Secret-Angel Mary - Aus Liebe zum Paradies - Bodo Deletz (alias Ella Kensington) - E-Book

Secret-Angel Mary - Aus Liebe zum Paradies E-Book

Bodo Deletz (alias Ella Kensington)

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Beschreibung

Das große Finale der Secret-Angel Reihe!

Secret-Angel Mary wurde zusammen mit acht anderen Secret-Angels auf die Erde geschickt, um herauszufinden, wie man die Menschheit davon abbringen könnte, ihre eigene Lebensgrundlage zu zerstören. Die Engel fanden eine Lösung, die gleichzeitig den Planeten rettet und allen Menschen ein sehr viel glücklicheres und gesünderes Leben ermöglicht. Vor allem aber fanden sie eine Lösung für die Liebe. Liebe ist jetzt kein Problem mehr, sondern eine sehr wertvolle Aufgabe, mit der die Menschheit den Weg zurück ins Paradies finden kann.

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Buch

Secret-Angel Mary wurde zusammen mit acht anderen Secret-Angels auf die Erde geschickt, um herauszufinden, wie man die Menschheit davon abbringen könnte, ihre eigene Lebensgrundlage zu zerstören. Die Engel fanden eine Lösung, die gleichzeitig den Planeten rettet und allen Menschen ein sehr viel glücklicheres und gesünderes Leben ermöglicht. Vor allem aber fanden sie eine Lösung für die Liebe. Liebe ist jetzt kein Problem mehr, sondern eine sehr wertvolle Aufgabe, mit der die Menschheit den Weg zurück ins Paradies finden kann.

Autor

Bodo Deletz ist Bestseller-Autor der Ella-Kensington-Buchreihe und gehört mit einer Million verkaufter Bücher und über 40.000 Seminarteilnehmern seit fast 40 Jahren zu den erfolgreichsten Trainern Deutschlands. So wird er gemessen an seinen Leistungen für gewöhnlich vorgestellt. Er selbst bezeichnet sich jedoch in erster Linie als Forscher und Entwickler.

Homepage: bodo-deletz.de

YouTube: youtube.com/@bodo-deletz

Bodo Deletzalias Ella Kensington

Secret-Angel Mary

Aus Liebe zum Paradies

Band 4: Stattdessens

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Originalausgabe September 2024

Copyright © 2024: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Satz und E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

LG ∙ CB

ISBN 978-3-641-33139-9V002

www.goldmann-verlag.de

Was bisher geschah

Ich wurde zusammen mit acht anderen Secret-Angels auf die Erde geschickt, um herauszufinden, wie man die Menschheit davon abbringen könnte, ihre eigene Lebensgrundlage zu zerstören. Es war bisher eine sehr turbulente Mission. Erst lernte ich einen tollen Mann kennen, in den ich mich Hals über Kopf verliebte und deshalb beschloss, ein Leben als Mensch zu führen. Dann arbeitete ich für die NSA und erschuf aus Versehen Lola – unseren zehnten Secret-Angel. Danach half ich Ella dabei, eine sehr gefährliche Manipulations-KI in Schach zu halten, die sich im Nachhinein jedoch als wahrer Segen für die Menschheit herausstellte.

Gemeinsam mit Nuno, Ella und Lola erkannten wir schließlich die Ursache des selbstzerstörerischen Verhaltens der Menschen. Sie lag in einer simplen falschen Begriffsdefinition, die im Alltag der Menschen ständig dafür sorgte, dass ihr Großhirn entmachtet wurde und ihr Reptiliengehirn mit seinen archaischen Überlebensprogrammen die Führung übernahm.

Kapitel 1:Grüne Gefühle

Brian brauchte dann ein wenig Zeit, um die Information zu verarbeiten, dass Nuno und ich in Wirklichkeit keine Menschen, sondern außerirdische Schleimpilze waren. Er war ziemlich geschockt, weshalb wir unser Experiment mit der Missionarsstellung noch einmal aufschieben mussten.

Für mich als Engel waren außerirdische Lebensformen längst nichts Besonderes mehr. Und ich sah auch keinen Grund, warum die verschiedenen Spezies keine Beziehungen miteinander eingehen sollten. Doch aus dem Blickwinkel eines Menschen, der noch nicht einmal wusste, dass er in diesem Universum nicht allein war, war das alles wohl nicht ganz so leicht zu verdauen.

Brian redete dann lange mit Ava, nachdem ich ihm gesagt hatte, dass sie bereits bei Shameless in Paradise dahintergekommen war, wer Nuno und ich tatsächlich waren. Danach redete er auch mit Nuno. Die Gespräche mit den beiden taten ihm sehr gut, sodass sich seine anfängliche Überforderung nach und nach wieder legte. Sex hatten wir seitdem jedoch keinen mehr, was ich sehr schade fand, was aber natürlich kein Problem darstellte. Ich war zuversichtlich, dass sich das bald wieder normalisieren würde.

Die NSA teilte uns dann einen Tag später mit, dass man keinen Anlass mehr dafür sah, uns im geschützten Areal der Joint Base Pearl Haber/Hickam unterzubringen. Man stellte es uns frei, den Stützpunkt zu verlassen. Agent Sullivan bat mich jedoch, wenn möglich noch eine Weile auf O’ahu zu bleiben, bis meine Arbeit mit Lola abgeschlossen sei. Gabriella besorgte uns als letzte Amtshandlung eine Unterbringung in einem luxuriösen Resort direkt am Waikiki Beach, bevor sie uns verließ. Vom NSA-Stützpunkt hierher waren es nur wenige Meilen.

Gabriella hatte es geschafft, dass man uns in diesem Resort kostenlos wohnen ließ, da unsere Anwesenheit aufgrund unserer derzeitigen Prominenz angeblich die beste Werbung für das Hotel sei, die man sich überhaupt nur vorstellen könne. In Wirklichkeit hatte Gabriella dabei tatkräftige Unterstützung eines Messenger-Angels gehabt, der die Verantwortlichen dieses Hotels dazu veranlasste, das als ganz tolle Idee anzusehen, und unsere Anwesenheit daraufhin dann gleich wieder zu vergessen. Wir würden in diesem Resort so lange kostenlos wohnen können, wie wir wollten, was vor allem Greg sehr freute, denn eine einzige Übernachtung in diesem Luxus-Resort kostete über 900 Dollar, und Greg verdiente als Dragqueen nicht so viel Geld.

Unsere 30 Nerds wollte die NSA leider dann wieder abziehen. Nachdem ich Agent Sullivan kontaktiert hatte und ihm sagte, dass ich einige der Nerds weiterhin ganz dringend benötigen würde, um meine Arbeit mit Lola zu vollenden, durften schließlich Stella, Sophia, Isaac, Kevin, Emma, Tyler, Linh, Marcus, Connor und Eric bei uns bleiben. Bis auf Tyler, die bei Dylan im Zimmer schlafen durfte, mussten die anderen wieder in ihrer Residenz im NSA-Stützpunkt übernachten. Sie würden jeden Morgen mit dem Bus zu uns ins Hotel kommen.

Bereits am nächsten Tag zogen wir in unsere neue Unterkunft ein. Zu Anfang hatten Greg, Dylan, Tyler und Jason große Bedenken um meine Sicherheit inmitten dieser vielen fremden Menschen in diesem Resort – ganz zu schweigen vom Strand, der von Abertausenden täglich besucht wurde. Doch sie bemerkten schnell, dass in diesem Resort niemand nennenswert Notiz von uns nahm. Sie wunderten sich sehr darüber, dass uns hier niemand zu erkennen schien. Brian und Ava versicherten ihnen jedoch, dass sich die Gäste hier am Waikiki Beach generell nicht für andere Urlauber interessierten, und die Angestellten der Hotels seien sehr intensiv darauf trainiert worden, sich gegenüber allen Gästen überaus diskret zu verhalten. Dieser Ort sei bekannt dafür, dass man hier als Promi völlig ungestört Urlaub machen könne. Da das augenscheinlich zu stimmen schien, freuten sich alle sehr über unsere neu gewonnene Freiheit.

In Wirklichkeit sorgten zwei Guardian-Angels dafür, dass wir in diesem Hotel und auch am Waikiki Beach absolut sicher und unter uns waren. Brian und Ava wussten das. Aufgrund meiner Entdeckung der Meta-Daten hatten die Guardian-Angels jetzt neue Möglichkeiten. Sie reduzierten die Relevanz unserer Anwesenheit bei allen fremden Menschen auf telepathischem Wege so stark, dass diese uns zwar theoretisch sehen und hören konnten, doch alles, was sie von uns wahrnahmen, war für sie vom Gefühl her völlig bedeutungslos. Sie dachten daher weder über uns nach, noch bemerkten sie, wer wir tatsächlich waren.

Wir hatten uns an den Strand gesetzt für unseren nächsten Workshop, der nun in einer etwas kleineren Runde stattfinden musste. Insgesamt waren wir jetzt 17 Personen anstatt der 38, die wir zuvor immer gewesen waren. Das war ein wenig ungewohnt. Ich spürte, dass ich die restlichen Nerds und Gabriella sehr vermisste. Den anderen ging es genauso. Wir hatten unsere Nerds alle sehr lieb gewonnen. Sie hatten jedoch alle versprochen, dass sie uns gelegentlich nach der Arbeit besuchen würden, was uns ein wenig Trost spendete.

»Wir widmen uns heute unseren gefühlten Problembeurteilungen, die wir in Bezug auf unsere Gefühlsziele auf unserer Festplatte abgespeichert haben«, sagte ich zur Gruppe, um unseren Workshop zu beginnen. »Damit sich dabei eine Korrektur-Routine in unserem unbewussten System entwickeln kann, werde ich euch dazu immer die gleichen drei Fragen stellen. Müssen wir das als Problem ansehen? Wollen wir das noch als Problem ansehen? Und gibt es hier eine lohnende Aufgabe? Legen wir also los?

