Schuster und das böse Erwachen - Susanne Lieder - E-Book

Schuster und das böse Erwachen E-Book

Susanne Lieder

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Beschreibung

Eine Prostituierte liegt ertrunken in der Badewanne, wenig später wird eine zweite mit Genickbruch in ihrem Badezimmer gefunden. Beide hatten nach ihrem Tod Geschlechtsverkehr. Ist hier das "Spielchen" eines Freiers aus dem Ruder gelaufen? Aufgrund der DNA-Spuren gibt sich Hauptkommissar Schuster auf der Pressekonferenz zuversichtlich, den Täter bald geschnappt zu haben. Und während Zuhälter Bertie der Kripo die Hölle heiß macht und androht, sich selbst um die Sache zu kümmern, verschwindet Schusters Frau Jana spurlos …

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Kurzbeschreibung

Eine Prostituierte liegt ertrunken in der Badewanne, wenig später wird eine zweite mit Genickbruch in ihrem Badezimmer gefunden. Beide hatten nach ihrem Tod Geschlechtsverkehr.  

Ist hier das „Spielchen“ eines Freiers aus dem Ruder gelaufen? Aufgrund der DNA-Spuren gibt sich Hauptkommissar Schuster auf der Pressekonferenz zuversichtlich, den Täter bald geschnappt zu haben. Und während Zuhälter Bertie der Kripo die Hölle heiß macht und androht, sich selbst um die Sache zu kümmern, verschwindet Schusters Frau Jana spurlos …

Susanne Lieder

Schuster und das böse Erwachen

Kriminalroman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2018 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2018 by Susanne Lieder

Lektorat: Lennart Kolbe

Korrektorat: Tatjana Weichel

Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon, München.

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-128-7

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 1

Freitag, 13. November, kurz vor 23 Uhr

Sie hätte auf ihren Bauch hören und nicht mit dem Kerl in die Wanne steigen sollen. Aber er hatte fünfzig Euro draufgelegt, und sie hatte nichts zu verschenken.

Er hockte ihr gegenüber auf dem Gummistöpsel, seine fleischigen Hände ausgestreckt, die gierig und doch zärtlich ihre Brüste kneteten. Sie überlegte, was sie später noch einkaufen müsste. Servietten, die mit den hübschen lilafarbenen Kreisen, die sie neulich im Supermarkt gesehen hatte. Und Spülmittel, das hatte sie nun schon zweimal vergessen. Sie wurde vergesslich, da biss die Maus keinen Faden ab.

Bruno knetete mit einem seligen Grinsen ihre linke Brust und nahm ihre Brustwarze zwischen zwei Finger. Bruno, nie im Leben hieß der Bursche wirklich so.

„Rutsch mal“, sagte sie zu ihm, drehte den Wasserhahn auf und ließ heißes Wasser zulaufen.

Bruno erhob sich kurz, um den großen Schwamm vom Rand zu nehmen. „Dein Haar ist toll“, murmelte er, während er sie wie ein kleines Kind damit abwusch.

Das alles hatte sie schon hundert Mal und wahrscheinlich öfter gehört. Hatten die Kerle nicht mal was anderes auf Lager?

Er tauchte den Schwamm ein und summte dabei vor sich hin. Dann warf er ihn plötzlich ins Wasser, sodass Schaum aufspritzte, und begann, sie durchzukitzeln. Sie schnappte nach Luft, halb erschrocken, halb verärgert. Sie war schrecklich kitzelig, schon immer gewesen. Mit einer Hand schlug sie nach ihm. „Lass das, Bruno.“

„Ach komm schon, das macht doch Spaß.“

„Dir vielleicht.“

Seine Hände lagen auf ihren Schultern und drückten sie unter Wasser. Weil sie völlig perplex war, versank sie bis zur Nasenspitze im Schaum und kam hustend und prustend wieder hoch. Jetzt schlug sie mit beiden Händen nach ihm. „Hör mal, wenn das ein Spiel sein soll, dann sag mir gefälligst vorher Bescheid“, schnauzte sie ihn an und strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht.

Er sah aus, als würde ihm dieses bescheuerte Spiel wirklich gefallen. Kerle gab’s. Sie hatte schon eine Menge erlebt: Männer, die auf allen vieren vor ihr auf dem Boden rumkrabbelten und auf den nackten Hintern geschlagen werden wollten, andere hatten ihre Pumps und ihren Lippenstift getragen und wieder andere hatten nur stumm neben ihr gelegen und ihre Hand gehalten. Aber das hier war sogar ihr neu.

„Lass uns rübergehen“, schlug sie eher halbherzig vor, weil sie sich nichts weiter wünschte, als dass er seine Klamotten nehmen und abhauen würde.

„Killekille.“ Er kicherte wie ein Mädchen und begann wieder, sie zu kitzeln und unter Wasser zu drücken.

Ein eigenartiges, höchst beunruhigendes Gefühl durchflutete sie: Hatte der Kerl sie vielleicht nicht alle? War er womöglich gefährlich? Also wirklich gefährlich?

Sie bekam es mit der Angst zu tun. Sie wischte sich übers Gesicht und versuchte aufzustehen.

