Schuldrecht I - Allgemeiner Teil - Jacob Joussen - E-Book

Schuldrecht I - Allgemeiner Teil E-Book

Jacob Joussen

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Beschreibung

Das Studienbuch erläutert den Allgemeinen Teil des Schuldrechts. Auch in der siebten Auflage ist an dem erfolgreichen Konzept festgehalten worden, die Darstellung am Prüfungsaufbau zu orientieren und anhand zahlreicher Beispielsfälle zu verdeutlichen. Das Lehrbuch ist für die siebte Auflage vollständig überarbeitet und aktualisiert worden. Neu aufgenommen wurden unter anderem die Regelungen zu digitalen Produkten. Erläutert sind die Systematik des Allgemeinen Schuldrechts ebenso wie die Entstehung, die Leistungspflichten und der Untergang des Schuldverhältnisses sowie die Einbeziehung Dritter. Damit werden alle prüfungsrelevanten Aspekte des Rechts der Schuldverhältnisse behandelt. Schließlich umfasst das Buch auch das Recht des Schadensersatzes.

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Studienreihe Rechtswissenschaften

herausgegeben vonProfessor Dr. Winfried Boecken und Professor Dr. Heinrich Wilms (†)

fortgeführt vonProfessor Dr. Winfried Boecken und Professor Dr. Stefan Korioth

Schuldrecht I – Allgemeiner Teil

von

Dr. Jacob Joussenordentlicher Professor an der Ruhr-Universität Bochum

7., überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

7. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-043563-6

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-043564-3

epub: ISBN 978-3-17-043565-0

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Das Studienbuch erläutert den Allgemeinen Teil des Schuldrechts. Auch in der siebten Auflage ist an dem erfolgreichen Konzept festgehalten worden, die Darstellung am Prüfungsaufbau zu orientieren und anhand zahlreicher Beispielsfälle zu verdeutlichen. Das Lehrbuch ist für die siebte Auflage vollständig überarbeitet und aktualisiert worden. Neu aufgenommen wurden unter anderem die Regelungen zu digitalen Produkten. Erläutert sind die Systematik des Allgemeinen Schuldrechts ebenso wie die Entstehung, die Leistungspflichten und der Untergang des Schuldverhältnisses sowie die Einbeziehung Dritter. Damit werden alle prüfungsrelevanten Aspekte des Rechts der Schuldverhältnisse behandelt. Schließlich umfasst das Buch auch das Recht des Schadensersatzes.

Professor Dr. Jacob Joussen ist Ordinarius für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht an der Ruhr-Universität Bochum.

Vorwort zur 7. Auflage

Das allgemeine Schuldrecht zählt zu den zentralen Ausbildungsmaterien im Zivilrecht. Es nimmt auch aufgrund seiner hohen praktischen Relevanz in der universitären Lehre eine besondere Stellung ein. Regelmäßig bildet es den Gegenstand einer vier- oder sogar sechsstündigen Vorlesung im zweiten Studiensemester. Gerade wegen seiner komplexen Struktur bedarf es einer sorgfältigen, strukturierten Herangehensweise. Es lässt sich nicht auf einen ersten Blick verstehen. Vielmehr wird nur der, der die Strukturen dieses Teils des BGB (er-)kennt, mit seinen Normen auch arbeiten und Fallgestaltungen lösen können.

Das vorgelegte Lehrbuch versucht vor allem genau das, nunmehr in seiner siebten Auflage, zu leisten: den Studierenden, die zum ersten Mal mit diesem Rechtsgebiet in Berührung kommen, einen möglichst unmittelbaren Zugang zu seinen Strukturen zu ermöglichen. Daher sind die Ausführungen in besonderer Weise auf die erste „Berührung“ mit dieser Materie ausgerichtet. Doch auch diejenigen, die bereits weiter fortgeschritten sind oder vor ihrem Examen stehen, können sich mit Hilfe der regelmäßig am Prüfungsaufbau orientierten Darstellungsweise die entscheidende Kenntnis des allgemeinen Schuldrechts erarbeiten. Gleiches gilt für diejenigen, die im Referendariat stehen und sich das materielle Zivilrecht, besonders das allgemeine Schuldrecht, wieder in Erinnerung rufen möchten bzw. müssen.

Die Darstellung des Stoffs orientiert sich daher im Regelfall an dem Vorgehen in der Falllösung. Auch zu diesem Zweck sind, wo es zweckmäßig ist, Prüfungsübersichten an den Anfang der unterschiedlichen Abschnitte gestellt, an denen sich der Aufbau der Darstellung orientiert. Verweise auf die wichtigste Literatur, Rechtsprechung und veröffentlichte Klausurfälle zu Beginn eines jeden Abschnitts ermöglichen eine vertiefte Beschäftigung.

Gerade ein Lehrbuch lässt sich nur dann verständlich verfassen, wenn man Gesprächspartner hat, die Verständlichkeit anmahnen, korrigieren und Geschriebenes einer kritischen Überprüfung unterziehen. Mein herzlicher Dank gilt daher meinem Lehrstuhlteam, das in mühevoller Arbeit auch die siebte Neuauflage vorbereitet hat. Das gilt besonders für meine Mitarbeiterinnen Amina Özen und Dr. Antje Rech, aber gerade auch für meine studentischen Hilfskräfte Jan Gers, Ro­zhina Hadi, Karolina Labisch, Fabian Mecking, Jana Sauerbier, Annika Rischer und Luca von Quast. In den Wochen vor Abgabe des Manuskripts für diese Neuauflage waren alle mit außerordentlich hohem Engagement an der Sichtung der neu erschienenen Rechtsprechung und Literatur beteiligt.

In die Neuauflage sind schließlich zahlreiche Anregungen und Korrekturhinweise vieler Leser:innen eingeflossen, die ich hier nicht alle einzeln aufführen kann. Für derartige Hinweise bin ich besonders dankbar – und nehme sie auch künftig gerne auf. Bitte mailen Sie sie direkt an mich: [email protected].

Bochum, im Januar 2023Jacob Joussen

Literaturverzeichnis

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Eckert, J., Schuldrecht. Allgemeiner Teil, 4. Aufl., Baden-Baden 2005

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Horn, N. (Hrsg.), Handelsgesetzbuch (ohne Seerecht), Buch 4. §§ 343–475h, 2. Aufl., Berlin 2005

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Huber, U., Leistungsstörungen, Band 1 und 2, Tübingen 1999

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Joussen, J., Schlichtung als Leistungsbestimmung und Vertragsgestaltung durch einen Dritten, München 2005

Larenz, K., Lehrbuch des Schuldrechts. Band I. Allgemeiner Teil, 14. Aufl., München 1987

Larenz, K./Canaris, C.-W., Lehrbuch des Schuldrechts. Band II. Besonderer Teil, 13. Aufl., München 1994

Löhnig, M./Gietl. A., Schuldrecht II, Besonderer Teil 1: Vertragliche Schuldverhältnisse, 2. Aufl., Stuttgart 2018

Looschelders, D., Schuldrecht Allgemeiner Teil, 20. Aufl., Köln 2022

Looschelders, D., Schuldrecht Besonderer Teil, 15. Aufl., Köln 2020

Lorenz, E. (Hrsg.), Karlsruher Forum 2002: Schuldrechtsmodernisierung, Karlsruhe 2003

Lorenz, S./Riehm, T., Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, München 2002

Medicus, D./Lorenz, S., Schuldrecht I: Ein Studienbuch. Allgemeiner Teil, 22. Aufl., München 2021

Medicus, D./Lorenz, S., Schuldrecht II: Ein Studienbuch. Besonderer Teil, 18. Aufl., München 2018

