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Vorliegende qualitativ-explorative Grundlagenstudie bietet anhand mehrerer Fallstudien erstmals detaillierte Einblicke in die unterrichtliche Arbeit mit schriftlicher Sprachmittlungskompetenz (engl. mediation) im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe. Untersucht werden Lehr- und Lernprozesse in Auseinandersetzung mit schriftlichen Sprachmittlungsaufgaben. Eingebettet sind die Analysen in eine kritische Bestandsaufnahme der fachdidaktischen Diskussion und der bildungspolitischen Rahmenvorgaben. Das entwickelte qualitativ-empirische Design umfasst eine Triangulation aus Videoaufzeichnungen, schriftlichen Lernendenprodukten und Lehrkraft- und Lernendeninterviews. Die Studie leistet damit einen Beitrag zur Erforschung der schriftlichen Sprachmittlungskompetenz im Fremdsprachenunterricht und liefert Erkenntnisse über die Lehr-/Lernprozesse, die für die weitere Forschung und die Lehrerprofessionalisierung bedeutsam sind.
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Seitenzahl: 687
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler
Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho
Leonhard Krombach
Eine qualitativ-empirische Studie
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
DOI: https://doi.org/10.24053/9783823395775
© 2022 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen
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Internet: www.narr.de
eMail: info@narr.de
ISSN 0175-7776
ISBN 978-3-8233-8577-6 (Print)
ISBN 978-3-8233-9577-5 (ePDF)
ISBN 978-3-8233-0456-2 (ePub)
Mein herzlicher Dank gilt
allen beteiligten Lernenden und Lehrenden
sowie insbesondere
Prof. Dr. Eva Burwitz-Melzer
Prof. Dr. Hélène Martinez
Prof. Dr. Christiane Brand
Prof. Dr. Michael Legutke
Prof. Dr. Jürgen Quetz
Prof. Dr. Jürgen Kurtz
Dr. Andrea Rummel
Dr. Tamara Zeyer
Dr. Ivo Steininger
Dr. Sebastian Miede
Dr. Tobias Bernaisch
Ulrike Krombach
Yasemin Süt
Thore Czopnik
Sophie Engelen
Darja Brotzmann
Elina Velkin
Jennifer Ehrhardt
Der Justus-Liebig-Universität möchte ich fürdie Gewährung eines Graduiertenstipendiums danken.
1Einleitung
1.1Bezüge zwischen Fremdsprachendidaktik, Bildungspolitik und soziokulturellen Entwicklungen im Kontext von Sprachmittlung
1.2Struktur der Arbeit
2Konzepte von Sprachmittlung in fachdidaktischen und bildungspolitischen Dokumenten
2.1Historische Entwicklung von Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht
2.2Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (2001)
2.3Die Bildungsstandards für die gymnasiale Oberstufe (2012)
2.4Das Kerncurriculum für die gymnasiale Oberstufe Hessen (2016)
2.5Sprachmittlung in aktueller Fachdidaktik und Sprachlehrforschung
2.5.1Modellierungen von Sprachmittlung: Interaktions- und Prozessmodelle
2.5.2Teilkompetenzen schriftlicher Sprachmittlung
2.6Ausblick: Mediation im Begleitband zum GeR (2020)
2.7Exkurs: Sprachmittlung in den Translationswissenschaften
3Förderung und Evaluation schriftlicher Sprachmittlungskompetenz in der gymnasialen Oberstufe
3.1Aufgabentypologien zur Sprachmittlung
3.2Pre-, while- und post-mediation-activities
3.3Aufgabenorientierung
3.4Genre-, Textfunktionen- und Registeransätze
3.5Qualitätskriterien für Sprachmittlungsaufgaben
3.5.1Lernaufgaben zur Sprachmittlung
3.5.2Prüfungsaufgaben zur Sprachmittlung
3.5.3Progressionsmodelle
3.6Evaluation von Sprachmittlungskompetenz
3.6.1Annäherungen an den Fehlerbegriff
3.6.2Bewertungskriterien für Sprachmittlungsprodukte
3.7Zwischenfazit: Terra incognita der Fremdsprachendidaktik
4Fachdidaktisches Erkenntnisinteresse und Forschungsdesign
4.1Forschungsverständnis: Begründungen der empirischen Untersuchung
4.2Fachdidaktisches Erkenntnisinteresse und Zielsetzungen
4.2.1Forschungsdesign
4.2.2Genese des theoretischen Samplings
4.3Methodisches Vorgehen und Erhebungstechniken
4.3.1Zugang zum Feld
4.3.2Datentriangulation: Videografie, Feldnotizen, Lehrkraft- und Lernendenprodukte
4.3.3Perspektiventriangulation: Retrospektive Lehrkraft- und Lernendeninterviews
4.3.4Dokumentation, Analyse und Interpretation der Daten
5Kodierung, Analyse und Interpretation von Lehrkraft- und Lernendenbeiträgen anhand von Trump‘s Immigration Policy in einem Leistungskurs der Klasse 12
5.1Kodiersystem schriftliche Sprachmittlung
5.2Pilotstudie Trump’s Immigration Policy (Leistungskurs Klasse 12)
5.2.1Die Institution und die Lerngruppe
5.2.2Der Lehrkraftfragebogen
5.2.3Die schriftliche Sprachmittlungsaufgabe
5.2.4Der Unterrichtsverlauf
5.2.5Mündliche und schriftliche Lernendenleistungen in den Unterrichtsstunden
5.2.6Schriftliche Sprachmittlungsprodukte und deren Präsentation sowie Evaluation
5.2.7Retrospektive Schülerinnen- und Schülerinterviews (RIS)
5.2.8Retrospektives Lehrkraftinterview (RIL)
5.2.9Zwischenfazit
6Fallstudie Amy Chua – Tiger Mom (Leistungskurs Klasse 12)
6.1Die Institution und die Lerngruppe
6.2Der Lehrkraftfragebogen
6.3Die schriftliche Sprachmittlungsaufgabe
6.4Der Unterrichtsverlauf
6.5Mündliche und schriftliche Lernendenleistungen in den Unterrichtsstunden
6.6Schriftliche Sprachmittlungsprodukte und deren Präsentation sowie Evaluation
6.7Retrospektive Schülerinnen- und Schülerinterviews (RIS)
6.8Retrospektives Lehrkraftinterview (RIL)
6.9Zwischenfazit
7Fallstudie Shakespeare (Leistungskurs Klasse 13)
7.1Die Institution und die Lerngruppe
7.2Der Lehrkraftfragebogen
7.3Der Unterrichtsverlauf
7.4Die erste schriftliche Sprachmittlungsaufgabe
7.5Mündliche und schriftliche Lernendenleistungen in den Unterrichtsstunden
7.6Schriftliche Sprachmittlungsprodukte und deren Präsentation sowie Evaluation
7.7Die zweite schriftliche Sprachmittlungsaufgabe
7.8Mündliche und schriftliche Lernendenleistungen der Unterrichtsstunden
7.9Schriftliche Sprachmittlungsprodukte, deren Präsentation und Evaluation
7.10Retrospektive Schülerinnen- und Schülerinterviews (RIS)
7.11Retrospektives Lehrkraftinterview (RIL)
7.12Zwischenfazit
8Erkenntnisse der empirischen Studie: Aufgabenbewältigungsprozesse und Lehrkraftverhalten
8.1Vorbereitung auf schriftliche Sprachmittlungsaufgaben
8.2Bearbeitung schriftlicher Sprachmittlungsaufgaben
8.3Präsentation, Evaluation und Reflexion schriftlicher Sprachmittlungsaufgaben
9Gelingensbedingungen für schriftliche Sprachmittlung und Desiderata
9.1Input bei schriftlichen Sprachmittlungsaufgaben
9.2Problemlöseprozesse und Zieltexte schriftlicher Sprachmittlung
9.3Evaluation und Reflexion von Sprachmittlungsleistungen
9.4Bildungspolitische Einführung von Sprachmittlung und Theoriebildung
9.5Reflexion des Forschungsprozesses und Desiderata
10Literaturverzeichnis
Anhang
Mich drängt’s, den Grundtext aufzuschlagen,
Mit redlichem Gefühl einmal
Das heilige Original
In mein geliebtes Deutsch zu übertragen,
(Er schlägt ein Volum auf und schickt sich an.)
Geschrieben steht: »Im Anfang war das Wort!«
Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Dass deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
Und schreibe getrost: im Anfang war die Tat!
(Johann Wolfgang von Goethe, Faust: Der Trögodie erster Teil, Studierzimmer I)
Goethes Faust wird im Prozess der Bedeutungsaushandlung bei der Übertragung eines Satzes, dem eine religiöse bzw. symbolische Bedeutung zukommt, beschrieben. Der schwierige Aushandlungsprozess lässt zwei Aspekte auf die Relevanz der vorliegenden Untersuchung hervorscheinen. Zum einen, dass die Sprachmittlung nach bildungspolitischer Setzung nun obligatorischer Unterrichtsbestandteil sowie in vielen Bundesländern verpflichtende Abituraufgabe ist und sich Schülerinnen und Schüler1 zwar nicht zwangsläufig mit wörtlichen ‚Übersetzungen‘, aber mit ähnlichen semantischen und kulturellen Bedeutungsprozessen bei der Vermittlung von Inhalten zwischen Sprachen auseinandersetzen müssen. Zum anderen, dass auch die Fremdsprachendidaktik sich verpflichtet fühlen sollte, den ‚Grundtext‘ aufzuschlagen. In diesem Sinne – und es sei die subjektive Bedeutungsauslegung entschuldigt – ist eine empirische Grundlagenforschung notwendig, um zu eruieren, wie der ‚Ursprung‘ aussieht, wie also die bildungspolitischen Rahmenvorgaben in der Unterrichtsrealität umgesetzt werden. Eine solche Untersuchung lag bislang noch nicht vor. Anhand dieses ‚Grundtextes‘ sollen Rückschlüsse auf Theorie und Praxis gezogen werden.
Die Sprachmittlung (engl. mediation) ist ein fremdsprachendidaktisch und bildungspolitisch hochrelevantes, jedoch empirisch kaum exploriertes Forschungsfeld. Der Terminus ‚Sprachmittlung‘ ist nicht eindeutig bestimmt, sondern wird in fremdsprachendidaktischen, bildungspolitischen und translationswissenschaftlichen Dokumenten unterschiedlich aufgefasst (vgl. Kolb 2016: 12 ff.). Mit einer weiten Definition lässt sich Sprachmittlung als „Oberbegriff für jede Art der Übertragung eines Textes aus einer Sprache in eine andere“ (Reimann 2014: 1) verstehen. In einer engen, auf die schulische Sprachmittlung bezogenen Definition, kann sie gelten als „eher weniger textgetreue Übertragung des Ausgangstextes, die von der Wiedergabe ausgewählter Inhalte über eine Zusammenfassung oder eine Paraphrase bis hin zu punktuell wörtlicher Übersetzung reichen kann“ (Caspari/Schinschke 2017: 179). Das entstehende Produkt wird Zieltext genannt. Eine scharfe Abgrenzung existiert zu der ‚Mediation’ im Deutschen, die Streitschlichtung meint (vgl. u. a. Reimann/Rössler 2013: 1 ff.), was jedoch umstritten ist.2 Die schulische Sprachmittlung ist an universalistische Übersetzungstheorien anschlussfähig, die eine generelle Übersetzbarkeit postulieren (vgl. Stolze 2008: 25 ff.).3
Die mannigfaltigen Gründe für die hohe Relevanz finden sich in bildungspolitischen Bestimmungen, fachdidaktischen Diskussionen und soziokulturellen Entwicklungen. Erstens wurde Sprachmittlung seit der Veröffentlichung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) (2001) und der Bildungsstandards (KMK 2003, 2004, 2012) als verbindlicher Kompetenzstandard des Fremdsprachenunterrichts in deutschen Schulen bestimmt. Der Begleitband zum GeR (2020) legt einen starken Fokus auf mediation und spricht ihr die Rolle einer Schlüsselkompetenz zu (vgl. North/Docherty 2016: 24 ff.). Zweitens ist hinsichtlich der Migrationsbewegungen der letzten Jahre und der aktuellen Mehrsprachigkeitsdebatte festzustellen, dass ein Mitteln von (Herkunfts-)Sprachen und Kulturen eine notwendige Alltagsbedingung (vgl. Coste/ Cavalli 2015) und eine „erhebliche Chance für die interkulturelle Entwicklung und die Mehrsprachigkeitsentwicklung der Lernenden“ (Burwitz-Melzer/Quetz 2017: 5) ist. Drittens zeigt sich in der aktuellen fremdsprachendidaktischen Diskussion die Forderung einer verstärkten Alltags- und Anwendungsorientierung, der sich Sprachmittlung aufgrund ihrer Alltagsrelevanz besonders anböte (vgl. Kolb 2016: 17; Tesch et al. 2017).
