Schwarzes Unheil - Evelyn Waugh - E-Book

Schwarzes Unheil E-Book

Evelyn Waugh

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Beschreibung

Auf Azania, einer fiktiven Insel vor der Küste Afrikas, herrscht Seth, der 'Kaiser von Sakuyu, Herr von Wanda und Tyrann der Meere und B.A. der Universität Oxford'. Zusammen mit dem Abenteurer Basil Seal, den er während des Studiums in England kennengelernt hat, versucht er, auf der Insel die moderne Zivilisation einzuführen. Die Ideen der beiden kollidieren auf aberwitzige Weise mit dem rauhen Fels der Realität. Und der französische Konsul wittert die Chance für einen Staatsstreich.

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Seitenzahl: 313

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Evelyn Waugh

Schwarzes Unheil

Roman

Aus dem Englischen vonIrmgard Andrae

Titel der 1932 bei

Chapman & Hall, London, erschienenen

Originalausgabe: ›Black Mischief‹

Copyright © 1932, 1962 by Evelyn Waugh

All rights reserved

Der Roman erschien im Diogenes Verlag

erstmals 1986 als Diogenes Taschenbuch

Die Übersetzung wurde für die vorliegende

Ausgabe durchgesehen

Umschlagfoto (Ausschnitt):

Copyright © Underwood & Underwood/

Corbis/Dukas

In Liebe für

Mary und Dorothy Lygon

Alle deutschen Rechte vorbehalten

Copyright © 2014

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 24276 8 (1.Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60422 1

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

[5] Inhalt

Vorwort des Autors  [7]

Verzeichnis der Illustrationen des Autors  [8]

[7] Vorwort des Autors

Schwarzes Unheil (Black Mischief) entstand, nachdem ich einen Winter in Ost- und Zentralafrika zugebracht hatte. Ein Bericht darüber erschien in Befremdliche Völker, seltsame Sitten und ist zudem in abgekürzter Form im Band When the Going was Good zu finden.

Der Schauplatz des Romans ist eine Mischung aus mehreren Ländern, die ich in der Phantasie in eins zusammengezogen habe. Die Vermutungen der Leser richteten sich seinerzeit in erster Linie auf Abessinien, das damals die einzige unabhängige Monarchie in Afrika war. Es gibt gewisse Ähnlichkeiten zwischen Debra Dowa und dem Addis Abeba von 1930. Es gab jedoch nicht die geringste Ähnlichkeit zwischen Seth und dem Kaiser Haile Selassie. Die Araber von Matodi lebten niemals an der Küste von Äthiopien. Ihr Ebenbild existierte, wenn überhaupt, auf der Insel Sansibar.

Vor dreißig Jahren war es wohl anachronistisch, anzunehmen, irgendein Teil von Afrika könne jemals unabhängig von europäischer Herrschaft werden. Die Geschichte ist nicht in den Bahnen verlaufen, die damals als ihre natürliche Entwicklung vorgezeichnet schienen.

Combe Florey 1962

[8] Verzeichnis der Illustrationen von Evelyn Waugh

Frontispiz: H.I.M. Seth von Azania [2]

General Connolly bei Ukaka [51]

Prudence und William [72]

Basil [115]

Vicomte Boaz und Madame Fifi Fatim Bey am Siegesball im ›Perroquet‹ [133]

Karte des Kaiserreichs Azania [146]

»Fürchterliches Hotel. Aber armenischer Besitzer sehr verbindlich.« [205]

Basil ritt nach Gulu [279]

Reiseziel unbekannt 

[9] 1

Wir, Seth, Kaiser von Azania, Häuptling der Häuptlinge von Sakuyu, Herr von Wanda und Tyrann der Meere, Bakkalaureus der Freien Künste der Universität Oxford, in diesem dem vierundzwanzigsten Jahre Unseres Lebens stehend, durch die Weisheit des Allmächtigen Gottes und den einstimmigen Willen Unseres Volkes auf den Thron Unserer Väter berufen, tun hiermit kund und zu wissen…« Seth unterbrach sein Diktat und schaute hinaus auf den Hafen, wo im frischen Morgenwind die letzte Dhau Segel fürs offene Meer setzte. »Ratten«, sagte er, »feige Köter! Alle laufen sie fort.«

Der indische Sekretär saß aufmerksam da; sein Füllfederhalter schwebte über einem Block Schreibpapier, seine Augen blinzelten bedeutungsvoll hinter einem randlosen Klemmer.

»Noch immer keine Nachricht aus den Bergen?«

»Keine von unbestreitbarer Glaubwürdigkeit, Eure Majestät.«

»Ich befahl die Reparatur des Radios. Wo ist Marx? Er sollte sich darum kümmern.«

»Er verließ die Stadt gestern spätabends.«

»Er verließ die Stadt?«

»In Euer Majestät Motorboot. Es war eine ganze [10] Gesellschaft: der Bahnhofsvorsteher, der Polizeichef, der armenische Bischof, der Verleger des Azanian Courier, der amerikanische Vizekonsul. Sämtliche Honoratioren Matodis.«

»Ich wundere mich, dass du nicht selbst dabei warst, Ali.«

»Es war kein Platz mehr. Die Gefahr unterzugehen wäre bei so vielen vornehmen Herren sehr groß gewesen.«

»Deine Treue soll belohnt werden. Wo war ich stehengeblieben?«

»Die letzten sieben Worte des Tadels für die Flüchtlinge waren wohl nur eine Zwischenbemerkung?«

»Ja, ja, natürlich.«

»Ich werde sie streichen. Euer Majestät letzte Worte waren: tun kund und zu wissen…«

»Tun hiermit kund und zu wissen, dass Straferlass und Begnadigung allen Unseren kürzlich zu Untreue verführten Untertanen gewährt wird, die innerhalb der nächsten diesem folgenden acht Tage zu ihrem gesetzmäßigen Untertanengehorsam zurückkehren. Ferner…«

Sie befanden sich im oberen Stockwerk der alten Festung von Matodi. Vor dreihundert Jahren hatte hier eine portugiesische Garnison während acht Monaten der Belagerung durch Araber von Oman widerstanden. Von diesem Fenster aus hatten sie nach den Segeln der Flotte ausgeschaut, von der sie Beistand erhofften und die zehn Tage zu spät eintraf.

Über dem Haupttor waren noch die verstümmelten Reste eines Wappenschildes sichtbar; die glaubenseifrigen Eroberer hatten Anstoß an diesem Werk der Ungläubigen genommen.

