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Die Geliebte des Schwertkämpfers Ray, der unter der Obhut eines Druiden aufwuchs, wird in einem zwielichtigen Kloster von Dämoninnen mit einem Fluch belegt. Doch neben der Dunkelheit bleibt ein Lichtschimmer in ihrer Seele erhalten. Ray macht sich auf die Suche nach ihr und einem Mittel, um sie wieder in eine normale Sterbliche zu verwandeln. Dabei dringt er in abenteuerliche Landschaften mit Fabelwesen vor, aber rasch findet er auch Gefährten.
Dieses Buch erschien auch unter dem Titel DARK FANTASY. Tom Knocker ist ein Pseudonym von Thomas Neukum.
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SCHWERT UND MAGIE
Die Trilogie des Archelands in einem Band
Tom Knocker
ist ein Pseudonym von
Thomas Neukum
Dieses Buch erschien auch unter dem Titel
DARK FANTASY
Geopfert sei des Mädchens Blut
Der Mond ringt mit der Sonnenglut
Dämonen spreizen ihre Schwingen
Das Schicksal schreit nach scharfen Klingen
SCHWERTZAUBER
Wenn der Himmel blutet, schreit der Riss nach Helden. Doch vorher kann ein Held weder zur Meisterschaft noch zur Selbsterkenntnis gelangen. Und der Himmel über Raukendorf im Archeland leuchtete noch blau.
Ray ließ einhändig sein Langschwert wirbeln. Er hatte ein nettes, wenn auch kantiges Antlitz, geschmeidige Muskeln unter seinem Kettenhemd und trug einen Schild. Gegen das Metall prallte ein abgeschliffener Armbrustbolzen. Der Schuss kam von Rays bestem Freund, Snick.
Sie übten am grünen Dorfrand.
Snick war kleiner als Ray und hatte eine braune Strähne in der Stirn hängen. Wenn der Schütze hierhin und dorthin huschte, schwangen seine Haare wie zur Verwirrung in die entgegengesetzte Richtung. Er trug als Zweitwaffe ein Kurzschwert. Doch sein Ziel war es, jeden Gegner auf Distanz zu halten.
Ray rannte Snick hinterher. Ein Schuss erwischte allerdings den groß gewachsenen Schwertkämpfer mit einem dumpfen Schmerz am Knie.
Snick foppte ihn: „Wenn der Bolzen spitz gewesen wär, dann würdest du nun im Grase liegen, mein Freund.“
„Unterschätze nicht die Stabilität meiner Kniescheibe“, entgegnete Ray.
Er holte Snick ein.
Jetzt musste sich der Schütze mit dem Kurzschwert verteidigen. Im Nahkampf war er Ray unterlegen. Ihre Klingen kreuzten sich ein-, zwei- und dreimal. Snick sprang auf den Holzzaun eines Rindergeheges und außerhalb auch wieder herab. Die Tiere blökten beifällig. Doch kaum berührte Snick erneut die Erde, drehte sich Ray geschickt und ließ die Flachseite seines Schwerts gegen den Freund klatschen.
„Und wer würde nun im Grase sein Leben lassen?“
Rays Worte schwebten noch in der Luft, als sich seine Augen weiteten und ein Lächeln seine Lippen umspielte. Ahnungsvoll wandte Snick den Kopf.
Über die blühende Wiese lief Evina, Rays Freundin. Ihr Gesicht strahlte lieblich. Besonders ihrem Haar wohnte ein Zauber inne: Mal schien sich die Sonne orangerot darin zu verfangen, mal wirkte es eher brünett, ja dunkel. In aller natürlichen Unschuld hatte Evina ihr Bürgerkleidchen gekürzt, so dass halb ihre anmutigen Schenkel zu sehen waren. Ihre Brüste hüpften leicht. Sie kam näher und verlangsamte ihren Schritt.
„Hoffentlich störe ich euch beide nicht dabei, gegen mehr oder weniger Tote zu kämpfen“, scherzte sie. Dann wurde sie ernster. „Ich muss dir etwas sagen, Ray.“
Er legte Schwert und Schild ab.
„Soll ich verduften?“, fragte Snick.
