Schurkisch! - Andrea Freitag - E-Book

Schurkisch! E-Book

Andrea Freitag

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Beschreibung

"Alle Menschen lieben Helden" – aber Hand aufs Herz: Das Spektakel des Schurken, der in unsere Welt einbricht, ist meistens doch viel spannender. Egal in welcher Kultur, egal in welchem Genre: Das Böse existiert und es fasziniert uns. Doch was macht den echten Schurken aus? Besteht seine Daseinsberechtigung nur darin, den Helden besser aussehen zu lassen? Und wie "gut" muss jemand sein, um als Held zu gelten? In "Schurkisch! – Über das Gute und das Böse im Film" untersucht Andrea Freitag die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von strahlenden Helden und düsteren Schurken – und unser Verständnis von Gut und Böse im Film. Insbesondere die Filme "PINOCCHIO", "DER KÖNIG DER LÖWEN", Christopher Nolans Batman-Trilogie, "DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER" und die "NIGHTMARE ON ELM STREET"-Reihe eröffnen einen ganz anderen Blick auf das wahre Gesicht von Schurken und Helden.

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Andrea Freitag

Schurkisch!

Über das Böse und das Gute im Film

Inhalt

Title Page

Impressum

Widmung

1. Vorwort

2. Die Dependenz der Darstellung

2.1 Die Dichotomie von Gut und Böse als Möglichkeit, die Welt zu sehen

2.2 Die Inszenierung des Bösen im Film und die Katharsis

3. Das Böse im animierten Kinder- und Jugendfilm

3.1 Das Ereignis als Heldenkatalysator und die Gesellschaft als Schurke

3.2. Die Versuchung des Bösen

3.3. Der Schurke als Nemesis

Tabelle: Schurken und ihre Schicksale in ausgewählten Disney-Filmen 1937 bis 2005

3.4. Die Geburt der heldenhaften Schurken und schurkenhaften Helden

4. Der Held und der Schurke im Superheldenfilm

4.1. Das Verständnis von Helden und Schurken

4.1.1. Batman

4.1.2. James Gordon

4.1.3. Der Joker

4.1.4. Harvey Dent und Two-Face

4.2. Die Schurken, die Helden und das Ende

5. Das Böse im Horrorfilm

5.1. Der Psychopath im Thriller

5.2. Das Slasher-Monster

5.3. Der Held und das Opfer

5.4. Die Inszenierung und das Ende der Monster

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

Internetquellenverzeichnis:

Abbildungen

Index

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2016 Mühlbeyer FilmbuchverlagInh. Harald MühlbeyerFrankenstraße 21a67227 Frankenthalwww.muehlbeyer-verlag.de

Lektorat, Layout: Harald Mühlbeyer

Umschlagbild: © Nina Lange

Umschlaggestaltung: Steven Löttgers, Löttgers-Design Birkenheide / Harald Mühlbeyer

ISBN:

978-3-945378-34-2 (Epub)

978-3-945378-35-9 (Mobipocket)

978-3-945378-36-6 (PDF)

978-3-945378-33-5 (Print)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Widmung

Für Muddy und Paps, Ninaund die Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf.

1. Vorwort

»Und Gott sah, dass es gut war.«1

Gott sah also, dass »es« gut war. Aber sah er dabei auch das Böse? Und wenn er es nicht gesehen hat, wie kann der Mensch es sehen? Schmecken die Früchte vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen denn allen gleich?

Die Trennung zwischen dem Guten und dem Bösen, zwischen Recht und Unrecht ist etwas, das dem Menschen von seinem Umfeld notwendigerweise von klein auf vermittelt wird. Aber dennoch sind die beiden Diskurse nie eindeutig fassbar.2Ihre Auslegung ist allzu oft situations- und kulturbedingt, sodass man sich fragt: Gibt es bestimmte Handlungen, die ausschließlich böse oder gut sind? Was macht einen echten Helden aus? Und ab wie vielen bösen Taten ist man eigentlich ein Schurke? Die Kategorien Gut und Böse werden häufig als a priori gegebener Teil der Menschheit angesehen, sind aber kulturellen Ursprungs. Über die Zeit wurden vielfältige religiöse, philosophische, psychologische und soziokulturelle Ansichten gesammelt, jedoch kann keiner der formulierten Deutungsansätze eine Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen. Denn wenn eine der bisherigen Deutungen allgemeingültig wäre, so wäre sie jedem Menschen auf der Welt intuitiv verständlich und müsste weder propagiert noch verteidigt werden. Da es aber zahlreiche Deutungsansätze in der Dialektik von Gut und Böse gibt, muss weiter verhandelt werden, um einem vermeintlich allgemein verständlichen Ansatz zumindest nahe zu kommen: Sei es im religiösen Sinne in Form von heiligen Schriften, im kritischen Sinne der Philosophie oder auf die fiktiv-kreative Weise der Literatur.

Die popkulturelle Variante Nummer eins zur Vermittlung eines bestimmten Konzeptes von Gut und Böse ist der Film. Das Aufeinandertreffen von Schurken- und Heldenfiguren und ihr stellvertretend für alles Gute und Böse ausgetragene Kampf verweist nicht nur auf ihre koexistente Beziehung, sondern auch auf das jeweils zugrundeliegende moralische Weltbild. Ganze Generationen von Menschen können so für ein bestimmtes Konzept der Weltansicht begeistert werden. Insbesondere das Fortschreiten der Film- und Tricktechnik ermöglicht eine fantasievolle und eindrückliche Inszenierung, deren Bildgewalt den Inhalt des Films herausfordert.

