Schwäbisches Gold - Paul Steinbeck - E-Book

Schwäbisches Gold E-Book

Paul Steinbeck

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Beschreibung

Die Idylle Oberschwabens wird von einer gewaltigen Explosion erschüttert. Eine mächtige Rauchwolke steigt jenseits des Achtales in die Höhe. Es gibt Tote und Schwerverletzte im Altdorfer Wald. War es ein Attentat auf den Kiesbaron und sein Vorhaben? Waren es die Waldbesetzer oder internationale Waffenschieber? Steven und sein Team übernehmen die Ermittlungen und stechen dabei in ein Wespennest. Wurde der Kiesabbau illegal begonnen? Wurde mit dem Landrat gemauschelt? Die Zahl der Verdächtigen wächst. Stevens Existenz als Kommissar ist bedroht, als er die mafiösen Strukturen inmitten der Schönheit Oberschwabens aufdeckt. Doch er stemmt sich dagegen, trotz der Gefahr, Andrea-Domenica, die Liebe seines Lebens zu verlieren.

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

Tod im Garten Eden

Verdacht

Einsamkeit

Gold Oberschwabens

Der Kiesbaron

Beziehungsprobleme

Königswinter

Kaltgestellt

Verlierer im Leben

Gelüste der Macht

Abschied

Lehmann

Schwäbisches Gold

Heimat

Statement des Autors: Oberschwaben und der Kies

 Der Autor Paul Steinbeck

Paul Steinbeck in den Social Media

Bibliografie

Sparkys Edition

Zum Buch

Mitten in die Idylle Oberschwabens hinein knallt eine gewaltige Explosion. Eine mächtige Rauchwolke steigt jenseits des Achtales im Altdorfer Wald in die Höhe. Es gibt Tote und Schwerverletzte. War es ein Attentat auf den Kiesbaron und sein Vorhaben? Waren es die Waldbesetzer oder internationale Waffenschieber? Steven und sein Team übernehmen die Ermittlungen und stechen dabei ohne es zu wissen in ein Wespennest. Die mächtige Kieslobby taucht vor ihnen auf! Im Altdorfer Wald. Wurde der Kiesabbau illegal begonnen? Wurde mit dem Landrat gemauschelt? Die Kriminalbeamten stoßen auf eine Mauer des Schweigens. Stevens Existenz als Kommissar ist bedroht, als er die mafiösen Strukturen entdeckt, die hinter allem liegen.

Paul Steinbeck

Schwäbisches Gold

Steven Plodowski ermittelt 3

Alle Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder Institutionen sind reiner Zufall. Die Orte aber sind real und oberschwäbische Schönheit.

Alle Rechte unterliegen dem Urheberrecht. Verwendung und Vervielfältigung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages.

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Hubert Romer, Susanna Kando, Stuttgart

Korrektorat: Susanna Kando, Stuttgart

Umschlaggestaltung: Designwerk-Kussmaul,

Weilheim/Teck, www.designwerk-kussmaul.de

© 2021 Sparkys Edition

Herstellung und Verlag: Sparkys Edition, Zu den Schafhofäckern 134, 73230 Kirchheim/Teck

ISBN Print: 978-3-9810604-6-1

1. Auflage 

Gewidmet allen mutigen Menschen, die für ihre Überzeugungen einstehen

Tod im Garten Eden

«Steven, wie heißt das nochmals, was wir jetzt machen?» Kriminalkommissarin Kerstin Steiner presste ihre Hand gegen den Mund. Sie konnte ihr Lachen nur mühsam unterdrücken. Beherzt klopfte sie ihrem Kollegen Valmir, der neben ihr stand, auf die Schulter. Dessen wenig begeistertes Gesicht sprach Bände. «Jetzt kuck nicht so kritisch», raunte sie ihm zu. Ihr Blick suchte ihren Chef, Steven Plodowski. Doch der verbarg sich hinter der offenen Fahrertür seines alten Volvos, um sich in die Fahrradhose zu zwängen. Sie war etwas zu klein, doch das konnte ihn an diesem Morgen nicht stören. Kommissar Steven Plodowski war überglücklich. Nach langen Wochen der Fortbildung an der Polizeiakademie in Karlsruhe traf er endlich wieder sein geliebtes Team, das ihm so viel bedeutete. An diesem Morgen wollte Steven ein neues Besprechungsformat umsetzen, welches er auf der Akademie kennengelernt hatte: Reden und Bewegen. Das wollte er mit den Mountainbikes umsetzen, um während der Tour auch über wichtige dienstliche Themen zu sprechen. Kerstin setzte nach: «Heißt es B-I-B? Richtig? Wir machen jetzt BIB?» Jetzt war es doch geschehen. Die blondgelockte Kommissarin musste loslachen und klopfte sich auf die Schenkel. «BIB?», wiederholte Valmir mechanisch, während er sich nachdenklich im Nacken kratzte. Kritisch betrachtete er das Heck des Autos. Es war ihm ein Rätsel, wie die Anhängerkupplung des prähistorischen Volvos drei Fahrräder auf einem mindestens ebenso alten Fahrradträger hatte transportieren können. Sein Blick wanderte weiter vom Heck des Fahrzeugs an den verkratzten Seiten entlang zu seinem Chef, der gerade stolz hinter der knarrenden Fahrertür hervortrat. «Na, wie sehe ich aus?», wollte Kriminalhauptkommissar Steven Plodowski wissen. «Wunderbar», lächelte Kerstin süffisant. «Der Anzug liegt an, wie eine Wurstpelle.» Valmir schaute noch immer recht ernst drein. Sollte er seinem Chef den dezenten Hinweis geben, dass noch was zu sortieren wäre? Doch das erledigte Kerstin vollkommen unkompliziert: «Steven, wirklich schick. Ehrlich.» Sie gluckste: «Es sollte nur alles verpackt sein, sonst gibt es Schmerzen auf dem Rad…» Steven schoss die Röte ins Gesicht. Schnell drehte er sich weg, um alles zu richten, was zu richten war. «Wollt ihr nicht ein wenig diese wunderschöne Natur um euch herum genießen? Ist doch so herrlich dieser schöne Morgen, oder?» Valmir war sich noch immer nicht sicher, was er von diesem BIB halten sollte. Die Party in seinem Lieblingsclub hatte vergangene Nacht bis in die Morgenstunden gedauert. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass er nun gleich Sport machen musste. Steven sah diesen Blick und wandte sich mit gerunzelter Stirn an Kerstin: «Ich mache mir Sorgen, ob unser junger Kollege heute in der Lage ist, die Tour durchzustehen.» Er zwinkerte ihr dabei zu. Der Stich saß. Valmir reckte den Kopf in die Höhe und antwortete rasch: «Da mach dir mal keine Sorgen. Ich bin fit wie ein Turnschuh.» Steven musste ja nicht wissen, dass er heute sein neues E-Bike mit integriertem, nicht sichtbarem Akku eingepackt hatte. Das würde ihm gleich gute Vorteile verschaffen. «Wo solls denn hingehen?» Er schnallte sich den schwarzen Spezial-Mountainbiker-Helm auf den Kopf, während Steven einen alten Skihelm über seine kurzen Stoppelhaare stülpte. «Sorry, nicht lästern! Aber mein Sohn Salva hat den Fahrradkeller geplündert. Steckt jetzt wahrscheinlich alles in seiner Ausbildungsbude in Biberach und ich habe nur noch die zweite Garnitur.»

