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Valeria die Dämonenjägerin E-Book

Tom Knocker

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Beschreibung

Ein Fürst bittet die kämpferische Blondine Valeria und ihren heißgeliebten Nekromanten um Hilfe, weil sich sowohl Bauern als auch Bildungsbürger in recht unkultivierte Zombies verwandeln. Das Land stöhnt unter Krankheiten, Wollust und Intrigen. Doch wer oder was steckt hinter der Dämonenseuche?

Valeria, der Nekromant und ein befreundeter Zwergenmönch brechen also zu Ermittlungen auf. Mit ihnen reist eine unheimlich schöne Elfe. Allerdings ahnen die Abenteurer nicht, welche irrwitzige Metzelei gegen Dämonen und Gespenster sie erwartet.

Tom Knocker ist ein Pseudonym von Thomas Neukum.

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Tom Knocker

VALERIA

Die Dämonenjägerin

Dark Fantasy Parodie II © 2024

Inhaltsverzeichnis

Karte

Vorbemerkung

Prolog

Fürst Helmyth

Schwarzer Toast

Wickbürgen

Der Olle Friedhof

Nachtstunde

Der Trockenblutacker

Ein gruseliger Bauernhof

Zwoggelhausen

Auf in den Mampf

Weit entfernt vom Burgfrieden

Dämonenbesuch

Großmütterlicher Rat

Der Tempel des Zorns

Ein Trickster

Der Feuergolem und noch mehr

Strafpredigt des Hohepriesters

Geheimschriften

Das Tal der Sünder

Erwachen

Der Pfefferpilzhain

Abriss

Hexentanz

Die Verwandlung

Ohne Schrei in der Bibliothek

Krisengespräch

Das Drachen-Ei

In die Muffelsümpfe

Goblins

Rasten oder Ausrasten

Ein Auge auf die Pforte

Die Schattenkluft

Täuschungen

Eine Pilgerschar

Stätte des Bösen

Ein höllischer Festakt

Techtelmechtel

Massaker

Die Bahre

Epilog

Nachbemerkung

 

Karte

Vorbemerkung

In dunklen Mittelalterwelten voller Fabelwesen zählte die Emanzipation eigentlich nicht zu den politischen Top-Themen. Weil aber die selbstbewusste Schwertkämpferin Valeria so gut angekommen ist, schreibe ich gerne mitHerzblut an Fortsetzungen. Kenntnisse des vorherigen Abenteuers werden für die Leser nicht notwendig sein,da wir seine Essenz an den erforderlichen Stellen wiederbeleben können.

Einerseits fürchtete ich, dass ich im ersten Teil die Genre-Grenze arg bis zum Knacken des Schambeins gedehnt hätte.Andererseits kann jeder vernunftbegabte Mensch solche Abenteuerlichkeiten wirklich nur als schwarzen Humor auffassen.

Wir wollen sehen, ob und wie ich meine Dark Fantasy Komödie zu steigern vermag. Auf jeden Fall habe ich in meinem Sack noch mehr als ein paar süße Schlappohrkaninchen.

Es ist verrückt, aber eine Blondine wie Valeria entfaltet die ganze Kraft ihrer Schönheit erst, wenn sie sich durch eine Horde von Dämonen metzeln muss. Also viel Spaß beim Lesen!

Prolog

Das kleine Haus des Schwarzmagiers auf dem Hügel erschien gar nicht mehr so schwarz, seitdem eine tapfere Dame es blütenweiß gestrichen hatte. Dadurch, dass Valeria bei ihm eingezogen war, tirilierten sogar die Lerchen und Meisen über einem grünen Garten mit Roter Beete.

Shadarzu, der für einen großen und schlanken Magierbreite Schultern besaß, hatte zudem nähereBekanntschaft mit einem Gestirn namens Sonne gemacht.Doch wo kämen wir hin, wenn nicht sein attraktives Antlitz im Grundton leichenblass und sein Haar rabenschwarz geblieben wäre?

Es wirkte schon frevlerisch genug, dass er draußen auf einem Bänkchen in einem uralten Folianten las und beim Umblättern die Vollkornbrösel wegwischen musste, dieer selber hineinkrümelte. Auf demUmschlag der Lederschwarte prangte ein Totenkopf.Dabei handelte es sichjedoch um keinenPiratenroman mit Geistern und Depp. Nein, es war ein Buch voller Runen über Nekromantie.