[11] Zwei Jahrhunderte lang blieben die Araber die Herren der Küste. Dahinter im Gebirge führten die eingeborenen Sakuyu, schwarze, nackte Menschenfresser, ihr eigenes Stammesleben fort, inmitten ihrer Herden – halbverhungertes, erbärmliches Vieh mit spindeldürren Beinen, doch mit kunstvollen Brandmalen gezeichnet. Noch weiter landeinwärts lag das Gebiet der Wanda – zugezogener Galla vom Festland, die sich lange vor den Arabern im Norden der Insel niedergelassen und in unterschiedlich großen Dorfgemeinschaften das Land urbar gemacht hatten. Die Araber hielten sich dem Tun dieser beiden Völker fern. Kriegstrommeln waren oftmals im Inneren des Landes zu hören, und manchmal stand die ganze Bergkette in Flammen von brennenden Dörfern. An der Küste entstand eine blühende Stadt: große Häuser arabischer Kaufleute mit kunstvoll vergitterten Fenstern und messingbeschlagenen Türen, Höfe mit dichtbelaubten Mangobäumen, Straßen schwer vom Duft der Nelken und Ananas, so eng, dass zwei Maultiere nur nach heftigem Wortwechsel ihrer Treiber aneinander vorbeikamen; ein Basar, wo die Geldwechsler, über ihren Waagschalen hockend, Münzen eines weltweiten Handels abwogen: österreichische Taler, schlechtgeprägtes Mahrattagold, spanische und portugiesische Dukaten. Von Matodi segelten die Dhaus zum Festland nach Tanga, Daressalam, Malindi und Kismayu, den Karawanen entgegen, die von den großen Seen Elfenbein und Sklaven brachten. Prächtig gekleidete arabische Herren wandelten Hand in Hand die Kais entlang oder plauderten in den Cafés. Im Vorfrühling, wenn der Monsun von Nordosten wehte, kamen Flotten über den Persischen Golf [12] herüber und brachten Menschen hellerer Hautfarbe zum Markt, die ein reineres, den Inselbewohnern kaum verständliches Arabisch sprachen, denn im Laufe der Jahre hatte ihre Sprache hier viele fremde Wörter aufgenommen – Bantu vom Festland, Sakuyu und Galla aus dem Inneren –, und die Sklavenmärkte hatten ihrem semitischen Blut einen kraftvollen, dunklen Einschlag hinzugefügt. Sumpf- und Urwaldinstinkte mischten sich mit den strengen Traditionen der Wüste.

Mit einer dieser Handelsflotten von Maskat war Seths Großvater Amurath gekommen. Er war seinen Gefährten völlig unähnlich, Sohn eines Sklaven, stämmig, krummbeinig, zu drei Vierteln Neger. Durch nestorianische Mönche in der Nähe von Basra hatte er eine Art Bildung erhalten. In Matodi verkaufte er seine Dhau und trat in den Dienst des Sultans.

Dies geschah zu einem kritischen Zeitpunkt der azanischen Geschichte. Die Weißen kehrten zurück. Von Bombay her kommend, hatten sie sich in Aden festgesetzt. Sie waren in Sansibar und im Sudan. Sie drängten vom Kap herauf und durch den Kanal herunter. Ihre Kriegsschiffe kreuzten im Roten Meer und im Indischen Ozean und fingen Sklaventransporte ab. Die Karawanen von Tabora hatten Schwierigkeiten, zur Küste durchzudringen. Der Handel in Matodi kam beinahe zum Erliegen, und eine bisher unbekannte Lustlosigkeit zeigte sich in dem müßig gewordenen Dasein der Kaufleute. Verdrossen Khat kauend, verbrachten sie ihre Tage in der Stadt. Nicht länger mehr konnten sie sich ihre Villen an der Bucht leisten. Gärten verwilderten und Dächer verfielen. Auf den etwas weiter [13] entfernten Besitzungen tauchten die ersten Grashütten der Sakuyu auf – Gruppen von Wanda und Sakuyu kamen in die Stadt und durchstreiften frech die Basare. Eine arabische Feiergesellschaft, auf der Rückkehr von einem der Landhäuser, wurde kaum eine Meile von der Stadt entfernt überfallen und ermordet. Gerüchte von einem im Gebirge geplanten allgemeinen Massaker gingen um. Die europäischen Mächte warteten nur auf eine günstige Gelegenheit, um die Insel zum Protektorat zu erklären.

In diesem Jahrzehnt der Unsicherheit tauchte plötzlich die Gestalt Amuraths auf, zuerst als des Sultans Oberbefehlshaber, dann als General einer unabhängigen Armee, schließlich als Kaiser Amurath der Große. Er bewaffnete die Wanda, an deren Spitze er den Sakuyu Niederlage auf Niederlage beibrachte. Ihr Vieh wurde vertrieben, die Dörfer zerstört und sie selbst bis in die fernsten Täler der Insel verjagt. Dann führte er die siegreiche Armee gegen seine früheren Verbündeten an der Küste. Innerhalb von drei Jahren erklärte er die Insel zum vereinigten Gebiet und sich selbst zu ihrem Herrscher. Er änderte ihren Namen. Bis dahin war sie auf den Landkarten als Sakuyu-Insel verzeichnet. Amurath gab ihr den neuen Namen: Kaiserreich Azania. Er gründete eine neue Hauptstadt in Debra Dowa, zweihundert Meilen landeinwärts, an der Grenze der Wanda- und Sakuyugebiete. Dort hatte sein letztes Feldlager gestanden, in einem kleinen, jetzt teilweise abgebrannten Dorf. Keine Straße führte zur Küste, bloß ein unsicherer Buschpfad, dem nur ein erfahrener Pfadfinder folgen konnte. Hier pflanzte er seine Standarte auf.