«Kein Thema», erwiderte Valmir: «Das verzeihen wir dir. Und dein Aussehen wird ohnehin durch deinen wunderbaren Bart wettgemacht.» Er kraulte Steven am Kinn. «Hast den von Hulk Hogan abgeschaut?» Unwillig packte Steven dessen Hand und schob sie weg. «Lass das! Ist einfach aus ner Lust heraus geschehen. Ich kann es mir eben leisten!» Er hatte tatsächlich in den vergangenen zwei Wochen den Bart sprießen lassen. Ein breiter Streifen oberhalb der Lippe, zwei dünne Streifen links und rechts der Mundwinkel bis hinunter zum Kinn und ein etwas breiterer Streifen in der Mitte. Alle seiner jüngeren Kollegen trugen Bärte und da wollte Steven als ältester Kursteilnehmer nicht hintenanstehen. «Mir gefällts», sprach Kerstin und zwinkerte Steven aufmunternd zu. Sie schob ihr Fahrrad aus der Einfahrt des Parkplatzes heraus und stellte sich neben ihren Chef. Die Kriminalbeamtin freute sich richtig, dass er wieder zurück war. Ihre Blicke trafen sich und schienen stumm miteinander zu kommunizieren. «Sagt mal, heckt ihr beide gerade was aus?», kommentierte das Valmir in strengem Ton. «Ihr turtelt mal wieder.» Er gesellte sich zu ihnen. Steven wandte seinen Blick ab und schwang sich mit einer Provokation auf den Lippen aufs Rad: «Ach was! Lenk jetzt nicht von deiner schlechten Kondition ab! Auf jetzt: Los aufs Rad und ab gehts. Was für Themen habt ihr euch für unsere Besprechung überlegt?» Erschrocken blickte Valmir zu Kerstin rüber. Hätten sie etwas vorbereiten sollen? Heimlich schaltete er den Nabenmotor auf Stufe drei, als sie losfuhren. Er war einfach zu müde.

«Zwei lange Wochen musste ich auf euch verzichten, das war hart.» Steven trat mächtig in die Pedale. Schon nach wenigen Metern tropften erste Schweißperlen von seiner Stirn. Valmir jammerte: «Aber muss es dann gleich eine Radtour zur Begrüßung sein?» Missmutig stichelte er: «Dann lass mal sehen, was du kannst, alter Mann.» Er trat in die Pedale. Der Elektromotor schnurrte. Doch Steven hörte das nicht, sondern hetzte Valmir nach, welcher bereits einige Meter Vorsprung hatte. Zurück blieb eine Kerstin, die verdutzt beiden hinterherblickte. Mit einem Kopfschütteln stieg sie ebenfalls auf ihr Rad und genoss die Fahrt vom Parkplatz in Fuchsenloch in den Wald hinein, lauschte dem fröhlichen Gesang der Vögel und sog die frische Frühlingsluft tief in sich hinein. Ein ziemlich unkoordiniertes Pfeifkonzert zwar, aber irgendwie fand jede der unzähligen Vogelstimmen regelmäßig ihren Einsatz. «Jungs, wo gehts eigentlich lang?», rief sie ihren Kollegen hinterher. Ihre blonden Haare wehten im Wind, als sie versuchte den beiden Männern zu folgen. Doch die Rennfahrer waren bereits um die Kurve des Waldweges gebogen und ihren Augen entschwunden. «Na, das kann ja heiter werden.» Hatte Steven nicht etwas von Weissenbronnen gesagt? Einem ehemaligen Gasthaus mitten im Wald. Das kannte Kerstin sogar. Sie erinnerte sich an Tage in ihrer Kindheit, als sie mit den Eltern zu diesem schönen Ort wanderte. Ein Festtag für die kleine Kerstin, deren Augen nur so strahlten, wenn sie vor dem glasklaren Wasserfall stand, der hinter dem alten Gasthaus den Hang herunterschoss. Dann hielt weder sie noch die anderen Kinder irgendetwas auf. Sie stürzten sich in die Fluten, leiteten kleine Ströme um und versuchten, die Wiesen unter Wasser zu setzen, auf denen es sich die Erwachsenen mit ihren Picknick-Körben bequem gemacht hatten. Kerstin schmunzelte, als die Erinnerung an die erschrockenen Gesichter der Erwachsenen wach wurde.

Der Kies unter ihren Reifen knisterte, als sie über den Waldweg sauste. Von den Kollegen keine Spur. Umso mehr genoss sie das zauberhafte Lichtspiel, das sich durch den uralten Mischwald um sie herum ausbreitete. Die Natur war in vollen Zügen dabei, ihr Sommerkleid auszubreiten. Der Stille Bach, ein im Mittelalter von Mönchen gegrabener Wasserlauf, querte ihre Fahrt, auf dem Weg zur Wolfegger Ach. Hatte sie sich verfahren? Sollte er nicht erst später kommen? Kerstin irrte kreuz und quer durch den Altdorfer Wald, um dann doch noch mit Hilfe von google-maps in Weissenbronnen anzukommen. Unsicher blickte sie sich um. Keiner der Herren Kollegen war zu sehen. Wo waren sie nur? Kerstin wandte sich verunsichert dem Haus zu. Das alte Gebäude wirkte gespenstisch. Einsam stand es auf einer ausladenden Waldlichtung. Kerstin blickte zögerlich durch die fensterlosen Rahmen des Hauses nach innen. Irgendwo dort drinnen hatte vor vielen Jahren im Gang die Eistruhe gestanden, mit den leckersten Wasser-Eistüten der Welt. Am Tresen konnte man sich Gummischlangen stückweise in Tüten packen lassen. Und wenn sie einen der Erwachsenen neben sich treuherzig anschaute, konnte es vorkommen, dass die Tüte mit der Bierbestellung gleich mit bezahlt wurde. Traurig wanderte ihr Blick an der Hauswand hoch, zum noch immer recht gut sichtbaren Wandbild, welches den Schwarzen Veri, jenen berüchtigten Räuberhauptmann aus vergangenen Jahrhunderten, darstellte. Sie kannte schon als Kind seine Geschichte, wusste von seinen Verbrechen und Abenteuern in den Wäldern Oberschwabens. Ein schwäbischer Robin Hood, wie die Menschen sagten. Ihre zaghaften Erkundigungen wurden durch das Knirschen bremsender Reifen auf dem Kies hinter ihr unterbrochen. Erschrocken drehte sich die junge Kommissarin um. «Erster!», brüllte Valmir überglücklich und hing prustend über dem Lenkrad. Steven hechelte nur noch. Nicht eines Wortes fähig, zog er den Helm ab und stürzte zum Wasserfall, um seinen Kopf ins kühle Nass einzutauchen. «Uuuh,» stöhnte er, um sich dann ins taufrische Gras zu setzen. Valmir hockte sich neben ihn auf einen Stein. «Meine Herren, für knappe fünf Kilometer sind Sie schon mächtig außer Puste. Was ist passiert?» Kerstin setzte sich zu ihnen und freute sich über deren Gesichter, die sie verdutzt anschauten. «Kerstin, du schon hier? Wie kommt das?» Beide wandten sich zu ihr hin. «Das darf doch nicht wahr sein!» Frustriert warf sich Steven rücklings ins frische Gras und blinzelte durch die Bäume hindurch in den Himmel: «Hast du den Förster abgefangen und ihn gebeten dich mitzunehmen?» Valmir schüttelte statt ihrer den Kopf und zeigte auf sein GPS-Gerät, welches er vom Fahrrad abgezogen hatte: «Nix da, mein Herr. Es liegt an Ihrem jämmerlichen Orientierungssinn.» Er tippte auf das Display: «Da schau - du bist zweimal an der Abbiegung hier vorbeigefahren. Zwei Schleifen haben wir gezogen, vollkommen umsonst. Unglaublich! Schon jetzt sind wir fast neun Kilometer gefahren…» Steven begehrte auf und boxte ihn gegen das Schienbein: «Vergiss es, Valmir! Wir sind gemeinsam vorbeigeschossen. Nur, weil du ein ehrgeiziger Gockel bist.» – «Aha. Aber dafür habe ich auch gewonnen.» Valmir richtete sich auf seinem Stein auf und blickte triumphierend in die Ferne.» Doch Kerstin beendete seinen Höhenflug umgehend: «Valmir, wäre es nicht fair, wenn du Steven von deinem tollen Fahrrad erzählen würdest?» Sie betrachtete aufmerksam ihre frisch lackierten Fingernägel, intensiv darum bemüht, ihr Lächeln zu unterdrücken. «Petze», maulte der Angesprochene und schaute beschämt in Stevens Gesicht, der sich gerade auf seine Ellbogen stützte, um das Rad zu inspizieren. «Soso, ein nagelneues KTM-Mountainbike, mit sehr breitem Vorderrahmen. Dann unten zwischen den Pedalen ein dickeres Paket.» Was stand da? «Bosch-Antrieb?» Er richtete sich nun vollends auf: «Mein Freund! Das ist Betrug!» Schweigen folgte. Selbst die Vögel des Waldes schienen kurz innezuhalten. «Das verlangt nach Satisfaktion! Darf ein Kriminalbeamter bescheißen?» Sein Blick haftete auf dem Kollegen: «Neeiin», antwortete Kerstin und schüttelte den Kopf, dass ihre blonden Locken wild durch die Luft tanzten. «Na siehste, Valmir! Strafe muss sein: Unser Mittagessen samt Getränken gehen auf dich!» Steven klatschte erfreut in die Hände. «Habe schon richtig Hunger.» Er sprang auf und blickte auf die Uhr. Neun in der Früh. Sie hatten noch etwas Zeit.

