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Die Schwertkämpferin Valeria sollte als Tochter eines Königs und dessen Lieblingssklavin ein magisches Bauchkettchen erben. Doch es gelangte in den Besitz eines Drachens, der sich gerne mit Geistern umgibt.
Niemand scheint Valeria bei der Rückeroberung helfen zu wollen. Angeblich besitzt nur ein berüchtigter Nekromant die Macht hierzu. Auf ihrer gemeinsamen Reise zeigt er allerdings eine Vorliebe für untote Schicksen. Die Schwertkämpferin findet das ziemlich krank, und das ist noch lange nicht das Abenteuerlichste ...
Kann sie mit dem Nekromanten den Drachen im Schattengebirge besiegen, obwohl sich die beiden ständig zoffen?
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TOM KNOCKER
IST EIN PSEUDONYM VON THOMAS NEUKUM -
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Tom Knocker
VALERIA
Die Schwertkämpferin
Dark Fantasy Parodie © 2024
Inhaltsverzeichnis
Karte
Vorbemerkung
Motto
Prolog
Das Gesuch der Schwertmeisterin
Bernd der Barde
Ein Drachentöter
Der Gnom in der Taverne
Banditen auf einem Spaziergang
Das Haus des Hexers
Gespräche ohne Zombietussen
Aufbruch mit dem Nekromanten
Finsterwalde
Ein Rastplatz und Familienstammbäume
Waschungen mit oder ohne Grabschickse
Das Elfendorf
Ein dämonischer Charmeur
Belohnungen
Gemetzel auf dem Schlampampenfluss
Wundversorgung am Ufer
Zusammenbruch bei der Burg
Ein Mönchsorden aus fünf Zwergen
Die Katakomben
Offenbarungen am Grab der Druidin
Der Geist des mürrischen Großonkels
Welch magisches Wiedersehen
Das Wort eines Zwerges
Aasgeier und ein Ochse
Eifersuchtsszene ohne Tabus
Anstieg ins Schattengebirge
Die Hängebrücke
Horden des Bösen
Ein Portal voller Überraschungen
Besprechungen im Feldlazarett
Eine Kletterpartie
Feuer und Wasser
Der Kampf mit dem Drachen
Lasst uns mal vernünftig drüber reden
Epilog
Nachbemerkung
Schwerter, Aberglauben und Leichenschändung (Nekrophilie) sind für gewöhnlich mit einem furchtbaren Ernstverbunden. Ich suchte zu diesen Themen daher einen spottlustigeren Zugang, sagen wir: ein magisches Portal.
Ganz nebenbei nehme ich hiermit meine Trilogie des Archelands aufs Korn. Allerdings setze ich nicht voraus, dassalle Menschen oder gar alle Drachen unter den Menschen jene Geschichte kennen.
Wissenschaftlich betrachtet, sind Drachen natürlich Dinosaurier gewesen, deren DNA die Fähigkeit zum Feuerspeien aufwies und sich im Labor wiederbeleben lässt. Wer weiß das nicht? Jeder Hofnarr kann das in den sozialen Medien nachlesen.
In diesem Sinne wünsche ich mächtig Spaß mit dieserDark Fantasy Komödie!
Prorsus credibile est,
quia ineptum est.
Et sepultus resurrexit:
Certum est,
quia impossibile.
Es ist ganz glaubhaft,
weil es keinen Sinn gibt.
Er ist begraben und wiederauferstanden.
Das ist ganz sicher,
weil unmöglich.
Tertullian
Wir kennen Drachen als goldgierige Schnarchnasen, aber wenn sie aufwachen, dann braucht es zu ihrer Besiegung mehr als eine Feuerwehr. Vielleicht hing es damit zusammen, dass im Archeland auch noch gar keine erfundenund nicht einmal der König brandschutzversichert war.