Dann entstand die Eisenbahn von Matodi nach Debra [14] Dowa. Drei europäische Gesellschaften erwarben nacheinander die Konzession dafür und versagten kläglich. An der Eisenbahnlinie lagen die Gräber von zwei französischen Ingenieuren, die dem Schwarzwasserfieber erlegen waren, und die zahlreicher indischer Kulis. Die Sakuyu rissen die Stahlschwellen heraus, um sich Speerspitzen zu schmieden, und holten die Kupferdrähte von den Telegraphenleitungen herunter, um ihre Weiber damit zu schmücken. Löwen brachen nachts in die Arbeiterlager ein und verschleppten Männer. Es gab Moskitos, Schlangen, Tsetsefliegen, Spirillumzecken. Tiefe Flussbetten mussten überbrückt werden. Nur wenige Tage des Jahres leiteten sie einen mächtigen Strom zu Tal, der dann Holzstämme, Felsblöcke und gelegentlich Leichen mit sich führte. Ein Lavafeld war zu überqueren und eine fünf Meilen breite Bimssteinwüste. In der heißen Jahreszeit brannte das Metall Blasen in die Hände der Arbeiter, während der Regenzeit vernichteten rutschende Erdmassen und Auswaschungen die Arbeit vieler Monate. Widerstrebend, doch Schritt für Schritt, wich die Barbarei; der Keim des Fortschritts schlug Wurzeln, und nach Jahren langsamen Wachstums öffnete sich seine Blüte in der Form einer eingleisigen, schmalspurigen Bahn: Le Grand Chemin de Fer Impérial d’Azanie. Im sechzehnten Jahr seiner Regierung reiste Amurath im ersten Zug von Matodi nach Debra Dowa, begleitet von Delegierten Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und der Vereinigten Staaten, von seiner Tochter und Erbin und von deren Gatten, während in einem Viehwagen dahinter ein Dutzend oder mehr unehelicher Kinder folgten. In einem anderen Waggon saßen die Geistlichen der verschiedenen Kirchen [15] Azanias, in noch einem anderen die Araberscheichs von der Küste, der oberste Häuptling der Wanda und ein einäugiger, verrunzelter, angsterfüllter alter Neger, der Vertreter der Sakuyu. Den Zug schmückten Fähnchen, Federn und Blumen; er pfiff ununterbrochen von der Küste bis zur Hauptstadt; ein Aufgebot der Miliz säumte die Linie; ein jüdischer Nihilist aus Berlin warf eine Bombe, die aber nicht explodierte; Funken aus der Lokomotive entfachten mehrere schwere Buschbrände. In Debra Dowa nahm Amurath die Glückwünsche der zivilisierten Welt entgegen, erhob den französischen Erbauer in den azanischen Adelsstand und machte ihn zum Marquis.

Die ersten paar Züge verursachten zahlreiche Todesfälle bei den Einwohnern, die eine Zeitlang die Schnelligkeit und Kraft dieses in ihrem Land neuen Dinges nicht einzuschätzen vermochten. Bald aber wurden sie vorsichtiger und der Bahnverkehr weniger häufig. Amurath hatte einen prächtigen Fahrplan ausgearbeitet, mit Expresszügen, Bummel- und Güterzügen und Schiffsverbindungen, außerdem waren billige Rückfahr- und Ausflugskarten vorgesehen. Er hatte eine Landkarte drucken lassen, die die geplante Entwicklung der Eisenbahn zu einem das ganze Eiland bedeckenden Liniennetz zeigte. Jedoch die Eisenbahn war das letzte große Werk seines Lebens: Bald nach ihrer Eröffnung fiel er in tiefe Bewusstlosigkeit, aus der er nie wieder erwachte. Sein Ruf der Unsterblichkeit war weit verbreitet, und so vergingen drei Jahre, bis seine Minister, und auch dann nur infolge beharrlicher Gerüchte, es wagten, dem Volk seinen Tod anzuzeigen. In den folgenden Jahren vermochte der Grand Chemin de Fer Impérial [16] d’Azanie nicht, sich in den von seinem Gründer entworfenen Richtlinien zu entwickeln. Als Seth von Oxford heimkehrte, fuhr die Bahn einmal wöchentlich: ein Güterzug, an den hinten ein einziger schäbiger, mit fadenscheinigem Plüsch gepolsterter Salonwagen angehängt wurde. Die Reise nahm zwei Tage in Anspruch. Die Nacht verbrachte man in Lumo. Dort hatte ein griechischer Hotelbesitzer einen Vertrag angeboten, der für den Präsidenten der Eisenbahnlinie recht vorteilhaft war. Offiziell wurde dieser Aufenthalt der fragwürdigen Zuverlässigkeit der Scheinwerfer zugeschrieben sowie der Beharrlichkeit, mit der die Sakuyu die Bahnlinie immer wieder zerstörten.

Amurath führte auch andere Veränderungen ein, weniger sensationelle vielleicht als die Eisenbahn, aber dennoch bemerkenswerte. Er verkündete die Abschaffung der Sklaverei und erntete damit den Beifall der europäischen Presse. Dieses Gesetz wurde in der Hauptstadt in augenfälliger Weise in englischer, französischer und italienischer Sprache angeschlagen, wo es jeder Fremde lesen konnte; in der Provinz wurde es niemals bekanntgegeben, noch wurde es in eine der einheimischen Sprachen übersetzt. Das alte System bestand ungehindert fort, der europäischen Einmischung jedoch war vorgebeugt. Seine nestorianische Erziehung hatte ihn für Verhandlungen mit den Weißen stark gemacht. Dann erklärte er das Christentum zur offiziellen Religion des Kaiserreiches, gestattete aber seinen mohammedanischen Untertanen völlige Gewissensfreiheit. Er erlaubte und förderte sogar den Zustrom von Missionaren. Bald gab es drei Bischöfe in Debra Dowa; einen anglikanischen, einen katholischen und einen nestorianischen, und ebenso [17] drei stattliche Kathedralen. Außerdem entstanden Quäker-, Herrnhuter-, Mormonen-, amerikanisch-baptistische und schwedisch-lutherische Missionen, die von ausländischen Mitgliedern bestens unterstützt wurden. All dies brachte Geld in die neue Hauptstadt und hob ihr Ansehen im Ausland. Aber sein stärkster Schutz gegen europäische Einmischung war ein Heer von zehntausend Soldaten, die ständig unter Waffen gehalten wurden. Preußische Offiziere bildeten sie aus. Ihre Blechmusik, der Paradeschritt und ihre schmucken Uniformen wurden zunächst freundlich bespöttelt. Dann kam es zu einem internationalen Zwischenfall. Ein ausländischer Handelsagent wurde in einem Bordell an der Küste erstochen. Amurath ließ die Schuldigen vor allem Volk auf dem Platz der anglikanischen Kathedrale hängen (samt zwei oder drei Zeugen, deren Aussagen nicht befriedigend gewesen waren), dennoch wurde von Sanktionen gesprochen. Eine Strafexpedition landete, halb aus europäischen, halb aus eingeborenen Truppen des Festlandes bestehend. Amurath zog mit seiner neuen Armee gegen sie und trieb sie in hilflosen Scharen an den Strand, wo sie von den Kanonen ihrer eigenen Flotte massakriert wurden. Sechs europäische Stabsoffiziere ergaben sich und wurden auf dem Schlachtfeld gehängt. Bei seiner triumphalen Heimkehr in die Hauptstadt stiftete Amurath den »Weißen Vätern« einen Silberaltar für die »Siegreiche Muttergottes«.