Blitzschnell packte er sie und hielt sie fest. „Nicht weglaufen.“

Sie versuchte ihn wegzustoßen, und als das nicht funktionierte, trat sie nach ihm. Dabei rutschte sie seitlich weg und schlug mit dem Kopf an den Wannenrand.

Er lachte. „Siehst du, das kommt davon, wenn man nicht brav ist.“ Wieder griffen seine wulstigen Finger nach ihr.

Es war verrückt, das hier war doch völlig verrückt! Sie musste träumen. Sie hockte nicht wirklich gerade mit einem durchgeknallten Irren in der Wanne und ließ sich kitzeln und unter Wasser drücken.

Mit beiden Händen schlug sie nach ihm, boxte und trat ihn. Er war verblüffend kräftig, das hätte sie ihm gar nicht zugetraut. Dabei wirkte er eher schmächtig.

„Ich schreie um Hilfe“, fauchte sie ihn an.

„Mach das.“ Er nickte mit ernstem Gesicht. Dann urplötzlich hatte er einen anderen Gesichtsausdruck: aufgebracht, wütend, fast aggressiv. Mit rauer Stimme flüsterte er ihr ins Ohr: „Das tust du besser nicht.“ Dann lachte er wieder. „Ist doch nur Spaß, Carola. Nur Spaß.“

Das Letzte, was sie sah, waren sein grotesk aufgerissener Mund und seine Zungenspitze, die zwischen seinen blässlichen Lippen hervorkam. Scheiße, dachte sie in einem Anflug panischer Angst, verdammte Scheiße, ich komme hier nicht mehr raus …

Lauwarmes, seifiges Wasser schwappte in ihren Mund, ihre Augen und Nase. Hände lagen wie Blei auf ihren Schultern, ihr Herz pochte so heftig, dass es wehtat, ihre Lungen blähten sich auf. Sie schluckte mehr und mehr Wasser und spürte, wie die Kräfte sie verließen. Ihre Arme wurden ungeheuer schwer, und ihre Beine schienen ihr nicht mehr zu gehorchen.

Dann ein entferntes Lachen. Hatte sie selbst gelacht? Würde sie jetzt sterben? Fühlte es sich so an?

Bilder rasten vor ihrem geistigen Auge dahin: Sie als kleines Mädchen bei einem Waldspaziergang mit ihrer Großmutter. Da vorne, das ist ein Fliegenpilz, Mäuschen, siehst du ihn?

Sie mit ihrem ersten Schulranzen. Er war knallrot und roch furchtbar nach Kunststoff.

Sie und Jürgen, ihr erster Freund. Seine Lippen waren immer rau gewesen, und sie hatte ihm irgendwann einen Labello geschenkt. Sie hörte die weiße Plastikkappe klacken.

Sie musste lächeln. So schrecklich war der Tod gar nicht …

Am Morgen darauf in Stuhr-Heiligenrode

Louisa saß am Frühstückstisch, ein aufgeschlagenes Buch vor sich. Sie blickte auf, als Schuster reinkam.

Er hatte geschlafen wie ein Baby und streckte sich gähnend. „Morgen, Tochter. Schon so früh auf?“

„Französisch-Klausur.“

„Ach ja.“ Er setzte sich ihr gegenüber und schenkte sich den restlichen Kaffee aus der French Press ein. „Hast du wenigstens ein bisschen schlafen können?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Einigermaßen. Jonah hat heute Nacht geweint, und ich hab ihn getröstet. Er sagte, ein Monster mit zwei Köpfen sei in seinem Kleiderschrank gewesen. Ich hab nachgesehen, das Monster gepackt und aus dem Fenster geworfen. Jonah war zufrieden und ist gleich wieder eingeschlafen.“

Er trank seinen Kaffee aus. „Normalerweise höre ich, wenn einer der beiden weint. Aber letzte Nacht …“ Er seufzte. „Ich hab geschlafen wie ein Stein.“

Natürlich hatte er das. Und warum? Weil er eine halbe Schlaftablette genommen hatte. Die Nächte zuvor hatte er nämlich miserabel beziehungsweise so gut wie gar nicht schlafen können, und Jana hatte ihm eine Schlaftablette gegeben, damit er endlich zur Ruhe kommen konnte. Er hatte sogar erst die ganze nehmen wollen.

„Die Tablette hat mich total ausgeknockt.“ Er nahm eine Scheibe Brot und bestrich sie mit Butter und Honig.

Während er aß, betrachtete er seine Adoptivtochter. Sie war enorm gewachsen in den letzten Jahren, hatte ihre Mutter längst hinter sich gelassen. Und sie war bildhübsch, hatte die gleichen funkelnden Augen wie ihre Mutter und zog die Nase beim Lachen genauso kraus wie sie. Er hatte sich dabei ertappt, wie er jeden jungen Burschen kritisch beäugte, der ins Haus kam. „Du benimmst dich wie ein klassischer Vater“, hatte Jana gemeint. Sie hatte recht, und so stand er auch weiterhin am Fenster, wenn Louisa nach Hause gebracht wurde, und löcherte sie hinterher mit Fragen, ob der junge Mann auch vernünftig fahren würde. „Am besten, ich mache selbst so schnell wie möglich den Führerschein“, hatte sie irgendwann gesagt. „Wenn du glaubst, dass ich dann nicht die halbe Nacht am Fenster stehe“, hatte er erwidert.