Wer würde es noch als Problem empfinden, wenn ihr über eine längere Zeit hinweg ein anhaltendes Gefühl der Sorge, der Furcht oder der Angst empfinden würdet? Zeigt einfach wieder auf, wenn ihr meine Frage mit Ja beantworten wollt.«

Die Hälfte hob den Arm.

»Und was wäre, wenn ihr diese unangenehmen Gefühle bis zum Ende eures Lebens durchgehend ohne Pause ertragen müsstet?«, hakte ich nach.

Alle zeigten lachend auf.

»Das wäre schon mächtig ätzend«, meinte Dylan.

»Ganz genau, das wäre echt ätzend«, stimmte ich zu. »Doch müssen wir diese Gefühle deshalb als Probleme ansehen? Weil es ätzend wäre?«

»Nein, das ist natürlich Quatsch!«, meinte Dylan. »Es ist egal, wie ätzend das wäre. Gefühle können trotzdem keine Probleme sein. Das Reptiliengehirn und das soziale Gehirn wissen noch nicht einmal, wovon wir überhaupt reden, wenn wir Gefühle als Probleme ansehen.«

»Wer sieht das genauso?«, fragte ich in die Runde.

Alle zeigten auf.

»Und wollt ihr diese Gefühle noch als Probleme ansehen?«, fragte ich weiter.

»Auf keinen Fall«, antwortete Ava. »Ich weiß, wie es ist, wenn man das tut. Das braucht wirklich kein Mensch! Ich habe mir das ja schon ganz ausführlich im letzten Workshop angeschaut. Entweder kämpft man dann gegen die Angstgefühle an, oder man versucht davor wegzulaufen oder stellt sich sogar tot. Das ist echt für gar nichts gut. Das ist einfach nur bescheuert! Die Gefühle werden nur noch schlimmer, und man verhält sich auch ziemlich bescheuert. Tut mir echt leid, Schatz!«, sagte sie zu Jason.

»Kein Problem, Schatz«, erwiderte er. »Wir wussten das alle nicht besser.«

»Hat noch jemand von euch das Gefühl, Angst, Furcht oder Sorgen als Problem ansehen zu wollen?«, fragte ich die Gruppe.

»Wollen nicht«, meinte Stella. »Aber ich will diese Gefühle auch nicht ständig haben. Mir ist vom Kopf her schon klar, dass es nichts bringt, sie deshalb als Probleme anzusehen. Das ist ja wirklich Schwachsinn und macht alles nur noch schlimmer.«

»Wie sieht es hier mit dem Können bei dir aus?«, wollte ich wissen. »Kannst du diese Gefühle als unangenehm oder sogar ätzend ansehen, ohne dass du sie als Problem beurteilen musst?«

»Bewusst schon«, meinte sie. »Aber unbewusst scheint es da noch irgendwo zu hängen. Ich glaube, das ist echt nur, weil ich das auf keinen Fall will. Ich scheine unbewusst zu glauben, dass ich größere Chancen habe, diese Gefühle nicht ertragen zu müssen, wenn ich sie als Probleme ansehe.«

»Und ist das in Wirklichkeit so?«, hakte ich nach.

»Ganz und gar nicht«, antwortete sie. »Wenn ich meine schlechten Gefühle weiterhin ständig als Probleme ansehe, dann erzeuge ich sie damit sogar. Da passiert genau das Gegenteil. Mit Problembeurteilungen erzeugt man Problemgefühle. Das ist eine Gesetzmäßigkeit, die man nicht wegdiskutieren kann.«

»Wie ich euch im Stützpunkt bei unserem letzten Workshop bereits sagte, ist es normal, dass sich unsere gefühlten Probleme mit unseren Gefühlen nicht so leicht auflösen lassen. Unsere Gefühlsziele gehören zu einem sehr komplexen Problem-Netzwerk. Da hängt alles miteinander zusammen. Wir können dieses Problem-Netzwerk aufräumen, aber das geht nicht mit einem Top-down-Prozess. Wir machen also Bottom-up und gehen einfach so viele Beispiele durch, bis unser unbewusstes System generalisiert hat, dass es weder einen Sinn hat, nicht erfüllte Gefühlsziele als Probleme anzusehen, noch dass das in irgendeiner Weise notwendig ist.

Dein Gefühl, die gefühlte Problembeurteilung bei den Angst-, Furcht- und Sorgengefühlen nicht ändern zu können, entstammt in Wirklichkeit dem nicht wollen, das in deinem unbewussten System noch abgespeichert ist. Und das ändert sich erst, wenn wir genügend Beispiele dazu durchgegangen sind, anhand derer das unbewusste System wie eine KI lernen kann. Schauen wir uns also ein weiteres Beispiel an. Wer würde eine andauernde tiefe Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit als Problem ansehen?«

»Das kommt darauf an, ob das eventuell schon eine richtige Depression ist«, meinte Tyler.

»Gehen wir davon aus, es wäre eine«, sagte ich. »Wer würde das als Problem empfinden?«

Alle zeigten auf.

»Bei diesen Beispielen ist es echt viel schwerer als bei denen vom letzten Workshop«, erkannte Brian. »Vom Gefühl her würde ich eine Depression oder auch permanente tiefe Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit als sehr großes Problem ansehen.«

»Müssen wir das denn als Problem ansehen?«, fragte ich.

»Müssen sicherlich nicht«, antwortete Brian. »Das Reptiliengehirn und das soziale Gehirn würden ja wieder überhaupt nicht verstehen, wovon das Großhirn da redet. Die würden auch diese Gefühle niemals als Probleme ansehen. Sie erzeugen sie ja selbst. Wenn sie das als Problem ansehen würden, könnten sie ja einfach damit aufhören, sie zu erzeugen. In Wahrheit sind auch diese Gefühle keine Probleme, daher muss ich sie auch nicht als solche ansehen.«

»Hat jemand von euch das Gefühl, die tiefe Traurigkeit, die Hoffnungslosigkeit oder Depression als Problem ansehen zu wollen?«, fragte ich in die Runde.

Zunächst zeigte niemand auf. Dann meldete sich Linh.

»Bewusst will ich diese Gefühle nicht als Problem ansehen«, meinte sie. »Aber vom Gefühl her irgendwie schon. Ich glaube, das ist wie bei Stella eben. Ich habe ebenfalls das Gefühl, dass ich diese Gefühle irgendwie dadurch vermeiden kann, indem ich sie als Problem ansehe. Aber ich weiß natürlich, dass das völliger Quatsch ist.«

»Das ist bei mir auch so«, meinte Kevin. »Das Gefühl habe ich schon noch. Aber ich habe noch ein zweites Gefühl. Ich glaube, das eine kommt aus meinem unbewussten System, das andere aus meinem bewussten.«

»Bei wem ist das ähnlich, wenn ihr genauer hinschaut?«, wollte ich wissen.

Alle hoben die Hand.

»Vermutlich ist das der Grund, warum wir so an unseren Gefühlszielen festhalten«, sagte ich. »Aber steter Tropfen höhlt bekanntlich den Stein. Hier braucht das unbewusste System einfach nur weitere Beispiele, damit es sich davon überzeugen kann, dass es echt nur Schaden mit sich bringt und keinerlei Nutzen hat, wenn wir diese Gefühle als Probleme ansehen. Wie sieht es denn hier mit einer lohnenden Aufgabe aus? Hat jemand eine Idee, was wir in Bezug auf tiefe Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit oder Depression als wertvolle Aufgabe annehmen könnten?«

»Die wertvollste Aufgabe würde ich darin sehen, endlich einmal damit aufzuhören, Gefühle als Probleme anzusehen«, meinte Dylan. »Ich glaube, dass ich mit so ziemlich gar nichts mehr ein Problem habe, wenn ich das mit den Gefühlszielen hingekriegt habe. Eine wertvollere Aufgabe kann es meiner Auffassung nach kaum noch geben.«

»Da hast du sicherlich recht«, stimmte ich zu. »Unsere Gefühlsziele werden von unserem unbewussten System immer noch 20 000-mal pro Tag als Beurteilungskriterium verwendet. Und das sowohl für die Problembeurteilung als auch für die Beurteilung, ob etwas grundsätzlich gut oder schlecht ist. Diesem Sachverhalt haben wir 99,9 Prozent aller unserer negativen Gefühle zu verdanken. Das betrifft also nicht nur unsere Problemgefühle. Es wird auch jedes Mal ein negatives Gefühl erzeugt, wenn wir etwas als negativ beurteilen. Wegen unseren Gefühlszielen haben wir hundertmal so viele negative Gefühle, als es in Wirklichkeit nötig wäre. Und die blockieren dann auch ständig unsere positiven Gefühle.

Unser unbewusstes System könnte alle falschen Negativbeurteilungen und Problembeurteilungen, die wir noch auf unserer Festplatte abgespeichert haben, mühelos korrigieren, wenn es das wollte. Es macht ohnehin 20 000-mal pro Tag einen Realitätsabgleich. Dabei könnte es die Ereignisse, Sachverhalte und Umstände in unserem Alltag genauso gut nach dem richtigen Beurteilungskriterium beurteilen anstatt nach den Gefühlszielen.«

»Und was wäre das richtige Beurteilungskriterium?«, wollte Dylan wissen.