Dennoch musste Shadarzu wie gebannt aufblicken,weilValeria am Brunnen ihr blondes Wallehaar wusch und ihre Brüste begoss, als wären sie nicht schon groß genug. Sie trug ihr magisches Bauchkettchen. Dieses einzige Erbstück, das ihr als einer unehelichen Tochter des Königs und seiner Lieblingssklavin mit rankem Hüftschwung vergönnt war! Der untote Drache Kruholurko hatte es mal so zwischenzeitlich geraubt und Valerias Eltern ermordet.

Um in seinen Hort einzudringen, schreckte sie vor keinen Ungeheuerlichkeiten zurück. Wenn sie aber neben allerlei schrägen Gesellen nicht auch noch Shadarzu kennengelernt hätte, wäre der Sieg über die ranzige Drachenseele unmöglich gewesen. Allerdings fand die Schwertkämpferin es – nun ja – gewöhnungsbedürftig, dass ihr Nekromant damals zwanghaft diese Zombietussen gebumst hatte. Welch Glück für beide, dass der Zauber von Valerias Bauchkettchen darin bestand,die Triebe ihres erwählten Mannes zu binden und zu revitalisieren!

Kaum hatte sie am Brunnen eine Bluse und eine bequeme Lederhose angezogen, da erschien der Geist einesRitters. „Wohlan, meine Gnädigste!“, dröhnte er. „Ihrkönnt Euch das Kämmen sparen, da ich dies mit Schwerthieben übernehmen und mich heute revanchieren werde!“

Valeria seufzte und schnappte sich eine von ihren zweiWaffenscheiden. Ihr stählernes Kurzschwert konnte siegleich liegen lassen, weil sie damit nurLuft treffen würde. Dafür war ihr Langschwert namens Đämønenschlächŧer aus einerElfenschmiede gegen alle übernatürlichen Wesen bestens geeignet.

Bevor sie die Klinge jedoch zückte, sagte Valeria zu Shadarzu: „Hättest du meinen Trainingspartner nicht ein halbes Stündchen später beschwören können? Ich bin noch gar nicht aufgewärmt.“

„Wenn dir ein Werwolf einen hinterhältigen Knutschfleck verpassen will, kannst du auch nicht argumentieren, dass du dich noch ein bisschen aufwärmen musst“, entgegnete Shadarzu mit dem Hauch eines Schmunzelns.

Der Ritter hob seine Waffe. „Wahrhaftig, nicht jeder istfür ein hochgeistigesGespräch zu gewinnen. Vom Wortgefecht ist es nur eine Armeslänge bis zur Brachialgewalt!“

Somit klirrten die Klingen. Es war etwas unfair, dass der Geist einfach durch Gemäuer und Geäst hindurchgehen konnte, währendValeria springen musste. Trotzdem stakste der Ritter so breitbeinig, als hätte er eiserne Windeln an.

Die Schwertkämpferin ließ seinen Schild mit ihren Schlägen wie eine Geistertrommel scheppern.Sie hatte mehrmals die Chance, ihn mit ihrer sirrendenKlinge zu zerfetzen. Stattdessen führte sie das Tänzchen fort, weil es ihr allmählich Vergnügen machte.

„Na, wo bleibt denn nun mein neuer Haarschnitt?“, foppte sie den Ritter.

Er verfehlte sie erneut und wetterte: „Herrgottzack!“

Shadarzu ließ sich von diesem Schauspiel unterhalten, bis er den Geist mithilfe eines magischen Worts zum Verschwinden brachte – puff!

„He, ich bin gerade warmgeworden“, sagte Valeria mit wogendem Atem. „Was ist mit dir? Du hast doch schon genug studiert und willst nicht als Bücherfuzzi enden, der sich von seiner Freundin zusammenfalten lässt, oder?“

Shadarzu klappte hörbar den Folianten zu.

„Wie viele Klimmzüge hast du vorgestern geschafft?“, fragte sie ihn. Dabei griff sie nach seinem Arm. „Los, wir wollen sehen, ob du ausgeruht mehr hinbekommst als ich jetzt!“

Die Klimmzugstange war zwischen zwei Bäumen befestigt. Es galt als abgemacht, dass Valeria und Shadarzu die Bewegung jedes Mal bis ganz nach oben, aber auch ganz nach unten ausführen mussten. So bei der zwanzigsten Wiederholung nahmen Kraft und Schnelligkeit im selben Maße ab, wie das Gestöhne zunahm.