Im ganzen Hochland stieg nunmehr sein Ansehen ins Unermessliche. »Ich schwöre bei Amurath« war ein Eid von unverbrüchlicher Heiligkeit. Nur die Araber blieben unbeeindruckt. Er adelte sie, machte aus den [18] Familienoberhäuptern Grafen, Vicomtes und Marquis, doch diese ernsten verarmten Männer, deren Stammbäume bis in die Zeit des Propheten zurückgingen, zogen ihre ursprünglichen Namen vor. Durch Heirat brachte er seine Tochter in das Haus des früheren Sultans – doch der junge Mann akzeptierte seine Erhöhung und die zwangsläufige Taufe und Aufnahme in die Nationale Kirche ohne Begeisterung. Von den Arabern wurde diese Ehe als große Schande angesehen. Ihre Väter würden nicht einmal ein Pferd von solch obskurer Abstammung geritten haben. Inder erschienen in großen Scharen, und langsam ging der gesamte Handel des Landes in ihre Hände über. Die großen Häuser in Matodi wurden zu Mietskasernen, Hotels und Büros. Bald wurde das Labyrinth enger Gassen hinter dem Basar als »Araberviertel« bezeichnet.

Nur wenige Bewohner zogen in die neue Hauptstadt, die sich in einer willkürlichen Ansammlung von Läden, Missionshäusern, Kasernen, Gesandtschaften, Bungalows und Eingeborenenhütten rund um den Königspalast ausbreitete. Der Palast selbst, der viele Hektar Land bedeckte und den unregelmäßige, befestigte Palisaden umgaben, hatte nichts von Ordnung oder Harmonie. Seinen Kern bildete eine große Stuckvilla nach französischem Muster; um diese herum lagen verstreut verschieden große Baracken, die als Küchen, Wohnungen für Bedienstete und Ställe dienten. Außerdem gab es ein hölzernes Wachhaus und eine große strohgedeckte Scheune, die für Staatsbankette benutzt wurde, einen achteckigen Kuppelbau als Kapelle und die große, aus Feldsteinen und Balken erbaute Residenz der Prinzessin und ihres Prinzgemahls. Der Boden zwischen [19] den Gebäuden war uneben und ungepflegt: Brennholzhaufen, Küchenabfälle, zerbrochene Wagen, Kanonen und Munition lagen sichtbar herum, manchmal auch der fliegenbedeckte Kadaver eines Esels oder Kamels. Nach dem Regen bildeten sich riesige Wasserpfützen. Oft konnte man Gruppen von Gefangenen, Hals an Hals durch Ketten verbunden, dort schaufeln sehen, als wäre eine Einebnung oder Trockenlegung geplant, doch geschah in des alten Kaisers Zeiten, außer der Anpflanzung eines Ringes von Eukalyptusbäumen, nichts, das seiner Umgebung Würde verliehen hätte.

Viele von Amuraths Soldaten ließen sich in der neuen Hauptstadt nieder. In den ersten Jahren wurde ihre Zahl verstärkt durch den Zuzug von Eingeborenen, die, vom Glanz des Stadtlebens angelockt, sich aus ihrer Stammesbindung gelöst hatten. Die Haupteinwohnerschaft jedoch war immer international, und da der Ruf von Azania, ein Land voller Möglichkeiten zu sein, in den minder erfolgreichen Gesellschaftsschichten der übrigen Welt ruchbar wurde, verlor Debra Dowa nach und nach seinen nationalen Charakter. Inder und Armenier kamen zuerst und auch noch später in jährlich wachsender Zahl. Goanesen, Juden und Griechen folgten, und dann ein Strom nur bedingt ehrenwerter Einwanderer aus europäischen Ländern: Bergbauingenieure, Grundstücksspekulanten, Pflanzer und Unternehmer auf ihrer weltweiten Suche nach billigen Konzessionen. Ein paar hatten Glück und verließen das Land wieder mit bescheidenen Vermögen, die meisten jedoch wurden enttäuscht und blieben für immer – sie hingen in den Bars herum und jammerten über dem Whisky, wie [20] sinnlos es sei, in einem Land, das von einer Rotte Neger geführt wurde, Gerechtigkeit zu erwarten.

Nachdem Amurath gestorben war und die Höflinge schließlich keine Erklärung mehr für seine dauernde Abwesenheit fanden, regierte seine Tochter als Kaiserin. Amuraths Beisetzung war ein großes Ereignis in der ostafrikanischen Geschichte. Ein nestorianischer Patriarch kam aus dem Irak, um die Messe zu lesen; Abgesandte der europäischen Mächte folgten der Prozession, und als die Hörner der kaiserlichen Leibgarde einen letzten Gruß über den leeren Sarkophag bliesen, brachen gewaltige Massen von Wanda und Sakuyu in Stöhnen und Klagen aus, sie beschmierten ihre Leiber mit Holzkohle und Kalk, stampften mit den Füßen und wiegten sich und klatschten in die Hände in wahnsinnigem Schmerz über den Verlust ihres Herrschers.

Nun war die Kaiserin tot, und Seth, von Europa zurückgekehrt, forderte sein Kaiserreich.

Mittag in Matodi. Der Hafen lag still da wie eine Fotografie, leer bis auf ein paar regungslos an der Kaimauer festgemachte Fischerboote. Kein Lufthauch bewegte die königliche Standarte über der alten Festung. Kein Verkehr belebte den Kai. Die Geschäfte waren geschlossen und die Rollläden heruntergelassen. Von der Hotelterrasse hatte man die Tische weggeräumt. Im Schatten eines Mangobaumes schliefen zusammengerollt zwei Wachsoldaten, die Gewehre neben sich im Staub.