„Guten Morgen, ihr Lieben“, hörte er die Stimme seiner Frau hinter sich.

Sie kannten sich jetzt seit gut acht Jahren, aber er würde wohl bis an sein Lebensende dasitzen und sie anstarren, wenn sie am Morgen aus dem Bett kam. „Heiner Schuster, gleich bleibt dir der Mund offen stehen, und das möchtest du doch wohl nicht.“ Sie schnalzte mit der Zunge, lächelte ihn aber an. „Jonah besteht darauf, in kurzen Hosen in den Kindergarten zu gehen.“

„Hat er schon aus dem Fenster geschaut?“

Es regnete Bindfäden, und ein scheußlicher Wind wehte. Ein typischer Novembertag eben.

Sie nahm eine Scheibe Brot aus dem Korb. „Ja. Dann ziehe ich eben meine neuen Gummistiefel an, hat er gesagt.“ Dabei lispelte sie genauso, wie ihr kleiner Sohn das tat. Er und seine Zwillingsschwester Tilda waren im Mai drei Jahre alt geworden, und jeder von ihnen hatte einen drolligen kleinen Sprachfehler. Während Jonah über jedes „S“ stolperte, mühte seine Schwester sich nach Kräften, das „K“ zu sprechen. Meistens ließ sie es ganz weg, oder aber sie benutzte stattdessen ein „T“. So war aus Herrn Meier eine „Tatze“ geworden.

Der Kater war vor einem knappen Jahr an Altersschwäche gestorben. Schuster hatte ihn unter einem Strauch begraben. Das Tier war ihm unglaublich ans Herz gewachsen, die beiden hatten so viel miteinander erlebt.

„Er ist jetzt im Tatzenhimmel“, hatte Tilda verkündet.

Jonah kam in die Küche und blieb vor seinem Vater stehen. Schuster verkniff sich ein amüsiertes Grinsen. Sein Sohn trug kunterbunte Shorts, dazu einen Rollkragenpulli, lange Kniestrümpfe und Gummistiefel in Regenbogenfarben.

„Sieht das ssön aus, Papi?“

„Das sieht fantastisch aus, Jonah.“ Er hob ihn auf seinen Schoß und strich ihm übers Haar. Es roch nach Vanille. „Aber du wirst furchtbar frieren.“

Der Junge schüttelte energisch den Kopf. „Nachher sseint die Sonne.“

„Unser Sohn wird Meteorologe.“ Seine Frau zwinkerte ihm zu.

„Wenigstens einer, der es mal zu was bringt“, gab er zurück.

Tilda kam ins Zimmer gerannt, sie rannte eigentlich immer, und blieb atemlos vor ihrer Mutter stehen. „Da sitzt eine Tatze.“

„Wo, Schatz?“

„Vor der Tür.“

Jana blickte Schuster verwundert an, dann stand sie auf. „Ich sehe mal nach.“

Jonah bekam ein Marmeladenbrot, und Schuster bestand darauf, dass er beim Essen sitzenblieb, und nicht nebenbei noch ein paar wichtige Dinge wie Playmobil-Figuren und zwei kleine Feuerwehrautos in seine Kindergarten-Tasche packte.

Jana kehrte mit ihrer Tochter zurück. „Da sitzt wirklich ein kleines Kätzchen vor der Tür. Und sie hat mich ganz traurig angesehen.“

Das konnte er sich gut vorstellen. Seine Frau brachte es sogar fertig, Regenwürmer einzusammeln und von Beet zu Beet zu schleppen, während er sich mit dem Umgraben abplagte.

„Sie sieht ganz verhungert aus, Heiner.“

Er verkniff sich ein Grinsen.

„Und nass ist sie auch.“

Er aß einfach weiter.

„Was, wenn sie kein Zuhause hat?“

Er schenkte sich seelenruhig frischen Kaffee nach, den Louisa gerade gekocht hatte.

„Dann wohnt sie bei uns“, sagte Tilda strahlend.

Er konnte seiner kleinen Tochter grundsätzlich nichts abschlagen, und seine Frau wickelte ihn sowieso nach wie vor um den kleinen Finger.

„Heiner Schuster, du sitzt da und scheinst dich nicht im Mindesten für das Schicksal dieser armen kleinen, hungrigen, verwahrlosten und klatschnassen Katze zu scheren. Du solltest dich schämen.“

Er grinste in sich hinein und schwieg.

„Stattdessen sitzt du da und frühstückst in aller Ruhe, während dieses arme Tier vor Kälte schlottert und ihr Magen bis hierher zu hören ist.“

Betont gemächlich stand er auf, bedeutete seinem Sohn sitzenzubleiben und weiterzuessen, und ging zur Haustür.