Je nach Genre und Ziel eines Films gibt es unterschiedliche Heldenfiguren und Gegenspieler, die es zu überwinden oder zu bewundern gilt. Von den mythischen Helden in Legenden und Märchen über Superhelden und ihre Schurken bis hin zu Horrorfilm-Monstern mit Kultstatus: Schurken und Helden sind untrennbar miteinander verbunden.3 Oft ist es erst der Einfluss des Schurken, der den Zuschauer dazu bringt, den Erlebnissen des Helden seine Aufmerksamkeit zu schenken.4 Dabei scheint das Böse insbesondere in fiktionalen Werken durch seine fremde, ungewisse Entität und seine teilweise sogar der Norm bewusst widersprechenden Handlungen einen Reiz auf den Zuschauer auszuüben. Der Reiz des Verbotenen konkurriert in vielerlei Art mit der ehrenvollen Erscheinung des Helden. Der Schurke im Film kann dabei überaus ambivalent erscheinen. Als Unsympath, dessen Bestrafung das Publikum herbeisehnt, als Verführer5, oder aber als Mitleid und Empathie weckende Figur. Insbesondere wenn sich seine Handlungen als nachvollziehbar herausstellen, erscheint der Schurke nicht vollständig böse. »Cinematic evil maintains a kind of double movement, having to be simultaneously repulsive and attractive.«6 Der Verführer verspricht genau das, was andere verbieten. Diese gleichzeitig verführerische, aber auch abstoßende Wirkung ist zentral für die Spannung zwischen den Figuren untereinander und gegenüber dem Zuschauer.

Wie und warum das Böse unabhängig von Genre und Altersfreigabe in so vielen Filmen auftritt und maßgeblich zur Handlung beiträgt, soll im Folgenden untersucht werden. Hierbei lege ich meinen Fokus auf die Darstellung männlicher Schurken in ausgewählten amerikanischen Kinofilmen zwischen 1940 und 2014. Es sei angemerkt, dass ich dabei nicht ausführlich auf den Gender-Aspekt der Darstellung von weiblichen und männlichen Schurken eingehe. Die Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Schurken sind zahlreich und lassen sich meist eher auf kulturelle Gender-Ansichten als auf von Natur aus vorhandene körperliche Voraussetzungen zurückführen. Gewiss werden etliche weibliche Schurken stereotyp auf Schönheit oder Sexualität bzw. ihre körperliche Reproduktionsfähigkeit reduziert7. Insbesondere Figuren wie die femme castratrice, die Vagina Dentata oder der Monstrous Womb8werden als »Archetypen« bezeichnet, obwohl sie nur eine sehr selektive Auswahl darstellen. Jedoch werden männliche Helden und Schurken meist ebenso stereotyp auf einzelne Attribute wie z. B. perfekt trainierte Körper, große Genitale oder wahlweise viele Kinder bzw. Anhänger reduziert. Es fällt also auf, dass die Reduktion auf einzelne körperliche Merkmale sowohl bei Frauen als auch bei Männern vorgenommen wird. Auch ihre Ambitionen sind nicht so unterschiedlich, wie es häufig vermittelt wird. Der Großteil weiblicher Schurken verfolgt ebenso wie männliche Schurken ehrgeizige Ziele wie z. B. politische Macht.9 Als alleinige Heldinnen hingegen sind Frauen selten. Üblicherweise fungieren sie als weibliches Quoten-Mitglied im Team des Helden, es sei denn, sie befinden sich in Action-Filmen wie in Quentin Tarantinos KILL BILL VOL. 1 und 2 (2003 und 2004) selbst auf einem Rachefeldzug. Im märchen-ähnlichen Disneyfilm dienen weibliche Figuren wie Megara aus HERCULES (Ron Clements/John Musker, 1997) meist als zu rettendes Opfer und Anreiz für den Helden.10 Eigenständige Träger der Handlung sind sie nur selten. Dieses Phänomen bedarf jedoch einer weitaus detaillierten Analyse, die nicht an dieser Stelle erfolgen soll.

Erwähnenswert, aber ebenfalls nicht im Fokus ist der Einfluss des filmtechnischen Fortschritts. Gewiss hat die Entwicklung von Techniken wie Motion Capture und 3D-Animationen die Filmwelt und Produktionsmöglichkeiten massiv beeinflusst, dies soll jedoch nicht Teil der vorliegenden Analyse sein. Darüber hinaus wird nicht davon ausgegangen, dass der durch den Regisseur intendierte Ansatz ein anderer ist als der, den der Zuschauer rezipiert. Die multidimensionalen Rezeptionsmöglichkeiten, die in der Individualität jedes einzelnen Menschen begründet sind, ließen eine umfassende Analyse unmöglich werden.

Mein Fokus liegt vielmehr auf der inhaltlichen Gegenüberstellung diverser Darstellungsformen von männlichen Schurken in exemplarisch gewählten, einzelnen Filmen verschiedener Genres, und natürlich auch auf dem Vergleich mit den ihnen gegenübergestellten Helden. Insbesondere die Punkte Gewalttätigkeit, Moral, das Verhältnis zu anderen Figuren und der Exzess als Maßstab werden dabei als Anhaltspunkte dienen.