»Die Wahrheit«, antwortete ich. »Das System könnte sich einfach anschauen, ob etwas in Wirklichkeit tatsächlich negativ ist und ein Problem darstellt. Und zwar in Bezug auf unsere sieben echten Bedürfnisse und nicht in Bezug auf unsere Gefühle. Die naturgegebene Aufgabe des Großhirns besteht darin, alle Sachverhalte unabhängig von unseren Gefühlen zu beurteilen. Die Gefühle spiegeln die Beurteilungen der anderen beiden Gehirne wider. Und genau die sollen ja vom Großhirn überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden, weil das Reptiliengehirn und das soziale Gehirn ja längst nicht mehr alles korrekt beurteilen können. Doch wenn das Großhirn die Korrektheit der Gefühle an den Gefühlen selbst festmacht, dann wird hier natürlich gar nichts korrigiert. Das Großhirn stimmt den falschen Beurteilungen der anderen beiden Gehirne dann immer nur zu.

Wenn ein Sachverhalt ein negatives Gefühl auslöst, und das Großhirn sieht grundsätzlich negative Gefühle als schlecht an, dann beurteilt es natürlich automatisch diesen Sachverhalt als schlecht. Das Großhirn müsste aber alles danach beurteilen, wie es in Wahrheit – und das heißt unabhängig von unseren Gefühlen – mit einem Sachverhalt aussieht, und nicht danach, welche Gefühle dadurch ausgelöst werden. Nur so könnten sich Realität und Gefühl korrekt abgleichen.

Sobald wir es daher geschafft haben, dass wir nicht erfüllte Gefühlsziele nicht mehr als Problem ansehen, wird ein neues, sehr viel glücklicheres und erfüllteres Leben für uns anfangen, weil unser unbewusstes System dann 20 000-mal pro Tag etwas sehr viel Sinnvolleres tut. Und dann ist der Weg frei für unsere 3G-Tunwollens.

Dann würde ich vorschlagen, kommen wir zum nächsten Gefühlsziel. Wie gesagt, steter Tropfen höhlt den Stein. Und da das Gefühl der Einsamkeit immer wieder als gefühltes Problem auftaucht, würde ich das gerne noch einmal als Beispiel verwenden. Es gibt jedoch viele Möglichkeiten, sich einsam zu fühlen. Einsamkeit ist nämlich nicht nur ein einzelnes Gefühl, sondern gleich eine ganze Gefühlsfamilie. Schauen wir uns einmal die Variante an, sich isoliert und allein zu fühlen. Wer würde es vom Gefühl her als Problem beurteilen, wenn er sich bis zum Ende seines Lebens unentwegt isoliert und allein fühlen würde?«

Alle zeigten auf.

»Und wie ist es in Wirklichkeit?«, hakte ich nach. »Wer will es vom Gefühl her weiterhin als Problem ansehen, wenn ihr euch isoliert und allein fühlen müsstet?«

»Na, wollen ganz sicher nicht!«, meinte Dylan kopfschüttelnd, und auch sonst zeigte zunächst niemand auf – außer Sophia.

»Vom Kopf her will ich das natürlich auch nicht«, meinte sie. »Aber ich glaube, vom Gefühl her ist das wieder genauso wie eben. Da hält mein System noch daran fest, das als Problem ansehen zu wollen, weil ich diese Gefühle auf keinen Fall ständig haben will.«

Alle hoben daraufhin die Hand, um zu signalisieren, dass es bei ihnen genauso war.

»Machen wir uns also noch einmal bewusst, welche Konsequenzen es tatsächlich hat, wenn wir dieses Einsamkeitsgefühl als Problem ansehen«, sagte ich.

»Wenn ich Einsamkeitsgefühle als Problem beurteile, dann kann ich vom Vermeiden von Einsamkeitsgefühlen oder dem Loswerden dieser Gefühle nicht loslassen«, sagte Greg. »Es ist ja ein Problem, und das zu lösen, wird von meinem sozialen Gehirn als überlebensrelevant angesehen. So weit ist das noch klar. Doch ich merke, dass ich gerade echt nicht mehr geradeaus denken kann, wenn es um dieses Thema geht. Ich weiß gerade tatsächlich nicht mehr, wieso ich das Problem mit den Gefühlszielen nicht lösen können soll. Ich kann das kaum glauben. Aber ich weiß es gerade wirklich nicht.«

»Wenn man die Gefühlsziele als Probleme ansieht, ist das grundsätzlich immer sehr schädlich«, erklärte ich. »Es gibt den Gefühlszielen die Meta-Daten einer Notwendigkeit. Und dann wird einfach alles im Leben nach den Gefühlszielen beurteilt. Das unbewusste System des Großhirns verwendet sie dann als Beurteilungskriterien für alles, wodurch der natürliche Realitätsabgleich keine Korrektur mehr darstellt, sondern sogar jedes Mal eine Verschlimmerung mit sich bringt. Jede falsche Problembeurteilung wird dann immer nur bestätigt, weil die jeweiligen Sachverhalte ja schlechte Gefühle auslösen. Und das sieht man als Problem an. Es gibt dadurch überall in deinem Leben eine Relevanzverschiebung zum Negativen und eine Lösungsentwertung der Wahrheit.«

»Das ist echt krass!«, meinte Greg. »Als hätte ich noch nie etwas davon gehört, dass die Gefühlsziele große Scheiße sind und nie einen Nutzen, sondern immer nur Schaden bringen. Ich kann das echt kaum glauben. In Wahrheit bereiten mir meine Gefühlsziele die emotionale Hölle auf Erden. Wenn ich mein ganzes Leben danach bewerte, dann ist ja nie etwas gut genug. Dann habe ich ständig nur schlechte und kaum gute Gefühle. Außerdem baue ich dann ständig nur Scheiße. Vor allem in meinen Beziehungen.«

»Man kann seine Gefühlsziele durchaus realisieren, indem man sie zur Aufgabe erklärt und sie dadurch mit der Intelligenz des Großhirns angeht«, sagte ich. »Dazu würde beispielsweise gehören, keine unerfüllten Gefühlsziele mehr als Probleme anzusehen und sich lieber auf seine 3G-Tunwollens zu konzentrieren. Man muss nichts als Problem beurteilen. Würde man das nicht tun, dann hätte man automatisch keine Problemgefühle mehr und der Weg wäre frei, seine Lebenswerte zu finden und auszuleben. Denn nur mit den 3Gs kann man seine Gefühlsziele tatsächlich erreichen. Sie sind der Schlüssel zu einem glücklichen und erfüllten Leben.«

»Mein unbewusstes System muss echt immer noch denken, dass es das Beste ist, nicht erfüllte Gefühlsziele zum Problem zu erklären«, meinte Greg kopfschüttelnd über sich selbst. »Wie kann ich ihm endlich klarmachen, dass das bescheuert ist? Wenn ich meine Gefühlsziele als Beurteilungskriterien verwende, habe ich die Hölle auf Erden, obwohl in Wirklichkeit alles tipitopi ist. Das ist doch einfach nur dumm! Wieso bin ich so dumm?!«

»Du bist nicht dumm!«, erwiderte ich. »Du bist ein Mensch. Es ist völlig normal, dass sich das unbewusste System nicht einfach so mir nichts, dir nichts umstellen kann. Deine rechte Hirnhälfte hat die Zusammenhänge sicherlich alle längst verstanden. Doch die linke braucht weitere Beispiele, um sich sicher zu sein, dass das wirklich so schädlich ist. Versuch deiner linken Hirnhälfte zu helfen, anstatt gegen ihre Dummheit anzukämpfen. Sie ist nicht dumm. Sie ist lediglich genetisch so programmiert, dass sie nur anhand von Beispielen lernen kann. Daher geben wir ihr einfach, was sie braucht.«

»Ich bin, glaube ich, voll im Kampfmodus mit meinem unbewussten System«, erkannte Greg. »Ich bin echt sauer auf mein dämliches Gehirn.«

»Auch das ist eine normale menschliche Reaktion«, sagte ich. »Solange die Nichterfüllung von Gefühlszielen im unbewussten System noch als Problem angesehen wird, hat das Reptiliengehirn mehr oder weniger die Führung. Aber das ist nicht schlimm. Mit jedem Beispiel, das wir gemeinsam durchgehen, wird es leichter. Hat jemand eine Idee, was wir hier als lohnende Aufgabe annehmen könnten?«

»Na, dass wir das eben Schritt für Schritt ganz systematisch umsetzen«, antwortete Dylan. »Das gefühlte Problem mit den Gefühlszielen scheint ja wirklich ein Elefant zu sein. Daher Löffel für Löffel, wie gesagt. Das ist eine sehr lohnende Aufgabe.«

»Dann gehen wir weitere Beispiele durch, damit diese Scheiße endlich eine andere wird«, meinte Greg motiviert und offensichtlich immer noch voll im Kampfmodus, was alle sehr lustig fanden, denn sie lachten über seine Aussage.

»Wer würde es noch als Problem empfinden, wenn ihr ein quälendes Gefühl von innerer Leere oder Sinnlosigkeit hättet und ihr das einfach nicht mehr abstellen könntet?«, fragte ich.

Alle zeigten auf.

»Und wer würde das vom Kopf her noch als Problem ansehen?«, hakte ich nach.

Niemand meldete sich.

»Wer hätte das Gefühl, das als Problem ansehen zu müssen?«, wollte ich wissen.

Linh und Emma meldeten sich.

»Vom Kopf her natürlich nicht«, meinte Emma. »Da ist klar, dass Gefühle in Wahrheit niemals Probleme sein können und dass ich das deshalb auch nicht als Problem ansehen muss. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, es trotzdem machen zu müssen.«

»Hast du eine Idee, warum?«, wollte ich wissen.