Ein hellbraun-weiß gestreiftes Kätzchen hockte auf der Fußmatte und sah ihn mit großen Augen an. Dieser Blick bedeutete ganz klar: Wenn du mich mit reinnimmst, werde ich dir das treueste, süßeste und unkomplizierteste Kätzchen sein, das dieser Planet je hatte.

Er kniete sich hin und streckte die Hand aus.

Die Katze erhob sich und schnupperte daran. Langsam kam sie näher und strich um seine Beine. Er entschied, sie mit ins Haus zu nehmen, zu füttern und dann weiterzusehen.

Mit erhobenem Schwanz lief sie vor ihm her und schien sich bestens auszukennen. Sie begab sich geradewegs in die Küche und blieb erwartungsvoll vor dem Tisch sitzen.

„Sie hat ganz besstimmt ssrecklichen Hunger.“ Jonah reichte ihr kurzerhand sein Marmeladenbrot.

„Jonah, seit wann essen Katzen Erdbeermarmeladenbrote?“ Kopfschüttelnd nahm Louisa dem Kätzchen das Brot weg und ging zum Regal, wo noch zwei Dosen von Herrn Meiers Lieblingsfutter standen. Sie gab ein paar Löffel auf eine Untertasse und stellte sie der Katze hin. Die begann sofort gierig und laut schmatzend zu fressen.

„Es ssmeckt ihr.“ Jonah nickte zufrieden, nahm das Marmeladenbrot und biss hinein.

Schuster nahm es ihm hastig aus der Hand. „Ich mache dir ein neues.“

Sein Handy klingelte, und er klemmte es sich zwischen Kinn und Schulter, während er das Brot schmierte.

Es war sein Kollege Lahm. „Wir haben eine Leiche.“

Er hatte vor einem Monat ihre gemeinsame Kollegin Simone Berner geheiratet und würde nächste Woche in die Flitterwochen fliegen.

Schuster bedeutete seiner Frau mit einer ausladenden Geste, dass er sofort losmüsse und sich Schuhe anziehen wolle. Er ging auf den Flur und schlüpfte in ein Paar ausgelatschte Sportschuhe, die er heiß und innig liebte und bereits zweimal wieder aus der Mülltonne gefischt hatte. „Ich bin schon fast auf dem Weg. Wo ist die …“ Aus den Augenwinkeln sah er seinen Sohn näher kommen. „Ähm … du weißt schon.“

„Im Viertel.“ Lahm nannte ihm die Adresse.

„Gut. Bin in einer halben Stunde da, wenn alles gutgeht.“

Was bedeutete, dass es durchaus auch mal eine gute Dreiviertelstunde dauern konnte, wenn entsprechend viel los war auf den Straßen.

Er eilte in die Küche, wo seine Frau einen Stapel Brote für den Kindergarten und die Schule zubereitete, und gab ihr einen Kuss aufs Haar. „Bis heute Abend.“

„Eine Leiche?“, flüsterte sie, und er nickte.

„Was geschieht jetzt mit der Katze?“, raunte sie. „Ich werde sie nicht vor die Tür setzen“, fügte sie gleich noch hinzu.

„Dachte ich mir.“ Er nickte in Richtung Einkaufskorb, der neben dem Regal stand, und in dem es sich die kleine Katze bereits gemütlich gemacht hatte. „Sie scheint sich bei uns wohlzufühlen.“

„Dann hättest du nichts dagegen, wenn sie …“

Er schaute sie streng an. „Wofür hältst du mich? Für einen Kerl, der niedliche kleine Katzen im November vor die Tür setzt?“

Kapitel 2

Im Viertel

Lahm wartete vor dem mehrstöckigen, frisch gestrichenen Haus.

Schuster parkte seinen dunklen Kombi direkt davor, wobei er halb auf dem Gehsteig stand.

Sie liefen zwei Treppen hoch und blieben vor einer geöffneten Tür stehen. Dort begrüßten sie zwei Kollegen, die in weißen Overalls auf dem engen Flur standen, und schoben sich an ihnen vorbei.

„Wo ist die Leiche?“, wollte Schuster wissen.

„Im Bad“, rief irgendwer.

Carsten Stello, der Rechtsmediziner, kam aus der Tür. „Meine Herren.“ Er drosch erst Schuster, dann Lahm auf die Schulter. „Sie liegt in der Badewanne.“

„Wissen wir schon mehr?“, fragte Lahm ihn.

„Nicht viel.“ Er deutete nach rechts. „Aber seht selbst.“

Schuster folgte seinen Kollegen in das weiß gekachelte Bad. In der Ecke stand eine Badewanne, etwa halb voll mit Wasser, darin lag eine Frau, deren Alter er nicht auf Anhieb schätzen konnte. Ihr rötliches, langes Haar war halb um ihren Kopf gewickelt, der leicht nach hinten gebeugt war. Sie trug knallroten, verschmierten Lippenstift, ihr Mund stand offen. Etwas Eigenartiges, Weißes klebte ihr am Mundwinkel. Schaum? Erbrochenes?

Lahm ging näher heran, um sie zu betrachten. „Wissen wir schon, wer sie ist?“

„Carola Langen, zweiundvierzig. Sie arbeitete als Prostituierte“, sagte Kuhn hinter ihnen.

