Schwedischer Inselzauber - Lars Bill Lundholm - E-Book
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Schwedischer Inselzauber E-Book

Lars Bill Lundholm

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Beschreibung

Ein rührender Neuanfang auf den Schäreninseln: Der Sammelband »Schwedischer Inselzauber« von Lars Bill Lundholm jetzt als eBook bei dotbooks. Weiße Strände, sanftes Wellenrauschen und eine kleine Insel, die mit roten Holzhäusern übersäht ist: Saltö ist ein Bild der Beschaulichkeit. Hier will der Arzt Johan Steen mit seiner kleinen Tochter Wilma neu anfangen, nachdem seine Frau ihn verlassen hat. Doch dabei hat er die Rechnung ohne die herrlich kauzigen Bewohner gemacht, die Neuankömmlingen erst einmal mit einer ordentlichen Prise Misstrauen begegnen: Zum Beispiel sein Vorgänger, der sich mit dem Ruhestand so gar nicht abfinden will – oder der widerborstige Zimmermann Kalle Jonsson, der es »diesem viel zu modernen Pillenverschreiber« nicht zutraut, seine Tochter zu behandeln. Und so verläuft der Neustart in der schwedischen Inselidylle erst einmal mehr als nur holprig … Wird es Johan dennoch gelingen, auf Saltö sein Glück zu finden? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der romantische Sammelband »Schwedischer Inselzauber« von Lars Bill Lundholm. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 764

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Über dieses Buch:

Weiße Strände, sanftes Wellenrauschen und eine kleine Insel, die mit roten Holzhäusern übersäht ist: Saltö ist ein Bild der Beschaulichkeit. Hier will der Arzt Johan Steen mit seiner kleinen Tochter Wilma neu anfangen, nachdem seine Frau ihn verlassen hat. Doch dabei hat er die Rechnung ohne die herrlich kauzigen Bewohner gemacht, die Neuankömmlingen erst einmal mit einer ordentlichen Prise Misstrauen begegnen: Zum Beispiel sein Vorgänger, der sich mit dem Ruhestand so gar nicht abfinden will – oder der widerborstige Zimmermann Kalle Jonsson, der es »diesem viel zu modernen Pillenverschreiber« nicht zutraut, seine Tochter zu behandeln. Und so verläuft der Neustart in der schwedischen Inselidylle erst einmal mehr als nur holprig … Wird es Johan dennoch gelingen, auf Saltö sein Glück zu finden?

Über den Autor:

Lars Bill Lundholm wurde zunächst als Drehbuchautor preisgekrönter schwedischer Film- und Fernsehproduktionen bekannt, bevor er sich auch als Schriftsteller einen Namen machte: Seine Bandbreite reicht dabei von gefühlvollen Inselromanen bis hin zu spannungsgeladenen Kriminalromanen. Er lebt in Stockholm.

Lars Bill Lundholm veröffentlichte bei dotbooks bereits die beiden Stockholm-Krimis »Mord in Östermalm« und »Tod in Södermalm«.

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Sammelband-Originalausgabe Februar 2022

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Eine Übersicht über die Copyrights der einzelnen Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/AmySachav und AdobeStock/Grigory Bruev

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96655-763-4

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Lars Bill Lundholm

Schwedischer Inselzauber

Zwei Romane in einem eBook

dotbooks.

Der SchärendoktorDer erste Sommer

Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs

Strahlend blauer Himmel, das weite, offene Meer und mittendrin eine kleine Insel, wo Fischerhäuser und feine Villen Seite an Seite stehen: Auf der Schäreninsel Saltö soll alles so bleiben, wie es ist – da sind sich die Bewohner einig! Kein Wunder, dass dem fortschrittlichen Arzt Dr. Johan Steen und seiner kleinen Tochter Wilma vor allem Misstrauen entgegengebracht wird, als sie sich hier niederlassen wollen. Und auch davon abgesehen ist der Neustart ohne seine Frau Eva, die ihn verlassen hat, für Johan nahezu unerträglich. Wird sein Herz sich von diesem Schmerz erholen … und kann er bei den kauzigen Schärenbewohnern wirklich eine Heimat und sein Glück finden?

Erst als Not am Mann ist und alle zusammenhalten müssen, zeigt sich ein Licht am Horizont …

Für Clara, Ärztin, Schärenmädel

Kapitel 1

Saltö lag im Schärenmeer, und eine gelbe Fähre bildete die Nabelschnur, die über den Sund zum Festland führte. Alte, vom Wind gebeutelte Fischerhäuser mischten sich auf Saltö mit großen, schönen Villen aus der Zeit um 1900. Moderne Bungalows mit schwarzen Dächern und Satellitenschüsseln standen Seite an Seite mit Häusern mit reich geschnitzten Giebeln und Plumpsklos.

Es gab Lauben, in denen Heringe zusammen mit einem Schnäpschen konsumiert wurden, an kühlen Sommerabenden saß man in verglasten Veranden, und in Holzbuden wurde frisch gefangener Strömling geräuchert. Aber man sah auch Wellblechschuppen, Garagen und heruntergekommene Werkstätten. Gestern und Heute begegneten sich hier, Arm und Reich, Eleganz und Kitsch in trauter Eintracht. Die Häuser kletterten um die Insel herum, an den Hängen hinauf und hinunter, einige lagen am Wasser und hatten Stege, die wie die Finger einer Hand ins Meer hineinragten, andere sahen aus wie vom Himmel gefallen und nur zufällig an ihren jetzigen Standplätzen gelandet, ein wenig schief, über einen Felsrand hängend. Und unten bei den Stegen lagen halb versunkene Holzkähne neben sorgfältig aufgelandeten Segelbooten unter farbenfrohen Planen. Sie lagen am selben Strand, aber dennoch Tausende von Seemeilen von ihren jeweiligen Wirklichkeiten entfernt.

Wäre man im Mai an Saltö vorbeigesegelt, hätte man sehen können, dass um diese Jahreszeit nur einige wenige Häuser auf dieser Insel bewohnt waren. Trübes Licht wäre durch die Fenster gefallen, einige Rauchsäulen wären gen Himmel aufgestiegen, ansonsten hätte alles dunkel und verlassen gewirkt. Und wäre man durch die Luft gekommen, so hätte der Horizont sich verkrümmt. Ein heller Streifen, die Widerspiegelung der Lichter einer fernen Großstadt, wäre die einzige Lichtquelle gewesen. Noch weiter oben hätte man den ganzen Schärengürtel gesehen, diesen weitläufigen Archipel, in dem Saltö nur eine Scherbe war, wie eine Welt in tausend Stücken ...

Aber Dr. Johan Steen näherte sich Saltö mit dem Auto. Er fuhr einen eingestaubten und schwer bepackten Landrover. Auf dem Dach, unter einer Plane, lagen Koffer, für die im überfüllten Wageninneren kein Platz mehr gewesen war. Ein Aufkleber an der Hecktür teilte mit, dass der Besitzer des Autos den Ärzten ohne Grenzen angehörte – den Médécins sans frontières.

Johan Steen war ein Mann von noch nicht ganz mittlerem Alter mit fast jungenhaftem, sonnengebräuntem Aussehen, wie es typisch ist für Jungen, die aus den Sommerferien in die Stadt zurückkehren, wo die sommerliche Gesichtsfarbe alsbald verschwindet. Ein bisschen sportlich, in gewisser Weise weltoffen, mit gesprungenen Lippen und Sommersprossen um die Nasenwurzel. Er war nicht allein im Wagen. Neben ihm saß seine Tochter Wilma, ein weizenblondes Mädchen mit einem Pony, der ihr in die Augen fiel und den sie ebenso ausdauernd wie erfolglos aus dem Gesicht zu blasen versuchte. Sie hatte kluge Augen. Meeresblau gemischt mit einer Prise Trotz.

Wilma schaute aus dem Seitenfenster, kniff die Augen zusammen. In ihrem Magen rumorte es. Das sagte sie ihrem Vater aber nicht, der die ganze Zeit den Blick auf die Straße gerichtet hielt und das Lenkrad mit festem Griff umklammerte. Wilma hatte auch nicht vor, etwas über ihren Großvater zu sagen. Als Tochter einer Ärztin und eines Arztes und mit einem Großvater, der ebenfalls Arzt war, war sie zur Expertin geworden, wenn es darum ging, ihr Unwohlsein zu verbergen. Expertin in der Kunst, mich um mich selbst zu kümmern, dachte Wilma. Und genau das machte ihr Sorgen und schlug ihr jetzt auf den Magen. Sie wusste, dass sie sich mehr oder weniger selbst erzogen hatte. Überall hatte sie ein wenig Erziehung und Manieren aufgeschnappt. Aber würde das reichen?

Als Johan Steen sich dem Fähranleger näherte, sah er, wie viel sich seit seinem letzten Besuch hier verändert hatte. Die Straße war jetzt breiter, ein Stück der ländlichen Idylle hatte moderneren Häusern weichen müssen, und die Tankstelle hatte sich einen Videoverleih und einen Imbiss zugelegt. Der Zahn der Zeit, dachte er und schaute zu Wilma hinüber.