Der idyllische Sonnenuntergang leuchtete durch ein Turmfenster vonSchloss Goldspitz und berührte mit seinem Glanz das Bett. Valeria war damals noch ein elfjähriges Mädchen mit blondem Haar, konnte aber schon keck dreinblicken und die Lippen verziehen. Sie beobachteteihre Mutter am Schminktisch.
Obwohl dieDame unterhalb ihres Schlüsselbeins eine Brandmarke trug und somit eine Sklavin war, hatte sie ein bauchfreies Seidenoberteil an.Als Geliebte des Königsgenoss sie schon lange Vorrechte. Sie musste recht gelenkig und einfallsreich sein, um sein Interesse so nachhaltig in den Bann ziehen zu können.Oder woher kam diese Anziehungskraft?
Die Geliebte erhob sich und zupfte ihr Bauchkettchen zurecht. Es war ein Geschenk des Königs.
„Schmilzt Gold nicht, wenn es heiß hergeht?“, fragte Valeria.
Ihre Mutter hielt für ein Momentchen inne. Sie vermutete mal, dass ihre Tochter nicht ganz wusste, wie doppeldeutig diese Worte klangen. Jedenfalls antwortete die Mutter: „Das Bauchkettchen ist magisch und feuerfest. Frag mich jetzt nicht, worin genau diese Magie besteht. Dafür bist du noch nicht alt genug.“
„Eines Tages werde ich es aber erben, ja?“
„Ja, mein Liebes“, bestätigte die Mutter. „Das Bauchkettchen ist abgesehen von irgendwelchem Krimskrams alles, was du erben wirst, und trotzdem zeigt sich darin eine hoheGunst des Königs. Schließlich bist du nur seine uneheliche Tochter.“
„Na, zumGlück stamme ich nicht von der Königin ab.Sie ist ein Tortentönnchen und ihr Erstgeborener einMöchtegernweltverbesserer.Zugegeben, er hat genug Gripsund Reflexe, um auszuweichen, wenn ich einen Ball nach ihm werfe – meistens jedenfalls. Seine Geschwister sind hingegen so lahmarschig …“
„Valeria, ich muss dich bitten!Kennst du deinen Platz nicht? Dein Vater kommt gleich. Husch hinaus.“
„Also gut“, erwiderte Valeria. Sie öffnete die edelsteingespickte Tür, als gerade ihr Vater ins Gemach wollte.
König Goldspitz I. hatte Kulleraugen, einen dunkelblonden Vollbart und kräftige Oberarme. Er war ein wenig beleibt, aber keineswegs dermaßen, dass er mit heruntergelassenen Samthosen nicht mehr seinen Wonnezapfen gesehen hätte.
Sowie er seine Tochter erblickte, sagte er allerdings tiefsinnig: „Ui. Wenn du schon da bist, dann bleib doch noch für einen Augenblick, meine Kleine. Eigentlich bist du schon recht großgewachsen. Lassen wir uns gemeinsam auf dem Balkon von der holden Abendglut betören!“
Schon nach einem Schritt ins Gemach bemerkte er angesichts seiner aufgebrezelten Geliebten jedoch dreimal tiefsinniger: „Ui, ui, ui!“
Er umschlang und küsste sie leidenschaftlich.
Wispernd erinnerte sie ihn: „Die Abendglut …“
„Oh ja.“
„Ja nee, unser Mädchen.“
„Ach so! Das Bumserchen muss warten“, räusperte sich der König wie ein Bernhardiner, der seine Schlabberzunge einrollt. Seine Geliebte entwand sich ihm sanft.
Solange eine Sache spannend ist, dachte Valeria, kann ich mich durchaus gedulden. Was aber soll an dem Panorama heute aufregender sein als an anderen Tagen? Na, vielleicht gibt’s eine Überraschung. Also ging sie mit ihrenEltern auf den Balkon.
Der König breitete seine Arme auf der Brüstung aus.Weinberge, Bächlein und der Ort Bimstadt erstreckten sich in der Dämmerung.