Schuster drehte sich zu ihm um. „Moritz. Sag bloß, du warst vor uns da? Und was haben wir sonst? Irgendwelche Einbruchspuren?“

Er schüttelte den Kopf, zwängte sich an Schuster vorbei und kniete sich neben die Badewanne. Er zeigte erst auf den Mund der Frau, dann auf ihren Oberkörper. „Sperma.“

„Wie Sperma?“, fragte Schuster.

„Sie hat Sperma im Mund, an den Lippen, der Nase, sogar auf dem Kopf.“

Lahm stellte sich neben Schuster. „Also ein Freier, der übers Ziel hinausgeschossen ist?“

„Möglich wär’s.“

Die Wohnung sah nicht so aus, als sei sie nach irgendetwas durchsucht worden. Einen Raubüberfall konnte man also offenbar ausschließen.

„Kannst du uns schon ungefähr sagen, wie lange sie tot ist, Doc?“, fragte Schuster.

„Ich denke, zwischen acht und zehn Stunden.“

Lahm sah auf seine Armbanduhr. „Dann muss es zwischen dreiundzwanzig und ein Uhr nachts passiert sein. Keine Spuren von äußerer Gewalteinwirkung?“

Die rosafarbenen Brustwarzen der Frau hoben sich auf eine skurrile Weise ab und leuchteten im trüben Wasser.

Der Doc zeigte auf den bleichen Oberkörper der Toten. „Seht ihr das?“

Schuster trat näher und nickte. „Hämatome.“

„Hat sie sonst noch irgendwo Sperma?“, fragte Lahm.

„Im vaginalen Bereich, meinst du? Das kann ich euch erst später sagen. Oder dachtest du, ich hab sie schon mal eben aus der Wanne gehievt, nachgesehen und anschließend wieder ins Wasser gesetzt?“ Stello streifte seine Handschuhe ab und ging zur Tür. „Genaueres heute Nachmittag. Frühestens.“ Er ging hinaus.

„Wer hat sie eigentlich gefunden?“, fragte Schuster.

„Ihre Freundin Sonja. Sitzt in der Küche und heult“, sagte Kuhn.

„Hast du schon mit ihr gesprochen?“

Er nickte. „Viel hab ich nicht rausgekriegt. Erst musste sie kotzen, dann hat sie geheult.“

„Hat sie einen Schlüssel zur Wohnung?“, wollte Lahm wissen, der sich wieder neben die tote Frau gekniet hatte.

„Nein, sie hat geklingelt, und Carola Langen brauchte etwas, um aufzumachen. Natürlich hat sie einen Schlüssel, wie sollte sie sonst reinkommen?“

Lahm drehte sich zu Kuhn um. „Seitdem du auf diesem blöden Lehrgang warst, wirst du täglich unverschämter.“

Kuhn deutete eine Verbeugung an. „Und seitdem du verheiratet bist, wirst du gedanklich täglich träger.“

Lahm grinste, erwiderte aber nichts. Er zog Handschuhe an und nahm vorsichtig eine Hand der toten Frau. „Keine Kratzer, nichts.“ Als er sich wieder erhob, knackten seine Knie.

Schuster seufzte kopfschüttelnd. „Lasst uns sehen, ob es Zeugen gibt. Hier wohnen sechs Parteien, wenn ich nicht irre. Irgendwer wird was mitgekriegt haben.“

Marlene Koslowski, die direkt über der toten Carola wohnte, zuckte nur mit den Schultern. „Was glauben Sie, wer hier alles ein- und ausgeht, Herr Kommissar!“ Sie blickte Schuster und Lahm abschätzig an. „Frau Langen war ’ne Öffentliche, das wissen Sie doch sicher längst. Da haben sich die Kerle die Klinke in die Hand gegeben.“ Sie betrachtete ihre hellrot lackierten Fingernägel und hustete.

Raucherhusten, ging Schuster durch den Kopf.

„Frau Koslowski“, er schenkte ihr ein freundliches Lächeln, „was war Frau Langen für ein Mensch? Sie haben sie doch sicher gekannt.“

„Gekannt.“ Sie schnaubte. „Was heißt schon gekannt? Sie hat unter mir gewohnt, mehr nicht. Manchmal hat sie zu laut Musik gehört, dann bin ich runter und hab an die Tür geklopft. Sie hat immer gleich wieder leiser gemacht.“

„Wissen Sie, ob hier im Haus noch mehr …“

Weiter kam Lahm nicht, denn Marlene Koslowski schoss vor und funkelte ihn wütend an. „Noch mehr Öffentliche arbeiten, wollten Sie sagen? Nein. Eine war schon schlimm genug. Wir sind ein anständiges Haus.“

„Na klar.“ Er war einen Schritt zurückgetreten. „Ist Ihnen nie was aufgefallen, ein Mann, der Ihnen komisch vorkam, oder vielleicht gab es Männer, die regelmäßig kamen?“ Bei dem letzten Wort stutzte er und räusperte sich dann.

Schuster versuchte, sein Grinsen zu verbergen.

„Ich gehe davon aus, dass die Männer regelmäßig kamen, Herr Kommissar“, erwiderte sie ungerührt und ohne ihn aus den Augen zu lassen.