Plötzlich schwang sich Valeria zu Shadarzu hinüber. Sie umklammerte ihn und hing sich mit ihrem gesamten Gewicht an ihn ran.

„Was machst du denn?“, ächzte er.

„Fordern und fördern.“

Shadarzu ließ los, und beide rauschten zu Boden. Da sie jedoch recht geschickt kullerten, mussteValeria laut lachen.

Dann bekamen sie Besuch.

Eine wunderschöne Hochlandelfe mit feinen Wildlederstiefeln und Ebenholzbogen näherte sich schüchtern, aber irgendwie entschlossen. Auf jeden Fall passte ihr Begleiterüberhaupt nicht zu ihr.

Er ähnelte einem sonnengebräunten, kahlköpfigen undvor allem muskulösenKlotz von nur einem Meter sechzig oder noch weniger. Außerdem trug er eine mordsmäßige Axt, einen Gürtel voller Messer, einen Brustpanzer mit Schulterriemen und eine wahre Schnitzkunst an Narben auf seiner Haut.

Valeria stellte sich kampfbereit hin.Da Shadarzu zur Hälfte ein Mensch und zur Hälfte ein Elf war, erkannteer hingegen die Bogenschützin rasch. Bei genauerer Betrachtung wirkte auch die Haltung des Fremden an ihrer Seite nicht feindselig.

„Das ist doch Avelors Tochter,Lyriell“, sagte Shadarzu.

Valeria war verblüfft. „Was sucht sie denn hier mit einem so abgedrehten Typen?“

Es sprach sich schon imArcheland herum, dass Avelor dem Nekromanten und der Schwertkämpferin ein Boot gegeben hatte, um den berüchtigten Schlampampenfluss zu überqueren. Wie könnten wir dieses brutale Spaßbad vergessen?Das war erst ein Jahr her und Lyriell damals um die neunzehn. Als Gegenleistung für das Boot sollten Valeria und Shadarzu dieTochter von Avelor erretten. Sie wurde ja von einem Schönling bezaubert, einem Illusionisten. In Wirklichkeit war er allerdings ein potthässlicher Dämon, weshalb der Nekromant und die Schwertkämpferin ihn eben kaltmachen mussten.

„Lyriell! Hallo“, grüßte Shadarzu die Hochlandelfe.

„Hallo, wie gut, dass ich euch hier antreffe!“

„Ist das dein neuer Charmeur?“, fragte Valeria.

Shadarzu rügte sie mit einem Knuff.

„Das … ist ein weitgereisterGesandter“, sagte Lyriell.

Valeria hob eine Augenbraue und duzte den Typen gleichwohl ungezwungen: „Für einen Gesandten siehst du ganz schön barbarisch aus.“

„Ich bin genau genommen ein Gladiator und wurde deshalb losgeschickt, weil man die Überlebenschancen der anderen auf einem langen Weg durchs Archeland für geringer hielt“, erklärte er. „Man nennt mich den Murk.“

„Den Murk?“, wunderte sich sogar Shadarzu.

„Wie mein richtiger Name lautet, weiß ich nicht. Ich bin in blutjungen Jahren verschleppt worden und wegen meiner Herkunft als Halbzwerg ein Außenseiter geblieben.“

„Ach, noch so ein Unikat“, sagte Valeria wohlwollend. Ihrer Einschätzung nach musste sein menschlicher Elternteil sogar von hohem Wuchs gewesen sein. „Was bedeutet denn nun dein Spitzname?“

„Na ja, ich bin nicht in den Genuss der besten Bildungseinrichtung gekommen, aber ich habe es mir erläutern lassen. ›Murk‹ ist ein altes Wort für ›Brocken‹. Die Verniedlichungsform ›Murkel‹ bedeutet demgemäß ›Bröckchen‹ oder ›Knirps‹. So klein bin ich aber keineswegs! Egal, wer etwas zerbricht, der ›murkelt‹ oder ›murkst‹. Trotz aller Bescheidenheit zähle ich zu den siegreichstenGladiatoren und hörte öfter als jeder andere den begeisterten Zuruf: MURKS SIE AB!“

„Na, wenn das nicht nett klingt“, kommentierte Valeria.