Medicus, D./Petersen, J., Bürgerliches Recht: Eine nach Anspruchsgrundlagen geordnete Darstellung zur Examensvorbereitung, 28. Aufl., München 2021

Medicus, D./Petersen, J., Grundwissen zum Bürgerlichen Recht, 12. Aufl., München 2021

, Münchener Kommentar zum BGB, Band 1, 9. Aufl., München 2022

, Münchener Kommentar zum BGB, Band 2, 9. Aufl., München 2022

, Münchener Kommentar zum BGB, Band 5/6, 8. Aufl., München 2022

Neumann, D./Pahlen, R./Greiner, S./Winkler, J./Jabben, J., Sozialgesetzbuch IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, Kommentar, 14. Aufl., München 2020

Neuner, J., Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12. Aufl., München 2020

Petersen, J., Der Dritte im Zivilrecht, Berlin 2018

Petersen, J., Examensrepetitorium Allgemeines Schuldrecht, 10. Aufl., Heidelberg 2021

Rolfs, C./Giesen, R., Beck’scher Online-Kommentar zum Arbeitsrecht, 65. Edition, September 2022

Schlechtriem, P./Schmidt-Kessel, M., Schuldrecht. Allgemeiner Teil, 6. Aufl., Tübingen 2005

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Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, Schuldrecht 1, §§ 241–304 BGB, 13. Aufl., Stuttgart 2007

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Stadler, A., Allgemeiner Teil des BGB, 21. Aufl., München 2022

Staudinger, BGB – Eckpfeiler des Zivilrechts, 8. Aufl., Berlin 2022

Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 1: Allgemeiner Teil, §§ 139–163 (Allgemeiner Teil 4b), Neubearb. 2020, Berlin 2020

Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2: Recht der Schuldverhältnisse, Einleitung zum Schuldrecht. §§ 241–243 (Treu und Glauben), Neubearb. 2019, Berlin 2019

Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2: Recht der Schuldverhältnisse, §§ 249–254 (Schadensersatzrecht), Neubearb. 2017, Berlin 2017

Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2: Recht der Schuldverhältnisse, §§ 255–304 (Leistungsstörungsrecht 1), Neubearb. 2019, Berlin 2019

Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2: Recht der Schuldverhältnisse, §§ 315–326 (Leistungsstörungsrecht 2), Neubearb. 2015, Berlin 2015

Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2: Recht der Schuldverhältnisse, §§ 328–345 (Vertrag zugunsten Dritter, Draufgabe, Vertragsstrafe), Neubearb. 2015, Berlin 2015

Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2: Recht der Schuldverhältnisse, §§ 346–361 (Rücktritt und Widerruf), Neubearb. 2012, Berlin 2012

Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2: Recht der Schuldverhältnisse, §§ 362–396 (Erfüllung, Hinterlegung, Aufrechnung), Neubearb. 2022, Berlin 2022

Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2: Recht der Schuldverhältnisse, §§ 397–432 (Erlass, Abtretung, Schuldübernahme, Schuldner- und Gläubigermehrheit), Neubearb. 2017, Berlin 2017

Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2: Recht der Schuldverhältnisse, §§ 812–822 (Ungerechtfertigte Bereicherung, Neubearb. 2007, Berlin 2007

Stoll, H., Kausalzusammenhang und Normzweck im Deliktsrecht, Tübingen 1968

Tuhr, A., Der Allgemeine Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, Band 2, Hälfte 2, München (u. a.) 1918

Vieweg, K./Lorz, S., Sachenrecht, 9. Aufl., Köln 2022

Neuner, J., Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12. Aufl., München 2020

Wolf, M., Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, Tübingen 1970

Teil I:Einführung

§ 1Der Allgemeine Teil des Schuldrechts im BGB

Literatur: , Adam, S., Das absolute Recht im Zivilrecht, JuS 2021, 109; Aretz, S., Das Abstraktionsprinzip – Das einzig Wahre?, JA 1998, 242; Grigoleit, C., Abstraktion und Willensmängel – Die Anfechtbarkeit des Verfügungsgeschäfts, AcP 199 (1999), 379; Lorenz, S., Grundwissen – Zivilrecht: Abstrakte und kausale Rechtsgeschäfte, JuS 2009, 489; Petersen, J., Das Abstraktionsprinzip, Jura 2004, 98; ders., Die systematische Stellung des Allgemeinen Teils vor der Klammer der anderen Bücher, JURA 2011, 759; Schreiber, K./Kreuz, K., Das Abstraktionsprinzip – Eine Einführung, JURA 1989, 617; Strack, A., Hintergründe des Abstraktionsprinzips, JURA 2011, 5; Stürner, Sachenrechtliche Rechtsverhältnisse und Allgemeines Schuldrecht, JURA 2019, 837.

Klausuren: , Beck, Juristische Klausuren von Anfang an (richtig) schreiben, JURA 2012, 262; Behme, C., Der lahme Ferrari, JA 2017, 823.

1Der allgemeine Teil des Schuldrechts im BGB steht neben dem Besonderen Schuldrecht und ist ihm im Wege des Klammerprinzips vorangestellt. Die Regelungen im Allgemeinen Teil gelten somit für sämtliche im Besonderen Teil des Schuldrechts enthaltenen Schuldverhältnisse. Einige grundsätzliche Strukturfragen prägen dabei das allgemeine Schuldrecht des BGB und sind in jedem Gutachten zwingend zu beachten.1

I.Grundsätzliches

2Das Schuldrecht des BGB besteht aus zwei Teilen. Das zweite Buch des Gesetzes beginnt mit einem Allgemeinen, es schließt sich ein Besonderer Teil an. Im Allgemeinen Teil ist alles zu finden, was für die unterschiedlichen (vertraglichen wie gesetzlichen) Schuldverhältnisse gilt, die im Besonderen Teil aufgeführt sind. Wie bereits im Verhältnis des Allgemeinen Teils des BGB zu den übrigen vier Büchern2 gilt also auch hier die Klammertechnik.3

Beispiel: So finden etwa die Unmöglichkeitsregelungen der § 275 ff. sowohl für den Kauf- als auch für den Werkvertrag Anwendung.

3Das Schuldrecht ist dabei eine besondere Rechtsmaterie, die eigenständig neben den weiteren Büchern des BGB steht. Geregelt wird das Recht der Schuldverhältnisse, also derjenigen Rechtsverhältnisse, aufgrund derer ein Schuldner seinem Gläubiger etwas schuldet. Es geht also beim Schuldrecht um Sonderverbindungen, aus der sich Pflichten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger ergeben.

4Im allgemeinen Schuldrecht ist nun, vor die Klammer gezogen, das geregelt, was für sämtliche Schuldverhältnisse gilt. Wie entstehen sie? Wie erlöschen sie wieder? Was ist zu leisten? Welche konkreten Pflichten bestehen? Was geschieht, wenn Pflichten nicht erbracht werden, es also zu Störungen kommt? All diese allgemeinen Fragen sind Gegenstand des allgemeinen Schuldrechts. Maßgeblich ist dabei stets, dass es um Schuldverhältnisse geht, also um die Sonderverbindungen zwischen einzelnen Personen. Das allgemeine Schuldrecht regelt somit nur die relativen Rechte, welche dem Gläubiger lediglich ein Forderungsrecht gegen seinen Schuldner, d. h. gegen eine bestimmte Person zugestehen. Im Gegensatz hierzu gewährt das Sachenrecht dem Inhaber des Rechts, etwa dem Eigentümer, ein absolutes Recht, welches sich gegen alle richtet und nicht nur gegen einen Einzelnen.4

5Im Verhältnis zwischen Schuld- und Sachenrecht muss das Trennungs- und Abstraktionsprinzip beachtet werden.5 Das Verpflichtungsgeschäft, also der schuldrechtliche Vertrag, ist stets von dem Verfügungsgeschäft, der sachenrechtlichen Einigung, zu trennen, seine Wirksamkeit ist abstrakt von diesem zu beurteilen. Geschieht etwas auf der schuldrechtlichen Ebene, verpflichtet sich jemand beispielsweise, das Eigentum zu übertragen, hat diese Verpflichtung keinerlei Auswirkungen auf die Wirksamkeit der sachenrechtlichen Ebene.6 Denn Schuld- und Sachenrecht sind abstrakt, d. h. losgelöst voneinander zu beurteilen.