»Von Seth, Kaiser von Azania, Häuptling der Häuptlinge von Sakuyu, Herr von Wanda und Tyrann der Meere, [21] Bakkalaureus der Freien Künste der Universität Oxford, an Seine Majestät den König von England. Gruß zuvor. Möge Euch dies erreichen. Friede Eurem Hause…«

Seit dem Morgengrauen hatte er diktiert. Grußbotschaften, Adelspatente, Begnadigungen, Verurteilungen, Armeebefehle, Polizeiverordnungen, Bestellungen bei europäischen Firmen von Automobilen, Uniformen, Möbeln und elektrischen Anlagen; Einladungen zur Krönungsfeier, die Verkündung eines öffentlichen Feiertages zu Ehren seines Sieges… all dies häufte sich sauber gestapelt auf dem Tisch des Sekretärs.

»Noch immer keine Nachrichten aus den Bergen. Wir sollten jetzt von dem Sieg gehört haben.« Der Sekretär schrieb diese Worte nach, besah sie sich kritisch mit leicht zur Seite geneigtem Kopf und strich sie dann wieder durch. »Wir hätten Nachrichten bekommen sollen, nicht wahr, Ali?«

»Ja, das hätten wir sollen.«

»Was ist geschehen? Warum antwortest du mir nicht? Warum haben wir nichts gehört?«

»Wer bin ich? Ich weiß nichts. Ich höre bloß, was die Unwissenden im Basar erzählen, da die Beamten die Stadt verlassen haben. Die Unwissenden sagen, dass die Armee Eurer Majestät nicht den angekündigten Sieg erfochten hat.«

»Diese Narren! Was wissen sie? Was können sie verstehen? Ich bin Seth, der Enkel Amuraths. Eine Niederlage ist unmöglich. Ich war in Europa. Ich verstehe alles. Wir haben den Panzer. Dies ist nicht der Kampf Seths gegen Seyid: Es ist der Kampf des Fortschritts gegen die Barbarei. Und [22] der Fortschritt muss siegen. Ich habe den großen Zapfenstreich in Aldershot gesehen, die Pariser Ausstellung, die Oxford Union. Ich habe moderne Bücher gelesen: Shaw, Arlen, Priestley. Was wissen die Schwätzer in den Basaren von alledem? Hinter mir steht die ganze Kraft der Evolution; an meinem Steigbügel läuft das Wahlrecht der Frauen, die Schutzimpfung und die Vivisektion. Ich bin das Neue Zeitalter. Ich bin die Zukunft.«

»Von diesen Dingen weiß ich nichts«, sagte Ali. »Aber die Unwissenden in den Basaren behaupten, die Garden Eurer Majestät hätten sich mit Prinz Seyid vereinigt. Majestät erinnern sich an meinen Hinweis, dass die Leute seit mehreren Monaten keine Löhnung erhalten hatten?«

»Sie sollen bezahlt werden. Ich habe es gesagt. Sobald der Krieg vorüber ist, sollen sie entlohnt werden. Überdies habe ich sie im Rang befördert. Jeder Mann der Brigade ist jetzt Korporal. Ich selbst habe den Erlass herausgegeben. Undankbare Hunde! Altmodische Narren! Bald wird es keine Soldaten mehr geben: nur noch Panzer und Aeroplane. Das ist modern. Ich habe es gesehen. Das erinnert mich: Hast du die Anweisungen für die Orden abgeschickt?«

Ali blätterte den Stoß Briefe durch.

»Euer Majestät haben fünfhundert Großkreuze von Azania erster Klasse bestellt; fünfhundert zweiter Klasse und siebenhundert dritter. Ebenso Entwürfe für den Seth-Stern: versilbert und emailliert mit zweifarbigem Band…«

»Nein, nein. Ich meine die Siegesmedaille.«

»Ich habe für die Siegesmedaille keine Anweisungen erhalten.«

»Dann schreibe.«

[23] »Die Einladung an den König von England?«

»Der König von England kann warten. Nimm die Anweisungen für die Siegesmedaille auf. Bildseite: das Bildnis Seths – nach der in Oxford gemachten Fotografie. Du weißt schon – es soll modern, europäisch sein: Zylinder, Brille, Frackhemd und Schleife. Aufschrift: SETH IMPERATOR IMMORTALIS.

Das Ganze einfach und geschmackvoll. Viele der Medaillen meines Großvaters waren überladen. Rückseite: die Gestalt des Fortschritts. In einer Hand hält sie ein Flugzeug, in der anderen irgendeinen kleinen Gegenstand, ein Symbol für die zunehmende Bildung. Einzelheiten hierzu gebe ich dir später. Es wird mir schon etwas einfallen… Vielleicht ein Telefon. Ich werde mal sehen… Inzwischen fang den Brief an: Von Seth, Kaiser von Azania, Häuptling der Häuptlinge von Sakuyu, Herr von Wanda und Tyrann der Meere, Bakkalaureus der Freien Künste der Universität Oxford, an die Firma Mappin und Webb, London. Gruß zuvor. Möge Euch dies erreichen. Friede Eurem Hause…«

Abend und spärliche Anzeichen von Leben. Muezzin im Minarett. Allah ist groß. Allah ist Allah, und Mohammed ist sein Prophet. Angelus von der Missionskirche. Ecce ancilla Domini: fiat mihi secundum verbum tuum. MrYoukoumian, hinter der Bar seines ›Café und Kaufhaus Amurath‹, mischte sich einen Abendtrunk aus Mastiki mit Wasser.

»Was ich wissen will: Werde ich für das Benzin bezahlt?«

»Sie wissen, ich tue alles für Sie, MrYoukoumian. Ich bin Ihr Freund. Das wissen Sie. Aber heute hat der Kaiser zu tun. Ich bin eben erst von dort losgekommen. Den [24] ganzen Tag beschäftigt. Ich werde versuchen, das Geld für Sie zu bekommen.«

»Ich abe viel für Sie getan, Ali.«

»Das weiß ich, MrYoukoumian, und ich hoffe, ich bin nicht undankbar. Könnte ich nur einfach um Ihr Geld bitten, so würden Sie es heute Abend haben.«

»Aber ich muss es eute Abend aben. Ich gehe fort.«

»Fort?«

»Ich abe alles vorbereitet. Nun, Ihnen kann ich es anvertrauen, Ali, da Sie mein Freund sind.« MrYoukoumian sah sich verstohlen in der leeren Bar um – sie sprachen Sakuyu: »Ich abe ein Motorboot außerhalb des Afens liegen, inter den Bäumen bei der alten Zuckerfabrik, an der Bucht. Vor allen Dingen aber: Es ist noch ein Platz für einen Mitfahrer frei. Außer Ihnen sage ich das niemandem. Matodi wird in den nächsten zwei Wochen kein guter Ort sein. Seth ist geschlagen. Das wissen wir. Ich gehe zu meinem Bruder aufs Festland. Nur will ich, bevor ich fahre, mein Geld für das Benzin aben.«