Steven drehte sich einmal um sich selbst und nahm erst jetzt die Umgebung wahr: «Irgendwie ist diese Gegend so schön und doch so traurig», murmelte er, mehr zu sich selbst gewandt. «Das war früher ein Ort, an dem gefeiert, getanzt und musiziert wurde. So viele schöne Momente habe ich hier erleben dürfen.» Kerstin nickte. Ja, sie kannte das. Steven fuhr fort: «Weissenbronnen ist für mich bis heute etwas Besonderes. Es strahlt eine unglaubliche Ruhe und Zeitlosigkeit aus.» Valmir warf etwas gelangweilt einen Kieselstein ins quirlig dahinfließende Wasser. «Ich finde diesen Ort heute etwas unheimlich», gestand Kerstin. Sie schüttelte sich, um das ungute Gefühl loszuwerden und konzentrierte sich auf den Grund ihrer Radtour: «Was wollen wir eigentlich besprechen, Steven?» Sie blies in eine Pusteblume und verfolgte aufmerksam den Flug der kleinen Fallschirme in Richtung ihrer Kollegen: «Hast du uns etwas zu verkünden?» Ihr Chef hielt in seiner Bewegung inne und verzog den Mund. Hatte denn niemand außer ihm Freude an diesem Ausflug? «Aber nein! Auf keinen Fall!», schimpfte er: «Ich will euch neue Erkennt­nisse aus den Akademie-Tagen in Karlsruhe weitergeben. Will euch von neuen Ermittlungstaktiken, forensischen Erkenntnissen erzählen und…» – «Steven, komm schon. Um was geht es denn wirklich?» Kerstin legte ihm die Hand auf den Arm. Dieser reagierte aber nicht darauf, sondern lud sie mit einem Wink ein, ihm zu folgen: «Lasst uns ein paar Meter zu Fuß gehen und dann erzähle ich es euch.» Mühsam schoben sie wenige Minuten später ihre Räder über den holprigen Kiesweg, der steil den Hang hoch führte. «Dort oben gehts dann nach links», sprach Steven kurzatmig. «Also, es ist so: Ihr wisst ja, wie anstrengend alles ist, mit der Arbeit, der Fortbildung in Karlsruhe und dann das Pendeln zu Andrea-Domenica nach Königswinter.» Er stoppte kurz, um einen Schluck Wasser zu trinken. Valmir beobachtete ihn aufmerksam: «Das bedeutet, deine Liebste möchte nicht zu uns nach Ravensburg ziehen?» Steven nickte: «Ja, das heißt es. Sie findet hier unten keine entsprechende Arbeit. Und der Job bei der internationalen Organisation in Bonn ist für sie zur Berufung geworden. Sie liebt, was sie tut und möchte auf keinen Fall weggehen. Diese quirlige Kolumbianerin ist ein lebendiger Freigeist. Sie will in die Welt hinausfliegen können. Pendeln ist deshalb angesagt…» Er seufzte. «Planst du, dich versetzen zu lassen?» Kerstin blickte etwas abwesend in die Ferne. «Also…» Steven tat sich schwer, darüber zu sprechen: «Also, da war dieser Dozent des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik aus Bonn, wisst ihr? Also, der hat mich, ich meine, er hat mir gesagt, er suche jemanden wie mich, aber…» Valmir unterbrach ihn abrupt: «Aber gar nichts! Das hört sich verdammt nach verstaubtem Büroalltag an, mit durchgesessenen Stühlen! Du würdest da eingehen wie eine Primel. Mensch Kerstin, sag doch auch mal was!» Doch diese blickte noch immer angestrengt auf einen Punkt, der vor ihnen lag. «Habt ihr das auch gerade gesehen? Der Mann, der mit dem kleinen Kind da vorne in den Büschen verschwunden ist?» Ihre Nasenflügel blähten sich auf. «Wo?», wollte Valmir wissen. «Na dort.» Kerstin zeigte direkt nach vorne. «Wo die Räder stehen.» Und schon marschierte sie strammen Schrittes zu dem genannten Punkt. Unsicher folgten ihr die beiden Männer. Kerstin pirschte ins Dickicht unter ihnen. Sie konnte nichts erkennen, hörte aber Stimmen. Steven legte leise sein Rad am Wegrand ab und gab Kommandos: «Valmir, du gehst links herum, ich rechts und Kerstin geht direkt runter.» Alle nickten und taten, wie ihnen geheißen. Je weiter sie den Hang hinunterglitten, desto deutlicher vernahmen sie Stimmen: Eine laute Männerstimme, die immer wieder ertönte und dann ein kindliches «ah, oh». Kerstin beschleunigte ihren Schritt. Gleich hatte sie die Geräuschquelle erreicht. Dann sah sie den Mann. Er hatte sich zu dem kleinen Mädchen runtergebeugt. Kerstin erkannte, dass er ihr etwas auf einem Tablet zeigte. Wollte der Kerl das Mädchen verführen? Sie trat aus ihrer Tarnung heraus und baute sich vor ihm auf: «Gehen Sie von dem Kind weg!» Ihre Stimme schallte laut durch den Wald. «Was machen Sie mit dem Mädchen?» Erschrocken drehte sich der hochgewachsene Mann, Mitte dreißig, zu ihr hin. Das Mädchen stieß einen Schrei aus und blickte mit aufgerissenen Augen zu Kerstin. «Was erlauben Sie sich?» Der Mann stellte sich vor das Mädchen und streckte abwehrend eine Hand in ihre Richtung. Seine körperliche Anspannung verhieß nichts Gutes. Gleich würde er sich auf Kerstin stürzen. Steven und Valmir hörten die lauten Stimmen und rannten schnell zu der kleinen Gruppe vor ihnen. «Was geht hier vor sich?», mischte sich Steven ein. Er stellte sich zwischen Kerstin und den Mann. Das Mädchen begann zu weinen. «Alles gut», flüsterte Kerstin. «Wir sind ja bei dir», und bewegte sich seitlich an Steven und dem Mann vorbei auf die Kleine zu. Doch der duldete das nicht: «Bleiben Sie stehen!», knurrte er. Die ungefähr Zwölfjährige drückte sich noch enger an den Mann. Der packte Kerstin am Arm, um sie aufzuhalten. Valmir, der bisher danebengestanden hatte, erwachte aus seiner Starre: «Stopp! Nehmen Sie die Hand von der Frau!» Und etwas beschwichtigender: «Lassen Sie uns das in Ruhe klären.» Er machte sich bereit, einen Angriff auf die Kollegin abzuwehren. Der Mann blickte ihn misstrauisch an. Schweiß perlte ihm von der Stirn: «Wer sind Sie, was haben Sie hier zu suchen? Ich rufe die Polizei!» Seine Wut steigerte sich.