Sie war mehr Afrikanerin als Schwedin. Trotz ihrer blonden Haare und der blauen Augen. Jetzt blickte sie aus dem Fenster und sog alles in sich auf, was draußen vorüberflog. Alles schien sie zu interessieren. Die Obstgärten mit ihren Lauben, die wenig beleuchteten, verglasten Veranden, ja sogar die Fahnenstangen kamen ihr offenbar exotisch vor.

Sie war zwar auf Saltö geboren, aber in einem Feldlazarett in Somalia aufgewachsen, und das war alles andere als eine Idylle gewesen. Johan fragte sich, wie es ihr gelingen sollte, sich auf die schwedische Wirklichkeit umzustellen.

Die Schule in Somalia hatte keinen festen Lehrplan verfolgt, wie das in Schweden üblich war, und wenn er und Wilma zu Noteinsätzen in andere Landesteile mussten, hatte Wilma eben auf eigene Faust gelernt. Irgendwie war das gegangen, aber wie sollte sie sich in eine neue Klasse einfügen, in der die anderen Schüler ihre Cliquen und Gewohnheiten hatten? Er wagte kaum, darüber nachzudenken.

»Bist du nervös?«, fragte Wilma, als sie den Hang zum Anleger hinunterfuhren, und Johan wurde aus seinen Gedanken gerissen.

»Nein. Warum sollte ich?« Er schaute sie fragend an.

»Wegen Opa, natürlich«, antwortete sie leicht irritiert. »Der wird sich jedenfalls nicht freuen, das ist doch klar.«

Nein, dachte Johan. Bald wird der alte Dr. Axel Holtman auf Saltö den Schock seines Lebens erleiden. In ungefähr einer Viertelstunde wird der alte Fuchs feststellen müssen, wie sauer die Trauben sind, die seine Tochter Eva für ihn gepflückt hat. Er dachte das nicht boshaft, so ein Mensch war Dr. Johan Steen nicht. Aber er konnte nicht leugnen, dass er auf Axels Reaktion gespannt war.

Dr. Axel Holtman stand in dem alten Haus, in dem seine Praxis lag, und schaute aus dem Fenster der Veranda. Er war ein hoch gewachsener Mann, der ein robustes Tweedjackett und grobe Laufschuhe trug. Über seiner Oberlippe prangte ein gepflegter Schnurrbart, und die nussbraune Farbe seiner Augen konnte sich in Schwarz verwandeln, wenn seine Laune entsprechend war. Er war über vierzig Jahre lang als Schärendoktor tätig gewesen. Vierzig lange und zwischendurch auch sehr kurze Jahre. Das längste Jahr war das gewesen, in dem seine Frau Elly gestorben war und ihn mit der kleinen Eva allein zurückgelassen hatte. Das kürzeste dagegen das, in dem Eva nach ihrem Examen bei ihm auf Saltö gearbeitet hatte. Das war verflogen wie ein Tag.

Er rief sich ihre gemeinsamen Bootsfahrten zu den Inseln ins Gedächtnis zurück. Das abendliche Bad auf dem Badefelsen, das zu einer Art Brauch geworden war, und ihr perlendes Lachen, wenn er ihr mit einem Kissen vorgeführt hatte, wie man Slowfox tanzt. Evas Lachen erinnerte ihn an Ellys. Ja, dieses Jahr war entsetzlich kurz gewesen, denn am Ende war sie mit Johan Steen verschwunden.

Dr. Johan Steen. Axels Augen verdunkelten sich ein wenig, als er an den Mann dachte, der auf die Insel gekommen war und ihm die Tochter genommen hatte. Und bald darauf waren die beiden nach Afrika und in die diversen Krisengebiete weitergezogen. Die Besuche auf Saltö waren immer seltener geworden. Der letzte war vier Jahre her. Ärzte ohne Grenzen hieß die Organisation, der Eva und Johan angehörten und die Ärzte in unzählige Länder schickte, um zur Gestaltung einer besseren Welt beizutragen. Axel schüttelte den Kopf und murmelte vor sich hin. Eine bessere Welt? Konnte man dazu nicht besser am eigenen Heimatort beitragen? Wenn das alle täten, dann würden viele Probleme verschwinden.

Er seufzte tief und musterte den gedeckten Tisch. Gewürzhering und Senfhering, Matjes und Sahnehering und Schnittlauch standen bereit. Dazu Graubrot und Butter und ein dickes Stück Västerbottenkäse. Ein halber Räucheraal von Jonassons. Und nicht zu vergessen der wunderbar frische Hecht, den Sören Rapp morgens gefangen hatte. An einer seiner Fangstellen, zu denen niemand ihn begleiten durfte und die so geheim waren, dass Sören behauptete, sich auch nur dann an sie erinnern zu können, wenn richtig feiner Besuch zu bewirten war. Ja, wie konnte Eva auf solche Freuden verzichten, um irgendwo Reis und Wurzeln zu verzehren, wo es kein Meer gab, so weit das Auge reichte?

»Wo ist der Schnaps?«

Axel wurde aus seinen Gedanken gerissen und drehte sich zu Schwester Berit um, die diese Frage gestellt hatte. »Im Keller«, antwortete er zerstreut.

Berit wandte sich an ihren Bruder, Sören Rapp, der neben dem gedeckten Tisch stand, und bat ihn, den Schnaps zu holen. Da steht der letzte Schärenkerl, dachte sie. Der letzte Mohikaner.

Sören war Mitte vierzig und einige Jahre jünger als Berit, Axels Krankenschwester. Er hatte ein zerfurchtes Gesicht, aber seine Augen waren jung. Sie strahlten Humor und Trotz aus. Er war in allen Jahreszeiten gleich gekleidet. Baumwollhemd, Jeans, Windjacke, und auf dem Kopf eine fadenscheinige alte Schiffermütze. Er hatte einen sehnigen Körper, und seine Hände waren von kleinen Wunden und Schwielen bedeckt, da er die ganze Zeit in kaltem Wasser seine Netze einholte. Er war niemandes Hund, sondern lief ohne Leine von Ort zu Ort.

»Und bring auch ein paar Bier mit, Sören«, sagte Berit und rückte zum soundsovielten Mal die Blumenvase mit den frisch gepflückten Buschwindröschen auf dem Tisch zurecht.

Auch Schwester Berit war ein wenig nervös, ganz im Gegensatz zu sonst. Der Grund ihrer Nervosität war, dass Axel Holtmans Tochter Eva mit Mann und Kind aus Afrika zurückkam, um die Praxis zu übernehmen. Der alte Doktor wollte in den Ruhestand treten, und nach langem Zureden hatten Eva und Johan sich zur Heimkehr entschlossen. Vor allem ihrer Tochter zuliebe. Johan und Eva wollten sie jetzt in eine schwedische Schule schicken. Außerdem war sie an Ruhr erkrankt gewesen, lebensgefährlich sogar. Und das musste für ein so junges Leben an Strapazen doch reichen.

Vollständig unbegreiflich, wie Eltern, die beide Ärzte waren, übersehen konnten, dass ihr Kind an einer der verbreitetsten und schlimmsten Krankheiten litt, die dort unten vorkamen, durchfuhr es Berit. Wut stieg in ihr auf. Nein. Empörung. Schwester Berit nahm ihre Diagnosen genau, auch wenn es um Gefühle ging. Unter einem ziemlich züchtigen Äußeren verbarg sie ein ziemlich heftiges Temperament. Aber fast immer gelang es ihr, ihre Gefühle im Zaum zu halten.

Um ihre Stelle machte Schwester Berit sich keine Sorgen. Sie würde bleiben, wie ihr versprochen worden war, obwohl Axel Holtman protestiert und behauptet hatte, sie wären dann zu viele in der Praxis. Hier sei keine Krankenschwester mehr nötig, meinte Axel. Zwei Ärzte waren vollauf genug, und bei Bedarf könne er, Axel, ja einspringen. Aber Johan und Eva hatten sich durchgesetzt, und Berit konnte bleiben, diese Sorge war also von ihr genommen.

Aber dennoch würde etwas Neues nach Saltö kommen, und sie war nicht sicher, ob es etwas Gutes sein würde. Außerdem konnte sie sich kaum vorstellen, dass Axel Holtman seine alte Praxis so einfach aufgeben würde.

Wenn Axel sich nur nicht zu sehr einmischt, dachte Johan, als er auf die Fähre fuhr. Axel war ein Starrkopf, das lag in der Familie. Aber wenn er nur die Finger von meinen Patienten lässt, dann wird alles gut gehen, redete Johan sich ein und sah hinüber zu Wilma, die noch immer schweigend und nachdenklich neben ihm saß.

»Hast du das Geschenk für Opa eingepackt?«

Wilma nickte. Sie hatte eine kleine Holzfigur mitgebracht, die sie im Werkunterricht angefertigt hatte. Es war eine elegante Gazelle, die niemals so gut gelungen wäre, wenn ihr M'obe nicht geholfen hätte, ihr siebzig Jahre alter Freund und Vertrauter. Halb Medizinmann, halb Faktotum im Lazarett in Somalia.