„Nein“, antwortete Evina. „Wer soll bei ihm bleiben, wenn nicht du?“
„Was ist denn los, meine Liebste?“, sorgte sich Ray.
Sie hielt seine Hände und schlug die Wimpern zu ihm auf. „Ich muss auf Wunsch und Befehl meiner Eltern für ein Jahr in ein Nonnenkloster.“
„Bitte was? Wohin?“
„In das Kloster der Ewigen Anemone.“
„Aber warum?“, fragte Ray.
Die Maid seufzte. Sie wusste, dass Ray seine eigenen Eltern nie kennengelernt hatte. Sein Vater war ein Waffenmeister gewesen, aber mit einigen Stammesangehörigen einer Übermacht zum Opfer gefallen. Leider hatte die Mutter bereits mehrere Kinder und konnte nicht für alle sorgen. Dennoch spürte sie, dass Ray ein außergewöhnlicher Junge war. Lange bevor sie selber an Krankheit und Erschöpfung starb, brachte die Mutter ihn deshalb zu dem Druiden Wisgard nach Raukendorf.
Der Ziehvater erkannte selbstverständlich, dass Ray ein geborener Schwertkämpfer war. Daher unterrichtete Wisgard ihn zwar in den Grundlagen der Naturphilosophie und Heilkunst, aber bald schickte der Druide seinen Zögling auf eine Kampfschule. Und als Ray hierher zurückkam, war die kleine Evina zu einer Schönheit herangewachsen …
Ihre Mutter entstammte einem verarmten Geschlecht des Landadels. Sie setzte in ihren verschnörkelten Briefen die Kommas dort, wo es sie richtig dünkte und es meistens falsch war. Jedenfalls war Evinas Vater einfach der Dorfschmied, und vor ihm hatte schon ihr Großvater diesen Beruf ausgeübt, und vor jenem der Urgroßvater. Kurz, ihre Eltern verdienten die Bezeichnung erzkonservativ.
Dem alten Wisgard gegenüber hegten sie Misstrauen, weil sie nicht begriffen, was so ein Druide eigentlich trieb. Auch wenn sie nicht ahnten, wie weit sein Name bekannt war, so hatten sie doch Respekt vor ihm.
„Also“, sagte Evina. „Es liegt nicht nur daran, dass meine Eltern befürchten, ich könnte mit meinem freien Kleidungsstil hier zu viele geile Blicke auf mich ziehen.“
Die Rinder blökten erneut, und Snick lachte.
„Tschuldigung“, murmelte er. „Ich musste bloß daran denken, dass diese Rinder meinem Onkel gehören und er nur Augen für sie hat.“
Evina nickte mit dem Anflug eines Schmunzelns, doch sie blickte unverändert Ray an. „Vor allem haben meine Eltern bemerkt, dass ich nachts nicht immer in meinem Bett lag, und sie haben uns draußen beim Sex erspäht. Meine Mutter zeterte mit mir rum: ›Wenn du und er wenigstens verlobt wärt, aber nein, nein!‹“
„Darum sollst du in diesem Nonnenkloster diszipliniert werden? Was, wenn du dich deinen Eltern einfach wiedersetzt?“, fragte Ray.
„Ich will sie nicht noch mehr enttäuschen, mein Liebster.“
„Dann müssen wir sie umstimmen, oder? Das Kloster der Ewigen Anemone“, grübelte er laut, „als hätte ich diesen Namen schon mal so dunkel gehört.“
Snick zuckte mit den Schultern. „Klingt schön heilig.“
„Lasst mich erst mal Wisgard um Rat fragen“, beschloss Ray. Er wollte bereits zu den Häusern gehen, als Evina ihn mit beiden Armen umschlang und noch küsste.
Der weißbärtige Druide trug zwar Sandalen, aber keinen Firlefanz-Hut, und sein Leib war auch nicht dürr. Im Gegenteil, seine moosgrüne Robe wirkte ausgebaucht, als er mit Ray und einem Holzstab stapfend sein Pflastersteinhaus verließ.