Steven hob seine Hände: «Schon gut. Alles gut, wir sind die Polizei», sprach er in möglichst ruhigem Ton. Umständlich fischte er den Ausweis aus seinem Rucksack und zeigte ihn dem Mann. Der entspannte sich etwas und legte besänftigend die Hand auf den Kopf des Mädchens. Steven nickte freundlich und begann ein Gespräch: «Was machen Sie denn hier mitten im Wald?» Nicht ohne einen wütenden Blick auf Kerstin und Valmir zu werfen, antwortete der Mann etwas ruhiger: «Ich zeige meiner Tochter Vera einen der bedeutendsten Steinbrüche der ganzen Region!» Er zeigte mit ausgestrecktem Arm um sie herum: «Hier wurde über Jahrhunderte Tuffstein abgebaut. Feinster Stein, der sich in zahlreichen Gebäuden der Region wiederfindet: in Schloss Wolfegg, der Pfarrkirche oder der Basilika in Weingarten.» Der Mann schluckte kurz und fuhr fort: «Vera, meine Tochter, will Architektin werden. Nicht wahr, Vera?» Das Mädchen nickte verschüchtert mit dem Kopf. «Ich habe versprochen ihr alles, was ich an Baugeschichte weiß, zu zeigen und zu erzählen. Und das mache ich im Moment.» Steven nickte: «Schön, dass Sie sich die Zeit nehmen.» Der Mann lächelte ihm dankbar zu. Kerstin blickte verstört von Steven zu dem Mann und dann zu dem Mädchen, welches Steven gerade einen Steinbrocken zeigte: «Hier schau, das ist Kalktuff. Den konnten die Menschen im Mittelalter behauen und so formen, wie sie ihn dann für ihre Häuser gebraucht haben.» Steven beugte sich zu ihr hinunter und blickte den eigenartigen, gelblich-weißen Stein an. «Ja, das ist wirklich besonders. Und ich erinnere mich, dass ich das schon mal bei der Basilika in Weingarten gesehen habe.» Er gab dem Mädchen den Brocken zurück, das langsam Vertrauen fasste. «Aber es ist doch Schulzeit und was haben Sie dem Mädchen auf dem Tablet gezeigt?» Kerstin wollte noch nicht klein beigeben. Was, wenn der Mann die Geschichte erfunden hatte. Doch Stevens ermahnender Blick ließ sie verstummen. «Darf ich fragen, warum Sie uns gefolgt sind? Haben wir etwas falsch gemacht? Dürfen wir in diesem Schutzgebiet nicht sein?» Der Mann blickte die Beamten verunsichert an. Valmir nickte mit dem Kopf in Richtung Waldweg: «Wir haben oben auf dem Weg gesehen, dass…» – «…, dass hier eventuell eine Spur sein könnte, zu den Verbrechen des Schwarzen Veri», unterbrach ihn Steven schnell. «Wir sind heute privat unterwegs und wollen ein wenig Kriminalgeschichte lernen. So wie Sie Architekturgeschich­te.» Er schüttelte dem Mann die Hand und wandte sich zum Gehen: «Es ist schön, dass Sie sich die Zeit nehmen und mit Ihrer Tochter auf Expedition gehen. Das hätte ich früher auch öfters tun sollen. Einen schönen Tag noch.» Mit einem eindringlichen Nicken forderte Steven seine Kollegen auf, ihm zu folgen. Kerstin konnte den Blick nur schwer von dem Mann, dem Mädchen und einem sehr großen, vollgeladenen Rucksack abwenden, welcher an einen Baum gelehnt war. Dennoch tat sie es Steven gleich und stapfte neben Valmir den Hang hoch.

Sie setzten sich einen Moment später auf ihre Räder und ließen diese langsam den leicht abschüssigen Weg runterrollen: «So schnell wird man vom unbedachten Familienvater zum verdächtigen Sittenstrolch», sinnierte Steven. «Aber, es hätte ebenso gut sein können, dass wir ein Verbrechen verhindern. Warum hast du ihm so schnell geglaubt, Steven? Wir wissen nicht wirklich, ob er der Vater ist.» Kerstin kniff kurz den Mund zusammen, setzte aber nach: «Irgendwas war an dem Mann komisch. Ich weiß nicht genau was! Er war nicht ehrlich. Ich spüre das. Wozu der große Rucksack? Nein, er hatte was zu verbergen!» «Jaja, meine Liebe. So schnell sind Männer die Bösen und so schnell lassen wir uns von Vorurteilen und festsitzenden Bildern leiten.» Valmir gefiel sich in der belehrenden Rolle. Zum Glück war ihm Kerstin dort unten im Steinbruch zuvorgekommen, sonst wäre er jetzt derjenige, der sich hätte Sprüche anhören müssen.

Fortan schwiegen die Beamten und hingen ihren Gedanken nach. Ruhig und gemächlich ging die Fahrt an der Wolfegger Ach entlang, über die Ortschaft Höll, in Richtung Wolfegg. Überall schossen kristallklare Quellbäche aus den Hängen des Achtales. Das kalkhaltige Wasser bildete zahlreiche, kleine Terrassen, über die das kühle Nass in die Tiefe perlte. Und über allem thronte das mächtige Wolfegger Schloss, in dem noch immer eine der ältesten Adelsfamilien Deutschlands wohnte. «So, gleich können wir Valmirs Schuld einlösen», freute sich Steven und trat in die Pedale. «Nur noch diesen Schlossberg hoch, dann sind wir in Wolfegg und im schönsten Biergarten der Gegend. Auf ihr beiden, der Gasthof Post wartet!» Valmir schaltete schnell seinen Elektromotor an und blickte zu Kerstin rüber: «Warum kennt er sich so gut aus?» Sie lächelte: «Na, er ist halt von hier und interessiert sich für seine Heimat. Auch zugezogene Hessen dürfen das entdecken.» Sie lächelte ihn spöttisch an, erwähnte jedoch nicht, dass Stevens Ex-Frau in diesem Ort ihr Atelier und ihre Dauerausstellung hatte. Ihr wollte sie jetzt nicht unbedingt begegnen.

Wolfegg begrüßte die drei Radler mit der weitläufigen Schlossanlage im Barockstil und den dazugehörenden historischen Gebäuden der alten Brauerei, der Forstverwaltung und den zahlreichen, wuchtigen Gebäuden aus vergangenen Jahrhunderten. Ein lebendiges Museum. Sie blickten über den Parkplatz des Gasthofs Post und über das Achtal hinweg zu dem grünen, langgezogenen Band am Horizont. «Das Waldgebiet ist ja riesig, gehört das alles zusammen?» Kerstin war beeindruckt. «Ja, das tut es. Es ist der größte zusammenhängende Wald Oberschwabens. Die Bevölkerung nennt den Altdorfer Wald den Garten Eden Oberschwabens. Eine echte Perle.» Steven freute sich, dass Kerstin so interessiert war. Im Gegensatz zu Valmir. Dessen Interesse war materieller Natur: «Durst!», artikulierte er knapp und lief schnur­stracks in Richtung eines freien Tisches unter einer uralten Kastanie. Kerstin machte große Augen: «Der ist ja so dick, dass wir drei ihn nicht umfassen können. Wie alt mögen die ganzen Bäume hier wohl sein?» Sie blickte am Stamm hoch in Richtung des weit ausladenden Astwerkes. Was die wohl erzählen würden, wenn sie sprechen könnten? «In diesem Ort scheint die Zeit stillzustehen. Alles wirkt so mittelalterlich, so uralt. Eine muntere Stimme unterbrach ihre Träumereien: «Zwei Radler, ein Apfelschorle, Bitteschön.» Die Bedienung in ihrem bunten Dirndl lächelte sie freundlich an. «Schee hier, gell?» Sie reichte den Gästen die Getränke und nahm die Vesperbestellung auf: «Weißwürste, Kartoffelsalat und eine Brezel, alles klar.»