Dies geschieht intendiert losgelöst vom historischen Kontext, nach dem Filme als gesellschaftliche Verarbeitung von Ereignissen zu sehen sind. Ein ausschließlicher Fokus auf den Einfluss gewisser Ereignisse und die jeweiligen Auswirkungen auf das soziale Umfeld wird der Komplexität des Mediums Film nicht gerecht. Gewiss stellen die in Filmen auftauchenden Figuren und Themen die in ihrer Zeit relevanten Themen dar oder spiegeln besonders einschneidende Ereignisse wider.11 Rick Worland nennt als Beispiel den Vietnamkrieg als geistigen Vater des Body-Count-Genres. Demnach werden in Filmen insbesondere vorherrschende Ängste artikuliert. Unter anderem erreichten die Spionage-Filme einen ersten Höhepunkt im Nachgang zur Offenlegung der Watergate-Affäre 1972. Ereignisse wie der 2. Weltkrieg und technische Meilensteine wie z. B. die Mondlandung 1969 wurden in Filmen mit Nationalsozialismus-Thematik oder Katastrophenfilmen verarbeitet. Die apokalyptischen Katastrophenfilme der 90er Jahre sind auch auf die unmittelbar bevorstehenden Jahrtausendwende und die daraus resultierenden Zukunftsängste beziehbar. Im neuen Jahrtausend sind Terrorismus und Krieg ein bevorzugtes Thema, insbesondere seit den Anschlägen auf das World Trade Center im Jahr 2001. Jedoch ist die rein historische Betrachtung eines Films ebenso wenig umfassend wie ein rein technischer oder genderzentrierter Ansatz.

Interessant ist, dass sich die Arten der Schurken und Helden bei allen historischen Einflüssen nicht chronologisch von gut zu böse oder umgekehrt entwickelt haben. Jede Art von Schurke hat es in jeder Zeit gegeben, insofern ist auch die von mir genutzte Unterteilung nicht als chronologisch zu betrachten. Die Veränderungen in Qualität und Quantität des Schurkentums richten sich vielmehr nach den einzelnen Genres. Da diese jedoch nicht allumfassend dargestellt werden können, werden nur auszugsweise Filme aus den Genres Animationsfilm (mit besonderem Fokus auf abendfüllende Disneyfilme), Superheldenfilm (anhand verschiedener Batmanverfilmungen) und dem Horrorfilm (anhand dem Thriller und Slasher) verglichen. Es wird sich zeigen, dass das Böse in Filmen aller Genres gegenwärtig ist, jedoch in verschiedenen Ausprägungen und mit verschiedenen Intentionen. Die Entscheidung für den Vergleich derartig populärkultureller Genres fiel durch eben diese Eigenart, dass sie, wie Neil Bather formuliert, von der Masse des Volkes konsumiert werden. Ihr Einfluss auf die Gesellschaft lässt sich dadurch mindestens als ebenso signifikant bezeichnen wie der Einfluss der sogenannten Hochkultur.12 Da Filme gleichzeitig Produkte und Teile der Kulturgesellschaft sind, besteht eine wechselseitige Beziehung. Die sich gegenseitig antreibenden Motoren Film und Kultur sorgen für eine stetige Entwicklung des Filmschurken-Diskurses. Gerade die aufgrund begrenzter zeitlicher und finanzieller Mittel bewusst stereotype Darstellung einzelner Handlungsträger, wie z. B. Helden, Opfer, Täter und Nebenfiguren, steht laut Neil Bather immer wieder in der Kritik13, wird von Filmschaffenden jedoch nur allzu selten aufgebrochen. Die Definition von Gut und Böse changiert nicht nur zwischen Film und Realität, sondern auch zwischen und innerhalb der einzelnen Genres: »What is evil in one film may not be evil in another.«14

Dennoch haben die Schurken genreübergreifend viel gemeinsam. Dies liegt unter anderem im kulturellen Austausch begründet, da sich das cineastische Böse stets bereits bekannter Annahmen über das Böse bedienen kann. »Evil can be a symptom of the psychological darkness of the individual soul, or it may be the nature of the world.«15 Wie das Böse auf die Handlung einwirken darf, ist also vom Gesamtkonzept des Filmes abhängig. Mutmaßlich allgemeingültige Faktoren, wie beispielsweise der Einsatz von Gewalt, werden Schurkenfiguren blind zugeschrieben, um sie ohne die Entwicklung einer detaillierten Persönlichkeit zu charakterisieren. Aber betrachtet man den Einsatz von Gewalt im Film einmal genauer, so wird rasch klar: Anhand des Gewalteinsatzes lässt sich keine Einordnung in die Kategorien Gut oder Böse vornehmen. Gewalt ist kein reines Mittel des Schurken, der Held bedient sich ihrer ebenfalls.16 Die moralische Unterscheidung des Gewalteinsatzes erfolgt vielmehr durch die vom Ausübenden verfolgte Intention und den Intensitätsgrad. Die Interpretation, welche Gewalt nun gut und welche böse ist, erfolgt sowohl auf der Leinwand als auch individuell in jedem Zuschauer.17 Das Publikum ist angehalten, den Blick auf die verwerflichen Taten des Antagonisten zu fixieren und ignoriert dabei des Öfteren die Gewalttaten des Protagonisten. Dabei ist es das gewaltige Spektakel des Schurken, das den Zuschauer ins Kino lockt18.