Darüber hinaus stellt die einschlägige Fachliteratur fest, dass Sprachmittlungsaufgaben Bestandteil des Unterrichts (vgl. Reimann/Rössler 2013: 17; konträr Königs 2016: 115) und Lehrwerken sowie obligatorischer Teil der zentralen Abiturprüfung für die modernen Fremdsprachen ab dem Jahre 2017 seien (vgl. Kolb 2016: 21 ff.). Hierdurch erhält die schriftliche Sprachmittlung eine zentrale Rolle als Lerngegenstand und Prüfungsdisziplin. Dieser Umstand sowie die Komplexität des Kompetenzbereichs machen eine Einschränkung des Forschungsfelds auf die schriftlichen Teilprozesse unabdingbar (s. Kap. 4.2). Den genannten Fakten stehen fehlende empirische Erkenntnisse über den tatsächlichen Umfang von und Umgang mit Sprachmittlungsaufgaben der Lehrenden und Lernenden im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe gegenüber. Solch empirische Überprüfung wird von Forschenden wiederholt gefordert (u. a. Reimann/Rössler 2013: 21).
Die auf Grundlagenforschung ausgerichtete empirische Studie nimmt sich vor diesem Hintergrund schriftlicher Sprachmittlung im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe an. Schriftliche Sprachmittlung wird in dieser Dissertationsschrift aus drei Perspektiven beleuchtet:
1.aus theoretischer Perspektive, die fachdidaktische Überlegungen hinsichtlich (schriftlicher) Sprachmittlung systematisiert;
2.aus bildungspolitischer Perspektive, die den Stellenwert und gewünschten Umgang mit schriftlichen Sprachmittlungsaufgaben in bildungspolitischen Dokumenten analysiert;
3.aus unterrichtspraktischer Perspektive, die den tatsächlichen Umgang mit schriftlichen Sprachmittlungsaufgaben im Unterricht analysiert.
Anhand dieser Perspektiven wird die praktische Analyse des Datenmaterials in eine theoretische Aufarbeitung der aktuellen fachdidaktischen Diskussion und der bildungspolitischen Rahmenvorgaben zur schriftlichen Sprachmittlung eingebettet. Hierbei zielt das Vorhaben vorrangig darauf ab, den Umgang mit schriftlichen Sprachmittlungsaufgaben durch Lehrkräfte und Lernende im Unterricht qualitativ-explorativ zu erforschen und dabei eine „dichte Beschreibung“ (Geertz 1983: 7 ff., 30 ff.) zu liefern. Untersucht werden auf Lehrkraftseite Anleitungs-, Durchführungs-, Nachbereitungs- sowie Bewertungsprozesse und auf Lernendenseite Bearbeitungs- und Lernprozesse in der Auseinandersetzung mit schriftlichen Sprachmittlungsaufgaben im Englischunterricht.
Kapitel 2 der Arbeit dient als Hintergrundfolie für die Analyse der empirischen Fallstudien und diskutiert Konzepte und Modellierungen (schriftlicher) Sprachmittlungskompetenz, die sich in fachdidaktischen und bildungspolitischen Dokumenten finden (Dokumentbegriff, s. Legutke 2016b: 61 f.). Maßgebliche Referenzdokumente sind der GeR (Europarat 2001), dessen Begleitband (Europarat 2020), die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache Englisch/Französisch (KMK 2012a) und das Kerncurriculum Hessen (HKM 2016). Als Exkurs werden die Anknüpfungspunkte zur Bezugsdisziplin Translationswissenschaften eingeordnet. Kapitel 3 widmet sich den Vermittlungsmethoden schriftlicher Sprachmittlungskompetenz, wobei Aufgabentypologien sowie Evaluationsvorschläge diskutiert werden. Der empirische Teil fokussiert in Kapitel 4 das methodische Vorgehen, das die Transparenz des Forschungsprozesses gewährleisten soll. Es werden die Forschungsfragen vorgestellt und erklärt, warum ein qualitatives Design als gegenstandsangemessen angenommen wird und wie das Erkenntnisinteresse erreicht werden soll. Erläutert werden die Daten-, Methoden- und Perspektiventriangulation sowie das Zusammenspiel von qualitativer Inhaltsanalyse (Burwitz-Melzer/Steininger 2016; Kuckartz 2016; Mayring 2016) und Diskursanalyse (Nunan 2008). Kapitel 5 bildet die Diskussion und die Analyse von drei Fallstudien mit dem Einsatz von vier schriftlichen Sprachmittlungsaufgaben (von insgesamt acht erhobenen Fällen) unter Berücksichtigung der genannten Zielsetzungen. Hierzu zählen, welche Aufgaben und Methoden die Lehrkräfte zur Steuerung des Unterrichtsgeschehens wählen und wie sie erbrachte Schülerleistungen bewerten. Auch ist von Interesse, welche Produkte die Lernenden erbringen und welche Schwierigkeiten sie zeigen. Die gewonnenen empirischen Hauptbefunde werden in Kapitel 6 diskutiert. Im abschließenden Kapitel 7 werden Hypothesen zu den Gelingensbedingungen für den Einsatz schriftlicher Sprachmittlung im Unterricht gebildet, Desiderata für künftige Forschung aufgezeigt und dargestellt, welchen Mehrwert die Studie für zukünftige fremdsprachendidaktische Forschungen und die Lehrerprofessionalisierung leisten kann.
1Werden Personenbezeichnungen lediglich in der männlichen oder weiblichen Form verwendet, so schließt dies alle Geschlechter mit ein.
2Der Terminus ‚Sprachmittlung’ entstammt der Translationswissenschaft (s. Kap. 2.7). Die Auslegung von ‚Mediation‘ ist abhängig vom Konstrukt, s. GeR Begleitband (Europarat 2020) (s. Kap. 2.6). ‚Mesiteuein‘ (gr.) bedeutet ‚in der Mitte sein‘, womit ‚Neutralität‘ fokussiert wird. Mediatio (lat.) meint ‚Vermittlung‘ (Duden 2021). Sprachmittlung und mediation (engl.) sind nicht bedeutungskongruent, werden aber synonym gebraucht, wie u. a. von Mayer 2014; Drackert 2019; Reimann 2019. Siehe hierzu kritisch: Krombach 2021.
3Eine ethisch-moralische Diskussion zur Übersetzbarkeit von Kulturen liefert der Sammelband von Budick & Iser, der kritisch beleuchtet, inwiefern Übersetzung „melting of self and other toward sameness“ darstellt (1996: 2).
Im Themenfeld Sprachmittlung existiert ein Konglomerat von Begriffen in fremdsprachendidaktischen, translationswissenschaftlichen und bildungspolitischen Veröffentlichungen. Dazu zählen Sprachmittlung(skompetenz), Mediation (dt.), mediation (engl.), médiation linquistique (et culturelle) (franz.), (kein) Dolmetschen/Übersetzen, sinngemäßes Übertragen, mediatorische oder translatorische Kompetenz, 5. und 6. (Teil-)Fertigkeit sowie Sprachmediation (u. a. de Florio-Hansen/Klein 2015; Kolb 2016). All diese Begriffe beschreiben verschiedene, identische oder der schulischen Sprachmittlung inhärente Konzepte. Sie verweisen darauf, dass die Auslegung von Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht heute auf drei wesentliche Entwicklungen zurückzuführen ist. Erstens auf die Tradition des ‚Übersetzens‘; zweitens auf die Veröffentlichung des GeR und der Auslegung von Sprachmittlung in den Bildungsstandards; drittens auf die Translationswissenschaft als Bezugsdisziplin.
Folgend wird die Entwicklung von Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht in Deutschland nachgezeichnet, die mit der Rolle der Übersetzung und der Muttersprache verbunden ist, wobei auch die internationale Situation um translation und mediation behandelt wird.
Historisch betrachtet ist die ‚Übertragung‘ von Wörtern/Texten von einer Ausgangs- in eine Zielsprache kein neues Thema in Fremdsprachenunterricht und -didaktik. Allerdings haben sich die mit ihr verbundenen Unterrichtsprinzipien und Lernziele verändert, denn jede Zeitepoche setzt bestimmte Erwartungen an die kognitiven, affektiven, sozialen und politischen Eigenschaften der Lernenden, wobei neue Methodenkonzeptionen nicht in deutlich abgrenzbaren Epochen umgesetzt werden, sondern es mannigfaltige Mischformen gibt (vgl. Gnutzmann/Salden 2010: 117).
Als Ausgangspunkt für die Übersetzung im Fremdsprachenunterricht gilt die Grammatik-Übersetzungs-Methode des 19. Jahrhunderts.4 Leitendes kognitiv-ausgerichtetes Lernziel ist die Grammatikbeherrschung und die ‚Hin- und Herübersetzung’ (Mutter- in die Fremdsprache) ist die Methode des Unterrichts, wobei die Ausgangs- und Unterrichtssprache ausschließlich die Erstsprache ist und nur die Schriftsprache eingeübt wird (vgl. Neuner/Hunfeld 1993: 19; Grünewald 2017: 117). Fremdsprachenkompetenz bemisst sich an der Beherrschung von „Übersetzungskompetenz“ (Gnutzmann/Salden 2010: 119) bzw. als „translation as a skill“ (McLelland 2020: 24). Dagegen wendet sich die neusprachliche Reformbewegung Ende des 19. Jahrhunderts, wobei Viëtors Manifest „Der Sprachunterricht muß umkehren!“ als deren Motor fungiert: Er plädiert für die Förderung mündlicher Sprachkompetenz sowie den Verzicht auf die Übersetzung in die Fremdsprache als Übungs- und Prüfungsform, da dadurch nicht das Sprachkönnen der Lernenden zu garantieren sei (vgl. Schröder 2017b: 295). Abendroth-Timmer nimmt an, dass „bewusst bereits zwischen der Übersetzung mit dem Ziel des Grammatikerwerbs und der Übersetzung im Sinne von Sprachmittlung und kommunikativer Fertigkeit unterschieden wurde“ (2017: 495). Eine Differenzierung ist zu erkennen; allerdings stellt Viëtor die Übersetzung zum Zweck des Grammatikerwerbs der Übersetzung als Ziel der ästhetischen Funktion (‚Kunst‘) gegenüber, die mit heutiger Sprachmittlung wenig gemein hat.
