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Was haben ein Macho, ein Stalker und ein Kontrollfreak gemeinsam? Katja, Rita und Anna müssen viel Demütigung ertragen und haben die Nase gestrichen voll. Aus einem zufälligen Treffen entwickelt sich eine innige Freundschaft und die Erkenntnis, dass es selbst aus den verzwicktesten Situationen immer einen Ausweg gibt. Und manchmal ist das Schicksal ein echter Kumpel und spielt allen dreien in die Hände …
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Seitenzahl: 269
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Kurzbeschreibung:
Was haben ein Macho, ein Stalker und ein Kontrollfreak gemeinsam?
Katja, Rita und Anna müssen viel Demütigung ertragen und haben die Nase gestrichen voll. Aus einem zufälligen Treffen entwickelt sich eine innige Freundschaft und die Erkenntnis, dass es selbst aus den verzwicktesten Situationen immer einen Ausweg gibt.
Susanne Lieder
Abends bei Clark’s
Roman
Edel Elements
Edel Elements
Ein Verlag der Edel Germany GmbH
© 2017 Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg
www.edel.com
Copyright © 2017 by Susanne Lieder
Covergestaltung: Marie Wölk, Wolkenart
Lektorat: Lennart Kolbe
Korrektorat: Martha Wilhelm
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.
ISBN: 978-3-95530-966-4
www.facebook.com/EdelElements/
www.edelelements.de/
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
Frauen töten ihre Männer,
Mittwoch, 22. August
Katja
Zu Katjas Füßen lag ihr Mann. Kreidebleich, blutend, tot.
Mausetot.
So manches Mal hatte sie sich gewünscht, ihn tot am Boden liegen zu sehen, doch jetzt wurde ihr angst und bange. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was sie tun sollte.
Die Polizei anrufen und sagen: Mein Mann ist überfallen worden. Ich bin gerade erst nach Hause gekommen und habe ihn tot in der Wohnung gefunden?
Nein, das würde nur Probleme geben. Sie müsste einen Einbruch vortäuschen, und als leidenschaftliche Krimi-Liebhaberin wusste sie, dass das verdammt heikel wäre.
Nein, sie musste sich etwas anderes einfallen lassen.
Martina! Ihre älteste und beste Freundin wusste immer, was man in vertrackten Situationen tun musste.
Sie nahm ihr Handy vom Tisch. „Martina, ich bin’s.“
„Katja, wie schön! Ist das nicht ein herrlicher Tag heute? Ein Tag zum Forellenüberfahren, stimmt’s oder hab ich recht?“
Katja druckste ein wenig herum. „Mir ist da was ganz Blödes passiert. Kannst du herkommen?“
„Das passt mir gerade ganz schlecht.“
„Es geht um Leben und Tod. Na ja, mehr um Tod. Es ist wegen Ulf.“
„Was ist mit ihm?“
„Er ist tot.“
Martina schloss sie kurz darauf in die Arme und wiegte sie wie ein Kind. „Ach Mensch, Katja. Du Arme.“
Katja wollte ihr alles erklären, doch bevor sie ansetzen konnte, ging Martina energischen Schrittes an ihr vorbei und begutachtete den am Boden liegenden und am Kopf blutenden Ulf.
„Meine Güte. Wie ist das denn passiert?“
„Ich … ich hab ihn mit dem Kerzenständer dort erwischt.“ Katja wies hinter sich. Dort stand ein schmiedeeiserner Kerzenständer, die weiße, halb heruntergebrannte Kerze lag daneben. Am oberen Ende des Leuchters war etwas Blut zu sehen, aber nur wenn man nahe genug davorstand. „Wir haben furchtbar gestritten. Ich hab ihm gesagt, dass ich längst weiß, dass er mich betrügt. Wieder mal. Das hat doch überhaupt nichts zu bedeuten, Katja, hat er gefaselt. Ich war stinksauer. Und irgendwie hab ich den Kerzenständer in die Hände bekommen und dann … tja …“ Sie seufzte und zeigte auf Ulf.
Martina schwieg, sie sah sehr nachdenklich aus.
„Hab ich ihn erschlagen?“ Katja ahnte, dass es nicht gut für sie aussah.
Für Ulf auch nicht.
„Scheint so. Hätte ich dir nie zugetraut.“ Hatte Martina beeindruckt geklungen?
„Was soll ich denn jetzt bloß machen, Martina?“
Martina dachte offenbar noch immer nach. Dabei lief sie durchs Wohnzimmer bis zum Fenster und wieder zurück. Dann blieb sie abrupt stehen und sah Katja mit einem listigen Grinsen an. „Erst mal müssen wir ihn von hier wegschaffen.“ Sie tätschelte Katjas Arm. „Wir wickeln ihn in irgendwas ein. Und dann packen wir ihn in den Kofferraum.“
Wie stellte sie sich das vor? Ulf war ziemlich groß und nicht gerade ein Fliegengewicht.
Ihre Freundin krempelte die Ärmel hoch. „Wir machen es mit der klassischen Teppichmethode.“ Sie ging zu dem flauschigen, hellen Teppich, den Katja vor Jahren für verteufelt viel Geld erstanden hatte. „Wir werden ihn ruinieren. Das viele Blut …“, gab sie zu bedenken.
