Sehen im Alter -  - E-Book

Sehen im Alter E-Book

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Beschreibung

We live in an ageing society. This means not only that there are increasing numbers of people in need of care, but also that a strong increase in the numbers of visually impaired senior citizens can be expected in the coming years, as visual impairment is a phenomenon associated with ageing in Germany. Providing support for this group of people will become a major task. This textbook provides advice and guidance for recognizing and classifying visual impairments and acting accordingly. Impairment of visual perception acquired in old age has widely differing and individual effects in all areas of life. Authors from a variety of specialist disciplines offer insights here into this complex topic and indicate practical ways of providing targeted counselling and empowerment for visually impaired senior citizens.

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Die Herausgeberin

Die Blindeninstitutsstiftung mit Sitz in Würzburg begleitet seit 1853 sehbehinderte und blinde Menschen in allen Facetten des Sehens. Zu Beginn stand das Anliegen des Gründers Graf Moritz zu Bentheim-Tecklenburg-Rheda, blinden Kindern schulische Bildung und damit eine wichtige Perspektive für ihr Leben zu geben. Dieses Kernanliegen prägt die Blindeninstitutsstiftung bis heute. Sie hat ein alle Lebensbereiche umfassendes Unterstützungsangebot für sehbehinderte und blinde Menschen entwickelt und ist Spezialistin in der Begleitung von sehbehinderten und blinden Menschen mit weiterem Unterstützungsbedarf. Seit rund 30 Jahren gibt es spezifische Beratungsangebote rund um das »Sehen im Alter«.

Blindeninstitutsstiftung (Hrsg.)

Sehen im Alter

Diagnostik, Rehabilitation, Prävention

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-038008-0

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-038009-7

epub: ISBN 978-3-17-038010-3

Geleitwort Weil Gutes Sehen im Alter Selbstbestimmung und Teilhabe verspricht!

Johannes Spielmann

Liebe Leserin, lieber Leser,

immer mehr von uns werden immer älter!

Während im Jahr 1965 der damalige Bundespräsident Lübke 158 Menschen in Deutschland zu ihrem 100. Geburtstag gratulieren konnte, waren es im Jahr 2020 6 965 Jubilarinnen und Jubilare, die Bundespräsident Steinmeier zum 100. Geburtstag beglückwünschte (vgl. Bundespräsidialamt 2021). Schaut man auf den Bevölkerungsanteil der über Achtzigjährigen sieht man auch hier das Wachstum bestätigt: Waren 2010 4,2 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland über 80 Jahre alt, zählt diese Gruppe zehn Jahre später bereits 5,9 Millionen Menschen (vgl. Statistisches Bundesamt 2020).

Hinter diesen Zahlen stehen die Menschenleben vieler Seniorinnen und Senioren, die ihr persönliches Älterwerden häufig als geschenkte Lebenszeit erfahren und vieles dafür tun, ein erfülltes und zufriedenes Leben zu führen. »Länger leben bei weitgehend guter Gesundheit und großer Lebenszufriedenheit – das ist der schönste Effekt des demografischen Wandels.« So drückt es Bundesseniorenministerin Franziska Giffey anlässlich des Tages der älteren Generation im Jahr 2019 aus (vgl. BFSFJ 2019).

Je älter Menschen werden, umso mehr wächst die Wahrscheinlichkeit von einer Krankheit betroffen zu werden. Dies gilt vor allem auch für Beeinträchtigungen unseres Sehens. Häufig wird die erste Brille von Freunden und Bekannten mit dem Kommentar versehen: »Ah, du kommst auch so langsam in das Alter«. Ein nachlassendes Sehvermögen wird also häufig eins zu eins mit dem Älterwerden verbunden.

In der Tat ist es so: Starke Sehbehinderung bis hin zur Blindheit ist in Deutschland ein Altersphänomen! Während hier jährlich rund 160 Kinder blind geboren werden, erblinden insgesamt circa 10 000 Menschen pro Jahr. 80 Prozent aller Neuerblindungen treten ab dem 60. Lebensjahr auf (vgl. Bertram 2005; Trautner et al 2003). Exorbitant steigt das Risiko, eine starke Sehbehinderung bzw. Blindheit zu erleiden, ab dem Alter von 75 Jahren. Während in der Altersgruppe der 45- bis 60-jährigen Menschen die Prävalenz einer Sehbehinderung bei 12,6 Prozent liegt, wächst sie ab dem 75. Lebensjahr auf 55,5 Prozent (vgl. Statistisches Bundesamt 2019). In der Quintessenz bedeutet dies: Steigende Lebenserwartung erhöht den Bevölkerungsanteil der älteren Mitmenschen und damit verbunden steigt auch die Anzahl der Menschen, die von Sehbehinderung und Blindheit betroffen sind.

Was bedeuten aber diese nüchternen Zahlen für die Lebenssituation und das Lebensgefühl des einzelnen betroffenen Menschen? Unser Sehvermögen gehört zu unseren zentralen Sinnen, die uns ermöglichen, unser Leben zu bewältigen, alltägliche Aufgaben selbstständig und selbstbestimmt zu erledigen und das Leben zu genießen. Sehen und gutes Sehvermögen schaffen deshalb Teilhabe in quasi allen Lebensbereichen. Droht ein wesentlicher Sehverlust, gehen damit weitreichende Einschränkungen und Herausforderungen einher: Das selbstständige Autofahren ist für viele Seniorinnen und Senioren der Inbegriff eines unabhängigen Lebens. Wenn eine Brillenkorrektur das dafür notwendige Sehvermögen nicht mehr herstellt, erleben die Betroffenen die Konsequenzen als einschneidenden Verlust ihrer Autonomie, die sie nur schwer akzeptieren können und sie nicht selten in eine schwere psychische Krise wirft.

Abnehmendes Sehvermögen im Alter ist oft ganz eng mit weiteren Verlusterfahrungen gekoppelt, denn bisher selbstverständliche Alltagskompetenzen werden als brüchig erlebt: Beim Einkaufen im Supermarkt kann ich auf einmal die Etiketten nicht mehr lesen; immer wieder erlebe ich mich, wie ich beim gemeinsamen Essen etwas verschütte, mich vielleicht bekleckere und mit Scham und nicht selten mit sozialem Rückzug reagiere. Liebgewonnenes, wie das tägliche Zeitunglesen am Morgen oder der Ausflug in andere Welten durch die Lektüre von Büchern, geht verloren. Eine betagte Freundin zum Beispiel leidet sehr darunter, dass sie keine Briefe mehr schreiben kann. Sie weiß, dass aufgrund ihrer zunehmenden Sehbehinderung ihre Schrift immer krakeliger und unleserlicher wird. Für sie, die leidenschaftliche Briefeschreiberin und -empfängerin, droht ein wichtiger Teil ihrer Lebensqualität verloren zu gehen. Aber auch der früher ganz normale Gang in die Stadt wird zum nicht unerheblichen Risiko: Kleine Unebenheiten werden zu Stolperfallen, die nicht selten zu Stürzen und damit zu einer massiven Gesundheitsgefährdung führen.

Gutes Sehen stärkt die Selbstbestimmung im Alter und ermöglicht weitgehende Selbstständigkeit und Teilhabe in allen Lebensbereichen. Gutes Sehen ist deshalb eine wichtige Voraussetzung für Lebensqualität und Lebenszufriedenheit im Alter! Der häufig altersbedingte Sehverlust wird damit zu einem großen und umfassenden Risikofaktor für Seniorinnen und Senioren und braucht deshalb individuell und gesellschaftlich eine ganz besondere Aufmerksamkeit.