Durch die Reformbewegung entstehen die direkte Methode im späten 19. Jahrhundert (vgl. Gnutzmann/Salden 2010: 120) und unter Einfluss der linguistischen und lernpsychologischen Forschung treten ab den 1960er Jahren die behavioristische audiolinguale und audiovisuelle Methode in Erscheinung (vgl. Klippel 2016: 317). Den drei Ansätzen ist gemein, dass sie die Mündlichkeit und den alltäglichen Sprachgebrauch favorisieren. Es soll strikte Einsprachigkeit herrschen, sodass die Muttersprache und das Übersetzen ausgeschlossen werden (vgl. Neuner 2003: 228). Diese Abkehr ist zu hinterfragen: im Unterricht und Lehrwerken werden weiterhin Übersetzungsübungen eingesetzt, meist als Hinübersetzung von Einzelsätzen, wie die empirische Studie von Grotjahn und Klevinghaus (1975) zeigt.5
Im Spiegel der Kommunikativen Wende, die die grundsätzliche Auffassung von Fremdsprachenunterricht verändert, entbrennt in den 1970/1980er Jahren eine Debatte über Pro und Contra des Übersetzens im Fremdsprachenunterricht (vgl. Königs 2010: 97). In diese Diskussion spielt die 1973 postulierte These Butzkamms hinein, die Zuhilfenahme der Muttersprache behindere den Fremdsprachenerwerb nicht, sondern sei unverzichtbar und erleichtere diesen (vgl. Butzkamm 2002: 39). Damit wird die dogmatische Schärfe der Einsprachigkeit aufgehoben (vgl. Klippel 2016: 317). Der Gewinn aus dieser Debatte ist, dass die Rolle der Übersetzung in den 1970-90er Jahren überdacht wird (vgl. Königs 2010: 97 f.): Erstmals werden Schnittstellen von Übersetzungswissenschaft und Fremdsprachendidaktik fokussiert und Begründungen für die Übersetzung als eigenständiges Lernziel im Fremdsprachenunterricht geliefert (u. a. Meyer 1975; Königs 1989). Deutlich wird dies in der Forderung nach „translatorischer Kompetenz“ (Weller 1981: 269), die Übersetzen aus der Fremd- in die Muttersprache, aber auch Dolmetschen umfasst.6 Verstärkt wird die alltagsweltliche und berufliche Relevanz zweisprachigen Vermittelns betont (vgl. Bausch 1977: 486). Gleichermaßen wird die schulische Übersetzung, vor allem die Übersetzung kontextloser Einzelsätze, kritisiert (u. a. Wilss 1981), da es sich nicht um ‚richtiges‘ Übersetzen im Sinne der Übersetzungswissenschaft handele (vgl. Weller 1991). Eine schulische Übersetzungsdidaktik wird als nicht vorhanden angesehen, empirische Untersuchungen zur Übersetzung im Fremdsprachenunterricht gibt es keine (vgl. Weller 1994; s. aber Krings 1989 zur Übersetzung als Fertigkeit). Hallet plädiert deshalb mit Rückgriff auf die Skopostheorie (s. Kap. 2.7) und den kommunikativen Zielsituationen Meyers (1986), das schulische Übersetzen „mit Sprachmittlung oder translatorischem Handeln gleichzusetzen“ (1995: 297). Die Lernenden müssten anhand der Kommunikationssituationen entscheiden, wie sie den Kommunikationszweck erfüllen; wörtliche Übersetzungen sieht er Professionellen vorbehalten. Allerdings stößt dieses Plädoyer auf wenig Resonanz (vgl. Siepmann 2013: 190 f.). Durch die vorherigen Ausführungen wird deutlich, dass der Übersetzung eine neue Rolle zugeschrieben wird, die über die tradierte Sichtweise als Übungs- und Prüfungsform hinausgeht. Daher ist es zu vereinfacht anzunehmen, dass die Übersetzung mit Einführung der kommunikativen Ansätze in den 1980er Jahren ihre Bedeutung verlor, wie Abendroth-Timmer darstellt (vgl. 2017: 497). Vielmehr scheint es berechtigt, die proklamierte „Wende“ (Hallet 1995: 277) der vollständigen Ablehnung des Übersetzens im Fremdsprachenunterricht anzunehmen, verdeutlicht auch durch die Aufnahme übersetzerischer Aktivitäten seit dem Jahr 1990 in fremdsprachliche Richtlinien und Lehrwerke (vgl. Königs 2010: 98).
Die geschilderte Neuorientierung der Übersetzung fällt nicht zufällig zusammen mit dem als Kommunikative Wende bezeichneten Paradigmenwechsel der 1980er Jahre von der Lehrerzentrierung hin zur Lernerorientierung (vgl. Doff 2016: 324). Unter dem Dach des Kommunikativen Ansatzes entwickeln sich methodische Ausprägungen, die das Verständnis von Aufgaben revolutionieren, die in Deutschland besonders durch Legutke (1988) und Piepho (1974), international durch communicative language teaching und task-based language learning vertreten sind (u. a. Canale/Swain 1980; Willis 1996; Ellis 2003; Nunan 2004). Den Ansätzen ist gemein, dass das Leitziel die kommunikative Kompetenz darstellt und sie den Prozesscharakter des Unterrichts betonen. Der Unterricht soll sich an authentischen Kommunikationssituationen orientieren und anstelle des Einübens sprachlicher Strukturen stehen die Lernenden als kommunikativ Handelnde im Zentrum (vgl. Krashen 1985; Swain 1995). Demnach ist die Muttersprache der Lernenden wichtig, da auf dieser die Zielsprache aufgebaut werden kann, und so wird das Übersetzen als Form des Wissenserwerbs mittels sprachkontrastiver Vorgehensweise eingesetzt (vgl. Kautz 2002: 440; Gnutzmann/Bohnensteffen 2012).7 Der pragmatisch-funktionale kommunikative Ansatz wird gegen Ende des 20. Jahrhunderts durch die interkulturelle Didaktik erweitert (vgl. Gnutzmann/Salden 2010: 125). Die soziokulturellen Dispositionen der Lernenden finden Berücksichtigung, anstelle des Modells des native speaker tritt der intercultural speaker, der fähig ist, zwischen seinen eigenen kulturellen Erfahrungen und denen seiner Gesprächspartner zu vermitteln (vgl. Byram 1997: 31 f.). Auffällig ist, dass weder Kolb noch Abendroth-Timmer auf die interkulturelle Didaktik methodengeschichtlich eingehen. Dabei darf sie als wichtiger Impulsgeber für die heutige Ausrichtung von Sprachmittlung nicht vernachlässigt werden:
Das Lernerbild ist in der interkulturellen Didaktik im Zusammenhang von Verantwortung gegenüber sich selbst und der globalen Gemeinschaft zu sehen. Politische Verantwortung wird in diesem Lernerbild also besonders betont, wobei der Lerner ein toleranter Mittler zwischen den Kulturen innerhalb und außerhalb des Fremdsprachenunterrichts sein soll. (Gnutzmann/Salden 2010: 126; Herv. i. O.)
Die maßgeblichen Ansatzpunkte liegen allen voran in der Ver-Mittlung zwischen Sprachen und damit Kulturen. Um dies zu ermöglichen, werden Schlüsselqualifikationen benötigt, die zentral für den heutigen Fremdsprachenlerner sind. Sie umfassen Empathievermögen, Rollendistanz (Perspektivenwechsel) sowie Strategien zur Bewältigung von Schwierigkeiten in interkulturellen Begegnungssituationen (vgl. Bredella 2012; Burwitz-Melzer 2019).
International hingegen ist Sprachmittlung selten in Sprachencurricula und Forschung vertreten (vgl. Byram 2013: 457): Im Vereinigten Königreich hat die Übersetzung in und von der zu überprüfenden Sprache nach Englisch, trotz der Abneigung einiger Fremdsprachendidaktiker, einen festen Platz durch die 2016 implementierten GCSE Curricula (vgl. McLelland 2020: 35). In Italien wird mediazione linguistica (e culturale) häufig für Arten des Übersetzens und Dolmetschens verwendet (vgl. Katelhön 2013: 138 f.). In Schweden und den Niederlanden werden einsprachige Übungs- und Prüfungsformen weiterverfolgt. Die Gründe für die internationale Vernachlässigung von Sprachmittlung sind vielfältig, zum Beispiel mag die Durchsetzung des einsprachigen Unterrichts die Etablierung von zweisprachigen Übungs- und Prüfungsformen erschweren (vgl. Kolb 2015: 54, 78). Vielmehr proklamieren Fremdsprachendidaktiker international ab der Jahrtausendwende eine „return of translation“ (Kerr 2011, 2014; Cook 2010) und so wird in der internationalen Englischdidaktik die translation thematisiert (u. a. Pym et al. 2012). Der GeR und Cook sehen die Übersetzung als Mittel zum Zweck, um die Lernenden zu befähigen, ihre linguistischen und kulturellen Identitäten zu entwickeln (vgl. McLelland 2020: 36). Eine Weiterentwicklung könnte durch den „translanguaging turn“ eintreten (vgl. García/ Wei 2014). Translanguaging, als Fähigkeit multilingualer SprecherInnen ihre verschiedenen Sprachen in einer kommunikativen Situation zu verwenden, kommt eine markante Rolle bei der Neukonzeptionierung von ‚Mediation‘ im Begleitband zu (s. Kap. 2.6). So wurde in Frankreich, in starker Anlehnung an diesen, ‚Mediation‘ 2019 als Kompetenz in die Lehrpläne aufgenommen (vgl. Rössler/Schädlich 2019: 17). Zudem sind Formen von Sprachmittlung als Prüfungsformate für Schulen bzw. für Sprachzertifikate in Griechenland (KPG) oder in den Lehrplänen in Portugal anzutreffen (vgl. Kolb 2016: 73 ff.). Die griechische fremdsprachendidaktische Auslegung von Sprachmittlung stimmt weitestgehend mit der deutschen überein und wird in der Entwicklung von Prüfungsaufgaben für Sprachenzertifikate untersucht (vgl. ebd. 74). Allerdings wird die Rolle der Sprachmittelnden in Griechenland, anders als in den Bildungsstandards, nahe der ‚Streitschlichtung‘ modelliert (vgl. Dendrinos 2006: 11).
Die skizzierten Entwicklungen sind nicht zuletzt auf die Einflussnahme des GeR (2001) auf Fremdsprachenunterricht und -didaktik zurückzuführen, der einen entscheidenden Impuls zur Weiterentwicklung von Formen der Übertragung liefert.
Der deskriptive Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (Europarat 2001) wurde konzipiert als „political instrument promoting the European dream of creating an informed, plurilingual population able to accept otherness, to empathise and to communicate across linguistic and cultural barriers” (North/Panthier 2016: 18). Diese (sprachen-)politische Zielsetzung hat Auswirkungen auf die europäische Gesellschaft und die Unterrichtsrealität. Denn der GeR bildet den Ausgangspunkt für fremdsprachenbezogene Standards und Kompetenzmodellierungen, die für Curriculums-, Sprachprüfungs- und Lehrmaterialentwicklung genutzt werden (vgl. Krumm 2016: 634). Auch deshalb ist er als „wirkmächtigstes sprachenpolitisches Dokument der letzten Jahrzehnte zu bezeichnen“ (Bärenfänger et al. 2019: 7).8 Zentral ist der handlungsorientierte Ansatz, womit Sprachenlernende als „social agent“ (Piccardo 2012) zur Lösung realweltlicher Aufgaben befähigt werden sollen. Ankerpunkt bilden die Kompetenzbeschreibungen als positive Kann-Beschreibungen des Sprachenkönnens.