Aber Martina hatte ihn bereits aufgerollt. Dabei keuchte sie. „Komm, hilf mir mal.“
Gemeinsam versuchten sie Ulf hochzuheben, wobei Katja an seinem Kopf stand und Martina an seinen Beinen.
„Meine Güte, ist der schwer.“ Martina pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Sie ächzten und schnauften, als etwas Seltsames geschah: Ulfs Augenlider zuckten. Zunächst meinte Katja, sie habe sich das nur eingebildet, doch dann öffnete er erst das rechte Auge und schließlich das linke.
Gellend schrie sie auf: „Ulf!“
„Sagtest du nicht, dass er tot ist?“, zischte Martina.
Sie hörte sich erneut aufschreien.
Zwei Arme griffen nach ihr und hielten sie fest. Eine Stimme, die beruhigend auf sie einredete. „Schsch. Was ist denn los, Katja?“
Sie schlug nach der Hand. „Lass mich …“
Vorsichtig öffnete sie die Augen. Sie hatte geträumt. Ein Albtraum. Ulf saß neben ihr, die Bettdecke halb zurückgeschlagen, und starrte sie entgeistert an. „Du hast laut geschrien.“
„Ich hab schlecht geträumt.“
„War jemand hinter dir her?“
„So ungefähr.“ Sollte sie ihm sagen, dass sie ihn im Traum mit einem Kerzenständer erschlagen hatte?
Und es war nicht das erste Mal, dass sie ihn im Schlaf ermordet hatte. In einem dieser Träume hatte sie ihn mit einem dicken lilafarbenen Sofakissen erstickt. Das war schließlich explodiert und weiße Schaumstoffflöckchen waren durchs Zimmer geflattert.
Sie drehte sich auf die andere Seite und versuchte, wieder einzuschlafen. Ulf wälzte sich neben ihr hin und her.
„Ich kann nicht mehr schlafen“, brummte er und rutschte auf ihre Seite.
Sie gähnte demonstrativ.
„Katja? Schläfst du schon?“
„Ja.“
„Schade. Ich dachte, du hättest vielleicht Lust auf Sex.“
Sie reagierte nicht.
„Komm schon, nur ein bisschen.“
Ein bisschen, aha.
Sie grunzte und wickelte sich fest in die Bettdecke.
Er brummte noch irgendetwas und rutschte wieder auf seine Seite.
Donnerstag, 23. August
Anna
Anna saß mit ausgestreckten Beinen im Gras und blickte blinzelnd in den Himmel. Kein Wölkchen war zu sehen. Es war ein heißer Tag, vermutlich einer der letzten Sommertage. Der September stand vor der Tür, ein Monat, den sie seit ihrer Kindheit liebte.
Sie überlegte, ob sie schwimmen gehen sollte. Seit Jahren war sie nicht mehr geschwommen. Vielleicht hatte sie es inzwischen verlernt? Aber wie sagte ihre Mutter immer: Schwimmen verlernt man nicht.
Sie schüttelte ihre Locken, legte sich flach ins Gras und schloss die Augen. Eine kleine Hummel flog um ihren Kopf herum.
Als junges Mädchen hatte sie geglaubt, Hummeln seien kleine Elfen und würden ihr etwas ins Ohr flüstern, wenn man sie nahe genug heranließ.
Sie seufzte leise. In wenigen Monaten würde sie vierzig werden.
Wie das schon klang, vierzig! Sie fürchtete sich nicht davor, alt zu werden, nein, ihr wurde nur mehr und mehr bewusst, dass sie viel zu viele Jahre verplempert hatte.
Wann hatte sich Hans so verändert?
Ihre Mutter hatte von Anfang an Bedenken gehabt. Er macht dich nicht glücklich, Anna, hatte sie gesagt.
Sie sollte recht behalten. Bereits nach zwei Jahren war nämlich eine Veränderung mit ihm passiert, eine Wandlung, die damit begonnen hatte, dass er Anna argwöhnisch angesehen hatte, wenn sie auch nur zehn Minuten später nach Hause kam als erwartet. Wo warst du denn so lange? Was hast du denn noch gemacht?
Und wenn sie telefonierte, hatte er hinterher gefragt: Wer war das, Anna? Mit wem hast du so lange gesprochen?
Ständig hatte sie Rechenschaft ablegen müssen. Dabei war sie eine treusorgende Ehefrau gewesen.
Nur leider keine Mutter. Nachdem sie begriffen hatte, dass er keine Kinder wollte, um sie ganz für sich allein zu haben, war auch mit ihr eine Wandlung passiert. Sie zog sich von ihm zurück, jeden Tag ein wenig mehr. Bis sie es irgendwann nicht mehr ausgehalten und ein paar Sachen zusammengepackt hatte, um zu ihrer Schwester zu ziehen.
Am nächsten Morgen hatte er vor der Tür gestanden. Ich kann mich ändern, Anna.
Sie hatte nachgegeben und es wenig später schon wieder bereut.
Inzwischen wusste sie, dass sich Menschen nicht einfach so ändern. Und Menschen wie er schon gar nicht. Ein heiliges Versprechen nach dem nächsten hatte er ihr gegeben und kein einziges gehalten.