»Ja, MrYoukoumian, ich weiß Ihr Anerbieten zu schätzen. Aber Sie wissen, wie schwierig es ist. Sie können kaum erwarten, dass der Kaiser dafür bezahlt, dass ihm sein eigenes Motorboot gestohlen wird.«

»Davon weiß ich nichts. Alles, was ich weiß, ist, dass gestern Abend MrMarx in meinen Laden kam und verlangte, dass des Kaisers Motorboot vollgetankt würde. Für achtzig Rupien. Ich abe MrMarx schon früher mit Benzin für den Kaiser beliefert. Wie konnte ich wissen, dass er des Kaisers Motorboot stehlen wollte? Würde ich es ihm gegeben aben, wenn ich das gewusst ätte?« MrYoukoumian breitete die [25] Hände in einer seiner Rasse eigentümlichen Gebärde aus. »Ich bin ein armer Mann. Ist es gerecht, dass ich auf diese Weise leide? Ist es fair? Aber Sie, Ali, kenne ich. Sie sind ein anständiger Mensch. Ich abe früher viel für Sie getan. Schaffen Sie die achtzig Rupien erbei, und ich nehme Sie zu meinem Bruder nach Malindi mit. Wenn dann die Unruhen vorüber sind, können wir zurückkommen oder dortbleiben, ganz wie wir wollen. Sie wollen sich doch nicht von den Arabern die Kehle durchschneiden lassen? Ich werde für Sie sorgen.«

»Nun, MrYoukoumian, ich würdige Ihr Anerbieten durchaus, und ich werde tun, was ich kann. Aber mehr kann ich nicht versprechen.«

»Ich kenne Sie, Ali. Ich vertraue Ihnen, wie ich meinem eigenen Vater vertrauen würde. Zu keinem Menschen ein Wort über das Boot, ja?«

»Kein Wort, MrYoukoumian. Ich sehe Sie dann noch einmal später am Abend.«

»So ist’s recht. Auf Wiedersehen, und vergessen Sie nicht: zu keinem Menschen ein Wort über das Boot.«

Nachdem Ali das ›Café Amurath‹ verlassen hatte, tauchte Youkoumians Frau hinter dem Vorhang auf, von wo sie das Gespräch belauscht hatte.

»Und was bedeuten all diese Pläne? Wir können diesen Inder nicht mit nach Malindi nehmen.«

»Ich will meine achtzig Rupien. Meine Liebe, diese geschäftlichen Dinge musst du mir überlassen.«

»Aber es ist doch kein Platz mehr in dem Boot. Es ist sowieso schon überlastet. Das weißt du doch.«

»Ja, das weiß ich.«

[26] »Bist du verrückt, Krikor? Willst du uns alle ersäufen?«

»Diese Dinge überlasse mir, meine Blume. Du brauchst dich nicht zu sorgen. Ali kommt nicht mit. Ich will nur die achtzig Rupien für MrMarx’ Benzin. Bist du fertig mit Packen? Wir fahren, sobald Ali mit dem Geld kommt.«

»Krikor, du wirst doch nicht… du wirst mich doch nicht hier zurücklassen, nicht wahr?«

»Ich würde keinen Augenblick zögern, dich hierzulassen, wenn ich glaubte, es sei notwendig. Mach deine Packerei fertig, Mädchen. Weine nicht. Pack fertig. Du kommst mit nach Malindi. Ich bin ein anständiger Mann und ein friedliebender Mann. Das weißt du. Aber in Kriegszeiten muss man für sich selbst und für seine Familie sorgen. Jawohl, für seine Familie, hörst du? Ali wird das Geld bringen. Wir werden ihn nicht nach Malindi mitnehmen. Verstehst du? Macht er Schwierigkeiten, so werde ich ihm mit meinem Stock eins überziehen. Steh nicht rum wie ein Dummkopf. Mach deine Packerei fertig.«

Die Sonne war jetzt untergegangen. Während Ali durch die dunkle Gasse zum Fort zurückging, bemerkte er eine neue Aufregung im Volk, Gruppen eilten in Richtung Meer, andere standen in den Türen und schwatzten eifrig. Er hörte die Worte »Seyid«, »Sieg« und »Armee«. Auf dem offenen Platz vor dem Hafen stand eine Menschenmenge mit dem Rücken zum Meer und starrte über die Stadt hinweg auf das Binnenland. Er trat zu ihnen und sah im Zwielicht die ganze dunkle Wand der Berge von kleinen Feuerpünktchen erleuchtet. Dann verließ er das Gedränge und begab sich zum alten Fort. Major Joab, der Wachoffizier, stand im Hof und beobachtete die Berge durch sein Fernglas.

[27] »Haben Sie die Feuer im Landesinnern gesehen, Sekretär?«

»Ich habe sie gesehen.«

»Ich glaube, dass dort eine Armee lagert.«

»Es ist die siegreiche Armee, Major.«

»Gottlob! Darauf haben wir gewartet.«

»Gewiss. Wir sollten Gott loben, in Freude wie im Leide«, sagte Ali fromm. Er hatte, als er in Seths Dienste trat, den christlichen Glauben angenommen. »Aber ich bringe Befehle des Kaisers. Sie sollen mit ein paar Leuten zur Amurath-Bar gehen. Dort werden Sie den Armenier Youkoumian finden, einen kleinen dicken Mann mit schwarzem Käppchen. Kennen Sie ihn? Na schön. Er soll verhaftet und ein Stückchen vor die Stadt geführt werden. Wohin, ist gleichgültig, aber führen Sie ihn ziemlich weit weg von den Menschen. Dann hängen Sie ihn auf. Das ist des Kaisers Befehl. Wenn das geschehen ist, melden Sie es mir persönlich. Es ist nicht nötig, dem Kaiser die Angelegenheit direkt mitzuteilen. Verstehen Sie?«

»Ich verstehe, Sekretär.«

Oben saß Seth, vertieft in einen Katalog mit Radioapparaten.

»Ach, Ali, ich habe mich für das Tudormodell aus dunkler Eiche entschieden. Erinnere mich morgen an die Bestellung. Sind immer noch keine Nachrichten da?«

Ali beschäftigte sich damit, die Papiere auf dem Tisch zu ordnen und die Schreibmaschine in ihrem Koffer zu verstauen.