«Zum Wohl, ihr Lieben.» Steven hob den kühlen Krug und prostete den Kollegen zu. «Ah, tut das gut.» Sie wisch­ten sich den Schaum vom Mund und genossen die Erfrischung. «Was hast du eigentlich Frau Würstle gesagt, was wir heute tun, Steven? Muss man da nicht einen Antrag stellen?» Kerstin spielte mit dem Bierdeckel auf dem Tisch und versuchte, den Schwäbischen Spruch darauf zu entziffern. «Ja, das muss man! Ordnung muss sein. Und ich habe der Chefin versprochen, mit euch über Karriere, Team und Zukunft zu sprechen.»

Missmutig blickte Valmir in Richtung eines kleinen Sandkastens, in dem dreckverschmierte Kinder Höhlen, Burgen und Straßen bauten. Deren Eltern dösten auf Liegen gleich daneben. Ihnen würde er nachher den Platz streitig machen. Er brauchte ein Nickerchen - dringender als diese. Kerstin hingegen studierte Stevens Gesicht und sprach an, was ihr seit Tagen auf dem Herzen lag: «Stimmt es, dass die Chefin gehen will?» Kerstin mochte Veränderungen nicht. Steven fuhr sich mit der flachen Hand über die stoppeligen Haare: «Ja, das hat sie mir gesagt. Ihr wurde eine Stelle in der Pfalz angeboten. Näher an ihrem Heimatort.» Nun wurde Valmirs Aufmerksamkeit doch geweckt: «Bad Dürkheim? Na, da kann ich mir nur eine Leitungsfunktion in Mannheim vorstellen», grübelte er. Steven hob die Schultern: «Gut möglich. Aber dadurch kommt das Personal-Karussell bei uns in Gang.» Er hob den Krug und nahm nochmals einen kräftigen Schluck, bevor er weitersprach: «Sie weiß noch nicht sicher, ob sie das will. Ihre Kinder sind ja in Ravensburg groß geworden und sie ist schon so viele Jahre hier. Aber das Angebot ist verlockend und nach dem Tod ihres Mannes…» Er führte den Satz nicht mehr weiter aus. Alle kannten die Geschichte. Steven räusperte sich kurz und tippte Valmir mit dem Zeigefinger auf die linke Schulter: «Du mein Freund hast ja schon immer gezeigt, dass du Ambitionen hast. Du sollst sie nun auch umsetzen und in deiner Karriere weitergehen.» Betroffen wandte der Angesprochene seinen Blick ab. Ja, er hatte tatsächlich einmal darauf spekuliert, Stevens Position einzunehmen, falls dieser nach der Weiterbildung an der Akademie ebenfalls wechseln wollte. Lautes Schnäuzen unterbrach die beiden in ihren Gedanken. «Kerstin, was ist?» Ihre Blicke wanderten zu der Kollegin. Doch die versteckte noch immer ihre Nase im Taschentuch und flüsterte leise: «Sind nur die Pollen.» Ihr Chef legte sanft seine Hand auf ihren Arm. Mit ruhiger Stimme sprach er weiter: «Ich weiß, wie sehr dir das Team am Herzen liegt. Das tut ihr mir auch. Mehr als das. Ihr wisst, dass ihr wie eine Familie für mich seid. Doch es muss ja nicht heißen, dass wir uns verlieren, sollte das wirklich Realität werden.» Er rieb sich verräterisch an der Nase und schob nach: «Noch ist alles Theorie.» In die aufkommende Stille hinein stellte sich eine dicke, fette Amsel vor sie und trällerte fröhlich vor sich hin. Lachen ertönte am Tisch. Alle waren dankbar für die kurze Ablenkung: «Seht ihr, sie will uns sagen, dass wir uns nicht zu sehr mit lästigen Dingen beschäftigen sollen an diesem schönen Tag», kommentierte Valmir den Auftritt des mutigen Tierchens und nahm dankbar einen der Teller mit Weißwürsten entgegen, die die Bedienung gerade an den Tisch brachte. «Kerstin, wie sieht es eigentlich mit dir aus?» Valmir stopfte sich ein großes Stück seiner Brezel in den Mund. «Wie meinst du das?» Sie spielte die Ahnungslose. «Na, gibt es nicht auch bei dir den Wunsch, Karriere zu machen?» Vorsichtig schnitt Kerstin die Weißwursthaut der Länge nach auf und zerteilte sie in zwei Hälften, um mit Gabel und Messer kleine Häppchen abzuschneiden. Die Männer hingegen hatten die Würste in der Mitte geteilt, eine Hälfte davon in die Hand genommen und zuzelten sie aus, wie man so schön in Süddeutschland sagte. Es schmatzte kräftig, als das Wurstbrät herausgesogen wurde. Kerstin wägte ab: «Das was ihr Erfolg und Karriere nennt, ist für mich nicht wichtig! Ich will die Fälle lösen, mit euch zusammenarbeiten und zusammenbleiben. Ich will keine Veränderungen.» Steven wischte sich mit einer Serviette den Mund ab und prüfte den Gesichtsausdruck der Kollegin. «Du bist aber eine verdammt gute Kriminalistin, Kerstin, und extrem begabt. Du hättest es verdient weiterzukommen.» Doch das stand ihr nicht im Sinn. Das war nicht ihre Welt. Beinahe zeitgleich unterbrachen Kerstin und Valmir ihr Essen und richteten ihren Blick auf Steven: «Und was ist mit dir? Was sind deine Pläne?» Verunsichert ließ dieser das Messer fallen. Diese Frage hatte er befürchtet. Nein, gefürchtet! Jetzt, da sie heraus war, wusste er nicht, wie antworten. Valmir ließ nicht locker: «Da ist doch was im Busch, oder? Sonst würdest du das Thema nicht anreißen.» Er hatte recht. Die Amsel drehte sich weg und verschwand im Baum über ihnen. Steven setzte sich aufrecht hin. Seine Knöchel knackten, als er beide Hände fest zusammendrückte: «Also, es ist so. Nun, wie soll ich sagen.» Er räusperte sich, nahm einen tiefen Schluck und fuhr fort: «Ihr wisst ja, Andrea-Domenica ist in Bonn, wie ich vorhin schon sagte. Da ist somit immer das Pendeln von Ravensburg nach Bonn und umgekehrt. Also, das ist schon sehr anstrengend für uns beide.» Er räusperte sich erneut, damit der Frosch endlich aus dem Hals heraussprang. «Und?» Kerstin blickte ihn ungeduldig an. Ihre Augen wurden wieder wässrig. «Das Angebot des Dozenten aus Bonn klingt nicht wirklich genial, aber es könnte einige Probleme lösen…» Steven war gewillt, reinen Tisch zu machen und alle Pläne zu unterbreiten. Doch auch der zweite Anlauf sollte ebenfalls nicht klappen. Ein ohrenbetäubender Knall unterbrach sie in ihrem Gespräch. Unwillkürlich duckten sie ihre Köpfe.