Bei ihrer Schwester konnte sie nicht bleiben, also hatte sie vor ein paar Tagen eine kleine Reisetasche gepackt und war in eine Pension gezogen. Hans wusste weder, wo sie war, noch, dass sie ein eigenes Konto hatte. Und das sollte auch so bleiben.
Sie hatte sich eine Perücke gekauft, die sie immer trug, sobald sie die Pension verließ.
Und heute hatte sie sich an den See getraut. Das Wetter war einfach zu herrlich, um im Zimmer zu hocken.
Der warme Wind wehte über ihre nackten Beine, als würde sie jemand mit sehr sanften Fingerspitzen berühren.
Sie stand auf und ließ ihr Kleid auf die Erde gleiten. Von Weitem sah sie jetzt wahrscheinlich wie eine Nymphe aus, die gerade aus dem Wasser gestiegen war. Eine Nymphe mit langen schwarzen Locken.
Waren Nymphen nicht eher blond?
Sie ging zum Seeufer und schirmte ihre Augen mit einer Hand ab. Sie tauchte einen Zeh ins Wasser und zuckte zusammen. War das kalt! Sie schlüpfte aus ihrer Unterwäsche, ließ sie einfach da liegen, wo sie gerade stand. Es war ganz still, nur das Surren einer dunkelblauen Libelle war zu hören, die wie ein kleiner Helikopter ihre Runden drehte.
Sie ließ sich bäuchlings ins Wasser fallen und schwamm ein paar Züge. Es war wirklich verflixt kalt. Sie machte kehrt und ließ sich auf dem Rücken in Richtung Ufer treiben.
Nackt und triefend nass stieg sie aus dem Wasser und ließ sich auf ihrer Decke nieder. Sie würde sich von der Sonne und dem warmen Wind trocknen lassen.
Selten hatte sie sich so lebendig gefühlt.
Sie ließ sich ins hohe Gras fallen, streckte sich aus und schloss die Augen. Schon als Kind hatte sie über eine lebhafte Fantasie verfügt.
Jetzt stellte sie sich vor, wie ein gut aussehender Mann vor ihr stand und sie ansah. Oh, verzeihen Sie vielmals, ich wollte nicht gaffen.
Er hatte einen braun gebrannten, straffen Körper und breite Schultern, und sie genoss seine bewundernden Blicke auf ihrem nackten Körper.
Sie fuhr hoch, als eine Hummel auf ihrer Nase landete. „Huh, hast du mich erschreckt!“
Die Hummel war blitzschnell weitergeflogen.
„Warst du vielleicht doch eine Fee?“, rief sie ihr nach.
Sie stand auf und schlüpfte in ihre Sandalen.
Vielleicht würde es heute noch ein Gewitter geben. Sie sollte sehen, dass sie in die Pension zurückkam.
Samstag, 25. August
Rita
So hatte Rita sich ihren fünfundvierzigsten Geburtstag nicht vorgestellt. Keiner ihrer Arbeitskollegen hatte Zeit für einen kleinen Umtrunk gehabt, und so war sie mutterseelenallein in eine Bar gegangen und hatte sich betrunken. Auf unsicheren Beinen war sie anschließend zum Taxistand getaumelt und hatte einen mürrischen Taxifahrer angetroffen, der sie anblaffte, dass er sie nicht fahren würde, sollte sie so betrunken sein, wie es den Anschein machte.
Sie hatte mit ihrem spitzen Absatz gegen die Fahrertür treten wollen, war ausgerutscht und der Länge nach auf den Gehweg gestürzt. Mühsam hatte sie sich aufgerappelt und den Taxifahrer angeschnauzt, als er ihr aufhelfen wollte.
Jetzt war sie auf dem Weg zur nächsten S-Bahn-Haltestelle.
Es war ein milder Abend, einige wenige Sterne funkelten über der Stadt. Sie summte ein Lied von Kim Carnes und schwang dabei ihre Handtasche.
Diese verdammten Schuhe würden sie noch umbringen.
Kurzerhand blieb sie stehen, hielt sich an einer Straßenlaterne fest und zog ihre Pumps aus. Ah, schon viel besser. Auf Strümpfen schwankte sie weiter.
Es ging eindeutig bergab mit ihr, niemandem war das klarer als ihr selbst. Seit gut zwei Jahren war sie ein nervliches Wrack.
Natürlich war sie das. Wie sollte es auch anders sein?
Bestimmt gab sie ein fürchterliches Bild ab. Jeder musste sie für eine Trinkerin halten. Dabei trank sie selten, auch wenn es verdammt viele Gründe gab, sich jeden Tag zu betrinken.
„Dieser Mistkerl, dieser elende Mistkerl …“ Die Handtasche erwischte einen Mülleimer.
Wo zum Teufel war diese dämliche Haltestelle? War sie in die falsche Richtung gelaufen? Nein. Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr schwindelig wurde.
Ihr Handy klingelte.
„Hier spricht Rita Flemming. Heute ist mein Geburtstag, und wer immer da auch dran ist, er soll mich am Arsch lecken.“
„Hallo, Rita.“
Sie betrachtete verblüfft das Handy. „Christian, bist du das?“
Christian war ihr Arbeitskollege und jemand, der sich liebevoll um sie kümmerte, obwohl er Frau und Kind hatte. Das rechnete sie ihm hoch an, besonders jetzt. Augenblicklich brach sie in Tränen aus.