Über das Archeland wanderten außer der Sonne gleich zwei Monde, ein Tag- und ein Nachttrabant. Zu dieser Stunde blinkten sogar schon ein paar silberblaue Sterne.Genauer betrachtet wirkten die Himmelskörper heute irgendwie verhaltensauffällig.
Valeria hob den Zeigefinger.
„Zeichnest du gute und böseMonsterlein in den Himmel wie die Astrologen?“, lächelte der König.
Valerias Mutter wich dafürbesorgt von der Brüstung zurück. „Gezeichnete Monster bewegen sich normalerweise nicht. Seht doch, da fliegt ein ganzer Schwarm auf uns zu!“
Der König kniff mit den Augen und ballte die Faust. Ja, potztausend! Die Posaunenbläser trompeteten bei den Wehrtürmen auch schon alle Soldaten und Bogenschützen zusammen.
„Schnell!“, sagteder König. Er schob Valeria und ihreMutter wieder in das Zimmer, was insofern unnötig war, da sie sowieso hineingingen. An derTür ertönte einstrammes Klopfen, das bestimmt nicht vomHändchen einer Kammerzofe herrührte. Unverzüglich rief der König: „Herein!“
Der HauptmannTroy trat mit poliertem Helm und Kettenhemd durch die Tür. Er wurde von vier Soldaten begleitet, die jedoch an der Schwelle haltmachten, als wäreein Damenzimmer ein ähnlichesHindernis wie der Grenzübertritt in ein nymphenhaftes Reich.
„Eure Majestät, ich bedaure die Störung, aber der schwarze Drache Kruholurko ist mit seinen Schergen im Landeanflug!“, rapportierte Troy.
„Was muss ich mir unter ›Schergen‹ vorstellen?“
„Dämonen, möglicherweise auchGespenster aus dem Schattengebirge und solches Pack! Die Verteidigung des Schlosses dürfte brenzlig werden.“ Troy fasste unwillkürlich an sein umgegürtetes Schwert.
„Wo steckt Zippeldippeldi?“, fragte der König.
„So schnell konnten wir den Schlossmagier nicht finden.“
„Typisch!“ Der König stampfte hin und her. „Troy,bring mit deinem Trupp meine Geliebte und meine Tochter in Sicherheit!Ich will mir die größte Axt holen und in Harnisch geraten. Ein kühner König kämpft mit seinen Männern und verrammelt sich nicht, wenn Ihr versteht, was ich meine.“
„Jawohl, Eure Majestät!“
Valerias Mutter bangte um ihn und hätte gern eingewendet, dass es nicht kühn, sondern tollkühn sei, wenn er wie ein Unteroffizier sein Leben aufs Spiel setzte. Doch solche Worte geziemten sich nicht für sie. Ihre Tochter musterte die überwiegend ernsten Mienen und hatte das Gefühl, dass dieses Spektakel noch eine Menge Nervenkraft kosten würde.
Ein gebräunter Soldatenbursche aus dem niederen Landadel schmachtete Valeria nichtsdestoweniger an. Sie hatte mal gehört, dass andere zu ihm ›Protzchen‹ sagten. Wie er wirklich hieß, juckte Valeria nicht besonders. Er aber träumte davon, den Drachen für sie im Schwitzkasten zu erwürgen und die wunderschöne Maid ein paar Jährchen danach zu heiraten … oder bereits heute. In der Zwischenzeit preschte der König nach draußen.
„Meine Damen“, ordnete Troy an, „folgt mir und meinen Männern in den Keller!Dort ist das Gemäuer dick und kühl.“
„Dick und kühl schon“, bemängelte Valeria, „aber da sehe ich den Drachen doch gar nicht.“
Bevor ihre Mutter sie ermahnen konnte, erwiderte der Hauptmann: „Genau diese Begegnung wollen wirja vermeiden. Auch wenn ein Drache einen Namen trägt, so ist er noch lange kein Haustier, sondern ein ganz unerzogener Brutalo. Kommt jetzt!“
Ein unheilvolles Dröhnen ließ den Turm erzittern.