Beispiel: A und B vereinbaren einen Kaufvertrag über einen Fernseher. Diese vertragliche Vereinbarung nach § 433 BGB ist darauf gerichtet, dass A dem B einen Fernseher „verschafft“ – diese Verpflichtung zur sachenrechtlichen Übereignung hat aber noch keinerlei Eigentumsverschiebung zur Konsequenz, diese muss vielmehr eigenständig vereinbart und durchgeführt werden. Die schuldrechtliche Verpflichtung ist allerdings der Rechtsgrund für die spätere sachenrechtliche Verschiebung.

II.Die Einflüsse des Unionsrechts: Das Verbraucherprivatrecht

6Das BGB unterliegt zunehmend europäischen, d. h. unionsrechtlichen Einflüssen. Diese werden für den Schuldrechtsanwender vor allem an zwei Stellen relevant: Zum einen sind inzwischen zahlreiche Bestimmungen des BGB in Umsetzung unionsrechtlicher Richtlinienvorgaben in das BGB eingeführt worden. Das betrifft vor allem Vorschriften des Verbraucherrechts, da der Verbraucher nach Ansicht der Europäischen Kommission zur Erreichung eines einheitlichen Binnenmarktes innerhalb der Union eine zentrale Rolle spielt und in besonderer Weise schutzbedürftig ist.7 Zum anderen kann v. a. die Rechtsprechung des EuGH bei der Auslegung und Anwendung von schuldrechtlichen Bestimmungen beachtlich sein, was sich aber wesentlich im Schuldrecht BT – und dort im Nacherfüllungsrecht – auswirkt und daher hier nicht weiter verfolgt wird.8

§ 2Grundprinzipien und Systematik des Allgemeinen Teils

Literatur: , Becker, M., Vertragsfreiheit, Vertragsgerechtigkeit und Inhaltskontrolle, WM 1999, 709; Coester-Waltjen, D., Die Grundsätze der Vertragsfreiheit, JURA 2006, 436; dies., Schuldverhältnis-Rechtsgeschäft-Vertrag, JURA 2003, 819; Gernhuber, J., § 242 BGB – Funktionen und Tatbestände, JuS 1983, 764; Henke, H.-E., Der Begriff des „Schuldverhältnisses“, JA 1989, 186; Jenal, O./Schimmel, R., § 242 – Verwirkung bei Gestaltungsrechten, JA 2002, 619; Madaus, S., Die Abgrenzung der leistungsbezogenen von den nicht leistungsbezogenen Nebenpflichten im neuen Schuldrecht, JURA 2004, 289; Paulus, C.G./Zenker, W., Grenzen der Privatautonomie, JuS 2001, 1; Teichmann, A., Nebenverpflichtungen aus Treu und Glauben, JA 1984, 545, 709; ders., Venire contra factum proprium – Ein Teilaspekt rechtsmissbräuchlichen Handelns, JA 1985, 497.

Rechtsprechung: , BVerfG NJW 1994, 36 (Richterliche Inhaltskontrolle von Bürgschaftsverträgen bei starkem Übergewicht eines Vertragspartners); BGH NJW 1983, 109 (Zur Geltung von Treu und Glauben im Rahmen nichtiger Rechtsgeschäfte); BGH NJW 1983, 563 (Berufung auf Formnichtigkeit als Verstoß gegen Treu und Glauben); BGH NJW 1989, 1276 (Vertragsfreiheit: Zulässigkeit risikoreicher Geschäfte).

7Der Allgemeine Teil des Schuldrechts im BGB ist von verschiedenen Grundprinzipien geprägt. Diese werden an späterer Stelle noch ausführlich erläutert, da sie sich konkret in verschiedenen Bereichen auswirken, etwa wenn es um die Entstehung des Schuldverhältnisses geht. Gleichwohl sollen hier vorab zwei der wichtigsten Prinzipien, die das gesamte Schuldrecht beherrschen, vorgestellt werden. Darüber hinaus werden in diesem Abschnitt zentrale Begrifflichkeiten erläutert, die das Schuldrecht des BGB insgesamt prägen und deren Kenntnis für die nachfolgenden Darstellungen unerlässlich ist.

I.Vertragsfreiheit und der Grundsatz von Treu und Glauben

8Zwar spielen zwei Grundprinzipien im gesamten BGB eine Rolle.9 Eine besondere Bedeutung kommt diesen beiden Prinzipien jedoch im Schuldrecht zu, welches von einer starken Freiheit zugunsten der Parteien geprägt ist. Das gilt zunächst für den Grundsatz der Vertragsfreiheit (§ 311 Abs. 1). In gleicher Weise betrifft das aber auch den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242).

1.Der Grundsatz der Vertragsfreiheit, § 311 Abs. 1

9Der Grundsatz der Vertragsfreiheit10 ist in § 311 Abs. 1 normiert bzw. sogar vorausgesetzt.11 Dieser Vorschrift zufolge ist zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt. Der Vertrag ist somit im Regelfall Grundlage sämtlicher schuldrechtlicher Beziehungen und wird frei zwischen den Parteien vereinbart. Der Kern der Vertragsfreiheit liegt darin, dass jeder frei darüber entscheiden kann, „ob“ er überhaupt einen Vertrag abschließt, „mit wem“, und „welchen Inhalt“ er in dem Vertrag vereinbaren möchte.12 Die Vertragsfreiheit umfasst daher die Abschluss-, die Inhalts- bzw. Gestaltungsfreiheit und die Formfreiheit.

10Über die Vorschrift des § 311 Abs. 1 hinaus beruht die Vertragsfreiheit auch auf einer verfassungsrechtlichen Grundlage. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit als Prinzip und Recht des Einzelnen, seine Rechtsbeziehungen mit anderen Rechtssubjekten einverständlich zu regeln, ist der zentrale Bestandteil der Privatautonomie. Diese wiederum hat ihre Grundlage in Art. 2 Abs. 1 GG gefunden – man kann diesem Artikel letztlich das Recht auf eine rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung entnehmen.13 Jeder ist dazu befähigt, sich durch einen freien Entschluss in eine schuldvertragliche Beziehung zu einer anderen Person zu begeben. Das führt im Umkehrschluss dazu, dass jeder, der sich in eine solche vertragliche Bindung begibt, auch die Risiken tragen muss, die sich aus einer derartigen Verbindung ergeben – die Haftung für eine eingegangene schuldvertragliche Verbindung ist also die Kehrseite der Vertragsfreiheit.14

11Diese Vertragsfreiheit kann jedoch nicht schrankenlos gelten. So ist das Gesetz mit seiner Werteordnung nicht nur dem Freiheitsideal verpflichtet, sondern es muss dem Einzelnen auch die Ausübung seiner – ihm zustehenden – Freiheit ermöglicht werden. Das setzt insbesondere voraus, dass bestimmte Ungleichgewichte ausgeglichen werden, denn diejenigen, die nicht in der Lage sind, ihre Freiheit verantwortlich auszuüben, müssen geschützt werden. Das gilt etwa für die Personengruppen, die überhaupt nicht absehen können, was eine vertragliche Freiheitsausübung mit sich bringt. Deshalb schränkt die Rechtsordnung die Vertragsfreiheit bei Kindern und Jugendlichen ein, das Gleiche gilt für diejenigen, die krankheitsbedingt nicht frei und verantwortlich entscheiden können: Die Regelungen des Allgemeinen Teils des BGB in den §§ 104 ff. haben hier ihre Grundlage.15