Die gelbe Fähre legte ab und hielt langsam auf das andere Ufer zu. Kapitän Sandberg stand im Steuerhaus und schaute über sein Reich. Johan und Wilma stiegen aus dem Auto und gingen an die Reling. Das Wasser zwischen dem Festland und Saltö war dunkel und glatt wie Blech. Johan saugte die frische, salzige Meeresluft ein, die er seit Jahren nicht mehr geatmet hatte. Erst jetzt ging ihm auf, wie sehr sie ihm gefehlt hatte. In Afrika waren die Abende erfüllt gewesen von einer schweren Süße, nicht direkt unangenehm, aber auf irgendeine Weise stickig. Jetzt genoss er es, in der Abendluft nur das Tuckern des Motors und das Schwappen der Wellen gegen den Schiffsrumpf zu hören. In Somalia hatte es Hunderte von Geräuschen gegeben – Tiere und Insekten hatten das Gesetz der Nacht und der Finsternis gesungen. Und auch die Baracke der Missionsstation mit ihrem Moskitonetz und den Feldbetten würde er nicht vermissen. Hier würde er in einem schönen, großen Haus mit breiten Betten aus Birnbaumholz schlafen.

Johan stellte sich die Praxis auf der Schäreninsel vor, wie er sie in Erinnerung hatte. Große, helle Zimmer mit Fenstern zum Wasser hin. Breite, alte Betten mit Leinenlaken und Daunendecken. Abgenutzte Holzböden und in jedem Zimmer ein Kachelofen. Natürlich hatte Axel versprochen, bis zu ihrer Ankunft alles renovieren zu lassen, aber so wie Johan Axel kannte, wollte der gar keine Veränderungen. Ja, am liebsten würde er seine Praxis sicher selbst weiterführen, mit sich am Ruder und Eva als Assistenzärztin. Immer Eva. Für Axel Holtman gab es immer nur Eva.

Und Johan ... ja, Johan könnte sich vielleicht eine Stelle auf dem Festland suchen, dann wäre er ihn los.

Aber so wird es eben nicht kommen, dachte Johan und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Sie waren blond und wurden über den Schläfen ein wenig schütter, aber das gab seinem ansonsten so jungenhaften Gesicht eine gewisse Reife. Dr. Johan Steen war nicht sehr groß, aber trotzdem hatte seine Gestalt etwas Sehniges, Kraftvolles. Etwas Bestimmtes. Seine Hände waren stark. Er trug eine Khakijacke, einen gestrickten Pullover und eine Baumwollhose mit großen Taschen an den Seiten. Er hatte bequeme Freizeitschuhe an, und über seiner Schulter hing eine Leinentasche, gefüllt mit allen nötigen Dingen, wie Pass und Brieftasche, einem Roman von Joseph Conrad, Dörrobst, einer Thermoskanne voll Kaffee und einer Packung Zigarillos Marke Schimmelpfennig. Er rauchte nicht sehr oft, nur hin und wieder gönnte er sich einen Zug. So als wäre das seine Art, ein gewisses Freiheitsbedürfnis zu befriedigen, und als könnte er machen, was er wollte, obwohl er als Arzt von Tabakkonsum ja nur abraten konnte. Vielleicht war es auch eine Art Protest dagegen, dass er immer in exponierter Stellung war. Immer der, an den alle anderen sich anlehnen wollten. Er hatte nichts dagegen, aber ab und zu wollte er seine Verantwortung einfach vergessen, sich einen ordentlichen Whisky einschenken und sich eine Schimmelpfennig anstecken.

»Kommen die denn überhaupt nicht mehr«, fragte Axel schließlich. Während der vergangenen halben Stunde hatte er sich nicht gerührt. Schwester Berit hatte kaum zu atmen gewagt. Er stand auf der Veranda, starr wie ein Schürhaken, die Hände im Rücken verschränkt. Er ist nervöser als ich, dachte sie. Das kommt nicht gerade häufig vor.

Sören hatte den Schnaps geholt. Wenn er nervös war, trank er einen Kurzen oder ein Glas Bier. Er war keiner, der litt. Er sagte, er sei nicht zum Fakir geboren, und bemühe sich deshalb, seine Nerven rechtzeitig zu beruhigen.

»Sie haben vielleicht die Fähre verpasst«, sagte Berit beschwichtigend.

Axel brummte etwas Unverständliches. Warum hatte er einen Stein im Bauch? Als stehe etwas Unangenehmes bevor. Er müsste doch eigentlich überglücklich sein. Er wusste nicht, was, aber etwas stimmte nicht.

Als Johan sah, wie der Anleger auf Saltö sich näherte, legte er Wilma den Arm um die Schultern, und sie gingen zurück zum Auto.

Die Fähre legte an, und Kapitän Sandberg hob die Schranke. Johan fühlte sich plötzlich ein wenig verirrt. Der Anleger war verlegt worden, und eine neue Straße führte ins Inselinnere. Er fuhr zum Kapitän und kurbelte das Fenster herunter.

»Fährt man nach rechts, um zur Schärenpraxis zu kommen?«, fragte er.

Der Kapitän starrte ihn an.

»Sind Sie krank?«

»Nein«, lachte Johan. »Ich bin der neue Schärendoktor.« Kapitän Sandberg musterte ihn misstrauisch. »Ach. Und was fehlt dem Alten so plötzlich?«

Johan kurbelte das Fenster wieder hoch und fuhr an Land. Das fängt ja gut an, dachte er und umklammerte das Lenkrad. Das fängt ja verdammt gut an.

Er fuhr den Hang hoch, vorbei am Laden und am Fischverkauf von Martin und Sally. Im Dorf gab es die gleichen alten Häuser und Läden, und langsam erkannte Johan alles wieder. Nur das erste Stück hinter dem Anleger hatte sich verändert, sonst schien auf Saltö die Zeit stillzustehen. Sie fuhren vorbei an einem roten Steinhaus mit weißen Ecken, das ganz dicht am Wasser lag.

»Das ist die Schule«, sagte Johan und zeigte auf das Gebäude.

Wilma blickte zur Schule mit ihren Nebengebäuden hinüber. Einige Türen mit grün angestrichenen Holzjalousien erregten ihr Interesse.

»Was ist denn das?«, fragte sie.

»Toiletten«, sagte Johan und fuhr langsamer.

Wilma ließ ihn nicht aus den Augen.

»Du machst Witze«, sagte sie.

»Vielleicht sind es jetzt Vorratskammern, aber als Mama hier zur Schule ging, waren das Plumpsklos. Im Winter war das nicht besonders angenehm, wie du dir sicher vorstellen kannst.«

Wilma nickte nachdenklich.

»Und der Hausmeister, Albertsson hieß er, wenn ich mich recht entsinne, überprüfte, wer zu oft aufs Klo ging. Er hatte die Theorie, dass jemand, der zu oft aufs Klo ging, Magenprobleme hatte, und Magenprobleme wiesen auf Nervosität hin, und nervös war man nicht ohne Grund, und diesen Grund herauszufinden, hielt er für seine Aufgabe. Als Arzt kann ich nur sagen, dass er mit dieser Theorie nicht ganz Unrecht hatte.«

Wilma nickte vage. Sie hatte auf der ganzen Fahrt durch Europa und dann durch Schweden Magenschmerzen gehabt, und sie wusste, dass das nicht vom Essen kam.

»Glaubst du, die Leute aus meiner Klasse machen das auch? Dass sie spionieren und sich überall einmischen? Du weißt doch, dass ich es hasse, wenn Leute sich einmischen und mir sagen, wie ich sein soll.«

Johan wusste es aus Erfahrung, und er fragte sich insgeheim, wie es jetzt werden sollte, wo Eva ... Er verdrängte den Gedanken und fuhr zum Strandweg hinunter.

Und dann plötzlich, hinter einer langen Kurve, tauchte die Praxis auf. Johan nahm den Fuß vom Gas. Er sah Wilma an und deutete mit einer Kopfbewegung zu dem Haus hinüber.

»Erkennst du es jetzt?«

Wilma folgte seinem Blick. Sie sah ein hohes Holzhaus mit verwittertem Schnitzwerk. Reste der sonnengelben Farbe waren zu erkennen, die einst das Haus geziert hatte, aber der starke Seewind hatte das meiste davon weggefressen. Das Holz war jetzt gelbgrau und nackt. Im Garten, der das Haus umgab, hatte der Wind einen der alten Apfelbäume umgeworfen. An einem anderen Baum hing eine alte Schaukel, die im Wind hin und her schlug. Das Schild über der großen Eingangstür schrie geradezu nach Reparatur. »SCHÄR AXI«, stand dort in verblassten Buchstaben.

Ach, so sieht sie also aus, die frisch renovierte Praxis, dachte Johan, typisch Axel. Zugleich fiel ihm ein, dass das Haus je nach Tageszeit seine Farbe änderte. Morgens wirkte es fast indigoblau, um dann gegen Mittag einen Ockerton anzunehmen, der an ein Gebäude aus der Renaissance erinnerte, nachmittags war es graugelb, und abends und vor allem an Sommerabenden nahm es einen löwenhellen Farbton an und spiegelte sich majestätisch im dunkelblauen Meer.

Axel Holtman an seinem Aussichtsposten am Fenster fuhr zusammen.

»Still! Da sind sie, oder? Sören? Du hast doch Indianeraugen?«

Sören nickte. »Ich höre ein schwer beladenes Auto voller Afrikaner, großer Häuptling«, sagte er und verzog den Mund.

Schwester Berit bedachte ihn mit einem zornigen Blick. Wenn der alte Doktor so aufgeregt war, waren Späße nicht angesagt. Der alte Doktor, dachte sie. Komischer Ausdruck, aber so werden die Leute auf der Insel ihn von jetzt ab nennen.