Als Valeria mit ihrer Mutter das Zimmer verließ, konnte Protzchen nicht mehr seinem Bedürfnis widerstehen, heldenhaft auszurufen: „Ich werde Euch mit meinem starken Arm beschützen, mein gnädiges Fräulein! Seht nur meinen Bizeps …“ Er versuchte seine Rüstung hochzukrempeln, was Valeria ziemlich dumm fand, da es schlichtweg unmöglich war.
Daraufhin schlug ihm Troy scheppernd gegen den Helm. „Disziplin, du Grünschnabel! Du wirst nie eine Dame für dich gewinnen, wenn du dümmer bist als sie.Was glaubst du mit deinem Bizepslein gegen Kruholurko ausrichten zu können? Er wird eine Frikadelle daraus machen.“
Jetzt war Protzchen beleidigt.
Sei’s drum!Bis die Damen mit den Männern in die Vorhalle kamen, herrschte draußen und drinnen ein Getümmel.
Der Trupp stieß auf die Königin, die wie ein überfütterter Wellensittich zwischen den Marmorsäulen herumwedelte. Sie und die schlanke Lieblingssklavin von Goldspitz I. ließen sich gar nicht miteinander vergleichen, so dass auch kein wirkliches Konkurrenzdenken entstehen konnte. Dennoch gingen sich die beiden Frauen für gewöhnlich aus dem Wege. Bei ihr befand sich in diesem Schicksalsmoment ihr erstgeborener Sohn, Friedolin. Obwohl er noch ein Milchgesicht hatte und Strumpfhosen trug, war er schon zwanzig Jahre alt. Auf Valeria wirkte der zimtbraune Topfhaarschnitt ihres Halbbruders so, als hätte der Gärtner ein Gewächs frisiert.
„Seid gegrüßt!“, sagte Friedolin mit eingebläuten Manieren wie auf einem lauten Maskenball, wenngleich nervös.
Troy erwiderte rasch den Gruß, bevor er sich an die Königin wandte. „Wo sind Eure anderen Söhne und Töchter?“
„W-weiß ich nicht, falls sie überhaupt von mir sind.“
Der Hauptmann war angesichts dieser Antwort überfordert, weshalb Valeria ihm beisprang und zur Königin sagte: „Verzeihung, aber wie kann es Euch entgangen sein, dass Ihr so und so oft schwanger wart?“
„Ach Gottchen, ja!Ich bin ganz durcheinander wegen dieses abscheulichen Krakauers. Was machen wir denn jetzt?“
„Da mir der König befohlen hat, Valeria und ihre Mutter in Sicherheit zu bringen, halte ich es für angeraten …“ Troy stockte kurz. „Ich halte es für angeraten, dass Ihr und Euer hochwohlgeborener Sohn in den Keller mitkommt.“
„In den KELLER? Mit IHR da?“, quietschte die Königinund zeigte auf die Geliebte im bauchfreien Fummel. „Sie gilt zwar als heiße Katze, aber in dem dreckigen Gewölbegibt es außer Mäusen bestimmt auch Krabbelspinnen.“
Troy hielt einen vorsichtigen Widerspruch nun doch fürnotwendig: „Meine Hoheit, wollt Ihr damit sagen, dass Ihr mehr Angst vor Krabbelspinnen habt als vor einem Drachen mit Feuerodem?“
Ein furchtbares Brüllen und Todesschreie erschollen. Irgendetwas polterte gegen das Schlosstor.
„Oje! Na dann in den Keller!“, rief die Königin.
Allerdings liefen noch mehrere Höflinge und ein Unteroffizier auf den Hauptmann zu.Er musste sich Meldungen, Fragen und Gejammer anhören. Gereizt erklärteer, dass er mit seinem Trupp nicht einen ganzen Hofstaatim Keller einquartieren könne, auch wenn es dort reichlichWein- und Bierfässer gebe. Der Unteroffizier sollte die Leute deshalb in den Wehrtürmen verstecken und mit Wetteinsätzen zum Drachenkampf ablenken, denn so etwas ergäbe stets ein verlässliches Stimmungsbarometer.
