Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Eine junge Frau fährt mit ihrem Motorrad durch eine einsame Waldstraße... Kurz darauf erleidet sie einen Unfall, und liegt schwer verletzt, alleine und hilflos im Wald. Eine "Gang" bestehend aus fünf Katern findet sie, und organisiert auf untypische Art und Weise Hilfe. Es stellt sich heraus, dass bei dem Unfall manipuliert worden ist. Kommissar Wieland und Kommissar Jordi haben alle Hände voll zu tun. Aber sie haben Hilfe. Laila, die kleine selbstbewusste, schwarze Katze und ihre "Gang" sehen natürlich viel mehr, als es ein Mensch jemals könnte. Es wird nicht der einzige Unfall bleiben, bei dem sogar ein Mensch zu Tode kommt! Laila und Konsorten tauchen in die Motorradszene ein, und stellen fest, dass das Zusammenleben zwischen den Motorradfahrern sich nicht sonderlich von ihrem Leben unterscheidet. Mit der üblichen schon bekannten Anarchie, gepfeffertem Humor, aber vor allem mit Solidarität und Freundschaft gelingt es ihnen in diesem besonders perfiden, bösartigen Fall Licht und Dunkel zu bringen! Auch in ihrem dritten Fall zeigen Laila und die Katzen was sie drauf haben.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 712
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Dieses Buch ist meinem FreundClemens gewidmet
Das feuerrote, italienische Motorrad schmiegte sich elegant in die Kurven. Die Nachmittagssonne gab dem Wald zusammen mit seinen bunten Blättern einen goldenen Schimmer. Der Mensch auf dem Motorrad hob ein wenig sein Visier an, um die verschiedenen Düfte des Waldes und der Wiesen aufzunehmen. Durch das Visier wirkte die Natur rechts und links der Straße so pittoresk und überirdisch schön, dass er sich wünschte, dieser Augenblick möge niemals vergehen. Tief atmete der Mensch ein und versuchte die Düfte zu sondieren. Auf seinen Lederklamotten spürte er die Wärme der Sonne und er wurde eins mit seiner roten Maschine. Besser kann es nicht sein. Er bog von der Schnellstraße ab und fuhr in eine weniger befahrene Seitenstraße. Er nahm eine Bewegung im Gebüsch wahr. Zwei Rehe überquerten den Weg und das Motorrad musste seine Geschwindigkeit drosseln. Der Mensch lächelte leise in sich hinein und gab erneut Gas. Er fühlte angenehm die starke Maschine mit ihren vielen Pferdestärken unter seinem Sitz. Er senkte den Kopf, um das Motorrad wieder auf Geschwindigkeit zu bringen...
Doch plötzlich wurde die Fahrt unterbrochen.
Es war, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gefahren. Er wurde durch die Luft geschleudert. Er sah zuerst den Himmel und nahm für Sekundenbruchteile wahr, wie ein Schwarm Wildgänse schreiend über den Wald flog. Dann knallte er unsanft auf die Straße und rutschte mehrere Meter bis auf das Gras neben der Straße. Das Motorrad fiel krachend zur Seite, drehte sich ein paar mal um sich selbst und schleuderte in den Graben. Das Vorderrad des Motorrades drehte sich noch immer weiter, als weigerte es sich, die Tatsache anzuerkennen, dass die Fahrt auf dramatische Art und Weise beendet wurde. Bewegungsunfähig und hilflos blieb der Mensch auf der Grasnarbe liegen. Die Nachmittagssonne wanderte weiter und die Bäume schienen den Menschen mit ihren Schatten beschützen zu wollen.
*
Es ist ein wunderschöner Herbstnachmittag. Wir spazierten zu fünft durch unseren bunten Wald...ich ärgerte mich gerade mit einem Eichhörnchen herum und wäre Laura nicht dazwischengegangen, gäbe es eins weniger. So einen Aufstand zu machen! Wegen eines Eichhörnchens. Unfassbar! Laura hat einfach ein zu gutes Herz. Aber Moment mal, vielleicht sollte ich uns erst einmal vorstellen. Man will doch schon wissen, mit wem man es zu tun hat.
Also, da wäre zuerst einmal ich, eine etwas zu klein geratene, wahnsinnig hübsche, schwarze Katze, und mein Name ist Laila. Man sagt mir nach, dass ich gerne Regeln übertrete und auch schon mal mit der Tür ins Haus falle, wenn ich etwas erfahren möchte. Neben mir spaziert die Namenlose mit ihrem Sohn. Sie möchte sich an keinen menschlichen Haushalt fest binden und nimmt keinen Namen an, ist uns aber in tiefer Liebe und Freundschaft verbunden. Die Namenlose ist so ziemlich das attraktivste, weibliche Katzenmodell unter der Sonne. Ihre Augen strahlen eine Kraft aus, die jeden in seinen Bann zieht, ihr grau gestreiftes Fell gibt elegant ihre Bewegungen wieder und sie trägt ihre Anmut mit sich, wie eine Königin ihre Krone. Das ärgert mich...aber nur ein bisschen. Ihr Sohn, mit Namen Oscar, ist genau das Gegenteil. Riesengroß, wiegt mehr als das vierfache als ich, ist weiß mit schwarzen Flecken oder umgekehrt. Aber das ist Ansichtssache, je nachdem von welcher Seite man ihn zuerst sieht. Man könnte ihn aus der Ferne auch für ein kleines Kalb halten. Das ist aber auch so was von egal. Er lebt auch mit mir und unseren Menschen fest in einem Haus. Oscar beschäftigte sich gerade mit Inbrunst, diese dämlichen Blättermonster zu fangen. Er konnte so schnell sein wie er wollte, die Monster waren immer schneller und er hielt nichts als Blätter in seinen Pfoten.
Unsere Menschen...die da wären, Laura und Sebastian, sind beide in den dreißigern, arbeiten zusammen in einer Firma und nehmen sich trotzdem immer wahnsinnig viel Zeit für uns, wenn wir schon mal zu Hause sind.
Laura hat riesengroße dunkle Augen, wunderschöne braune Locken und ist gebaut wie eine Heuschrecke. Sebastian...mein Sebastian... darauf muss ich leider bestehen, ist groß, schlaksig und mit blonden, stets verwuschelten Haaren.
Der fünfte im Bunde ist Sam. Eine Bordeauxdogge von der Größe eines Kleinelefanten. Sein Schlafkörbchen würde besser in eine Garage passen als in ein Wohnzimmer. Aber er ist unser bester Freund. Er teilt gerne mit Oscar ein stinkendes altes Schweineohr, besonders dann, wenn Probleme zu bewältigen sind. Seine Menschen sind Wolfgang und Helga, unsere Nachbarn. Doch mittlerweile hat es sich so eingebürgert, dass, wenn unsere Menschen einen schönen großen Ausflug machen, Sam uns begleitet.
So, jetzt wisst ihr Bescheid, jetzt wisst ihr, mit wem ihr es zutun habt.
Hätte ich auch nur im Entferntesten geahnt, was nach diesem Nachmittag alles auf uns zukommt, vielleicht wäre ich gar nicht erst von meinem roten Sessel aufgestanden!
Das ist natürlich vollkommener Quatsch, jeder weiß, wie krankhaft neugierig ich bin, und wie oft ich meine Freunde dadurch in die Bredouille geritten habe.
*
Der alte Lagerschuppen lag am Rande des Waldes und sein altes Holz nahm dankbar die Wärme der Sonne entgegen. Neben dem Schuppen stand eine hohe Tanne und unter der Tanne wuchsen Pilze. Schöne Pilze. Sie waren rot und hatten weiße Punkte und niemand störte sie hier. Fast niemand, wenn man von den fünf Katern einmal absah, die es sich in dem alten Lagerschuppen gemütlich gemacht hatten und den Nachmittag abhängen wollten.
Ekki, der kleine Kater mit den braunen, dunkelbraunen, schwarzen, roten und weißen Flecken, langweilte sich fürchterlich. Er stand auf, reckte und streckte sich und machte hinterher noch einen Riesenbuckel. Dann gähnte er herzhaft, dass ihm die Sonne bis in die Speiseröhre schien und seine Schnurrbarthaare ihn kitzelten. Daraufhin musste er fürchterlich niesen und konnte nicht mehr aufhören.
„Sag mal,“ brüllte Pirat, der gestreifte einäugige Kater, „geht’s noch lauter? Auf der anderen Seite des Waldes soll es noch eine Maus geben, die von unserer Anwesenheit noch nichts geahnt hat.“
„Das dürfte sich erledigt haben,“ brüllte der feuerrote Richie gegen das Niesen an. „Wenn wir jetzt noch was fleischiges wollen, müssen wir unsere Versorger in den Supermarkt schicken.“
„Aber ich gebe Ekkis Versorger Bescheid. Der braucht im Moment nichts, bei der Niesdiät,“ meinte der gestreifte Robert missbilligend hinterher.
„Haltet die Klappe,“ brüllte Zorro, der große, schwarze, imposante Kater und Chef der Gang dazwischen, „aber ein bisschen plötzlich! Hör endlich auf zu niesen, Ekki! Himmeldonnerwetternocheins! Ich drehe dich mit der Nase eigenhändig in die Pilze, wenn du nicht aufhörst. Da nähert sich irgendwas motorisiertes. Hört ihr das?“
Ekki versuchte seinen Niesanfall unter Kontrolle zu bringen. Er hielt die Luft an, seine Backen wurden immer dicker und seine bernsteinfarbenen Augen hatten mittlerweile die Form von kleinen Monden.