»Kann ich nicht zum alten Doktor gehen?« Zu dem, an den sie gewöhnt waren. Auf den sie sich verließen. Berit schüttelte den Kopf und hörte, wie eine Autotür ins Schloss fiel. Sie sah Axel Holtman an, der mit weißem Gesicht seine Fliege zurechtrückte.

Johan und Wilma betraten die Veranda, auf der Axel Holtman, Schwester Berit und Sören Rapp das Empfangskomitee bildeten.

»Ihr seid aber spät dran«, sagte Axel.

»Hattet ihr eine gute Reise?«, schaltete Schwester Berit sich ein. »Ihr müsst doch müde sein.«

»Und durstig«, sagte Sören Rapp grinsend und öffnete eine Bierflasche, um sie dann Johan zu reichen.

»Danke«, sagte Johan, und sein Blick glitt an den drei anderen vorbei. Dann blieb er an Wilma hängen, die diesen Blick ein wenig ängstlich erwiderte.

»Was bist du groß geworden, Wilma«, sagte Berit. »Eine richtige Dame.«

Erst jetzt wurde Axel klar, dass etwas nicht stimmte. Etwas stimmte hier überhaupt nicht, und der Stein in seinem Bauch machte sich wieder bemerkbar. »Sitzt Eva noch im Auto?«

Johan und Wilma tauschten einen raschen Blick.

Johan räusperte sich leise. »Eva kommt nicht«, sagte er tonlos. »Nach reiflicher Überlegung hat sie beschlossen, dort zu bleiben.«

Zuerst wirkte Axel wie vom Blitz getroffen. Dann erhellte sich sein Gesicht. »Sie sitzt noch im Auto, was?«

Lachend lief er aus dem Haus. Dass sie ihrem alten Vater aber auch immer solche Streiche spielen muss, dachte er und ging zum Landrover hinunter. Typisch Eva. Mir einen solchen Schrecken einzujagen. Er ging zu dem verstaubten Auto, öffnete die Tür und streckte den Kopf hinein. Aber keine Eva saß dort und lächelte ihn an, wie nur sie das konnte. Mit diesem strahlenden, schönen Lächeln, bei dem sein Herz jedes Mal einige Schläge aussetzte.

»Hör mal, Eva. Das ist jetzt nicht mehr witzig!«

Aber es kam keine Antwort. Und weit und breit keine Eva. Jetzt, und erst jetzt, ging ihm auf, wenn auch erst allmählich, dass Eva wirklich nicht mit nach Hause gekommen war. Und er, Dr. Axel Holtman, der eben noch ausgesehen hatte wie ein Feldherr, der über ein großes Heer gebietet, schien plötzlich zu einem Greis zu schrumpfen, der eine überaus bittere Arznei schlucken muss und nicht weiß, wie er die Tränen zurückhalten soll, dieser große, starke Mann. Er, der sich sonst als König über Meer und Schäreninseln empfand, als Freund der Menschen und manchmal auch der Tiere, sank jetzt in sich zusammen und fuhr sich verzweifelt mit der Hand über den Kopf. Und zum ersten Mal in seinem Leben kam er sich sehr alt und müde vor. Und überaus einsam und verwirrt.

Und so ist es wohl, wenn Träume zerbrechen und die Wirklichkeit in unsere innersten Nischen einbricht und sich dort breit macht. Axel Holtman schaute auf das dunkle Meer hinaus und seufzte. Wie konnte jemand auf das hier verzichten? Er begriff es nicht. Und dabei hatte er doch immer geglaubt, seine Tochter zu verstehen. So zu denken und zu empfinden wie sie. Er schaute ein letztes Mal das Auto an, als sei alles ein böser Traum, dann ging er mit schweren Schritten zurück zur Schärenpraxis.

Alle saßen am Tisch, als Axel zurückkam. Der Ehrenplatz, Evas Platz, war leer, und Axel ließ sich müde auf seinen Stuhl fallen. Er drehte das Glas an Evas Platz um.

»Es tut mir leid, Axel«, sagte Johan und sah seinen Schwiegervater mitleidig an. »Eva hat sich die Sache reiflich überlegt und dann beschlossen, nach Ruanda zu gehen, statt nach Hause zu kommen. Den Rest erklärt sie selbst, hoffe ich. Hier, diesen Brief hat sie mir mitgegeben.«

Johan zog einen Umschlag hervor und reichte ihn Axel, der ihn drehte und wendete, ehe er ihn auf den Tisch legte.

»Und immer in letzter Minute«, sagte Axel. »Sie hat sich die Sache in letzter Minute anders überlegt, was?«

»Nein, das hat sie nicht«, sagte Wilma, was ihr einen scharfen Blick von Johan eintrug. »Sie hat gesagt, dass Menschen, die wirklich leiden, wichtiger sind als verkaterte Sommergäste oder jemand mit einem Wobbler im Fuß. Was ist eigentlich ein Wobbler?«

Johan blickte die anderen an, wie um Entschuldigung zu bitten.

»Ganz so hat sie das vielleicht nicht ausgedrückt«, sagte er.

»Das reicht«, sagte Axel. »Schon verstanden.« Er holte tief Atem und starrte Johan an. »Also, Johan, dann wirst du ja wohl der neue Schärendoktor ...«

Johan nickte. Schwester Berit machte ein feierliches Gesicht, und Sören Rapp, der rasch zwei Schnäpse gepichelt hatte, griff zur Flasche und schenkte sich einen dritten ein.

»Darauf sollten wir doch anstoßen«, sagte er und hob das Glas. Er prostete Johan zu, und der hob seins und nickte. Wir beide werden uns schon verstehen, dachte er. Aber wie es mit Schwester Berit und dem alten Doktor werden soll, das steht in den Sternen.

Wilma merkte plötzlich, dass sie allein sein wollte. »Ich bin müde«, sagte sie. »Ich bin wirklich hundemüde.«

Johan lächelte. Hundemüde, hundekrank, hundelieb – solche Wörter hatte Wilma als kleines Kind benutzt. Wilma wusste, dass gerade diese Wörter Johan in seinem Vaterherzen trafen. Und er wusste, dass sie das wusste. Es waren Wörter, mit denen sie Papa um den Finger wickeln konnte.

»Dann geh doch schlafen«, sagte Johan und nickte. »Soll ich dich zudecken?«

»Ich habe die Betten bezogen«, sagte Schwester Berit. »Mit Evas Bettwäsche.«

Jetzt geht das wieder los, dachte Johan. Immer geht es um Eva. Eva hier und Eva dort.

Wilma gab ihrem Vater einen Gutenachtkuss. Einen kurzen, aber innigen. Es gab nicht nur unterschiedliche Arten von Wörtern, deren tieferer Sinn ein Geheimnis zwischen Wilma und ihrem Papa war. Auch Küsse konnten sprechen. Opa Axel bekam einen ausgedehnten Kuss und dazu ihr Geschenk, die Gazelle aus dem Werkunterricht, ehe Wilma das Zimmer verließ. Johan nickte kurz vor sich hin. Die kleine Wilma, dachte er, immer die Trösterin der Betrübten.

Axel lächelte glücklich und betastete das Holz. Er räusperte sich leise. »Sie hat große Ähnlichkeit mit Eva.«

Johan blickte seinen Schwiegervater an. »Eva meint, dass sie dir ähnelt«, sagte er.

»Hat sie das wirklich gesagt?«

Axel hob die Augenbrauen. Er sah ein wenig fröhlicher aus. Nicht mehr ganz so betrübt. Plötzlich stand er auf. Der Stuhl kippte hinter ihm um. Axel fing seinen Stock auf, ehe auch der zu Boden fiel. Mit zwei energischen Stößen auf den Bretterboden und dem demonstrativ schnellen Gang eines alten Mannes ging er zu den Verandafenstern. Mit dem Stockgriff tippte er eine Pelargonie an. Er schien zu wissen, dass aller Augen an seinem Rücken hafteten, und drehte sich wieder zum Raum um. Hob den Stock ein wenig hoch.

»Der ist nur dazu da, um Eindruck zu schinden. Ich dachte, er könnte meinem Rentnerdasein eine gewisse Würde verleihen. Wenn meine Tochter die Praxis übernimmt. Aber so ist es ja nicht gekommen.«

Axel hängte den Stock an die Fensterbank. Johan erschien das als böses Omen. Mit festem Schritt und ohne Stock kam Axel zum Tisch zurück, setzte sich und nickte Sören zu.

»Auf einem Bein kann man nicht stehen.«

Sören schenkte ein.