„Evinas Eltern gehören zu jener unwissenden Sorte, die zum Wohle ihres Kindes gerne dessen Unwohlsein heraufbeschwören“, schimpfte Wisgard. „Komm, versuchen wir unser Glück!“
Der Schmied hatte gerade Feierabend gemacht. Aus dem Kamin seiner Werkstatt, die an sein Haus rangebaut war, pafften noch ein paar rußige Wölkchen.
Wisgard klopfte mit dem Holzstab an.
Evinas Vater öffnete die Tür, furchte die Brauen über seinen nussrunden Augen und nuschelte: „Welch Ehre. Was gibt’s?“
„Wir möchten Ihnen und Ihrer Familie einen schönen Tag wünschen“, begann Wisgard. „Außerdem wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie uns ein Krügchen Most und ein Gespräch gestatten würden. Der Saft muss nicht aus roten Prachtäpfeln gepresst sein, beileibe nicht. Wir begnügen uns mit der grünen, nüchternen und ehrlichen Sorte.“
„Könnte sauer schmecken“, erwiderte der Schmied.
„Das verkraften wir. Nicht wahr, Ray?“
„Für Evina verkrafte ich alles.“
Die haushaltsführende Mutter erschien mit ihrem Lockenkopf im Hintergrund. Sie wusste geistigen Schliff zumindest ein bisschen mehr als zurechtgeklopptes Eisen zu schätzen und bat deshalb ihren Gatten: „Lass die Gäste doch herein.“
Danach saßen sie an einem Lärchenholztisch mit Stickdecke und hatten tatsächlich Most vor sich, der weder gut noch schlecht mundete. Ray nippte nur daran. Denn Evina musste in ihrem Zimmer bleiben, und schon allein dieser Umstand entfachte eine viertelstündige Streiterei.
„Sie ist doch kein Schulmädchen mehr!“, ereiferte sich Wisgard. „Überhaupt lieben sich Evina und Ray. Liebe muss man fördern. Wie könnte aus der Entzweiung von Liebenden jemals etwas Gutes entstehen?“
„Zur Liebe und Treue gehören Geduld“, hielt die Mutter dem Druiden entgegen. „Evina muss lernen, ihre Sinnlichkeit zu zügeln. Wir zwängen sie ja nicht für alle Zeiten in einen Keuschheitsgürtel. Unsere Tochter soll lediglich in den Genuss einer zusätzlichen Erziehung unter den tugendhaften Schwestern der Ewigen Anemone gelangen. Und hinterher darf sie Euer Mündel heiraten, ich meine Euren Ziehsohn, sofern auch er sich anständig benimmt.“
Obwohl diese Worte voller Einfalt nicht verletzend gemeint waren, echoten sie wie blanker Hohn in Rays Kopf. Einen Schwertkämpfer von einundzwanzig Jahren als Mündel abzutun!
Wisgard räusperte sich entschieden. „Ich sehe, dass ich klipp und klar mit Ihnen reden muss. Im Kloster der Ewigen Anemone hausen ganz und gar keine tugendhaften Schwestern. Vielmehr verbergen sich hinter der Äbtissin und ihren Mauern unheilvolle Mächte.“
„Das ist ein Gerücht!“, raunzte der Schmied.
„Oh nein, ich bin im Archeland weit herumgekommen und versichere Ihnen, dass umgekehrt der gute Ruf des Klosters ein Gerücht ist. Die Äbtissin weiß sich zu inszenieren.“
„Das müsst gerade Ihr sagen“, erwiderte die Mutter. Wenngleich es widersinnig erschien, verriet sie durch ihre Abwehrhaltung auf dem Stuhl, dass sie sich eigentlich nicht mit dem Druiden anlegen wollte. „Jeder im Dorf kennt seit Jahren die Geschichte des Schäfers. Als Wölfe seine Herde bedrohten, habt Ihr mit Ray nahebei Kräuter gesammelt. Ihr seid zu den Raubtieren gegangen, um mit ihnen – wie würdet Ihr selber es nennen – zu jaulen? Jedenfalls sind sie wie ermahnte Gesellen davongedackelt. Solche Geschichten sind mir nicht geheuer.“
„Ich habe den Wölfen nur gesagt, wo sie eine noch bessere Mahlzeit finden“, erklärte Wisgard.