„Es gab aber keinen … ähm, Freund oder so was?“

„Kennen Sie ’nen Kerl, der so ein Lotterleben seiner Freundin ertragen würde, Herr Kommissar?“

„Persönlich nicht.“

„Sehen Sie.“

Die Befragung war in dem Moment beendet, als sie ihnen die Tür vor der Nase zuknallte und so scheußlich hustete, dass Schuster das Gesicht verzog.

„Danke fürs Gespräch“, knurrte Lahm und wandte sich ab.

Kuhn, der die Bewohner auf der unteren Etage befragt hatte, kam die Treppe hoch, seinen Notizblock in der Hand.

„Nichts, rein gar nichts.“ Er verdrehte die Augen. „Männer tauchen hier dauernd auf, aber niemandem ist irgendwas aufgefallen.“

„Erst mal sollten wir rausfinden, ob Carola Langen auf eigene Rechnung gearbeitet hat. Wenn sie nämlich …“

Die Haustür wurde aufgestoßen, und ein breitschultriger Mann in hellem Lederblouson und schwarzer Stoffhose mit Bügelfalte kam die Treppe hoch. Er trug eine Art Herrenhandtasche bei sich, wie Schuster amüsiert feststellte. Vielleicht ein Versicherungsvertreter. Als er vor ihnen stand, sagte er mit einer Stimme, die so gar nicht zu ihm passen wollte: „Unten steht überall die Bullerei rum. Is’ was passiert?“

„Erst mal interessiert mich, wer Sie sind.“

„Wieso?“

„Weil ich von Natur aus neugierig bin. Also?“

„Berti. Berti Bauer. Und wer sind Sie, wenn ich mal so dreist fragen darf?“

„Hauptkommissar Schuster, Kripo Bremen.“ Er zeigte ihm seinen Ausweis.

„Ach du Kacke. Is’ was mit Carola?“

Schuster hätte wetten können, dass er sich den Namen gerade ausgedacht hatte. Kein Mensch hieß Berti Bauer, außer vielleicht eine Figur bei Benjamin Blümchen. „Kann ich bitte Ihren Ausweis sehen?“

„Klar.“ Der Mann zückte seinen Ausweis und hielt ihn Schuster unter die Nase. Und tatsächlich, da stand: Berthold Bauer. Dieser Name wollte genauso wenig zu dem Mann passen wie seine helle Fistelstimme. „Alle sagen Berti“, erklärte er. „Was is’ denn jetzt mit Carola?“

„In welchem Verhältnis stehen Sie zu ihr, Herr Bauer?“

Er trat einen Schritt näher. „Ich bin ihr Beschützer, wenn Sie so wollen. Und heute is’ Zahltag.“

„Ach, dann bezahlt sie dafür, dass Sie sie beschützen?“, fragte Lahm ihn.

„Umsonst ist der Tod. Kann ich jetzt zu ihr?“

„Nein.“

„Und wieso nicht?“

„Carola Langen wurde heute früh tot aufgefunden, Herr Bauer“, erklärte Schuster ihm.

Er hielt sich am Treppengeländer fest. „Das is’ … Sie machen Witze.“

„Leider nein.“

„Aber was … wie …?“

Carolas Tod schien ihn umzuhauen, das war mehr als deutlich zu sehen. Er nahm die Sonnenbrille ab und kaute auf dem Bügel herum. Dann schob er sie aufs schüttere, hellblonde Haar, nahm sie gleich darauf wieder ab und steckte sie in die Jackentasche. „Carola ist also tot“, murmelte er. „Und wie? Ich meine, wie ist sie umgekommen? Ich wette, sie hat wieder zu viel von diesen Scheißpillen gefressen.“

„Was für Pillen?“, wollte Schuster wissen.

„Keine Ahnung, Pillen eben. So welche, von denen man besser pennt. Carola konnte schlecht schlafen in der letzten Zeit.“

Schuster nickte. Das kam ihm bekannt vor. „Wurden die Tabletten von einem Arzt verschrieben?“

„Keine Ahnung. Ich glaub schon.“ Seine Hand war noch immer um das Geländer gekrallt. „Kann ich sie noch mal sehen?“

„Erst mal nicht. Gibt es Angehörige, Herr Bauer?“

„Ich bin nicht verheiratet, falls Sie das meinen. Und meine Eltern …“

„Ich meinte Angehörige von Frau Langen.“

„Ach so.“ Er kratzte sich am Kopf. „Nee, soweit ich weiß, nich’. Ich hab nur dich, Berti, hat sie immer gesagt.“ Er schlug sich mit der Faust an die Stirn. „Mann, dauernd hab ich gesagt, hör auf, diese Scheißpillen zu fressen, Carola, die sind nich’ gut für dich.“ Er ließ das Treppengeländer los. „Kann ich jetzt gehen?“

„Wo waren Sie gestern Abend zwischen elf und ein Uhr nachts?“

„Warum wollen Sie das wissen?“

„Ich sagte doch, ich bin von Natur aus neugierig“, sagte Schuster.