Wilma lag in ihrem Bett. Die Laken fühlten sich kühl an, und ein schwacher Duft von ihrer Mama hing noch darin. Ein Duft, der auf irgendeine Weise in diesem Zimmer weiterlebte, das ihre Mama als kleines Mädchen bewohnt hatte. Mama riecht gut, dachte Wilma. Der Schlaf war jetzt nahe. Die Reise hatte ihren Körper erschöpft. Ihr Kopf war ein wenig wirr von den vielen Eindrücken. In Frankfurt hatte es eine Bombenwarnung gegeben, und Papa hatte gescherzt, dass es dort immer Bombenwarnungen gebe. Alle Fluggäste hatten die Maschine verlassen und ihr Gepäck identifizieren müssen. Sobald alle Koffer identifiziert waren, dürften sie losfliegen. Wilmas kleine Schultertasche, ein Stoffaffe mit Riemen, sah so einsam aus, wie sie da oben auf dem Taschenberg lag. Wilma hätte sie gern bis zum Schluss dort liegen lassen, nur um zu sehen, was dann passieren würde. Ein Blick von Papa brachte sie von diesem Plan ab. Und wie zu erwarten, wurde keine Bombe gefunden. Irgendjemand musste es lustig gefunden haben, am Flughafen anzurufen und Drohungen auszusprechen. Spitze. Wirklich super, das war Wilmas letzter Gedanke, ehe sie einschlief. Als Letztes hörte sie noch Schritte auf der Treppe, als alle anderen ebenfalls schlafen gingen. Schwester Berits rasche Schritte. Sörens Schritte, die sich anhörten, als ginge er nicht im richtigen Takt. Und Opas schwere Schritte.

Axel Holtman war in ein unmittelbar unterhalb der Praxis gelegenes kleineres Haus umgezogen. Es war ein älteres Haus, eins, das aus irgendwelchen Gründen immer dort gestanden hatte, und Axel hatte oft darauf gezeigt und gesagt: »Da werde ich wohnen, wenn ich alt bin.«

Aber niemand hatte geglaubt, dass dieser Tag irgendwann kommen würde. Der Tag, an dem Axel Holtman wirklich beschloss, nunmehr alt zu sein, und an dem er außerdem sein Altenteil instand setzen lassen würde. So nannte Axel das Haus, das weder groß noch klein war.

»Der Altenteiler«, murmelte er jetzt vor sich hin, während er sich einen ordentlichen Kognak einschenkte, den er sich nur in der richtigen Stimmung gönnte. Und dann Schubert, Schubert gehörte auch dazu. Eine Schallplattenaufnahme mit philosophischen Kratzern im Vinyl. Axel leerte das Glas auf einen Zug. Jetzt war er in der Stimmung.

Er zog den Brief hervor. Den Brief von Eva, der in seiner Tasche brannte, seit Johan ihn ihm überreicht hatte. Es war wichtig, wichtige Post auf die richtige Weise zu öffnen. Nach all den Jahren als Arzt wusste Axel das. Die bösen Mitteilungen, die man den Kranken so schonend wie möglich beibringen musste und die immer erst seinen Schreibtisch passierten. Ja, stets hatte er es als Erster erfahren und als Erster bedauern müssen. Den Tag, an dem es ihn nicht mehr berührte, dass einer seiner Patienten von einer schweren Krankheit getroffen worden war, einem tödlichen Schlag gegen das Leben, diesen Tag hatte er glücklicherweise noch nicht erleben müssen. Dieser Tag war etwas, das jeder Arzt fürchtete. Kalt zu werden. Aber man darf sich auch nicht zu sehr engagieren, dachte Axel, als er mit dem Brieföffner in der rechten Hand und geübtem Griff Evas Brief öffnete. Er schlitzte den Umschlag der ganzen Länge nach auf. Wie eine Beule, dachte er.

Sören und Berit Rapp gingen unbewusst im selben Tempo, als sie am späten Abend nach Hause unterwegs waren. Die große Schwester Berit bestimmte die Schnelligkeit, und Sören, der schon als kleiner Junge daran gewöhnt gewesen war, hinter ihr herzutrotten, passte sich ihren Schritten unwillkürlich an. Wenn er allein war, ging er unregelmäßig, wie ein Motor mit verrußter Zündkerze. Schwester Berit dagegen schritt aus. Jetzt war sie verhältnismäßig langsam. Sören blieb stehen und sah seine Schwester an. Sie blieb ebenfalls stehen, wie immer, wenn ihr kleiner Bruder herumtrödelte.

»Mach dir keine Sorgen, Bejjan«, sagte Sören. »Das Leben geht, wie ein kluger Philosoph gesagt hat, trotzdem weiter.«

Berit musterte ihn misstrauisch. Sie wusste nie so recht, ob Sören ernst war, oder ob er, was Gott verhüten sollte, sich über sie lustig machte.

»Ich mache mir überhaupt keine Sorgen«, fuhr sie ihn an. »Um gar nichts. Nur, damit du das weißt. Und gnade dir, wenn du mich in Anwesenheit von Johan Steen jemals Bejjan nennst.«

Sie hatten Sörens Behausung erreicht. Es war weder ein Haus noch ein Steg. Es war eine ganz eigene Kombination von Bootshaus, Fischerkate, Wohnhütte – allem, was Sören brauchte. Eine Werkstatt. Ein Bett. Kochplatte. Von jedem etwas. Wenn es zu kalt oder zu windig wurde, konnte er sich immer noch irgendwo einquartieren. Aber nie bei Bejjan. Genauer gesagt, bei Schwester Berit.

»Wie kannst du hier wohnen?«, fragte Schwester Berit, wie immer, wenn sie sich bei Sörens Bootshaus trennten.

Und er antwortete, aus demselben gut trainierten Reflex heraus: »Was soll ein armer Fischerjunge denn machen?«

Schwester Berit zuckte mit den Schultern, schüttelte ein wenig den Kopf und lief auf dem Weg weiter. So, dass nur sie selbst es hören konnte, knurrte sie: »Junge, ja. Junge ist das richtige Wort.«

Axel Holtman schwenkte noch immer den Brieföffner in der Hand. Er fuhr mit dem Daumen über den Schaft aus Oryxhorn. Der Brieföffner stammte von der Missionsstation in der Serengeti. Oryxhorn. Axel hatte die Hand eines kleinen Jungen gerettet. Er konnte sich noch immer an die fragenden Augen des Jungen erinnern. Einige Jahre danach stand der Junge vor ihm, mit einem Oryxhorn in der Hand. In der jetzt gesunden Hand. Axel hatte das Geschenk schweigend entgegengenommen. Ab und zu fragt man sich, was bleibt, dachte er. Wenn es vorüber ist. Oder unmittelbar zuvor, wenn man zusammenpackt und sich auf den Weg macht. Ein kleiner Junge in der Serengeti, vielleicht? Eva war mit ihm dort unten gewesen, und dadurch war wohl ihr Interesse geweckt worden. Er selbst hatte sich eigentlich nicht wohl gefühlt. Er war auch nicht lange geblieben. Eine Zeit, geprägt von Durchfall und Chinintabletten. Ihn schauderte bei dem Gedanken. Der hoch gewachsene Axel Holtman war für solche Strapazen nicht geschaffen. Der kleinen Eva hatte nichts etwas anhaben können. Sie fühlte sich wohl und war stocksauer gewesen, als sie nach Schweden zurückgefahren waren. In die Schulter hatte sie ihn gebissen, als er sie zum Zug getragen hatte. Als er aufschrie, biss sie nur noch fester zu. Zitternd las er jetzt ihren Brief.

Lieber Papa!Jetzt sitzt Du sicher mit Deinem Kognak und Deiner klassischen Musik da und versuchst zu verstehen, was passiert ist, aber Du kannst die Grübeleien einstellen, denn die Sache ist sehr einfach. Gerade als wir uns bereitgemacht hatten, um Somalia zu verlassen und nach Saltö zurückzukehren, brach in Ruanda der Krieg aus. Es ist ein schrecklicher, grausamer Krieg zwischen zwei Bevölkerungsgruppen, Hutu und Tutsi, und die Situation ist katastrophal. Hier unten ist ein Völkermord im Gang, und da verstehst Du sicher, dass jegliche ärztliche Hilfe von ungeheurer Wichtigkeit ist. Aber ich wollte nicht, dass Wilma hier bleibt, es ist einfach zu gefährlich, und ihr Schulbesuch würde dann noch sporadischer stattfinden als bisher, deshalb haben wir beschlossen, dass ich hier bleibe, während Johan mit Wilma nach Hause fährt. Es war keine leichte Entscheidung, aber ich fühle mich verpflichtet, noch einige Monate hier zu arbeiten. Dann komme ich nach. Das kann ich fast versprechen. Ich weiß, dass Du Dich gut um Wilma kümmern wirst, aber ich bitte Dich, versuche auch, Dich mit Johan zu einigen. Ich weiß, dass Ihr euch nie besonders gut verstanden habt, aber bitte, versuch es wenigstens. Du fehlst mir sehr, und ich schreibe bald wieder.Sei herzlich gegrüßt vonEva.

Auf dem Plattenspieler drehte sich Schuberts »Winterreise«.

Axel erhob sich, reckte den Rücken und beschloss, schlafen zu gehen. Er griff sich an die Schulter, wo Eva einst ihre Zähne in sein Fleisch gebohrt hatte. Er rieb über die Narbe. Ich fehle ihr, dachte er. Sie schreibt, dass ich ihr sehr fehle.

Schwester Berit versuchte ebenfalls, vor dem Einschlafen ihre Eindrücke zusammenzufassen. Sie war sachlich, als sie mit sich ins Gebet ging. Tja, nun würde es nicht so kommen, wie sie sich das vorgestellt hatten. Jetzt würde sie für Johan arbeiten, nicht für Eva. Na gut. Es würde schon gehen. Es war doch schließlich nur Arbeit. Wer kann verlangen, alles so zu bekommen, wie man will? Wie man es sich wünscht? Alles kommt, wie es kommt, dachte Berit, denn das war ein beruhigender Gedanke, einer, der sich immer bewahrheitete. Es kommt, wie es kommt. Das ist die reine Wahrheit.