„Ekki sieht aus wie diese bescheuerten Ballons, die es auf dem Jahrmarkt zu kaufen gibt,“ schnurrte Richie zufrieden. „Das bringt mich auf eine glänzende Idee,“ warf Pirat ein. „Vielleicht sollten wir ihn verkaufen, dann hätten wir einen kleinen Notgroschen für schlechte Zeiten, aber viel wird es für das Ballongesicht nicht geben.“
„Ich sage euch jetzt was. Stellt euch in einer Reihe hintereinander auf, dann brauch ich nur einmal zuzuschlagen!“ Zorro begann sich hektisch am Hinterkopf zu kratzen. Das war das Zeichen, dass Zorro aufgedreht war und seine Nerven gespannt waren, wie Bogensehnen. „Meine Nerven sind nicht aus Bandnudeln. Ich sagte, Klappe halten, und sperrt eure dämlichen Ohren auf...und Ekki, du weißt Bescheid. Sonst krieg ich wirklich die Krise.“
Vor Ekkis Augen tanzten Feuerkreise.
„Ammes knar, Boss“
„Hol endlich wieder Luft, Ekki. Du meine Güte womit habe ich das verdient?“
Das Motorengeräusch war nicht mehr zu überhören. „Gehen wir nachsehen, wer sich hierhin verirrt hat, Boss?“ Richie hob witternd seine Nase in den Wind.
„Ja, das tun wir. Ich will wissen, wer sich hier herumtreibt. Es ist unser Clubheim und außer mit diesen bescheuerten Fledermäusen müssen wir es mit niemandem teilen. Aber die waren ja auch schließlich zuerst da. Die hängen den Tag über ab und wir können abends Party machen. Vollkommen in Ordnung, wir sind eine nette Wohngemeinschaft. Wenn die nur nicht so stinken würden.“
„Es ist eigentlich das, was sie aus ihren Hintern pressen, was so fürchterlich stinkt,“ meinte Ekki.
„Das kann uns nicht passieren, weil wir unsere Häufchen schön und ordentlich vergraben.“
„Halt die Klappe, Ekki! So genau will es keiner wissen, weil...“
„Jetzt solltest du aber die Klappe halten, Boss,“ flüsterte Robert.
Die fünf Kater machten sich auf den Weg. Sie blieben parallel zu der Seitenstraße im Wald und liefen dem Motorengeräusch entgegen. Zwei Rehe standen auf einer kleinen Lichtung und zupften Gras.
Neugierig versteckten sich die fünf Kater im Gebüsch, um die wunderschönen Tiere zu beobachten. „Das wäre auch mal ein netter Braten, mit Rotweinsauce und so...“ sinnierte Richie leise vor sich hin. Sein Magen schickte ein drohendes Knurren in die Natur. Aber die aufmerksamen Tiere haben weit mehr drauf, als nur Gras zu fressen. Ihre Ohren steil aufgerichtet, hatten sie die Witterung der Kater, und wahrscheinlich auch das Knurren, aufgenommen, und sprangen in eleganten Sätzen gegen den Wind auf den Waldrand zu.
„Also als Großwildjäger eignest du dich nicht,“ schimpfte Zorro. Mit deiner dämlichen Rotweinsauce hast du die Viecher vertrieben.“
Das Motorengeräusch kam näher.
„Na ja, vielleicht erledigt dieses Motorending das Ganze für uns. Wenn eins von den Viechern überfahren wird, könnte es doch noch was werden. Mal sehen, wie ich an Rotweinsauce komme.“
Vollkommen entnervt rollte Zorro mit den Augen und sie schlichen den Rehen hinterher. Die beiden Tiere spürten wohl die vermeintliche Gefahr hinter sich und sprangen mit Riesensätzen auf die Straße zu. Das Motorengeräusch kam näher.
„Jetzt bin ich aber gespannt,“ flüsterte Robert.
Die Rehe kreuzten die Straße und ein rotes, zweiräderiges Ding wurde langsamer und ließ die Rehe passieren.
„Das ging leider daneben, heute gibt es keinen Braten und schon gar keinen mit Rotweinsauce,“ maulte Pirat.
„Meinst du wirklich, wir hätten diese Riesenviecher jagen können?“ fragte Richie.
„Nein, natürlich nicht. Aber man wird doch noch träumen dürfen!“ Zorro schüttelte seinen dicken, schwarzen Kopf, „kommt, Leute, lasst uns sehen was dieses rote Motording hier will. Das ist viel wichtiger.“
„Das ist wahr Boss, viel wichtiger.“
„Ekki, du bist ein Schleimer.“
„Und du bist einer, der die Großwildjagd versaut hat, Richie.“
„Schluss jetzt! Ist das zu fassen! Mir nach, aber schleunigst.“ Zorro setzte mit großen Sprüngen dem roten Motordings hinterher und die anderen sahen zu, dass sie den Anschluss nicht verpassten. Sie hatten das rote Ding bald wieder eingeholt. Das war aber auch kein Wunder, denn es musste Kurven fahren und die Kater konnten praktisch den geraden Weg durch den Wald laufen. Sie hatten das Motording fast eingeholt. Plötzlich hob die Maschine von der Straße ab und der Fahrer flog hoch durch die Luft. Er landete ziemlich unsanft auf dem Gras neben der Straße. Das Motording drehte sich um sich selbst und landete krachend im Graben. Mit einem würgenden Geräusch verstummte die Maschine, nur das Vorderrad lief quietschend weiter.
Eine gespenstische Stille breitete sich aus. Selbst die Vögel hielten den Schnabel.
„Was war das jetzt?“ Robert hielt witternd seine Nase in den Wind. Man kann doch die Dinger mit Sicherheit anders zum stehen bringen. Das ist ja lebensgefährlich wie man sieht.“
„Warum steht der Fahrer nicht auf. Können wir sicher sein, dass das ein Mensch ist?“
„Keine Ahnung, Richie. Lass uns das Ganze mal von nahem betrachten. Besonders gefährlich sieht er nicht aus.“
„Wenn du meinst, Boss.“
Zögerlich liefen die anderen Kater hinter Zorro her. Robert hielt immer noch witternd seine Nase in den Wald. „Ich habe das Gefühl, dass wir nicht alleine sind.“
„Da hast du Recht, Robert. Denn tausende von Kaninchen, Hasen, Vögeln und was weiß ich, was sonst noch alles hier herumkriecht, sind auch noch da.“
„Nein, Pirat. Ich habe menschliche Witterung.“
„Darum kümmern wir uns später, aber ich muss sagen: gute Nase Robert, gute Nase.“
„Danke, Boss“
Das Vorderrad kam langsam zum Stillstand. Zorro besah sich die Maschine.
„Also vor diesem Ding brauchen wir keine Angst mehr zu haben. Sehen wir uns dieses verunglückte Häufchen Elend einmal genauer an.“
Langsam, ganz langsam, kamen die anderen Kater näher. „Das sieht nicht besonders gut aus,“ meinte Richie. Der Fahrer lag auf der Seite und es gab kein erkennbares Lebenszeichen. Alle Kater standen um den Fahrer am Boden herum. Alle, bis auf Ekki. Ekki rannte über die Straße und versuchte, irgendetwas zu fangen.
„Jetzt hab ich dich,“ brüllte er triumphierend. „Egal was es ist, Ekki, lass es leben. Wir haben jetzt anderes zu tun,“ schimpfte Zorro. „Ich komme sofort, wirklich,“ sagte Ekki und verschwand auf der anderen Straßenseite. „Wahrscheinlich hat unser Glückskater wieder einen Schmetterling gesehen,“ feixte Richie.
Zorro sah sich die verunglückte Gestalt etwas näher an. „Also tot ist das Ding nicht, es atmet. Aber es scheint Hilfe zu brauchen. Auch der Körperbau von diesem Ding ist sehr fragil. Vielleicht steckt doch ein Mensch darunter? Wo ist dieser verdammte karierte Telefonkater?“ Auf einmal kam Bewegung aus dem Gebüsch auf der anderen Seite. Ein unterdrückter Schrei und ein Fluch. „Scheiße!“ Es wurden Hölzer niedergetrampelt. Dann konnte man mehr ahnen als sehen, dass jemand durch den Wald davonlief.
„Ich habe doch gesagt, dass wir nicht alleine sind,“ sagte Robert trotzig.
Ekki kam wie der Teufel aus dem Wald gerannt und hatte das Ende eines dünnen Seils in der Schnauze. „Das ist ja eine tolle Beute, die du da gemacht hast, Ekki.“
„Das Seil lag auf der Straße und wollte vor mir flüchten. Aber nicht mit Ekki, ich habe es eingeholt. Und jetzt gehört es mir.“
„Ganz toll, Ekki. Aber jetzt musst du was wichtiges tun. Laila und Konsorten treiben sich doch auch hier irgendwo im Wald herum. Schicke ihnen eine Nachricht, dass sie sich gefälligst herbemühen sollen, sag ihnen, wir hätten ein Problem.“
„Alles klar, Boss.“
*
Ich liebte diese großen gemeinsamen Spaziergänge. Laura verdarb mir ja nicht immer den Spaß, so wie heute mit dem Eichhörnchen. Aber ich würde wiederkommen. Ich habe mir sein Gesicht gemerkt. Niemand wirft ungestraft eine Nuss nach mir, jawohl niemand!!
„Seid ihr noch im Wald?“ Die Namenlose und ich blickten uns an.
„Was ist jetzt? Seid ihr noch im Wald?“ „Ja,“ antworteten wir. Dazu bedarf es einer kleinen Erklärung. Bei manchen Katzen ist es angeboren, dass sie über ziemlich weite Strecken Nachrichten versenden können. Es ist angeboren und man kann es nicht erlernen. Viele Katzen haben diese Fähigkeiten, wissen aber nicht, dass sie sie haben. So ähnlich war es bei Ekki und es hat lange gedauert, bis er die ersten verständlichen Nachrichten versenden konnte.
