Schnelle Nummer - Nora Bossong - E-Book

Schnelle Nummer E-Book

Nora Bossong

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Beschreibung

Was passiert wirklich in Stundenhotels? Nora Bossong fährt nach Berlin und Wien, in den Ruhrpott und in idyllische Porzellanstädtchen. Sie sieht Kronleuchter und vermisst Bettlaken, heimlich beobachtet sie die Kundschaft und befragt die Rezeptionisten. Und nicht zuletzt im großen Wiener Hotel Orient stellt sie fest: Das Stundenhotel ist ein Relikt aus der Vergangenheit, das lustvoll in der Gegenwart fortlebt. Damals wie heute findet darin ein Leben statt, das den eigenen, heimlichen Gesetzen folgt. Eine Reise in die Welt des schnellen Seitensprungs.

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Seitenzahl: 45

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Nora Bossong

Schnelle Nummer

»Zimmer drei ist dann jetzt frei«, teilt uns die Rezeptionistin mit. Sie klingt wie eine gelangweilte Sprechstundenhilfe. Es wird uns kein Schlüssel ausgehändigt, die Tür steht einfach offen, wir treten ein. Ich habe Ekel erwartet, zumindest Befremden, aber ich habe mich in manchem Mittelklassehotel schon unwohler gefühlt, auf den kargen Räumen mit 90-Zentimeter-Matratze und mit Duschgeräuschen aus dem Nebenraum. Wir hören die Rezeptionistin auf dem Flur reden, sachlich wie ein Zimmermädchen, das seiner Kollegin über den Gang zuruft: »Zimmer vier muss noch gemacht werden!« Aus den Nachbarzimmern ist dagegen nichts zu hören. Kein Stöhnen, keine Schreie, nicht einmal Wasserplätschern. Ein Ort funktionalistischer Sehnsucht: Die Wände sind rot gestrichen, das Licht ist gedimmt, leise Popmusik beschallt den Raum. Es gibt nicht viel, ein Waschbecken, kein WC, ein Kissen, keine Decke, ein Mülleimer, ein leeres Schränkchen. Zwei Dinge aber gibt es in Fülle: Spiegel und Zewa-Küchenkrepp.

Obwohl das Fenster mit Folie verklebt ist, dringt zu viel Tageslicht in den Raum. Ich ziehe die Vorhänge zu, dimme das Licht weiter herunter. Das Laken ist sauber und grau, ich habe Flecken erwartet, wenigstens einen Riss im Stoff. Dieses hier sieht aus, als sei es bei Ikea gekauft. Das rote Licht aus der Deckenleuchte verleiht dem Ganzen einen milieuhaften Touch, und ich komme mir unweigerlich ein wenig flittchenhaft vor. Unter uns das Grau des Lakens, um uns die bordeauxfarbenen Wände, romantisch ist das höchstens für Menschen, die das Cover einer Kuschelrock-CD in Gefühlswallungen versetzt. Auf dem Rücken liegend, beobachte ich uns, S. und mich, in den Spiegelkacheln über dem Bett, dort oben, wo sich schon unzählige Paare zugesehen haben bei ihrer gierigen, schamlosen oder auch tumben Lust.

Stundenhotels, gibt es die überhaupt noch? Dieser Gedanke ging mir durch den Kopf, als ich an einem Sommerabend auf der Straße gefragt wurde, ob ich eines in der Nähe kennen würde. Natürlich kannte ich keines, weder in räumlicher noch in zeitlicher Nähe. Intuitiv verbannte ich diesen Ort in die Sphäre einer patriarchal bürgerlichen Lebensform, aus der man zu Fontanes Zeiten mit Effi Briest ausbrechen wollte, gegen die man in der Generation meiner Eltern rebellierte, die es in einer vergleichbar autoritären Dominanz heute nicht mehr gibt und über deren Sexualmoral Michel Foucault in seinem Werk Sexualität und Wahrheit aus dem Jahr 1976 schreibt: »Ohne ihn [den Sex] selbst erwähnen zu müssen, einzig und allein durch ein Spiel von Verboten, die alle aufeinander verweisen, erreicht so die moderne Schamhaftigkeit ihr Ziel, daß nicht mehr vom Sex gesprochen wird.« Dieses Zeitalter der »sogenannten bürgerlichen Gesellschaft« haben wir, so stellte Foucault vor knapp 40 Jahren fest, »angeblich immer noch nicht restlos hinter uns gebracht«1.