Ray erinnerte sich versonnen. „Das war großartig.“
„Großartig finde ich etwas anderes“, betonte die Mutter. „Die Äbtissin hat uns in einem gediegenen Brief mitgeteilt, wann sie Evina holen wird.“
Wisgard war fassungslos. „Habe ich recht gehört? Die Äbtissin will persönlich eine Reise unternehmen, um sich die blutjunge Frau zu schnappen, und Ihnen kommt das nicht verdächtig vor? Verglichen mit dieser Hexe ist ein Wolf nur ein Schoßhündchen. Wenn Sie beide so dumm sind und Ihre Tochter …“
Der Schmied knallte seinen Krug auf den Tisch. „Jetzt reicht’s! Raus!“
Als Ray und der Druiden wieder draußen waren, fühlte sich der Schwertkämpfer noch bekümmerter. Vorm Haus wartete Snick.
„Lief wohl nicht so überzeugend, was?“
„Schlimmer als Schafsköpfe“, antwortete Wisgard. „Bis die so alt sind wie ich, haben sie sich einen Käfig aus Vorurteilen geschmiedet.“
Das ganze Dorf stand da und glotzte, als die versilberten Räder einer Kutsche hielten, deren vier Stuten schnaubten. Eine große, ranke Frau in strahlend weißem Gewande mit Korsett und ebenso weißer Haube stieg aus. Ihre bleichen Wangen wirkten hoch und hart, aber ihre Lippen gesund durchblutet. Ja, ihre samtschwarzen Augen verkündeten Gnade.
Evina senkte mit den Eltern das Haupt vor ihr.
„Das ist die Äbtissin, Daimona“, knirschte Wisgard.
Im gleichen Augenblick bedachte sie den Druiden und Ray mit einem spöttischen Triumphlächeln. Die beiden weilten abseits, weil sie sich mit Evinas Eltern gestritten hatten. Bei dem Schwertkämpfer und Wisgard stand allerdings Snick, den gleichfalls ein ungutes Bauchgefühl ergriff.
Doch wie musste sich Evina fühlen?
Daimona hob mit ihrem Mittel- und Zeigefinger das Kinn der Maid. „Du bist ohne Zweifel eine vielversprechende Blume. Fürchte dich nicht. Ich werde ein Potential in dir erwecken, von dem du kaum zu träumen wagtest.“
„Ja, Oberin.“
„Mutter Oberin“, korrigierte Daimona. Daraufhin äugten Evinas Eltern die Äbtissin schräg von unten an, aber sie sagte freundlich: „Sie dürfen sich von Ihrer Tochter verabschieden.“
Ray wäre gern hinzugelaufen. Doch der Druide hielt ihn mit einer Hand an der Schulter zurück. Evina holte ein Taschentuch aus ihrem Täschchen, tupfte sich die Tränen hinfort und winkte ihrem Liebsten.
Dann stieg sie mit Daimona in die Kutsche.
Vielleicht befanden sich noch mehr Personen in dem Wagen, vielleicht auch nicht. Auf dem Kutschbock saß allem Anschein nach ein massiger Kapuzenträger, der bis an die Zähne bewaffnet und mucksmäuschenstill war. Ihm war die Zunge herausgeschnitten worden. Dafür ließ die Gestalt ihre Gerte schnalzen und knallen.
Die Kutsche rollte davon.
„Mann, Mann“, atmete Snick aus. „Diese Daimona machte auf mich den Eindruck einer Oberlesbe.“
Ray warf ihm einen verdrossenen Blick zu.
Eilends versuchte der Freund seine Aussage hinzubiegen: „Ich meine, womöglich wird Evina in diesem Nonnenkloster ganz fein unterrichtet und lernt ein paar ausgefallene Sachen.“
Ray wandte sich an Wisgard. „Ich werde sie in einem Jahr doch wiedersehen, oder? Evina wird nicht irgendwelche Misshandlungen erleiden müssen oder sterben?“
Besonnen schüttelte der Druide den Kopf.
„Was heißt das?“, hakte Ray nach.