Dort, wo Sehverlust bei einem älteren Menschen unbeachtet bleibt, führt dies langfristig fast immer zu einem größeren Unterstützungsbedarf und allein zum Beispiel durch das damit verbundene höhere Sturzrisiko auch zu höheren Aufwendungen. Deshalb zählen eine gute Prophylaxe und entsprechende Präventionsschritte zu den vorrangigen Maßnahmen: Eine regelmäßige augenärztliche Kontrolluntersuchung sollte ab dem 40. Lebensjahr der Standard sein. Wir haben viele gesetzlich verankerten Vorsorgeuntersuchungen, die an bestimmte Lebensalter gekoppelt sind. Nachdem das Risiko einer wesentlichen Sehbeeinträchtigung mit zunehmendem Alter beträchtlich ansteigt, würde eine standardisiert vorgesehene Augenuntersuchung helfen, frühzeitig Beeinträchtigungen zu erkennen, was bei Bedarf zu erfolgsversprechenden medizinischen Interventionen führen kann.

Bei dem durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege geförderten wissenschaftlichen Projekt »Sehen im Alter« (2012–2015) wurde bei Seniorinnen und Senioren, die in vollstationären Pflegeeinrichtungen leben, häufig das Gegenteil festgestellt: Der letzte Augenarztbesuch und die letzte Brillenkorrektur durch einen Optiker lagen nicht selten um Jahre zurück. Es gab zwar eventuell sogar eine Brille, diese korrigierte aber die derzeitige Sehbeeinträchtigung schon lange nicht mehr. Allein durch die anschließende entsprechende Korrektur konnte bei 25 Prozent der betagten Untersuchungsteilnehmer das Sehvermögen wieder wesentlich verbessert werden (vgl. Thederan et al. 2016). Dieses Beispiel zeigt, dass ein Sehverlust nicht unabwendbar hingenommen werden muss. In den häufigsten Fällen gibt es durch medizinische Eingriffe und entsprechende Sehhilfen gute Interventionsmöglichkeiten, die das Sehvermögen wieder stärken.

Dort, wo solche Hilfen aus Unachtsamkeit auf die Bedeutung des Sehens im Alter unterbleiben, entsteht eine besondere Tragik: Der alte Mensch erleidet eine massive Seheinschränkung, obwohl dies in einem solchen Umfang nicht notwendig wäre und deshalb nicht verantwortbar ist! Deshalb ist es gut und vorbildlich, dass sich die Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassen in Bayern im Rahmen des Präventionsgesetzes (Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention PrävG) zur Förderung von »Gutem Sehen in Pflegeeinrichtungen« zusammengeschlossen hat und der Blindeninstitutsstiftung die Durchführung dieses Programms ermöglicht.

Aber selbst wenn das Sehvermögen auf Dauer nachlässt und viele der klassischen Hilfen nicht mehr ausreichen, stehen professionelle Netzwerke zur Verfügung, die aufgrund ihrer Expertise verschiedene Möglichkeiten zur Stärkung des verbleibenden Sehvermögens bieten. Dazu will Sie das vorliegende Buch inspirieren.

Manchmal sind es ganz kleine Dinge, die zum genauer Hinschauen verlocken:

Es kann zum Beispiel das farbige Tischset sein, auf dem sich das weiße Kaffeegeschirr abhebt und das eine Einladung zum Nachmittagskaffee wieder entspannter und genussvoller sein lässt.

Es kann die deutliche Markierung am Ende einer Treppe sein, die dem betagten Menschen Sicherheit vermittelt und seine Angst zu stürzen reduziert.

Es ist die zielgerichtete Leselampe, die zuhause den Lesesessel erhellt und mich die Buchstaben wieder entziffern lässt.

Es ist die Lupe im Supermarkt der Generationen, die mir wichtige Informationen zu einem Produkt preisgibt.

Aber es können auch die vielfältigen technischen Möglichkeiten wie zum Beispiel ein Bildschirmlesegerät sein, mit dessen Hilfe der aktuelle Kontoauszug für mich in seiner Bilanz eindeutig wird.

Möge das vorliegende Buch Sie inspirieren und Ihren Blick schärfen, wie bedeutsam »Gutes Sehen im Alter« für die Selbstbestimmung und soziale Teilhabe vieler unserer älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger ist. Entdecken Sie dabei, wie viele Möglichkeiten es gibt, Gutes Sehen im Alter zu stärken, und freuen Sie sich mit uns, wenn sehbeeinträchtigte betagte Mitmenschen über neu gewonnene Seheindrücke staunen und glücklich sind, weil sie die Welt mit ihren Augen sehen dürfen.

Denn: »Das Leben ist bezaubernd, man muss es nur durch die richtige Brille sehen.«

(Alexander Dumas, der Jüngere)

Literatur und Quellen

Bertram B (2005) Häufigkeiten und Ursache von Blindheit und Sehbehinderung in Deutschland. In: Der Augenarzt (39), S. 267–268.

BFSFJ (2019) Pressemitteilung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 03.04.2019. Online verfügbar unter: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/presse/pressemitteilungen/studien-zur-generation-80-plus--mehr-wissen-ueber-das-leben-von-frauen-und-maennern-im-alter/135048 (Zugriff am: 01.07.2020)

Bundespräsidialamt: Jubiläen und Ehrenpatenschaften. Online verfügbar unter: https://www.bundespraesident.de/DE/Amt-und-Aufgaben/Wirken-im-Inland/Jubilaeen-und-Ehrenpatenschaften/jubilaeen-und-ehrenpatenschaften-node.html;jsessionid=9965DFAC2D87D75EB8E4516E7CBD88D7.2_cid370 (Zugriff am: 26.10.2021)

Statistisches Bundesamt (2019) Anzahl der Sehbehinderten in Deutschland nach Art der Behinderung in den Jahren 2011 bis 2017. Online verfügbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/247948/umfrage/anzahl-der-sehbehinderten-in-deutschland-nach-schwere-der-behinderung/ (Zugriff am: 01.07.2020)

Statistisches Bundesamt (2020) 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung für Deutschland. Online verfügbar unter: https://service.destatis.de/bevoelkerungspyramide/ (Zugriff am: 01.07.2020)

Thederan L, Steinmetz S, Kampmann S, Koob-Matthes A M, Grehn F & Klink T (2016). Prävalenz von Sehbeeinträchtigungen bei Bewohnern von Seniorenheimen. Online verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/178319 (Zugriff am: 22.10.2021).

Trautner C, Haastert B, Richter B, Berger M., Giani G (2003) Incidence of Blindness in Southern Germany Due to Glaucoma and Degenerative Conditions. In: IOVS (44), S. 1031–1034.

Inhalt

Geleitwort Weil Gutes Sehen im Alter Selbstbestimmung und Teilhabe verspricht!