„Egal was ihr vorhabt, ihr müsst dringend vorbeikommen.“
„Was ist denn so dringend?“ fragten wir an.
„Hier liegt ein komisches Ding auf der Straße.“
„Ein komisches Ding? Etwas genauer bitte.“ Manchmal könnte ich Ekki wirklich helfen. Mit einem kräftigen Tritt in den Hintern zum Beispiel.
„Ein komisches Ding ist auf einem noch komischeren Ding verunglückt. Eins liegt im Graben und das andere auf der Straße. Ziemlich kompiliziert!“
„Meinst du ein oder zwei Lebewesen?“ fragte die Namenlose ungeduldig nach.
„Eins könnte ein Lebewesen sein. Es riecht von innen nach Mensch und von außen nach Kuh. Und wo Menschen ihren Kopf haben, sitzt hier eine Kugel und es liegt ganz still auf der Straße.“
„Wir sind auf dem Weg, Ekki!“
Gemeinsam beschlossen wir dann unsere Richtung zu ändern. Na ja, fast gemeinsam. Laura und Sebastian hatten immer noch keine Ahnung davon, aber wir würden sie schon zu überzeugen wissen. Die Sonne veränderte langsam ihre Farbe und es wurde Zeit, dass wir zu unserem Ziel kamen. Der Feldweg gabelte sich nach links und rechts, rechts wäre der direkte Weg nach Hause gewesen. Wir bequatschten die Situation mit Sam und er meinte, hier bestehe dringender Handlungsbedarf, da könne man nicht so lange herum diskutieren. Sam spazierte einfach stur geradeaus weiter und legte einen ordentlichen Zahn zu, aber nicht, ohne sich ein paar Mal umzudrehen und diesen bittenden, von unten nach oben berühmt berüchtigten Hundeblick loszulassen, dem keiner widerstehen konnte. Also marschierten meine zwei launig weiter. Zügig erreichten wir das neue Clubheim, aber erwartungsgemäß war keiner von den Katern da. „Dann wollen wir doch mal sehen, wo sich die Jungs herumtreiben.“
„Ekki sagte an der Straße, Laila...“ die Namenlose wollte gerade weitersprechen, als sie rüde unterbrochen wurde. „Wo bleibt ihr denn so lange?“ schimpfte Zorro uns entgegen.
„Ich dachte schon, Ekki hätte eine falsche Verbindung gehabt, da wollte ich ihn gerade mit einem Schlag auf seinen Schädel neu justieren. Hallo, Sam, alles klar? Schickt eure Menschen auf das Ding los, damit wir endlich mal wissen, mit wem oder besser, mit was wir es hier zu tun haben!“
Laura und Sebastian erreichten die Straße und erkannten mit einem Blick die Situation. „Das ist ein Motorradunfall, Laura. Der Fahrer trägt zum Glück die richtigen Motorradklamotten aus Leder. Wir müssen ihm vorsichtig den Helm ausziehen.“
„Ich kann auch im Moment keine äußerlichen Verletzungen finden.“
Laura hatte in der Zwischenzeit mit ihrem Handy den Notruf alarmiert. Sebastian zog vorsichtig den Helm herunter und zum Vorschein kam eine Flut kastanienbrauner Haare. „Das ist eine junge Frau, Sebastian. Ich glaube ich kenne sie sogar...aus meiner Schulzeit. Ist sie bewusstlos?“
„Ja, aber sie bewegt die Augen. Ich glaube, langsam kommt sie wieder zu sich.“
Neugierig, aber mit sicherem Abstand, standen wir Katzen um das Unfallopfer herum.
„Wir hatten also Angst vor einer kleinen Frau, die gebaut ist wie deine Laura, Laila? Ich bin wirklich stolz auf uns,“ knurrte Zorro.
„Ihr hattet nicht wirklich Angst,“ besänftigte ihn die Namenlose.
„Zunächst einmal habt ihr Hilfe geholt. Das tut auch nicht jeder und wie ich sehe, gerade im richtigen Moment!“
Die junge Frau fing vor Schmerzen an zu weinen. Sie konnte aber Sebastian und Laura den Unfall nicht erklären, weil sie auf Grund der Bewusstlosigkeit noch nicht wieder richtig sprechen konnte.
„Sie soll aufhören zu weinen,“ erklärte Pirat. „Das hält doch keiner aus. Irgendwie stört mich das.“
„Weil es dir ans Herz geht, du harter Kerl?“
„Ja, das kann sein, Laila.“ Auch die anderen Kater standen bedrückt herum und Sam leckte einmal nur ganz kurz über die Wange der jungen Frau.
„Sie kann die Füße bewegen, das ist sehr gut!“ sagte Sebastian. Laura drückte die Hand der jungen Frau. „Wie heißt du denn?“ sprach sie die junge Frau an. „Kennen wir uns nicht von der Schule? Es ist lange her, ich weiß. Jetzt fällt es mir wieder ein. Dein Name ist Michelle, stimmt das?“ Die junge Frau schluchzte, nickte aber schwach mit dem Kopf. „Das ist doch schon mal was.“
Von Ferne waren die Signale von Martinshörnern zu vernehmen.
„Jungs, unsere Arbeit ist getan, verpissen wir uns. Jetzt wird es gleich hektisch hier. Das müssen wir uns nicht antun. Laila, Namenlose! Wenn ihr was wisst, könnt ihr eine Info an unseren Telefonkater weiterleiten.“
„Darf ich das Seil mitnehmen, Boss?“
„Was für ein Seil, Ekki?“
„Was für ein Seil?“ plapperte ich Zorro nach.
„Na, das ich dahinten bei dem roten Ding gefunden habe. Das Seil wollte vor mir weglaufen, aber ich war schneller.“
„Lass das Seil liegen, das klaut dir keiner. Der Lärm kommt näher. Auf geht’s Jungs..... lasst uns von hier verduften.“
„Alles klar, Boss. Ich hätte aber schon ganz gerne.....“
„Ekki!?“
„Ja Boss?“
„Halt die Klappe!“
Die Kater flohen in großen Sätzen vor den drei Fahrzeugen, die mit rasender Geschwindigkeit in die Seitenstraße einbogen.
„Ich kümmere mich um dein Seil,“ schickte ich Ekki eine Botschaft.
„Versprochen?“
„Versprochen.“
„Schau dir das an, Laura! Ein Krankenwagen mit einem Notarzt, das ist Klasse. Jetzt bekommt unsere junge Dame wirklich Hilfe. Und die Polizei ist auch dabei, das ist gut.“
Sam wollte die Jungs und Mädels mit ihren orangenen Klamotten zuerst nicht an Michelle heranlassen, und begann fürchterlich zu bellen und zu knurren. Laura nahm ihn zur Seite und sprach leise auf ihn ein, damit er sich beruhigte. Sebastian erklärte dem Notarzt, wie sie Michelle gefunden hatten und zeitgleich begann der Notarzt mit seiner Arbeit. In kürzester Zeit lag Michelle sicher auf der Trage und wurde sanft in den Krankenwagen transportiert. Laura fragte noch nach, in welche Klinik man sie bringen würde. „Ich komme dich besuchen, Michelle, ganz bestimmt,“ rief Laura dem Krankenwagen hinterher, der mit singendem Martinshorn und ziemlicher Geschwindigkeit, zusammen mit dem Notarztwagen, davonfuhr.
Die zwei Polizisten begannen, die Unfallstelle abzusichern.
„Eigentlich ist diese Straße sehr wenig befahren. Die Motorradfahrerin hatte unglaubliches Glück, dass sie ausgerechnet hier spazieren gegangen sind.“
Laura dachte daran, mit welcher Penetranz die drei Katzen, und besonders Sam, plötzlich den anderen Weg gehen wollten. „Das stimmt, wir hatten überhaupt nicht vor, so weit zu gehen. Aber unsere Katzen und Sam schlugen eine Richtungsänderung vor.“ Der Polizist machte ein ungläubiges Gesicht. „Ist ja auch egal...“ stotterte Laura „...wir waren da, aus welchem Grund auch immer.“
Der andere Polizist schaute sich mit Sebastian das Motorrad an.
„Wie konnte das passieren? Die Reifen sind in Ordnung, keiner ist geplatzt und ein Hindernis ist auch nicht in Sicht. Es ist mir ein Rätsel.“ Der Polizist machte jede Menge Fotos.
Ich ließ die beiden am Motorrad zurück und machte mich auf die Suche nach dem Seil. Ich hatte ja schließlich was versprochen. Gar nicht weit, hinter dem verunglückten Motorrad, lag das Seil. Ich hangelte mit meiner Pfote nach dem dünnen Seil und wollte es zu mir heranziehen. Aber das funktionierte nicht, weil es auf der anderen Straßenseite irgendwie befestigt war. „Sebastian,“ maunzte ich, „kannst du mir helfen? Ich habe Ekki versprochen, mich um dieses dämliche dünne Seil zu kümmern, aber ich komme nicht wirklich weiter.“
„Was hast du denn gefunden, Laila? Das sieht wirklich sehr interessant aus. Kannst du das wieder hinlegen Laila, bitte, bitte!“
„Aber ich habe es Ekki versprochen, das geht nicht so einfach, verstehst du das?“ schimpfte ich. Aber an seinem bittenden Ton merkte ich, dass es ihm sehr ernst war. „Aber du erklärst das Ekki... nicht ich,“ maulte ich und legte das Seil zurück.
Sebastian sah, dass das Seil quer über der Straße lag. Der Polizist machte immer wieder Fotos. „Da wollen wir doch mal sehen, wo das Seil endet.“
„Das interessiert mich auch, schließlich gehört Ekki das Seil. Er hat es ja auch gefunden,“ teilte ich dem Herrn Polizisten mit.