***

Fenster schepperten. Die Kinder im Sandkasten schrien. Hastig flogen Vögel in alle Richtungen davon. Steven sprang von der Bank auf und zeigte auf die andere Seite des Tals der Wolfegger Ach. «Dort! Im Wald. Seht ihr die große Rauchwolke?» Sie war nicht zu übersehen. Ein dunkles Gebilde breitete sich am Himmel vor ihnen aus. Es stieg nach oben, wie ein großer Geist, der aus einer Flasche entwich. Zwei Rauchfetzen an den Seiten wirkten wie kleine Arme an dem bedrohlichen Wesen. «Eine gewaltige Explosion! Wird dort gesprengt?», wollte Valmir wissen. Doch niemand konnte ihm Antwort geben. Steven zog einen Fünfzigeuroschein aus der Tasche und reichte ihn der Bedienung, die mit vollem Tablett auf dem Kiesweg des Biergartens stand. Er rief ihr ein «stimmt so» zu und rannte währenddessen zu den Rädern. «Nimm meins Steven», bot ihm Valmir an, als dieser an dem alten Schloss seines Rades hantierte. Keine zwei Minuten später schossen sie die kurvige Straße den Berg hinunter in den Ortsteil Wassers, um auf der anderen Seite wieder den steilen Anstieg hechelnd zu meistern. Aus weiter Ferne vernahmen sie erste Polizeisirenen. Hinter ihnen rückte die Wolfegger Feuerwehr mit gleich drei Einsatzfahrzeugen an. «Das scheint etwas Größeres zu sein», hustete Valmir inmitten der hektischen Schnaufer, die sein mühevolles Treten auf Stevens altem Fahrrad begleiteten. «Dort drüben ist es!» Kerstin zeigte auf den Waldrand, schräg rechts vor ihnen. «Man, das muss ja mächtig gekracht haben.» Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Schwarze Wolken breiteten sich über den Baumwipfeln aus und stiegen in den Himmel auf. Steven blieb kurz an dem Feldweg stehen, der zum Waldstück führte, um einem Tanklöschzug Platz zu machen. Nachdenklich blickte er dem Fahrzeug hinterher. «Das Holz hat wohl Feuer gefangen. Hoffentlich reicht das Wasser.» Sie folgten dem Einsatzfahrzeug, das in langsamer Fahrt auf dem buckeligen Feldweg gefährlich hin und her wankte. Als sie wenig später in das Dunkel des Altdorfer Waldes eintauchten, trafen sie auf ein Durcheinander voller Menschen und Einsatzfahrzeugen, vor dem Hintergrund eines flammenden Infernos. Kerstin zeigte auf einen Uniformierten, der auf sie zulief: «Steven, der Kollege dort will uns wohl nicht hier haben, hast du deinen Ausweis parat?» Ihr Chef nickte: «Ja sicher» und zückte schon zum zweiten Mal an diesem Tag die Plastikkarte: «Grüß Gott Kollege, wir waren gerade in der Nähe, wie ist die Lage?» Steven verhaspelte sich beinahe, als er die Worte hervorstieß und noch beim Abbremsen dem Polizisten den Ausweis entgegenschleuderte. «Oh, entschuldigen Sie», stotterte er und hob den Ausweis hoch: «Kriminalhauptkommissar Plodowski und Kollegen von der Dienststelle in Ravensburg.» Der Polizist begann zu lächeln: «Ich erkenne Sie wieder. Wir hatten schon einmal die Ehre im Schwabenkinder-Fall vergangenen Spätherbst.» Und gab ihnen die Hand. «Eure unkonventionelle Art scheint System zu haben. Das gefällt mir.» Er blickte an Stevens Kleidung herunter: «Kommt mit rüber. Dort kann ich euch alles erzählen und wir stören die Kollegen von der Feuerwehr nicht.» Hitze brandete in stickigen Wellen herüber. Der Rauch nahm ihnen beinahe den Atem. Tränen schossen den Beamten aus den Augen. Feuerwehrfahrzeuge, Kranken­wagen und Polizeifahrzeuge verstopften die engen Waldwege. Verletzte wurden auf Bahren zu den Krankenwagen gebracht. Ihre Kleider hingen ihnen in Fetzen vom Leib. Rauch schwärzte die Gesichter und ihre Haut. Offene Fleischwunden deuteten an, welcher Gewalt diese Menschen durch die Explosion ausgesetzt waren. Kerstin wies mit der Hand in Richtung der Unglücksstelle: «Warum löscht niemand das Feuer? Ist das nicht gefährlich? Ich meine, der ganze Wald könnte doch in Flammen aufgehen.» Sorgenvoll blickte sie um sich. Doch der Polizist schüttelte mit dem Kopf: «Es darf noch niemand an den Ort. Wir wissen nicht, was da explodiert ist. Ständig folgen Detonationen. Wir müssen erst prüfen, um welche explosiven Materialien es sich handelt und wieviel da noch lagert.» Die Kriminalbeamten stellten sich zu einer Gruppe von Polizisten, die hinter einem VW-Bus Position bezogen hatten. Kurz nickten sie sich gegenseitig zu, stellten sich vor und blickten unsicher in Richtung der Unglücksstelle. «Wer weiß, vielleicht ist das altes Weltkriegszeug, was da in die Luft ging.» Erstaunt drehte sich Valmir um und blickte den Beamten an, der das sagte: «Weltkriegszeug? Was meinen Sie damit?» Er kräuselte die Stirn. Lautes Motorengeräusch der Löschpumpen brauste endlich auf. Die Feuerwehrleute versuchten, den Wasserstrahl aus gebührendem Sicherheitsabstand in Richtung Brandherd zu lenken. Es zischte und dampfte bedrohlich, als die ersten Glutnester getroffen wurden. Steven wischte sich den Schweiß von der Stirn und erklärte: «Nach dem zweiten Weltkrieg kamen hier sehr viele Soldaten durch, auf der Flucht vor den Alliierten. Sie wollten alle in die so genannte Alpenfestung. Wenn ihnen ihre Last zu schwer wurde oder sie desertierten, haben sie Waffen und Munition vergraben. Eventuell auch hier.» – «Oder es waren Blindgänger. Von der Bombardierung von Friedrichshafen gegen Kriegsende. Ist aber recht selten.» Der Polizist, der sie empfangen hatte, schüttelte den Kopf, als er das sagte: «Ich kenne keine einzige Meldung, die einen Blindgänger hier oben, weit weg von Friedrichshafen, dokumentiert.» Eine weitere Explosion drang durch den Wald. Erschrocken duckten sich alle Anwesenden. Valmir stolperte und fiel ungelenk über Kerstin hinweg und landete mit ihr im moosigen Waldboden. «Autsch.» – «Ups, sorry.» Schwerfällig schob er sich von ihr weg. «Man, bist du schwer geworden, lieber Kollege.» Sie lächelte, um dann aber schnell wieder ernst zu werden: «Was war das?» Achselzucken bei allen. Vermutlich weitere Munition, die durch die Hitze gezündet wurde. Während die Löscharbeiten mutig fortgesetzt wurden, wanderten Stevens Augen umher: «Was machen all die Bagger und Geländefahrzeuge hier? Dort drüben, stehen da nicht Leute herum? Seht ihr die? Sie tragen Helme. Sind das Bauarbeiter?» Valmir schüttelte den Kopf: «Bauarbeiter mitten im Wald? Welchen Sinn soll das denn ergeben?» Er machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand: «Die sind bestimmt irgendwo vom Straßenbau und der Krach hat sie hergelockt.» Doch eine junge Polizistin berichtigte ihn: «Nein, sie gehören hierher. Sie machen Probegrabungen. Hier soll eine große Kiesgrube entstehen. Deshalb auch das Protestcamp in den Bäumen dort drüben.» Einer ihrer Kollegen fragte erstaunt: «Probegrabungen? Gibt es dafür eine Genehmigung? Das Abbauprojekt ist doch erst gerade beantragt worden und der Vorgang dauert Jahre, bis alle Prüfungen durch sind.» Steven blickte in die Richtung der Personen mit gelben Helmen auf den Köpfen. Ein dicklicher Kerl mit Seehund-Schnauzbart im käsebleichen Gesicht wischte gerade den Schweiß von der Stirn und drehte sich abrupt weg, als er entdeckte, dass Steven ihn durch die Bäume hindurch beobachtete. Er schien seinen Kollegen irgend­etwas zuzurufen und machte sich dann eilig daran, zu einem der Geländefahrzeuge zu stapfen. «Da will einer verschwinden», rief Steven aufgebracht. «Haltet ihn auf, wir brauchen seine Personalien!» Doch die Polizisten winkten ab. «Keine Sorge, der geht uns nicht verloren. Den Kiesbaron kennt hier jeder. Den können wir jederzeit vernehmen.» Aha, der Kiesbaron also. Steven zückte sein Büchlein, das er in seiner Fahrradtasche gelagert hatte. Was anderes fiel ihm gerade in seiner Tatenlosigkeit nicht ein. «Kiesbaron, Kiesabbau, Weltkriegsbomben, Explosion» notierte er ungelenk auf eines der kleinen Zettelchen. Valmir deutete auf die Feuerwehrfahrzeuge: «Sie rücken vor, um näher an den Brandherd zu gelangen. Wollen wir folgen? Wir können doch nicht die ganze Zeit nur rumstehen. Und ganz nebenbei: Möchte niemand anfangen, den Tatort abzusperren und die Daten der Zeugen dort drüben erfassen?» Die Polizisten blickten ihn erstaunt an: «Tatort? Wie kommen Sie darauf, dass es sich hier um einen Tatort handelt?» Verdutzt senkte Valmir seine Arme. Sie hatten recht. Vielleicht war das hier nur ein Unglücksort, auch wenn das Wörtchen «nur» sarkastisch klang. Aber zumindest hatte sein Ausspruch dazu geführt, dass sich tatsächlich die ersten Polizisten vom Anblick des langsam erlischenden Feuers losrissen und aktiv wurden. Rotweiße Bänder wurden aus den Fahrzeugen geholt und der Ort großräumig abgesperrt. Kerstin kam von den Krankenwagen zurück und erstattete Bericht: «Es sind drei Opfer. Einer ist leider direkt an der Unglücksstelle verstorben. Die anderen beiden sehen ebenfalls nicht gut aus.» Stumm zeigte Valmir mit ausgestrecktem Arm zu dem Bereich links vom Tatort – für ihn war es ein solcher! – wo ein gelber Metallhaufen lag. «Dort sind die Überreste eines Baggers. Das Ding hat es wohl ziemlich zerlegt.» Ob die Bewohner des erwähnten Protestcamps ihre Finger mit im Spiel hatten? Valmir versuchte, im hinteren Bereich des Unglücksortes, einzelne Holzkonstruktionen in den Bäumen zu erkennen. «Wir sollten denen auf jeden Fall einen Besuch abstatten», sprach er und zeigte in Richtung der Baumhäuser. «Später», kommentierte Steven. «Ich will erst einmal sehen, was dort wirklich passiert ist.» Geduldig warteten sie auf das Zeichen des Feuerwehrkommandanten, um dann, nach seiner Meldung «Brand unter Kontrolle, Unfallstelle gesichert», loszumarschieren. Es waren gut zwanzig, dreißig Meter, die sie noch zurückzulegen hatten. Der Geruch des Sprengstoffs drang in Stevens feine Nase. Ein großer Krater, zerfetzte Bäume und der vollkommen demolierte Bagger zierten die gespenstische Szenerie. Sowie zahlreiche Menschen, die drum herumstanden. Sie mussten von der anderen Seite gekommen sein. Steven machte sich keine Gedanken darum. Ihn zog das mächtige Loch im Boden an, das offenbar direkt neben einer ausladenden Baumwurzel in diesen hineingerissen wurde. «Valmir, Kerstin, was meint ihr? Ein Sprengstofflager oder doch ein Blindgänger?» Steven blickte sich nicht extra um. Er wusste, dass beide Kollegen direkt hinter ihm standen. «Keine Ahnung, wir brauchen einen Sprengstoffspezialisten. Diese lesen aus solchen Kratern wie aus Büchern. Ich rufe gleich im Kommissariat an, dass die das in die Wege leiten.» Steven nickte und wandte sich an einen der zwei Polizisten, die mit ihnen zum Unfallort gekommen waren. «Wir übernehmen die Ermittlungen, wenn Ihr erlaubt. Es gibt einen Toten und zwei Schwerverletzte zu beklagen. Auch ist sehr viel Sprengstoff im Spiel. Wir müssen in alle Richtungen ermitteln, um zu erfahren, was hier passiert ist.» Die Angesprochenen nickten. Einer stierte in das Loch und fragte: «Glaubt ihr, dass das ein Anschlag war? Sind hier Terroristen am Werk?» Sein Kollege stieß ihm in die Rippen: «Red doch kein dummes Zeug. Was ist das denn für ein Schmarrn!» Doch Stevens Neugierde war bereits geweckt: «Welche Terroristen? Anschlag auf wen?» Der junge Polizist, der den Verdacht ausgesprochen hatte, rieb seine Rippen und presste mühsam hervor: «Nun, auf den Kiesbaron. Vielleicht waren es die Umweltschützer. Selten hatten wir so heftige und aggressive Proteste wie hier beim Kiesabbau. Den Kiesbaron mögen sie hier gar nicht!» Er nickte in Richtung der Waldbesetzer. Nochmals unterbrach ihn sein Kollege: «Nun fang doch nicht mit falschen Verdächtigungen an! Die Leute hier in den Baumhütten sind friedliebende Menschen! Die machen so einen Scheiß nicht. Das war ein Unfall! Mehr nicht.