Johannes Spielmann

Einleitung: »Sehen im Alter« – Ein Fachbuch für die Praxis

Sabine Kampmann

Teil I Diagnostik und rehabilitative Maßnahmen

1 Grundlagen und altersbedingte Veränderungen des Sehens

Anna-Maria Koob-Matthes

2 Augenerkrankungen im Alter

Dr. Luisa Thederan

3 Auswirkungen neurologisch bedingter Sehstörungen im Alter

Iris Reckert

4 Low-Vision-Rehabilitation und Netzwerk Sehen

Anna-Maria Koob-Matthes

5 Sehen und kognitive Einschränkungen

Magdalena Seibl und Fatima Heussler

6 Sehüberprüfung bei Senioren mit kognitiven Einschränkungen

Susanne Janka und Sabine Kampmann

7 Altersbedingte Hörsehbehinderung – Auswirkungen einer doppelten Sinnesbeeinträchtigung

Tabea Sadowski

Teil II Unterstützung in der Praxis

8 Sehgerechte Barrierefreiheit – Licht, Kontraste und die Gestaltung von visuellen Informationen

Kerstin Klein

9 Ein Stück Alltag zurückgewinnen und selbstständig bleiben – trotz Sehbeeinträchtigung und Blindheit

Birgit Lang und Sabine Lütkens

10 Gesundheitskompetenzen von Senioren stärken – Am Beispiel von Beschäftigungsangeboten in der stationären Pflege zum Thema »Gutes Sehen im Alter«

Carolin Kirchgeßner

11 Standards zur Qualitätssteigerung in der Pflege – Augen- und Brillenpflege

Susanne Janka und Klara Wolf

Teil III Bewusstseinsbildung und Prävention

12 Kommunale Prävention und Gesundheitsförderung

Carina Sauter

13 Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen – Am Beispiel des bayerischen Präventionsprogramms »Gutes Sehen«

Arnela Dzinic

Ausblick: Worauf warten wir noch?

Franz Müntefering

Autoren- und Stichwortverzeichnis

Autorenverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Einleitung: »Sehen im Alter« – Ein Fachbuch für die Praxis

Sabine Kampmann

Wir sehen Dinge auf weite Entfernung, sehen lachende und traurige Menschen, bewältigen unseren Lebensalltag problemlos, lesen ein Buch, schreiben einen Brief und treten mit anderen Menschen in Kontakt. Das Gesehene wahrzunehmen und ihm eine Bedeutung zu geben, setzt voraus, dass die Lichtimpulse von außen ungehindert durch die Augen auf die Netzhaut gelangen und die eingehenden Informationen durch die weiterleitenden Sehbahnen in den beteiligten Hirnregionen gefiltert, analysiert und bewertet werden. Die Interpretation des Wahrgenommenen ist von der individuellen Entwicklung des Betrachters abhängig. Persönliche Erfahrungen und Erinnerungen beeinflussen diesen Prozess unwillkürlich, er ist also nicht bewusst steuerbar. Das Sehen ist somit ein komplexer Vorgang und hängt vom Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Faktoren ab.

Gleichzeitig ist die visuelle Wahrnehmung der wichtigste Sinn des Menschen. Gutes Sehen bedeutet Teilhabe, Lebensqualität, eine sichere Mobilität und trägt zum psychischen Wohlbefinden bei. Können alltägliche Aufgaben aber nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr durchgeführt werden, wird dieses zunächst nicht immer mit dem »Sehen« in Verbindung gebracht, insbesondere dann nicht, wenn sich ein Mensch ein Leben lang visuell orientiert hat. Sehbeeinträchtigungen treten häufig nicht abrupt auf, sondern verlaufen schleichend und werden von den Betroffenen und von ihrem sozialen Umfeld nicht immer sofort als solche erkannt. Zunächst gehen wir davon aus, dass eine Brille ausreicht, um Sehstörungen zu kompensieren. Was aber ist, wenn die »neue Brille« die Sehleistung nicht verbessert?

Demografischer Wandel und Sehen

Im höheren Alter treten vermehrt Augenerkrankungen mit exponentieller Zunahme im weiteren Lebensverlauf auf und führen nicht selten zu einer Sehbehinderung oder Blindheit. Vorsorge, Früherkennung und medizinische Möglichkeiten tragen dazu bei, dass das Sehvermögen möglichst lange erhalten bleibt bzw. eine manifestierte Seheinschränkung entsprechend unterstützt wird. Erst der Befund einer augenärztlichen Diagnostik kann Auskunft darüber geben, ob eine organische Erkrankung (ophthalmologisch) vorliegt oder die weiterleitenden Sehbahnen (neuroophthalmologisch) betroffen sind. Je nach Ursache und Prognose der Erkrankung können verschiedene Maßnahmen dazu beitragen, sehbeeinträchtigte Menschen zu unterstützen. Neben der ophthalmologischen Behandlung, um das Sehen zu verbessern, wird der Bezug zur Lebensqualität begleitend behandelt. Hier bedarf es einer gemeinsamen Betrachtung zwischen den Fachbereichen der Augenheilkunde und der Gerontologie, um die Auswirkungen einer visuellen Seheinschränkung im Kontext eines älter werdenden Menschen zu verstehen und in Folge daraus therapeutische und rehabilitative Angebote mit der betroffenen Person individuell abzustimmen.

Wege zur Bewältigung einer Sehbehinderung im Alter

Menschen, die einen Sehverlust erleiden, verlieren bis zu 80 Prozent der zuvor verfügbaren Informationen und in der Folge die Handlungsfähigkeit in beinahe allen Lebensbereichen. Diese veränderte Situation zu verarbeiten und zu akzeptieren, benötigt Zeit und gleichzeitig eine gezielte Unterstützung, um Selbstbestimmung, Aktivität und gesellschaftliche Teilhabe zu sichern. Beratungsangebote über Hilfsmittel, Rehabilitationsmaßnahmen und eine barrierefreie Gestaltung des Wohnumfeldes können dazu beitragen, eine entstandene Sehminderung zumindest teilweise auszugleichen. Um mit den Auswirkungen einer Sehbeeinträchtigung im Alltag auch emotional zurechtzukommen, kann darüber hinaus oftmals eine psychosoziale Beratung und Begleitung notwendig sein. Zudem spielen das soziale Umfeld, die eigene Persönlichkeit und Erfahrungen, die im Laufe des Lebens erworben werden, eine entscheidende Rolle.

Dies soll anhand von zwei Beispielen kurz dargestellt werden: Betrachtet man zwei Menschen gleichen Alters mit einer vergleichbaren medizinischen Diagnose und einem annähernd identischen Sehvermögen, ist die erste Person zurückgezogen, ängstlich und lehnt jegliche Unterstützung ab, die zweite Person bewältigt ihren Lebensalltag selbstbewusst und sicher. Weshalb ist dies so?

Die erste Person lebt allein zuhause und hat wenig Kontakte nach außen. Die letzten Augenarztbesuche liegen schon sehr lange zurück. Der Weg zum Augenoptiker lohnt sich auch nicht mehr, da weder die eigene Brille noch neue Brillengläser das Sehen verbessern. Zudem sind Brillen »zu teuer«. Fernsehschauen und Lesen sind so gut wie gar nicht mehr möglich. Das Zubereiten der Mahlzeiten wird immer schwieriger und in der Wohnung ist es schon öfter zu Stürzen gekommen. Aufgrund der Seheinschränkung fällt das selbständige Einkaufen sehr schwer, da der Weg dorthin nicht mehr sicher gesehen wird. Die Nachbarn und Mitarbeiter des Lebensmittelgeschäftes wundern sich darüber, warum nicht mehr gegrüßt wird und empfinden das Verhalten als »arrogant« mit der Konsequenz, dass sie diese Person auch nicht mehr ansprechen. Dieses Beispiel zeigt auf, dass nicht nur allein die Sehbeeinträchtigung Ursache der Isolation und des zunehmenden Verlustes an Selbstständigkeit ist, sondern auch das mangelnde Wissen über Lösungsstrategien sowie der fehlende Wille für Veränderungen dafür verantwortlich sind.