12Die Einschränkung der Vertragsfreiheit geht jedoch noch sehr viel weiter: Denn auch derjenige, der üblicherweise frei über seine Bindungen und Pflichten entscheiden kann, ist möglicherweise zu schützen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn zwar prinzipiell zwei von der Vertragsfreiheit begünstigte Privatrechtssubjekte einander gegenübertreten, eine von beiden potenziellen Vertragsparteien jedoch erheblich stärker ist als die andere. In einer solchen Situation greift die Rechtsordnung ein und schützt die (vermeintlich) schwächere Partei. So soll niemand allein aufgrund der Marktmacht des anderen in einen Vertrag gezwungen werden, der eigentlich nicht seiner freien Willensentscheidung entspricht. Das führt dazu, dass bestimmte Regelungen in Verträgen nicht getroffen werden können, wenn sie gegen die guten Sitten verstoßen. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit versagt in diesen Fällen. In der Regel hat der Vertrag nämlich zum Ziel, ein ausgeglichenes Austauschverhältnis herzustellen. Das kann er deshalb, weil die Vorstellung vorherrscht, dass bei bestehender Vertragsfreiheit beide Seiten sich auf das einigen werden, was sie zu geben bereit sind, um die Gegenleistung zu erhalten.

Beispiel: Schließen zwei Personen einen Kaufvertrag über ein Auto, wird der Käufer den Betrag zahlen, den er für „richtig“ hält. Meint er, das Auto sei zu teuer, wird er zu einem anderen Händler gehen. Umgekehrt wird der Verkäufer den Wagen auch nicht billiger anbieten, als er muss.

13Man geht also davon aus, dass das Prinzip der Vertragsfreiheit zu „gerechten“, richtigen Verträgen führt.16 Das kann aber nur dann funktionieren, wenn in der Tat in etwa gleich starke Parteien aufeinandertreffen. Immer dort, wo das nicht der Fall ist, die Vertragsparität also gestört wird, greifen Schutzmechanismen, um gleichwohl zu „gerechten“ Verträgen zu gelangen. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit ist somit nicht schrankenlos gewährt, sondern wird von Einschränkungen begleitet, die das Ziel haben, trotz bestehender Ungleichgewichte faire und gerechte Austauschverhältnisse herbeizuführen. Das ist der Hintergrund nicht nur der Vorschrift des § 138, sondern insbesondere auch des AGB-Rechts in den §§ 307 ff.17

Beispiel: Kauft K im Kaufhaus eine Waschmaschine vom Verkäufer V, wird V regelmäßig AGB anwenden. K wird dann durch die §§ 307 ff. geschützt. Denn nach diesen Vorschriften dürfen beispielsweise bestimmte Vereinbarungen in AGB nicht vorgesehen sein – zum Schutz des K als Vertragspartner des AGB-Verwenders.

14Der Grundsatz der Vertragsfreiheit in seinen unterschiedlichen Facetten, die die Entstehung des Schuldverhältnisses bei einem vertraglichen Entstehungstatbestand maßgeblich beherrschen, führt in letzter Konsequenz auch dazu, dass im Schuldrecht – viel mehr und anders als im Sachenrecht18 – eine nahezu vollständige Typenfreiheit besteht. Die Parteien sind also nicht dazu gezwungen, einen Vertragstypus auszuwählen, der im Besonderen Schuldrecht vorgegeben ist, sie können stattdessen frei entscheiden, welchen Inhalt sie ihrer vertraglichen Vereinbarung geben wollen. Sie können sich auch unterschiedliche Rechte und Pflichten aus verschiedenen Vertragsmodellen zusammensuchen und einen gemischten Vertrag vereinbaren.

Beispiel: Beim Leasing- oder Factoringvertrag etwa handelt es sich um Verträge, die im BGB so nicht vorgesehen sind. Das ist aber auch nicht erforderlich, da die Inhaltsfreiheit als eine besondere Ausprägung der Vertragsfreiheit den Parteien im Schuldrecht völlige Freiheit lässt.

2.Der Grundsatz von Treu und Glauben, § 242

15Viel abstrakter und gerade für den Schuldrechtseinsteiger schwer greifbar ist das Prinzip von Treu und Glauben aus § 242, welches das BGB und damit insbesondere auch die wechselseitigen Verpflichtungen eines vertraglichen Schuldverhältnisses prägt.

Im Kern ist dieser Grundsatz wohl darauf zurückzuführen, dass beide Vertragsparteien durch die sie verbindende schuldvertragliche Beziehung verpflichtet sind, auf die berechtigten Interessen des anderen Teils Rücksicht zu nehmen.19 Dieses Prinzip, das zahlreiche Ausprägungen erhalten hat, sollte gerade in den Einstiegssemestern eher zurückhaltend bei der juristischen Betrachtung eines Falles angewendet werden.

16Die Ausprägungen von § 242, die sich in Form von Fallgruppen systematisch erfassen lassen, werden an den entscheidenden Stellen in der folgenden Darstellung im Einzelnen aufgegriffen, verwiesen sei insbesondere auf den Inhalt der Leistungspflicht und die Bestimmung der Modalitäten der Leistungspflichterbringung, die von § 242 maßgeblich geprägt sind.20

II.Der Begriff des Schuldverhältnisses

17Mit dem auch schon in den vorangegangenen Abschnitten immer wieder verwendeten Begriff des Schuldverhältnisses wird vor allem ausgedrückt, dass zwei Parteien zueinander in einer besonderen Beziehung stehen. Das kann allerdings weiter und enger verstanden werden. Ist ein solches Schuldverhältnis entstanden, haben beispielsweise F und J einen Kaufvertrag abgeschlossen, führt das zu zahlreichen Pflichten und Obliegenheiten beider Parteien. Hier sind verschiedene Begrifflichkeiten auseinander zu halten, die im Folgenden erläutert werden.

1.Weites und enges Verständnis vom Schuldverhältnis

18Im zweiten Buch des BGB steht das „Schuldverhältnis“ im Mittelpunkt der Regelungen. § 241 Abs. 1 als erste Norm des zweiten Buchs macht dabei zugleich deutlich, worin das Besondere im Schuldverhältnis besteht. Kraft des Schuldverhältnisses, so heißt es dort, ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Das Schuldverhältnis stellt also eine Sonderbeziehung, eine Sonderverbindung21dar, die zwischen dem Gläubiger auf der einen und dem Schuldner auf der anderen Seite besteht. Der Gläubiger ist aufgrund dieser Sonderverbindung berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu verlangen, die auch in einem Unterlassen bestehen kann (s. § 241 Abs. 1 Satz 2).