Sprachmittlung als Diskursfähigkeit zu fassen, wurde durch den GeR angestoßen; sie wird als wichtige Kompetenz für den mehrsprachigen Sprachenlerner bestimmt (vgl. Europarat 2001: 25). Sie ist als die komplexeste kommunikative Sprachaktivität angelegt, da sie Rezeption, Produktion und Interaktion beinhaltet (vgl. ebd.). Der GeR bietet eine Definition von mediation, die auf eine zwei Sprachen umfassende Perspektive beschränkt ist (vgl. Harsch 2006: 34). Sie wird unterteilt in mündliche und schriftliche intralinguale (innerhalb einer Sprache) sowie interlinguale (zwischen Sprachen) Aktivitäten. Die mündlichen Aktivitäten umfassen Varianten des Dolmetschens; unter schriftlicher Sprachmittlung werden das Übersetzen (genau oder literarisch), Paraphrasieren und Zusammenfassen subsumiert (vgl. Europarat 2001: 89 f.). In der Rezeption wurde besonders auf die interlingualen Aktivitäten abgehoben (cross-linguistic mediation). In diesen wird Sprachmittlung eine triadische Situation zugrunde gelegt, die Nutzende als neutrale Mittler (intermediaries) zwischen Sprachen und Kulturen konzeptualisiert, die nicht ihre eigenen Absichten verfolgen sollen. Damit setzt der GeR sprachmittelnde Aktivitäten in eine kommunikative Aushandlungssituation, in der es darum geht, „eine (Neu)Fassung eines Ausgangstexts für Dritte [zu erstellen], die keinen unmittelbaren Zugriff darauf haben“ (ebd.: 26).
Die Gesamtkonzeption wurde von der Fremdsprachendidaktik und den Translationswissenschaften kritisiert (u. a. Harsch 2006; Sinner/Wieland 2013; Krombach 2021). Beispielsweise sei die Abgrenzung zwischen den Aktivitäten undeutlich, bedingt durch fehlende Deskriptorskalen. Weniger beachtet wurde, dass die Realisierungsebene unspezifisch bleibt und die Rolle als neutrale Übermittelnde zu problematisieren ist. Denn die Informationsauswahl und -weitergabe unterliegt subjektiven Aspekten, da Sprachmittelnde vor ihrem eigenen und angenommenen fremdkulturellen Wissen sowie ihrem Sprachniveau handeln. Auf das Aufeinandertreffen interkultureller Gesprächspartner geht der GeR nicht ein und ignoriert so Reibungspunkte zwischen solchen. Es wird eine Persönlichkeit suggeriert, die einer einheitlichen Einstellung gegenüber interkulturellen Kontakten unterliegt (vgl. Burwitz-Melzer 2003: 69). Insofern fehlt der Verweis auf die benötigten interkulturellen Wissensbestände, Handlungsfähigkeit und Einstellungen. Antworten finden sich nicht in den Sprachmittlungsstrategien, denn diese beziehen sich auf die sprachlichen Kompetenzen.9 Erst der Einbezug solcher Situationsumstände würde die Sprachmittelnden als eigenständige Aktanten in einer realweltlichen Kommunikationssituation anerkennen. Doch kommt dem GeR der Verdienst zu, die Bedeutungsherstellung durch Sprachmittlung als einen Prozess zu sehen und vier rudimentäre Schritte anzuführen: Planung, Ausführung, Evaluation und Korrektur (Europarat 2001: 90 f.). Festzuhalten ist, dass Ansätze von Sprachmittlung in Deutschland bereits zuvor existierten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Sprachmittlung erst durch den GeR in die Bildungsstandards als Fertigkeits- bzw. Kompetenzbereich aufgenommen und die fachdidaktische Beschäftigung vorangetrieben wurde (vgl. Hallet 2008: 2).
Die Kompetenzorientierung nimmt in den didaktischen Diskursen aller Schulfächer die „unangefochtene zentrale Stellung ein“ (Küster 2016: 83). Dies ergibt sich aus den bildungspolitischen Reformbemühungen der Kultusministerkonferenz (KMK) (vgl. ebd.).10 Die Bildungsstandards wurden von der KMK als Instrumente des Bildungsmonitorings zur Qualitätsentwicklung und -sicherung erlassen und von den Bundesländern ab dem Schuljahr 2005/2006 unterschiedlich implementiert (vgl. Zeitler/Heller/Asbrand 2012: 8, 16).11 Sie sollen die Entwicklung eines kompetenz- und outputorientierten Unterrichts fördern und eine Grundlage für eine transparente und evidenzbasierte Überprüfung der Unterrichtsergebnisse schaffen (vgl. Harsch 2016: 88, 91). Unter einer Kompetenz wird die „Fähigkeit verstanden, Wissen und Können in den jeweiligen Fächern zur Lösung von Problemen anzuwenden“ (KMK 2012a: 2). Es handelt sich um präskriptive Regelstandards, die von der Mehrheit der Lernenden bis zu einem bestimmten Abschnitt ihrer Schullaufbahn erwartet werden (vgl. Klieme/ Avenarius/Blum et al. 2003). Für die Allgemeine Hochschulreife sind diese in ein grundlegendes und ein erhöhtes Niveau (B2, teils C1) gegliedert. Die empirische Evaluation und Validierung der Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife (KMK 2012a) (vulgo: Abiturstandards) steht aus, was seit langem kritisch gesehen wird (vgl. Burwitz-Melzer 2005: 57). Die Reformmaßnahmen haben Konsequenzen für die Unterrichtsgestaltung, da die Outputorientierung mit einem Fokus auf die Förderung der Schülerkompetenzen und deren Bewertung einhergeht (vgl. Zeitler/Heller/Asbrand 2012: 16; Helmke 2009). Die Bildungsstandards schaffen durch ihre „relativ generell gehaltene Formulierung […] Autonomieräume für Lehrende und Lernende“, gleichzeitig bringen sie „größere Verantwortung für die Arbeit mit den Standards im Unterrichtsalltag“ (Harsch 2016: 89). So sind die Bildungsziele für den Unterricht inhaltlich zu konkretisieren, methodischdidaktisch umzusetzen und die Lehrkräfte benötigen diagnostic competence (vgl. Vogt/Quetz 2018).
Der Fremdsprachenunterricht in der Oberstufe soll die Lernenden zum mündlichen und schriftlichen Diskurs befähigen:
Diese Diskursfähigkeit wird verstanden als eine Verstehens- und Mitteilungsfähigkeit, die inhaltlich zielführend, sprachlich sensibel und differenziert, adressatengerecht und pragmatisch angemessen ist. Sie umfasst wichtige interkulturelle Kompetenzen, die im Unterricht zusammen mit den sprachlichen Kompetenzen, im Rahmen einer Auseinandersetzung mit Themen, Texten und Medien integriert erworben werden. (KMK 2012a: 11)
Das Kompetenzstrukturmodell der Abiturstandards verdeutlicht dies durch den engen Bezug aller Kompetenzen. Den funktionalen kommunikativen Kompetenzen und der interkulturellen kommunikativen Kompetenz kommen zentrale Stellenwerte zu, die methodischen Kompetenzen wurden aufgetrennt in die lateralen Bereiche der Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz (vgl. Tesch/ Schröder 2017: 26). Da der Kompetenzerwerb in Auseinandersetzung mit Texten und Medien in ihren jeweiligen kommunikativen Zusammenhängen (i. e. erweiterter Textbegriff) stattfinden soll, wurde die Text- und Medienkompetenz hinzugefügt (vgl. KMK 2012a: 13 f.).
Mit diesen Zielsetzungen wird der Blick auf die Konkretisierung von Sprachmittlung als Teil der funktionalen kommunikativen Kompetenz gerichtet.12 Sprachmittlungskompetenz der Abiturstandards baut auf der Modellierung in den Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss (KMK 2003, 2004) auf. Der Basisdeskriptor lautet:13
Die Schülerinnen und Schüler können – auch unter Verwendung von Hilfsmitteln und Strategien – wesentliche Inhalte authentischer mündlicher oder schriftlicher Texte, auch zu weniger vertrauten Themen, in der jeweils anderen Sprache sowohl schriftlich als auch mündlich adressatengerecht und situationsangemessen für einen bestimmten Zweck wiedergeben. (KMK 2012a: 19)
Im bundesweiten Fremdsprachenunterricht gilt Sprachmittlung als adressaten-, situations- und zweckgerechte mündliche oder schriftliche Übertragung wesentlicher Inhalte authentischer Texte einer Ausgangs- in eine Zielsprache. Es werden Fähigkeiten und Fertigkeiten aller Kompetenzfelder verlangt, um eine „reflektierte Transformation“ des Ausgangstextes zu leisten, die sowohl die Reduktion der Inhalte als auch die Expansion durch Erklärungen umfasst (Caspari/ Schinschke 2017: 180). Benötigt werden neben den sprachlich-kommunikativen Kompetenzen je nach Situation interaktionale, strategisch-methodische und interkulturelle Kompetenzen. Intralinguale Sprachmittlung, das Simultan- und Konsekutivdolmetschen sowie die Übersetzung ganzer Texte sind ausgeschlossen. Stärker als im GeR werden Sprachmittelnde als Kulturmittelnde gesehen und es wird die interkulturelle Ebene fokussiert.
Die Aufteilung in das grundlegende und erhöhte Niveau leistet eine Übertragung in die Unterrichtsarbeit. Der erste Standard des grundlegenden Niveaus (KMK 2012a: 19) verlangt eine zusammenfassende Wiedergabe der Informationen unter Berücksichtigung der Adressaten und der Situation. Standard zwei ist übergeordnet, da für die Vermittlung interkulturelle kommunikative Kompetenz (interkulturelles Wissen, Sensibilität, Sprachbewusstheit) und kommunikative Strategien (u. a. Kürzungs- und Kompensationsstrategien) einzusetzen sind. Von den Sprachmittelnden wird ein Hineinversetzen in die Adressaten und die Situation gefordert, um zu entscheiden, welche Informationen sie auf welche Weise übertragen müssen. Während im dritten Standard das Eingehen auf Nachfragen bei schriftlicher Sprachmittlung vermeintlich weitestgehend entfällt, ist die Nutzung von Hilfsmitteln wie Wörterbücher des vierten Standards wichtig. Der Einsatz von Gestik und Mimik ist bei der mündlichen Variante relevant. Die beiden Standards des erhöhten Niveaus vertiefen die genannten Aspekte und verdeutlichen, dass „selbst in der gleichen Sprachmittlungssituation Unterschiede in den Zieltexten zu erwarten sind“ (Caspari/Schinschke 2017: 184). Verstärkt werden eigenständige Erklärungen (u. a. zu kulturspezifischen Eigenheiten, zu kommunikativen Absichten) und der kreative Umgang mit den Sprachen erwartet, etwa durch Sprach(en)mischungen und Metaphern.