Die zweite Person lebt in einem intakten und sehr zugewandten sozialen Umfeld. Es finden regelmäßige Augenarztkontrollen und Beratungsgespräche mit dem Augenoptiker statt, der neben der Anpassung der Brillengläser die Erprobung verschiedener optischer und elektronischer Hilfsmittel anbietet, damit die Tagezeitung und die längst liegengebliebenen Bücher gelesen werden können. Angehörige, Freunde und Nachbarn sind über die Seheinschränkung informiert, sodass diese die verschiedenen Auswirkungen der Sehbeeinträchtigung verstehen und entsprechend darauf eingehen können. Bei gemeinsamen Unternehmungen, wie z. B. Spazierengehen oder Kartenspielen, besteht ein Verständnis dafür, dass nicht alles so schnell geht und gewisse Unterstützung benötigt wird. Die Tochter informiert sich über weitere Rehabilitationsangebote. Nach einer gemeinsamen Entscheidung verordnet der Augenarzt ein Orientierungs- und Mobilitätstraining (O&M) und empfiehlt für die eigenständige Haushaltsführung ein Training in Lebenspraktischen Fähigkeiten (LPF). In einem individuellen Termin berät der Rehabilitationslehrer, wie die Wohnung sehgerecht barrierefrei gestaltetet werden kann und welche Hilfsmittel geeignet sind, den Alltag selbständig zu führen. Um wieder mit dem Bus zu Freunden fahren zu können, wird dieser Weg mithilfe eines Rehabilitationstrainings erlernt. In der weiteren Beratung wird darauf hingewiesen, einen Antrag auf z. B. Sehbehindertengeld, Blindengeld und einen Schwerbehindertenausweis bei dem zuständigen Versorgungsamt zu stellen, um einen finanziellen Ausgleich für Mehraufwendungen zu erhalten, die durch die Behinderung entstehen.

Beide Beispiele zeigen auf, dass ein soziales Umfeld und fachkompetente Beratungen durch ein interdisziplinäres Netzwerk dazu beitragen, die Selbständigkeit, Mobilität, Teilhabe und psychische Gesundheit sehbeeinträchtigter und blinder Menschen zu erhalten. Leider besteht dieses Wissen nicht flächendeckend und ist in der Gesellschaft wenig bekannt. Dadurch wird es dem Zufall überlassen, ob sehbeeinträchtigte, ältere Menschen an die für sie alltagsrelevanten Informationen gelangen.

Ein Fachbuch für die Praxis

Das vorliegende Fachbuch möchte ein Ratgeber und Wegweiser sein, um sich dem komplexen Thema »Sehen im Alter« mit all seinen Facetten anzunähern. Es soll den Zusammenhang herstellen, die Auswirkungen einer im Alter erworbenen Sehbeeinträchtigung und Blindheit verständlich näherbringen und das Ableiten hilfreicher Interventionen ermöglichen. Gleichzeitig soll es sensibilisieren sowie Impulse und Anregungen geben, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und diesem mehr Beachtung zu schenken.

Das Buch richtet sich an Fachberufe im Gesundheitswesen, Senioren, Angehörige, Beratungsstellen für Senioren und Pflegestützpunkte, ambulante und stationäre Pflegefachdienste und die Leitungen sowie alle Mitarbeitenden von Pflegeinrichtungen.

Das in diesem Fachbuch vermittelte Wissen soll dazu ermutigen, Senioren in ihrer Augengesundheit zu unterstützen. Ein aufmerksames Beobachten erster Anzeichen einer Sehbeeinträchtigung kann bereits helfen, erste Schritte zu präventiven Maßnahmen einzuleiten. Anhand der zusammengestellten Beiträge sollen die Vielfalt der visuellen Einschränkungen und ihrer Auswirkungen verständlich nähergebracht, konkrete Unterstützungsmöglichkeiten vorgestellt und Rahmenbedingungen für präventive Angebote aufgezeigt werden. Dazu benötigt es ein Verständnis der Fachdisziplinen, die sich mit dem Thema »Sehen im Alter« auseinandersetzen, zum einen untereinander, zum anderen aber auch mit allen anderen Fachbereichen, die Senioren in ihrem Alltag begleiten. Wichtig für die multiprofessionelle Zusammenarbeit ist der Wille zur Vernetzung sowie die Bereitschaft das eigene Wissen weiterzugeben.

Aus diesem Grund sind die Beiträge in diesem Sammelband von Autorinnen und Autoren verschiedener Fachdisziplinen erstellt worden, die jeweils aus ihrem Blickwinkel das Thema altersbedingter Sehbeeinträchtigung und Blindheit betrachten. Es wird ein Überblick darüber gegeben, welche diagnostischen und medizinischen Möglichkeiten notwendig sind, um darauf aufbauend rehabilitative, psychosoziale und pflegerische Unterstützungsangebote einzuleiten und umzusetzen. Daher ist das Buch in drei Teile gegliedert.

Aufbau des Fachbuchs

Der erste Teil beschreibt zunächst verschiedene Aspekte der Diagnostik und rehabilitativer Maßnahmen, die sich daraus ableiten. Zunächst soll ein Grundverständnis für die Komplexität des Themas Sehen in Alter vermittelt werden, indem die Vielfalt organischer und neuronaler Erkrankungen, die eine Sehbehinderung und Blindheit verursachen können, dargestellt wird. Die Auswirkungen einer Sehbeeinträchtigung sind sehr individuell, was wiederum dazu führt, dass verschiedene medizinische, therapeutische, psychosoziale und unterstützende Angebote notwendig sind.

Anna-Maria Koob-Matthes gibt einen Überblick über den anatomischen Aufbau und die physiologischen Alterungsprozesse des Auges und beschreibt die unterschiedlichen Brechungsfehler und deren optische Korrekturen (Brille). (Teil I, Kap. 1)

Dr. Luisa Thederan beschreibt Augenerkrankungen, die im Alter besonders häufig auftreten, und deren Behandlungsmöglichkeiten. Auch auf die Wechselwirkungen von Medikamenten zur Behandlung verschiedener Grunderkrankungen (z. B. Herz-Kreislauf-Medikamente, Antibiotika oder Antidepressiva), die sich auf die Augen und das Sehen auswirken können, wird eingegangen, da diese vielen nicht bekannt sind und in der multiprofessionellen Zusammenarbeit mehr berücksichtigt werden sollten. (Teil I, Kap. 2)

Nicht nur das Auge selbst, sondern auch die weiterleitenden Sehbahnen (Sehnerv) und der visuelle Cortex (Sehrinde) sind grundlegende Bestandteile der Sehwahrnehmung. Neurologische Erkrankungen können sich auch auf das Sehen auswirken. Sowohl die Ursachen als auch die Strategien zur Kompensation neuronaler Seheinschränkungen, z. B. beim Lesen, werden im darauffolgenden Beitrag von Iris Reckert detailliert erläutert. (Teil I, Kap. 3)

Anschließend geht Anna-Maria Koob-Matthes ausführlich auf die Low Vision Rehabilitation ein. Diese beinhaltet eine allumfassende individuelle, sehgerechte Beratung durch Spezialisten (z. B. Low Vision-Optiker, Optometristen, Orthoptisten). Neben der Anpassung und Erprobung verschiedener optischer und elektronischer Hilfsmittel gehört auch die Weitergabe von Informationen zu sozialrechtlichen Ansprüchen (z. B. Blindengeld, Sehbehindertengeld, Schwerbehindertenausweis) und die Weiterleitung an regionale Selbsthilfegruppen und Rehafachdienste dazu. Ein großes Augenmerk liegt auf der Vernetzung aller am Sehen beteiligten Berufsgruppen. (Teil I, Kap. 4)