„Um Gottes willen, was ist denn los?“
„Ich habe mich betrunken, und jetzt finde ich die Haltestelle nicht“, schluchzte sie.
„Soll ich kommen und dich abholen?“
Sie nickte heftig. „Ja. Nein. Lieber nicht. Deine Frau wird stinksauer auf mich sein.“
„Unsinn, sie mag dich. Sie wird das verstehen.“
Sie schniefte und kramte in ihrer Hosentasche. „Und ich hab nicht mal ein Taschentuch.“
„Soll ich kommen und dir eins bringen?“ Er lachte.
Sie lief weiter, das Handy am Ohr, in der anderen Hand ihre Schuhe. Dann entdeckte sie die Haltestelle. „Da ist sie! Ich hab sie gefunden.“
„Was? Eine Packung Taschentücher?“
„Nein, die Haltestelle.“
„Du, hör mal, tut mir echt leid, dass du ganz allein deinen Geburtstag feiern musstest. Was hältst du davon, wenn wir nächste Woche essen gehen?“
„Das machen wir.“ Sie hatte die Haltestelle erreicht. „Nacht, Christian.“
Sie blinzelte, weil sie meinte, noch jemanden im Wartehäuschen gesehen zu haben. Einen Mann. Ach verdammt, musste das sein?
Sie stöhnte auf und setzte sich auf das äußere Stück der Holzbank.
Der Mann saß am anderen Ende und blickte in ihre Richtung.
„Glotz bloß woanders hin“, murmelte sie. „Ich wurde genug angeglotzt in den letzten Jahren.“
Sie stellte ihre Schuhe neben sich auf die Bank und ihre Tasche auf die Knie. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass der Mann noch immer zu ihr herüberschaute. Unverschämter ging’s kaum. Sollte er nicht in der nächsten Minute woanders hinsehen, würde sie hingehen und ihm die Leviten lesen. Aber so was von!
Sie drehte den Kopf und stellte fest, dass er wie erstarrt dasaß und in ihre Richtung gaffte, den Mantelkragen hochgeschlagen.
Okay, nun reichte es.
Sie stand auf, wobei sie stark schwankte, und ging zu dem Mann. „Würde es Ihnen was ausmachen, woanders hinzustarren? Das macht mich nervös.“
Der Mann, er war deutlich älter, als sie vermutet hatte, grinste. „Starren. Das ist gut.“
Ihr blieb die Spucke weg. „Wenn Sie das witzig finden …“
Als er leise lachte, brannten bei ihr die Sicherungen durch. Sie hatte in den vergangenen Jahren zu viel mitgemacht und viel zu viel ertragen müssen.
Ihre Hand schoss vor und packte den Mann am Kragen. Sie schüttelte ihn und wunderte sich, dass er so leicht war. „Sie sollen gefälligst woanders hinsehen!“
Als sich sein Mund öffnete, schlug sie zu. Rechts und links klatschte sie ihm ihre flache Hand ins Gesicht.
Zwei Sekunden später hielt sie inne. Fassungslos betrachtete sie ihre Hand. Hatte sie den Mann wirklich geschlagen?
Er war in sich zusammengesunken, das Kinn auf der Brust.
Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Bitte verzeihen Sie, ich weiß nicht, was …“ Neben dem Mann an der Wand lehnte ein weißer, länglicher Stock. „O mein Gott! Sie sind blind?“
Sie ließ sich auf die Knie fallen und nahm seine Hände. „Es tut mir leid, es tut mir furchtbar leid. Ich hab die Beherrschung verloren. Warten Sie, ich rufe einen Arzt.“
Seine Hand suchte nach ihrer und drückte sie leicht. „Kein Arzt, ich brauche keinen Arzt.“
„Aber ich …“
„Wirklich nicht.“ Er hatte den Kopf gehoben, und sie konnte seine trüben Augen sehen.
Sie schämte sich so, dass sie anfing zu weinen.
„Es geht mir gut“, sagte er leise. „Aber Ihnen geht’s nicht gut.“
„Ich dachte, Sie starren mich an, und da …“
Er nickte. „Ich hab die Angst und die Wut in Ihrer Stimme gehört.“
„Es tut mir so leid, ich …“
„Sie sollten sich mal richtig aussprechen, junge Frau.“
Sie wischte sich mit dem Handrücken über die feuchten Augen. „Sie haben recht, das sollte ich …“
Sonntag, 26. August
Katja
Auf der Fahrt zum Seniorenheim betete Katja.
Bitte, bitte mach, dass sie heute einen ihrer lichten Tage hat. Lass sie nicht im Sessel dasitzen und Trübsal blasen. Und wenn es nicht zu unverschämt ist, bitte mach noch, dass sie heute Apfelstreuselkuchen dahaben.