„Lasst uns doch reingehen und etwas trinken“, bot Shadarzu an. Er blickte zu dem Murk. „Mich würde es wirklich interessieren, wer dich von wo geschickt hat.“

Im Häuschen gab es nur einSchlaf- und ein Wohnzimmer mit verrußtem Kaminofen.Die zwei Herdplatten bildeten neben einem hellenGeschirrschrank aus Birkenholz sozusagen die gesamte Einbauküche.

Davon abgesehen gab es natürlich Bücherregale mit haarsträubender Fachliteratur. Valeria hatte einmal versucht, sich durch das ›Bestiarium magica‹ zu quälen, aber die Lektüre grenzte an Masochismus. Liebesromane über Vampirromanzen fand sie hingegen kitschig.

Im Grunde hielt Valeria gerne alles schlicht und einfach. Auf dem Tisch stand ein Blumensträußchen.

Während die Gäste Platz nahmen, brühte sieBratapfel- und Pfefferminztee auf. Der kraftstrotzende Halbzwerg hatte einen Riesenhunger, so dass Shadarzu ihm die ganzeKeksdose hinstellte. Daraufhin bedankte sich der Murk vielmals. Ja, er bewies, dass er sich noch besser als der Nekromant auf das Bröckeln verstand.

„Mmh, also“, berichtete der Murk, „ich komme im Auftrag von Fürst Helmyth. Er hat viel von euch beiden gehört, aber ihr vermutlich nicht von ihm. Die Hauptstadt seines Fürstentums Mythostan heißt Wickbürgen. Leider ist über die ganze Region eine Dämonenseuche hereingebrochen.“

Valeria wollte soeben von ihrem Tee trinken, aber sie hielt unwillkürlich inne. Da Shadarzu keinen Ton der Überraschung äußerte, übernahm sie das in einem handlichen Satz: „Was für eine Dämonenseuche?“

„Eben darin besteht das verflixte Rätsel! Sie kommenwie aus dem Nichts, bringen grauenerregende Krankheitenund Missernten. Das Soldatenheer ist nahezu machtlos und die Bevölkerung verzweifelt“, erzählte der Murk. „Weil jedoch eure Heldentaten im Kampf gegen den Drachenund verschiedene Dämonen besungen werden, erbittet Fürst Helmyth eureHilfe. Ihr kennt euch aus, nicht wahr? Er würde euch selbstverständlich auch bezahlen.“

„Man kann durchaus sagen, dass wir uns auskennen, ja“, erwiderte der Nekromant. „Ungeachtet all meiner Ahnungen würde ich aber noch gerne hören, warum eigentlich Lyriell bei dir ist.“

Die Hochlandelfe war sehr feinfühlig. Als sie zu erzählen begann, vermied sie den Ausdruck ›der Murk‹, da ihr diese Betitelung irgendwie diskriminierend vorkam. „Seingewundener Pfad führte ihn durch unser Elfendorf, das eben als Ort am Fluss ein Dreh- und Angelpunkt ist. Dort zog er natürlich so einige Blicke auf sich und fragte nach dem Weg zu euch. Ich sagte, dass ich ihm helfen und überhaupt bei der Sache dabei sein möchte. Doch ihr kennt ja meinen Vater! Er würde mich am liebsten wie eine Porzellanfee in die Vitrine stellen. Zugegebenermaßen ist es ihm gelungen, mich einen Moment lang zu verunsichern. Indem er seine Vorurteile zusammenzählte, rechnete er mir vor, wie oft mich so ein Halbzwerg unterwegs vergewaltigen würde.“

„Was?“, entfuhr es dem Murk. „Ich bin dafür ausgebildet, dass ich Schweinigel niederringe und den Applaus der Damen bekomme, nicht umgekehrt.“

„Ich musste auch lange mit meinem Vater diskutieren und möchte mich bei dir entschuldigen, dass ich es überhaupt erwähnt habe“, erwiderte Lyriell. Sie trank einen Schluck, ehe sie zu Valeria und Shadarzu sagte: „Ihr erinnert euch bestimmt an das, was mir mein Vater versprochen hat? Er stellte mir in Aussicht, dass ich euch beim nächsten Abenteuer begleiten darf,wenn ich fleißig meine Fertigkeiten und das Bogenschießen übe. Nun, ich habe geübt und möchte frei sein. Was meint ihr dazu?“

Frei sein auf einer Wallfahrt zu Tod und Teufel, dachteValeria ironisch.Das klingt für mich noch immer naiv, aber was soll’s! Mir ist auch langweilig.