Die Bauern und Bürger hatten sich wieder im Dorf verstreut. Wisgard blickte in den Himmel und antwortete endlich: „Mein Sohn, Evina wird noch ewig lange nicht sterben.“
Evina nickte in der dunklen, gepolsterten Kutsche ein. Irgendwie war dieser Schlaf unnatürlich, zumal ihr Kopf in den Schoß der Äbtissin sank. Dort trug Daimona übrigens ihre eingerollte Peitsche. Sie streichelte die Maid und inhalierte den Duft ihrer Haut, den Duft ihres Menschenfleisches. Als die Räder und somit der Mädchenkopf holperten, reizte dieser Umstand die Äbtissin so inbrünstig, dass sie ihre scharfen Fingernägel fast in den weichen Hals gegraben hätte. Evina stöhnte unruhig. Doch die Äbtissin konnte sich beherrschen.
Im Morgengrauen hielt die Kutsche.
„Wir sind da“, sagte Daimona fingerschnipsend.
Ohne zu wissen, wie lange und welcherart sie geschlafen hatte, erhob sich Evina. Gleich danach stieg sie mit der Äbtissin aus.
Sie standen im Schutz von knorrigen Kiefern vor dem Kloster mit schummerigen Rundbogen- sowie Zellenfenstern, Turm, Seitengebäude und Stall auf einem Hügel. Doch nein, ein Hügel war es nicht. Woher kamen dieses Rauschen und Tosen? Sie standen auf einer Klippe am Meer!
Das tiefblaue und rote Steinmosaik einer Anemone mit fünf Blütenblättern prunkte über dem Haupttor. Davor wachten zwei Gestalten, die ähnlich vermummt waren wie der Kutscher. Allerdings grüßten sie mit weiblichen Stimmen: „Guten Morgen, Mutter Oberin! Guten Morgen, Evina! Wie war die Reise?“
Die Maid konnte nicht auf die Antwort der Äbtissin achten. Zu überrascht war Evina, dass diese Frauen sie bereits zu kennen schienen. Plötzlich fiel ihr jedoch ein: „Mein Täschchen …!“
Als sie sich umdrehte, war das Pferdegespann mitsamt Kutscher oder Kutscherin schon weg. Vielleicht im Stall?
Daimona lächelte herablassend. „Hier wird dir nichts fehlen. Komm!“
Die Wächterinnen öffneten das geölte Tor.
Daimona ließ im kerzenbeleuchteten Korridor ihr rabenschwarzes Haar fluten und schmiss ihre Haube einer knienden Dienerin zu, die gerade den Boden wischte. Die Lederstiefel der Äbtissin hallten. Einerseits waren die Säulen hier uralt, andererseits mit Gold verziert. Evina fühlte sich durcheinander und überfordert.
Dieser Seelenzustand verstärkte sich, als sie in Sälen mit unheimlichen Relikten irgendwelchen Ordensschwestern vorgestellt wurde. Tausend Namen! Doch die wenigstens schauten so aus, als hätten sie sich in diesem Gemäuer aufgrund von krummen Nasen und Glupschaugen vor der Männerwelt versteckt, so wie die Allgemeinheit es gern glaubte. Die meisten Nonnen der Ewigen Anemone waren schrecklich schön.
Besonders stach für Evina eine Frau mit milchgrauen Augen heraus, die eine Wendeltreppe aus dem Untergeschoss hinaufschritt. Sie trug ebenfalls keine Kopfbedeckung, aber einen straffen und taillenbetonten Gürtel. An ihm hatte sie so viele spitze Schlüssel und zackige Werkzeuge hängen, dass die Metalle schellten. Obwohl sie noch zierlicher als Evina war, verkündete alles an dieser Ordensschwester, dass sie einen eher hohen Rang bekleidete.
Daimona stellte sie als „Kellermeisterin“ vor.
Die Maid verneigte sich. Auch wenn sie ein bisschen Angst vor der Antwort hatte, fragte Evina die Nonne: „Was macht denn eine Kellermeisterin?“
„Ich kümmere mich um sämtliche Lagerbestände und den Wirtschaftsbetrieb des Klosters.“
„Ach so“, sagte Evina erleichtert.