Trotz zahlreicher Filmanalysen und Forschungen im Bereich der Rezeption und Wirkungsweise ist die Erforschung des Bösen und des Schurken weiterhin erschreckend rückschrittig. Zwar existieren einzelne Analysen von Film-Ikonen wie Freddy Krueger aus der NIGHTMARE ON ELM STREET-Reihe(1984 – 2003) oder Scar aus DER KÖNIG DER LÖWEN (THE LION KING, Roger Allers/Rob Minkoff, 1994), eine vergleichende Analyse wurde bisher jedoch nicht unternommen. In entsprechend geringem Maße sind Quellen und mögliche Sekundärliteratur anwendbar, was eine Eigenanalyse insbesondere beim Disneyfilm unvermeidbar macht. Spätestens, wenn der Zuschauer sich fragen muss, wer denn in einem Film eigentlich im Recht ist, wird die Bedeutung der Kategorisierung deutlich. Daher soll die vorliegende vergleichende Analyse einen interdisziplinären Beitrag zur Verortung der Darstellung des Bösen im Film liefern. Dies geschieht bewusst über den Vergleich dreier völlig unterschiedlicher Genres, um eventuelle universelle und individuelle Wirkungsweisen und Faktoren des Bösen aufzeigen und gegenüberstellen zu können.

1 1. Moses 1, 12. Deutsche Bibelgesellschaft: Die Bibel – nach der Übersetzung Martin Luthers. Stuttgart: 1991.

2 Vgl. Neil Bather: There is evil there that does not sleep… The Construction of Evil in American Popular Cinema from 1989 to 2002, 2006 unter: http://researchcommons.waikato.ac.nz/bitstream/handle/10289/2564/thesis.pdf?sequence=2&isAllowed=y (Stand: 01.06.2014), S. 333.

3 Vgl. Orrin E. Klapp: Heroes, Villains and Fools, as Agents of Social Control. In: American Sociological Review, Vol. 19, No. 1, 1954 unter: http://www.jstor.org/stable/pdfplus/2088173.pdf?&acceptTC=true&jpdConfirm=true, (Stand: 24.06.2014), S. 57.

4 Vgl. Bather: Construction of Evil, S. 80.

5 Vgl. Norbert Lennartz: The Bourgeois as a Villain: Representations of Evil in Ninteenth-Century British Fiction. In: Jochen Achilles, Ina Bergmann (Hrsg.): Representations of Evil in Fiction and Film. Trier 2009, S. 77-94, hier: S. 77.

6 Bather: Construction of Evil, S. 171.

7 Z. B. die Alien-Königin in ALIEN – DAS UNHEIMLICHE WESEN AUS EINER FREMDEN WELT (Ridley Scott, 1979) oder Pamela Vorhees in FREITAG DER 13. (Sean D. Cunningham, 1980).

8 Vgl. Barbara Creed: The Monstrous-Feminine. Film, Feminism, Psychoanalysis. New York 1993, S. 7.

9 Z. B. Ursula in ARIELLE DIE MEERJUNGFRAU (THE LITTLE Mermaid, Ron Clements/ John Musker, 1989) oder Izma in EIN KÖNIGREICH FÜR EIN LAMA (THE EMPEROR’S NEW GROOVE, Mark Dinal, 2000).

10 Vgl. Carol J. Clover: Men, Women, and Chainsaws. Gender in the Modern Horror Film. New Jersey 1992, S. 4.

11 Vgl. Rick Worland: The Horror Film. An Introduction. Malden/USA: 2007, S. 231.

12 Vgl. Bather: Construction of Evil, S. 70.

13 Vgl. ebd., S. 27.

14 Ebd., S. 5.

15 Ebd., S. 168.

16 Vgl. Martin Gerstenbräun: Sie haben schon genug? Aber wir sind doch noch unter Spielfilmlänge! Die Gewaltästhetik des Mainstreamfilms und Möglichkeiten des Widerstands. In: Gerhard Scholz, Veronika Schuchter (Hrsg.): Ultima Ratio? – Räume und Zeiten der Gewalt. Würzburg 2013, S 91-100, hier: S. 92.

17 Vgl. Bather: Construction of Evil, S. 222.

18 Vgl. ebd., S. 13f.

2. Die Dependenz der Darstellung

»Aber wann ist ein Held ein wahrer Held?«1

Jedes Genre hat typische Handlungsverläufe und Figuren, die der Hauptfigur begegnen und für sie bestimmte Funktionen erfüllen. Im Heldenepos beispielsweise tauchen Einheimische, weise Zauberer oder Mutterfiguren auf, die den Helden in seiner Aufgabe unterstützen und anleiten können.2 Nur durch sie kann er sein Potential entfalten und zu einem wahren Helden und universalen Menschen werden.3 Mit jedem Helden ist immer auch ein Antagonist, ein Widersacher und Verführer verbunden. Dabei muss es sich nicht unbedingt um eine personifizierte Gestalt handeln, auch Phänomene wie z. B. Naturkatastrophen, ein feindlich gesinntes Umfeld oder Schicksalsschläge können als Antagonisten fungieren. Die Essenz ist: Sobald etwas nicht »gut« ist, muss es »böse« sein.4