Es hatte Tage gegeben, da hatte ihre Mutter nur am Fenster gesessen, ihre Häkelarbeit, die sie ja doch nie fertigbringen würde, auf dem Schoß. Manchmal hatte sie gelächelt und leise gesungen. Dann wieder war sie ernst und niedergeschlagen. Katja wusste nie, worauf sie sich einstellen musste. Nachdem ihre Mutter einen Schlaganfall gehabt hatte, von dem sie sich bis heute nicht wieder vollständig erholt hatte, wohnte sie im Seniorenheim. Der Schlaganfall hatte alles verändert, genau wie der Tod von Katjas Vater wenige Monate zuvor. Sie hätte ihre Mutter gern zu sich genommen, Platz war ausreichend vorhanden. Doch sie wusste, dass sie sich nicht genug um sie kümmern konnte. Sie hatte einen Beruf, und wenn sie ehrlich war, war sie froh, dass sie diese Rechtfertigung, diesen überzeugenden Grund hatte. Ihre Mutter bei sich im Haus zu haben, wäre sehr wahrscheinlich mehr als anstrengend für alle Beteiligten.
Sie konzentrierte sich auf den Straßenverkehr. Vor ihr fuhr seit geraumer Zeit ein älterer Herr, wie sie in seinem Spiegel gesehen hatte. Neben ihm eine ältere Dame. Wahrscheinlich machten die beiden einen hübschen kleinen Sonntagsausflug.
Sie schlug aufs Lenkrad. „Warum immer ich?“, murmelte sie vor sich hin. „Entweder ich habe einen Drängler hinter mir oder einen Opa mit Cordhut vor mir.“
Wenn sie doch nur überholen könnte. Konnte sie aber nicht, dazu war die Straße zu kurvig.
Ein dunkler Kleinwagen raste an ihr vorbei, am Steuer ein junger Mann mit roter Baseballkappe. Er grinste sie unverschämt an und machte das Victory-Zeichen. Auch die älteren Herrschaften vor ihr überholte er und scherte dicht vor ihnen wieder ein.
„Manchmal wünschte ich, ich wäre Schwarzenegger. Dann würde ich ihn aus dem Wagen zerren und …“ Sie atmete langsam aus. „Nein, ich bin ganz ruhig und entspannt.“
Am Morgen hatte sie wieder eine völlig überflüssige Diskussion mit ihrem Mann gehabt. Ulf wollte einen riesigen Flachbildfernseher, sie einen Urlaub in der Bretagne. Beides war dieses Jahr einfach nicht drin. Sie hatten viel am Haus gewerkelt, die Terrasse überdacht, ein neues Badezimmerfenster einbauen lassen.
Urlaub konnten sie beide gebrauchen, auch wenn Katja am liebsten allein verreisen würde. Aber Ulf musste ja unbedingt einen dieser riesigen Fernseher haben. Den er auch garantiert kaufen würde. Inzwischen kannte sie ihn gut genug.
Er hatte keine Lust gehabt, mitzukommen und ihre Mutter zu besuchen. Er hatte „Besseres zu tun, als einer alten, tütteligen Frau dabei zuzusehen, wie sie sich mit Bienenstich bekleckert“.
Aber im Grunde war sie ganz froh, allein fahren zu können. Und ihrer Mutter war es vermutlich sowieso ziemlich egal, ob ihr Schwiegersohn mitkam oder nicht.
Sie fuhr auf den großen Parkplatz und atmete ein paarmal tief durch.
Die Sonne schien, kaum eine Wolke war am Himmel.
Sie freute sich auf den September. Die Farben, das Licht, der Geruch, all das liebte sie.
Vielleicht hatte ihre Mutter heute einen guten Tag. Einen Tag für ein Gespräch, eine liebevolle Berührung, einen Austausch wundervoller Erinnerungen. Sie hatte eine wunderbare Kindheit erleben dürfen, voller Liebe, Wärme und Fürsorge, und sie erinnerte sich gerne daran.
Sie selbst hatte bisher nicht die Chance bekommen, eine liebevolle Mutter zu werden. Im Moment war sie auch ganz froh, dass Ulf und sie keine Kinder hatten.
Sie verriegelte den Wagen, hängte sich ihre Handtasche um und wickelte den Blumenstrauß aus, den sie ihrer Mutter mitgebracht hatte.
Eine Pflegerin kam ihr im Treppenhaus entgegen. „Ihrer Mutter geht es heute gut, Frau Hellmer.“
„Wirklich? Oh, das ist schön.“
„Sie kommen doch später zum Kaffeetrinken in den Speiseraum?“
„Natürlich.“ O ja, und ob sie das tun würden.
Sie klopfte an die Tür und wartete auf ein Herein.
Als sie die zaghafte Stimme ihrer Mutter hörte, lief ihr Herz beinahe über. Sie schob die Tür auf. „Hallo, Mama. Ich bin da.“
Ihre Mutter saß in ihrem alten Sessel am Fenster, das obligatorische Häkelzeug auf dem Schoß. Und sie lächelte.
Katja ging zu ihr und nahm ihre Hände. „Wie geht es dir?“
„Gut, Kind, gut.“
„Das ist schön. Was häkelst du da?“
„Ach, nichts Besonderes. Nur eine Kleinigkeit für Tante Christa.“
Christa war seit zwei Jahren tot. Ihre Mutter hatte den Tod ihrer Schwester nie wirklich begriffen. Sie und Christa hatten sich sehr nahegestanden.
Katja glaubte, dass ihre Mutter es einfach nicht akzeptieren wollte. Christa war nicht tot, basta.