„Lassen Sie mich überlegen … gestern Abend … da war ich mit Muschi im Jacuzzi.“

„Was ist das denn?“, fragte Schuster verblüfft.

„Eine Art Whirlpool“, erklärte Lahm ihm. „Das kann diese … Muschi bezeugen?“

Bauer nickte. „Klar. Muschi ist meine Freundin. Eigentlich heißt sie Muriel, aber wer heißt schon Muriel?“

„Sie können dann erst mal gehen, halten Sie sich zur Verfügung, Herr Bauer.“

Er tippte sich an die Stirn, lief die Treppe hinunter, rutschte auf der untersten Stufe aus und verlor dabei seine Handtasche. Hastig hob er sie auf und knallte die Haustür hinter sich zu.

„Und wir?“, fragte Kuhn Schuster.

„Wir sehen mal, ob wir jetzt mit Sonja sprechen können.“

Kapitel 3

Sie konnten. Wenigstens einigermaßen.

Sonja Nasic war Carolas beste Freundin gewesen, die beiden hatten sich seit über zwanzig Jahren gekannt. Sie war noch immer vollkommen aufgelöst, heulte, schluchzte, stöhnte auf, fluchte und heulte wieder. Sie war etwas älter als Carola Langen, vermutete Schuster, hatte genauso rotes Haar, das zu einer Art Bienenkorb aufgetürmt war. Sie trug einen schwarzen, sehr engen Rock und eine buntgeblümte Bluse, deren Ausschnitt vermutlich so manchen Mann ins Schwitzen bringen würde.

„War das einer ihrer Freier?“, zischte sie, nachdem Schuster ihr ein weiteres Taschentuch gegeben hatte.

„Wir wissen noch viel zu wenig, um …“

„Ich hab immer Angst gehabt, dass irgendwann mal einer kommt und …“ Sie verstummte.

„Wir haben mit Berti Bauer gesprochen, und er …“

„Berti“, schnaubte sie verächtlich, „der soll bloß seine dämliche Klappe halten. Nix hat er für Carola getan, gar nix, nur zahlen sollte sie. Lästige Kerle, solche, die Sachen von ihr wollten, die sie nicht wollte, darum hätte er sich kümmern sollen!“

„Warum hat Carola nicht auf eigene Rechnung gearbeitet?“, fragte Kuhn. Mittlerweile ließ Schuster seinem jüngeren Kollegen vollkommen freie Hand, auch bei Verhören. Kuhn hatte meistens ein viel besseres Händchen als er selbst, das hatte er sich längst neidlos eingestehen müssen. Und Kuhn hörte zwischen den Zeilen. Auch etwas, das er selbst nicht halb so gut beherrschte. Außerdem war sein Kollege nach wie vor ehrgeizig und ließ sich bereitwillig zu jedem Seminar, jedem Lehrgang schicken, ohne sich zu beklagen. Im Erstellen eines Täterprofils war er ebenfalls immer noch ungeschlagen.

„Weil sie Schiss vor Berti hatte, deshalb.“

„Dann hätte er sie nicht einfach so freigegeben?“

„Sie haben es erraten, Herr Kommissar.“ Sonja Nasic musterte Kuhn ausgiebig, ihr Blick blieb an seinem blonden Haar hängen, und sie lächelte versonnen. „Sie sind verdammt hübsch, wissen Sie das?“

„Vielen Dank.“

Schuster wusste, dass seinen Kollegen so etwas nur noch selten aus der Fassung brachte. Viel zu oft hatte er sich schon anhören müssen, wie niedlich, drollig oder hübsch er sei und was für schöne Augen und wundervolles Haar er doch habe. Frauen waren da enorm einfallsreich.

„Frau Nasic, gab es einen Mann in Carolas Leben? Sie wissen schon, einen Freund.“

„Nein.“

„Sind Sie ganz sicher?“

„Ich bin ihre beste Freundin, Herr Kommissar.“ Sie hielt inne, dann schluchzte sie laut auf. „Ich war ihre beste Freundin. Wie furchtbar!“

Kuhn gab ihr ein frisches Taschentuch. Schusters Packung war längst leer. „Und Angehörige? Was ist mit Eltern, Geschwistern?“

„Ihre Eltern sind lange tot, und Geschwister … Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Sie hatte nur mich.“

„Und Berti“, fügte Lahm leise hinzu.

Sonja funkelte ihn aufgebracht an. „Berti! Pah! Dem werde ich was erzählen!“

„Sie haben offenbar keine Angst vor ihm“, meinte Kuhn und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.