Laut oder zumindest gut vernehmbar wandte sie sich an Shadarzu: „Wir wollen uns eine Forschungsreise auf dem Gebiet der Dämonologie nicht entgehen lassen und können dabei eine Bogenschützin gebrauchen, stimmt’s?“

„Stimmt“, bestätigte er. „Ich frage mich nur, ob wirauch noch unseren alten Kumpel benachrichtigen sollen. Olof hat uns gebeten, ihm Bescheid zu sagen, falls das Böse wieder ein kräftiges Heilbad benötigt.“

Der Murk krümelte am letzten Keks und vergewisserte sich bei dem Nekromanten: „Dieser Olof ist …?“

„Ein Zwergenmönch mit Heilkräften und Streithammer.“

„So jemand wäre wunderbar nützlich“, sagte der Murk.

Valeria erhob sich voller Zustimmung. „Na, dann lasst uns die Rücksäcke packen!“

Fürst Helmyth

Graue Wolken raubten das Sonnenlicht und bildeten Gespensterfratzen über der Region Mythostan. Inder Stadt Wickbürgen waren die Häuser zwar aus Steinquadern mit Massivholztüren erbaut, aber so manche Fenster zugenagelt. Schwarzgelbe Rinnsale und Schmeißfliegen empfingen die Abenteurer auf der Pflasterstraße.

Olof war noch einen Kopf kleiner als der Murk, jedochgenauso breit. DerZwergenmönch trug eine blaue Kutte unter seinem Plattenpanzer, einen bräunlichen Bart mit Silbersträhnen und eine Wasserkelle am Gürtel. Klar, immerhin betete er zu Okeanos. Der urgewaltige und doch heilsame Gott des Wassers war nach Olofs Überzeugung zugleich derVater von allem Leben. Angesichtsdes schweren Hammers in der Hand desZwerges durfte man ihm glauben, dass er mit einigen Begabungen gesegnet war.

„Ich weiß aus Erfahrung, dass Handwerker und Dämonen immer den größten Dreck hinterlassen. Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied“, sagte Olof. „Handwerkersind produktiv und Dämonen destruktiv.“

Valeria, Shadarzu und Lyriell konnten dieser Analysenur zustimmen. DerMurk ging stets einen Schritt voraus und zeigte über die Häuserdächer hinweg zum Schloss auf dem Stadthügel. Allerdings hatte es so wenig Pomp, dass es eher wie eine Burg aussah.

Mit gutem Grund hielt Lyriell einen Pfeil an ihre Bogensehne. Ein Gegrunze und Geschlurfe kündigte etwasUnmenschliches an. Was dann jedoch hinter einer Ecke auftauchte, das waren keine Dämonen im engeren Sinne,sondern eine Bagage zerfledderter Zombies.

„UAAAHR!“ Diese unsensibleBegrüßung zeigte wieder mal deutlich eine Verrohung und einen Verlust an Kultur, aber sie war unter Zombies landesübergreifend dieselbe. Ihrem fauligen, lauten Mundwerk zufolge gingen sie auch nicht zu einem Zahnarzt.

Obwohl Lyriell erschauderte, bohrte sich ihr Pfeil zielgenau durch ein milchiges Auge in ein Schrumpelhirn. Gleich danach wandte sie selber ihren Blick ab. Denn Valeria und der Murk hackten die Zombies so schnell in Einzelteile, dass weder für Shadarzu noch für Olof etwas zu tun übrigblieb.

Tja, das war ein Anlass für einen ernsten Plausch.

Dann gingen die Abenteurer mit dem Murk weiter biszum Schlosstor. Ein Gardist mit Silberhandschuhen, Helm und Äderchen auf der Nase unterdrückte beim Gruß nahezu alle Gefühlswallungen.

Dafür sagte der Murk nicht ohne Stolz: „Ich bringe hiermit die Schwertkämpferin Valeria und ihre Gefährten!“

„Das lässt sich hören.Unser Fürst wartet bereits voller Ungeduld“, erwiderte der Gardist.

Somit geleitete er die Gruppe durch eine Vorhalle mit schmucklosen, dunklenMarmorsäulen. Diesmal schritt der Murk hinter den anderen her und griff nach einerKaraffe auf einer Ablage, um geschwind seinen Durst zu stillen.