Endlich eilten Troy, seine Soldaten, die Königin, Friedolin und Valeria mit ihrerMutter zu denKellertreppen. Es gab sogar zweiUntergeschosse. Die Männer nahmen Fackeln aus den Wandhalterungen.
„Reicht der Feuerschein aus?“, fragte Protzchen und neigte sich zu Valeria.
„Mh-hm“, bejahte sie. Seine Frage bescherte ihr ein kurioses Gefühl, weil doch vorm Schloss der gewaltigste Feueranzünder der Welt wütete. Dann bemerkte sie, wie Friedolin sein Schwert quer vormKörper hielt: „Hey, essteckt noch in der Scheide.“
„Wie bitte? Ach ja, das ist volle Absicht“, erwiderte er. „Auf diese Weise kann ich in dem Durcheinander keinen Menschen versehentlich durchbohren.“
Valeria hätte gerne Schwertkampfunterricht bekommen, aber der König fand das unschicklich für Mädchen. Sie war sich trotzdem sicher, dass sie die Klinge mit mehr Talent und nicht wie einen Birnbaumstock halten würde.
„HUCH!“, gellte die Königin, weil sie auf der Treppe ausglitt. Die Soldaten wollten sie packen, aber teils hatten die Männer eben ihre Hände nicht frei und teils flutschtedie Hoheit einfach hindurch. Sie purzelte ähnlich einem großen Furzkissen alle Steinstufen hinunter und um die Ecke herum.
Ihr Sohn hielt betroffen ein Stückchen vom Ober- und immerhin nicht vom Unterkleid in den Fingern. Währenddessen rannten Troy und Valeria zur Königin, gefolgt vonden anderen. Glücklicherweise war sie gut gepolstert. Sie hatte ihren Kopf zwischen den Busen gerollt und sich mit viel Dusel nur blaue Flecken eingeheimst. Mit vereinten Kräften hob man sie wie einen Hefeteig hoch, und die Geliebte des Königs setzte der Gemahlin sogar wieder die heruntergefallene Krone aufs Haupt.
Inzwischen befand sich auch Friedolin im zweiten Untergeschoss. „Habt Ihr Euch arg weh getan, werte Mutter?Die jüngsten Ereignisse bereiten mir mehr und mehr Sorgen.“
„Ich glaube“, sagte die Königin und schaute sich desorientiert um, „ich war noch nie so sehr im Keller.“
Es roch nach Höhlenkäse, Sauerkrautkisten, Hopfen und Mief. In dem verwinkelten Gewölbe fand sich allerlei Zeug. Ungeachtet dessen drang der Schlachtenlärm sogar durch das Gemäuer und verjagte jegliches Kleintier. Außerdem schien es hier gar nicht so kühl zu sein, sondern sich irgendwie zu erwärmen.
Hm, ich halte das nach wie vor nicht für die pfiffigste Strategie, dachte Valeria. Halblaut sagte sie zum Hauptmann: „Ist es wirklich gut, unten zu sein, wenn von oben Feinde und Schutt hereinbrechen können?“
„Erstens gleicht dieser Keller einem Schutzbunker …“
„Was ist ein Bunker?“, fragte Valeria.
„Ein Ort, in den kein Schutt hereinbrechen kann.“
Sogleich bröckelten Staub und Steine von der Decke.
„Ähem“, machte ein Soldat.
Troy raunzte: „Wer hat hier ›ähem‹ gemacht?“
„Was ist denn mit zweitens?“, erkundigte sich Valeria.