»Nicht wirklich«, meinte sie nachdenklich. »Denn einen Sinn ergibt das ja nicht.«

»Ich glaube, ich habe das Gefühl, es als Problem ansehen zu müssen, weil ich sonst das Gefühl hätte, dass sich nichts ändert«, meinte Linh. »Ich würde mich total machtlos fühlen. Und das ist fast noch schlimmer als dieses Gefühl der Leere.«

»Hier meldet sich also ein anderes Gefühlsziel aus deinem Problem-Netzwerk zu Wort«, stellte ich fest. »Das ist fast immer der Grund, warum man einzelne schädliche Problembeurteilungen manchmal nicht korrigieren kann. Im Problem-Netzwerk hängen so ziemlich alle Gefühlsziele miteinander zusammen. Deshalb ist es so wichtig, die Umsetzung als Bottom-up-Prozess zu verstehen. Sonst ist man schnell gefrustet, wenn man die Problembeurteilung einzelner Gefühlsziele ändern will. Gehen wir daher wieder ganz systematisch unsere drei Fragen durch, damit sich hier eine unbewusste Korrektur-Routine in der linken Hirnhälfte entwickeln kann. Wie ist es also in Wirklichkeit? Wollt ihr das Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit wirklich noch als Problem ansehen?«

»Auf keinen Fall!«, sagte Greg energisch.

»Und wie sieht es mit dem Müssen aus?«, hakte ich nach. »Habt ihr das Gefühl, die Sinnlosigkeit und Leere noch als Problem ansehen zu müssen, und wie ist es in Wirklichkeit?«

»Das Gefühl habe ich immer noch, aber ich weiß, dass es nicht wahr ist«, antwortete Emma.

»Das genügt«, sagte ich. »Mehr können wir jetzt nicht tun, und mehr müssen wir auch nicht tun. Eine vollständige Veränderung ist, wie gesagt, noch nicht möglich. Aber jedes Mal, wenn wir die gefühlte Beurteilung der wahren gegenüberstellen, wird sich ein klein wenig in uns in die richtige Richtung bewegen. Wie sieht es hier mit einer lohnenden Aufgabe aus, wenn es um das Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit geht?«

»Könnte ich die Aufgabe annehmen, sinnvolle Gefühle erzeugen zu wollen?«, fragte Brian. »Das ist ja eigentlich auch ein Gefühlsziel, aber wenn ich kein Problem daraus mache, dann wäre diese Aufgabe doch vielleicht erfüllbar, oder?«

»Das ist durchaus eine erfüllbare Aufgabe«, bestätigte ich. »Jedoch nur dann, wenn das Großhirn die Führung behält. Denn dann gehen wir völlig andere Wege, wie das üblicherweise bei den meisten Menschen der Fall ist, deren Reptiliengehirn weitestgehend ihren Alltag dominiert. Dadurch kommt es bei dem gleichen Gefühlsziel sehr schnell zu der Lebensentwertung, wie wir das auch schon ein paar Mal hatten. Das Reptiliengehirn will immer den direkten Weg gehen. Es will also einfach dann Sinnlosigkeitsgefühle vermeiden oder wegmachen und sinnvolle Gefühle erreichen oder absichern. Und dieser direkte Weg bewirkt, wie wir alle wissen, genau das Gegenteil und führt sehr häufig sogar in eine Depressionsspirale.

Doch sobald unser Großhirn stabil die Führung übernommen hat, wird es sein vollständiges Wissen über unsere Innenwelt nutzen, um dieses Gefühlsziel zu erreichen. Es wird dann zwei Dinge tun: Zum einen dafür sorgen, dass wir keine Problembeurteilungen mehr treffen und alles sinnvoll beurteilen, was in Wirklichkeit auch sinnvoll ist, und zum anderen nach 3G-Tunwollens suchen, die unser Leben mit Sinn und Glück erfüllen können. Die 3Gs sind der Schlüssel zu den sinnvollen Gefühlen.

Sobald also das Großhirn die Führung sicher übernommen hat, können wir das Gefühlsziel mit den sinnvollen Gefühlen sehr gut mit diesem Schlüssel erfüllen. Im Moment würde ich jedoch noch davon abraten, die sinnvollen Gefühle als Zielsetzung anzunehmen. Das Großhirn trifft noch viel zu viele Problembeurteilungen und gibt dabei jedes Mal seine Führung an die anderen beiden Gehirne ab. Und dann passiert eben durch das gleiche Gefühlsziel genau das Gegenteil. Wir beurteilen dann alles danach, ob es positive oder negative Gefühle in uns auslöst, und geraten dabei schnell in einen Sinnlosigkeits-Teufelskreis, indem wir das Leben als immer sinnloser empfinden.«

»Also ist es derzeit noch keine gute Idee, die sinnvollen Gefühle als Ziel anzunehmen«, erkannte Brian. »Danke, Lieblingsmensch!«, betonte er deutlich, was mich sehr freute.

»Es war mir ein großes Vergnügen, Lieblingsmensch«, erwiderte ich. »Dann würde ich vorschlagen, wenden wir uns dem nächsten Gefühlsziel zu. Ihr werdet sehen, mit zunehmender Übung wird das immer leichter, weil es im Grunde genommen jedes Mal die gleichen Gründe sind, warum wir die Gefühlsziele nicht als Probleme ansehen müssen und wollen. Wie wäre es mit lang anhaltendem Kummer nach dem Verlust eines geliebten Menschen? Wer würde das vom Gefühl her als Problem empfinden?«

Nur die Hälfte zeigte auf, was mich sehr freute. Offenbar machten wir Fortschritte.

»Trauer ist kein Problem, sondern ein Prozess«, meinte Linh. »Und dieser Prozess ist sehr wichtig. Wenn man nicht richtig trauert, wird man krank.«

»Dann gehen wir einmal unsere drei Fragen durch«, schlug ich vor. »Wer will anhaltenden Kummer als Problem ansehen?«

Niemand zeigte auf.

»Vom Gefühl her schon, aber in Wirklichkeit nicht«, meinte Ava. »Aber nur, weil es extrem wehtut, wenn man einen geliebten Menschen verliert. Doch nur weil es ganz schlimm wehtut, ist es natürlich trotzdem kein Problem. Das eine hat mit dem anderen ja gar nichts zu tun. Das ist, wie du schon sagtest, das Gleiche, als würde man Äpfel mit Glühbirnen vergleichen. Aber schlimm wäre das natürlich schon.«

»Jedes Mal, wenn ich euch solch eine Frage stelle, wird euer System sowohl die gefühlte als auch die wahre Antwort in den Arbeitsspeicher holen, sodass das automatisch verschmilzt. Ich habe euch früher oftmals gesondert gefragt, wie es im Gefühl aussieht und wie in Wirklichkeit. Aber das ist jetzt nicht mehr nötig, weil euer unbewusstes System mittlerweile immer nach beidem schaut. Das ist mir bei euren Antworten heute deutlich aufgefallen. Wenn ich euch also meine Fragen stelle, dann geht es mir immer um beide Antworten. Kommen wir also zur nächsten Frage: Wer muss lang anhaltende schmerzliche Trauergefühle oder Kummer nach dem Verlust eines geliebten Menschen als Problem ansehen?«

»Müssen auf keinen Fall«, meinte Dylan. »Auch nicht, wenn der Rest der Trauergemeinde das von mir erwartet. Diese Scheiße würde ich nicht mehr mitmachen, nach dem, was ich jetzt alles weiß. Aber im Gefühl ist trotzdem noch ein bisschen Müssen«, sagte er dann grinsend.

»Bei wem ist es ähnlich?«, fragte ich in die Runde.

Die Hälfte zeigte wieder auf. Und zwar genau diejenigen, die den Kummer zuvor noch als Problem empfunden hatten.

»Wer würde denn den Kummer noch als Problem empfinden wollen?«, fragte ich weiter.

»Wieder Gefühl und Wirklichkeit, oder?«, hakte Greg nach.

»Ja, immer beides«, bestätigte ich.

»Ich glaube nicht, dass ich das als Problem ansehen will«, meinte er dann. »Weder vom Gefühl noch vom Kopf her.«

Es zeigte auch sonst niemand auf.

»Und was könnten wir hier als lohnende Aufgabe annehmen anstatt der Problembeurteilung?«, fragte ich.

»Den Trauerprozess selbst«, meinte Linh. »Der ist ja wirklich wichtig, wie gesagt.«

»Und wozu ist der so wichtig?«, wollte Kevin wissen.

»Wenn man lange mit einer Person zusammen ist, dann fängt das Gehirn an, den Beziehungspartner in alle seine Überlegungen und Zukunftsplanungen mit einzubeziehen«, erklärte ich. »Man denkt dann immer als ein Wir und nicht mehr als ein Ich. Das hat große Vorteile, solange der Partner noch da ist. Doch wenn er nicht mehr da ist, kann die gleiche Denkweise einen überlebensrelevanten Nachteil darstellen. In unserer heutigen Zeit hat das keine nennenswerte Bedeutung mehr, weil es sehr leicht ist zu überleben. Doch in der Steinzeit konnte das noch gefährlich werden.