Endlich betraten jedoch allesamt den Thronsaal.

„Welch eine Erleichterung!Willkommen, meine heldenhaften Freunde“, erklang die Stimme des Fürsten.

Valeria flüsterte Shadarzu ins Ohr: „So schnell habe ichnoch nie Freundschaften geschlossen, und du wahrscheinlich erst recht nicht.“

Fürst Helmyth erhob sich aus einem metallenen Samtsessel und drückte mit seiner Körperhaltung eine solche Dankbarkeit aus, dass die formellen Ehrbezeigungen weitgehend nichtig wurden. Irgendwie hatte Valeria ihn sich anders vorgestellt. Er trug einen auberginefarbenen Mantel und ein weißes Hemd mit Stehkragen. Einst schimmerten seine Koteletten zweifellos wie Bitterschokolade, aber jetzt ergrauten sie. Seine Wangen wirkten hohl, seine Stirnfalten kummergezeichnet und seine Augen stechend blau.

Doch in der hier abgekürzt geschilderten Begrüßung waren noch zwei wichtige Personen enthalten.

Links vom Fürsten stand eine zierliche Dame, diemucksmäuschenstill vor den Abenteurern knickste. Ihr Seidenkleid war vorne hochgeschlossen, wenngleich rückenfrei. Besonders auffallend erschien ihre lange Halskette, an der ein goldenes Schreibtäfelchen baumelte.

„Das ist meine bibliophile Geliebte, Freya“, sagte der Fürst mit aller Empfindsamkeit freiheraus. „Ich persönlich kenne niemanden, der sich besser auf das Bücher- und Lippenlesen versteht als sie. Freya ist taubstumm.“

Ob diese Wirkung nun beabsichtigt war oder nicht – es machte alle betroffen. Am meisten wurde Lyriell vom Mitgefühl gepackt.

Rechts vom Fürsten befand sich hingegen ein Wuschelkopf mit einer kunterbunten Adelstracht und spitzen Galoschen. Er brachte es auf widersprüchliche Weise fertig, sich schlau am Kinn zu reiben und gleichzeitig blöde zu grimassieren.

„Und das ist Xhafer. Betrachtet ihn als meinen Hofzauberer und Hofnarr in einer Person! Er benutzt gerne– wie soll ich sagen – versalzene Reime“, meinte der Fürst.

„O das Leben wäre zu öde und hart,

Wenn immer nur das Schicksal uns narrt,

Aber wir nicht mit gewichsten Witzen

Die Teufelchen triezen und kitzeln.“

Shadarzu konnte über diese Sprüche nicht lachen und hättedarauf gewettet, dass Xhafer kein Schwarzmagier war. Rote und Weiße Magie schien ebenso wenig zu passen. Vermutlich war dieser Hofzauberer einfach ein Mensch, der sich aus mehreren Flachs- und Fachgebieten etwaszusammenklaubte. Er mochte Mitte dreißig sein und konnte folglich nicht dieselbe Übung haben wie Shadarzu, der als Halb-Elf mit hundertzwanzigJahren im besten Mannesalter war. Doch solange er Xhafer nicht genauer kannte,hütete sich der Nekromant davor, ihn zu unterschätzen.

Was wusste die Allgemeinheit über den Hofzauberer?Sein Vater war einMelancholiker und Berater von Helmyth, starb jedoch im Exil.Nach einem äußeren wie auch inneren Ringen hatte der Fürst ihn aufgrund von angeblichen und nimmer zu klärenden Intrigen höchstpersönlich des Landes verwiesen. Das Verhältnis von Xhafer zu seinemVater galt aber nie als herzlich. Laut Gerüchten soll der Alte im Exil sowieso noch drei prächtige Waschweiber geheiratet und als Dudelsackspieler gestorben sein.

Ob das stimmte, könnten alleine die Geister bejahen oder verneinen. Shadarzu würde sie noch befragen. Dochsoviel wusste er längst, dass die Geister auch nicht für juristische und physikalische Faktentreue bekannt waren.

Olof und Valeria hingen ähnlichen Gedanken nach, bis der Fürst sagte: „Ja, es ist eine dunkleZeit. Doch ich bin froh, dass ihr die gefährliche Reise …“

Urplötzlich brach der Murk zusammen.