Wer hätte denn wissen können, dass die Kiesabbauer hier sind. Das muss alte Munition sein.» Er blickte verärgert in Richtung seines Kollegen und schüttelte den Kopf. Doch der ließ sich nicht einschüchtern und konterte: «Das sagst du doch nur, weil deine Tochter und dein Sohn dort oben in den Bäumen hausen.» Ein Streit bahnte sich an. Steven ließ die Herren gewähren und machte sich nebenbei seine Notizen. Die Baumbesetzer interessierten ihn. «Halt! Stehenbleiben! Verdammt du Grasdackel, bleib stehen!» Laute Schreie hallten durch den Wald. Steven blickte von seinen Notizen auf und sah Polizisten, die einen Hang hochrannten, über Wurzeln stolperten, fluchten, wieder aufstanden und weiterrannten. Sie schienen jemanden zu verfolgen. Doch derjenige war flink und bewegte sich geschickt zwischen den Bäumen und Sträuchern hindurch. Steven konnte nun den Flüchtenden erspähen, der gerade einen Bogen schlug. Schnell war dieser bei den Rädern und schnappte sich davon eines. Stevens Rad! Dieser fluchte und nahm ebenfalls zu Fuß die Verfolgung auf. «Halt, das ist mein Rad! Stehenbleiben.» Doch den Kerl scherte das nicht. Ungelenk trat er in die Pedale und eierte über den Waldweg davon. Schnell genug, dass ihn niemand mehr einholen konnte. Valmir war der erste, der sein E-Bike erreichte und hinter ihm hereilte, noch bevor eines der Polizeiautos auf den engen Waldwegen zu wenden vermochte. Kerstin schnappte sich ihr Rad und raste davon: «Halt und ich?», stöhnte Steven außer Atem. Schnell öffnete er die Hintertür des Polizeiautos, welches gerade wendete und sprang hinein. Der Fahrer fuhr gefährlich schnell über die Schlaglöcher und Äste hinweg, die den schlechten Waldweg säumten. Beinahe wären sie in die drei Fahrräder hineingeschossen, die hinter einer weiteren Kurve übereinander lagen, Menschen mittendrin. Valmir und Kerstin hatten den Flüchtenden mit ihren Rädern frontal gerammt und zu Fall gebracht. Polizisten stürzten aus ihren Autos und warfen sich auf den Mann, der sich zu wehren versuchte und rissen ihm die Hände auf den Rücken. Schnell waren Handschellen angelegt. Lautes, erregtes Schnaufen erfüllte den Platz, vermischt mit dem Wimmern des Gefangenen. Einer der herbeieilenden Polizisten schien den Mann zu erkennen: «Aber das ist ja der Dieter, Dieter Häberle. Ich kenne ihn, er ist aus Grund. Die Ortschaft gleich nebenan. Mensch Dieter, was machst du denn hier?» Er beugte sich zu ihm runter und hielt ihn an den Schultern. Doch der Angesprochene gab kein Wort von sich. Mit großen, runden Augen blickte er die Leute um sich herum an. «Mein Hut, wo ist mein Hut?», stotterte er. Der Polizist streckte den Arm aus und hob einen alten Tiroler Hut vom Waldboden auf. «Hier, nimm.» Zu den Kollegen gewandt sprach er: «Den könnt ihr freilassen. Der Dieter, der tut keiner Fliege etwas zu Leide.» Auffordernd blickte er die Beamten an, die die Handschellen angelegt hatten. Doch die dachten nicht daran, auf ihn zu hören. Valmir sprang ihnen bei: «Und warum ist er dann geflüchtet? Warum hat er alles aus einem sicheren Versteck beobachtet? Nein, nein. Der ist mehr als verdächtig und kommt jetzt gleich mit aufs Revier nach Ravensburg. Führt ihn ab.» 