„Ich sehe schon, das Seil ist an einer Seite festgebunden,“ stellte der Polizist fest. „Das gefällt mir nicht, das gefällt mir ganz und gar nicht. Warum liegt das Seil quer auf der Straße?“
„Sie meinen, da hat jemand nachgeholfen, damit es zu dem besagten Unfall kam?“ Sebastian riss entsetzt die Augen auf.
„Könnte sein.... aber noch ist es zu früh, um was zu sagen. Ich werde auf alle Fälle die richtigen Fachleute kommen lassen, die hier alles untersuchen. Und um das Motorrad werden die sich auch kümmern.“
Auf dem Nachhauseweg hing jeder seinen Gedanken nach. Laura unterbrach das Schweigen als erste. „Michelle hat doch bestimmt Familienangehörige, die benachrichtigt werden müssen.“
„Macht das nicht die Polizei, Laura?“
„Kann sein, keine Ahnung.“ Laura kramte ihr Handy hervor und suchte über das Internet die Adresse von Michelle. „Sieh an,“ staunte Laura, „hier gibt es immer noch die alte Nummer in der Bergerstraße. Vielleicht sollte ich dort einmal anrufen.“
„Aber wenn sich dort jemand meldet, was willst du sagen? Die wissen nicht wer du bist und könnten dich für eine Betrügerin halten.“
„Das stimmt auch wieder. Aber in dem zweistöckigen Haus wohnten früher ihre zwei Tanten, wenn sie noch da sind, müssten die mich noch von der Schulzeit her kennen.“
Laura hatte schnell die Nummer der Tanten herausgefunden.
Uns interessierte dieses Gelaber nicht, wir konzentrierten uns darauf, wie wir den Nachhauseweg so interessant wie möglich gestalten können.
*
Am Sonntagmorgen saßen wir alle auf der Terrasse und genossen unser Frühstück. Hardy und Carol, ihre Arbeitskollegen und Freunde waren auch da. Sie hatten einen großen Korb dabei. Hardy stellte ihn auf der Terrasse in die wärmende Sonne. Neugierig wollten wir nachsehen, was sich in dem Korb befand. Wir konnten nur zwei winzige Köpfchen von der Größe des Tennisballs von Sam entdecken.
„Warum sind die Dinger so klein?“ fragte ich neugierig. „Du meine Güte! Die Babys können einen Waschlappen als Schlafsack benutzen!“
„Ich schätze, die Tragezeit war zu kurz,“ meinte die Namenlose fachmännisch. „Normalerweise sind es bei Menschen neun Monate. Hier scheinen ein paar Monate zu fehlen. Aber mal ehrlich, bei Oscar wäre ich auch glücklich gewesen, wenn er etwas früher zur Welt gekommen wäre.“ Oscar musste grinsen. „Aber die Babys scheinen gesund zu sein. Das ist doch die Hauptsache. Schaut mal her! Eines von den winzigen Dingern hat mit mir gelacht!“
Die Herbstsonne schien warm auf uns und die leckeren Sachen auf dem Tisch. Laura war noch oben im Bad und Sebastian brachte den Kaffee auf den schön gedeckten Frühstückstisch.
„Brauchst du noch lange, Laura? Unser Besuch ist da und der Kaffee wird auch kalt.“ Statt einer Antwort kam ein schriller Schrei aus dem offenen Badezimmerfenster. Wir Katzen schauten uns zufrieden an.
„Sieh dir das an, Sebastian!“ Aus dem offenen Fenster ragte eine Hand, die mit zwei spitzen Fingern eine total zerfledderte Maus hielt. „Und weißt du wo die war? In meiner Dose bei den Kämmen und Spangen und dann der Gestank. Wer weiß wie lange die Maus da schon liegt. Wie bekommt man als Katze eine Dose geöffnet? Langsam hege ich den Verdacht, dass mein Ehemann mit den Katzen gemeinsame Sache macht. Ich komme jetzt herunter und lege dir das Beweisstück auf deinen Teller!“
Sebastian verschlug es die Sprache. „Donnerwetter, ihr werdet wirklich immer besser,“ nickte er anerkennend. Natürlich legte Laura Sebastian den Kadaver nicht auf den Teller, sondern legte ihn auf die Treppe, damit wir ihn später gemeinsam im Garten beerdigen konnten. Dann konnten wir endlich gemeinsam frühstücken. Wir Katzen liebten das. Ich hatte auf meinem Tellerchen...jawohl jede von uns Katzen hatte ihr eigenes Geschirr...Schinkenwurst und Käse liegen, Oscar das gleiche, aber die dreifache Menge und noch Ei dazu und die Namenlose naschte nur ein wenig Schinkenwurst. Viel Essen war nicht ihr Ding. Aber die Krönung war der Milchschaum auf dem Kaffee, darin war Sebastian unübertrefflich. Für uns fiel auch immer ein Riesenberg ab. Von den Babys war nur ab und zu ein zufriedenes Gurren zu hören. Hardy und Carol erzählten von der spannenden Geburt.
„Da bin doch froh, dass ich kein Mensch bin,“ seufzte die Namenlose. „Solche Probleme sind zum Glück sehr selten bei uns Katzen.“
Ich schleckte gerade an meinem Milchschaum aus meiner eigenen kleinen Puppentasse, ein Geschenk von Laura, und sabberte meinen Schnurrbart so richtig genüsslich voll, als Sebastian auf den Feldweg zeigte. „Schau mal, da stromert doch der rote Kater herum, wie heißt er noch gleich... Richie.“ Er spazierte auf uns zu und bemühte sich locker zu erscheinen. Er lief auf den Gartenteich zu und schaute sich unsere Fische an. Meine Piraten waren ganz erstaunt über das neue Gesicht und betrachteten Richie vom Wasser aus. Das war sonst nicht seine Art. „Alles klar, bei euch? War gerade in der Gegend und da dachte ich, schau doch mal vorbei was die Leute so machen.“
„Wie du siehst, frühstücken wir gerade. Aber ehrlich, Richie. Es gibt da ein altes Sprichwort, das sagt: du trägst die Ruhe aus dem Haus.“
„Alles klar, ich will nicht stören, Laila. Bin schon wieder weg.“
„Du lässt mich nicht ausreden. Wenn du die Ruhe nicht aus dem Haus tragen willst, dann heißt das...frühstücke mit uns, wir haben, wie du siehst, ohnehin Besuch...unsere Menschen machen mit Sicherheit keinen Aufstand und laden dich ein.“
Richie kam zögerlich näher und setzte sich auf den äußersten Rand der Terrasse. Laura stand auf, ging in die Küche und kam mit einem kleinen Teller zurück.
„Guten Morgen Richie,“ sagte sie und stellte ihm den kleinen Teller voll mit Leckereien vor seine Nase.
Richies Nase fing an, die herrlichen Gerüche zu verarbeiten.
„Worauf wartest du?“ maunzte ihm Oscar schmatzend und kauend entgegen. „Besser wird’s nicht. Hau rein!“
„Na gut, wenn ich schon eingeladen bin, dann will ich mal nicht so sein.“
Zu unserem Erstaunen schlang Richie die Leckerbissen in kürzester Zeit hinunter.
„Wollen der Herr noch einen Nachschlag?“ fragte Laura mit einem Stück Schinkenwurst in der Hand. Der Herr wollte und er verschlang auch das in kürzester Zeit.
„Warst du nicht zu Hause?“ fragte ich neugierig. „Nein, ich bin herumgestreunt und dann war es mir zu spät um nach Hause zu gehen, da habe ich heute Nacht im Clubheim geschlafen. Ich habe aber keine Ruhe gekriegt. Diese bescheuerten Fledermäuse. Die ganze Nacht lang ging das rein, raus, rein, raus. Auf jedem Bahnhof wäre es ruhiger gewesen.“
„Dann solltest du dir aber jetzt etwas Ruhe gönnen,“ meinte die Namenlose. „Du hast doch Zuhause bestimmt ein schönes Körbchen oder ein Sofa.“
„Aber vorher musst du dir unbedingt die Babys ansehen.“
„Welche Babys, Oscar?“
„Schau in den Korb.“
Richie gähnte ausgiebig. „Ja, ein schönes Körbchen habe ich, das ist wahr. Fast so schön wie das hier. Warum sind die so klein?“ Er warf noch einmal einen Blick hinein.
„Scheint aber alles dran zu sein, was man als Baby so braucht. Seht euch nur mal die Näschen an! Die sind gerade mal so groß wie die Knusperherzen.“
Dann hatte es Richie plötzlich sehr eilig. „Äh...vielen Dank für das tolle Frühstück. War nett mit euch. Und noch etwas...eure Laura ist der Hammer! Also bis später. Was macht ihr übrigens mit der zerfledderten Maus? Kann ich die haben?“
„Du meine Güte! Die kannst du nicht mehr essen, Richie! Das war ein Geschenk und Lernmaterial für Laura, aber sie hat sie viel zu spät gefunden. Die taugt höchstens noch für die Raben. Aber wie ich Laura kenne, wird das Vieh mit Anstand und Blumen im Garten beerdigt.“
„War nur so eine Frage, Laila. Also dann, man sieht sich.“ Richie setzte über den Zaun und war mit wenigen Sätzen verschwunden.
„Richie hatte echt Kohldampf,“ stellte Oscar fest. „Na ja, so eine durchstreunte Nacht, das kostet Kraft. Da hatte er ja Glück, dass er in unserer Nähe war. Aber ein wenig gesprächiger hätte er schon sein können.“
„Vom Clubheim aus, wäre er schneller durch den Wald Zuhause gewesen. Aber er war hier bei uns. Schon seltsam.“ Nachdenklich blickte die Namenlose Richie hinterher.