Es stellt sich jedoch die Frage, warum der Held nicht aus sich selbst heraus zum Helden werden kann. Warum sind Schurken und Widersacher notwendig, um die Entwicklung des Helden zu katalysieren? Ist der Held nur ein Opfer seiner Umstände? Insbesondere im Superheldenfilm entstehen Superhelden und Superschurken immer wieder in gegenseitigem Einfluss: Wie beispielsweise in Tim Burtons BATMAN(1989), in dem Bruce Wayne (Michael Keaton) ohne die Ermordung seiner Eltern durch den Joker (Jack Nicholson) nie zu Batman geworden wäre, und in dem der Joker seine größten Schurkentaten niemals ohne die Herausforderung Batmans begehen würde. Ein typisches Motiv für Superschurken (die im Gegensatz zu »normalen« Schurken meist über übermenschliche Fähigkeiten verfügen5) ist die persönliche Rache, der der Held sich entziehen muss. Die »Helden« im Horrorfilm haben meist eine weniger persönliche Beziehung zu ihrem Schurken. Der Horrorfilm-Schurke fordert zumindest anfangs nicht speziell den Tod des Protagonisten, sondern tötet alles, was ihm im Weg steht. Helden werden erst die, die das Zusammentreffen mit ihm überleben und ihren Überlebensdrang über ihre Furcht und ihre Vorbehalte stellen. Ohne die Bedrohung durch den sie jagenden Widersacher würden die Protagonisten im Horrorfilm nicht zu gewalttätigen, aber in Notwehr vollzogenen Handlungen fähig sein. Typisch hierfür ist das »Final Girl« als intelligente und üblicherweise sexuell nicht aktive Frau, die schon vor Beginn der Ereignisse etwas abseits der Gruppe steht.6 Eine der ersten Figuren dieses Typs ist Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) aus John Carpenters HALLOWEEN – DIE NACHT DES GRAUENS(HALLOWEEN, 1978), eine Babysitterin, die den Mörder Michael Myers (Tony Moran) ausschalten muss, um selbst zu überleben (hierzu mehr in Kapitel 5 »Das Böse im Horrorfilm«).

Im Disneyfilm wiederum stehen sich der Held und der Schurke zu Beginn meist nahe. Es ist der böse Plan des Schurken, der das Leben des Helden aus dem Gleichgewicht bringt und einen Ausgleich fordert. Scar in Disneys DER KÖNIG DER LÖWEN beispielsweise will selbst König werden, tötet darum den amtierenden König Mufasa und will es ebenso mit seinem Neffen Simba tun, der jedoch fliehen kann. Ohne die Tyrannenherrschaft Scars müsste Simba sich ihm nicht zum Kampf stellen, um das Königreich zurückzuerobern. Seinen »Platz im ewigen Kreis des Lebens« muss man ihm erst streitig machen, damit er sich besinnen und sein wahres Potential als rechtmäßiger König erkennen kann (siehe hierzu Kapitel 3.3 »Der Schurke als Nemesis«).

Die dramaturgische Aufgabe des Schurken ist es also, den Helden möglichst spektakulär mit einer Ausnahmesituation zu konfrontieren. Allein durch die Anwesenheit einer Person, die zum Stereotyp »Schurke« gezählt wird, wird die Geschichte vorangetrieben. Weitere Erklärungen, die nur den Lauf der Geschichte verlangsamen würden, sind nicht notwendig.7Dabei wirkt der Schurke entweder, indem er den Helden in eine ihm unbekannte und daher bedrohliche Situation bringt, oder aber indem er eine nicht mehr verantwortbare Bedrohung für das Allgemeinwohl darstellt. Insbesondere die Bedrohung der gesamten Menschheit, die dann stellvertretend durch einige wenige Individuen gerettet werden muss, ist ein klassischer Handlungsverlauf diverser Filme. Häufig ist der Schurke hierbei selbst eine Personifikation des Hindernisses, das überwunden werden muss. Im Science-Fiction-Film beispielsweise sind die Außerirdischen zugleich die aktiven Gegenspieler und die ungewisse Bedrohung an sich. Ihre Körpergröße, ihre Fähigkeiten, die Stärke ihrer Kampfflotte und ihre Waffen sind überwältigend und übermenschlich. Sie sind das Fremde des Makrokosmos8, des unbekannten da draußen, das Rätsel aufgibt und scheinbar nur positiv wirkt, wenn es vernichtet wird. Im Horrorfilm hingegen wird die Lebenswelt des Protagonisten laut Ursula Vossen auf einen winzigen Mikrokosmos zurückgedrängt, innerhalb dessen Gut und Böse ohne Gesetze neu verhandelt werden.9In diesem Mikrokosmos wird alles auf das instinktive Überleben beschränkt, jeder andere Aspekt des alltäglichen Lebens ist bedeutungslos. Dadurch gewinnen selbst die kleinsten Ereignisse, wie z. B. das Knacken eines Astes im Wald, immens an Bedeutung.

Die Größe und Heldenhaftigkeit des Helden hängt zwar entscheidend von den Taten ab, ist jedoch, wie oben genannt, auch von seiner Position als Protagonist der Geschichte abhängig. Für das alltägliche, normale Überwinden eigener Zweifel oder das bloße Weiterleben nach einem Schicksalsschlag wird niemand zum Helden erklärt. Wenn jedoch das Böse droht, die Menschheit zu vernichten, so scheint dies (im Film) ein ausreichender Grund zu sein, über das alltägliche Verhalten hinauszuwachsen und stellvertretend für das Prinzip des Guten gegen Andere zu kämpfen. Der Held bezwingt eine gefährliche äußere Bedrohung, indem er den Kampf in seinem Inneren gewinnt10, und umgekehrt. Jedoch wäre der cineastische Kampf gegen das Böse im Inneren und Äußeren nicht so anziehend, wenn das Böse nicht auch irgendwie faszinierend, irgendwie gut wäre (»Gut« jedoch nicht im Sinne des Guten, sondern vielmehr synonym für »etwas«, das der Mensch braucht).