Der Zusammenhang von Sehen und kognitiven Einschränkungen wird von Fatima Heussler und Magdalena Seibl dargestellt. In Pflege-Assessments wird nach der zeitlichen, örtlichen und sozialen Orientiertheit gefragt. Eine Desorientierung gilt als Indiz für eine demenzielle Entwicklung, könnte aber ebenso eine reversible Begleiterscheinung einer Sehbeeinträchtigung sein. Auch visuelle Halluzinationen (z. B. Charles-Bonnet-Syndrom) werden oftmals als psychiatrischen Störungen fehlinterpretiert, da dieses Krankheitsbild wenig bekannt ist. Hier ist es sehr wichtig, Patienten und begleitende Personen aufzuklären und Ängste zu nehmen. (Teil I, Kap. 5)

Spezielle Möglichkeiten der Sehdiagnostik bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen und dementiellen Erkrankungen werden in einem eigenen Beitrag von Susanne Janka und Sabine Kampmann vorgestellt. Denn gerade im Hinblick auf Demenz zeigt sich, dass Fehldiagnosen im Zusammenhang mit Sehbeeinträchtigungen nicht selten auftreten. (Teil I, Kap. 6)

Der erste Teil endet mit einem Beitrag von Tabea Sadowski, die die Auswirkungen einer kombinierten Sinneseinschränkung im Alter beschreibt. Da sich nicht nur das Sehen, sondern auch das Hören im Alter verändert, sind gerade in der Gruppe der Senioren Hörseheinschränkungen keine Seltenheit, die eine ganz eigene Art der Beeinträchtigung darstellen. Davon ist im besonderen Maß die Kommunikation betroffen, die durch spezifische Unterstützung verbessert werden kann. (Tei I, Kap. 7)

Im zweiten Teil des Buches steht die Unterstützung in der Praxis im Fokus. Es werden verschiedene Möglichkeiten vorgestellt, die dazu beitragen sollen, den Lebensalltag von sehbeeinträchtigten und blinden Senioren direkt in ihrem häuslichen Umfeld bzw. in der Pflegeeinrichtung bedarfsgerecht zu gestalten. Praxisnahe Tipps für Bezugs- und Pflegepersonen geben Anregungen, wie die Teilhabe, Selbstbestimmung und Aktivität der Senioren ermöglicht und aufrechterhalten werden können.

Die sehbezogene Barrierefreiheit ist sowohl im eigenen Wohnumfeld, in öffentlich zugänglichen Räumen als auch in Pflegeeinrichtungen ein wichtiges Thema, um z. B. Stürze zu vermeiden. Beleuchtung, Kontraste und Markierungen sind nur einige Möglichkeiten, sehbeeinträchtigten und blinden Senioren mehr Sicherheit im Alltag zu geben. Insbesondere die Umsetzung von DIN-Normen soll dazu beitragen, öffentliche Gebäude sehgerecht zu gestalten. Darüber informiert Kerstin Klein im ersten Beitrag in diesem Teil. (Teil II, Kap. 8)

Der Erhalt der Mobilität und die selbständige Lebensführung sind für jeden Menschen wichtig, denn sie bestimmen den Alltag und fördern den sozialen Austausch. Durch ein Rehabilitationstraining in Orientierung und Mobilität (O&M) und Lebenspraktischen Fähigkeiten (LPF) erhalten sehbeeinträchtigte und blinde Menschen die Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben sicher teilzunehmen. Wie ein individueller Schulungsplan erstellt wird und ein solcher umgesetzt werden kann, wird im zweiten Beitrag von Birgit Lang und Sabine Lütkens anhand praktischer Tipps vermittelt. (Teil II, Kap. 9)

Positive Altersbilder und das Wissen um den Nutzen frühzeitiger Vorsorge haben nachweislich einen Einfluss auf die eigene Gesundheit. In ihrem Beitrag stellt Carolin Kirchgeßner spezielle Angebote zum Sehen für Senioren in der stationären Pflege vor, durch die einerseits die Gesundheitskompetenz der Senioren im Bereich Sehen gestärkt sowie andererseits die Teilhabe für sehbeeinträchtigte und blinde Senioren verbessert werden kann. (Teil II, Kap. 10)

Im letzten Beitrag werden von Susanne Janka und Klara Wolf Praxistipps für pflegerische Situationen vermittelt, allgemeine Hinweise zu den Pflegestandards zum Thema Sehen aufgeführt und Anregungen zu einer qualitativen Pflegedokumentation gegeben. (Teil II, Kap. 11)

Der dritte Teil – Bewusstseinsbildung und Prävention – stellt mögliche Ansätze und Rahmenbedingungen für präventive und gesundheitsfördernde Angebote vor. Da mit steigender Lebenserwartung immer mehr Menschen von einer Sehminderung im Alter betroffen sein können, gehört das Wissen um Prävention, Aufklärung und Früherkennung stärker in das gesellschaftliche und politische Bewusstsein.

Wie auf kommunaler Ebene ein Seh-Netzwerk etabliert werden kann, erörtert Carina Sauter in ihrem Beitrag. Anhand verschiedener Beispiele wird aufgezeigt, wie sich jeder Interessierte regional vernetzen und in einer beratenden Funktion aktiv werden kann, um Senioren dabei zu unterstützen, für die eigene Augengesundheit einzutreten. (Teil III, Kap. 12)

Im letzten Beitrag stellt Arnela Dzinic die Rahmenbedingungen für Präventionsprogramme in Pflegeeinrichtungen dar und erläutert am Beispiel des bayerischen Präventionsprogramms »Gutes Sehen in Pflegeeinrichtungen«, dass mittels verschiedener Handlungsfelder eine nachhaltige Sensibilisierung und Wissensvermittlung zu diesem Thema bei den Mitarbeitenden (z. B. Pflegefachkräfte, Betreuungskräfte, Einrichtungsleitung), Senioren und Angehörigen stattfinden kann. (Teil III, Kap. 13)

Danksagung

Eine im Alter erworbene Sehbeeinträchtigung wirkt sich in allen Lebensbereichen sehr unterschiedlich und individuell aus. Erkennen, Wahrnehmen und Handeln – dies überzeugte die Autorinnen, an diesem Buch mitzuarbeiten. Die fachliche Kompetenz aber gerade auch der Blick »über den Tellerrand« soll Sie als Leserinnen und Leser mitnehmen, die Augengesundheit immer im Blick zu behalten, aber auch über weiterführende Maßnahmen bei einer Sehminderung informiert zu sein. Ohne die Offenheit und Bereitschaft der Autorinnen, das Thema mit all seinen Facetten verständlich zusammenzutragen, wäre dieser Sammelband nicht möglich gewesen und dafür möchte ich mich an dieser Stelle recht herzlich bei allen bedanken.

Sich das komplexe Thema zu erschließen, die Autorinnen stets zu ermutigen und nicht zuletzt immer wieder ein wertvolles Feedback zu geben, benötigt viel Engagement aber auch Geduld. Dafür möchte ich Franziska Köhler herzlich Danke sagen, die entscheidend zum letzten Schliff beigetragen hat.

Teilhabe am gesellschaftlichen Leben trotz einer Sehbeeinträchtigung im Alter – dafür setzt sich der Politiker und seit vielen Jahren engagierte Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) Herr Franz Müntefering bundesweit ein. Für seine klaren und bemerkenswerten Worte im Ausblick dieses Buches möchte ich mich ganz herzlich bedanken.