Schwester Berit schlief gut in dem kleinen, hellgelben Schärenhaus, das sie von ihren Eltern geerbt hatte. Sören hatte das Bootshaus gewollt, es hatte also keine Erbstreitigkeiten gegeben. Auch da war es gekommen, wie es gekommen war.

Und dann wurde es Nacht im Schärenmeer. In der Ferne war das dumpfe Tuckern einer großen Fähre zu hören. In der Dunkelheit klang es wie der Schlag eines fernen Herzens, und auf den noch winterkalten Felsen riefen die Seevögel wie Seelen, die ihre Verwandten suchen. Johan war gerade ins Bett geschlüpft, als Wilma in sein Zimmer stapfte. Sie war barfuß, trug einen dicken Pullover und sah ein wenig beschämt aus.

»Ich konnte nicht schlafen.«

Johan machte eine einladende Handbewegung, die ihr zeigte, dass sie neben Papa schlüpfen konnte, und Wilma nahm dieses Angebot bereitwillig an. Rasch kroch sie unter die Decke.

»Wirst du manchmal auch nachts wegmüssen?«

»Vermutlich«, antwortete er. »Aber du fürchtest dich doch nicht vor der Dunkelheit?«

»Das kann ja noch kommen«, sagte sie vage.

Johan schaute seine Tochter an.

»Mir fehlen die Trommeln«, sagte sie. »In Somalia konnte man vor dem Einschlafen doch einfach die Augen zumachen und sich die Trommeln anhören.«

Johan drückte Wilmas Kopf sanft auf das Kissen. Er fuhr ihr über die Augenlider, die sich daraufhin schlossen, und flüsterte: »Hör doch zu. Man kann sie auch hier hören. Hörst du?«

Und in der Ferne konnten sie den Motor der großen Fähre hören, der rhythmisch in der Dunkelheit pochte und sich mit den Rufen der Seevögel vermischte. Johan löschte die Lampe. Wilma lauschte und folgte dem Geräusch und fand, dass es wirklich klang wie Trommeln in der Dunkelheit.

Kapitel 2

Es dauerte eine Woche, bis Johan sich in der Praxis eingerichtet hatte. Axel Holtman und Schwester Berit hatten ihn sorgfältig in alles eingewiesen. Und ihn ermahnt. Es gab Dinge, die er einfach nicht vergessen durfte. Wie, dass die Inselbewohner schrecklich stur und leicht verärgert sein konnten. Sie glaubten, ein exklusives Recht auf Felsen und Meer zu haben, auf Wasser und Buchten, ja, auf alles, was sich im Bezirk des Doktors bewegte. Außerdem waren sie ungeheuer konservativ und lehnten jegliche Veränderung ab. Ein neuer Sommergast wurde als Eindringling betrachtet, der ihnen das Leben sauer machen wollte, obwohl sie doch wussten, dass Sommergäste und Touristen für viele von ihnen eine sehr wichtige Einkommensquelle waren. Aber dieser Widerspruch störte niemanden, sie hielten es für ihr gutes Recht, ihre eigenen Argumente nach Herzenslust auf den Kopf zu stellen. Diese Widersprüche waren auf den Inseln eine Art Allgemeinbesitz. Und dieser Allgemeinbesitz gehörte vor allem ihnen und ganz zuletzt den Fremden. Vor allem, wenn es Ausländer waren.

»Aber sie meinen das nicht böse«, sagte Axel und zeigte auf einen Aktenschrank hinten im Sprechzimmer. »Da sind die Krankenberichte.«

»Sie«, sagte Johan und schaute Axel an. »Du meinst sicher, wir. Du wohnst doch seit über vierzig Jahren hier.«

Axel warf einen vielsagenden Blick zu Schwester Berit hinüber. »Nein, ich bin ein Fremder. Ich bin nicht hier geboren.«

Johan griff nach einem Krankenbericht. Er las einige Zeilen, dann schüttelte er den Kopf. »Wie soll ich das denn lesen können? Deine Handschrift ist die unleserlichste, die ich seit vielen Jahren gesehen habe.«

»Schwester Berit kann dir helfen«, sagte Axel unbekümmert. Er lächelte Berit zu, und die nickte.

»Aber vielleicht möchte ich auch abends darin lesen«, sagte Johan seufzend.

»Nein, das möchtest du nicht«, sagte Wilma. »Abends musst du dich um mich kümmern.«

In Axels Mundwinkel nahm Johan ein leichtes Lächeln wahr. Ach, du Teufel, dachte er. Berit soll dir also berichten, was ich unternehme. Welche Krankenberichte ich heraussuche und welche Patienten hier waren.

»Wir können sie ja nach und nach in den Computer eingeben«, sagte Johan und legte die Berichte zurück. »Einen neuen Anfang machen.« Er schaute sich im Zimmer um. Die Praxis war in gutem Zustand, wenn auch altmodisch. Der metallene Instrumententisch funkelte, und Waschbecken und Spiegel strahlten nur so. Schwester Berit polierte den Raum wie ein Schmuckstück. An der Wand hinter dem Schreibtisch hing ein anatomisches Schaubild des menschlichen Körpers im Querschnitt, an den Wanden standen Schränke, die Medikamente und Instrumente enthielten. Unter dem einen Schrank war ein Bild des Arztbootes befestigt, ein großes, rot-weißes Motorboot, auf dessen beide Seiten das Wort »ARZT« gemalt war.

»Und das da« – Johan zeigte auf du Boot »kann Berit das fahren? Beherrscht sie Navigation und Radar und einen Gyro und diesen ganzen Kramt«

Berit nickte. Ja, das Boot war ihre Verantwortung, da Axel sich nie die Mühe gemacht hatte, das Fahren zu lernen. Er hatte sich zu alt gefunden, um einen Kurs zu machen und das Bootsführerexamen abzulegen. Zu faul wäre sicher ein besseres Wort, dachte Berit, doch freute sie sich darüber, allein die Verantwortung für das Boot zu tragen. Wenngleich Sören sich um die Wartung kümmerte, niemand kannte sich mit Booten so gut aus wie er. Jedenfalls niemand auf Saltö. Aber Saltö war nun einmal die ganze Welt, und deshalb war er Weltmeister in Bootswartung, wenn man ihm glauben wollte. Außerdem bezahlte der Bezirk ihm dafür eine gewisse Summe.

»Um das Boot werde ich mich also nicht weiter kümmern müssen«, sagte Johan.

»Papa wird seekrank«, sagte Wilma und strahlte ihn an. »Er kotzt wie ein Reiher, sowie es Wellen gibt.«

»Ganz so schlimm ist es nicht«, sagte Johan verlegen. »Aber hohen Seegang hab ich nie vertragen können. Es wird schon gehen.«

»Auf der Fähre musste er aus dem Auto aussteigen und frische Luft schnappen«, sagte Wilma unbarmherzig.

»Ja, ja«, sagte Axel streng. »Das sind ja Aussichten – ein seekranker Schärendoktor ...«

»Es wird schon werden, habe ich gesagt«, sagte Johan scharf, und Axel verstummte.

Wilma warf ihrem Vater einen beschämten Blick zu, als habe sie eingesehen, dass sie ihn verraten hatte, und ging dann aus dem Sprechzimmer.

Berit trat von einem Fuß auf den anderen. Der Doktor hat also Krallen, dachte sie. Die kann er sicher brauchen.

Johan sah zuerst Axel an, dann schaute er auf die Uhr.

»Ja, dann weiß ich ja schon sehr viel, und sonst kann ich ja fragen«, sagte er in etwas versöhnlicherem Tonfall. »Bald kommen die ersten Patienten, und da muss ich dich bitten, die Praxis zu verlassen, Axel.«

Axel musterte ihn überrascht. »Ich dachte, ich könnte in den ersten Wochen dabei sein«, sagte er. »Das kann doch nicht schaden.«

Johan zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, Axel, aber das ist jetzt meine Praxis, und du lässt sie freundlicherweise in Ruhe. Ich danke dir für dein Angebot, aber ich muss allein zurechtkommen.«

»So eilig kann es mit der Selbstständigkeit doch nicht sein? Und die Patienten machen sich vielleicht doch Sorgen, wenn ich nicht in der Nähe bin?«

»Du wirst sicher in der Nähe sein, so wie ich dich kenne, Axel. Aber ich will dich hier nicht in der Praxis haben, das würde den Patienten nur die Möglichkeit geben, ein weiteres Urteil zu verlangen.«

»Wie du willst«, sagte Axel steif und erhob sich. Danke, von wegen, dachte er verletzt. Da kommt so ein Grünschnabel und glaubt, die Sache in einer Woche lernen zu können. Er wird schon sehen, dass Axel Holtman weiterhin gebraucht wird, das steht fest. Mit wütenden Schritten verließ er die Praxis und ging zu seinem Haus. Er öffnete die Tür und griff zu Evas Brief. Er setzte sich in seinen guten Sessel und las ihn zum soundsovielten Mal, während er zugleich seine Kommentare über Afrika, Johan Steen und die Undankbarkeit der ganzen Welt vor sich hin knurrte.