Das Böse der eigenen Persönlichkeit auszuleben, oder auch nur damit in aktivem Kontakt zu stehen, ist in einer moralisch geprägten Gesellschaft sanktioniert. Filme bieten die Möglichkeit der Katharsis11, d. h. der Reinigung von diesen »bösen« Einflüssen durch eine winzig kleine Teilhabe daran. Es ist die Faszination, sich mit dem Bösen auseinander zu setzen und daran zu partizipieren, ohne gesellschaftliche Sanktionen befürchten zu müssen, die das cineastische Böse anziehend erscheinen lassen kann. Das gilt jedoch nur bis zum Ende des Kampfes, an dem das Böse zwangsläufig verliert. Aber bis es soweit ist, kann es ein Spektakel seiner moralisch frei erscheinenden Weltsicht entfalten.12

(…) [A]t first sight, evil seems to threaten the symbolic order (before it is eventually hunted down and overcome), but due to its ›pre-censored‹ nature it never stands a chance. The clash with ›pre-censored‹ evil allows for the desired, but at the same time dreaded, encounter with the Other.13

Gewiss ist die Darstellung des Bösen nicht nur vom Genre, sondern auch von der Altersfreigabe abhängig. In Deutschland wird insbesondere durch die FSK (Freiwillige Selbstkontrolle) versucht zu regulieren, wer mit welcher Art von Film und somit auch welcher Art von Gewalt, Sexualität und Bosheit in Kontakt kommt. Kindern und Jugendlichen scheint der Kontakt mit dem Bösen weniger zuzutrauen zu sein als den »erfahrenen« Erwachsenen, die den Balanceakt zwischen moralisch richtigem Urteil und fiktivem Ausleben der eigenen Untiefen bewältigen können. Der Umgang mit einer allzu reizvollen Darstellung des bösen Aktes ist aber immer eine Gratwanderung.

[Es geht] weniger um die Aspekte des Entsetzlichen und Abstoßenden, als vielmehr um die Momente der Attraktion und Faszination. Gemeint ist also jener merkwürdige Umstand, daß das Böse, obwohl offiziell verpönt und insgeheim von niemandem im Ernst für sich selbst als persönliche Erfahrung gewünscht, dennoch in der Lage ist, in unseren Augen eine Anziehungskraft und düstere Schönheit zu entwickeln, die man nicht ohne weiteres vermuten durfte.14

Die Art und Weise, wie dieses Böse bzw. der Schurke im Film inszeniert werden, ob also Potential zur Identifikation gegeben ist oder nicht, macht nicht nur den Reiz des Filmes sondern auch seine moralische Wirkung aus. Nicht alles Böse wird im Film verurteilt, es gibt sogar gerechtfertigte, scheinbar »böse« Handlungen, die nie als solche wahrgenommen werden. Wenn der Held und der Schurke die gleiche, meist gewalttätige Handlung vollziehen, so wird sie sehr unterschiedlich bewertet (siehe hierzu auch Kapitel 3.3 »Der Schurke als Nemesis«).

Der Zuschauer soll sich mit dem Helden identifizieren, jedoch kann er sich der Faszination des Schurken nicht völlig erwehren. Außerdem hat der Zuschauer »oft aufgrund seiner übergeordneten Perspektive und seines anderen Wissens vollkommen andere Gefühle«15 als die Hauptfigur. Inwieweit diese Teilhabe bzw. geteilte Faszination für das Böse eindeutige Auswirkungen auf die moralische Weltsicht des Zuschauers hat, ist Gerhard Hroß zufolge nicht belegbar.Im medialen Kontext werden Musik, Videospiele und insbesondere Horrorfilme trotzdem gerne als Sündenbock für negative reale Ereignisse herangezogen. Amokläufe, wie z. B. an einer High-School in Columbine (USA) im Jahr 1999, werden im Medienjournalismus regelmäßig für ihre angeblich offensichtlichen negative Auswirkungen auf Jugendliche als Ursache angeführt. Jedoch sollte erwähnt sein, dass derartige Taten nicht aufgrund von Motivation oder Frustration durch einen bestimmten Medienkonsum ausgelöst werden, sondern weil schwerwiegende psychische und/oder soziale Probleme zugrunde liegen. Der Konsum gewalttätiger oder gewaltverherrlichender Medien stellt häufig ein Symptom und keine Ursache dar. Das cineastische Böse ist zudem nicht gleichzusetzen mit in der realen Welt als böse wahrgenommenen Ereignissen.

Bruce David Forbes zufolge gibt es drei Grundparadigmen über das Böse im Film: Erstens, das Böse kommt von außen und bedroht eine unschuldige Gemeinschaft16. Die Auseinandersetzung mit diesem ist immer ein Risiko für das eigene Wertesystem und wird daher so lange wie möglich vermieden. Zweitens, Gut und Böse sind dualistisch, ein Mensch ist entweder gut oder böse.17 Dieses Paradigma unterscheidet sich von dem des reellen Bösen. In der Philosophie beispielsweise ist der Mensch weder, wie Jean-Jacques Rousseau sagt, von Natur aus gut, noch, wie Immanuel Kant sagt, durch seine Labilität böse.Im Film kann eine böse Tat allein dadurch gerechtfertigt werden, dass sie von einem Helden begangen wird. So erscheint es positiv, wenn der Held am Ende eines Films den Schurken tötet. Das kleinere Übel, nämlich der Tod des einzelnen Schurken, soll das Leben seiner potentiellen zukünftigen Opfer retten. So wird das Böse durch eine angebliche Notwendigkeit gerechtfertigt. Auch wenn der Held böse Taten begehen muss und so seine Unschuld verliert18, wird er doch gefeiert. Der Held ist das Gute, die Struktur, während der Schurke das Böse, das Chaos ist.19 »The dualistic concept of good and evil is a human invention. In nature there is no good or evil, the notion results from cultural, moral and social attributions.«20