19Das Schuldverhältnis wird wesentlich durch eine Bipolarität, eine Zweiseitigkeit geprägt. Es sind zwei Parteien von dem Schuldverhältnis erfasst, der Gläubiger und der Schuldner. Dabei schließt diese Formulierung nicht aus, dass auf der einen Seite auch mehrere Personen stehen können. Entscheidend ist vielmehr, dass es sich bei einem Schuldverhältnis immer um eine Beziehung zwischen zwei Seiten handelt, nämlich Gläubiger und Schuldner. Das ist nur an wenigen Stellen anders, nämlich dann, wenn Dritte am Schuldverhältnis beteiligt werden. Selbst in diesen Fällen22 bleibt es aber stets dabei, dass auch eine Zweierbeziehung gegeben sein muss. Neben dieser Zweiseitigkeit wird das Schuldverhältnis dadurch geprägt, dass die eine Seite (der Gläubiger) von der anderen Seite (dem Schuldner) etwas, ein Tun oder Unterlassen, verlangen kann. Das stellt zugleich einen Anspruch i. S. v. § 194 Abs. 1 dar. Der Grund hierfür kann auf verschiedenen Tatbeständen, wie einer vertraglichen oder gesetzlichen Begründung des Schuldverhältnisses, beruhen.

20Eine vertragliche Begründung des Schuldverhältnisses setzt voraus, dass sich Gläubiger und Schuldner darüber geeinigt haben, dass eine solche Sonderverbindung zwischen ihnen bestehen soll.

Beispiel: A und B vereinbaren, dass der A dem B sein Fahrrad verkauft. – Durch den Kaufvertrag entsteht zwischen ihnen ein (vertragliches) Schuldverhältnis.

21Hier spielt der Grundsatz der Vertragsfreiheit mit hinein – denn prinzipiell ist niemand dazu verpflichtet, sich in ein solches enges Verhältnis, also in eine Sonderverbindung zu einem anderen zu begeben.

22Daneben ist eine Begründung des Schuldverhältnisses auch auf gesetzlichem Wege möglich, etwa im Rahmen der §§ 678 ff., 823 ff. Das Besondere hieran ist, dass die Parteien sich nicht darüber geeinigt haben, dass eine solche Sonderbeziehung zwischen ihnen bestehen soll, sondern das Gesetz selbst an ein tatsächliches Geschehen bestimmte Pflichten eines Beteiligten knüpft. Die Erfüllung eines gesetzlichen Tatbestands führt damit zum Entstehen eines Schuldverhältnisses.

Beispiel: A schießt beim Fußballspiel den Ball in das Fenster des B. – Er fügt diesem damit einen Sachschaden zu und verletzt das Eigentum des B. Hier ordnet § 823 Abs. 1 an, dass derjenige, dessen Eigentum verletzt ist, gegen den Schädiger einen Ersatzanspruch hat. Infolgedessen besteht zwischen A und B ein gesetzliches Schuldverhältnis.

23Welchen Inhalt ein vertragliches Schuldverhältnis hat, ist vom Gesetz nicht vorgegeben. Es gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Einigen sich die Parteien auf einen im Gesetz vorgesehenen Vertragstypus, können subsidiär die dort enthaltenen Regelungen eingreifen, wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Gelegentlich gelten hier auch zwingend bestimmte Schutzvorschriften zugunsten einer der Vertragsparteien.

Beispiel: Vereinbaren A und B einen Arbeitsvertrag, nach dem der B für A arbeiten soll, sind zunächst die Regelungen des Vertrags, hilfsweise diejenigen der §§ 611a ff., anwendbar. Zwingend gilt etwa § 623: Eine Kündigung muss also stets schriftlich erfolgen.23

24Doch prinzipiell ist der Inhalt des Schuldverhältnisses frei, zumindest hinsichtlich der von den Parteien vereinbarten Pflichten und Rechte (dazu gleich noch ausführlicher).24 Wenn man aber vom „Schuldverhältnis“ spricht, muss man differenzieren. Hier gibt es nämlich unterschiedliche Begrifflichkeiten, die man auseinanderhalten muss.25

25So steht auf einer höheren Ebene das sog. Schuldverhältnis im weiteren Sinne. Spricht man hiervon, meint man das Schuldverhältnis als Ganzes, also die vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien, sofern es sich um ein vertragliches Schuldverhältnis handelt.26

Beispiel: In dem zuvor genannten Beispiel (unter Rn. 23) bildet der Arbeitsvertrag die Grundlage für das Arbeitsverhältnis zwischen A und B und damit für das „Schuldverhältnis im weiteren Sinne“.

26In diesem weiten Verständnis wird der Begriff auch im BGB gelegentlich gebraucht, etwa dort, wo es in der Überschrift des zweiten Buchs des BGB heißt: „Recht der Schuldverhältnisse“. Auch § 241 Abs. 2, der bestimmte Nebenpflichten begründet, gebraucht den Begriff des Schuldverhältnisses im weiteren Sinne.27 Dort ist formuliert, „das Schuldverhältnis“ könne nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten – hier ist gemeint, dass die gesamte Vereinbarung, die zwischen den Parteien besteht, solche Sekundärpflichten hervorrufen kann.

27Im Gegensatz dazu steht das Schuldverhältnis im engeren Sinne. Das soll gerade nicht das gesamte Verhältnis zwischen den Parteien beschreiben, sondern nur den konkreten einzelnen Anspruch des Gläubigers gegen den Schuldner.28 Als Schuldverhältnis im engeren Sinne ist daher das Recht auf eine Leistung zu verstehen, das sich aus § 241 Abs. 1 Satz 1 ergibt. Gemeint ist damit der konkrete schuldrechtliche Anspruch, also die einzelne Forderung, die der Gläubiger gegen den Schuldner hat. Letztlich geht es also beim Schuldverhältnis im engeren Sinne nur um eine einzelne, konkrete Pflicht, nicht jedoch um die Rechtsbeziehung zwischen den Parteien im Ganzen.

Beispiel: Bei einem Kaufvertrag, den A und B über ein Haus abschließen, bildet dieser die Grundlage für die gesamte Rechtsbeziehung, also das Schuldverhältnis im weiteren Sinne. A hat daraus etwa die Pflicht, dem Käufer gegenüber Rücksicht zu nehmen, wie § 241 Abs. 2 verlangt. Zudem muss der Käufer beispielsweise den Kaupfpreis zahlen, § 433 Abs. 2. Diese Pflicht begründet ein „Schuldverhältnis im engeren Sinne“.

28Das BGB gebraucht den Begriff des Schuldverhältnisses in der Regel im engeren Sinne. Besonders deutlich wird das etwa bei § 362, der die Erfüllung behandelt. Ohne bereits hier in die Tiefe zu gehen29, stellt § 362 einen Untergangstatbestand für eine Leistungspflicht dar. Eine schuldvertragliche Beziehung zwischen Parteien führt dazu, dass der Schuldner dem Gläubiger zur Leistung verpflichtet ist. Wenn der Schuldner seine Leistung erbringt, wenn etwa der Käufer den Kaufpreis bezahlt, nennt man das Erfüllung. Nach § 362 Abs. 1 erlischt dadurch das Schuldverhältnis. Erfüllt also der Käufer seine kaufvertragliche Pflicht zur Kaufpreiszahlung, erlischt das Schuldverhältnis – gemeint ist aber vom Gesetz nur das Schuldverhältnis im engeren Sinne! Das heißt, es erlischt ausschließlich die Leistungspflicht des Käufers zur Kaufpreiszahlung. Unberührt davon bleibt der Kaufvertrag als solches. Dieser besteht weiter fort, etwa hinsichtlich verschiedener, sich zusätzlich aus dem Kaufvertrag ergebender Pflichten aus § 241 Abs. 2.30 Unberührt bleibt auch die Pflicht des Verkäufers aus § 433 Abs. 1.