»Dann lasse ich die erste Patientin herein«, sagte Schwester Berit und ging hinaus ins Wartezimmer.

Johan saß hinter dem Schreibtisch und wippte mit dem Sessel, um festzustellen, ob er sicher stand. Das tat er nicht, und Johan hielt sich am Schreibtisch fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die Tür wurde geöffnet, und ein kleines Mädchen von vier Jahren kam herein. Mit ihrem Pferdeschwanz und in dem hellblauen Kleid sah sie niedlich aus. Ihr Vater, Kalle Jonsson, in Zimmermannsmontur begleitete sie. Kalle schaute Johan verdutzt an.

»Ist der Doktor krank?«

»Das will ich doch wirklich nicht hoffen«, sagte Johan und brachte den Sessel wieder in eine gerade Position. »Ich fühle mich gar nicht schlecht. Im Gegenteil, sogar richtig wohl.«

»Ich meine den richtigen Doktor, Holtman. Ist der krank geworden?«

»Der hat aufgehört«, sagte Johan kurz. »Was kann ich für Sie tun?«

Kalle war noch immer überrascht. Dass jemand wie Axel Holtman aufhören sollte, kam ihm unglaublich vor. Dann aber riss er sich zusammen. »Es geht um unsere Rebecka. Sie hat sich gestern Abend an einem Kaktus gestochen. Ich glaube, wir haben alle Stacheln erwischt, aber ... äh, wir dachten, Dr. Holtman könnte vielleicht einen Blick darauf werfen.«

Johan wandte sich Rebecka zu, deren neugieriger Blick die ganze Zeit auf ihn gerichtet gewesen war.

»Darf ich mal die Hand sehen?«, fragte er.

Die Kleine starrte ihn weiterhin an, machte aber keine Anstalten, ihm die Hand zu zeigen.

»Ich will sie mir nur ansehen, das wird nicht wehtun. Wenn ich dann etwas machen muss, sage ich dir vorher Bescheid.«

Johan nickte der Kleinen aufmunternd zu, aber sie bewegte sich noch immer nicht, worauf der Vater ihre Hand nahm und sie Johan hinhielt. Der betrachtete sie sorgfältig.

»Mit der Hand ist alles in Ordnung. Alle Stacheln sind entfernt, sie wird nur ein paar Tage ein wenig wehtun. Wie ist das überhaupt passiert?«

»Warum wollen Sie das wissen?«, fragte Kalle ausweichend.

Ein peinliches Schweigen folgte. Rebeckas Blick wanderte zwischen ihrem Vater und dem Arzt hin und her. Sie sah verlegen aus.

»Kinder in dem Alter haben normalerweise gelernt, keine spitzen Gegenstände anzufassen«, sagte Johan so gelassen wie möglich. »Oder Dinge mit Stacheln.«

Mit einem Mal sah Kalle aus, als hätte er sich an dem Kaktus gestochen. »Sie ist doch erst vier«, sagte er mit scharfer Stimme.

Johan schaute noch einmal Rebecka an, und die antwortete mit einem forschenden Blick.

»Ich würde doch gerne eine richtige Untersuchung vornehmen, sobald ich meine eigene Ausrüstung hier habe.«

»Alle Kinder sind ab und zu ungehorsam! Ich bin nicht zu einer Untersuchung hergekommen, mir ging es nur um diese Kleinigkeit.«

»Es wäre aber das Beste für Ihre Tochter«, beharrte Johan.

»Bei Rebecka ist alles in Ordnung! Dass sie sich ein bisschen spät entwickelt, muss nichts zu bedeuten haben, das kommt schon noch, darauf haben wir Dr. Holtmans Wort!«

Kalle sprang auf und starrte Johan wütend an. Rebecka schien der Ausbruch ihres Vaters nichts weiter auszumachen, sie sah nur ein wenig verdutzt aus, als er sie plötzlich packte und aus dem Sprechzimmer zog.

Johan ließ sich im Sessel zurücksinken. Der Sessel wankte bedrohlich. Ein Arzt sollte wie ein guter Bruder sein, dachte er. Das war eine Einstellung, auf die er während seiner Ausbildung gestoßen war. Damals hatten sie diskutiert, welche Rolle der Arzt in der Gesellschaft spielt, im Umgang der Menschen untereinander. In früheren Zeiten war der Medizinmann der erste arbeitsfähige Mann gewesen, der nicht zur Ernährung der Gruppe beitragen musste. Der Erste, der von seinem Wissen lebte. Dem Wissen um das Heilen. Um Genesung. Dem Wissen, wie man jemanden auf dem Weg zum Tod begleitet. Mit dem Tod bekannt zu sein, dachte Johan, das ist noch immer einer der Eckpfeiler der Heilkunst. Was macht denn der Hypochonder, der eingebildete Kranke, anderes, als seine Nähe zum Tod auszukosten, indem er den Arzt aufsucht, der den Tod bereits kennt? Kann er die Symptome erkennen? Was sagt der Arzt?

Die wenigen Stunden während der Ausbildung, in denen solche Fragen diskutiert worden waren, hatten Johan gefallen. Viele seiner Kommilitonen hatten während dieser Stunden etwas anderes zu tun gehabt – ein oder zwei Tassen Kaffee zu trinken, zum Beispiel –, aber Johan hatte sich aktiv an der Diskussion beteiligt, vielleicht nicht zuletzt, weil eine andere interessierte Studentin Eva Holtman gewesen war. Und als die Diskussion sich der Frage näherte, wie es um die familiäre Beziehung zwischen Arzt und Patient steht – dass der Arzt in gewisser Hinsicht mit dem Geliebten vergleichbar ist, dass man sich einem Arzt mit Leib und Seele hingibt, wenngleich auf andere Weise als beispielsweise einem Liebhaber –, hatte Eva sich umgedreht. Hatte sich umgedreht und Johan angesehen. Mehr war nicht nötig gewesen. Er konnte sich jederzeit an diesen Blick erinnern. Aber er tat es nur selten. Er geizte mit dieser Erinnerung, als könnte sie verschlissen werden, wenn er sie zu oft hervorholte. Oder schlimmer noch – als könnte sie sich plötzlich als wirkungslos erweisen. Eine Erinnerung ohne Kraft.

Leidenschaft, dachte Johan. Eva sagte immer, dass Leidenschaft und Alltag nicht zusammengehörten. Dass das, was im Alltag so schwer war, nett zueinander zu sein, liebevoll, auf der Leidenschaft beruhte. Johan konnte sich sehr gut vorstellen, dass andere annahmen, seine und Evas Beziehung sei im Sande verlaufen, abgenutzt worden und habe zu getrennten Schlafzimmern geführt. Aber so war das nicht. Sie begegneten einander noch immer mit derselben Glut wie damals. Aber das galt auch für alles andere. Sie brannten. Und dann brauchten sie ein wenig abkühlende Einsamkeit. Vermutlich hatte Eva darin Recht.

Bereits bei Patientin Nr. 1 in der Schärenpraxis hatte Johan auf Granit gebissen. Etwas stimmte mit der kleinen Rebecka nicht. Aber weil er sich schroff und unbedacht geäußert hatte, hatte Johan ihre Chancen, Hilfe zu finden, verringert. Ihr Vater war außer sich vor Zorn. Was für ein Anfang, dachte Johan. Er suchte sich Rebeckas Krankengeschichte heraus und kämpfte sich mühsam hindurch. Trotz Axels hoffnungsloser Handschrift konnte er dem Bericht doch entnehmen, dass Rebecka sich spät entwickelte. Ja, und wenn jemand das erwähnte, dann konnte das durchaus zu einem Wutausbruch bei den Eltern führen. Über solche Angelegenheiten wurde hier sicher nicht laut geredet. Es war fast so, als ob man damit die Eltern kritisierte.

Vielleicht hatten die Jahre in Afrika, wo die Minuten entschieden hatten, ob jemand leben oder sterben würde, wo es keinen Platz für Feinheiten gegeben hatte, ihm einen Milieuschaden zugefügt. Er beschloss, in Zukunft ein wenig vorsichtiger zu sein.

Schwester Berit öffnete die Tür einen Spalt breit. »Verzeihung, wenn ich störe, aber Wilma sitzt hier in meinem Zimmer und fragt, was sie heute machen soll.«

Johan schaute auf. »Können Sie sie nicht irgendwie beschäftigen, Schwester Berit? Morgen kommt sie doch in die Schule. Dann wird sie uns nicht mehr zur Last fallen.«

»Ich habe wirklich nicht vor, sie auf irgendeine Weise zu beschäftigen, falls Sie das geglaubt haben sollten. Ich bin Krankenschwester und kein Kindermädchen.«

Johan schluckte hart und erhob sich. Er ging an Berit vorbei, die ihn noch immer anstarrte.

»Kannst du nicht draußen schaukeln oder was auch immer, Wilma? Hinten bei der Hausecke hängt eine Schaukel. Siehst du sie?«

Wilma erhob sich und verließ die Praxis, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Johan schaute ihr hinterher. Sie war eigentlich ein liebenswürdiges Geschöpf. Klug und großherzig. Aber sie war auch starrköpfig. Fast bist zur Grenze der Unvernunft. Das lag in der Familie, in dieser Hinsicht ähnelte sie ihrer Mutter Eva wie ein Ei dem anderen, und man konnte nur hoffen, dass die beiden das nicht von Axel geerbt hatten, denn dann könnte ihr Leben auf Saltö schwierig werden. Vielleicht kam es ja von seiner Familie her?