Verdacht

Steven quälte sich mit einem mächtigen Muskelkater herum, als er am folgenden Morgen mühsam einen Fuß vor den anderen setzte, um die Treppe hochzusteigen. Nur noch wenige Stufen und ein paar Meter, dann würde er es endlich ins Büro geschafft haben. «Soso, das Fahrrad-Einsatz-Kommando ist zurück. Nette Geschichte, wie man hört», spottete ein Kollege, der ihm auf den letzten Stufen begegnete und lächelnd die Treppe hinuntertippelte. «Ja, ich dir auch…» schnaufte Steven schwerfällig. Kam der nicht gerade aus seinem Büro? Hatte Valmir gepetzt? Steven warf energisch die Tür auf und wollte den Kollegen zur Rede stellen. Doch beim Anblick der beiden blieben ihm die Worte im Mund stecken: Sowohl Kerstin als auch Valmir waren voller blauer Flecken und Blutergüsse im Gesicht, an Armen und wahrscheinlich am ganzen Körper. «Autsch, das sieht nicht gut aus. Gehts euch so, wie ihr ausseht?» – «Charmant, charmant», konterte Kerstin: «Aber ja, das tut saumäßig weh. Der Sturz mit dem Rad war keine gute Aktion.» Valmir zeigte auf sein Hinterteil: «Liebe Kollegin, willst du mal sehen, wie es da aussieht, wo du mit deinem Rad reingeknallt bist?» Kerstin hob zur Abwehr die Hände in die Höhe: «Nein, nein mein Lieber. Alles gut.» Steven schenkte frisch gebrühten Kaffee in drei Tassen ein, gab den Kollegen jeweils eine und setzte sich zu ihnen an den breiten Arbeitstisch. In den Nachbarzimmern klopfte und hämmerte es. «Was soll das denn, was machen die da?» Steven wollte schon auf­springen, sackte aber wieder mit einem Stöhnen auf den Stuhl zurück. Muskelkater konnte schon sehr wehtun. Kerstin klopfte auf die alte, vorsintflutliche Heizung: «Sie haben letzte Woche tatsächlich begonnen, unsere liebenswerte Heizung zu erneuern. Oh, wie ich das vertraute Gluckern vermissen werde.» Steven zog die Augenbrauen hoch. Dass er das nochmals erleben durfte! Aber, sie hatte recht: «Ja, da wird uns was fehlen. Das gehörte dazu wie Schnee zum Winter.» Sie nippten an ihrem Kaffee und hingen den winterlichen Gedanken nach. Stevens Blick streifte die Ermittlungswand. Noch war sie weitestgehend leer. Einzig erste Fotos des Unglücksortes von gestern sowie das Foto des verdächtigen Dieter Häberle waren mit Magneten in die Mitte geheftet worden. Steven mühte sich zu dessen Bild und studierte es intensiv. «Wie man in Lederhosen nur so schnell rennen kann», sprach er mit Anerkennung in der Stimme. Kerstin nahm die Akte des Verdächtigen in die Hand. Sie hatte sie schon mehrfach gelesen und die Fotos studiert. Der Mann konnte auf keinen Fall ein Attentäter sein. Ihrer Meinung nach. Nein, da war sie sich sicher. Und doch… Was hatte er im Wald zu suchen und warum war er vor den Beamten geflohen? Steven schien ihre Gedanken erraten zu haben und kommentierte: «Man kann nicht hinter die Stirn eines Menschen schauen. Da kann man sich täuschen.» Egal wie lange man schon Kriminalbeamter war und gute Menschenkenntnis besaß.

Das Hämmern störte sie beim Nachdenken. Genervt wandte sich Steven von der Wand ab und schenkte seine Aufmerksamkeit dem Büro und den Umbauten. Vieles hatte sich verändert in den letzten Monaten, wer hätte das gedacht. Der Wanddurchbruch zum Nachbarbüro war bereits vollständig verputzt und alles neu gestrichen. Nun konnte das Team beieinandersitzen und jeder hatte dennoch genügend Platz für sich. Demnächst würden sie auch höhenverstellbare Tische bekommen. Er hatte das mit Frau Würstle bereits besprochen. Es ging also endlich mal voran im Kommissariat. Seit Ravensburg zum Jahresbeginn offiziell zum Polizeipräsidium ernannt wor­den war, gab es einen Schub. Steven gefiel das. Der Kommissar beachtete gar nicht, dass in den vergangenen zwei Wochen und während seiner Abwesenheit ein weiterer kleiner Arbeitstisch eingerichtet worden war. Auf diesen Sachverhalt wollte Kerstin ihren Chef gerade hinweisen, als es bereits an der Tür klopfte. «Steven, wir haben endlich mal wieder einen neuen Praktikanten.» Sie drehte ihren Kopf in Richtung Tür, die sich nur zaghaft öffnen wollte: «Einen Praktikanten? Wer hat das bestimmt? Das kann ja was werden.» Sowohl Steven als auch Valmir schüttelten die Köpfe: «Bisher hat das nie geklappt. Einer war schlimmer als der andere», erinnerte sich Steven und Valmir ergänzte: «Ja, der vor zwei Jahren hat uns sogar im Auftrag des Staatsanwaltes ausspioniert. Der Sack.» – «Aber, er hat uns am Ende auch den Arsch gerettet, damit dieser Herr hier noch am Leben sein kann.» Kerstin nickte mit dem Kopf in Richtung Steven. Dieser erinnerte sich nur zu gut an die gefährlichen Tage in Bogota. «Na gut, wann fängt er an?» Steven achtete nicht mehr auf die Tür und war in Gedanken wieder bei seinen Nachforschungen. Inzwischen lag vor ihm eine geologische Karte mit den Kiesvorkommen in Oberschwaben. «Sie! Es ist eine sie!» Mit diesen Worten stand Kerstin auf, öffnete vollends mit einem kräftigen Zug die Tür und machte der Person Platz, die sich nur zögerlich traute, einzutreten. «Sina», stotterte Steven. «Hallo Paps.» Sie küsste ihn auf die Stirn. «Du?» - «Nicht ganz. So gerne ich es wäre. Nein, es ist eine andere Kollegin, die wir in der vergangenen Woche zu Hause zu Gast hatten. Darf ich vorstellen? Elif, die Austausch-Polizistin aus dem Irak.» Bei Steven legte sich die Stirn in Falten. Ein «Was?» war dann auch die einzige Reaktion, die sich ihm entlocken ließ, als hinter Sina eine junge Frau in Polizeiuniform den Raum betrat. «Hallo», sprach sie in gutem Deutsch, mit leichtem Akzent. Kerstin ergriff freudig ihre Hand und schüttelte sie zur Begrüßung. «Willkommen Elif.

---ENDE DER LESEPROBE---