Zum Schluss geht mein Dank an den Kohlhammer Verlag, insbesondere an Frau Alexandra Schierock, die das Thema Sehen im Alter aufgegriffen hat. Aufgrund des demografischen Wandels wird die Unterstützung von sehbeeinträchtigten und blinden Senioren in den kommenden Jahren zu einer großen Aufgabe in der Pflege, aber auch für die Gesellschaft allgemein.

Liebe Leserinnen und Leser, ich hoffe, dass Ihr Blick zu den Auswirkungen einer Sehbeeinträchtigung und Blindheit im Alter geschärft wird und Sie in diesem Buch nützliche Informationen erhalten, um Seniorinnen und Senioren in ihrer Teilhabe, Mobilität und psychosozialen Gesundheit zu stärken.

Ihre Sabine Kampmann

Teil IDiagnostik und rehabilitative Maßnahmen

1 Grundlagen und altersbedingte Veränderungen des Sehens

Anna-Maria Koob-Matthes

Zusammenfassung

Das Sehen ist ein sehr komplexer Vorgang. Das Auge als Organ kann nur in Verbindung mit der zentralen Verarbeitung im Gehirn eine visuelle Wahrnehmung erzeugen.

Mit erhöhtem Lebensalter ändern sich verschiedene Funktionen des Auges. Ab dem 40. Lebensjahr sollten regelmäßig augenfachärztliche Kontrollen stattfinden, um Erkrankungen frühzeitig zu diagnostizieren und bestehende Fehlsichtigkeiten zu korrigieren.

Optische Ursachen sowie altersbedingte physiologische Prozesse des Auges und Gehirns, aber auch Erkrankungen des Auges können zu einem Sehverlust führen.

1.1 Einleitung

Bereits in frühester Kindheit werden wichtige Grundlagen für das spätere Sehvermögen gelegt, während im mittleren Lebensalter keine gravierenden Veränderungen des Sehens stattfinden (vgl. Thieme 2008, S. 188 f.).

In der Studie »Gesundheit in Deutschland aktuell 2009« des Robert-Koch-Instituts gaben knapp 20 % der befragten Erwachsenen Schwierigkeiten im Sehen an. Ab einem Alter von 45 Jahren wird ein deutlicher Anstieg der Sehprobleme beschrieben, obwohl eine signifikante Zunahme erst ab 65 Jahren besteht (vgl. Amelung et al. 2012, S. 13). Man schätzt, dass zwei Drittel aller Augenarztpatienten ältere Menschen sind. Diese Alterslastigkeit wird aufgrund der demografischen Entwicklung weiterhin steigen (vgl. Thieme 2008, S. 188 f.).

Ein gutes Sehvermögen ist besonders im Alter sehr bedeutsam, da damit eine höhere Lebensqualität und Sicherheit verbunden sind (vgl. Wahl et al. 2008, S. 742). Eine Minderung des Sehvermögens kann z. B. dazu führen, dass die Lesefähigkeit abnimmt, alltägliche Aufgaben nur noch eingeschränkt durchgeführt werden können sowie Unsicherheiten in der Orientierung und Mobilität bestehen. Häufig führt eine Sehminderung zu einem Rückzug, was meist damit verbunden ist, dass die sozialen Kontakte abnehmen. Aus diesem Grund ist es wichtig, die visuellen Fähigkeiten des älteren Menschen zu erhalten bzw. zu verbessern. Durch die Früherkennung von behandelbaren Augenerkrankungen oder durch den Einsatz individuell angepasster Sehhilfen kann dies ermöglicht werden.

Im folgenden Beitrag wird grundlegendes Wissen zum Auge anhand des anatomischen Aufbaus sowie dessen Funktion vermittelt. Zudem werden die altersbedingten Veränderungen des Sehens dargestellt.

1.2 Grundlagen – Aufbau des Auges und der Sehvorgang

1.2.1 Aufbau des Auges

Trotz des geringen Gewichtes von 7,5 g, einer Länge von nur ungefähr 24 mm sowie einer Anzahl von sechs Augenmuskeln zählt das Auge zu den wichtigsten Sinnesorganen des menschlichen Körpers (vgl. Grehn 2012, S. 3). Doch wie funktionieren unsere Augen und wie entsteht eine optische Wahrnehmung? Das Verständnis darüber kann dazu beitragen, Veränderungen des Sehens besser und frühzeitig zu erkennen.

Folgende Abbildung (Abb. 1.1) zeigt die Frontalansicht des Auges sowie deren anatomischen Querschnitt mit Lichteinfall (Pfeile).

Abb. 1.1: Frontalansicht und Querschnitt anatomisches Auge

1.2.2 Sehvorgang

Die visuelle Wahrnehmung ist ein sehr komplexer Vorgang. Bevor ein Seheindruck entsteht, laufen viele einzelne Schritte im Auge und Gehirn ab. Licht aus unserer Umwelt muss von außen durch das gesamte Auge bis zur Netzhaut hindurchdringen, um dort Sinneszellen aktivieren zu können. Die im Gehirn eintreffenden Signale lassen dort einen Seheindruck entstehen, welchen der Mensch als »Sehen« empfindet.

In folgender Tabelle (Tab. 1.1) werden die wichtigsten anatomischen Bestandteile des Auges und deren Funktion bis hin zur visuellen Wahrnehmung dargestellt.

Tab. 1.1: Anatomische Bestandteile des Auges und ihre Funktion, eigene Zusammenstellung

Bestandteil des Auges

Funktion

Tränenfilm

benetzt Binde- und Hornhaut (Gleitschicht)

Schutz vor Austrocknung, Fremdkörper und Infektionen

Ernährung der Hornhaut

→ Ausgleich von Unebenheiten (glatte Oberfläche für die optische Abbildung)

Bindehaut und Lederhaut (Konjunktiva und Sklera)

Schleimhaut

Schutz vor Eindringen von Viren und Bakterien

Stabilität

→ nicht an optischer Abbildung beteiligt

Hornhaut (Cornea)

transparentes Gewebe

Schutz vor äußeren Einflüssen

Wölbung trägt maßgeblich zur optischen Abbildung bei

→ bündelt Licht, das aufs Auge fällt

Regenbogenhaut (Iris)

farbige ringförmige Struktur (beweglich)

umgibt Pupille

→ regelt Lichteinfall wie eine Blende

Linse

elastischer klarer Körper (gewölbt)

Einstellung Fern- und Nahsicht

→ bündelt durch Pupille einfallendes Licht auf die Netzhaut (Sammellinse)

Glaskörper

gelartig und durchsichtig

erhält Form des Auges

→ lässt einfallendes Licht hindurch

Netzhaut (Retina)

besteht aus Millionen von Sinneszellen (Zapfen und Stäbchen)

zentral befindet sich die Stelle des schärfsten Sehens (Makula)

→ wandelt einfallendes Licht in elektrische Impulse um und leitet diese an den Sehnerv weiter

Sehnerv/Sehnervenbahn

Bündelung einer großen Anzahl an Nervenfasern

→ leitet elektrische Signale ans Gehirn weiter→ im Gehirn entsteht der Seheindruck(optische Wahrnehmung)

1.3 Sehschärfe und Fehlsichtigkeiten

Von einem normalsichtigen (emmetropen) Auge spricht man, wenn ein scharfer Seheindruck ohne eine Korrektur mit Sehhilfen besteht. Dies bedeutet, dass die ins Auge fallenden Lichtstrahlen durch die Hornhaut und die Augenlinse gebrochen werden und damit punktgenau auf der Netzhaut im Bereich der Stelle des schärfsten Sehens (Makula) zusammentreffen.