Freyas Mund öffnete sich in stummer Bestürzung. Olof kniete sich jedoch rasch nieder, untersuchte den Murk und tastete nach seinem Puls.

„Er … ist tot.“

„Verflucht!“, ärgerte sich Fürst Helmyth. „Einen besseren Gesandten und Gladiator werde ich nie mehr finden. Er hat es immerhin bis zu euch und zurückgeschafft.“

In jeder Ecke des Thronsaals verharrte eine Schlosswache mit hin und her huschenden Augen. Der Gardist war ebenfalls noch anwesend und wartete auf Befehle vom Fürsten.

„Schafft den Leichnam weg, aber vergrabt ihn nicht! Ihr müsst ihn umgehend einäschern.“

„Jawohl, Eure Durchlaucht!“, erwiderte der Gardist. Sofort packte er den totenMurk an den Füßen, um ihn mit zwei Schlosswachen aus dem Thronsaal zu tragen.

Valeria räusperte sich. „Geht das nicht ein bisschen flott? Wir wissen doch noch gar nicht, woran er gestorben ist.“

„In der Tat muss euch das alles noch sonderbarer vorkommen als mir“, sagte der Fürst. „DieDämonen erscheinen hier nur in der Nacht. Wenn sie dieBewohner heimsuchen und ihnen diese verdammte Seuche einhauchen, dann verläuft die Krankheit schnell tödlich. Doch die Toten stehen genauso schnell wieder als Zombies auf. So oft sie einen Menschen vollgeifern oder kratzen, stecken sie ihn wiederum an. Versteht ihr? Also Vorsicht!“

Diejenigen Zombies, die vorhin den Abenteurern begegnet waren, würden bestimmt nicht wieder herumlaufen. Trotzdem schien die ganze Obskurität teilweise nicht zusammenzupassen. Der Nekromant konnte sich denken,warum der Fürst den Murk nicht zerhacken, aber verbrennen ließ.

Valeria zog es vor, einfach durch blöde Fragen klug zu werden: „Ehrlich gesagt, habe ich es noch nicht verstanden. Die Dämonen verwandeln also die Bewohner in Zombies – so weit, so gut beziehungsweise schlecht. Aber ist denn schon Nacht? Wenn soeben ein Dämon hier war, muss er sehr klein oder sehr unsichtbar gewesen sein.“

„Hier war kein Dämon“, raunte Shadarzu.

Olof meinte: „Wie ein Herzkasper sah dieser Unglücksfall aber auch nicht aus.“

„Genau das beunruhigt mich so furchtbar“, erwiderte Fürst Helmyth. Er schritt hin und her. Dabei wurde der Klang seiner Stiefelabsätze mal vom Steinboden verstärkt, mal vom Teppich verschluckt. „Jeden Tag geschieht eine neue Teufelei! Auch wenn das Schicksal vom Murk sehr befremdlich und bedauerlich ist, so will ich doch die Risiken möglichst gering halten. Auf dem OllenFriedhof spuken schon genug Recken undOger aus der dichtgemachten Arena herum.“

Xhafer betonte:

„Wer will noch teure Kämpfe buchen,

Wenn die Dämonen ihn kostenlos besuchen?“

„Niemand“, sagte der Fürst nachdrücklich. „Alles ist im Verfall begriffen. Oll, so nennen die Leute den alten Friedhof, obwohl es den neuen mit den ganzen Urnengräbern noch gar nicht lange gibt.Die Halbwertszeiten sind mittlerweile sehr kurzsterbig. Übrigens versuchten ein paar Amateure, den Ollen Friedhof zu säubern, aber ichbräuchte Leute, die so etwas professionell machen.“

Valeria zuckte mit den Schultern. „Klar, sofern es sein muss, werden wir alles niedermetzeln.Vielleicht solltenwir vorher aber noch ein paar rein theoretische Sachen erfahren, oder?“

Der Fürst hatte sich tatsächlich allerlei von der Seele zu reden, und mit seinen Schritten wurden auch seine Gedanken angeregt. „Ja, es wirkt ominös, wie einerseits der Fluss im Süden versumpft und andererseits die Felder im Norden verdorren. Meine nimmer feuchte Ehegattin ist auch schon dahingeschieden.“

„Aha“, sagte Valeria so halb trocken.