29Es geht also nicht das Schuldverhältnis im weiteren Sinne unter, das heißt die kaufvertragliche Beziehung zwischen Käufer und Verkäufer. Ohne dass dies terminologisch aus dem BGB hervorgeht, muss man daher bei allen Vorschriften, die man im Schuldrecht vorfindet, überlegen, ob es sich hierbei um das Schuldverhältnis im engeren oder um das im weiteren Sinne handelt. So ist auch bei § 397 Abs. 1 Vorsicht geboten, der den Erlass betrifft. Zwar scheint die gesetzliche Formulierung („Das Schuldverhältnis erlischt, wenn der Gläubiger dem Schuldner durch Vertrag die Schuld erlässt.“) auf das Schuldverhältnis im weiteren Sinne hinzudeuten. Jedoch ist damit nicht gemeint, dass das gesamte Schuldverhältnis untergehen soll.31 Vielmehr erlöschen nur die aus dem Schuldverhältnis stammenden einzelnen Forderungen, also das Schuldverhältnis im engeren Sinne. Für ein Erlöschen des gesamten Schuldverhältnisses ist in der Regel ein Aufhebungsvertrag notwendig.32

30Im Regelfall verwendet das BGB im Schuldrecht somit den Begriff des Schuldverhältnisses im engeren Sinne; Ausnahmen gibt es nur wenige, wie etwa § 241 Abs. 233, § 425 Abs. 134 oder § 273 Abs. 1.35

2.Inhalt: Pflichten und Obliegenheiten

31Ist ein Schuldverhältnis im weiteren Sinne begründet, haben also die Parteien sich insbesondere vertraglich darauf geeinigt, dass zwischen ihnen eine schuldrechtliche Sonderbeziehung bestehen soll, entstehen hieraus Rechte und Pflichten. Zudem kann es verschiedene sog. Obliegenheiten geben, die aus der schuldvertraglichen Beziehung resultieren. Hinsichtlich der entstandenen Pflichten differenziert man zwischen den sog. Primär- und den Sekundärpflichten.

32a) Primärpflichten. Allgemein gesprochen verpflichtet das Schuldverhältnis den Schuldner zu einer Leistung, d. h. zu einem Tun oder Unterlassen. Das folgt aus § 241 Abs. 1. Diese Pflicht des Schuldners korrespondiert mit dem Recht des Gläubigers, von dem Schuldner gerade diese Leistung verlangen zu können. Der genaue Inhalt dessen, was der Schuldner zu leisten hat, ist bei einem vertraglichen Schuldverhältnis von den Parteien eigens geregelt. Welche Pflichten den Schuldner im Einzelnen treffen, kann daher nur dadurch in Erfahrung gebracht werden, dass man die vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien heranzieht. Das Gesetz selbst differenziert hier zwischen sog. Leistungspflichten auf der einen Seite und nicht einklagbaren Obliegenheiten bzw. Schutzpflichten auf der anderen Seite. Innerhalb der Leistungspflichten, die selbstständig einklagbar sind, ist dann noch einmal eine Unterscheidung zu treffen vor allem zwischen den sog. Primär- oder Hauptleistungspflichten auf der einen und den sog. Nebenleistungspflichten auf der anderen Seite.

33aa) Hauptleistungspflichten. Als Hauptleistungspflicht wird diejenige Leistungspflicht bezeichnet, die für das konkrete Schuldverhältnis wesentlich ist und es zentral ausmacht. Hauptleistungspflichten bestimmen insofern den gesamten Schuldvertragstypen.

Beispiel: A verkauft dem B sein Boot. – In dem abgeschlossenen Kaufvertrag ist die Pflicht des B zur Kaufpreiszahlung ebenso eine Hauptleistungspflicht wie umgekehrt die Pflicht des A zur Übergabe und Eigentumsverschaffung des Bootes. Die jeweiligen Primärpflichten ergeben sich bei den vertraglichen Schuldverhältnissen aus der konkreten Vereinbarung der Parteien und ggf., wenn die Parteien sich für einen der normierten Vertragstypen des BGB entschieden haben, aus den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen. Eine Hauptleistungspflicht bei einem nicht vorgesehenen Vertragstypus des BGB kann allein aus dem Willen der Beteiligten geschlossen werden. Hauptleistungspflicht ist in einem solchen Vertrag dann stets diejenige Pflicht, der nach den Umständen eine wesentliche Bedeutung beigemessen wird.36

34In einem gesetzlichen Schuldverhältnis ist die Hauptleistungspflicht allein dem Gesetz zu entnehmen. Bei einem bereicherungsrechtlichen Anspruch aus § 812 Abs. 1 ist das etwa die Herausgabe der erlangten Sache.

35Bezüglich der primären Leistungspflicht gilt bei einem Schuldverhältnis noch etwas Besonderes, und zwar dann, wenn es sich um ein sog. synallagmatisches Schuldverhältnis handelt. In einem Synallagma stehen nämlich die Primärpflichten der beiden Parteien in einem Gegenseitigkeitsverhältnis i. S. d. § 320. Was bedeutet das? Am Kaufvertrag lässt sich das gut festmachen: Beim soeben genannten Beispielsfall, dem Verkauf des Bootes, ist der Verkäufer dazu verpflichtet, das Boot zu übergeben und das Eigentum an ihm zu verschaffen. Das sind die Primärpflichten des Verkäufers. Umgekehrt ist der Käufer dazu verpflichtet, den Kaufpreis zu bezahlen und das Boot abzunehmen. Das sind die Primärpflichten des Käufers. Diese Primärpflichten stehen nun in einem Gegenseitigkeitsverhältnis und sind eng miteinander verknüpft. Das bezeichnet man als Synallagma. Jede Partei ist hierbei zugleich Schuldner und Gläubiger der anderen, wenn auch für verschiedene Pflichten: Der Käufer ist Schuldner des Gläubigers, also des Verkäufers, im Hinblick vor allem auf die Kaufpreiszahlung. Umgekehrt ist der Verkäufer seinerseits auch Schuldner (und nicht nur Gläubiger der Kaufpreisforderung), nämlich im Hinblick auf die Eigentumsverschaffung und Übergabepflicht an der Kaufsache. Die Primärleistungspflichten in einem solchen Verhältnis sind eng aneinander gebunden, das folgt aus dem schon genannten § 320: Jeder muss seine Leistungspflicht grundsätzlich nur dann erbringen, wenn der andere seine Leistungspflicht erfüllt.37

36bb) Nebenleistungspflichten. Neben den genannten Hauptleistungspflichten bestehen weitere Pflichten der Vertragsparteien, die sog. Nebenleistungspflichten. Nebenleistungspflichten dienen regelmäßig der Vorbereitung und leichteren Erbringung der Hauptleistungspflicht. Sie ergänzen diese, stellen aber anders als die Hauptleistungspflicht nicht die zentrale Regelungsmaterie der Vereinbarung oder des gesetzlichen Schuldverhältnisses dar. Sie können sich aus verschiedenen Rechtsquellen ergeben, so aus besonderen gesetzlichen Vorschriften oder aus § 242. Darüber hinaus ist auch eine vertragliche Vereinbarung von Nebenleistungspflichten möglich, wenn die Vertragsauslegung (§§ 133, 157) ergibt, dass bestimmte Nebenpflichten gewollt sind. Die Nebenleistungspflichten sind selbstständig einklagbar38, sie stehen aber nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis, § 320 ist also nicht anwendbar (wohl aber § 273).39

Beispiel: A beauftragt seinen Bekannten B damit, ein wichtiges Einschreiben zur Post zu bringen. – Die Erfüllung des Auftrags durch B stellt dabei die Hauptleistungspflicht des Auftragsverhältnisses aus § 662 dar. Möchte A von B erfahren, ob alles gut gelaufen ist, ist B dem A zur Auskunft verpflichtet – diese Nebenpflicht folgt beim Auftrag unmittelbar aus § 666.