Bei dieser Modellierung ist Sprachmittlung zum einen als kommunikatives Lernziel aufzufassen; mithin ist sie an Rezipienten gebunden und mit ihr wird eine Kommunikationsabsicht verfolgt. Zweitens ist eine deutliche Progression vom Mittleren Schulabschluss erkennbar, womit ein starker Kompetenzzuwachs in der Oberstufe bis zum Abitur erwartet wird. In den Abiturstandards gilt eine Orientierung an der Trias aus Adressat, Situation und Zweck, die in den Bildungsstandards des Mittleren Schulabschlusses nicht deutlich ist. So könnte etwa das Üben von interkulturellen Strategien in Verbindung mit Sprachmittlung fehlen. Drittens setzt sich diese Verkürzung bei dem Vergleich von dem grundlegenden und erhöhten Niveau der Abiturstandards fort. Denn es ist fraglich, ob die in der Basisdefinition geforderte Vermittlung nicht ohnehin Erläuterungen notwendig macht. Viertens werden, je nach Sprachmittlungsauftrag, alle Kompetenzen des Kompetenzstrukturmodells der Abiturstandards notwendig, die nicht in den Sprachmittlungsdeskriptoren aufgeführt sind (s. Kap. 2.5). So sind die Begriffe Adressat, Situation und Zweck hochbeladen, aber wenig transparent. Die Zweckorientierung wird in den Einzelstandards nicht ausgeführt, doch meint sie die Erfüllung des kommunikativen Zwecks bzw. der Textfunktion (s. Kap. 2.5.2). Letztlich werfen die Abiturstandards Fragen der Leistungsbewertung auf. Denn die Sprachmittelnden müssen in Abhängigkeit von der Aufgabenstellung, aber auch ihres Ermessens entscheiden, welche Inhalte sie als mittlungsrelevant erachten. Dies lässt positiv formuliert hohe Eigenverantwortlichkeit der Sprachmittenden zu, andererseits wirft es Fragen der Bewertung auf (vgl. Caspari/Schinschke 2017: 187). Bevor Konsequenzen für die empirische Studie aufgezeigt werden, werden die Vorgaben des Kerncurriculums Hessen analysiert.
Jedes Bundesland setzt die Bildungsstandards durch eigene nationale Kerncurricula in Landesrecht um, hier im Fach Englisch für die Gymnasiale Oberstufe in Hessen (KCGO-E, HKM 2016). Mit Schuljahresbeginn 2016/2017 ist dieses in Kraft getreten. Mit dem Zentralabitur Hessen 2019 (Schuljahr 2018/2019) werden alle Lernenden auf dieser Grundlage geprüft. Das KCGO-E ist anschlussfähig an das Kerncurriculum der Sekundarstufe I, stellt die Bildungsstandards und Wissensbestände (Themenfelder) sowie überfachlichen Kompetenzen dar und schafft für die zeitliche Unterrichtsplanung eine verbindliche Grundlage.14
Das KCGO-E nutzt die Kompetenzbeschreibungen der Bildungsstandards und teilt Sprachmittlung in ein grundlegendes (F50-F53) und ein erhöhtes Niveau (F54-F55).15 Die einzige weitere Nennung von Sprachmittlung ist vage: Unter der Textproduktion sollen folgende „Aufgabenformate […] den Lernenden vertraut und hinsichtlich ihrer Anforderungen bewusst sein“ (HKM 2016: 31). Genannt werden: Zusammenfassung, Beschreibung, Bericht/ Artikel, Charakterisierung, Vergleich/ Analyse/ Interpretation, Kommentar/ Stellungnahme/ Erörterung, (in-)formeller Brief (z. B. E-Mail, Bewerbung, Leserbrief), kreative Schreibaufträge (z. B. Tagebucheintrag, Blog, innerer Monolog, Dialog), Rede. Es wird ausgeführt, dass dies auch für Aufgabenformate hinsichtlich der mündlichen Textproduktion gelte, Beispiele seien Präsentationen, Kurzvorträge, Diskussionsbeitrage und Interviews (vgl. ebd.). Pauschal heißt es: „Nahezu alle Formate sind auch in Form der Sprachmittlung möglich“ (ebd.). Diese Aussage ist unzureichend: Zum einen bleibt offen, ob dies nur für die mündliche Textproduktion gilt; denn der Verweis ist direkt nach den genannten mündlichen Aufgabenformate platziert. Zum anderen ist fraglich, welche der angeführten Formate für Sprachmittlung in welchen Themenfeldern geeignet sind. In den Bildungsstandards werden literarische Texte, zumindest für Prüfungsaufgaben, ausgeschlossen (vgl. KMK 2012a: 27).
Infolge der skizzierten hohen und oftmals nicht direkt aus den Deskriptoren zu bestimmenden Anforderungen, wird in der empirischen Studie zu untersuchen sein, wie Lehrende und Lernende den Umgang mit Sprachmittlungsaufgaben bewältigen. Analysiert werden soll, wie die vagen Erklärungen zur Sprachmittlung sowie deren Aufgabenformate durch die Lehrkräfte im Unterricht umgesetzt werden. Es könnte sich eine unterrichtsbezogene Definition von Sprachmittlung ergeben. Zudem steht zur Vermutung, dass sich erst seit der obligatorischen Einführung von Sprachmittlung in das Abitur intensiv mit dieser im Unterricht beschäftigt wird.
Trotz des gesteigerten Interesses an Sprachmittlung in der deutschen fremdsprachendidaktischen Forschung seit dem Jahr 2008, existieren nur wenige Monographien. Kolbs (2016) Habilitationsschrift leistet eine historische, räumliche und konzeptuelle Aufarbeitung und Weiterentwicklung des Themas. Panzers (2021) Dissertation bietet eine unterrichtlich erprobte, mündliche spanische Sprachmittlungsaufgabe für die Sekundarstufe I. Zudem gibt es Bachelor-, Master- und Staatsexamensarbeiten, etwa zur Progressionsbildung in Lehrplänen (Pilk 2017). Daneben sind ein Sammelband in den Didaktiken der Romanischen Sprachen (Reimann/Rössler 2013) sowie drei Sammelbände in der Didaktik des Deutschen als Fremdsprache (Nied Curcio/Katelhön/Bašič 2015; de Florio-Hansen/Klein 2015; Nied Curcio/Katelhön 2020) erschienen. Es gibt einige Themenhefte mit unterrichtspraktischen Vorschlägen (z. B. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 161/2019, Englisch 5 bis 10 24/2013), wobei nur eines den Fokus auf die schriftliche Sprachmittlung legt (Der fremdsprachliche Unterricht Spanisch 56/2017). Gleichwohl stammen die ersten, programmatischen Veröffentlichungen aus der Englischdidaktik (Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 93/2008). Bis dato sind zudem Aufsätze, z. B. zur Lehrwerksanalyse (Kolb 2014b, 2015), erschienen. Im englischsprachigen Forschungsraum liegen wenige Publikationen vor.16
Vorrangig existieren theoriegeleitete Aufsätze, die sich in zwei grobe Ausrichtungen aufteilen lassen: Zum einen konzeptuelle Beiträge, die sich systematisieren lassen in die Bereiche Modellierung (Hallet 2008; Philipp/Rauch 2010a; Caspari 2013; Sinner/Wieland 2013; Abendroth-Timmer/Plikat 2017; Katelhön 2018), Methodik (Caspari/Schinschke 2012, 2017; Seidel 2012; Pfeiffer 2013; Raith 2013), Strategien (Kieweg 2008a,b; Kolb 2008, 2009; Senkbeil/Engbers 2011) und Evaluation (Gebauer/Kieweg 2008; Schrader 2013; Reimann 2014; Kolb 2011, 2014, 2015). Zum anderen ist das Gros der Veröffentlichungen im Bereich der how-to-do-it Vorschläge zu verorten (u. a. Kieweg 2008b; Caspari/Schinschke 2010; Kolb 2010; Katelhön 2013; Philipp/Rauch 2014).
Obwohl vielfach ein Desiderat für empirische Forschung zur Sprachmittlung formuliert wird (u. a. Schädlich/Ramisch 2013: 156; Kolb 2016: 235), ist noch immer zutreffend: „Die empirische Forschung zur Sprachmittlungskompetenz steckt noch in den Kinderschuhen“ (Reimann/Rössler 2013: 21). Dies gilt besonders für die wichtige Grundlagen- bzw. Unterrichtsforschung. Die einzige, kleinere Unterrichtsforschung stammt aus der Französischdidaktik, die sich auf den Einsatz von Sprachmittlungsaufgaben in der Sek. I bezieht (Schädlich/Ramisch 2013). Eine Fragebogenstudie untersucht die Einschätzung des Potenzials von Sprachmittlungsaufgaben durch Italienischlehrkräfte (Otten 2013). In der Englischdidaktik existiert eine kurze Befragung von Lernenden mittels eines Fragebogens bezüglich der Schwierigkeiten bei der Sprachmittlung aus dem Deutschen bzw. in das Deutsche (Hämmerling 2014).17 Die Publikationen sind im Verlauf dieser Arbeit zu diskutieren.
Die fremdsprachendidaktische Konzeption von Sprachmittlung liegt in weitestgehender Übereinstimmung mit der bildungspolitischen Auslegung (KMK 2012a). Sprachmittlung gilt als Kompetenz, die dieser eine triadische Situation zugrundelegt, bei der mindestens einer der Aktanten ein auszugleichendes Informationsgefälle aufweist (vgl. Kolb 2016; Rössler/Schädlich 2019).18 Damit wendet sich Sprachmittlungskompetenz gegen eine sprachliche Ersetzungstätigkeit hin zu einer kommunikativen Handlung zwischen Aktanten verschiedener Kulturgemeinschaften, um bestimmte kommunikative Funktionen zu erfüllen (vgl. analog Nord 2010: 26).
Mehrere Autoren versuchen, die Komplexität von Sprachmittlung mittels Modellierungen zu den angenommenen Interaktionssituationen oder ablaufenden mentalen Prozessen abzubilden (u. a. Rössler 2008; Hallet 2008; Caspari 2013; Kolb 2014a, 2016; Abendroth-Timmer/Plikat 2017).19 An dieser Stelle ist es wenig fruchtbar, die Modelle, von denen keines empirisch validiert ist, auf ihre jeweiligen Stärken und Schwächen hin zu diskutieren (s. dazu Caspari 2013; 37 ff.; Kolb 2016: 122 ff.; zur Kritik ähnlicher translationswissenschaftlicher Modelle, s. Nord 2010: 29 ff.). Exemplarisch soll Kolbs „Prozess- und Interaktionsmodell zur Sprachmittlung“ (2016: 137) betrachtet werden, da es am umfassendsten ist. Sie gewinnt es aus Modellen der Fremdsprachendidaktik sowie Translationswissenschaft und verbindet es mit Ansätzen interkultureller Kompetenz, der Sozio-, Text- und Gesprächslinguistik. Das Modell soll universell für schriftliche und mündliche Sprachmittlung gelten (vgl. ebd. 136). Es hat den Anspruch Sprachmittlung so darzustellen, „wie sie in Realsituationen stattfinden würde“ (ebd.). Zur Beschreibung des Modells bietet sich eine Aufteilung in die situative Rahmung und die Sprachmittlungshandlung an.
Die Sprachmittlungssituation ist eingebettet in die örtliche und zeitliche Situierung, die durch den (privaten/öffentlichen/offiziellen) Kommunikationsbereich (Medium, Kanal, konzeptuell mündliche/schriftliche Sprache) sowie den Auftrag bestimmt ist. Als Hintergrundfolie dient der (inter-)kulturelle Kontext. Dieser liegt außerhalb der situativen Rahmung, da „bei der Sprachmittlung – anders als bei textlinguistischen Kommunikationsmodellen – Sprach- und damit Kulturwechsel auf dem Weg vom Sender zum Empfänger vorgenommen werden“ (ebd.: 137 f.).