»Gibt es keine Nachrichten?«

»Doch, so eine Art Nachricht, Majestät. Es scheint, dass [28] eine Armee in den Bergen biwakiert. Man kann ihre Feuer sehen. Wenn Eure Majestät herauszukommen belieben, werden Sie sie erblicken. Kein Zweifel, dass sie morgen in die Stadt einmarschieren.«

Seth sprang freudig von seinem Stuhle auf und lief ans Fenster.

»Aber das sind ja wundervolle Nachrichten! Die besten, die du hättest bringen können! Ali, ich mache dich morgen zum Vicomte. Die Armee zurück! Danach haben wir uns die letzten sechs Wochen gesehnt, oder, Vicomte?«

»Majestät sind sehr freundlich. Ich sagte, eine Armee. Man kann nicht sagen, welche es ist. Ist es, wie Sie vorauszusetzen belieben, General Connolly, scheint es dann nicht sonderbar, dass er keinen Läufer schickte, um Eure Majestät mit der Siegesnachricht zu grüßen?«

»Ja, er hätte von sich hören lassen sollen.«

»Majestät sind geschlagen und verraten. Jedermann in Matodi weiß das, außer Ihnen.«

Zum ersten Male seit Kriegsbeginn bemerkte Ali Unsicherheit in seines Herrn Gebaren. »Wenn ich geschlagen bin«, sagte Seth, »werden die Barbaren wissen, wo sie mich finden.«

»Majestät, es ist noch nicht zu spät zur Flucht. Erst heute Abend hörte ich in der Stadt von einem Mann, der außerhalb des Hafens ein Motorboot versteckt hat. Er beabsichtigt, darin zum Festland zu fliehen, aber zu einem entsprechenden Preis würde er es verkaufen. Für einen geringen Mann gibt es Fluchtmöglichkeiten, die für einen großen Mann wie Eure Majestät verhängnisvoll wären. Für zweitausend Rupien würde er sein Boot verkaufen. Dies sagte er [29] mir rundheraus, und er nannte den Preis. Für das Leben eines Kaisers ist das nicht viel. Geben Sie mir das Geld, Majestät, und das Boot wird vor Mitternacht hier sein. Und am Morgen werden Seyids Truppen in die Stadt einmarschieren und sie leer vorfinden.«

Ali blickte hoffnungsvoll über den Tisch, doch schon bevor er zu Ende gesprochen hatte, bemerkte er, dass Seths Unsicherheit verflogen war.

»Seyids Truppen werden nicht in die Stadt marschieren. Du vergisst, dass ich den Panzer habe. Ali, du redest verräterischen Unsinn. Morgen werde ich hier sein, um meinen siegreichen General zu empfangen.«

»Das wird sich morgen erweisen, Majestät.«

»Das wird sich morgen erweisen.«

»Hören Sie«, sagte Ali, »mein Freund ist Eurer Majestät sehr treu und sehr ergeben. Vielleicht könnte ich durch meinen Einfluss erreichen, dass er den Preis senkt.«

»Ich werde morgen hier sein, um meine Armee zu empfangen.«

»Angenommen, er ginge auf achtzehnhundert Rupien herunter?«

»Ich habe gesprochen.«

Ohne weitere Widerrede nahm Ali seine Schreibmaschine und verließ das Zimmer. Als er die Tür öffnete, vernahm sein Ohr das unvermeidliche Trappeln nackter Füße – ein Lauscher floh den dunklen Gang entlang. An dieses Geräusch hatten sie sich im Lauf der letzten Monate gewöhnt.

In seinem eigenen Quartier angelangt, goss Ali sich ein Glas Whisky ein und zündete eine Zigarre an. Dann zog er einen Vulkanfiberkoffer unter seinem Bett hervor und [30] begann, seine Habe systematisch zu ordnen, als Vorbereitung fürs Packen. Bald darauf klopfte es an die Tür, und Major Joab trat herein.

»Guten Abend, Sekretär.«

»Guten Abend, Major. Ist der Armenier tot?«

»Er ist tot. Himmel, er hat gequiekt wie ein Schwein! Sie haben Whisky hier?«

»Wollen Sie sich bedienen?«

»Danke sehr, Sekretär… Sie scheinen sich für eine Reise zu rüsten?«

»Es ist gut, vorbereitet zu sein – seine Sachen in Ordnung zu haben.«

»Ich glaube, es liegt eine Armee in den Bergen.«

»Das behauptet man.«

»Ich glaube, es ist Seyids Armee.«

»Auch das behauptet man.«

»Wie Sie sagten, Sekretär, es ist gut, vorbereitet zu sein.«

»Möchten Sie eine Zigarre, Major? Ich nehme an, dass viele Leute in Matodi jetzt froh wären, wenn sie fortgehen könnten. Morgen wird die Armee hier sein.«

»Sie ist nicht mehr weit entfernt. Aber es gibt keine Möglichkeit, die Stadt zu verlassen. Alle Boote sind fort. Die Eisenbahn ist kaputt. Die Straße führt geradewegs in das feindliche Lager.«

Ali legte einen weißen Leinenanzug zusammen und faltete, über den Koffer gebückt, sorgfältig die Ärmel. Er schaute nicht auf, als er sagte: »Ich hörte von einem Mann, der ein Boot hat. Man sprach darüber im Basar. Dieser Mann, zweifellos ein ungebildeter Bursche, sprach von einem Boot, das außerhalb des Hafens versteckt sei. Er wolle [31] heute Nacht zum Festland übersetzen. Angeblich sei noch Platz für zwei übrig. Glauben Sie, jemand könnte noch zwei Personen finden, die, zu je fünfhundert Rupien, zum Festland möchten? Das wurde verlangt.«

»Es ist ein hoher Preis für eine Reise zum Festland.«

»Für ein Menschenleben ist es nicht viel. Glauben Sie, dass so ein Mann – vorausgesetzt, die ganze Geschichte ist wahr – Mitfahrer finden könnte?«

»Vielleicht. Wer weiß? Ein Politiker, der seine Weisheit mitnehmen kann – ein Fremder, der nichts besitzt außer einer Schreibmaschine und seinen Kleidern. Aber ich glaube nicht, dass ein Soldat gehen würde.«

»Ein Soldat würde vielleicht dreihundert zahlen?«

»Wahrscheinlich nicht. Was für ein Leben erwartet ihn in der Fremde? Und bei seinen Landsleuten wäre er entehrt.«

»Aber er würde andere nicht am Fortgehen hindern? Einer, der fünfhundert Rupien für seine Reise zahlt, würde einer Wache, die ihn durchließe, weitere einhundert wohl nicht vorenthalten wollen.«