Und sie hatte irgendwann kapituliert. Warum sollte ihre Mutter nicht weiterhin mit ihrer Schwester sprechen, ihr Häkeldeckchen und unmoderne Mützen schenken, wenn es sie glücklich machte?
Sie setzte sich auf den Stuhl und rutschte damit neben den Sessel ihrer Mutter. Dann fiel ihr ein, dass sie die Blumen vergessen hatte. Sie hatte den Strauß auf dem kleinen Tisch neben dem Bett abgelegt.
Sie stand wieder auf und ließ Wasser in eine kugelrunde Vase.
„Ich habe dir Astern mitgebracht, Mama.“
„Wie lieb von dir, Kind.“
Sie stellte die Vase aufs Fensterbrett und setzte sich wieder. „Hast du Lust auf einen kleinen Spaziergang? Es ist herrliches Wetter.“
Ihre Mutter blickte verträumt aus dem Fenster. „Ach, warum eigentlich nicht. Ein Spaziergang wird mir guttun.“
Katja holte eine Strickjacke aus dem Kleiderschrank und legte sie ihrer Mutter um. Dann wartete sie, bis sie sich bei ihr eingehakt hatte, und ging mit ihr zur Tür.
„Wir werden doch keinen Ärger bekommen?“, fragte ihre Mutter besorgt.
Katja musste lachen. „Wer sollte uns Ärger machen?“
„Dann darf ich mein Zimmer verlassen?“
Sie blieb stehen und sah ihre Mutter ungläubig an. „Ob du dein Zimmer verlassen kannst? Aber sicher, Mama. Wie kommst du denn darauf, dass du dein Zimmer nicht verlassen darfst?“
Ihre Mutter zuckte verwirrt mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Es ist mir so durch den Kopf gegangen.“
Katja streichelte ihre Hand. „Mach dir keine Sorgen. Wir schlendern ein bisschen durch den Park, und danach gehen wir ein Stückchen Apfelkuchen essen.“
„Oh, hast du welchen gebacken?“
„Wir gehen in den Speiseraum, da gibt’s heute Apfelkuchen.“
„Ach, tatsächlich? Christa liebt Apfelkuchen, wusstest du das?“
„Ja, Mama, ich weiß.“
„Sie werden doch nichts dagegen haben, wenn sie mit uns am Tisch sitzt?“
„Natürlich nicht. Mach dir keine Gedanken, Mama.“
Ulf saß am Küchentisch und aß Abendbrot, als Katja zurückkam. „Hat der Motor wieder geklopft?“, fragte er sie.
Sie seufzte verhalten. Sie erinnerte sich nicht, jemals etwas vom Motor ihres Autos erwähnt zu haben. „Nein, mir ist nichts aufgefallen.“
„Was nichts heißen muss.“
Sie schnalzte mit der Zunge. „Sagt der, der gerade mal ein Auto von einem Motorrad unterscheiden kann.“
Ulf atmete heftig aus, und sie wusste, was gleich kommen würde. Schließlich lebte sie seit zehn Jahren mit diesem Mann zusammen.
Und tatsächlich: „Ich hab jedenfalls mehr Ahnung als du.“
Sie hatte fast jedes Wort leise mitgesprochen, während sie zum Schrank gegangen war, um sich einen Teller und Besteck zu holen.
Ulf funkelte sie an. „Hast du mich gerade nachgeäfft?“
„Ich?“ Sie nahm sich eine Scheibe Vollkornbrot aus dem Korb. „Gibt’s keinen Käse?“
„Klar, nur nicht auf dem Tisch“, gab er trocken zurück.
Sie stand wieder auf und holte die Käseglocke aus dem Kühlschrank. Erst jetzt entdeckte sie den aufgeschlagenen Prospekt auf dem Tisch. Sie tippte mit dem Finger auf einen der Fernseher. „Sag jetzt bitte nicht, dass du schon einen bestellt hast.“
Ulf schwieg.
„Ulf? Hallo? Jemand zu Hause?“
Er schaute sie an, als würde er sie gerade zum ersten Mal sehen. „Ja?“
Sie schnappte nach Luft. „Das ist nicht dein Ernst. Wir hatten doch darüber gesprochen, dass wir noch mal darüber sprechen wollen.“
„Das ist mir zu kompliziert.“ Er stand auf und räumte sein Geschirr in den Geschirrspüler.
Sie schwieg, wobei sie so heftig die Zähne zusammenbiss, dass es wehtat. Sie biss kräftig in ihr Käsebrot.
Im Vorbeigehen tätschelte Ulf ihre Schulter. „Reg dich nicht auf, Karla Kolumna. Ich hab nicht gesagt, dass ich schon bestellt hab.“
Dienstag, 28. August
Anna
Anna zog die Tür ihres Zimmers fest hinter sich zu.
Sie vergewisserte sich rasch, dass ihre Perücke nicht verrutscht war. Hans hatte sie noch nicht aufgespürt, sie konnte es selbst kaum glauben. Sie hatte täglich damit gerechnet, dass er ihr an der nächstbesten Ecke auflauern würde. Er war ein geschickter Rhetoriker, ein brillanter Redner, der seinem Gegenüber das Blaue vom Himmel versprach. Sie eingeschlossen. Oft genug hatte sie sich einwickeln lassen und seinen Versprechungen geglaubt. Dabei hätte sie längst begreifen müssen, dass es ihm immer nur darum gegangen war, Macht über sie zu haben. Von Liebe war nie die Rede gewesen.