Die Gesamtbrechkraft eines emmetropen Auges beträgt etwa 63 Dioptrien. Als Brechkraft (auch Refraktor) bezeichnet man die Stärke, mit der die Lichtstrahlen durch die verschiedenen anatomischen Bestandteile des Auges gebrochen werden. Sie wird in der Einheit Dioptrie angegeben.

Liegt jedoch eine Abweichung dieses Normalzustandes vor (Lichtstrahlen treffen nicht exakt in der Makula zusammen) spricht man von einer Fehlsichtigkeit (Ametropie). Ursache dafür ist häufiger eine Abweichung der Größe als eine Veränderung der Brechkraft des Auges (vgl. Grehn 2012, S. 32 f.).

1.3.1 Sehschärfe (Visus)

Unter der Sehschärfe versteht man die Fähigkeit des Auges, zwei Objektpunkte bei optimaler Korrektur von Fehlsichtigkeiten getrennt wahrzunehmen (vgl. Grehn 2012, S. 30 f.). Die Sehschärfe gibt demnach an, wie scharf Muster und Konturen in unserer Umwelt wahrgenommen werden können. Die Sehschärfe ist abhängig von verschiedenen Faktoren wie Kontrast, Farbe, Helligkeit sowie Netzhautbeschaffenheit und wird mittels Sehtest (DIN genormten Sehzeichen) gemessen. Die kleinsten Zeichen, die man gerade noch auf der Tafel eines Sehtests erkennen kann, geben den Wert der Sehschärfe an. Bei einer normal sehenden Person liegt dieser Wert zwischen 1,0 bis 1,6. Je höher die Sehschärfe ist, desto kleinere Details können an einem Objekt erkannt werden.

1.3.2 Kurzsichtigkeit (Myopie)

Bei einem kurzsichtigen Auge ist der Augapfel im Verhältnis zur Brechkraft zu lang. Die einfallenden Lichtstrahlen werden somit vor der Netzhaut gebündelt (Abb. 1.2). Auf der Netzhaut entsteht ein unscharfes Bild. Um die Unschärfe in der Ferne (Abb. 1.4) korrigieren zu können, werden konkave Brillengläser (Minusgläser – Zerstreuungslinsen; Abb. 1.3) benötigt. Eine Myopie kann nicht nur durch das Tragen von Brillen und Kontaktlinsen, sondern auch durch die refraktive Chirurgie (operative Korrektur einer Fehlsichtigkeit) korrigiert werden (vgl. Grehn 2012, S. 32 f.).

Abb. 1.2: Optische Brechung bei Kurzsichtigkeit

Abb. 1.3: Korrektur der Kurzsichtigkeit

Abb. 1.4: Seheindruck Kurzsichtigkeit

1.3.3 Weitsichtigkeit (Hyperopie)

Bei einem weitsichtigen Auge ist der Augapfel im Verhältnis zur Brechkraft zu kurz. Die einfallenden Lichtstrahlen werden somit hinter der Netzhaut gebündelt (Abb. 1.5). Um die Unschärfe in der Nähe (Abb. 1.7) zu korrigieren, werden konvexe Brillengläser (Plusgläser – Sammellinsen, Abb. 1.6) benötigt (vgl. Grehn 2012).

Abb. 1.5: Optische Brechung bei Weitsichtigkeit

Abb. 1.6: Korrektur der Weitsichtigkeit

Abb. 1.7: Seheindruck Weitsichtigkeit

1.3.4 Hornhautverkrümmung (Astigmatismus)

Bei einer Hornhautverkrümmung (Astigmatismus) ist die Hornhaut nicht kugelförmig gewölbt. Diese Verformung führt dazu, dass die Brechkraft innerhalb der Hornhaut variiert und die Lichtstrahlen nicht gleichmäßig gebrochen und zu einem Punkt (griechisch: Stigma) auf der Netzhaut vereint werden (Abb. 1.8). Punkte werden dadurch als Linien wahrgenommen. Es entsteht eine Unschärfe in der Ferne und Nähe (Abb. 1.10), welche mit einem zylindrischen Brillenglas (Abb. 1.9) korrigiert werden kann (vgl. ebd.).

Abb. 1.8: Optische Brechung bei Hornhautverkrümmung

Die folgende Tabelle (Tab. 1.2) zeigt Symptome und Anzeichen von Fehlsichtigkeiten im Überblick.

Abb. 1.9: Korrektur der Hornhautverkrümmung

Abb. 1.10: Seheindruck Hornhautverkrümmung

Tab. 1.2: Symptome und Anzeichen für entsprechende Fehlsichtigkeit

Fehlsichtigkeit

Korrektur

Symptome und Anzeichen

Myopie – Kurzsichtigkeit

Minusglas

Unschärfe in der Ferne (z. B. werden Personen nicht erkannt)

Kopfschmerzen

Zusammenkneifen der Augen

Hyperopie – Weitsichtigkeit

Plusglas

Unschärfe in der Nähe

Kopfschmerzen

Ermüdungserscheinungen

Astigmatismus – Stabsichtigkeit

Zylinderglas

Unschärfe in der Ferne und Nähe

Kopfschmerzen

Brennende Augen

Lichtempfindlichkeit

1.3.5 Korrektur von Fehlsichtigkeiten

Liegt eine Fehlsichtigkeit vor, kann diese mittels Brillengläsern, Kontaktlinsen oder Operationen korrigiert werden. Die Höhe der Fehlsichtigkeit wird durch eine Brillenglasbestimmung (Refraktion) ermittelt. Diese bestimmt den Wert des Brillenglases und wird in Dioptrien angegeben. Der Wert beschreibt, wie stark ein Brillenglas/eine Kontaktlinse das Licht brechen muss, um die Fehlsichtigkeit des Auges zu korrigieren. Befindet sich dieser Wert im positiven Bereich (Pluszeichen vor der Dioptrieangabe), handelt es sich um die Korrektur einer Weitsichtigkeit. Bei der Kurzsichtigkeit wird der Wert mit einem Minuszeichen gekennzeichnet.

Das Beschriften der Brillen mit dem Namen sowie der Hinweis auf eine Fern- oder Nahbrille können für die Senioren selbst sowie Angehörige und das Pflege- und Betreuungspersonal hilfreich sein. Markierungen können zum Beispiel in Form von selbstklebenden Etiketten oder farbigen Punkten, z. B. mittels Window Color oder Nagellack, an der Bügelinnenseite angebracht werden. Auch vorhandene Brillenpässe können Informationen zu Brillen und den vorliegenden Fehlsichtigkeiten liefern.

Tipp: Aufgrund häufig fehlender Informationen zu vorhanden Brillen der Senioren kann die Frage aufkommen, für welche Sehaufgabe die vorliegenden Brillen genutzt werden sollen. Welche Brille ist für die Ferne? Welche für die Nähe? Oder ist es sogar eine Brille für verschiedene Entfernungen (Gleitsicht-, Bifokalbrille)? Ein Blick durch die Brille könnte hier erste Hinweise geben. Wenn eine Brille zum Ausgleich einer Kurzsichtigkeit (Minusglas) über einen Text gehalten wird, erscheint dieser im Verhältnis zum Originaltext kleiner. Handelt es sich um eine Korrektur bei einer Weitsichtigkeit – ebenso bei der Altersweitsichtigkeit – (Plusglas), erscheint der Text größer (Abb. 1.11).