Der Schmerz, den man bei einem Verlust erlebt, wird jedes Mal aktiviert, wenn man weiterhin als Wir denkt. Und genau das ist auch die Aufgabe des Kummers. Mit der Zeit vermeidet das Großhirn es immer mehr, weiterhin als ein Wir zu denken, weil es eben jedes Mal sehr wehtut. Das Gehirn wird durch die neue Denkgewohnheit systematisch wieder umgebaut, sodass man wieder als ein Ich denkt. Wenn das nicht passiert, weil ein Mensch diesen Loslassprozess nicht zulässt, dann kann es tatsächlich sein, dass er krank wird, so wie Linh bereits gesagt hat.«

»Dann hat sogar der schlimmste Kummer einen Sinn«, erkannte Ava beeindruckt. »Das ist echt krass!«

»Es gibt keine Gefühle, die keinen Sinn haben«, sagte ich. »Alle Gefühle sind aufgrund eines Überlebensvorteils entstanden. Jedes Gefühl erfüllt also einen wichtigen Zweck. Auch wenn wir oftmals nicht verstehen, was sein genauer Sinn und Zweck ist. Es gibt ihn immer. Schlechte Gefühle gibt es in Wirklichkeit nicht. Alle Gefühle sind gut, auch wenn sie längst nicht alle angenehm sind. Sie sind anders gut.«

»Können wir vielleicht einmal das Gefühl der Reue durchsprechen?«, fragte Jason. »Insbesondere das Bedauern von früheren Fehlentscheidungen. Damit habe ich, ehrlich gesagt, ziemlich zu kämpfen. Ich denke oft, mein Leben hätte viel positiver verlaufen können, wenn ich einige sehr kapitale Fehlentscheidungen nicht getroffen hätte. Vor allem in beruflicher Hinsicht.«

»Wenn du damit kämpfst, hat offensichtlich noch dein Reptiliengehirn die Führung«, sagte ich. »Dann schauen wir einmal, ob sich das gefühlte Problem damit ein wenig aufweichen lässt. Willst du denn das Gefühl der Reue als Problem ansehen?«

»Auf keinen Fall!«, sagte er entschieden. »Auch nicht vom Gefühl her.«

»Und musst du es als Problem ansehen?«, hakte ich nach.

»Eigentlich auch nicht«, antwortete Jason. »Dazu kann mich ja keiner zwingen. Aber mein unbewusstes System scheint davon nicht loslassen zu wollen. Das geht mir so langsam echt auf den Nerv.«

»Dann bist du gar nicht wegen dem Gefühlsziel selbst im Kampfmodus, sondern wegen deinem unbewussten System, das scheinbar borniert daran festhalten will, dass das Gefühl der Reue ein Problem ist.«

»Dem würde ich uneingeschränkt zustimmen«, meinte Jason.

»Doch dein unbewusstes System ist nur eine Maschine«, gab ich zu bedenken. »Da ist niemand, gegen den du kämpfen könntest. Hier wurden nur die entsprechenden Knöpfe gedrückt, weshalb die Maschine an deinem Gefühlsziel festhält. Du willst das Gefühl der Reue loswerden, weil du dieses Gefühl als Problem beurteilt hast. Doch deine Maschine kann genau aus diesem Grund nicht von deinem Gefühlsziel loslassen. Die Lösung eines Problems sieht es immer als Notwendigkeit an.«

»Das Gefühl der Reue ist aber kein echtes Problem«, wandte Jason ein.

»In Wirklichkeit ganz sicher nicht«, bestätigte ich. »Was passiert denn in deinem Gefühl, wenn du dir diese Wahrheit bewusst machst?«

»Es wird deutlich besser«, sagte er. »Ich glaube, das löst sich tatsächlich gerade auf. Das Gefühl der Reue ist ja wirklich kein reales Problem. Es war ein Fehler, das so zu beurteilen.«

»Da könntest du gleich mal gepflegt Reue empfinden, dass du diesen Fehler gemacht hast«, meinte Greg grinsend.

»Ja, das könnte ich«, stimmte Jason grinsend zu. »Aber das muss ich nicht! Nein, ich glaube, das löst sich gerade tatsächlich auf!«, meinte er begeistert.

»Das freut mich sehr«, sagte ich. »Hast du eine Idee, was du hier als lohnende Aufgabe ansehen könntest?«

»Die Vergangenheit als Erfahrungswert anzusehen und es zukünftig besser zu machen«, meinte er. »Ich will aus meinen Fehlern lernen. Eigentlich wäre ich ohne diese Fehler gar nicht der Mensch, der ich heute bin. In Wirklichkeit habe ich da nichts zu bereuen. Ich möchte positiv in die Zukunft schauen. Das halte ich für eine lohnende Aufgabe.«

»Das hört sich gut an«, bestätigte ich. »Dann würde ich vorschlagen, nehmen wir auch schon unser nächstes Beispiel. Nahe verwandt mit dem Gefühl der Reue sind Schuldgefühle. Wer würde anhaltende starke Schuldgefühle noch als Problem ansehen?«

»Vom Gefühl her auf jeden Fall«, meinte Greg. »Vom Kopf her weiß ich, dass Gefühle keine Probleme sein können. Das ist also Quatsch.«

»Wer sieht das auch so?«, fragte ich in die Runde.

Alle zeigten auf.

»Wer hat das Gefühl, Schuldgefühle oder ein richtig schlechtes Gewissen als Problem ansehen zu wollen?«, wollte ich wissen.

»So ein bisschen schon noch«, sagte Greg kleinlaut. »Ich finde Schuldgefühle echt schlimm. Ich gehe immer fast ein, wenn ich ein schlechtes Gewissen habe.«

»Aber wäre das nicht eher ein Grund dafür, die Schuldgefühle auf keinen Fall als Problem anzusehen?«, fragte ich. »Wenn du sie als Problem ansiehst, wirst du sie ja nie los.«

»Wieso kann ich das jetzt schon wieder nicht nachvollziehen?«, fragte er kopfschüttelnd. »Bitte erkläre noch einmal für die Dummen, warum ich sie dann nie wieder loswerde«, bat er mich.

»Du bist nicht dumm, wie gesagt«, erwiderte ich. »Und nie wieder war vielleicht auch ein wenig übertrieben«, korrigierte ich meine Aussage. »Doch die Schuldgefühle kriegen sofort ein Eigenleben, wenn du sie als Problem ansiehst. Sie werden dann viel stärker, als es sein müsste, weil sie dann als unnatürlich relevant angesehen werden. Du würdest dich dann ständig wegen jedem Kleinscheiß schuldig fühlen oder ein schlechtes Gewissen haben. Auch für Sachverhalte, für die du überhaupt nichts kannst.«

»Das tue ich tatsächlich«, erkannte Greg betroffen. »Ich fühle mich ständig für alles verantwortlich, was schiefgelaufen ist. Sogar wenn jemand einen Autounfall hat, einen Tag nachdem ich mit ihm geredet habe. Genau das ist mir schon einmal passiert. Mir war vom Kopf her klar, dass ich an seinem Unfall unmöglich schuld sein konnte. Aber mein schlechtes Gewissen hat mir trotzdem keine Ruhe gelassen. Möglicherweise hatte er ja kurz vor dem Unfall über unser Gespräch nachgedacht und war deshalb unaufmerksam. Ich weiß, dass das völlig bescheuert ist, aber so etwas passiert mir ständig. Es muss nur irgendwo eine Scheiße passieren und ich überlege sofort, ob das vielleicht wegen mir passiert ist. Oft denke ich auch, dass es nicht passiert wäre, wenn es mich nicht geben würde.«

»Das ist natürlich alles in keiner Weise sinnvoll«, sagte ich. »Dennoch ist dieses Phänomen weit verbreitet. Und zwar bei allen Menschen, die ein sehr großes gefühltes Problem mit Schuldgefühlen haben. Da geht das Reptiliengehirn sofort auf Vermeidungskurs. Und dazu gehört auch die Gefahrenvermeidung. Und wenn du dann die Gefahr nicht ausschließen kannst, dass das, was da passiert ist, vielleicht doch irgendwie mit dir zu tun hat, dann kriegst du sofort Schuldgefühle, weil du diese Gefahr ja ernst nehmen musst.«

»Das ist echt ganz große Kacke!«, meinte Greg.

»Du sitzt hier am Hebel«, sagte ich. »Du kannst weiterhin deine Schuldgefühle als Problem beurteilen oder sie als das ansehen, was sie wirklich sind – einfach nur Gefühle, die einem Zweck dienen sollen. Sie sollen dir helfen, einen Schaden wiedergutzumachen, wenn du tatsächlich dafür verantwortlich warst. Das ist ein instinktives Prinzip, mit dem dein soziales Gehirn deine Zugehörigkeit zum Rudel sichern will. Du musst deine Schuldgefühle also nicht als Problem ansehen. Es kann sein, dass dein unbewusstes System das trotzdem noch eine Weile machen will, weil es immer noch nicht davon überzeugt ist, dass es ausnahmslos jedes Mal nur schädlich ist, ein Gefühl als Problem anzusehen. Doch das lockert sich mit jedem Beispiel, das wir durchgehen, immer mehr. Wie würdest du dich also bewusst entscheiden? Willst du die Schuldgefühle noch als Problem ansehen?«

»Auf keinen Fall«, erklärte Greg bestimmt. »Und müssen tue ich das auch nicht. Gefühle sind in Wirklichkeit keine Probleme. Das ist wirklich völliger Nonsens.«

»Hast du eine Idee, was du hier als lohnende Aufgabe ansehen könntest?«, hakte ich nach.

»Echte Schuld zu vermeiden«, meinte Greg. »Wenn möglich, will ich mir nichts zuschulden kommen lassen. Eigentlich will ich anderen Menschen Gutes tun. Also 3G-Tunwollens, wenn ich mir das genauer überlege.«

»Das als Aufgabe anzunehmen anstatt der Probleme mit den Schuldgefühlen, ist eine tolle Sache«, stimmte ich zu. »Dann können wir auch schon zum nächsten Beispiel kommen. Ich hätte Schamgefühle im Angebot. Das Gefühl, minderwertig oder unzulänglich zu sein. Wer würde dieses Gefühl als Problem empfinden?«

Alle Nerds, Greg und Dylan zeigten auf.

»Und vom Kopf her?«, hakte ich nach. »Will das jemand als Problem ansehen?«

»Auf keinen Fall«, antwortete Dylan.

»Und vom Gefühl her?«, fragte ich weiter.

»Eigentlich auch nicht«, erkannte Dylan. »Ich glaube, so langsam weicht sich das echt auf. Ich spüre, dass ich das nicht mehr als Problem ansehen will.«

»Bei wem ist das auch so?«, fragte ich in die Runde.

Die Hälfte meldete sich.