Der Film ist nur einer der Schauplätze für die Inszenierung von Bedeutungskonzepten. Laut Forbes gibt es in der dualistischen Darstellungsweise des Films keine »Grauzonen« oder gar Entwicklungen von bösen Figuren innerhalb eines Films. Im zeitgenössischen Kinofilm aber gibt es auch postmoderne Helden, Schurken und Anti-Helden mit einer Tendenz zum ambivalenten Bösen. Ein Beispiel für den gefallenen Helden ist Harvey Dent alias Two-Face in Christopher Nolans THE DARK KNIGHT (2008, siehe hierzu Kapitel 4.1.4. »Harvey Dent und Two-Face«). Im Kinder- und Jugendgenre werden mit Filmen wie RALPH REICHTS (WRECK-IT RALPH, Rich Moore, 2012) und MEGAMIND (Tom McGrath, 2010) ebenfalls neue Wege eingeschlagen (siehe hierzu Kapitel 3.4. »Die Geburt der heldenhaften Schurken und schurkenhaften Helden«). Gleiches gilt für Horrorfilme wie THE CABIN IN THE WOODS (Drew Goddard, 2012), in dem die obligatorische Entscheidung, sich für die Menschheit zu opfern, alles andere als heldenhaft beantwortet wird. Die Welt wird vernichtet, weil sich niemand für sie opfern will. Die »Guten«, die den Horrorfilm überlebt haben, sind gleichzeitig die »Bösen«, die die Vernichtung der Welt forcieren (siehe hierzu Kapitel 5.3. »Der Held und das Opfer«). Derartige Filme sind jedoch alles andere als genretypisch.

Das dritte Paradigma ist laut Forbes die Annahme, dass erlösende Gewalt tatsächlich eine Lösung darstellt.21 Das heißt, der Held muss durch den Einsatz von Gewalt gegenüber dem Schurken das Gute wiederherstellen und die Welt in reinigender Weise von der Existenz des Schurken befreien. Die frühen Helden hatten gegenüber den frühen Bösen einen entscheidenden Nachteil: Sie mussten sich an Moral und die Gesetze halten, während der Schurke befreit von jeglicher Beeinflussung seine Ziele verfolgen konnte. Die einzige Situation, in der der Held über die freie Wahl der Mittel verfügt, ist der finale Kampf, als Ausnahmesituation und Klimax des Films. In diesem Kampf verfügt der moralische Held über dieselbe Handlungsfreiheit wie der unmoralische Schurke. Und obwohl beide gewalttätig handeln, gibt es einen wesentlichen Unterschied: Die Handlungen des Schurken werden sanktioniert (siehe hierzu auch Kapitel 5.4. »Die Inszenierung und das Ende der Monster«), der Held wird gelobt, egal was er tun muss. Die Zerstörung des Bösen gilt als einzige Möglichkeit, Böses zu verhindern, auch wenn dabei etwas Böses getan werden muss. Dieser Widerspruch kann eben nur durch jene idealisierende Verklärung eines Heldenmythos kompensiert werden. Der Held wird ebenso symbolisch, stereotyp und unrealistisch verklärt wie der Schurke.

Die postmodernen Figuren hingegen haben diese künstliche Symbolhaftigkeit und die damit einhergehende Unantastbarkeit eingebüßt: Schurken werden zu Helden, Helden zu Schurken, scheinbar hat jede Figur plötzlich die Möglichkeit, aus ihrer »Bestimmung« und ihren Stereotypen auszubrechen. Gleichzeitig findet eine Angleichung der sich anfänglich entgegengesetzten Kontrahenten statt. Beispielsweise ist der Einsatz von Gewalt in THE DARK KNIGHTweder für den Joker (Heath Ledger) noch für Batman (Christian Bale) problematisch. Die Öffnung der Stereotype sorgt einerseits dafür, dass Schurken gut werden können, andererseits können nun aber auch die Helden böse werden. Dem Zuschauer stellt sich die bange Frage: Was geschieht, wenn beide Figuren böse werden? Was, wenn sich all diese unberechenbaren Faktoren mit übernatürlichen Kräften gegen meine Weltanschauung wenden? (Der Held müsste hier noch bedrohlicher wirken als der Schurke, da er ja der Stärkere von beiden ist.) Der Zuschauer des postmodernen Kinos kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass am Ende alles gut wird. Die Geschichten finden neue Enden. Inwieweit die Filme dabei eine Entwicklung in der Realität widerspiegeln, oder gar, wie Bather mutmaßt, eine eigene soziale Realität erschaffen22, ist eine genauere Analyse wert. Die Beweggründe derartiger Entwicklungen werden jedoch häufig zugunsten eindeutig gesetzter Bilder und Archetypen hintangestellt.