„Ich hab vor nichts und niemandem Angst, Herr Kommissar. Wie heißen Sie mit Vornamen?“

„Moritz.“

„Moritz. Wie niedlich! Wie der von Max und Moritz.“

„Ja, ich …“

„Aber Sie sind viel hübscher.“

„Danke. Hat Carola mit Ihnen über ihren … Beruf gesprochen?“

Sie nickte und griff nach einem weiteren Taschentuch. „Lange mache ich das nicht mehr, Sonja, hat sie erst letzte Woche zu mir gesagt.“

„Wissen Sie, ob es einen Grund dafür gab? War irgendwas passiert, weswegen sie aufhören wollte?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich nicht. Gesagt hat sie nichts, nur, dass sie die Schnauze voll hatte.“

„Aber sie hat mit Ihnen über die Männer gesprochen, die herkamen?“

„Manchmal.“

„Wohnen Sie hier in der Nähe?“

Wieder nickte sie und zeigte nach rechts. „Drei Häuser weiter.“

„Und was machen Sie beruflich?“

Sie hob den Kopf und sah ihn herausfordernd, fast schon trotzig an. „Ich arbeite nicht als Prostituierte, falls Sie das meinen, Herr Kommissar. Ich hab einen kleinen Tabakwarenladen ein paar Straßen weiter.“

„Es ist wirklich wichtig, dass Sie uns weiterhelfen, Frau Nasic. Sie können helfen, den Tod Ihrer Freundin aufzuklären.“

Sie reckte das Kinn. „Das werde ich.“ Dann sackte sie wieder in sich zusammen. „Aber erst brauch’ ich einen Kaffee. Und was zu essen. Mir ist das total auf den Magen geschlagen.“

Rechtsmedizin

Einige Stunden später waren Schuster und Kuhn beim Doc.

„Sie hat eine Perücke getragen?“, fragte Schuster verblüfft, als er die tote Frau sah, die auf dem Metalltisch lag.

Carola Langen wirkte plötzlich wie eine brave Hausfrau, die sich nicht allzu viel aus ihrem Äußeren gemacht hatte. Sie sah fast bieder aus.

Der Doc nickte und zeigte nach rechts, wo die rote Langhaarperücke lag. Dann deutete er auf die Schultern und den Oberkörper der Toten. „Sehr wahrscheinlich wurde sie unter Wasser gedrückt. Ich habe in ihrer Lunge etwas von dem Wasser gefunden, in dem sie aufgefunden wurde.“

„Gibt es Abwehrverletzungen?“, wollte Schuster wissen.

„Nein.“

„Aber sie wird sich doch gewehrt haben“, sagte Schuster mehr zu sich selbst.

„Oder vielleicht war es eine Art Spiel“, meinte Kuhn nachdenklich. „Wir hatten doch mal einen Fall, wo sich ein Paar gegenseitig die Luft bis kurz vor der Ohnmacht abgedrückt hatte. Das hatte sie so richtig angemacht.“

Der Doc zuckte mit den Schultern. „Es gibt noch ganz andere Spielchen. Ihr wisst doch, die Psyche eines Menschen ist unergründlich.“

„Das Spiel, wenn wir es mal so nennen wollen, hat also einfach einen blöden Verlauf genommen? Den Tod der armen Frau nämlich? Komm schon, das glaubst du nicht im Ernst.“

„Die Frau war eine Prostituierte, Heiner“, sagte Kuhn, „die müssen sich eine ganze Menge gefallen lassen.“

„Dazu gehört doch wohl kaum, dass sie nur mit viel Glück am Leben bleiben, Moritz.“

Die beiden sahen sich einen Moment lang betreten an, dann seufzte Schuster. Er sagte aber nichts.

„In ihrer Mundhöhle hab ich Sperma gefunden. Das könnte darauf hindeuten, dass er sie nach ihrem Tod … ihr wisst schon. Ansonsten hätte sie auch im Magen Sperma gehabt. Vielleicht war das Ganze ein tragischer Unfall“, meinte Stello und nahm seine Brille ab, um sie an seinem Kittel sauberzumachen. „Ihr Spiel ist einfach aus dem Ruder gelaufen.“

„Und er wollte nicht abwarten, bis wir kommen und unangenehme Fragen stellen.“

Kuhn verzog das Gesicht. „Und als sie tot war, hat er sie … das ist echt krank!“

Schuster seufzte erneut und schüttelte den Kopf. „Hatte sie Geschlechtsverkehr vor ihrem Tod?“

Der Doc steckte seine Brille in die Brusttasche seines Kittels. „Ich konnte nichts nachweisen. Nur, wie schon gesagt, Sperma in Mundhöhle, Nase und Haar. Den Laborbericht bekommt ihr morgen.“

Schuster gab seinem jungen Kollegen ein Zeichen und ging in Richtung Tür. „Danke, Doc.“

Als sie zurück im Präsidium waren, kam ihnen im Flur Lahm entgegen. Er blieb vor ihnen stehen.

„Ich mach dann Feierabend.“ Er kratzte sich am Kopf. „Ist schon ein komisches Gefühl. Morgen um diese Zeit liege ich mit meiner Frau am Pool, schlürfe einen Cocktail und lasse mir die Sonne auf den Bauch scheinen.“

Schuster klopfte ihm auf die Schulter. „Schöne Flitterwochen.“

„Von mir auch.“ Kuhn grinste vielsagend, weil die Tür zum Treppenhaus aufging und Simone Berner, die jetzt Lahm hieß, strahlend auf sie zueilte. „Da ist ja deine Angetraute.“

„Ich wollte dich abholen“, begrüßte sie ihren Mann und wurde gleich darauf ernst. „Hab gehört, dass ihr eine tote Prostituierte im Viertel habt.“