*
„Ich kann nicht in der Klinik bleiben, das weißt du genau.“ Michelle Kessler fing wieder an zu weinen. Marcel Wagner, ihr Freund, groß und dünn, saß ratlos neben ihr und hielt ihre Hand.
„Aber wieso nicht? Du hast doch gesagt, dass deine Arbeit fertig ist und dass du sie eingereicht hast. Ich verstehe deine Verhaltensweise nicht. Ich habe mit den Kollegen gesprochen, du hast einen komplizierten Oberschenkelbruch, von den Prellungen und Zerrungen mal ganz abgesehen, so was braucht seine Zeit.“
„Die ich nicht habe, verdammt noch mal.“
„Willst du mir nicht endlich sagen was los ist?“
„Ich habe die Bewerbungsunterlagen nicht weggeschickt!“
Marcel starrte Michelle entgeistert an. „Warum nicht?“
„Ich habe noch einmal alles recherchiert und festgestellt, dass mir bei der Abschlussrechnung ein Fehler unterlaufen ist.“
„Das ist nicht dein Ernst!“
„Wenn ich es doch sage. Ich habe noch neun Tage Zeit, um den Fehler zu korrigieren, dann müssen die Unterlagen eingereicht sein. Ich bin am Samstag noch einmal alles durchgegangen und beim zweiten Durchgang habe ich festgestellt, dass ich eine Position falsch bestimmt habe. Da dachte ich noch, macht ja nichts. Du hast noch ein paar Tage Zeit, das kriegst du wieder hin. Um den Kopf frei zu bekommen hielt ich es für eine gute Idee, eine kleine Motorradtour zu machen...jetzt liege ich hier und weiß nicht mehr weiter.“
Michelle schluchzte hemmungslos. „Das schlimme ist, ich habe der Firma bereits mitgeteilt, dass meine Arbeit soweit ist.“
„Du redest von deiner Präsentation?“
„Ja.“
„Aber was ist mit deiner letzten Studie für das Preiskomitee, konntest du die pünktlich einreichen?“
„Ja, die ist dort, wo sie hingehört. Aber du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich wirklich eine Chance habe, den Preis zu gewinnen.
Da waren so viele gute Leute. Ich bin mit den Nerven am Ende.“
„Die Arbeit, die du jetzt machst, ist mehr ein Bewerbungsschreiben, da lässt sich doch sicher was machen.“
„Es wäre der Abschluss. Ich habe ein halbes Jahr hart in dieser Firma gearbeitet. Ich will ihnen unser Konzept schmackhaft machen, um dauernd mit uns zusammenzuarbeiten. Diese Arbeit sollte nicht nur ein Bewerbungsschreiben sein, sondern auch eine Machbarkeitsstudie. Da dürfen mir keine Fehler unterlaufen. Sonst war alles umsonst.“
Marcel streichelte ihr durch die Haare und wischte mit einem Taschentuch die Tränen aus ihrem Gesicht. Michelle beruhigte sich ein wenig und so ganz langsam versiegten die Tränen.
„Na siehst du, schon besser,“ tröstete Marcel.
Es klopfte an der Tür und ein dunkelhaariger Mann in den vierzigern betrat das Zimmer.
„Entschuldigung wenn ich störe, mein Name ist Wieland, Kommissar Wieland. Frau Kessler, wie geht es ihnen?“
Michelle schnäuzte ordentlich ins Taschentuch und schämte sich für ihr verheultes Gesicht.
„Geht so, aber ehrlich, es könnte besser sein,“ und zeigte auf ihr gebrochenes Bein.
„Könnten sie mir ein paar Fragen beantworten? Ich beeile mich auch, damit sie wieder zur Ruhe kommen.“
„Weißt du was, Schatz? Ich komme heute Abend wieder, dann habe ich Spätdienst und ihr könnt euch in Ruhe unterhalten.“ Marcel stand auf, rückte seine Brille zurecht, gab dem Kommissar die Hand und stellte sich vor. „Ich rufe dich nachher noch an, alles klar.“ Marcel drückte Michelle noch einen Kuss auf die Wange und verschwand.
„Können sie ungefähr den Unfallhergang schildern, Frau Kessler.
Meine Güte, sie sind ja ganz aufgelöst. Wollen sie einen Schluck Wasser oder vielleicht besser einen Kaffee?“
„Ein Kaffee wäre gar nicht schlecht.“
„Na sehen sie, das ist doch schon mal was. Dann gehe ich uns jetzt zwei wunderbare Kaffee holen, ich bin gleich wieder da.“
Der Kommissar verschwand durch die Tür und kam kurz darauf mit zwei dampfenden Tassen Kaffee zurück.
Dankbar schlürfte Michelle leise einen kleinen Schluck.
„Geht´s wieder?“
Michelle nickte und stellte die Tasse auf ihrem Beistellschränkchen ab.
„An was können sie sich denn noch erinnern?“
Michelle sah aus dem Fenster und begann zu erzählen...
„Ich wollte durch die Seitenstraße fahren, weil ziemlich am Ende eine schöne Bank steht. Da wollte ich hin, um eine Pause zu machen. Plötzlich kreuzten zwei wunderschöne Rehe die Straße, aber da ich ohnehin langsam fuhr, konnte ich die Geschwindigkeit ganz gut drosseln. Ab da ging es ganz schnell. Nach höchstens einhundert Metern endete die Fahrt abrupt und plötzlich.“
„Wie meinen sie das? Hatte das Motorrad einen Defekt oder lag ein Hindernis auf der Straße?“
„Weder noch. Also ich habe zumindest kein Hindernis gesehen. Es war, als ob ich plötzlich gegen eine unsichtbare Wand gefahren wäre. Dann kam der Sturz und ich verlor das Bewusstsein. Als ich wieder zu mir kam, saßen um mich eine Menge Katzen und ein riesiger Hund leckte mir über die Wange.“
„Es könnte sein...“ Kommissar Wieland räusperte sich und holte tief Luft um weiterzusprechen. Die großen blauen Augen von Michelle machten es ihm nicht gerade einfach.
„Ja?“
„Es könnte sein, dass ein Anschlag auf sie verübt worden ist.“
Sekundenlang starrte Michelle den Kommissar an.
„Aber wieso das? Was soll der Quatsch denn?“
„Wir haben ein Seil gefunden. Das Seil war quer über die Straße gespannt. Die Spurensicherung ist noch bei der Arbeit. Es kann sein, dass sie jemand mit diesem Seil zu Fall bringen wollte. Überhaupt hatten sie Glück im Unglück. Sie mussten ihre Maschine wegen den Rehen abbremsen, dadurch wurde noch schlimmeres, als es ohnehin schon war, verhindert.“
„A...aber wer macht denn so was?“
„Das ist eine gute Frage. Haben sie Feinde? Irgendjemand, mit dem sie über Kreuz sind und ihnen vielleicht etwas Böses will?“
„Nein!“ Michelle schüttelte energisch den Kopf. „Ich habe normale Dispute mit meinen Kollegen, aber das hat wohl jeder an seinem Arbeitsplatz.“
„Wusste irgendjemand welche Strecke sie fahren?“
„Ich habe keine Ahnung...lassen sie mich überlegen...meine Tanten kennen diese Seitenstraße mit der Bank. Waltraud, das ist eine meiner Tanten, hat auch schon mit mir dort gesessen.“
„Wusste außer ihren Tanten sonst noch jemand von ihrer Vorliebe für diese Bank?“
„Ganz ehrlich...keine Ahnung.“
„Dann könnte es noch sein, dass ein militanter Naturschützer oder ein Motorradhasser diese Falle gebaut hat und sie waren nur zur falschen Zeit am falschen Ort.“
„Super! Ganz toll. Das heißt, der Blödmann kann noch weitere Fallen bauen und andere Motorradfahrer zu Fall bringen?“
„Im Prinzip, ja.“
Michelle schüttelte ungläubig mit dem Kopf. „Was ist eigentlich mit meiner Maschine? Kann man sie wieder reparieren?“
„Das ist halb so wild. Einen Tag Werkstatt und dann läuft sie wieder.“
„Wo kamen denn die vielen Katzen her und der große Hund.“
„So ein richtig großer? Eine rote Bordeauxdogge?“
„Ja, kann sein. Ich kenne mich mit Hunden nicht so gut aus.“
„Waren da auch eine schwarze, eine gestreifte Katze und so ein Riesenmonster von einem schwarzweißen Kater?“
„Da waren mehrere Katzen, aber im einzelnen kann ich mich nur an das Riesenmonster erinnern. Warum? Ist das wichtig?“
„Nein, ich frage nur aus Neugier. Der Polizeibeamte, der den Unfall aufgenommen hatte, hat mir erzählt, dass ein Ehepaar mit einem Hund und drei Katzen unterwegs war und sie gefunden hat. Sonst hätte es noch Stunden gedauert, bis man sie gefunden hätte.“
„Das ist wahr. Die Frau kenne ich sogar aus meiner Schulzeit. Sie hat versprochen mich zu besuchen.“
Der Kommissar erhob sich. „Sie hält ihr Versprechen, ganz bestimmt. So, für heute reicht es. Werden sie erst einmal wieder gesund. Sobald es etwas Neues gibt, melde ich mich.“
„Vielen Dank, Herr … ach ja, Wieland.“
„Auf Wiedersehen, Frau Kessler.“
*
Waltraud Lohmann war sehr nervös. Sie hatte den Briefkasten geöffnet und hielt mehrere Umschläge, mit Werbung dazwischen, in der rechten Hand. Aber was sie sehr nervös machte, war ein großes Kuvert in ihrer linken Hand. So schnell sie konnte versuchte sie mit ihren zweiundsechzig Jahren die Treppe zu erklimmen.