Die Äbtissin wirkte einmal mehr amüsiert. Sie ging mit ihrem neuen Mädchen an der zweiköpfigen Statue eines Mischwesens vorbei und zeigte Evina die Bibliothek.
Dort reihten sich Unmengen abgegriffener Bücher in hohen Regalen aneinander, und auf Pulten sowie Tischchen lagen mordsschwere Folianten. Es mutete possierlich an, wenn die Frauenhändchen dieses Pergament umblätterten. Eine Blondine kopierte in malerischer Schrift ein Werk, das nur aus okkulten Formeln bestand.
„Warum bist du noch nicht weiter?“, fragte Daimona.
„Ich will es perfekt machen. Zwischendurch hatte ich allerdings … so Gedanken, die mich ablenkten und zu einer Pause zwangen.“
„So?“ Mehr erwiderte Daimona nicht.
Sicher hatte das auch damit zu tun, dass eine Glocke erdröhnte. Alle Nonnen mussten sich in der Klosterkirche für die Morgenmeditation versammeln.
Die Äbtissin führte hingegen Evina eine breite Treppe hoch und sagte: „Um Mitternacht wirst du als Novizin in unseren Orden eingeweiht. Ich zeige dir nun deine Zelle im Dormitorium.“
Über all diese Sachen stutzte Evina so arg, dass sie es aufgab, mit ihren Fragen womöglich lästig zu fallen. Sie würde schon noch sehen …
Die Zellen, das waren die mit Trennwänden versehenen Zimmerchen der Nonnen. Evinas Bett lud allerdings mit rot-schwarzen Seidenbezügen ein! Zudem lag auf ihrem Bett eine sternförmige Praline mit einer, zwei, drei, vier, nein fünf Genussspitzen: Schokolade, Nussnougat, Karamell, Vanillesahne und Marzipan.
„Ist die für mich?“, hauchte Evina mit unterdrücktem Jubel. Sie sprach so leise, als müsste sie ein Tabu geheim halten.
„Aber ja“, sagte Daimona. Dabei lehnte sie an der Wand.
Sie erschien Evina gar nicht als solch knauserige Weltverneinerin, die auf alle Sinnlichkeit eindrosch. Gerade als die Maid zur Praline griff, erscholl von nebenan jedoch Gekicher. Genauer gesagt waren es zwei Stimmen, die da in einer Zelle tollten.
„Warte hier“, sagte die Äbtissin streng.
Dann ging sie hinüber und riss die Tür auf.
„M-Mutter Oberin! Entschuldigt, wir …“
„Warum seid ihr Gören nicht bei der Morgenmeditation?“, zürnte die Äbtissin. „Kleidet euch gefälligst an, und zwar bis Mitternacht! Dann dürft ihr mit euren ausschweifenden Schmerzensschreien die Einweihungsfeier komplementieren, verstanden?“
Evina horchte mit offenem Mund. Doch es war ihr vergangen, sich die Praline hineinzustecken.
Benommen saß die Maid auf einem Altar. Ihre entblößte Haut schimmerte im Feuerschein der Kohlebecken ringsum, während über ihr eine große Dachluke den Blick auf den Vollmond freigab. Ein Chor, zu dem auch die Blondine mit der malerischen Schrift gehörte, betete eintönige Beschwörungen herunter. Alle Nonnen waren nackt.
Daimona hatte mittelgroße, aber so pralle Brüste, dass ihre Nippel wie Lanzetten nach vorne ragten. Dazu trug sie eine Halskette mit einem lodernden Rubin und zehn goldene Fingerringe. Sie ließ ihre Peitsche auf die striemigen Rücken der zwei Frauen knallen, die sich nicht an die Klosterregeln gehalten hatten und nun ihre Leiber in Ketten gegen die Mauer drückten. Wie versprochen, wurden ihre Schreie zu einer finsteren Begleitmusik.
Die Augen der Kellermeisterin waren nicht mehr farblos, sondern wie die aller Ordensschwestern auf einmal rot. Sie stand frontal vor Evina und hielt ihr ein blubberndes Gebräu in einem Becher hin.