[Abb. 1: Prozess- und Interaktionsmodell der Sprachmittlung, Kolb 2016: 137]
Die Sprachmittelnden übertragen in der Sprachmittlungshandlung mündliche oder schriftliche Texte zwischen mindestens zwei Sprachen. Die Sender und Empfänger sind über ihre Rollenverhältnisse zueinander bestimmt. Mit den Kommunikanten und dem Auftrag ist die Textfunktion der Ausgangs- bzw. Zieltexte festgelegt. Die Textfunktionen der Ausgangs- und Zieltexte können variieren, d. h. der Zweck, den der Text in der jeweiligen Kommunikationssituation erfüllen soll, kann verschieden sein (vgl. ebd.: 144 ff.). Textsorten sind durch inhaltlich-thematische und sprachlich-strukturelle Kriterien bestimmt, wobei wichtig ist, dass sie von den Sprachverwendern als zum Genre gehörig erkannt werden. Länge und Struktur der Ausgangs- und Zieltexte können konstant bleiben oder verändert werden. Inhalt der Texte sowie ggfs. die ‚Konstitution‘, i. e. Non- oder Paraverbales (Gesten, Graphiken) müssen von den Sprachmittelnden verarbeitet und passend übertragen werden. Der zentrale Auftrag als Definitionskriterium der Sprachmittlung (vgl. ebd.: 179 f.) kann von Sender oder Empfänger ausgehen. Anhand des Auftrags ergeben sich die Anforderungen an die Sprachmittelnden, die gleichzeitig die Prozessdimension darstellen (vgl. ebd. 154 ff.): Zunächst müssen sie den Auftrag analysieren (1), um zu erkennen, „in wessen Auftrag, zu welchem Zweck und mit welcher Funktion sie tätig werden“ (ebd.: 154). Hiermit hängt zusammen, welche Informationen sie an welche Empfänger weitergeben sollen und wie der Zieltext aussehen soll (Textsorte). Anschließend treten die Sprachmittelnden in die Rezeptionsphase ein (2), die neben der Dekodierung der Kanäle (z. B. audio-visuell) auch die Sinngebung umfasst. Die Transferphase (3) verlangt, dass sie die bei Auftragsanalyse und Rezeption erkannten Informationen mental zu einem Zieltext verarbeiten. So soll noch keine Zieltextproduktion erfolgen, sondern es geht „um übergreifende, strategische Überlegungen dazu, wie mit inhaltlich-thematischen, kulturellen, lexikalischen, grammatisch-syntaktischen und pragmatischen Problemen umgegangen wird“ (ebd.: 158). Es folgt die mündliche oder schriftliche Produktion (4). Bei einem schriftlichen Zieltext läuft die Phase der Planung und die Phase des Schreibvorgangs getrennt ab (vgl. ebd.: 158). Abschließend folgt die Monitoring-Phase (5), die auch Korrektur und Feedback beinhaltet, wobei diese bei schriftlicher Mittlung „kaum gegeben“ (ebd. 160) sind. Das Monitoring umfasst „ob der Auftrag eingehalten wird und ob die eigene Rolle den Vorgaben entspricht, also ob der Sprachmittler loyal bleibt oder ob Umgestaltungen, Erläuterungen oder Meinungsäußerungen erfolgen“ (ebd.).
Die Darstellung der IKK-Elemente lässt sich kritisieren. Kolb gibt zum interkulturellen Rahmen an: „Viele der relevanten Aspekte sind vorwiegend sprachlich-kommunikativer Art und damit Teil der Situation, so dass sie daher in den Abschnitten zu den textexternen und -internen Merkmalen angeführt sind“ (ebd.: 152). Das Einwirken von IKK-Aspekten auf die textexternen Elemente wird jedoch nicht ausreichend berücksichtigt, denn sie sind nicht nur sprachlich-kommunikativer, sondern auch sozial-psychologischer Art, wobei die Elemente ineinandergreifen (vgl. Byram 1997). Zwar führt Kolb interkulturelle Wissensbestände unter den Teilkompetenzen aus, Verweise auf Einstellungen und Handlungsfähigkeit werden jedoch nur angeschnitten (vgl. 2016: 172 f.). Dies ist aber elementar, da Sprachmittelnde einerseits (inter-)kulturelle Vorstellungen in die Sprachmittlungshandlung einbringen; andererseits müssen sie den kommunikativen Handlungsraum auch in schriftlichen Szenarien aufrechterhalten, etwa durch Perspektivenwechsel (vgl. Krombach 2021). Auch muss damit gerechnet werden, dass es widerstreitende Erwartungen gibt, doch dass die Betroffenen (Sender, Auftraggeber, Adressat) diese aufgrund der Sprach- und Kulturbarrieren nicht erkennen (vgl. Loyalität, Nord 2011). Zu vermissen ist zudem die Explikation der Textwirkung des Zieltextes, die vor einem interkulturellen Hintergrund bewertet werden muss. Bereits der Ausgangstext hat als Text-in-Situation-in-Kultur einen Sender, der einen bestimmten kommunikativen Zweck verfolgt und der wiederum in einen Zieltext als Text-in-Situation-in-Kultur einen ggf. anderen kommunikativen Zweck erfüllen soll (vgl. ebd. 2011: 104). Hiermit verbunden ist die Kritik, dass sich Kolb nicht auf eine Klassifizierung von Textwirkung festlegt, sondern Adamziks (2004) als „besonders passend“ erachtet, da sich dieser statt auf die Verfasserabsicht, auf die Kategorie des Ertrages richte, also das, was Rezipienten und Produzenten aus dem Text gewinnen könnten (2016: 145). Verwunderlich ist, dass die didaktisch aufbereiteten Textfunktionen von Nord (2011) nicht genannt werden (s. Kap. 3.4).
Weitere Kritik kann sich gegen das weitgehend unbestimmte Verhältnis von Schreibkompetenz und Translationsdidaktik zur Sprachmittlungskompetenz richten. Es wird angenommen, dass Schreib- und Übertragungsprozesse rekursiv verlaufen, wie das bekannte, aber nicht fremdsprachenspezifische Modell von Hayes (2012)20 oder das translationsdidaktische Zirkelmodell von Nord (2011) zeigen. Hier gilt als zentraler Aspekt fremdsprachlicher Schreibkompetenz „die Fähigkeit, die komplexen mentalen Teilprozesse der Textproduktion zu planen und zu steuern“ (Krings 2016: 107). Krings merkt zu dieser als Schreibprozessmanagement21 bezeichneten Komponente an:
Diese Teilkompetenz […] ist die am häufigsten übersehene Teilkompetenz des Schreibens. Je umfangreicher und anspruchsvoller der hervorzubringende Text gemessen an den Schreiberfahrungen des Textproduzenten ist, desto größer ist die Bedeutung dieser Teilkompetenz. (ebd.: 107)
Diese Teilkompetenz stellt die Absonderung der Transferphase (3) infrage und unterstreicht, dass die Hierarchie von Kolbs Prozessmodell aufgebrochen und als rekursiver Prozess betrachtet werden sollte.
Letztlich ist allen bisherigen Sprachmittlungsmodellen vorzuwerfen, dass sie die mentalen Vorgänge der Sprachmittelnden in eine black box verfrachten: Was in den Phasen von Auftragsanalyse bis Monitoring geschieht, bleibt spekulativ. Auch in der Translationswissenschaft wurde ähnliche Kritik geübt, woraufhin Krings und Königs Prozessanalysen mit Übersetzern mittels Lauten Denkens durchführten (vgl. Nord 2010: 35). Sie identifizieren kognitive Verfahren, etwa Problemidentifizierungs-, Evaluations- oder Problemreduktionsstrategien (vgl. Königs 1987: 162 ff.; Krings 1986: 480 ff; zur psycholinguistischen Darstellung des Übersetzungsprozesses s. Nord 2010: 36 und Göpferich 2008). Diese sind aber nicht ohne weiteres auf Sprachmittlung übertragbar, wie Kolb (vgl. 2016: 122 ff.) annimmt. Vielmehr steht für Sprachmittlung aus, welche Strategien und Problemlöseverfahren zu beobachten sind, besonders im Hinblick auf interkulturelle Teilkompetenzen. Ebenfalls fehlt ein empirisch fundiertes, didaktisches Vermittlungsmodell für Sprachmittlung. Ein solches Modell
müsste die Rolle der Lernziele, der Lernenden, der Lehrkraft und die Aspekte der methodischen Umsetzung im unterrichtlichen Kontext einbeziehen und näher bestimmen. Nur so kann genauer geklärt werden, welche Teilkompetenzen bei welcher in einer simulierten Sprachmittlungssituation im Fremdsprachenunterricht vom Lerner eingenommenen Rolle durch welches methodische Vorgehen gefördert werden kann. (Bechtel 2018: 287)
Mit solch einem Modell könnten das Einüben der Sprachmittlungssituationen im unterrichtlichen Kontext fokussiert werden. Allerdings ist zu überlegen, ob ein solches nicht erst sinnvoll erstellt werden könnte, wenn ein psycholinguistisches Modell vorliegt.
In Bezug auf die empirische Untersuchung bedeuten diese Ausführungen, dass exemplarisch darüber Aufschluss gegeben werden kann, inwiefern sich die aufgeführten Teilprozesse und -kompetenzen im unterrichtlichen Handeln spiegeln oder ihnen widersprechen. Damit könnten Antworten auf Fragen gefunden werden, die im Diskurs nicht gestellt wurden: Es könnte abgeleitet werden, an welchen Stellen die Sprachmittlungsprozesse (Lese- und Schreibprozess, interkultureller Verstehensprozess etc.) durch Lehrkräfte verlangsamt werden müssten, damit Lernende diese erfolgreich durchlaufen können.
Der Begriff ‚Kompetenz‘ wird innerhalb der Fachdidaktiken unterschiedlich ausgelegt (vgl. Küster 2016: 83 ff.). Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch bei Sprachmittlung unterschiedliche Teilkompetenzen genannt bzw. die gleichen unter anderen Etiketten subsumiert werden (u. a. Sarter 2008; Rössler 2009; Philipp/Rauch 2010a, 2014; Katelhön/Nied Curcio 2012; Stathopolou 2015; Caspari 2013; Dendrinos 2013; Reimann 2016; de Florio-Hansen 2015; Krogmeier 2017; Bechtel 2018). Die Spanne reicht von vier Kompetenzen (sprachlich-kommunikative, interkulturelle, interaktionale, strategisch-methodische Kompetenz; vgl. Hallet 2008) bis zur Bezeichnung als „Makro-Kompetenz“ (Kolb 2016: 179, 161 ff.) mit zwölf Kompetenzen, die sich teils überschneiden. Abgesehen von den Nomenklaturen ist Konsens, dass die komplexe Sprachmittlung immer ein Zusammenspiel mehrerer Kompetenzen notwendig macht, das jedoch empirisch unerforscht ist.
Da vorliegende Untersuchung schriftliche Sprachmittlung im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht betrifft, wird das Kompetenzstrukturmodell der Abiturstandards (KMK 2012a) betrachtet. Caspari und Schinschke (2012, 2017) bzw. Caspari (2013) beziehen sich auf diese Kompetenzdarstellung und geben an, alle genannten Kompetenzen müssten bei Sprachmittlung genutzt werden. Allerdings erfolgt keine Gewichtung und Teilkompetenzen werden manchmal bezüglich ihrer Förderung, manchmal bezüglich ihrer Notwendigkeit dargestellt. Folgend werden angenommene Teilkompetenzen im Zusammenhang mit schriftlicher Sprachmittlung dargestellt. Diese Darstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und die Frage, ob die Teilkompetenzen die Komplexität von Sprachmittlung abbilden können, wird ausgeklammert. Es gilt, dass der Einsatz und die Gewichtung der Teilkompetenzen abhängig von dem Auftrag sind.