37cc) Sonstige Verhaltenspflichten. Ebenfalls zu den Primärpflichten (wobei hier terminologisch sehr viel Unsicherheit besteht!) zählen die sonstigen Verhaltenspflichten, die sich insbesondere aus § 241 Abs. 2 ergeben. Diese Pflichten sind anders als die Haupt- und Nebenleistungspflichten nicht auf die konkrete Anspruchserfüllung gerichtet, sie haben also nicht unmittelbar das Ziel, die vom Schuldner zu erbringende Leistung durchzuführen bzw. zu erleichtern oder zu ermöglichen.40 Vielmehr dienen diese sonstigen Verhaltenspflichten in erster Linie dem Schutz der Rechte und Rechtsgüter des Vertragspartners. Es geht bei den sonstigen Verhaltens- und Schutzpflichten um das „Integritätsinteresse“ des anderen. Welche Schutzpflichten von den Parteien zu beachten sind, ergibt sich allein aus dem Schuldverhältnis (im weiteren Sinne), das zwischen ihnen besteht.41

38Gelegentlich sind einzelne Verhaltenspflichten gesetzlich normiert, beispielsweise für das Mietrecht in § 535 Abs. 1 Satz 2. Oftmals bedarf es jedoch einer (ergänzenden) Vertragsauslegung der zugrunde liegenden Parteivereinbarung, teilweise ist auch ein Rückgriff auf den Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 notwendig. Diese Schutzpflichten, die sowohl in den gesetzlichen als auch in den vertraglichen Schuldverhältnissen bestehen, sind insbesondere auf Rücksichtnahme, Aufklärung, Information, Sicherung und Warnung ausgerichtet.

Beispiel: Haben A und B einen Mietvertrag abgeschlossen, ist der Vermieter A für das Wohlergehen seines Vertragspartners B verantwortlich. Reinigt er das Treppenhaus, muss er vor einem glatten Boden warnen, damit B aufpassen kann.

39Die Verhaltenspflichten sind nicht einklagbar, da sie hierfür zu unbestimmt sind. Sie müssen zwar von den Parteien beachtet werden, jedoch ist eine Klage auf ihre Erfüllung nicht möglich.42 Ihnen kommt allerdings dann eine Bedeutung zu, wenn eine Pflichtverletzung vorliegt. Hieraus kann sich nämlich ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 ergeben.43

40b) Sekundärpflichten. Neben den zuvor erläuterten Primärpflichten gibt es auch zusätzlich noch sog. Sekundärpflichten. Diese ergeben sich jedoch nicht unmittelbar aus dem Schuldverhältnis, wie es bei den Primärpflichten der Fall ist. Vielmehr treten sie erst an die Stelle der Primärpflichten, wenn diese gestört werden oder untergehen. Solche Sekundärpflichten stehen dann entweder neben der ursprünglichen Primärpflicht, denkbar ist aber auch, dass sie diese Primärpflicht ersetzen und an ihre Stelle treten. Näheres folgt aus den Vorschriften des § 280 Abs. 1 bis 3 und wird an späterer Stelle erläutert.44

Zusammenfassendes Beispiel: V und K haben einen Kaufvertrag über ein Fahrrad abgeschlossen. – Nun hat der K gegen V einen Primäranspruch auf die Lieferung des Fahrrads aus § 433 Abs. 1. Das ist eine Primärleistungspflicht, sie folgt unmittelbar aus dem Schuldvertrag und ist einklagbar. Ebenfalls Primärpflichten aus diesem Kaufvertrag können Nebenleistungspflichten sein, beispielsweise ist V verpflichtet, das Fahrrad, wenn er es liefern sollte, ordnungsgemäß zu verpacken. Das ist keine Primärpflicht im Sinne einer Hauptleistungspflicht, sie steht nicht im Synallagma, aber es ist eine von K ggf. einklagbare Pflicht des V. Eine Nebenleistungspflicht ist das Verpacken, weil es dazu dient, die Hauptleistungspflicht des V zu erleichtern bzw. zu ermöglichen. Schließlich ebenfalls als Primärpflicht aus diesem Kaufvertrag ist die Pflicht des V anzusehen, dafür zu sorgen, dass der K in den Verkaufsräumlichkeiten nicht zu Schaden kommt, beispielsweise nicht ausrutscht und sich verletzt. Diese Primärpflicht im Sinne einer Verhaltens- bzw. Schutzpflicht ergibt sich aus der vertraglichen Vereinbarung, aber auch aus § 241 Abs. 2. Diese Primärpflicht ist nicht einklagbar, aber ihre Verletzung kann zu einem Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 führen. Sekundärpflichten bestehen zunächst in diesem Kaufvertragsverhältnis nicht. Erst dann, wenn etwa der V schuldhaft das Fahrrad zerstört, bevor er es liefern kann, tritt ein Ersatzanspruch an die Stelle des ursprünglichen Primäranspruchs des K. Er hat nämlich nun einen Anspruch gegen den V aus dem Umstand, dass dieser die Unmöglichkeit der Leistungserfüllung herbeigeführt hat.

41c) Obliegenheiten. Eine letzte Gruppe von Verpflichtungen in einem Schuldverhältnis sind die sog. „Obliegenheiten“. Das sind jedoch keine Pflichten im Sinne eines Schuldverhältnisses in engem Sinne, also eines Anspruchs. Bei den Obliegenheiten kann nicht der eine etwas von dem anderen verlangen, vielmehr handelt es sich lediglich um „Pflichten gegen sich selbst“.45 Diese bestehen ausschließlich im Eigeninteresse und sind daher insbesondere auch nicht einklagbar, also auch nicht Grundlage für einen Sekundäranspruch. Der Gegner einer Schuldvertragspartei kann also keine Erfüllungs- oder Schadensersatzansprüche geltend machen, wenn Obliegenheiten verletzt werden, vielmehr handelt es sich um ein Rechtsgebot im eigenen Interesse des Belasteten. Beachtet er die Obliegenheiten nicht, ist dies für ihn selbst ggf. nachteilig. Ein Beispiel hierfür ist die Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 Satz 1: Verletzt der Geschädigte seine Schadensabwendungs- und -minderungspflicht, begeht er eine Obliegenheitsverletzung und verliert seinen Schadensersatzanspruch bzw. erhält nur einen geminderten Anspruch. Der Schädiger selbst hat hieraus gegen den Geschädigten keinen Anspruch.

Beispiel: Ein weiteres Beispiel stellt die Annahmeobliegenheit des Gläubigers innerhalb der §§ 293 ff. BGB dar.46