Aber wurde Liebe nicht vielleicht hoffnungslos überschätzt?
An diesem Abend war sie mit ihrer Schwester verabredet, es gab eine Menge zu besprechen. Sie wollte sich endlich eine eigene Wohnung und einen Job suchen. Es wurde Zeit, dass sie auf eigenen Füßen stand.
Sie hatte ein Taxi bestellt, das bereits unten vor dem Haus wartete. Bevor sie einstieg, warf sie einen Blick auf den Fahrer. Glaubte sie ernsthaft, dass Hans still und heimlich den Taxiführerschein gemacht haben könnte, um sie direkt nach Hause zu fahren?
Der Fahrer war ein junger Mann mit Schiebermütze und Dreitagebart. „Wohin soll’s denn gehen, schöne Frau?“
„Bei Clark’s. Kennen Sie das?“
„Nee, aber Sie werden mir bestimmt gleich verraten, wo das ist.“ Er drehte das Radio leiser.
„Das ist ein Sternerestaurant am Marktplatz.“
Er nickte. „Alles klar.“
Während sie fuhren, blickte Anna aus dem Fenster und hing ihren Gedanken nach. Als sie ausstieg, gab sie ein üppiges Trinkgeld und amüsierte sich über das verblüffte Gesicht des jungen Mannes.
„Das ist aber großzügig“, sagte er strahlend und wünschte ihr überschwänglich einen wunderbaren Abend.
Ja, den würde sie hoffentlich haben.
Katja
Katja stand vor dem Spiegel und überlegte, was sie anziehen sollte. Lustlos nahm sie einen kniekurzen, beigefarbenen Jeansrock vom Bügel und hielt ihn sich an. Sie hatte zwei, drei Kilo zugenommen.
Nun, auf einen Versuch käme es an.
Als sie den Reißverschluss zuzog, musste sie die Luft anhalten. Gütiger, wann hatte sie den Rock zuletzt getragen? Vor zehn Jahren?
Aus den Augenwinkeln sah sie Ulf im Türrahmen lehnen. Und sie wettete, dass jetzt wieder einer seiner Standardsprüche kommen würde.
„Wie die Wurst in der Pelle.“
Wie gut sie ihn doch kannte.
„Charmant wie immer“, gab sie zurück.
„Komm schon, Katja, du weißt, dass ich diese Hungerhaken, diese Bügelbretter auf zwei Beinen nicht leiden kann. Eine Frau darf durchaus griffig sein.“
Um ihr zu zeigen, wie griffig er sie fand, kam er näher und umfasste mit beiden Händen ihre Brüste. Er raunte etwas in ihr Ohr und sabberte ihr Ohrläppchen nass. Was hatte er gerade gesagt? Dass sie scharf wie eine Chilischote war?
Sie machte sich los. „Lass das, Ulf, ich bin schon spät dran.“
Er war beleidigt, das sah sie sofort. Er hatte sich schon immer schlecht verstellen können.
„Wieso wirfst du dich für deine Freundin eigentlich so in Schale?“, fragte er sie und blähte seine Nasenflügel auf.
Katja wandte sich ab, weil sie lachen musste. Eine kindliche Albernheit, die sie sich tief in ihrem Innern bewahrt hatte, brach sich gelegentlich Bahn. Dann quiekte sie vor Lachen und riss nicht selten ihre Mitmenschen mit. Ulf dagegen gehörte zu den Menschen, die sich schnell veralbert fühlten.
Also biss sie sich auf die Zunge.
„Lass das, Ulf, ich bin schon spät dran“, äffte er sie nach, und es war vorbei mit ihrer Beherrschung.
Der Lacher brach aus ihr heraus, noch bevor sie ihn unterdrücken konnte.
Ulf murmelte irgendetwas und verließ das Zimmer. Sie hörte ihn auf der Treppe fluchen, als er über Kater Henry steigen musste, der es sich gern auf einer Stufe bequem machte und döste.
Sie nahm eine verwaschene Jeans vom Bügel. Okay, die müsste passen. Dazu eine längere Bluse, vielleicht noch ihr neues hellgrün gemustertes Tuch – und die neuen knallroten High Heels. Sehr schlicht, mit einem hohen, spitzen Absatz, aber ohne jeglichen Schnickschnack. Das brauchte dieser Schuh auch gar nicht, er kam wunderbar ohne aus.
Anschließend drehte sie sich vor dem Spiegel, nahm ihre Handtasche, prüfte, ob alles darin war, was sie brauchen würde, und ging die Treppe hinunter.
Ulf war offenbar dabei, den Geschirrspüler auszuräumen, wobei er ein Mordsgetöse veranstaltete. Offenbar war er noch immer eingeschnappt und ließ seinen Ärger nun am Geschirr aus.
Sie blieb in der Tür stehen. „Ich fahr dann jetzt.“
„Schönen Abend.“
„Dir auch.“ Sie wartete ein, zwei Sekunden, ob er sich zu ihr umdrehen würde.
