der folgenden fünf Kriterien sind erfüllt:

Schmerzpatienten berichten in Phasen starker Schmerzen häufig über:

Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen

Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen

Reizbarkeit oder Wutausbrüche

Verstärkte Reizbarkeit

Konzentrationsschwierigkeiten

Konzentrationsschwierigkeiten

Hypervigilanz (extreme Wachsamkeit)

Gesteigerte Wachsamkeit

Übertriebene Schreckreaktionen

Vermehrte Schreckhaftigkeit

E. Das Störungsbild dauert länger als einen Monat.

Chronischer Schmerz ist definiert als ein Schmerz länger als 1–6 Monate.

F. Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.

Chronischer Schmerz verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden und geht mit einer starken Beeinträchtigung in sozialen, beruf­lichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen einher.

Diagnostische Kriterien A bis F für eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nach dem »Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders« (DSM-IV; Saß et al. 1996) im Vergleich zu den Charakteristika der chronischen Schmerzstörung. Im DSM-IV müssen die Kriterien von A bis F erfüllt sein, um die Diagnose einer PTBS stellen zu können. Unter A finden sich die sogenannten Stressorkriterien, d. h. Bedingungen in Bezug auf das als Trauma infrage kommende Ereignis, die erfüllt sein müssen, damit man per definitionem von einem traumatischen Ereignis sprechen kann. Unter den Kriterien B bis D werden die drei Hauptsymptomkomplexe der PTBS (Intrusionen: B; Vermeidungsverhalten: C; Übererregbarkeit: D) aufgeführt, deren Kombination als für dieses Störungsbild charakteristisch angesehen wird. Das Kriterium E dient der zeitlichen Einordnung der Störung. Hier wird ferner zwischen einer akuten und einer chronischen PTBS unterschieden. Als zusätzliches Kriterium F wurde im DSM-IV das Vorliegen einer klinisch bedeutsamen Belastung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Bereichen eingeführt.

Zusätzlich lassen sich bei Schmerzpatienten gehäuft belastende Lebensereignisse und psychische Traumata im Vorfeld oder begleitend identifizieren. In einer eigenen Studie berichteten zwischen 24 und 36 % aller Patienten mit nicht-spezifischen Rückenschmerzen über traumatische Ereignisse in der Vorgeschichte, wobei nur ein Bruchteil dieser Patienten (< 3 %) die klassischen Kriterien für eine PTBS erfüllte. Das Vorhandensein psychischer Traumata geht mit einem um über 70 % erhöhten Risiko einher, chronische Schmerzen zu entwickeln; dagegen ist es ein Prädiktor für körperliche Gesundheit, wenn solche Ereignisse nicht vorliegen. Ähnliche Daten liegen auch für andere chronische Schmerzsyndrome vor. Chronische Schmerzen können sich also auch als eigene Traumafolgestörung unabhängig vom Vorliegen einer klassischen PTBS-Symptomatik entwickeln (Tesarz et al. 2014). Entsprechend gibt es aus pathophysiologischer Perspektive eine enge Verbindung zwischen zurückliegenden belastenden Lebensereignissen und gegenwärtigen Schmerzzuständen. In zahlreichen Studien konnte inzwischen nachgewiesen werden, dass emotional belastende Ereignisse und psychische Traumata sowohl direkt als auch indirekt ganz wesentlich zur Entstehung und zur Aufrechterhaltung chronischer Schmerzen beitragen können (Afari et al. 2014; Tesarz et al. 2018).

Die Wirkung von EMDR kann über zwei unterschiedliche Ansätze in der Schmerztherapie zur Geltung kommen:

Schmerz als traumatische Erinnerung: Reprozessierung dysfunktionaler Gedächtnisprozesse, die der aktuellen Schmerzsymptomatik zugrunde liegen.

Schmerz bei traumatischen Erinnerungen: Bearbeitung belastender Erinnerungen und traumatischer Erlebnisse, die direkt und indirekt Einfluss auf die Schmerzsymptomatik nehmen können.

EMDR enthält noch weitere schmerztherapeutische, dabei nicht EMDR-spezifische Therapieelemente (z. B. Exposition, Verbesserung der Copingfähigkeiten, kognitive Umstrukturierung etc.), die aufgrund des patientenzentrierten Charakters von EMDR sehr individuell auf die jeweiligen Bedürfnisse des Patienten abgestimmt werden können. In den letzten Jahren hat sich zudem gezeigt, dass EMDR eine effektive Methode ist, um dysfunktionale Krankheitsängste anzugehen. Dabei handelt es sich um Ängste, bei denen Betroffene eine übermäßige Bedrohung durch ihren eigenen Körper wahrnehmen.

In den folgenden Abschnitten gehen wir zunächst auf den theoretischen Hintergrund zur Wirkweise von EMDR bei chronischen Schmerzen ein. Hierzu stellen wir die Netzwerktheorie und das Modell der adaptiven Informationsverarbeitung als spezifisches Wirkmodell von EMDR bei Schmerzen (»Schmerz als traumatische Erinnerung«) vor und greifen nachfolgend weitere nicht-spezifische Effekte von EMDR in der Behandlung chronischer Schmerzen auf.