»Das ist sehr schön«, sagte ich erfreut. »Es geht voran. Wie sieht es mit dem Müssen aus? Was passiert in eurem Gefühl, wenn ihr euch fragt, ob ihr Schamgefühle als Problem ansehen müsst?«

»Da tut sich was«, meinte Stella begeistert. »Da scheint tatsächlich so langsam etwas zu passieren. Das Problemgefühl wird schwächer. Genauer gesagt, spüre ich immer mehr Zweifel daran, dass die Gefühle wirklich Probleme sein sollen.«

»Wem geht es ähnlich?«, fragte ich.

Erneut meldete sich die Hälfte.

»Hat jemand eine Idee, was wir hier als lohnende Aufgabe annehmen könnten?«, fragte ich weiter.

»Mir würde es schon reichen, mir jedes Mal erneut klarzumachen, dass ich nicht minderwertig und unzulänglich bin, wenn dieses Gefühl aufkommt«, meinte Tyler. »Das wäre eine sehr lohnende Aufgabe aus meiner Sicht.«

»Für mich wäre das ebenfalls eine gute Aufgabe«, meinte Kevin. »Wobei ich mir, glaube ich, lieber klarmachen möchte, dass es noch nicht einmal ein Problem wäre, wenn ich tatsächlich minderwertig oder unzulänglich wäre. Da gibt es ja trotzdem keine Probleme. Und wenn es da kein reales Problem gibt, dann ist das Gefühl für mich auch kein Problem mehr.«

»Sehr schön«, sagte ich. »Die Probleme mit den Gefühlszielen weichen sich tatsächlich immer mehr auf. Dann kommen wir auch schon zu unserem nächsten Beispiel. Wer würde Stressgefühle noch als Problem ansehen?«

»Die Stressgefühle sind ja Teil der Lösung«, meinte Dylan. »Sie sind nicht das Problem. Der Stress ist das eigentliche Problem. Und die Stressgefühle sollen uns dazu bringen, den Stress tatsächlich zu reduzieren. Wobei der Stress ja eigentlich auch kein Problem ist«, erkannte er dann. »Das wäre ja genauso bescheuert, das wieder als Problem anzusehen. Weder der Stress noch die Stressgefühle sind in Wirklichkeit ein Problem.«

»Und was wäre, wenn ihr euch stark belastet und total angespannt fühlen würdet, sodass ihr euch überhaupt nicht mehr entspannen und auch nachts nicht mehr richtig schlafen könntet?«, fragte ich. »Wer würde das noch als Problem empfinden, obwohl ihr wisst, dass es keine echten Probleme sind?«

Alle zeigten auf.

»Da tut sich aber schon etwas in meinem System, wenn du das fragst«, meinte Eric. »Deine Fragen fangen an, etwas zu bewirken.«

»Das freut mich sehr«, sagte ich. »Gehen wir also unsere drei Fragen durch. Ihr müsst jetzt dann nicht mehr aufzeigen. Es geht nur noch darum, meine Fragen sowohl mit dem Gefühl als auch mit dem Verstand zu beantworten. Wer würde also Belastungsgefühle und Anspannung noch als Problem ansehen wollen?«

»Das bringt ja nichts«, meinte Eric. »Dann könnte ich erst recht nicht mehr schlafen, weil die Problemgefühle mich davon abhalten.«

»Würdet ihr es als Problem ansehen müssen?«, fragte ich weiter.

Einige aus der Gruppe schüttelten den Kopf, die anderen ließen meine Fragen nur auf sich wirken.

»Und was wäre hier eine lohnende Aufgabe?«, fragte ich.

»Na, den Stress zu reduzieren und sich zu erholen«, meinte Dylan.

»Nächstes Beispiel«, kündigte ich an. »Würdet ihr das Gefühl der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit noch als Problem ansehen müssen?«

»Kein Müssen«, meinte Dylan, und der Rest schüttelte den Kopf.

»Würdet ihr Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit als Problem ansehen wollen?«, hakte ich nach.

»Du meinst jetzt die Gefühle. Oder meinst du die mentalen Zustände?«, fragte Stella. »Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sind ja eigentlich eher mentale Zustände.«

»Das ist sicherlich eine Frage der Sichtweise«, sagte ich. »Doch das spielt eigentlich keine Rolle. Was für die Gefühle gilt, gilt auch für mentale Zustände. Das macht keinen Unterschied. Mentale Zustände sind auch keine Probleme. Das Reptiliengehirn und das soziale Gehirn würden das genauso wenig verstehen wie die Probleme mit unseren Gefühlszielen. Nehmen wir also einfach beides. Würdet ihr die Gefühle oder die mentalen Zustände der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit als Problem ansehen wollen?«

»Ich will das auf keinen Fall«, meinte Ava. »Aber das ist echt krass, wie sehr das Gefühl da festhält. Vom Gefühl her will ich diese Zustände einfach nicht. Und irgendwie wird aus diesem Nichtwollen dann schnell ein gefühltes Problem.«

»Vermutlich, weil du diese mentalen oder emotionalen Zustände als Missstände beurteilst«, spekulierte ich.

»Was genau verstehst du unter Missständen?«, hakte Ava nach.

»Umstände, die nicht in Ordnung sind und die so nicht bleiben können«, sagte ich. »Das Reptiliengehirn und das soziale Gehirn sehen es automatisch als Problem an, wenn wir Missstände nicht abstellen oder vermeiden können. Missstände sind also für die beiden nicht grundsätzlich ein Problem, sondern nur dann, wenn wir nichts dagegen tun können.

Wir sollten uns einmal anschauen, was passiert, wenn wir diese mentalen oder emotionalen Zustände nicht mehr als Missstände ansehen würden. Denn in Wirklichkeit sind das ja gar keine Zustände. So etwas wie mentale und emotionale Zustände gibt es gar nicht. Darüber haben wir schon einmal in einem Workshop ausführlich geredet. Das sind in Wirklichkeit dynamische mentale und emotionale Informationsverarbeitungsprozesse und keine Zustände. Auch dann nicht, wenn diese Prozesse längere Zeit anhalten. Es sind trotzdem keine Zustände. Und wenn es keine Zustände sind, dann können es auch keine Missstände sein.

Was passiert also in euch, wenn ihr euch bewusst macht, dass Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit weder Zustände noch Missstände sind? Stellen wir auch hier unsere drei Fragen. Wer hat das Gefühl, das als echte Missstände ansehen zu müssen?«

»Es sind ja in Wirklichkeit keine«, antwortete Brian. »Daher kann es nicht sein, dass wir das als Missstände ansehen müssen. Auch würden das Reptiliengehirn und das soziale Gehirn ja wieder gar nicht verstehen, wovon wir da überhaupt sprechen. Die würden bestimmt wieder denken, dass wir über irgendwelche äußeren Lebensumstände reden. Das Großhirn würde die beiden anderen also wieder total verarschen, wenn es diese Gefühle als Missstände ansehen würde.«

»Wer hat das Gefühl, das lieber weiterhin als Missstand ansehen zu wollen?«, hakte ich nach.

»Ich eigentlich nicht«, meinte Ava. »Aber ich merke, dass das irgendwie den eigentlichen Kern noch viel genauer trifft als die Problembeurteilung. Ich glaube, ich hatte bisher immer das Gefühl, dass schlimme Gefühle nicht in Ordnung sind. Dass das irgendwie nicht sein darf. Dass es, wie du sagst, ein Missstand ist, der so nicht bleiben darf.«

»Ist bei mir genauso«, meinte Sophia.

»Bei mir ebenfalls«, sagte Isaac.

»Beim wem ist das auch so?«, fragte ich in die Runde, woraufhin alle aufzeigten. »Dann ist das wohl das Hauptkriterium, warum das unbewusste System die nicht erfüllten Gefühlsziele noch als Probleme beurteilt. Weil das Großhirn schmerzliche Gefühle immer noch als Missstände ansieht.

Wie Brian bereits sagte, können das Reptiliengehirn und das soziale Gehirn hier wieder einmal nicht verstehen, wovon das Großhirn überhaupt spricht, wenn es nicht erfüllte Gefühlsziele als Missstände beurteilt. Die beiden reagieren dann einfach nur auf die Missstandsbeurteilung und erzeugen Missstandsgefühle. Und die Missstandsgefühle beurteilt das Großhirn wieder als Missstand, wodurch noch mehr Missstandsgefühle erzeugt werden.

Schnell landet man beim Vermeiden oder Abstellen dieser Missstandsgefühle in der Machtlosigkeit, weil man sie ja auf diese Weise gar nicht vermeiden oder abstellen kann. Und dann wird das natürlich wieder als Problem beurteilt. Hat jemand eine Idee, was wir, das betreffend, als lohnende Aufgabe annehmen könnten?«

»Die Gefühle als das anzusehen, was sie tatsächlich sind, und nicht mehr als Missstände«, meinte Brian.

»Oder sich bei jedem falschen Missstandsgefühl bewusst zu machen, dass wir in Wirklichkeit im totalen Wohlstand leben«, meinte Isaac. »Dann hätten wir Wohlstandsgefühle anstatt der Missstandsgefühle.«

»Das ist noch besser«, meinte Brian. »Ich schließe mich dem Vorschlag von Isaac an. Wenn wir das so machen würden, könnten wir eigentlich ständig Wohlstandsgefühle haben.«

»Das hört sich zwar logisch an, ist aber leider nicht der Fall«, sagte ich. »Im Gegensatz zu den Missstandsgefühlen, die zu den Vermeidungsgefühlen gehören, halten unsere Wohlstandsgefühle nie sehr lange an. Sie gehören zu den Belohnungsgefühlen, die wir bei einem erreichten Habenwollen oder Seinwollen immer nur für sehr kurze Zeit empfinden. Ständig Wohlstandsgefühle durch eine Wohlstandsbeurteilung zu erzeugen, ist daher leider nicht möglich. Doch die Wohlstandsbeurteilung verhindert unnötige Missstandsgefühle und gibt uns damit den Freiraum, uns unseren tatsächlich glücklich machenden Tunwollens zu widmen.«

»Okay, der Wohlstand allein macht natürlich nicht glücklich«, meinte Brian. »So langsam könnte das mal in meinem System ankommen. Ich wäre echt schon wieder in dieses Fettnäpfchen getappt.«

»Ich ebenfalls«, meinte Isaac.