Ture Lager war Bootsbauer und arbeitete in einer großen, hellen Werkstatt. Das kalte, blaue Licht sickerte dort herein wie in einer Kirche. Den ganzen Winter hatte er an einem Schnellsegler für zwei junge Männer aus Stockholm gearbeitet, und jetzt standen nur noch die Feinarbeiten aus. Den Rumpf hatte er bei einer Firma auf Resarö gießen lassen, aber den Rest hatte er gebaut. Auf das Deck war er besonders stolz. Es war aus Mahagoni und sah aus wie der Saalboden auf einem Herrensitz. Das Holz war dunkel, hart und hatte einen blendend tiefen Lack. Ture drehte gerade die Schrauben für eine Want ein, die einen Mastdraht halten würde, als die Tür geöffnet wurde und seine Frau Camilla hereinkam.

»Kaffee, Ture!«

Ture hatte sein ganzes Gewicht hinter den Schraubenzieher gelegt, und das Licht, das durch die offene Tür hereinströmte, blendete ihn für einen Moment. Er verlor die Konzentration. Der Schraubenzieher rutschte ab, und Ture schrie auf. Er war mit der Schulter auf das harte Deck aufgeschlagen. Der Schmerz jagte bis in seinen Gaumen. Für einen Moment hatte er Angst, sich ein paar Zähne herausgeschlagen zu haben, denn auch der Kiefer schmerzte. Er versuchte, sich aufzurichten, aber sein Arm hing schlaff nach unten. Camilla kam eilig die Leiter hoch.

»Was ist passiert?«, fragte sie besorgt.

»Ich weiß nicht, aber es tut verdammt weh.«

Er versuchte noch einmal, den Arm zu heben, aber der wollte nicht gehorchen. Camilla betastete seine Schulter.

»Au!« Ture wich zurück und schaute sie fast verletzt an. »Sei doch vorsichtig, zum Teufel!«

Camilla wirkte ungerührt und betastete wieder den Arm. Diesmal tat es nicht ganz so weh.

»Das sieht ja nicht gut aus, Ture. Jetzt gehst du bitte sofort zum Arzt, ohne erst über Los zu gehen!«

Ture schaute düster die Schraube an, die er nicht fertig eingedreht hatte.

»Ich muss das hier erst fertig machen. Das Boot muss morgen fertig sein. Du weißt, wie unsere Lage aussieht.«

Das wusste Camilla nur zu gut. Wenn sie nicht einen Großteil der neuen Helling bezahlten, würde der Lieferant sie wieder abholen. Und ohne Helling könnte Ture seine Werkstatt schließen. Seine Frau musterte ihn besorgt, als er versuchte, mit der anderen Hand die Schraube einzudrehen. Aber mit nur einem Arm schaffte er das nicht. Ture sah sie verzweifelt an und warf den Schraubenzieher zur Seite.

Die zweite Patientin an diesem ersten Tag im Leben des frischgebackenen Schärendoktors war eine ältere Dame, die ganz in Pastell gekleidet war. Sie hieß Lilian Fred und bat fast um Entschuldigung für ihren Besuch.

»Ich habe kaum noch Insulin, und da musste ich doch herkommen, Herr Doktor«, sagte sie mit einer hilflosen Geste.

»Natürlich mussten Sie das«, sagt er freundlich, klug geworden durch Kalle Jonssons Ausbruch. »Wir machen das so, dass ich Ihnen genug Insulin für die nächsten Tage mitgebe, und ich schreibe Ihnen ein neues Rezept aus. Einverstanden?«

Lilian Fred nickte dankbar. »Das ist sehr nett von Ihnen«, sagte sie erleichtert.

Johan stand auf, öffnete den Medizinschrank an der Wand und nahm eine Packung Insulin heraus. Er legte sie auf den Schreibtisch.

»Ich werde sie in die Handtasche stecken«, sagte Lilian Fred. Johan nickte, während er seinen Rezeptblock hervorzog und einige Krähenfüße daraufkritzelte. Dann reichte er ihr das Rezept.

»Ach, vielen Dank. Und ich freue mich, den neuen Doktor kennengelernt zu haben.«

Johan lächelte, und als sein Blick auf die Insulinpackung auf dem Schreibtisch fiel, die die alte Dame doch nicht eingesteckt hatte, lief er hinter ihr her und reichte sie ihr.

Dann ging er zum Fenster und schaute hinaus. Draußen saß Wilma auf der Schaukel. Sie flog in hohem Bogen hin und her, und Johan hätte fast das Fenster geöffnet und sie gewarnt, als sein Blick auf ihr Gesicht fiel und er plötzlich daran erinnert wurde, wie er mit der kleinen Wilma den Kronobergspark auf Kungsholmen besucht hatte.

Das war unmittelbar vor Beginn ihres afrikanischen Abenteuers gewesen. Im Park gab es eine Art grober Holzpferde, die mit Federn an einer Stahlplatte befestigt waren, sodass man in immer schnellerem Tempo auf diesen Pferden vor- und zurückwippen konnte. Wilma legte los, und das Holzpferd jagte hin und her, bis die Stahlkonstruktion laut ächzend protestierte, aber Wilma war das egal. Sie stand wie ein Jockey mit perfektem Gleichgewicht in den Steigbügeln und genoss das Tempo und ihre eigene Geschicklichkeit. Sie hatte diesen Gesichtsausdruck, der typisch war für Kinder, bei denen Körper und Seele ein großes Ganzes bilden, in perfekter Harmonie mit allem. Waghalsigkeit und Mut, Sicherheit und Geschick, und dennoch behält man dieses Gefühl für sich, nicht so, wie wenn man beobachtet wird und brillieren möchte. Diesen Gesichtsausdruck hatte Wilma jetzt, und er hatte nicht vor, sie zu stören, so wenig wie damals, obwohl sein Herz ihm bis in den Hals schlug.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Axel Holtman die Praxis betrat.

»Wie geht's?«, fragte sein Schwiegervater.

»Wie es sich gehört, hoffe ich«, antwortete Johan ein wenig gereizt. Er wollte nicht dauernd Besuch von Axel haben.

Aber Axel hatte ein Anliegen, und nicht ohne Triumph hielt er ihm Lilian Freds Insulinpackung hin. »Das hab ich im Wartezimmer gefunden. Wer kann es vergessen haben?«

Johan sah nicht gerade glücklich aus, als er antwortete: »Lilian Fred war vorhin hier. Sicher hat sie es liegen lassen. Ich rufe sie an, wenn sie zu Hause angekommen ist.«

»Du hast viel zu bedenken, das ist klar«, sagte Axel, sarkastisch. »Ich setze jetzt besser meinen Vormittagsspaziergang fort. Man muss sich in Form halten, auch wenn man ein abgedankter Schärendoktor ist.«

Johan sah ihm ins Gesicht. »Du hast selbst gewollt, dass ich die Praxis übernehme ...«

»Ja, ja. Eva und du, ja ...«

Johan musterte ihn, entschied dann, es sei besser, die Sache gleich zur Sprache zu bringen. »Hast du Evas Brief gelesen?«

»Sieben Mal gestern Abend und sieben Mal heute Morgen«, sagte Axel traurig. Er schüttelte den Kopf. »Sie schreibt, dass ich ihr fehle, dass die da unten sie aber mehr brauchen als ich.« Er sah Johan traurig an. »Was weiß sie denn darüber? Und Wilma? Wer kümmert sich um sie?«

»Ich bin doch da ...«

»Sie braucht ihre Mama, Johan«, sagte Axel.

Johan schaute aus dem Fenster, wo Wilma jetzt nicht mehr ganz so heftig schaukelte und ihn ein wenig zögerlich anlächelte. Johan hob die Hand und winkte ihr zu.

»Wie konntest du sie da unten zurücklassen? Liebt ihr euch nicht mehr?«, fragte Axel verständnislos.

Johan seufzte. »Ehrlich gesagt, Axel, haben wir uns da unten immer weniger gesehen. Wenn ich im Busch war, war Eva mit Wilma zu Hause und kümmerte sich um die Klinik, und wenn ich zu Hause war, hatte sie Dienst. Wir sind einander immer mehr entglitten, und deshalb wollten wir versuchen, uns wiederzufinden. Hier auf Saltö.«

»Und dann hat sie sich die Sache anders überlegt?«

Johan nickte. »Aber sie wird kommen«, sagte er. »Sie ist nur noch nicht bereit ...«

»Bereit! Hast du dabei gar nichts zu sagen?«

Johan Augen blitzten auf, und er spürte für einen Moment, wie der Zorn in ihm aufwallte. »Du hast sie nach Afrika gebracht, als sie klein war, durch dich ist sie auf den Geschmack für dieses Leben gekommen. Und durch dich ist sie so ... so selbstständig geworden«, sagte er beherrscht.

Axel musterte ihn nachdenklich. »Ja, ja ... sie war erst zwölf, als ihre Mama gestorben ist. Zwölf Jahre alt, und keine Mama, die sich um sie kümmerte. Da wird man so ... selbstständig, verstehst du.« Er blickte Johan mit Unschuldsmiene an. »Wie alt ist Wilma jetzt?«