Und heute? Sind mittlerweile nicht selbst die Reste jener Lebensform gründlich beiseitegekehrt oder als Untersuchungsobjekt ins kulturwissenschaftliche Seminar verbannt? Überall werden offene Beziehungen propagiert, in Clubs wird spontan über die Sexkonstellation für die Nacht entschieden, und dabei muss nicht einmal mehr so getan werden, als ginge es um irgendetwas anderes, um einen unverfänglichen Theaterbesuch etwa, einen Tanztee oder künftigen Bund fürs Leben. Ein Begriff wie »wilde Ehe« mutet längst altertümlich an, Ehebruch ist kein Straftatbestand mehr, und im Scheidungsrecht wurde 1976 das Verschuldensprinzip zugunsten des Zerrüttungsprinzips abgeschafft, was de facto bedeutet: Nicht mehr derjenige, der die Ehe hat scheitern lassen, wird unterhaltspflichtig, sondern der finanziell Stärkere, ganz gleich, ob er nun der Betrüger oder der Betrogene ist. Zumindest finanziell gesehen ist der Seitensprung heute kein so großes Risiko wie einst, und wenn es lediglich die Moralkeule ist, die droht, haben sich davor schon viele gekonnt weggeduckt.

Doch kann ein Ort wie das Stundenhotel, der Sexualität und Stillschweigen vereint und beides, Heimlichkeit und Ausleben, als gegenseitige Bedingung vorstellt, womöglich doch noch jene Reste konservieren, jenes »Spiel von Verboten«, das unsere westliche Moderne so stark prägte wie der Glaube an die kapitalistische Innovationskraft?

Stundenhotel. Das Wort jedenfalls hing mir nach, gerade wegen seiner unzeitgemäßen Anrüchigkeit, die es bei mir evozierte und die so wenig in die mich umgebende Lebenswirklichkeit zu passen schien. Indes weit gefehlt: Es gibt sie noch, zahlreich mitunter in den Großstädten, gewaltig in der Bandbreite, vom schäbigen Verrichtungsraum in Straßenstrichnähe bis zum samtweichen Luxusetablissement. Man trifft auf den älteren Mann mit junger Begleitung ebenso wie auf die beiden Zwanzigjährigen, die sich über eine Sex-App verabredet haben, es gibt Freier und Prostituierte, Ehemänner und Geliebte, die Paare sind mal besser, mal schlechter miteinander bekannt, nur eines eint sie: Auf das gemeinsame Frühstück kommt es ihnen nicht an.

Vielleicht sind es die Spiegel, die diese Orte ausmachen. Sie hängen an der Wand, an der Decke, über pompösen Polstermöbeln und zweckmäßigen Waschbecken. Große Flächen, kleine Rauten, Bullaugen, Herzen, Rechtecke in wuchtigen Rahmen. In jedem Raum betrachten sie die Gäste aus einem anderen Winkel, die sich so bei dem zusehen, was ungesehen geschieht. Hier muss man nichts mehr sein und nichts vorweisen, keinen Namen, keine Anschrift, keine Papiere, meist gibt es nicht einmal einen Zimmerschlüssel. Man hat nur noch Körper und Zeit. Die Stunde kostet zwischen 15 und 93 Euro, und draußen vor dem Eingang der »Pensionen« und »Gasthäuser« locken oft Schilder, »24h open« oder ähnliche Hinweise auf stetige Verfügbarkeit, diskrete Zeichen, die für Passanten unverfänglich bleiben, den Suchenden aber einen Fingerzeig geben.