[Abb. 2: Kompetenzstrukturmodell der Abiturstandards (KMK 2012a: 12)]
Von den funktionalen kommunikativen Kompetenzen werden rezeptive Kompetenzen benötigt, um Informationen des Ausgangstextes zu verstehen (Lese-, Hör- bzw. Hörsehverstehen), produktive Kompetenzen, um den Zieltext in der Zielsprache zu realisieren (Schreiben).22 Text- und Medienkompetenz ist bedeutsam, um sowohl die Merkmale des Ausgangstexts als auch des Zieltexts als Genre- bzw. Textmusterwissen analysieren und produzieren zu können. Sprachbewusstheit ist notwendig, um das sprachliche Handeln adressaten-, situations- und zweckspezifisch zu erkennen und zu gestalten.23 Ebenso ist Sprachlernkompetenz wichtig, um die eigenen Ressourcen mobilisieren zu können, um während des Sprachmittlungsprozesses über das eigene Handeln, die mehrsprachigen Ressourcen und Strategien reflektieren zu können (vgl. Martinez/ Meißner 2017: 224).24 Letztlich benötigen die Lernenden inhaltliche und allgemein lebensweltliche Kenntnisse sowie rezeptive und produktive Kompetenzen im Deutschen (vgl. Caspari/Schinschke 2017: 181). Gesondert sind Schrift- und Textrezeptionskompetenz im Deutschen zu erwähnen, die sich auf die Fähigkeiten bezieht, graphische Zeichenfolgen sprachlich zu interpretieren und Texte zu verstehen ((vgl. Bachmann/Becker-Mrotzek 2017: 28). Zu bedenken ist, dass „Schrift- und Textproduktion zwar im konkreten Schreibprozess zusammenfallen, aber je eigene Kompetenzen erfordern und sich gegenseitig beeinflussen“ (ebd.). Als empirisch belegt gilt, dass die Sicherung des Zusammenhangs auf Textebene nicht allen Lernenden der Sek. II gelingt (vgl. Köster/Winkler 2015: 129). Dafür verantwortlich sei, dass bei hierarchiehöheren Teilprozessen „Verknüpfungen zwischen den Einzelheiten des Textes und dem Textganzen [sowie] zwischen Text und Vorwissenselementen sowie dem kontextuellen Zusammenhang des Textes“ zu erstellen seien. Dies stelle hohe Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis der Lernenden. Ebenso sei die „Ausprägung des Vorwissens dasjenige Lesermerkmal […], das die Qualität des Textverstehens am stärksten beeinflusst“ (ebd.).
Bezogen auf die Strategien ist im Diskurs auffällig, dass entweder genaue Strategien25 genannt werden wie „Techniken zur Umschreibung unbekannter Lexik“ wie „Internationalismen, Synonyme, Oberbegriffe, Paraphrasen“ (Mehlhorn 2018: 73). Gleichzeitig finden sich pauschale Aussagen wie „situations- und adressatengerecht zusammenfassen“ oder „wesentliche von unwesentlichen Informationen unterscheiden“ (ebd.), die eine ganze Spanne von Einzelstrategien benötigen. Als Grobkategorien lassen sich kognitive und interpersonale/ sozial-affektive Strategien bilden, wobei erstere meist exklusiv dargestellt werden. Zu den kognitiven Strategien zählen einerseits Rezeptionsstrategien (u. a. Hypothesenbildung, Skimming/Scanning, Sinnerschließung durch Kontext/weitere Sprachen, Markierungen, Notieren von Schlüsselwörtern). Andererseits Produktionsstrategien, wie sie im Begleitband des GeR (2020) durch die ‚Vereinfachung eines Textes‘ und die ‚Erklärung von Konzepten‘ orientiert am Adressaten dargestellt werden (s. Krombach 2021). Umfasst sind Textreduktionen durch das Auslassen von Redundanzen sowie Textexpansionen durch erläuternde Kommentare und Textreorganisationsstrategien wie Stil- und Registertransformationen. Hierzu wiederum werden Kompensationsstrategien benötigt (u. a. Schließen sprachlicher Lücken durch Synonyme/Hypo- und Hyperonyme/Paraphrasen, Wörterbücher bzw. Recherchen). Problematisch an der Darstellung der Strategien ist die mangelnde Beschreibung von Registertypen. Das größte Manko bezieht sich, wie auch in der Fachdidaktik, darauf, dass die Strategien hinsichtlich der Vermittlung auf interkultureller Ebene zu kurz greifen (vgl. ebd.). Dies soll nach Darstellung der IKK verdeutlicht werden.
Interkultureller Kommunikativer Kompetenz (IKK) kommt eine Sonderstellung im Diskurs zu, wobei die Verbindung mit Sprachmittlung selten genauer definiert wird (u. a. Dendrinos 2006: 21; Rössler 2008: 66 ff.; Hallet 2008: 5; Sarter 2010: 98 f.; Caspari/Schinschke 2012: 45; Senkbeil/Engbers 2011; Kolb 2014b: 105 ff, 2016: 85 ff.; Seidel 2012; Pfeiffer 2013: 59; Philipp/Rauch 2014: 13).26 Dies unterstreichen pauschale Aussagen wie „Sprachmittlung kann als transkulturelle Fertigkeit schlechthin bezeichnet werden“ (Reimann 2016: 10). Die meisten Artikel sind sprachdidaktisch geprägt, sodass auf die sprachlichen Aktivitäten fokussiert wird und eine Maxime soziokulturellen Wissens auszumachen ist.27 Dies ist nicht im Sinne der in den Bildungsstandards modellierten IKK. Sie steht in engem Bezug zu den weiteren Kompetenzbereichen und ist im Kompetenzmodell oben positioniert. Sie manifestiert sich in der pragmatischen Dimension, ist ausgerichtet auf den Prozess des interkulturellen Verstehens und Handelns in fremdsprachlichen Kontexten und beruht auf einem Zusammenspiel von Wissen, Einstellungen und Bewusstheit (vgl. KMK 2012a: 19 f.; Burwitz-Melzer/Caspari 2017a: 38).28 Die Wissensdimension umfasst fremdkulturelles und soziokulturelles Orientierungswissen sowie kommunikatives und strategisches Wissen in der konkreten Handlung. Einstellungen sind mit der sprachlichen Dimension verknüpft und umfassen die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung und Risikobereitschaft. Bewusstheit umfasst die Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstreflexion und Toleranz.
Bezüglich Sprachmittlung umfasse die Wissensdimension soziokulturelles Wissen um Sprachkonventionen, Höflichkeitsformen und Sprachregister (vgl. Hallet 2008: 4 ff.; Caspari/Schinschke 2017: 183). Besonders häufig wird die Erklärung kulturspezifischer Konzepte und Begriffe betont (u. a. Rössler 2008: 67; Hallet 2008: 5; Reimann/Rössler 2013: 16; Bechtel 2018: 278). Am deutlichsten drückt dies Sarters Forderung nach „kultureller Erklärkompetenz“ (2010) aus. Beispiele sind Wörter, die kein direktes Äquivalent in der anderen Kultur haben, also kulturspezifische Begriffe wie Almabtrieb, Biergarten oder Schultüte (vgl. Kolb 2008: 11; 2014: 106). Fortgeschrittene Lernende sollen konstruktiv mit ihren sprachlich limitierten Ressourcen umgehen und entscheiden, ob sie „kultur-, kontext-, textsortenspezifische Termini verwenden müssen, ob sie diese sicher kennen oder ob sie besser auf Verfahren der Umschreibung zurückgreifen“ (Caspari/Schinschke 2012: 43).
Die betonte Verbindung zwischen Wissen, Einstellungen und Bewusstheit in Bezug auf die Handlungsfähigkeit wird jedoch nicht ausreichend dargestellt. So sind Perspektivenwechsel nicht nur für jene erklärungsbedürftigen Begriffe notwendig, wie Kolb annimmt (vgl. 2016: 42). Denn Perspektivenwechsel bzw. -koordination verlangen die Verbindung aller drei Elemente: Lernende benötigen „nicht nur eine recht hohe sprachliche Kompetenz, sondern auch Einfühlungsvermögen und Wissen über beispielsweise das soziale Umfeld, mit der der Perspektivenwechsel vollzogen werden soll“ (Burwitz-Melzer/Caspari 2017b: 64). Es ist ein hypothetischer Verstehensprozess, bei dem Gedanken, Wünsche und Motive einer Person nachvollzogen und daraus Schlussfolgerungen gezogen werden (vgl. ebd.). Caspari und Schinschke merken hinsichtlich der Bewusstheit beiläufig an, dass diese auch die Reflexion darüber beinhaltet, „welche Wirkung Sprache in bestimmten Verwendungssituationen auf den Leser hat“ (2017: 193). Zu vermuten ist, dass bei Sprachmittlung ein Bewusstsein für die Textwirkung konstitutiv ist, womit die Art und Weise der Informationsübermittlung an die Rezipienten reflektiert werden muss (Sprachbewusstheit). Es ist nicht nur zu antizipieren, was die Rezipienten (nicht) wissen könnten, sondern welche interkulturellen Einstellungen sie etwa von politischen Themen haben könnten. Ferner werden die für Perspektivenwechsel und -koordination benötigten empathischen Fähigkeiten vernachlässigt, wie an dem erwähnten Vergessen interpersonaler/sozial-affektiver Strategien erkennbar.29 Das wird auch daran sichtbar, dass Teilkompetenzen mündlicher und schriftlicher Sprachmittlung zwar teils divergieren, jedoch in mündlichen Mittlungen die interaktionalen Kompetenzen eine andere, aber nicht zwangsläufig „bedeutendere“ Rolle spielen, wie Krogmeier (2017: 3) annimmt. Denn wie der Begleitband des GeR (Europarat 2020) mit Rückgriff auf Kramschs symbolic competence (1993)30 verdeutlicht, gehört hierzu die Initiierung und Aufrechterhaltung von Kommunikation durch Schaffung eines plurikulturellen Raumes (vgl. Krombach 2021: 122 ff.). Es ist zu vermuten, dass bei schriftlichen Szenarien dieser plurikulturelle Raum zu beachten ist. Dies verliehe der Textwirkung hinsichtlich interkulturell-relationaler Aspekte hohe Relevanz. Die empirische Untersuchung soll darüber Aufschluss geben, welche Teilkompetenzen bei den Lernendenprodukten relevant werden.
Einen anderen Weg schlägt der Begleitband zum GeR ein (Europarat 2020), der als Erweiterung des Hauptdokumentes verfasst wurde.31 In diesem wird ‚Mediation‘ einerseits zu einem pädagogischen Prinzip, das auf eine interkulturelle, politische und diversitätssensible Erziehung über Fächergrenzen hinweg abzielt (vgl. ebd.: 29, 43, 112; Burwitz-Melzer 2019: 186). Andererseits wird sie eine Suprakompetenz, die durch ihre Schlüsselrolle für eine Neukonzeptualisierung von Sprachlehren und -lernen um den Lernenden als social agent genutzt wird, die entlang des handlungsorientierten Unterrichts stattfinden soll (vgl. Piccardo/ North 2019: 231; Krombach 2021: 115 ff.). Sie wird in die Subkonzepte Mediation von Texten, Konzepten und Kommunikation mit zugehörigen Mediationsstrategien unterteilt, wodurch 21 Skalen vorliegen (Europarat 2020: 112-143). In dem übergeordneten Mediationskonzept wird die Rolle der Mediatoren als social agent als eine aktiv-handelnde vorgestellt, denn sie sollen metaphorische Brücken bauen: Erstens sollen sie Zugang zu Informationen für Dritte schaffen, also ein Informations- und Kompetenzgefälle ausgleichen. Es sind informelle Situationen gemeint, die keine professionellen Dolmetscher oder Übersetzer benötigen. Zweitens treten sie in eine gemeinsame Bedeutungsaushandlung von Ideen und Lösungsstrategien (co-construction of meaning) mit Partnern, die nicht zwangsläufig ein Informations- oder Kompetenzgefälle aufweisen. Drittens sollen sie als Verantwortliche solche Aushandlungsprozesse steuern, womit auch Lehrkräfte als Mediatoren fungieren. Von allen Aufgaben können Mischformen auftreten, wobei immer die Bedingungen für erfolgreiche Kommunikation her- und sicherzustellen sind. Durch diese Konzeption ist Sprachmittlung (cross-linguistic mediation) nur eine Variante von Mediation. Bei allen Mediationsaktivitäten müssen nicht zwangsläufig Sprachenwechsel stattfinden; vielmehr können die Sprachen A und B verschiedene Sprachen, Varietäten der gleichen Sprache, Register derselben Varietät oder Kombinationen sein.