Das tat er tatsächlich, seine Augen weiteten sich und er pfiff durch die Zähne. „Holla, die Waldfee.“ Er winkte sie zu sich, und sie ärgerte sich, dass sie nicht gleich weitergegangen war. „Du siehst klasse aus.“ Er begutachtete sie von Kopf bis Fuß. „Tolle Hose, tolle Schuhe, toller BH.“
Sie war irritiert. Toller BH? „Sieht man meinen BH so deutlich?“
„Und ob.“
„Mist. Doppelmist.“ Sie überlegte, ob sie sich noch schnell umziehen sollte, entschied dann aber, es bleiben zu lassen. Sie würde das Tuch darüber drapieren. „Bis später, brauchst nicht auf mich zu warten.“
„Wie du meinst. Und fahr vorsichtig.“
Sie warf ihm einen Blick zu, den sie immer dann auf Lager hatte, wenn sie ihm zu verstehen gab, dass sie ein großes Mädchen war.
„Du trinkst ja hoffentlich nicht, wenn du fahren musst.“
„Ich nehme ein Taxi.“
„Taxi? Ich dachte, du nimmst das Auto.“ Er kratzte sich am Kinn. „Sei trotzdem vorsichtig.“
Sie salutierte und schlug die Hacken zusammen. „Jawohl, Papa.“
Rita
Rita hatte einen grauenvollen Tag hinter sich.
Wobei die Nacht davor nicht viel besser gewesen war. Sie hatte wieder von ihm geträumt und war nassgeschwitzt und um sich schlagend aufgewacht. Würden diese Albträume denn nie aufhören?
Später war sie mit üblen Kopfschmerzen und noch dazu viel zu spät im Büro erschienen und hatte sich einen anständigen Anpfiff von ihrer Chefin anhören müssen. Wie sie diesen Job hasste!
Seit sie hierhergezogen war, arbeitete sie als Sachbearbeiterin in einer kleinen Baufirma. Dabei war sie komplett überqualifiziert für diesen Job. Sie war eigentlich Werbekauffrau, hatte jahrelang in einer großen Werbeagentur in Hamburg gearbeitet. Doch sie hatte hier keine geeignete Stelle gefunden, und alles war besser, als weiterhin in Lübeck zu wohnen und Tag für Tag in Angst leben zu müssen.
Nach Feierabend war sie ins Fitnessstudio gegangen, um sich ordentlich auszupowern. Danach hatte sie sich einen Film im Kino ansehen wollen, aber keiner hatte ihr zugesagt, also war sie nach Hause gefahren und hatte die Decke angestarrt.
Vielleicht sollte sie sich ein Haustier anschaffen, einen kleinen Hund oder lieber eine Katze, der es nichts ausmachen würde, tagsüber allein zu sein.
Als ihre Laune auf dem Tiefpunkt gewesen war, hatte Christian angerufen. „Ich schulde dir noch ein Essen. Um acht auf dem Marktplatz?“
Es war bereits kurz nach acht, als sie aus dem Taxi stieg.
Sie hatte sich verspätet, weil sie sich drei Mal umgezogen hatte. Und warum? Weil sie Christian beeindrucken wollte.
Hatte sie sie eigentlich noch alle? Christian war verheiratet, sie beide waren Arbeitskollegen, Freunde, nichts weiter.
Ihr Handy klingelte.
Es war Christian. „Tut mir leid, Rita, ich kann nicht kommen.“ Er erzählte, dass er zu seinem Wagen gelaufen und dabei weggerutscht sei, wobei sein rechter Fuß zwischen Autotür und Bordsteinkante geraten war. „Meine Frau hat mich gleich ins Krankenhaus gefahren.“
„Ach herrje, gute Besserung. Dann werde ich wieder nach Hause fahren.“
„Der Tisch ist bestellt. Du könntest allein …“
„Allein? Ich weiß nicht …“
„Das Essen ist köstlich dort, glaub mir.“
Sie musste lachen. „Ich weiß ja nicht mal, wo du reserviert hast.“
„Bei Clark’s“, erklärte er. „Das ist das Nobelrestaurant direkt am Markt.“
Sie blickte sich suchend um und drehte sich um die eigene Achse.
Dann hatte sie das Restaurant entdeckt: ein hübsches weißgraues Haus mit zwei riesigen Buchsbaumkugeln, die in hohen, schmalen Gefäßen steckten, gleich neben der breiten Glastür. Bei Clark’s stand auf dem Schild über der Tür.
„Das Essen geht natürlich auf mich.“
„Na schön, überredet, Christian.“
Katja
Martina wartete bereits und winkte Katja zu, als sie durch die große Glastür hereinkam.
Toni, der charmante Kellner, begrüßte sie. „Guten Abend, Frau Hellmer. Bitte hier entlang.“ Er ging voraus, und sie schmunzelte. Den Weg zu Martina hätte sie auch so gefunden. „Ich habe Ihre letzte Kolumne gelesen. Wunderbar, ganz wunderbar. Ich hab mich sehr amüsiert.“
„Das freut mich, Toni. Mein Angebot gilt: Wenn Sie eine Idee haben, worüber ich unbedingt mal schreiben sollte, immer her damit.“