Troy gestand sich ein, dass er ein bisschen aus dem Konzept geraten war. Er beäugte das Gewölbe und erwiderte schließlich: „Zweitens ist der Drache zu groß, als dass er die Treppe benutzen könnte. Was die Dämonen betrifft, so bin ich mir nicht ganz sicher, aber Gespenster nehmen ohnehin nie den herkömmlichen Weg.“
Jetzt schwebte eine weitere Frage im Raum. Die Antwort kam jedoch von selbst: Ein Gespenst mit dem Erscheinungsbild eines Leichenhemds, Glutaugen und einem schimmerndenSack rauschte durch die Mauer. Es grinste böse.
Alle erstarrten.
„BUHHH!“
Die Königin kreischte hysterisch.
Als ihr abermals die Krone herunterfiel, schnappte sich das Gespenst den Kopfschmuck und sackte ihn ein. Troyund seine Männer schlugen mit ihren Schwertern zu. Doch sie vermochten das Gespenst so wenig zu verwunden wie eine Nebelschwade. Es fuhr mitten durch einen breitnackigen Soldaten, der daraufhin mit Krämpfen auf dem Boden erstickte.
„Vermaledeiter Luftikus!“, beschimpfte Troy den Geist.
Valerias Mutter verbarg ihr Bauchkettchen unter dem hochgezogenen Rocksaum und fasste ihre Tochter am Arm. „Komm in dieEcke, wo der Knoblauch hängt! Das Gespenst hat es nur auf das Gold und die Wertgegenstände abgesehen.“
Tja, es war eine Tatsache, dass der Geist sämtliche Truhendeckel aufspringen ließ. Er sauste durchs Gewölbe, und sofern etwas schimmerte, klaute er’s.
Friedolin drückte sich gegen dieWand. Doch auf einmal riss eine Art Erdbeben einenSpalt ins Gemäuer, und der Erstgeborene bewies erschrocken, wie weit er springen konnte.
„Hier unten zu sein, ist nicht wirklich gut, wir müssen nach oben!“, stellte der Hauptmann fest.
Valeria verdrehte die Augen. Unabhängig davon mussten sie leider den toten Soldaten liegen lassen.
Sie schafften es allerdings nur eine Treppe hoch, weilihnen Rauch und Brandgeruch entgegenwallten. Unter einem Geröllhaufen lag eine weitere Leiche. Doch über ihn hinweg kroch ein Dämon, der einer riesigen Kaulquappe mit angelegten Flügeln ähnelte, um nicht zu sagen einem finsteren Spermium.
Als Troy und Protzchen zustachen, trafen sie zumindestauf Fleisch.Fürwahr! Das Vieh verreckte mit einem befriedigenden Quaken.
„Puh, und nun?“, japste die Königin.
„Hier lang!“, wies Troy in einen Seitenkorridor. „Es gibt in diesem ersten Untergeschoss eine Geheimtür.“
Valeria hoffte, dass ihr Vater draußen noch unversehrtwar. Ihre Mutter und Friedolin schoben ganz behutsam dieKönigin, damit sie nicht hinter die Gruppe zurückfiel.
Dann gelangten sie scheinbar in eine Sackgasse. Troy drückte an den Mauersteinen herum.
„Hier muss es doch sein“, murmelte er.
Kaum trat er mit gefrustetem Blick einen Schritt zurück, da war unerwartet ein Schaben zu hören. Die Mauer verschob und drehte sich.
Na so was! Wer stand da mit blauen Pantoffeln, weißem Bart und Schlafmütze? Er hielt seinen erleuchteten Zauberstab in der Hand.
„Zippeldippeldi!“, staunten alle zusammen.
Aus der Tasche seines Gewands lugte das Mundstück einer Flöte, weil er gerne für sich alleine magische Melodien pfiff. „Ja, was ist hier eigentlich los? Ich geruhe früh ins Bett zu gehen, aber dieses Tohuwabohu …“
Das Gespenst schwebte von unten herauf.