„Noch einen?“, fragte die Maid. „Ich bin schon vom ersten Becher so absonderlich betäubt, als wäre um mich herum …“
„Trink!“, befahl die Kellermeisterin.
Evina gehorchte und verlor das Gefühl für die Zeit.
Irgendwann veranlassten die Hände und Stimme der Äbtissin sie, sich auf den Altar zu legen. Daimona zeichnete mit dem Daumen ein Symbol auf die Stirn der Maid, die ihre Lider schloss. Im Folgenden ließ sich die Äbtissin von der Kellermeisterin einen Zeremoniendolch geben.
Die Meeresstürme röhrten, und der Chor schwoll an.
Daimona rammte die Klinge genau unter dem Busen in Evinas Fleisch. Entsetzt sog sie die Luft ein. Doch die Äbtissin breitete die Arme aus, hob den Blick zur Sternennacht und sprach:
„Oh, Fürst der Dämonen, ich weihe dir diese unschuldige Seele! Sie wird fürderhin als Geschöpf unter uns weilen, das weder lebendig noch tot ist. Möge sie jene Menschlichkeit hinter sich lassen, die in Liebesgefühlchen und Schwäche besteht. Möge sie zu einer Dämonin werden, wie auch du mir die Mächte einer Dämonin geschenkt hast, mein Meister! List und Bosheit sind uns heilig.“
Damit zog Daimona die Klinge wieder aus Evinas Körper und leckte heißhungrig das Blut ab, das teilweise auf den Altar tropfte. Blitze donnerten. Während sich die Wunde magisch schloss, glühten Evinas weit geöffnete Augen.
Sie richtete sich auf und konnte derart scharf sehen, dass sie ihre Schwestern sogar in völliger Dunkelheit erkannt hätte. Erstaunt bemerkte die Novizin: „Ich habe mich noch nie so frisch und stark gefühlt.“
Das herabgefallene Laub raschelte unter den Pferdehufen, und die kalte Brise berührte auch die Reiter in ihren Lederwamsen unangenehm. Zu allem hin hatten sich die sechs Männer in der braunschwarzen Dämmerung verirrt.
Indem er mit seinem behandschuhten Finger nach vorn zeigte, sagte ein Schnurbärtiger mit schiefer Mütze: „Seht ihr das Gebäude da?“
„Hm, das könnte eine Burg sein.“
„Oder ein Gasthof mit Brathühnchen“, hoffte ein anderer.
Der Schnurbärtige meinte: „Das sagt dir nur dein knurrender Bauch. Mich lässt ein anderes Körperteil wünschen, es wäre ein gemeinwohlorientiertes Bordell.“
Alle lachten.
Dann ritten sie zum Tor und schwangen sich aus den Satteln. Sie erschraken, als die vermummten Wächterinnen wie aus einem Munde grüßten: „Guten Abend, Reisende. Was führt Euch hierher?“
„Hola, wir sind müde und suchen großzügige Seelen, die uns mit einer Unterkunft für eine Nacht laben“, schwallte der Schnurbärtige.
Die Wächterinnen öffneten geräuschlos das Tor. „Tretet ein. Um Eure Pferde werden wir Sorge tragen.“
Im erwärmten Korridor begegneten die Männer einer hübschen Novizin, die eilig ihre Haube zurechtschob, wenngleich eine schillernde Locke zu sehen blieb. Diese Typen gefielen Evina nicht. Sie schickte sich trotzdem höflich an, die Äbtissin zu holen.
Gleichzeitig schlossen die Wächterinnen rumsend das Tor. Die Männer raunten untereinander.
„Wir sind hier in einem Nonnenkloster.“
„Na und? Diese Frauenzimmer haben uns reingelassen.“
„Glaubt ihr, sie bekommen oft männlichen Besuch?“
„Brüder! Nonnen brauchen es dringender als Nutten.“
Wieder lachten die Männer.
„Pst“, mahnte der Schnurbärtige sie.
Daimona stolzierte herbei, und ihr Haar knisterte wie ein dunkler Fächer. Gleichwohl redete sie scheinheilig und freundlich mit den Reisenden, als die Kellermeisterin hinzukam.