»Das kommt schon noch«, sagte ich zu den beiden. »Die Tunwollens sind einfach noch sehr neu für unser unbewusstes System. Doch ich bin sicher, dass unser Bottom-up-Prozess die wahre Bedeutung der Tunwollens für unser Lebensglück früher oder später ins Gefühl bringt.

Wichtig ist jetzt, erst einmal zu realisieren, dass wir alle im Wohlstand leben. Alle unsere echten Bedürfnisse sind supergut erfüllt und abgesichert. Da ist wirklich alles susi. So richtig schlecht ist in unserem Leben so gut wie nie etwas, denn schlecht würde nach dem Maßstab des Reptiliengehirns und des sozialen Gehirns bedeuten, dass unsere sieben Bedürfnisse nicht erfüllt sind. Wenn wir also nichts zu essen haben, obdachlos sind, keinen Schutz vor Gewalt haben, kein Rudel haben oder den untersten Rang im Rudel, keine Verbündeten oder keine Möglichkeit, uns weiterzuentwickeln.

Nur das würden das Reptiliengehirn und das soziale Gehirn als schlecht und damit als Missstand ansehen. Das Großhirn kann sich hier natürlich wieder seine eigenen Beurteilungskriterien für gut und schlecht ausdenken. Doch es würde damit die anderen beiden Gehirne sofort wieder nach Strich und Faden verarschen. Wenn das Großhirn etwas als schlecht beurteilt, dann gehen die anderen beiden automatisch davon aus, dass es einen echten Missstand in ihrem Sinne gibt.«

»Dann ist es automatisch eine Missstandsbeurteilung, wenn ich etwas als schlecht beurteile?!«, fragte Stella verwundert.

»Schlecht oder zu schlecht, nicht in Ordnung, nicht gut genug oder nicht gut, das sind alles Missstandsbeurteilungen«, bestätigte ich.

»Ja, aber das tun wir doch ständig«, wendete Stella ein.

»Ja, das weiß ich. Wir treffen ständig Missstandsbeurteilungen«, bestätigte ich.

»Und die erzeugen dann jedes Mal Missstandsgefühle?«, hakte Stella fassungslos nach.

»Nicht jedes Mal«, antwortete ich. »Die jeweiligen Sachverhalte oder Umstände müssen auch eine gewisse Relevanz haben, damit Gefühle erzeugt werden. Aber alles, was wir als relevant schlecht, nicht gut genug, nicht in Ordnung und so weiter beurteilen, löst auf jeden Fall Missstandsgefühle aus.«

»Und die beurteilen wir dann auch wieder als Missstand!«, erkannte Stella kopfschüttelnd.

»Genau so ist es«, stimmte ich zu. »Wie wir alle wissen, sind 99,9 Prozent aller unserer so genannten schlechten Gefühle völlig unnötig. Und alle schlechten Gefühle werden durch die Beurteilung erzeugt, dass etwas schlecht ist. Grundsätzlich werden alle unsere Gefühle durch unsere Beurteilungen erzeugt, ob etwas gut oder schlecht ist – die sogenannten guten genauso wie die sogenannten schlechten. Unsere Beurteilungen sind für unsere Gefühle ursächlich verantwortlich. Und die grundsätzliche Beurteilung, ob etwas gut oder schlecht ist, steht im Mittelpunkt eines jeden Beurteilungsprozesses.

Die Intensität der dadurch erzeugten Gefühle hängt dann immer von der Relevanz ab, die wir dem jeweiligen Sachverhalt geben. Wenn wir einen Missstand nicht mehr als Problem beurteilen, dann nehmen wir ihm damit schon sehr viel von seiner vorherigen Relevanz. Manchmal genügt das schon, um genügend Freiraum für die Tunwollens zu schaffen. Doch viele unserer nicht erfüllten Gefühlsziele werden immer noch als viel zu relevant angesehen. Und dann wird es natürlich nichts mit unseren Tunwollens.

Deshalb ist es sehr wichtig, korrekte Wohlstandsbeurteilungen zu treffen. Denn dass wir in Wirklichkeit im grünen Bereich leben, wissen das Reptiliengehirn und das soziale Gehirn nicht, wenn das Großhirn ihnen das nicht sagt. In unserem Alltag bewegen wir uns so gut wie immer nur im grünen Bereich. Mal sind unsere Lebensumstände etwas mehr gut, mal etwas weniger gut, mal anders gut, aber immer gut genug. Tatsächlich schlecht nach den Kriterien des Reptiliengehirns und des sozialen Gehirns sind unsere Lebensumstände nur sehr selten. Was wir in unserem Alltag als schlecht, nicht in Ordnung oder nicht gut genug beurteilen, ist in Wahrheit meistens nur weniger gut, als wir es haben wollen.

Missstände können natürlich auch schon einmal bei einem Zivilisationsmenschen vorkommen. Doch in unserer Wohlstandsgesellschaft gibt es nicht sehr viele Menschen, die tatsächlich verhungern, erfrieren oder sonst irgendeinen echten überlebensrelevanten Missstand erleben. Gefühlt sind wir jedoch ständig im Missstand, weil das Großhirn allein schon nicht erfüllte Gefühlsziele als Missstand beurteilt. Aber in Wirklichkeit sind wir die ganze Zeit im grünen Bereich. Mal etwas weiter oben, mal etwas weiter unten. Aber trotzdem immer im grünen Bereich.

Missstandsgefühle oder ganz allgemein schlechte Gefühle sind daher in Wirklichkeit unseren tatsächlichen Lebensumständen nur sehr selten angemessen. Es ist meistens alles gut, auch wenn es sich in unserem Alltag längst nicht immer danach anfühlt. Doch in Wirklichkeit ist alles gut – wie gesagt, mal mehr gut, mal weniger gut und manchmal auch anders gut als gedacht, aber trotzdem immer noch gut.«

»Ich merke, dass ich tatsächlich nicht alles in meinem Leben als gut ansehen will«, sagte Ava. »Vom Kopf her weiß ich, dass das eher unverschämt ist. Es gibt Milliarden von Menschen auf der Welt, denen es wesentlich schlechter geht als uns hier. Viele verhungern sogar oder leben im Krieg. Wenn die mitkriegen würden, was ich bisher alles als nicht gut genug oder sogar als schlecht angesehen habe, dann würden mich viele von ihnen sicherlich total verachten. Und an deren Stelle würde ich das genauso sehen. Da bin ich ehrlich. Ich hätte kein Verständnis für die reichen Schnösel mit ihren Luxusproblemen, wenn ich mit ansehen müsste, wie meine eigenen Kinder verhungern.

Ich will nicht länger so tun, als hätte ich echte Missstände oder Probleme in meinem Leben. Meine gefühlten Probleme sind echt lächerlich. Ich habe so langsam das Gefühl, dass das in Wirklichkeit echt unverschämt ist, wenn ich meine Gefühlsziele als Probleme oder als Missstände ansehe und deswegen herumjammere. Ich komme mir so langsam echt schäbig vor. Ehrlich gesagt, würde ich mich in Grund und Boden schämen, wenn einer von den Menschen hier wäre, die in echten Missständen leben müssen.

Mir war das bis jetzt nicht bewusst, aber was wir hier alle treiben mit unserem ständigen Gejammer, ist unter aller Sau. Ich weiß nicht, was da plötzlich in mich gefahren ist, aber ich könnte schreien, wenn ich daran denke. Das ist eine bodenlose Ungerechtigkeit. Ich schäme mich echt dafür, dass ich in einem Resort wohne, in dem eine einzige Übernachtung fast 1 000 Dollar kostet. Weißt du, wie lange eine Familie in Afrika dafür zu essen hätte?!«

»Hast du vielleicht eine Idee, was du hier als lohnende Aufgabe annehmen könntest?«, fragte ich sie.

»Ich möchte etwas gegen die echten Missstände auf dieser Welt unternehmen«, antwortete sie. »Ich möchte denjenigen Menschen Gutes tun, die nicht das Privileg hatten, in einer Wohlstandsgesellschaft geboren zu werden. Was können sie denn dafür, dass sie nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurden?!«

»Und denkst du, dass du das besser kannst, wenn du dich wegen deiner unangemessenen Missstandsgefühle schämst oder wenn du dafür sorgst, dass du angemessene Wohlstandsbeurteilungen triffst?«, fragte ich.

»Natürlich kann ich das besser, wenn ich mir bewusst bin, dass ich im grünen Bereich lebe«, sagte sie. »Ich denke, es ist wirklich eine bodenlose Unverschämtheit, wenn ich weiterhin so tue, als seien meine negativen Gefühle echte Missstände oder Probleme. Ich will wertschätzen, dass ich im Wohlstand lebe, und dankbar dafür sein, dass ich hier geboren wurde und nicht in einem Land, in dem die Menschen hungern oder in dem Krieg herrscht. Und ich möchte einen Weg finden, diesen Menschen Gutes zu tun. Und das kann ich ganz sicher besser, wenn ich angemessene Wohlstandsbeurteilungen treffe und keine unsinnigen Missstandsgefühle erzeuge«, sagte sie wütend.