»Wer weiß? Manche Soldaten würden das als einen geringen Preis für ihre Ehre ansehen.«

»Aber zweihundert?«

»Ich glaube, Soldaten sind meistens arme Leute. Es ist selten, dass sie zweihundert Rupien verdienen… Nun, ich muss Ihnen gute Nacht wünschen, Sekretär. Ich muss zu meinen Leuten zurückkehren.«

»Bis wann haben Sie Wache, Major?«

»Bis nach Mitternacht. Vielleicht sehe ich Sie noch einmal.«

[32] »Wer weiß… Ach, Major, Sie haben Ihre Papiere vergessen.«

»Wahrhaftig. Danke schön, Sekretär. Und gute Nacht.«

Der Major zählte den kleinen Stoß Banknoten, den Ali auf den Toilettentisch gelegt hatte. Genau zweihundert. Er schob sie in seine Rocktasche und kehrte zu seiner Wache zurück.

Hier, im hinteren Zimmer, saß MrYoukoumian und sprach mit dem Hauptmann. Vor einer halben Stunde war der kleine Armenier dem Tode sehr nahe gewesen, und noch überschattete der Schrecken dieser Erfahrung sein sonst so offenes und gesprächiges Wesen. Erst als der Strick ihm schon um den Hals lag, war ihm der Einfall gekommen, sein Motorboot zu erwähnen. Sein Gesicht war schweißbedeckt, und seine Stimme klang unsicher und unterwürfig.

»Was sagte der indische Und?«

»Er wollte mir einen Platz in dem Boot für fünfhundert Rupien verkaufen. Weiß er, wo es versteckt ist?«

»Ich Dummkopf abe es ihm gesagt.«

»Das hat nichts zu bedeuten. Er gab mir zweihundert Rupien, um ihn durch die Wache zu lassen, ebenso etwas Whisky und eine Zigarre. Wir brauchen uns seinetwegen keine Sorgen zu machen. Wann fahren wir?«

»Noch eins, meine Erren Offiziere… meine Frau. Für sie ist kein Platz im Boot. Sie darf von unserer Abreise nichts erfahren. Wo war sie, als Sie… als wir das Café zusammen verließen?«

»Sie schlug Lärm. Einer der Korporale schloss sie in der Schlafkammer ein.«

»Da wird sie rauskommen.«

[33] »Das überlassen Sie nur uns.«

»Sehr wohl, Major. Ich bin ein anständiger und friedliebender Mann. Das wissen Sie. Ich möchte nur sicher sein, dass das Ganze für alle angenehm wird.«

Ali war fertig mit Packen und setzte sich abwartend hin.

»Was mag Major Joab beabsichtigen?«, überlegte er. »Sonderbar, dass er sich weigert, die Stadt zu verlassen. Wahrscheinlich hofft er, morgen einen Preis für Seth zu bekommen.«

Nacht, und die Schrecken der Dunkelheit. In seinem Zimmer, ganz oben im alten Fort, lag Seth wach und einsam. In seinen Augen flackerten die ererbte Furcht vor dem Dschungel und die neuerworbene Einsamkeit der modernen Zivilisation. Die Nacht war belebt von Tieren und Teufeln und den Geistern toter Feinde. Seths Vorfahren waren vor der Nacht zurückgewichen, vor ihrem Angriff geflohen und hatten auf diesem Rückzug die ganze Last der Individualität abgeworfen: Sie hatten zu sechst oder siebt in einer Hütte gelegen, nur durch eine Lehmwand und ein Grasdach von der Nacht getrennt. Warme nackte Leiber, kaum eine Armeslänge voneinander entfernt, atmeten beisammen in der Dunkelheit, unteilbar vereinigt, so dass sie aufhörten, sechs oder sieben einzelne angsterfüllte Schwarze zu sein, und stattdessen zu einer Person von übermenschlicher Gestalt verschmolzen, der sie streifenden Gefahr weniger preisgegeben. Seth jedoch war dem Angriff der Angst hilflos ausgesetzt. Er war allein, zum Zwerg gemacht durch die Größe der Dunkelheit, von seinen Mitmenschen isoliert und aller Erhabenheit entkleidet.

[34] Die Dunkelheit pulsierte vom Trommeln der unbekannten Sieger. In den engen Straßen waren die Leute wach – geschäftig und ahnungsvoll. Dunkle Gestalten eilten auf heimlichen Botengängen hin und her und verbargen sich voreinander in Torbögen, bis der Weg wieder frei war. In den Häusern wurden Bündel in Verstecken verstaut, kleine Schätze von Münzen und Schmuck, Bilder und Bücher, ererbte Schwertknäufe von schönster Handarbeit, billiger Tand aus Birmingham und Bombay, seidene Schals, Parfümflaschen – all das, was am nächsten Morgen, wenn die Stadt der Plünderung anheimfiel, Aufmerksamkeit erregt hätte. Wirre Haufen von Weibern und Kindern wurden zum Schutz in die Keller der alten Häuser zusammengedrängt oder in das offene Land außerhalb der Mauern getrieben; Ziegen, Schafe, Esel, Rinder und Geflügel kämpften mit ihnen um den Vortritt bei den Stadttoren. Madame Youkoumian lag, wie ein Huhn zusammengebunden, auf dem Boden ihres eigenen Schlafzimmers, sabberte durch ihren Knebel und zappelte hilflos mit ihren zerschundenen Gliedern.

Ali, der, von zwei Soldaten verhaftet, in die Festung zurückgeführt wurde, erhob wütenden Einspruch bei dem Wachhauptmann.

»Sie begehen einen großen Fehler, Hauptmann. Ich habe mit dem Major alle Abmachungen für meine Abreise getroffen.«

»Es ist des Kaisers Befehl, niemanden aus der Stadt zu lassen.«

»Wenn wir zum Major kommen, wird er alles erklären.«

Der Hauptmann gab keine Antwort. Die kleine Gruppe [35] marschierte weiter. Vor ihnen trottete zwischen zwei anderen Soldaten Alis Diener, der den Koffer seines Herrn auf dem Kopf trug.

Als sie die Wachstube erreichten, meldete der Hauptmann: »Zwei Gefangene, Major, am Südtor verhaftet, beim Versuch, die Stadt zu verlassen.«

»Sie kennen mich, Major. Der Hauptmann hat sich geirrt. Sagen Sie ihm, dass ich fortgehen darf.«