„Selbstverständlich gewähren wir Euch Speis, Trank und Liegestatt“, sagte die Äbtissin. „Unser Vorratskeller geizt niemals mit Almosen und Bissen, nicht wahr?“
Ganz glatt erwiderte die Kellermeisterin das Grinsen der Männer. „Viele süße, scharfe Bissen.“
„Wir möchten Euch nur bitten, innerhalb unserer heiligen Mauern die Waffen abzulegen“, verlangte Daimona.
Ungeduldig und scheppernd entledigten sich die Kerle ihrer Ausrüstung. Drei brünette Ordensschönheiten räumten alles weg.
Später saßen die Gäste an einer langen Tafel im Speisesaal mit prasselndem Kamin und ließen sich bewirten. Es gab tatsächlich Brathühnchen, aber obendrein Kaninchen, Seezungenfilet, Teigtaschen in Pfeffersoße, eingelegte Gurken, Röstbrot mit Butter, Honig, Kirschpudding, Eierlikör und Branntwein. Die Männer verfielen in ein säuisches Schlemmen und Saufen.
Zu ihnen schmusten sich lockere Nönnchen. Sie beugten ihre verführerischen Hälse zurück, ließen sich mit Trauben füttern und befummeln.
Und Evina? Obwohl sich die Novizin vorhin zurückgezogen hatte, war sie von der Äbtissin genötigt worden, an dem Gastmahl teilzunehmen. Evina dachte an Ray. Doch ach, diese Bilder in ihrem Kopf glichen einem Puzzle, dessen Stücke einst perfekt zusammengepasst hatten und nun zu bröckeln drohten. Sie war verwirrt. Gefühle der Leere und Selbstentfremdung wechselten mit einer nie gekannten Gier. Allerdings lechzte diese Gier keineswegs nach den gekochten Stücken auf ihrem Teller, in dem Evina mit ihren Gabelzinken nur herumstocherte, zum Teufel nein …
Als wäre das alles normal, saß Daimona auf ihrem hoch verzierten Stuhl an der Stirnseite des Tisches und pflegte Konversation mit den Gästen: „Wohin seid Ihr unterwegs?“
„Mmh, wir sind Gesandte weit aus dem Süden und auf dem Weg nach Griefstadt, also zum Hof des Fürsten“, palaverte der Schnurbärtig. Dabei tupfte er sich die Lippen mit einer karneolfarbenen Serviette ab.
Er log. Vielleicht war er vor Jahren mal ein Gesandter gewesen, denn er verstand teils diplomatische Sätze hinzudrehen, aber jetzt trieb er sich mit einer Halunkenbande herum. Wer würde die vermissen?
Frohlockend prostete Daimona mit ihrem prunkvollen Kelch den Männern zu und trank. Dann wechselte sie einen Blick mit der Kellermeisterin. Beide zogen ihre Gewänder aus, unter denen sie durchsichtige Spitzenhemdchen trugen.
Außerdem sprang jedoch eine splitternackte Rothaarige auf den Tisch und tanzte mit Hüftschwung. Wo um alles in der Welt kamen plötzlich die berauschenden Klaviertöne her? Egal, die Beifallsrufe der Männer überschlugen sich.
„Oho! Sieh an! Wir sind schon im Himmel!“
Gebannt starrten sie auf die Tänzerin, die leichten Fußes zwischen dem Tafelgeschirr förmlich schwebte. Doch ihre Ordensschwestern und die Äbtissin leckten sich schon die hervorgesprossenen Reißzähne. Die Rothaarige wand sich mit aufgeklappten Schenkeln vor einem Mann in die Hocke. Sowie er aber sein Gesicht in ihre Spalte tunken wollte, flammten ihre und alle weiblichen Dämonenaugen auf.
Sie haute ihm fauchend ihre Zähne in den Nacken.
Er schrie, und der Schnurbärtige stieß ein anderes Luder weg, das auf seinen Schoß gerutscht war. Umgehend eilte er seinem Kumpel zur Hilfe und prügelte auf die Rothaarige ein. Doch was half es? Daimona schmetterte den falschen Gesandten mit einer magischen Druckwelle gegen die Wand des Saals.