„Gisela, mach mir die verdammte Tür auf! Hörst du denn nicht?“ rief sie schon von der Treppe her. „Wenn man dich mal braucht bist du nicht da, im Prinzip wie immer.“
„Du meine Güte, was ist denn schon wieder los?“
Gisela Lohmann stand wütend und mit verschränkten Armen in der Tür. Sie war neunundfünfzig Jahre alt und, im Gegensatz zu ihrer Schwester, wirkte sie schlank und agil.
Es dauerte eine Zeit, bis sich Waltraud die Treppe hoch geschleppt hatte.
„Willst du mir wieder mal die Welt erklären, Waltraud? Über wen oder was regst du dich denn schon wieder so auf?“
„Der Umschlag, siehst du den?“
„Ich bin ja nicht blind!“
„Herrje, lies den Absender, liebste Schwester und Nervensäge.“
„Das ist Post vom Preiskomitee. Ich werde auf der Stelle wahnsinnig.“
„Das weiß ich schon lange. Wahnsinnig ist immerhin besser als schwachsinnig. Komm schon, wir müssen Michelle anrufen.“
„Es kann aber auch eine Absage sein, meinst du nicht?“
„Das war klar, dass du wieder was negatives in einem Umschlag siehst, wie sollte es auch anders sein.“
„Nein...ich meinte doch nur...eine Absage wäre jetzt das Letzte, was Michelle, unser heißgeliebter Spatz, vertragen könnte.“
Wider willen musste Waltraud ihrer Schwester klein beigeben.
„Ich hasse es, wenn du Recht hast. Was machen wir jetzt?“
„Lass uns gemeinsam zur Klinik fahren. Dann soll sie, sofern sie möchte, in unserem Beisein den Umschlag öffnen. Ist es eine schlechte Nachricht, können wir sie trösten, ist es eine gute Nachricht können wir feiern.“
„Wie gesagt, ich hasse es abgrundtief, wenn du Recht hast!“
*
Die Kater strichen leise durchs Unterholz. Sie glaubten jedenfalls leise zu sein. In ihrer Gesellschaft war eine getigerte Katze. Sie lag auf der Lauer, nicht weit von ihr saß eine Taube. Ihr Flügel war verletzt. Einer der Kater bewegt sich unvorsichtig und das Unterholz knackte. Die Taube schreckte auf und versuchte davonzufliegen.
„Was bin ich doch hier mit tollen Assen zusammen. Große Klasse,“ schimpfte die Katze. Es nützte nichts, wenn sie was zum Abendessen wollten, musste sie die Jagd verkürzen.
Die Taube versuchte, sich mit hilflosen Schlägen in Sicherheit zu bringen. Die Katze vollführte einen eleganten Sprung, erwischte die Taube und machte mit einem zielsicheren Biss in die Kehle ihrem Leben ein Ende.
„Ich hoffe, dass wir hier endlich ein Revier haben, wo wir den Winter verbringen können,“ meinte der kleinste der Kater. Er war braun gestreift, wirkte noch nicht ganz ausgewachsen und ziemlich abgemagert. Die anderen zwei Kater waren ebenfalls braun gestreift, aber nicht ganz so mager.
„Vielleicht hätten wir uns doch Menschen suchen sollen, die uns beim Essen ein wenig helfen.“
„Wie hilfsbereit Menschen sind, siehst du ja an dir. Seit dem letzten menschlichen Kontakt sind deine Knochen noch immer nicht richtig verheilt.“
„Das ist aber nur passiert, weil unser jüngster und dämlichster Bruder meinte, er könnte sich in einem Hühnerstall einen Sonntagsbraten holen.“
„Aber das allerdämlichste war doch, dass wir den Mensch gehört hatten, alle, außer dir. Und da hast du die Prügel deines Lebens bezogen. Ein Wunder, dass du noch lebst.“
„Hört auf, auf ihm herumzuhacken,“ fuhr die Katze dazwischen, „das sind doch alte Mäuse von gestern. Wir müssen den Blick nach vorne richten, immer nur nach vorne, hinten ist nur Vergangenheit, und die macht uns nicht satt. Es ist nicht viel, aber lasst uns die Taube verspeisen. Und dann sehen wir weiter.“
„Ich habe dahinten am Ende des Waldes einen alten Schuppen gesehen. Den können wir uns später mal ansehen,“ meinte der älteste der drei Brüder.
„Ach, das wäre was. Ein richtiges Dach über dem Kopf,“ träumte der mittlere der Brüder... „im Winter nicht mehr so zu frieren,“ spann der jüngste den Faden weiter.
Die Katze schüttelte missbilligend den Kopf. „Wir müssen erst nachsehen, ob der Schuppen leersteht.“
„Ich habe immer noch Hunger,“ jammerte der Jüngste.
„Ich fürchte, dabei wird es heute Abend auch bleiben,“ mahnte die Katze. „Aber den Schuppen sehen wir uns an, das lenkt ein wenig vom Hunger ab.“
„Und was machen wir, wenn er von anderen Viechern oder Katzen bewohnt wird?“ fragte der Mittlere.
„Dann werden wir sie vertreiben,“ fauchte die Katze wütend. „Wir haben überhaupt keine andere Möglichkeit mehr. Unser Jüngster überlebt sonst den Winter draußen nicht.“
*
Es war nicht zu übersehen. Der Herbst kam mit Riesenschritten. Die Blätter wurden immer bunter, bis sie schließlich vertrocknet waren und sich mit dem Wind zu Boden gleiten ließen. Die Zugvögel hatten schon lange ihre Koffer gepackt und waren gen Süden gezogen. An diesem Morgen war der Nebel so dicht, dass man seine Pfote vor den Augen kaum erkennen konnte. Wolfgang und Helga, unsere liebsten Nachbarn und Freunde, waren mit Sam unterwegs. Diesmal gingen sie nicht den gewohnten Weg zu den Pferdewiesen, sondern blieben auf der Straße. Sie wollten Herrn Altmeyer einen kurzen Besuch abstatten und sich erkundigen, wie es den kleinen, wilden Kätzchen erginge, die bei Herrn Altmeyer ein neues Zuhause gefunden hatten.
Das war nicht immer so.
Vor einiger Zeit lag Herr Altmeyer mit uns und unseren Nachbarn in bitterem Streit. Er beschuldigte Oscar, seine Hasen gerissen zu haben. Aber der Fall wurde natürlich von uns Katzen aufgeklärt. Aus dem ehemaligen Katzenhasser wurde ein Katzenfreund. Zuerst begegneten wir ihm noch mit Vorsicht und Zurückhaltung. Aber seine leeren Hasenställe waren zu verführerisch. Sie waren leer, weil Herr Altmeyer niedergeschlagen worden war und deshalb ein Problem mit seiner Gesundheit hatte.
Aber ich habe jetzt überhaupt keine Lust, alte, zugegebener Maßen spannende, Geschichten hier wiederzugeben. Lest gefälligst die ersten zwei Bücher und dann wisst ihr Bescheid! Wer bin ich denn? Muss ich mir hier einen Wolf über alte Sachen erzählen, wo es so viel Neues gibt? Nur soviel. Der alte Altmeyer lag im Krankenhaus und da dachten wir, wir hätten sturmfreie Bude und haben die zwei kleinen Katzen, die auf tragische Weise ihre Mama verloren hatten, in einem der Hasenställe einquartiert. Ihre Mama war die Schwester der Namenlosen und wir nannten sie die Sanfte.
Es hat funktioniert, die Kleinen wuchsen prächtig und bei ihren Patentanten lernten sie sehr viel.
In Oscars ehemaligem Zuhause wohnten jetzt Irene, die Künstlerin, mit Sissi und Medea. Sissi war ein winziges, schneeweißes, Pudelchen, von der Größe einer Küchenrolle und hielt sich bewusstseinsmäßig für eine Katze. Medea, eine ehemalige Streunerin, war eine, mittlerweile hübsche, aber blinde, schwarze Katze. Sissi und Medea hatten die Patenschaft für Paulchen und Gretchen übernommen. So hat Herr Altmeyer die beiden Wildfänge getauft. Wir hatten mit Sam verabredet, uns im Garten von Altmeyer zu treffen. Wolfgang und Helga klingelten und Herr Altmeyer ließ sie in den Garten.
„Wir stören auch nicht lange. Wir wollten nur sehen, wie sich die Kätzchen entwickelt haben.“
„Sie stören nicht, bleiben sie solange wie sie wollen. Sam kann sich frei bewegen. Ich weiß doch wie sehr er die kleinen Katzen mag.“
Der kleine Kater saß auf dem Hasenstall und beobachtete seine Schwester. Die hing im Pflaumenbaum an einem Ast, aber nur noch mit einer Pfote.
„Willst du mir nicht helfen?“ fauchte sie
„Warum denn? Du brauchst nur loszulassen und schon bist du unten. Wo ist das Problem?“
„So ist das,“ schnurrte Medea, „man soll nicht höher hinaufsteigen, als man herunterspringen kann.“
„Sag ich doch,“ entgegnete der kleine Kater schadenfroh.
„Wenn ich irgendwann wieder Land unter meinen Pfoten habe..,“ schimpfte die Kleine, und versuchte verzweifelt mit den Hinterpfoten den Ast zu erreichen... „kannst du dich warm einpacken, das sage ich dir. Dein Frühstück ist gestrichen, das kriege ich. Du kannst dich schon mal warm boxen. Wenn ich mit dir fertig bin, kannst du sowieso nicht mehr frühstücken, wegen Abwesenheit deiner Zähne. Mit denen spiele ich dann nämlich Schnitzeljagd im Garten, oder, Katze ärgere dich nicht. Das muss ich mir noch genau überlegen.“
„Jetzt hab' ich aber Angst.“ Der kleine Kater fegte gelangweilt ein Blatt vom Dach des Stalles.