Abb. 1.11: Abbildung durch ein Plus- (links) und Minusglas (rechts)

1.4 Sehen im Alter – Altersbedingte Veränderungen des Auges

Durch Augenerkrankungen oder altersbedingte physiologische (nicht krankhafte) Prozesse des Auges und des Gehirns können Veränderungen des Sehens auftreten. Bei der Alterung findet ein progressiver Abbau anatomischer Strukturen und physiologischer Funktionen statt. Die Altersweitsichtigkeit wird anhand unscharfem Sehen in der Nähe als erste Veränderungen am Auge meist ab dem 40. Lebensjahr wahrgenommen (vgl. Berke et al. 2007, S. 169, 173).

Darüber hinaus weist das Auge im Alter auch pathologische (krankhafte) Veränderungen auf, die zu einer Minderung der Sehschärfe bis hin zur Erblindung führen können (Teil I, Kap. 2.1). In diesem Beitrag liegt der Fokus auf den physiologisch bedingten Veränderungen im Alter.

1.4.1 Physiologische (nicht krankhafte) Ursachen für Veränderungen des Sehens im Alter

Neuronale Ursachen

Anatomische und biochemische Alterungsprozesse des zentralen Nervensystems haben Auswirkungen auf die Verarbeitung visueller Reize. Bei der Abnahme von Nervenzellen im Gehirn spricht man von anatomischen Alterungsvorgängen, die Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Gehirns haben.

Der Verlust von Zellen in der Netzhaut wirkt sich auf die visuelle Wahrnehmung aus. Vermehrte Einbußen in der Peripherie (Außenbereich) der Netzhaut führen zu räumlichen Orientierungsschwierigkeiten. Man geht davon aus, dass diese neuronalen Veränderungen das Sehen wesentlich stärker beeinträchtigen als Veränderungen, die durch optische Ursachen (siehe unten) hervorgerufen werden (vgl. Berke et al. 2007, S. 169 f.).

Kognitive Ursachen

Die altersbedingte Veränderung der Kognition hat ebenso Einfluss auf die visuelle Wahrnehmung. Hauptgrund dafür ist die Verlangsamung der Verarbeitungsprozesse, die einem älteren Menschen das Orientieren in einer neuen Umgebung erschweren können (vgl. Berke et al. 2007, S. 170 f.).

Optische Ursachen

Die Netzhauthelligkeit (gibt an, wie viel Licht auf der Netzhaut ankommt) eines älteren Menschen ist um zwei Drittel geringer als bei einem jüngeren. Ursache dafür ist die altersbedingt enge Pupille (senile Miosis). Diese Veränderungen beeinträchtigen weitere Sehfunktionen.

Da sich die Pupille bei geringer Helligkeit gar nicht oder nur wenig weiten kann, bereitet der Übergang von hellen zu dunklen Umgebungen älteren Menschen häufig Schwierigkeiten.

Auch altersbedingte Linsentrübungen haben Einfluss auf die Netzhauthelligkeit. Das durch die Medientrübung gestreute Licht verringert den Netzhautkontrast und hat Auswirkungen auf die Sehkraft und das Sehen bei schlechten Beleuchtungsverhältnissen. Hier zeigen sich ebenso Einbußen beim Farbensehen. Deswegen benötigt ein 60-jähriger Mensch drei Mal mehr Licht zum Sehen als ein 20-jähriger (vgl. Berke et al. 2007, S. 171 f., 270).

1.4.2 Auswirkungen physiologisch (nicht krankhafter) altersbedingter Veränderungen des Sehens

Altersweitsichtigkeit (Presbyopie)

Ab dem 40. Lebensjahr beginnt in der Regel die Altersweitsichtigkeit. Durch den Elastizitätsverlust der Augenlinse ist das Scharfsehen nahebefindlicher Objekte nur noch erschwert möglich. Das schleichende Einsetzen einer Presbyopie empfinden viele Menschen als eine Minderung der Lebensqualität. Eine Nah- oder Mehrstärkenbrille kann die Altersweitsichtigkeit ausgleichen, zudem erleichtert eine zusätzliche Beleuchtung das Lesen. Bei der Ausübung alltäglicher Aufgaben, wie Kochen, Karten spielen etc., kann mit einer Mehrstärkenbrille ein scharfes Sehen in allen Entfernungen ermöglicht werden (vgl. Berke et al. 2007, S. 175 ff.; Hansen 2007, S. 254).

Sehschärfe

Das erhöhte Alter hat ebenso Einfluss auf die Sehschärfe. In den meisten Fällen beträgt die Sehschärfe bei einem über 75 Jahre alten Menschen über 50 Prozent, was in der Regel noch das Zeitungslesen ermöglicht. Durch die herabgesetzte Netzhauthelligkeit und der damit einhergehenden Kontrastminderung kommt es zu Einbußen der Sehschärfe (vgl. Berke et al. 2007, S. 174 f.).

Kontrastsehen

Der Kontrast definiert den Unterschied zwischen hellen und dunklen Bereichen eines Bildes oder Gegenstandes (Teil II, Kap. 8.3). In der Augenheilkunde und der Augenoptik wird der Begriff Kontrastsehen verwendet. Neben der Sehschärfe ist das Kontrastsehen ein wichtiger Aspekt beim visuellen Wahrnehmen und Erkennen von Objekten (Abb. 1.12). Das Kontrastsehen ist wichtig für das klare Erkennen und Zuordnen von Gegenständen oder Formen. Es können nur dann Objekte wahrgenommen werden, wenn sie eine bestimmte Größe und einen deutlichen Kontrast zu ihrer Umgebung aufweisen. Die Sehschärfe und das Kontrastsehen sind eng miteinander verbunden und haben einen Einfluss auf die Sehleistung (vgl. Berke et al. 2007, S. 177 f.).

Ab dem vierten Lebensjahrzehnt machen sich erste Veränderungen beim Kontrastsehen bemerkbar. Ungefähr 70 % aller über 60-Jährigen benötigen einen dreifach höheren Kontrast im Vergleich zu einem 20-Jährigen (vgl. Blackwell et al. 1971, S. 3 ff.).

Aufgrund dessen benötigen ältere im Vergleich zu jüngeren Menschen mehr Helligkeit, um komplexe Objekte erkennen und voneinander unterscheiden zu können (Abb. 1.13). Das Nachlassen der Kontrastempfindlichkeit macht sich vor allem im Straßenverkehr, beim Erkennen von Gesichtern, aber auch im häuslichen Alltag bemerkbar (vgl. Berke et al. 2007, S. 178 ff.).

Abb. 1.12: Unauffälliges Kontrastsehen

Abb. 1.13: Herabgesetztes Kontrastsehen

Blendungsempfindlichkeit

Trübungen der Augenmedien sind die häufigsten Ursachen für Streulicht. Die daraus entstehende Blendungsempfindlichkeit führt zu einem verringerten, subjektiv wahrgenommenen Kontrast. Besonders in der Dämmerung und Dunkelheit, v. a. in Situationen mit Gegenlicht, macht sich die Blendung bemerkbar (vgl. Berke et al. 2007; Grehn 2012, S. 44).

Gesichtsfeld

Das Gesichtsfeld (Abb. 1.14) ist der Bereich, in dem man seine Umwelt bei unbewegtem Kopf und Geradeausblick der Augen erkennt (vgl. Goersch 2004, S. 112). Die Grenzen eines gesunden Gesichtsfeldes liegen 60° nach innen zur Nase, 90° nach außen, 50° nach oben und 70° nach unten (vgl. Kinski 1996, S. 237).

Abb. 1.14: Gesichtsfeld