Evil is not so much constructed by ideological references as by the destruction (or potential destruction) wrought upon the world by evil, reflected by the explosions, the car chases, the inter- and intra-body conflicts, prosthetic make-up effects, and the merest glancing of the eye of the villain.23

Anstatt einer komplexen Handlung, die ausführlich Motive, Personenkonstellationen und soziale Zusammenhänge erläutert, wird ein Spektakel veranstaltet. Autos und Krankenhäuser werden gesprengt, Menschen als Geiseln genommen, gefoltert und auf vielfältige Weise getötet. Die Handlung tritt zunehmend hinter das Spektakel zurück, indem die visuelle Ästhetik bedeutender wird als die Narration.24Die von den einzelnen Figuren vertretenen Ideologien und deren Bedeutungen für den Diskurs sind dabei nur ein Teil der Narration. Umso wichtiger ist es, einen genaueren Blick auf die in diesem Diskurs handelnden Figuren zu werfen.

1 Erzähler in HERCULES; 00:00:31 – 00:00:33.

2 Vgl. Campbell: Heros, S. 70f.

3 Vgl. ebd., S. 25.

4 Vgl. David W. Westfall: Why Nemo Matters – Altruism in American Animation. 2009 unter: http://krex.k-state.edu/dspace/bitstream/handle/2097/1414/DavidWestfall2009.pdf?sequence=1&isAllowed=y, (Stand: 30.04.2014), S. 37.

5 Vgl. Jeff Rovin: The Encyclopedia of Supervillains. New York/Oxford 1987, S. viii.

6 Vgl. Creed: The Monstrous-Feminine, S. 124.

7 Vgl. Bather: Construction of Evil, S. 133.

8 Vgl. Ursula Vossen: Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Filmgenres. Horrorfilm. Stuttgart 2004, S. 13f.

9 Vgl. ebd., S. 13f.

10 Vgl. Campbell: Heros, S. 34.

11 Vgl. Manfred Fuhrmann (Übers./Hrsg.): Aristoteles. Poetik. Stuttgart 1982, S. 109 (3) und 161f.

12 Vgl. Bather: Construction of Evil, S. 13.

13 Kai Hebel, Christiane Mathes: The Subversion of Evil in the Films of David Lynch. In: Jochen Achilles, Ina Bergmann (Hrsg.): Representations of Evil in Fiction and Film. Trier 2009, S. 245-260, hier: S. 248.

14 Doron Kiesel, Martin Rabius: Die Ästhetik des Bösen im Film. In: Rudolf Joos (Hrsg.): Die Ästhetik des Bösen im Film. Arnoldshainer Filmgespräche Bd. 4. Frankfurt am Main 1987, S. 1-3, hier: S. 1.

15 Gerhard Hroß: Escape to Fear. Der Horror des John Carpenter. München 2000, S. 188.

16 Vgl. Bruce David Forbes: Battling the Dark Side: STAR WARS and Popular Understandings of Evil. In: Word & World, Vol. 19, No.4, 1999 unter: https://wordandworld.luthersem.edu/content/pdfs/19-4_God_and_Evil/19-4_Forbes.pdf, (Stand: 20.05.2014), S. 356.

17 Vgl. ebd.

18 Vgl. Bather: Construction of Evil, S. 230.

19 Vgl. ebd. S. 139.

20 Hebel, Mathes: Subversion of Evil, S. 246.

21 Vgl. Forbes: Battling the Dark Side, S. 357.

22 Vgl. Bather: Construction of Evil, S. 70.

23 Ebd., S. 312.

24 Vgl. ebd., S. 219.

2.1 Die Dichotomie von Gut und Böse als Möglichkeit, die Welt zu sehen

»Du hast keine Ahnung, was für das Böse gut ist!«1

Tony Dimnik und Sandra Felton definieren den Helden potentiell als Jedermann: »The Heroic accountant is Everyman: normal people who rise to a challenge or an opportunity to become heroes. These characters are sensitive, caring, sincere, honest, generous, funny and physically attractive.«2Das Gute gilt als der gewünschte Standard, der Held ist die Verkörperung all dessen, was erstrebenswert und sozial angesehen ist. Der Schurke hingegen ist die Antithese zum Helden, er ist das genaue Gegenteil. »Super villains have their roots in the dawn of civilization, when they were created to make ethical statements or simply to create conflict and drama.«3 Schurken vollbringen moralisch falsche Handlungen, die von der Gesellschaft durch Strafe und Missachtung geahndet werden. Schon hier zeigt sich die stetig gegebene Situationsbezogenheit der Definitionen von Gut und Böse. Moral, Ethik und soziale Standards werden gerne als allgemein verständlich oder a priori im Menschen vorhanden vorausgesetzt. Sie sind jedoch keineswegs universell verständlich, es handelt sich vielmehr um kulturell vereinbarte Paradigmen. Sie sollen möglichst allgemeingültig sein und dem in den jeweiligen Bedeutungskontext eingebundenen Individuum so als »natürlich gegeben« erscheinen. Eine Herausforderung dieser Standards stellt dann immer eine Bedrohung für die Weltordnung und Existenz dar. Im Film werden Schurken Dimnik und Felton zufolge auch in ihren Eigenschaften konträr zum Helden definiert:

The Villain scores highest on the Confidence factor and lowest on the Warmth factor. Villains are powerful, hardnosed, assertive individuals, who are insensitive towards others. In contrast to the Hero, this stereotype is characterized as cold, insincere, devious, greedy, uncharitable and impatient.4

Alle negativen Eigenschaften konzentrieren sich in einer Person. »Villainy is, in essence, behavior inspired by values which are inscrutable, aversive or repugnant to us in our more civilized moments of reflection.«5