„BUUUH!“
Doch das beeindruckte denSchlossmagier nicht. Missbilligend schwenkte er seinen Stab, und sowie er den Geist berührte, knisterten Blitze. Die Umstehenden spürten das Spannungsfeld. Eine Weile lang schien das Gespenst zu grimassieren, und dann verpuffte es. Valeria hatte keine Ahnung, ob es jetzt mehr ›tot‹ als vorhin war, aber die gestohlenen Gegenstände klimperten ihnen vor die Füße, sonst nichts.
Erleichtert sagte Troy zu Zippeldippeldi: „Ich bin so froh, dass wir Euch gefunden haben!“
„Eher umgekehrt.“
„Wie auch immer, Kruholurko und seine Schergen attackieren das Schloss.“
„Aha, dieser psychopathischeDrache!“, erwiderte Zippeldippeldi. Er hob eine buschigeAugenbraue, murmelte etwas in der Sprache der Magie und versah jeden mit einemflirrenden Ganzkörperschild. „Ihr seid jetzt gegen Feuer geschützt, aber das heißt noch lange nicht, dass ihr völlig schadlos vor den Nasenlöchern des Drachen posierenkönnt, kapiert? Also los, wollen wir mal draußen nach dem Rechten sehen, bevor uns das Schloss auf die Köppe fällt!“
Er schlurfte den anderen voran durch die Geheimgänge.An einer Weggabelung hatten die Gruppe eine kleine Diskussion. Doch Zippeldippeldi war sich absolut sicher, dass links sein Schlafzimmer lag. Also rechtsum!
Sie quetschten die hechelnde Königin durch eine Luke hinter dem Schloss. Umso überraschter waren sie, dass dieSchlacht unter dem blutroten Firmament mittlerweile auchim Obstgarten tobte beziehungsweise in den Überresten davon, die an ein brutales Unternehmen der Feuerbestattung erinnerten. Überall Verkohlte und Verstümmelte! Kämpfende und Dämonen!
Kruholurko war in Wirklichkeit nicht ganz schwarz. Das ließ sich wieder mal dem fragwürdigen Verallgemeinerungsbedürfnis der Menschen zuschreiben, aber er hattezweifellos die Größe von drei Stockwerken. Dazu kamen mordsmäßige Schwingen undHörner, wie Valeria überwältigt erkennen musste. Sie sah ihn von der Seite und stand mit ihren Leuten nur sieben oder achtMeter entfernt.
Ein Bogenschütze auf den Zinnen holte ein kleineres Untier aus derLuft. Allerdings konnten weder die Pfeilspitzen noch einBündel Lanzen den Schuppenpanzer desDrachens vollständig durchdringen. Der König johlte einen Befehl. Wo war er überhaupt? Da hinten schlug er beidarmig mit seiner Axt auf den Drachenschwanz ein und bewirkte damit zumindest einen schmerzhaften, tiefen Kratzer.
Doch Kruholurko war trotz seiner Masse unglaublich schnell. Er hob seinen Schwanz und haute den König –PATSCH – zu Brei.
Goldspitz I. würde nicht wiederauferstehen.
„Nein!“, schrie seine Geliebte.
Valeria, Friedolin und Troy waren entsetzt.
Die Königin fiel in Ohnmacht.
Zippeldippeldi hingegen musste zwei überlästige Gespenster loswerden, weil das außer ihm niemand gekonnthätte. Gleichzeitig neigte der Drache seinen Kopf zu derneu angekommenen Gruppe und äußerte mit dröhnender Stimme: „INTERESSANT.“
Protzchen blickte noch einmal zuValeria und hielt seine Heldenstunde für gekommen.Ja, er sprang dem Drachen an die Gurgel. Wie ein Klammeräffchen hing eran dessen Hals, aber schon allein die Zacken an der Rückseite bereiteten dem Soldaten bei seinem Würgegriff einige Probleme. Kruholurko warf sich hin und her, hin und her. Letztendlich wurde Protzchen gegen eine Schlossmauer geschmettert, und ein Dämon mit einer fliegenden Schubkarre voller Gold rammte ihm seine Monsterfingernägel in die Halsschlagader. Welche Ironie des Schicksals!