Dafür bemerkte sie mit einem Seitenblick, dass Shadarzu schmunzelte. Lyriell machte eher einen verlegenen Eindruck. Ob Freya sämtliche Worte ihres Fürsten bei dessen Wanderschaft durch den Thronsaal von seinen Lippen ablesen konnte, war allerdings schwer zu sagen.

„Meine Geliebte verbrachte jedenfalls unzählige Stunden in der Bibliothek, um Schutzrunen gegen Dämonen und Geister zu studieren.Wir beide haben uns die Symbole gegenseitig auf die Haut tätowiert“, erzählte Helmyth.

Hierüber wunderte sich Shadarzu: „DieseFormeln bestehen doch aus Hunderten von komplizierten Zeichen.“

„Dreh dich bitte mal um, Freya“, sagte der Fürst.

Ihr Kleid hatte hinten auch noch einen Beinschlitz, und dadurch konnte man das ganze Ausmaß ihrer magischen Verzierung oder Verunzierung erahnen, je nach Betrachtungsweise: Sie war von der Wade bis zum hochgesteckten Haar im Nacken voll mit Tätowierungen!

„Ob sie und er auch vorne so aussehen?“, sagte Valeria halblaut zu Shadarzu. IhrerAnsicht nach war das höflicher, als zu tuscheln oder den Fürsten plump zu fragen.

„Ja“, antwortete Helmyth. „Für die Runen über ihrem Herzen am Busen habe ich aber wirklich schöne Farben verwendet. Wie ihr euch denken könnt, wollte ich diesen Ritus niemand anderem überlassen.Xhafer versteht sichvornehmlich auf Zweideutigkeiten in Reimpaaren, Geistesblitze sowie Blitzmagie, Jahrmarkttricks und Glaskästen mit durchgesägten Jungfrauen.“

Während sich Freya wieder umdrehte, hielt der Hofzauberer in zwei Versen seine kleine Verteidigungsrede:

„Eine Dame wird von guten Männern nur zerteilt,

Wenn sie reizend lächelt und nicht schreit.“

Der Fürst war in einem schrägen Blickwinkel stehen geblieben, wobei er eine abwinkende Handbewegung machte. Schließlich sagte er zu den Abenteurern: „Für heute haben wir genug geredet. Ihr seid nach eurer anstrengenden Reise bestimmt müde, nicht wahr? Meine Diener werden euch auf die Gemächer bringen, die für euch reserviert sind.“

Shadarzu hatte einmal zu Valeria gesagt, dass der Begriff ›normal‹ nur fabriziert werde, indem man alle interessanten und spannenden Unterschiede aus der Realität wegdenke. Wie herrlich also, dass sie in völlig abnorme Verhältnisse geraten waren!

Bevor die Gefährten den Thronsaal verließen, schrieb Freya noch etwas auf ihr goldenes Täfelchen. Es wirkte so schlicht, so nichtssagend und dennoch unter diesen Umständen sehr denkwürdig: Gute Nacht.

 

Schwarzer Toast

Die Bettdecke war verrutscht und entblößte sowohl das Bauchkettchen als auch einen angewinkelten Schenkel derSchwertkämpferin.Shadarzu lag wach auf dem Rücken, aber Valeria hatte ihrKnie im Schlaf seitwärts über seine Hüften gezogen und reckte sich nun.

Für die Dauer eines Wimpernschlags war sie angesichts der edelgrauen Vorhänge mit Brokatbordüren verwirrt. Schummerig drang die Morgenstimmung hindurch und tauchte das Mobiliar in safranbräunliche Schatten. Dann fiel Valeria alles wieder ein.

„Ach ja“, sagte sie und stützte sich auf einen Ellbogen. „Wir sind in Wickbürgen, um Zombies und Dämonen zujagen.Es sieht zumindest mal nicht so aus, als hätte jemand Drittes zwischen uns gelegen.“

„Nein, ich habe schließlich unser Doppelzimmer ebenso wie die Einzelzimmer von Lyriell und Olof mit Schutzzaubern versehen“, erwiderte Shadarzu. Er küsste Valeria und stand auf. „Solange wir aber die mysteriösen Mächte hier nicht genau kennen, sollten wir lieber alle in einem Raum schlafen.“

„Zu viert? Mit einem schnarchenden Mönch und einer schüchternenElfe? Na, das wird ein göttlicher Spaß“, stöhnte Valeria.

Shadarzu holte einen dunklen Umhang aus dem Gepäck und spöttelte: „Schön, dass du dich so freust!“