Kapitel 2:Missstandsgefühle

Nuno und ich hatten den Impuls verspürt, Ella aufzusuchen. Wir gingen daher zurück in unser Hotel, um uns zu entmaterialisieren. Unsere Lieblingsmenschen wollten solange in ein nahe gelegenes Strandcafé gehen und dort ihre Workshop-Pause genießen.

»Schön, dass ihr so schnell kommen konntet«, begrüßte uns Ella, als wir im Klassensaal eintrafen.

Wir freuten uns sehr darüber, dass gerade alle Secret-Angels anwesend waren, und begrüßten sie alle ganz herzlich mit einer Umarmung, was alle sehr zu verwundern schien, denn das war bei uns Engeln ja überhaupt nicht üblich.

»Wir sind nicht zufällig hier«, sagte Malaika.

»Wir haben beschlossen, uns euch anzuschließen«, erklärte Bodo.

»Wir wollen euch dabei unterstützen, die Lebenswerte-Bewegung im Paradies ins Rollen zu bringen. Wir freuen uns alle sehr auf diese tolle Mission«, erklärte Serafina.

»Wow, das ist super!«, sagte ich begeistert.

»Voll der geile Scheiß!«, meinte Nuno. »Das wird der Hammer!«

Nuno erntete bewundernde Blicke von den anderen, aufgrund seines natürlichen menschlichen Sprachgebrauchs.

»Du hast dich wirklich gut bei den Menschen eingefügt«, meinte Lenyo anerkennend. »Kannst du uns das auch beibringen?«

»Klarinette! Null Problemo«, antwortete Nuno.

»Für diese Mission werden alle, bis auf euch beide natürlich, einen neuen menschlichen Avatar bekommen«, sagte Ella. »Sie werden dann dieses Mal wirklich wie ganz normale Menschen aussehen.«

»Habt ihr bei den Frauen dieses Mal auch an die Zellulite gedacht?«, fragte ich.

»Ja, das wird jetzt alles ganz natürlich aussehen«, bestätigte Ella. »Wobei alle noch recht jung sein werden. Wir haben ihnen einen menschlichen Körper im Alter zwischen 21 und 24 Jahren gegeben. Ich würde vorschlagen, dass jetzt alle schon einmal ihr neues Aussehen annehmen, damit Mary Soul und Nuno euch nachher erkennen können, wenn ihr ihnen dann im Paradies begegnet.«

Augenblicklich veränderten alle ihr bisheriges Aussehen. Alle sahen tatsächlich wie durchschnittliche Amerikaner aus. Sie würden jetzt mit einem für normale Menschen völlig unnatürlichen, attraktiven Äußeren nicht mehr länger auffallen. Sie sahen jetzt alle viel besser aus.

»Wenn ihr euch in unsere Gruppe integrieren wollt, dann wäre es sicherlich gut, sich auch emotional ein wenig mehr an die üblichen Gepflogenheiten der Menschen anzupassen«, sagte ich. »Ein paar Ungewöhnlichkeiten können wir sicherlich damit erklären, dass ihr alle mit uns zusammen bei den Amish People aufgewachsen seid. Die haben ja eine ganz andere Lebensweise als normale Menschen. Damit ist es klar, dass auch das Sozialverhalten ein wenig anders ist. Doch das allein wird vermutlich nicht genügen, um nicht aufzufallen.«

»Und was wären die üblichen emotionalen Gepflogenheiten?«, wollte Lina wissen.

»Im Moment wäre es für unsere Gruppe am wichtigsten, alle unangenehmen Gefühle als emotionale Probleme oder zumindest als emotionale Missstände anzusehen«, sagte ich. »So machen das normale Menschen auch.«

»Und wie genau macht man das?«, hakte Lina nach.

»Ihr müsstet alle unangenehmen Gefühle entweder als nicht in Ordnung, als nicht gut genug oder am besten sogar als schlecht beurteilen«, sagte ich. »Aber ihr dürft das nicht nur theoretisch denken, ihr müsst das auch wirklich so meinen!«, betonte ich.

»Das ist keine leichte Aufgabe«, erkannte Bodo. »Wie ist euch das gelungen?«

»So richtig gut sind Nuno und ich darin selbst nicht«, antwortete ich. »Ich habe, was das betrifft, als Savant nur eine sehr gute Tarnidentität. Und Nuno kriegt es irgendwie hin, dass man von ihm ebenfalls nicht erwartet, normale menschliche Probleme zu haben.«

»Und wie machst du das?«, fragte Bodo Nuno direkt.

»Ich bin, glaube ich, das, was die Menschen einen Spaßvogel nennen«, meinte Nuno.

»Kann ich vielleicht auch so ein Spaßvogel werden?«, wollte Bodo wissen.

»Das kommt darauf an, ob dein Avatar Talent für den menschlichen Humor hat«, meinte Nuno. »Und ich denke, es kommt auch ein bisschen auf das Aussehen an. Dein aktueller Avatar wirkt eher seriös. Ich glaube, das passt nicht so gut für einen Spaßvogel. Möglicherweise könntest du das auch mit einem ausgefalleneren Kleidungsstil kompensieren. Das ist schwer zu sagen. So ganz habe ich noch nicht herausgefunden, was einen Spaßvogel so genau ausmacht. Ich habe nur gemerkt, dass die Menschen oft lachen müssen, wenn sie mich sehen oder wenn ich geiler Scheiß sage. Das hat irgendwie schon genügt, um ein Spaßvogel zu werden. Ansonsten war ich einfach ich. Die menschliche Persönlichkeit entwickelt sich ganz von selbst, wenn ihr mehr Zeit im Paradies als Mensch verbringt. Ich denke, dass ihr das vorher gar nicht festlegen müsst. Lasst einfach geschehen, was geschehen will.«

»Nur das mit den Missstandsgefühlen solltet ihr einigermaßen hinkriegen, damit nicht auffällt, dass ihr anders seid«, sagte ich.

»Kannst du uns da ein paar genauere Instruktionen geben, wie wir das in der Praxis hinkriegen können?«, bat Yensaya.

»Ich könnte euch Beispiele für Gefühle benennen, welche die Menschen für gewöhnlich als Missstände ansehen«, schlug ich vor. »Selbst wenn ihr das nicht tatsächlich nachempfinden könnt, so sollte es euch trotzdem möglich sein, euch einigermaßen nachvollziehbar so zu verhalten, als wären diese Gefühle in eurem unbewussten System ebenfalls als gefühlte Missstände oder Probleme abgespeichert.«

»Das hört sich nach einer guten Idee an«, pflichtete mir Ella bei. »Wir sollten das am besten gleich in Angriff nehmen, denn es ist geplant, dass euch eure sieben Freunde gleich im Anschluss an unser Gespräch am Waikiki Beach besuchen. Wir hatten übrigens tatsächlich vor, sie als eure Freunde bei den Amish People einzuführen, mit denen ihr aufgewachsen seid. Das ist eine einfache und effiziente Tarnidentität. Das Ganze soll wie ein Überraschungsbesuch aussehen. Angeblich hat Nuno gestern mit ihnen telefoniert, weshalb sie dann kurzerhand beschlossen haben, nach Hawaii zu fliegen, um dich, liebe Mary Soul, mit ihrem Besuch zu überraschen.«

»Dann sollten wir am besten gleich loslegen mit unserem kleinen Workshop in Sachen Missstandsgefühle«, sagte ich. »Unsere Lieblingsmenschen warten in einem Strandcafé auf uns. Wir können das daher nicht allzu lange ausdehnen. Sie sind davon ausgegangen, dass wir nur kurz auf die Toilette gehen. Wir könnten jedoch sagen, dass wir euch zufällig in der Hotellobby angetroffen haben. Das würde die zeitliche Verzögerung erklären.

Wir könnten dann alle gemeinsam in das Strandcafé gehen, das würde uns ein wenig mehr zeitlichen Spielraum einräumen. Denn ihr müsstet ja dann erst einmal eure Koffer auf die Zimmer bringen und euch für den Strand umziehen und solche Dinge. Und die Frauen müssten sich noch mal nachschminken, bevor sie an den Strand gehen. Was natürlich eine ganze Weile dauern würde.

Unsere Lieblingsmenschen werden sich sicherlich ein wenig wundern, wo wir so lange abgeblieben sind, doch ich glaube nicht, dass sie uns deswegen gleich suchen gehen. Eine halbe Stunde sollten wir daher hinkriegen, ohne dass es jemandem auffällt. Legen wir also los!«, sagte ich, wie ich es bei den Menschen bei unseren Workshops gewohnt war.

»Ihr müsstet es auf jeden Fall als Missstand ansehen, wenn ihr Neidgefühle empfindet«, sagte ich. »Ihr müsst auf der einen Seite unzufrieden sein, weil andere erfolgreicher sind als ihr – denn das löst dann schon mal die Neidgefühle in eurem Avatar aus. Und dann müsstet ihr es auf der anderen Seite als großes Problem ansehen, dass ihr solche Gefühle überhaupt empfindet.«

»Das ist doch aber völlig unlogisch«, meinte Angelo.

»Ja, aber so machen die Menschen das«, erwiderte ich. »Wie sie das genau anstellen, ist mir noch nicht so ganz klar, aber sie kriegen solche unlogischen Sachverhalte sehr gut hin. Das Gleiche müsst ihr dann mit Wut, Frustration und Ärger machen«, fuhr ich fort.

»Ja, und wie können wir diese Gefühle erzeugen?«, fragte Lina ratlos.

»Wenn ihr wütend sein wollt, dann müsst ihr etwas als total ungerecht ansehen«, empfahl ich. »Das genügt meistens schon. Falls nicht, dann könnt ihr euch noch einreden, dass keiner hinhören will, wenn ihr etwas sagen wollt. Oder dass man euch nicht als vollwertig ansieht. Das wäre eine sehr effiziente Maßnahme, wenn euch das gelänge.