Eine Amme drückte ein plärrendesKleinkind an sichund huschte um einen Trümmerbrocken herum, der von einem Wehrturm in den Stall gekracht war. Ihre karierteSchürze ließ Valeria an eine zerfetzte Tischdecke denken, aber das Bübchen hatte Ähnlichkeit mit ihrem Cousin. Oder war’s ihr jüngster Halbbruder?
Ruckzuck fraß Kruholurko die Königin!
Friedolin ließ in Schockstarre sein Schwert fallen.
Der Drache kaute den fetten Happen, schluckte und leckte sich mit der Zunge grummelnd über die Schnauze. Ringsum verstummte das Gefecht, bis Kruholurko seinGeschmacksurteil verkündete: „Von zu viel Speck und Mayo wird mir grundsätzlich übel.“
Er stieß einen Rülpser aus und spie unwillkürlich Feuer.Die Brunst traf genau Friedolin und Valeria, zum Teil auchdie Geliebte des verstorbenen Königs. Obwohl der Flammenschild das Schlimmste verhinderte, roch es nach angeschmortem Haar und Garn. Troy riss umgehend den Erstgeborenen und Valeria zur Seite.
Warum war eigentlich kein Soldat mehr neben ihm?Der Hauptmann konnte doch so weit rechnen, dass sein Trupp ursprünglich aus vier – mit ihm fünf – Soldaten bestanden hatte. Nur feige Hunde flohen.
Jedenfalls stand Valerias Mutter jetzt halbnackt vor Kruholurko, und ihr glitzerndes Bauchkettchen ließ sich kaumnoch verbergen. Der Drache fühlte sich davon buchstäblich magisch angezogen.
Er grapschte mit einer Vorderklaue danach. Weil aber seine Kralle so lang wie einSäbel war, schlitzte er dieFrau vom Schambein bis zurBrust auf. Ihr Blut sprudelte in Fontänen.
Noch bevor sie niedersank und starb, schrie Valeria den Drachen an: „Das wirst du elendige Riesensackratte bis in alle Ewigkeit büßen!“
Sie hatte sich bereits dem Hauptmann entwunden, Friedolins Schwert aufgehoben und aus der Scheide befreit. So fest sie konnte, schlug sie auf dieKlaue des Drachens ein. Er bemerkte es sogar, kniff einAuge zusammen und spähte das furchtlose Mädchen an.
Dann öffnete er sein gewaltiges Maul
„Na, na!“, rief Zippeldippeldi. Inzwischen hatte er die Gespenster erledigt. Auch wenn der Schlossmagier schusselig wirkte, war ihm gewiss nicht alles entgangen. Er stellte sich zwischen Valeria und Kruholurko. „Versuch doch mal mich zu fressen! Ich bin schön mager.“
Der Drache rümpfte die Nase und erwiderte: „Du bist trocken wie eine Dörrpflaume und knorpelig. Außerdem siehst du so alt aus, als würdest du sowieso bald sterben.“
„Wenn du Biss hast und nicht nur ein Mayoschleckerchen sein möchtest, dann sind das doch die besten Gründe, um mich zu verputzen“, grinste Zippeldippeldi.
Daraufhin schnaubte Kruholurko. „Ich bin misstrauisch, wenn Menschen mich frohgemut bitten, sie zu fressen.“
„Oh, ist der Herr Drache so empfindlich, ja?“
„Sei still!“
Stattdessen verlachte Zippeldippeldi den Drachen vorallen Zuschauern und führte mit seinen staksigen Beineneinen höhnischen Tanz auf. „Mayoschleckerchen! Mayoschleckerchen verträgt kein altes Männchen! Hat Angst vor Wicht und Fuchtel – ist nur 'ne große Schwuchtel …“