„Solltest du auch,“ moserte das Katzenmädchen böse.
„Wie lange kann man sich denn mit einer Kralle halten?“ fragte der kleine Kater interessiert und beobachtete voller Schadenfreude, dass seine Schwester wie ein altes Blatt am Baum hing und ihr Ärmchen immer länger wurde. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie loslassen musste.
„Du siehst aus wie diese überreifen Birnen, die da noch hängen. Eben ist eine heruntergefallen. Es hat Klatsch gemacht und sie ist auseinander geflossen wie ein rohes Ei. Ich schätze mal, dir passiert das Gleiche, wenn du herunterfällst. Ich sehe mich schon mal nach einem Besen um.“
„Wenn ich herunterfalle kriegst du höchstpersönlich von mir ein Testprogramm von meiner Kralle, die mich so lange gehalten hat.“
Sam spazierte unter den Pflaumenbaum
„Was hast du vor?“ fragte ich neugierig.
Sam meinte nur, er müsse mal was probieren.
„Pass auf deine Augen auf. Die Kleine hat schon verdammt scharfe Krallen.“
Er stellte sich auf seine Hinterbeine, stütze sich mit den Vorderpfoten am Pflaumenbaum ab und hielt seinen riesigen Kopf hoch. Die kleine Katze fauchte zuerst, aber dann erkannte sie ihre Chance. Sie kletterte auf Sams Kopf, rutschte über seinen Rücken und sprang auf den Boden. Fassungslos staunten die Menschen über dieses Manöver. „Sam erstaunt mich immer wieder aufs Neue,“ grinste Wolfgang.
„Das ist ein Freund! Kannst du auch so einen Freund aufweisen, Blödkater? Nein, kannst du natürlich nicht.“
„Das ist nicht nur dein Freund. Ich habe schließlich vorige Woche mit ihm Fußball gespielt. Der hat dir nur geholfen, weil du zu doof warst alleine herunterzukommen.“
Das kleine Katzenmädchen stand aufmüpfig vor ihm, drehte den kleinen Kopf zu uns und meinte, „seit er in der Pubertät ist, ist er unausstehlich.“
„Wenn ich in der Pubeltät bin, dann bist du es auch, schließlich sind wir gleichaltrig.“
„Mädchen sind viel weiter entwickelt. Ich bin da vorigen Monat schon durch.“
„Ich bleibe sowieso nicht mehr lange hier. Es wird Zeit, die Welt zu entdecken. Ich finde, wir haben genug gelernt.“
Sissi stürmte in den Garten. Irene spazierte mit einem Korb hinterher.
„Hallo zusammen, habe ich was verpasst?“
„Nein,“ säuselte Medea, „außer, dass Herr Paulchen meint, er hätte genug gelernt und will jetzt die Welt entdecken.“
„Das kann ich verstehen, aber ihr habt bei weitem noch nicht genug gelernt. Gib dir noch ein wenig Zeit. Frauchen zupft noch ein paar Löwenzahnblätter für unsere Hasen und solange könnten wir doch spielen.“
Wolfgang und Helga unterhielten sich noch eine Weile mit Herrn Altmeyer und Irene. In der Zeit spielten wir Hunde und Katzen zusammen mit einem kleinen Ball. Es war ein sehr harmonischer Morgen. Der Nebel verschwand, die Sonne kam durch und wärmte unser Fell. Während wir mit dem Ball herum fegten, flogen frisch gefallene Blätter um uns her. Die Kleinen sprangen begeistert zwischen dem Ball und den Blättern hin und her. Nichts deutete daraufhin, dass es in den nächsten Tagen nicht mehr ganz so entspannt sein würde.
*
„Würdest du bitte nicht so schnell fahren, Waltraud?“ Gisela versicherte sich zum gefühlten hundertsten Mal, ob der Gurt richtig saß und krallte sich mit beiden Händen am Armaturenbrett fest.
„Ich fahre gerade mal neunzig Sachen. Ich bin heute noch sehr human, aber nur wegen dir. Mit deinen altmodischen Ansichten fällst du schon in das Artenschutzabkommen.“
„Laut dem Verkehrsschild waren hier aber nur siebzig Kilometer erlaubt.“
„Heute kann ich nicht lesen.“
„Solltest du aber. Noch ein Knöllchen und du kannst den Führerschein abgeben!“
„Du bist kleinlich, Gisela.“ Waltraud schaltete einen Gang herunter, damit sie die Kurve so richtig mit Pfeffer nehmen konnte.
„Wenn wir es wieder einmal eilig haben, nehmen wir das nächste Mal das Motorrad.“
„Solange dieser Mistkerl nicht gefangen ist, der Michelle das angetan hat, werde ich mich nicht mehr aufs Motorrad setzten und schon gar nicht mit dir.“
Beleidigt drückte Waltraud das Gaspedal durch und Gisela schwieg den Rest der Fahrt zur Klinik.
„Mit dem Bus braucht man eine dreiviertel Stunde.“ Waltraud schaute auf ihre Uhr. „Wir haben es in zwölf Minuten geschafft. Wie findest du das?“
„Sobald sich mein Puls beruhigt hat, kriegst du eine Antwort. Aber die richtige!“
Gisela stieg mit wackeligen Knien aus dem dreißig Jahre alten Coupe. Sie holte tief Luft, um ihren Kreislauf zu stabilisieren und schaute sich auf dem Klinikgelände um.
„Weißt du wo der Eingang ist?“
„Selbstverständlich! Ich weiß sogar wo das Zimmer von Michelle ist. Ich muss schon sagen, du hast den Orientierungssinn einer Küchenschabe. Hast du den Umschlag dabei?“
„Ja, doch! Was denkst du denn? Ich habe auch Kuchen dabei und ich habe Michelle am Telefon kein Wort von dem Umschlag gesagt.“
„Du kannst manchmal richtig vernünftig sein, aber leider nur manchmal.“
Als sie das Zimmer von Michelle erreichten, schlug den beiden Tanten das Herz bis zum Hals. Nach einem leisen Klopfen an die Tür betraten die beiden das Zimmer. Michelle lächelte ihre beiden Tanten an. „Ist das schön, dass ihr da seid.“
Gisela und Waltraud drückten Michelle, fragten tausend Sachen auf einmal und bestaunten das von oben bis unten eingegipste Bein.
Waltraud drehte sich um, damit sie den Kuchen auf den Tisch stellen konnte.
„Oh, du hast Besuch.“
„Ihr wart so stürmisch, ihr zwei! Ich bin noch gar nicht dazu gekommen euch jemanden vorzustellen. Das ist Laura! Laura und ihr Mann haben mich gefunden. Ohne die beiden würde ich wahrscheinlich immer noch im Wald liegen.“
„Ah, Laura heißt die junge Dame. Sie haben uns doch angerufen, nicht wahr?“ Gisela nahm Lauras Hand und drückte sie herzlich und fest.
„Wie können wir ihnen nur danken? Schlimm was unserem Liebling passiert ist... nicht auszudenken, wenn sie nicht gekommen wären!“ Waltraud schüttelte Lauras andere Hand.
„Ihr könnt ihre Hände jetzt loslassen. Ich glaube sie hat es kapiert,“ grinste Michelle.
„Was hast du denn da für einen Umschlag dabei, Gisela?“
„Ach, der Umschlag... deswegen sind wir so schnell wir konnten hierher gekommen.“
„Ja, in zwölf Minuten sozusagen!“
„Würdest du mich bitte nicht unterbrechen Waltraud.“
Waltraud schmollte beleidigt.
„Wenn es jetzt familiär wird, verabschiede ich mich für heute.“
„Nein, warte bitte, Laura. Was ist das für ein Umschlag, Gisela?“
„Vom Preiskomitee,“ platzte Waltraud dazwischen.
Wütend schaute Gisela ihre Schwester an, weil sie ihr die Überraschung vorweggenommen hatte.
„Ich sollte jetzt wirklich gehen.“
„Bitte nicht, Laura. Bleib hier. Du musst nachher unbedingt meinen Tanten erzählen, wer mich deiner Meinung nach wirklich gefunden hat. Verdammt noch mal, ich habe Schiss, diesen blöden Umschlag aufzumachen. Mach du ihn auf, Waltraud!“
Triumphierend blickte Waltraud zu Gisela, öffnete betont langsam den Umschlag und übergab feierlich das Schreiben an Michelle weiter. Michelle nahm das Schreiben mit zittrigen Händen, las das Schreiben durch, dann noch einmal, ließ es mit zitternden Händen fallen und fing an zu weinen.
„Du musstest ja unbedingt den Kuchen mitnehmen,“ zischte Waltraud Gisela wütend an.
Michelle schluchzte hemmungslos und hielt den Tanten das Schreiben hin.
„Ich bin zu aufgeregt,“ Gisela liefen auch die Tränen, „wenn sie es für uns vorlesen könnten, Laura?“
Laura überflog das Schreiben kurz und sagte, „Es genügt völlig, wenn ich den letzten Satz vorlese: ...haben wir im Komitee die Entscheidung getroffen, dass wir ihnen den Preis für hervorragende und innovative Arbeit zuerkennen. Ferner sind wir überein gekommen, dass die Preisdotierung allein ihrer Arbeit zugesprochen wird. Und so weiter und so weiter...“
Laura verteilte jede Menge Taschentücher.
„Was hältst du jetzt von Kaffee und Kuchen?“ schniefte Waltraud.
Michelle konnte immer noch nicht sprechen, aber nickte heftig.
„Ich kümmere mich darum.“ Laura verschwand leise aus dem Zimmer und kam kurz darauf mit dampfenden Kaffeetassen wieder.