Teil II:Die Entstehung des Schuldverhältnisses

§ 3Die vereinbarte Entstehung

Literatur: , Bauwens, K., Die culpa in contrahendo, AD LEGENDUM 2013, 289; Bydlinski, F., Zu den dogmatischen Grundfragen des Kontrahierungszwanges, AcP 180 (1980), 1; Grünberger, M., Der Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle, JURA 2009, 249; Hamann, W./Rudnik, T., Formulararbeitsverträge auf dem Prüfstand (Teil 1 und 2), JURA 2009, 335 und 486; Hergenröder, C., Vertragsschlüsse im E-Commerce. Eine kompakte Darstellung für Studium und Examen, ZJS 2017, 131; Katzenstein, M., Die Bedeutung der vertraglichen Bindung für die culpa-Haftung des Vertragsschuldners auf Schadensersatz, JURA 2004, 800, JURA 2005, 73; Keilmann, A., Vorsicht! – Zum Gehalt des § 311 II, III BGB, JA 2005, 500; Kilian, W., Kontrahierungszwang und Zivilrechtssystem, AcP 180 (1980), 47; Klocke, D., Die systematische Interpretation von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Lichte unwirksamer Vertragsklauseln, JURA 2015, 227; Löhnig, M./Gietl, A., Grundfälle zum Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, JuS 2012, 393; Lorenz, S./Gärtner, F., Grundwissen – Zivilrecht: Allgemeine Geschäftsbedingungen, JuS 2013, 199; Neideck, P., Die Einbeziehung der AGB in die Fallbearbeitung, JA 2011, 492; Neuefeind, W., Gefälligkeit und Rechtsbindung – ein Überblick (Teil 1 und 2), JA 2022, 626, 717; Peter, C., Haftungsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, JURA 2015, 121; Petersen, J. Die Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, JURA 2010, 667; Schmidt, H., AGB-Recht in der Fallbearbeitung, AD LEGENDUM 2010, 95; ders., Einbeziehung von AGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr, NJW 2011, 3329; Süß, T., Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, AD LEGENDUM 2013, 211; Petersen, J., Die Privatautonomie und ihre Grenzen, JURA 2011, 184; ders., Faktische und fehlerhafte Vertragsverhältnisse, JURA 2011, 907; Stamer, N., Verkehrssicherungspflichten und Gefälligkeiten, JA 2022, 889; Temming, F./Weber, R., Die Haftung Dritter: Hintergrund, Anwendungsbereich und Potenziale des § 311 Abs. 3 BGB (Teil 1, 2 und 3), JURA 2019, 923, 1039; Theisen, F., Rechtsfolgen eines Schadensersatzanspruches aus culpa in contrahendo, NJW 2006, 3102; Thüsing, G./Bleckmann, L./Peisker, Y., Europarechtliche Grundlagen der AGB-Kontrolle, JuS 2022, 793; Wendland, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in der Fallbearbeitung (Teil 1, 2 und 3), JURA 2018, 866, 2019, 41, 486; Willoweit, D., Schuldverhältnis und Gefälligkeit, JuS 1984, 909.

Rechtsprechung: , BGH NJW 1983, 566 (Formbedürftigkeit eines Auftrags zur Ersteigerung eines Grundstücks); BGH NJW 2002, 2559 (Formbedürftigkeit eines Bauvertrags bei einseitiger Abhängigkeit von einem Grundstückskaufvertrag); BGH NJW 2017, 3586 (Hinweispflicht auf unverhältnismäßigen Reparaturaufwand bei altem PKW); BGH NJW 2017, 3707 (Reichweite des § 307 Abs. 2 Nr. BGB); BGH JuS 2018, 69 (Unwirksamkeit Selbsteintrittsvorbehalt in AGB eines Architekten); BGH NJW 2018, 3523 (Anwendbarkeit von § 311b Abs. 1).

Klausuren: , Bartels, K., Ruhiges Wohnen, AD LEGENDUM 2009, 173; Börstinghaus, U./Pielsticker, D., Und am Ende nichts als Ärger, ZJS, 2016, 725; Bühler, J., Der Nachbar und das Paket (zur Gefälligkeit), JURA 2017, 1428; Förster, C./Kaiser, N./Kiefl, K., Braune Mode selbstgeräumt, JA 2012, 249; Lindardatos, D., Ein Unglück kommt selten allein – ZR-Anfängerklausur zum Schadensersatz- und Rücktrittsrecht, JURA 2022, 360; Sagan, A., Die Renovierungspflicht hat Grenzen, JURA 2013, 616; Sauter, A./Karl, C., Anfängerklausur – Zivilrecht: Minderjährigenschutz und AGB – Der minderjährige Student, JuS 2013, 423; Schmidt, Anwalt: Sein oder Nichtsein?, JURA 2019, 1191; Warga, C., Zweimal Ärger beim Autokauf, JA 2009, 505; Weber, R., Das Studium als AGB-Falle – ZR-Anfängerklausur, JURA 2022, 955.

42Wie ausgeführt kann ein Schuldverhältnis vor allem dadurch begründet werden, dass zwei Parteien sich darüber einigen, dass ein solches entstehen soll, also durch eine vertragliche Einigung(s. dazu unten Rn. 43 ff.). Daneben tritt als weiterer Entstehungsgrund für ein Schuldverhältnis ein einseitiger Akt. Dabei genügt, dass eine Person einseitig tätig wird, wobei dann durch die Reaktion eines anderen ein Schuldverhältnis begründet wird (s. dazu unten Rn. 88). Als besonderer Fall der vereinbarten Entstehung eines Schuldverhältnisses kann das sog. „vorvertragliche Schuldverhältnis“ angesehen werden. Gemeint ist die Konstellation, in denen sich zwischen zwei Personen bereits ein Vertrag anbahnt, etwa indem sie verhandeln. In dieser Phase entstehen schon gewisse Rechte und Pflichten. Bezeichnet wird dieses Verhältnis mit dem lateinischen Begriff „culpa in contrahendo“. Diese ist in § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 normiert (s. dazu unten Rn. 89 ff.). Einen Grenzfall zwischen der Entstehung eines Schuldverhältnisses und dem bloßen sozialen Umgang miteinander ohne weitere rechtliche Konsequenzen bildet das sog. „Gefälligkeitsverhältnis“. Hier kann, muss aber kein Schuldverhältnis entstehen (s. dazu unten Rn. 120 ff.).

I.Vertragliche Einigung

43§ 311 Abs. 1 stellt die zentrale Vorschrift für die Entstehung eines Schuldverhältnisses aufgrund einer vertraglichen Einigung dar. Danach ist zur Begründung eines Schuldverhältnisses ein Vertrag zwischen regelmäßig zwei Personen erforderlich.

1.Der Grundsatz der Vertragsfreiheit

44Weil durch einen Vertrag regelmäßig jede der beiden Parteien nicht nur Rechte erhält, sondern auch verpflichtet wird, ist von großer Bedeutung, dass niemand gegen seinen Willen zu einem solchen Vertrag gezwungen werden kann.47 Dieser Grundsatz, von dem es nur wenige Ausnahmen gibt, spiegelt sich im Prinzip der Vertragsfreiheit wider.48 Dazu wurde bereits zuvor ausgeführt (oben Rn. 9 ff.).

45Das Gegenteil zur Vertragsfreiheit bildet der Kontrahierungszwang, bei dem eine Partei zum Vertragsschluss gezwungen ist. In verschiedenen Fällen des Ungleichgewichts zwischen den Verhandlungspartnern schützt die Rechtsordnung die schwächere Vertragspartei. Abweichungen von der Freiwilligkeit (s. dazu ab Rn. 58) finden sich zusätzlich dort, wo ein Verbraucher involviert ist (§ 13), der als prinzipiell schwächer angesehen wird als sein Vertragspartner, der Unternehmer, vor allem dann, wenn eine der Parteien der anderen gewisse Vertragsbedingungen vorgibt und aufdrängt, also im Fall sog. allgemeiner Geschäftsbedingungen.49

46Die Reichweite der Vertragsfreiheit erstreckt sich dabei vor allem auf drei Felder: die Abschlussfreiheit, die Inhalts- bzw. Gestaltungsfreiheit sowie die Formfreiheit.

47a) Abschlussfreiheit, aber gewisse Verbote und Gebote. Die erste Ausprägung der Vertragsfreiheit stellt die Abschlussfreiheit dar. Sie sichert dem Einzelnen zu, dass er frei entscheiden kann, ob er überhaupt, und dann, auf einer zweiten Ebene, mit wem er einen Vertrag abschließen möchte. Jeder hat also das Recht, frei zu entscheiden, ob er sich durch eine vertragliche Einigung in ein ihn bindendes Schuldverhältnis begeben möchte.

Beispiel: A denkt über die Art seiner Fortbewegung nach. Die