Durch die breite Konzeption erhält Mediation, neben der kognitiven Dimension als Weitergabe von Informationen, eine stark interkulturelle und sozial-psychologische Dimension. Damit wird begonnen, Aspekte der Sprachmittlungskompetenz der Bildungsstandards und des GeR zu überdenken (vgl. Krombach 2021). Denn Mediation als dynamischer Aushandlungsprozess fordert die Meinungen und Haltungen der Mittelnden ein und die Schaffung eines plurikulturellen Raums bzw. third space wird fokussiert (Kramsch 1993). In der Mediationssituation muss ein Balanceakt zwischen dem Eingriff in das Geschehen, der Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Gesprächspartner und der Zurückstellung der eigenen Absichten geleistet werden. Hervorgehoben wird emotionale Intelligenz, um Empathie aufbringen zu können, sich in die Gesprächspartner hineinzuversetzen. In dem zu erschaffenden third space sollen die Aktanten ihr Anderssein thematisieren, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erkennen sowie Meinungsverschiedenheiten auszugleichen. Hiermit tritt ein Konzept von Streitschlichtung in den Mittelpunkt, das in der Fachdidaktik ausgeklammert wurde (vgl. Königs 2016: 112). Gleichermaßen rückt die intralinguale Sprachmittlung wieder in das Bewusstsein, die einerseits als Scaffolding gelten kann, um schwierige Ausgangstexte zu entlasten, etwa durch Registerumformungen. Andererseits sind intralinguale Aktivitäten anspruchsvoll, z. B. wenn Lernende mit für sie schwierigen Registern konfrontiert sind.
Bemerkenswert ist zudem, dass Mediation auf sechs Niveaustufen skaliert ist. Denn es wird die Auffassung vertreten, dass eine Progression der Deskriptoren über Niveaustufen der Komplexität von Sprachmittlung nicht gerecht werde (vgl. Kolb 2018: 9). Allerdings liegen für einige Aktivitäten keine Deskriptoren für ‚vor-A1‘, A1 oder C1/C2 vor, solche für A2-B2 sind meist sorgfältig dimensioniert. Bei einigen Deskriptoren ist deren Relevanz und Trennschärfe fraglich. Dies betrifft, ob Empathie skaliert werden kann (‚Mediation allgemein‘) oder dass die Skala ‚Einen Text übersetzen‘ die sinngemäße Übertragung enthält, die bereits mit ‚Informationen weitergeben‘ erfasst ist. Insgesamt zeigt sich, wie komplex die Aktivitäten sind, denn die Skalen sind geprägt durch die integrative Einbeziehung mehrerer Kompetenzen. Dies sind mindestens zwei funktionale sprachliche Kompetenzen, die immer mit IKK und Sprachbewusstheit verschränkt sind (vgl. Bärenfänger et al. 2019: 10). Hier liegt einer der größten Fallstricke des neuen Konzeptes. Denn beim Umgang mit den Einzelskalen sollen die Kategorien nach Bedarf gemischt und angepasst werden (vgl. Europarat 2020: 113). Positiv aufgefasst bietet das Innovationspotential: Die Hervorhebung des plurikulturellen Raumes von Sprachmittlungssituationen macht eine Neubestimmung des interkulturellen Bestandteils von Sprachmittlungsaufgaben notwendig. Die Nennung verschiedener Situationen, Ausgangs- und Zieltexten, Operatoren und Mittlungsrichtungen ermöglicht eine Schärfung von Sprachmittlungsanforderungen und eine Progressionsteuerung ab den niedrigsten Niveaustufen. Doch Vorsicht ist geboten, da Sprachmittlungsaufgaben immer mehrere Teilleistungen fordern, weshalb stets mehrere Skalen zu verbinden sind. Ansonsten würden nur kognitive Anforderungen abgedeckt wie mit ‚Verarbeitung von Texten‘, die interkulturellen Aspekte jedoch erst in ‚Plurikulturellen Raum fördern‘ erwähnt.
Mit der Betonung der interkulturellen Dimension erhalten aktuelle Fragen nach dem Einsatz KI-gestützter Maschinentranslationen besonderes Gewicht. Diese in der alltäglichen Sprachverwendung verankerten Programme (u. a. DeepL) und Smartphone Apps (u. a. Apple Translate) ermöglichen eine erste Aufhebung sprachlicher Barrieren. Sollten diese im Unterricht eingesetzt werden, sind die Übersetzungen kritisch zu prüfen und die Informationsweitergabe an den Adressaten zu reflektieren. So kann zwar die sprachliche Dimension entlastet werden kann, was aber nicht zwangsläufig interkulturelles Verständnis garantiert bzw. relational nachjustiert werden muss. Denn es müssen selbstständig Informationsauswahl und Begriffsklärungen betrieben sowie Textsortenspezifika eingehalten werden. Außerdem sind interkulturell-relationale Aspekte, wie die Wirkung der Sprache auf den Rezipienten, zu beachten.
Die Gesamtkonzeption ist innerhalb der (sprachen-)politischen Zielsetzungen des Europarats folgerichtig, die die Hochwertkonzepte democratic citizenship und inklusive Bildung umfassen (vgl. Piccardo/North 2019: 239). Die Vorschläge könnten weltweit in den Sprachencurricula fruchtbar gemacht werden; auch in Verbindung mit der zunehmenden Beachtung von translanguaging (vgl. García/Wei 2014). Gleichfalls muss betont werden, dass die Konzeption von Mediation (z. B. durch Beinhalten der Reaktion auf literarische Texte) derart breit gefasst ist, dass sie von schulischer Sprachmittlung abgegrenzt werden muss.
Der fremdsprachendidaktische Sprachmittlungsbegriff vereint Konzepte der Translationswissenschaften, aus denen der Begriff „Sprachmittlung“ entstammt (vgl. Sinner/Wieland 2013: 99). Zum einen wurde der Leipziger Schule die kommunikativ heterovalente Sprachmittlung (i. e. inhaltsbearbeitende Übertragung) entnommen (Jäger 1975, Kade 1980). Zum anderen werden Kriterien aus Knapp und Knapp-Potthoffs (1985) Definition von Sprachmittlung genutzt: Der Sprachmittler sei im Gegensatz zum Dolmetscher als Kommunikationspartner aktiv an der Interaktion beteiligt und Sprachmittlung sei eine nicht-professionelle, alltagspraktische Tätigkeit. Zum dritten werden Auslegungen des funktionalen Übersetzens genutzt: die Skopostheorie (Reiß/Vermeer 1984) sowie die Didaktik des funktionalen Übersetzens (Nord 2010). Einschlägige Einführungen in die Übersetzungswissenschaft (u. a. Siever 2015; Koller 2011) führen Sprachmittlung in Verbindung mit den genannten Konzepten. Aktuell fasst Nord (2016: 77) Sprachmittlung als Oberbegriff für Übersetzen und Dolmetschen, der neben den Synonymen Sprach- und Kulturmittlung und Translation verwendet wird.
Nach funktionalen, handlungsorientierten Ansätzen der Translationswissenschaften ist für das Übersetzen nicht mehr der rein linguistische, sondern der kontextualisierte Transfer für den zielkulturellen Rezipienten maßgeblich (vgl. Stolze 2008: 169 ff.). Bedeutsam ist die Skopostheorie (gr. σκοπόζ; Funktion/ Zweck/Ziel; bzw. Funktionale Translationstheorie)32 Vermeers (1978) bzw. Reiß/ Vermeers (1984).33 Als Kerngedanken postuliert sie, Translation sei eine zweckgerichtete Handlung mit dem Credo: „Die Dominante aller Translation ist deren Zweck“ (ebd.: 1984: 96). So ist die Erreichung eines Translationszwecks (Skopos) wichtiger als die Durchführung der Translation in einer bestimmten Weise (vgl. Siever 2015: 85 ff.). Daraus folgt, dass der adäquaten Gestaltung des Zieltextes, orientiert an Situation, Zweck und Adressat, eine größere Bedeutung als der äquivalenten Orientierung am Ausgangstext zukommt, was für die schulische Sprachmittlung rezipiert wird (vgl. Sinner/Wieland 2013: 103; Reimann 2016: 48).34 Diese Übertragungsfreiheit meint keine Willkürlichkeit:35
Der Translator entscheidet […] in doppelter Verantwortung, welchen Skopos er wählt oder seitens eines Auftraggebers übernimmt und welche Translationsstrategie er hierzu angesichts der intendierten Rezipienten anwendet, um ihnen ein seiner Meinung nach möglichst optimales, skoposadäquates Informationsangebot vorlegen zu können. (Vermeer 2002: 137)
Erstens wirken Auftraggeber, Empfänger und Translator auf den Skopos des Translats ein, womit letzterer aktiver Partner in einer Kommunikationssituation ist (vgl. Windle/Pym 2011: 19). Damit erhält der Translator eine „Doppelrolle als Ausgangstextrezipient und Zieltextproduzent“ (Siever 2015: 85), der für alle übersetzerischen Entscheidungen verantwortlich ist (s. auch Loyalität Nord 2011), und zwar „Kraft seiner Kenntnis von Ausgangs- und Zielkultur und -sprache“ (Reiß/Vermeer 1984: 86). Zweitens muss dieser Zieltext Funktionen erfüllen, um den kulturellen Abstand zwischen Translat und Ausgangstext zu überbrücken (vgl. Stolze 2016: 42). Die Funktionen sind abhängig von der Adressatengerechtheit, die die Eigenschaft eines Translats meint, für die Adressaten ohne Rückgriff auf den Ausgangstext und mit Hilfe des üblichen Hintergrundwissens der Zielkultur verständlich zu sein (vgl. Nord 2011: 86).36 Vor der Produktion ist ein Adressatenprofil zu erstellen (vgl. ebd.: 49, 87). Komponenten dessen sind das Antizipieren der Rezeptionssituation (Medium, Ort, Zeit, Anlass), des soziokulturellen Hintergrunds und der kommunikativen Bedürfnisse der Adressaten. Zudem sind das voraussetzbare Welt-, Kultur- und Bildungswissen (Präsuppositionen) sowie die strukturellen und stilistischen Textsortenkonventionen zu beachten. Zwar haben nach einem rezeptionsorientierten Funktionsbegriff Texte keine Funktionen, sondern sind vom Autor für Funktionen intendiert und erst die Empfänger entscheiden, welche Funktionen der Text für sie hat (vgl. Nord 2011: 49). Doch zeichnen sich Textsorten durch konventionelle Merkmale aus (vgl. ebd.; Reiß 1977; kritisch Stolze 2008: 141 f.). Die Textfunktion ist für Ausgangs- und Zieltext mittels funktionaler Analyse zu bestimmen: Die Kommunikationssituation wird analysiert und entschieden, welche Merkmale des Ausgangstexts zu adaptieren sind (vgl. Nord 2011: 48; Textfunktionen s. Kap. 3.4). Es müssen die für die Rezipienten in der Zielkultur relevanten Funktionen des Ausgangstextes herausgefiltert und im Sinne des Skopos evtl. neu hierarchisiert werden (Funktionsgleichheit und -wechsel; Siever 2015: 87). Solche Textproduktionshandlungen können kulturelle Übertragungsprobleme aufwerfen (vgl. Nord 2011: 77; Agar 1994 rich points
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