„Das ist das zweite Mal, dass mich jemand mit Kaffee so nett beruhigt. Heute Mittag war ein Kommissar bei mir und wollte wissen, wie es zu dem Unfall kam. Das ist alles ein bisschen viel für mich. Noch was, meine lieben Tanten. Übermorgen komme ich aus dem Krankenhaus.“
Vor Erstaunen ließ Waltraud die Kuchengabel fallen und Gisela verschluckte sich heftig.
„Warum?“
„Ich muss meine Präsentation korrigieren, ich habe schon mit Marcel darüber gesprochen.“
„Ach, mit dem Schnösel.“
„Ich weiß, du magst ihn nicht, Waltraud.“
„Das ist noch sehr höflich ausgedrückt. Ich kann ihn nicht ausstehen. Aber wo die Liebe hinfällt. Er fährt ja noch nicht einmal Motorrad.“
„Michelle,“ schaltete sich Gisela ein, „hör nicht auf das Geschwafel von Waltraud. Sie mag niemanden, den du kennenlernst, weil sie eifersüchtig ist.“
„Na und, ich gebe es wenigstens zu. Aber wenn du aus dem Krankenhaus kommst, ist die Wohnung noch nicht fertig. Da stehen von mir noch die alten Möbel drin.“
„Aber der Internetanschluss steht...richtig?“
Die Tanten nickten.
„Wenn dein gemütliches Bett drinsteht, ein funktionierendes Klo und ein Mikrowellenherd, ist die Bude für mich komplett.“
„Das ist alles da, mein lieber Schatz“
„Und wenn du nach Hause kommst, ist alles sauber und geputzt, dafür werden wir sorgen, nicht wahr Waltraud?“
„Da bin ich mal ausnahmslos deiner Meinung. Dürfen wir dann eine kleine Feier organisieren?“
„Wenn ich meine Arbeit fertig habe, auf alle Fälle.“
„Ein bisschen weniger Aufregung wäre aber auch nicht verkehrt. Auch wenn es angeblich jung hält, so weiß ich doch nicht, ob es das richtige Rezept ist, um alt zu werden.“
„Du brauchst dich nicht viel zu ändern. Du bist jetzt schon eine alte, sauertöpfische Kröte.“
„Bitte, nicht wieder streiten, ihr zwei! Wo wäre ich ohne euch? Wer war immer für mich da? Wer hat mich getröstet, als meine Eltern gestorben sind? Wer hat auf mich aufgepasst und dafür gesorgt, dass ich eine vernünftige Ausbildung erhalte? Na, wer wohl? Und wer hat mich letzten Endes immer so leben lassen, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffen konnte? Deshalb fällt es mir auch so leicht, in euer Haus zu ziehen, weil ich genau weiß, dass ich zwei Freundinnen habe und keine Wachtürme. Ach übrigens, die meisten Möbel werde ich übernehmen. Wenn ich nur an dieses riesengroße, weiche, herrliche, Sofa denke...“
Gisela und Waltraud standen mit hochroten Wangen da und verdrehten vor Verlegenheit ihre Hände, die wahrscheinlich nur der Chiropraktiker wieder auseinander dröseln konnte.
„A..aber das ist doch nichts besonderes,“ schniefte Waltraud.
„Ja, finde ich auch. Man muss dich doch liebhaben, ob man will oder nicht,“ stimmte Gisela brummend Waltraud zu.
Michelle drückte ihre beiden Tanten ganz eng an sich.
„Ich freue mich auf mein neues, altes Zuhause.“
Gisela befreite sich zögerlich aus der Umarmung. „Komm, Waltraud, wir haben noch viel zu tun, wenn die Bude fertig sein soll.“
„Das ist wahr. Aber sei so nett und lass uns zurück länger als zwölf Minuten brauchen. Sonst nehme ich den Bus. Zweimal am Tag halten meine Nerven diesen Stress nicht aus.“
„Wir werden nach Hause schleichen, das verspreche ich dir. Ich werde mindestens einhundertachtundfünfzig Autos hinter mir herschleppen. Du wirst voll zufrieden sein.“ Waltraud reichte Laura die Hand. „Ich hoffe doch, wir sehen sie wieder, Laura?“
Waltraud und Gisela verabschiedeten sich und verließen das Zimmer.
„Deine Tanten sind wirklich ein Naturereignis,“ grinste Laura.
„Und was für eins. Sie sind sehr süß. Aber man darf sie nicht unterschätzen. Wenn ich Hilfe brauche, dann sind sie da, auch physisch, das kann ich dir sagen.“
„Ich kann mich noch sehr gut an den Auftritt deiner Tanten in der Schule erinnern, als du verhindern wolltest, dass der junge Afrikaner von der Schule verwiesen und ausgewiesen werden sollte.“
„Da haben wir alle mitgemacht, du auch.“
„Das ist richtig, aber der Direktor hat behauptet, du hättest Unterschriften für die Petition gefälscht.“
„Meine Tanten haben damals sensationell reagiert, mit Presse und allem was dazu gehört.“
Laura zog ihre Jacke über.
„Wie gesagt, sie sind ein Naturereignis. Wenn du willst, können wir unsere alte Freundschaft wieder erneuern. Ich komme dich besuchen und stelle dir wieder meinen Mann vor. Die Art und Weise, wie ihr euch kennengelernt habt, war nicht das gelbe vom Ei.“
„Aber selbstverständlich. Kannst du mir auch sagen, wie viele von den Katzen mitkommen, die da alle um mich herumgesessen haben?“
„Nur drei, die anderen waren Freunde, ebenso wie der Hund.“
„Das geht ja noch. Aber der Hund ist süß, er hat mir einen Kuss gegeben“
„Kannst du mir sagen, Michelle, wer dir so was antun möchte?“
Laura zeigte entsetzt auf das Gipsbein.
„Nein, beim besten Willen nicht. Der Kommissar meinte, dass es vielleicht ein militanter Naturschützer sein könnte.“
„Du meinst, er hat nicht deine Person gemeint, sondern dass du nur zur falschen Zeit am falschen Ort warst.“
„Kommissar Wieland hatte genau das gleiche gesagt.“
„Ich kenne ihn. Wenn einer den Täter schnappen kann, dann er!“
*
Oscar und ich streiften durch die Gärten unserer Straße. Die Namenlose war wieder einmal alleine auf Tour. Das tat sie manchmal, um den Kopf freizubekommen, sagt sie jedenfalls. Ich glaube, die Wahrheit ist, dass sie einfach nur ab und zu ihre Freiheit braucht und sonst gar nichts. Gehen können, wann man will und zurückkommen, wenn einem der Sinn danach steht. Aber ich glaube, so frei wie sie auch sein mag, sie liebt Sebastian und Laura sehr und kommt immer wieder gerne zurück.
Ich hatte eine fette Maus gefangen und war gerade dabei, sie für mich und Oscar in schöne, für unsere Schnauze gerechte Stückchen aufzuteilen. Oscar bekam die Leber, das war ich ihm noch schuldig. Ich hatte ihn in den vergangenen Wochen in Situationen gebracht... na ja, ich bin froh, dass er sich kein neues Zuhause gesucht hat. Aber dafür bekam er noch mindestens bis in den Winter eben von jeder Maus, die ich fing, die Leber. Was tut man nicht alles für einen guten Freund und gefühlten Bruder. Wir ließen uns die Zwischenmahlzeit ordentlich schmecken, als vor dem Garten, in dem wir uns gerade aufhielten, ein infernalischer Lärm zu uns herüberdrang. Oscar interessierte sich überhaupt nicht für den Lärm und widmete sich weiterhin dem Genuss seiner Leber. Ich tat so, als interessierte mich der Lärm überhaupt nicht, hatte aber meine Ohren aufgestellt wie riesige Schornsteinrohre und auf volle Kraft gestellt.
„Wir waren zuerst da, also verschwinde da, aber schleunigst!“
„Ihr könnt mich mal. Das ist mein Platz und ich denke nicht im mindesten daran, zu verschwinden!!“
Die Stimme kam mir bekannt vor.
„Dann werden wir dir, so leid es uns tut, ein wenig nachhelfen müssen.“
„Wir sind sehr hilfsbereit, was das nachhelfen angeht. Und in unserem Engagement in Sachen Hilfsprojekte übertrifft uns so schnell keiner.“
Die anderen Stimmen kannte ich nicht und ich wurde zunehmend neugieriger.
„Also was ist los? Kriegt ihr das mit dem Kater jetzt geregelt oder muss ich alles alleine machen?“
Eine fremde Katze in meinem Revier? Zumal noch, wie es schien, mit einem phänomenalen Selbstbewusstsein? In meinem Revier hat keine Katze mehr Selbstbewusstsein, als ich! Na gut, die Namenlose noch, aber das zählt nicht. Sie gehört schließlich zur Familie.
Das Fauchen und Knurren wurde immer bedrohlicher.
„Ich werde diesen Platz mit meinem Leben verteidigen, wenn es sein muss!“
„Schau mal einer an, wieder so einer, der wegen einer Mülltonne in die ewigen Jagdgründe einfahren will. Das fasziniert mich immer wieder,“ tönte einer der Kater.
„Mir knurrt der Magen, könnte man das Verfahren ein wenig beschleunigen?“ brummte ein anderer.
„Ja, würde ich auch sagen, beenden wir das Kapitel.“
„Kommt nur, ich bin bereit.“
„Ja, würde ich auch sagen,“ brüllte ich aus Leibeskräften. „Oscar, das duldet keinen Aufschub. Lass uns Blut vergießen!“
„Immer dasselbe,“ maulte Oscar und würgte schnell noch das letzte Stückchen Leber herunter. „Warum müssen wir immer die Welt retten? Kannst du mir das mal sagen?“