Selbstbeobachtung als soziale Kernkompetenz - Urs Weth - E-Book

Selbstbeobachtung als soziale Kernkompetenz E-Book

Urs Weth

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Beschreibung

Wir urteilen, beurteilen, verurteilen,kritisieren oder verachtenalles, was uns aus unserempersönlichen Umfeld in die Querekommt. Wir steigen auf dieKanzeln der Gesellschaft undpredigen der Welt, was darinalles schief läuft und wie sierichtig zu sein hat! Das allestun wir lange, lange Zeit und wirleiden unendliche Leiden, sterbenunendliche kleine Tode, weiles der oder die andere einfachnicht kapiert! Oder weil man unsselbst verkennt in unserer(vermeintlichen) Größe!So vergehen Jahre oder garJahrzehnte unseres Lebensin der Meinung, nur Gutes tunzu wollen, bis wir schmachvollentdecken, dass dieses AndereWIR SELBST sind!

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Copyright© 2011/14/20 Urs Weth 3. Auflage

Neuherausgabe nach "Selbstreflexion - als soziale Kernkompetenz"

Herausgeber: Wirkstatt-Verlag, Basel Autor: Urs Weth

Umschlaggestaltung: Wirkstatt-Design Illustrationen: Johanna Schneider

Verlag: Wirkstatt-Verlag, Basel ISBN: 978-3-9524677-7-0

Druck in Deutschland

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

«Erst am Ende der Erkenntnis aller Dinge wird der Mensch sich

selber erkannt haben.

Denn die Dinge sind nur die Grenzen des Menschen»

 

Friedrich Nietzsche - Morgenröte

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Urs Weth

 

Selbstbeobachtung

als soziale Kernkompetenz

Ein Blick hinter die Kulissen der eigenen Persönlichkeit oder wer spricht,

wenn Sie Ich sagen

 

 

INHALT

 

Einführung      7

Ich oder Es      10

PersönlichesKrisenmanagement      14

ERKENNTNISWERKZEUGE

Dasaktive Denken      18

Intermezzo:Logik      20

Intermezzo:Ganzheit      26

Intermezzo:Interesse      27

Das Begreifender Begriffe      29

Intermezzo Symbol      31

Intermezzo:Atheismus      33

Intermezzo: Kunst      35

Subjektive Werte      37

DieWahrnehmung      38

Vorstellung und Erinnerung      42

Gedankenebenen      47

FreiesDenken      51

Ich-Zustände      53

Selbstbild      57

Vom Sinndes Leidens      59

IstGottobjektiv      61

Was ist„spirituelle“Forschung      68

Werkzeugeder Bildungskultur      69

FREIHEITSWERKZEUGE

Vonblinden Flecken      76

Achtsamkeit      82

Der Tatort istdas Jetzt      84

DerFreiheitsbegriff      85

Vorstellung, Ideeund Ideale      92

Intuitionund Selbstbeobachtung      96

SCHATTENWERKZEUGE

Persönlichkeit      102

Selbst-undFremdwahrnehmung      104

Status-Symbole      106

Erkenntnismöglichkeiten      110

Diegebundene Identität      112

Diefreie Identität      116

Individualität      118

Individualität und Kunst      118

Egoismus und das Es      120

Antipathie und Sympathie      121

Ich oder Es      122

WeltbildundSelbstbild      124

UnsereinnerenLebensbegleiter      125

KonzeptderTeilselbste      128

Fehlerkultur      133

SOZIALE WERKZEUGE

LebenistProzess      136

Persönlichkeitsstrukturen      142

Wir und Ich      147

FreiheitundGesetze      154

Masken imsozialenUmfeld      157

Unddie Liebe?      159

DieLiebeskurve      166

PRAKTISCHE WERKZEUGE

Daseinfache Leben      174

Zusammenfassung      176

Undnoch etwas…      178

 

Einführung

Die Einsicht in die eigene Persönlichkeitsstruktur ist eine der schwie- rigstenAufgaben,diewirunsstellenkönnen.DieintellektuelleAnaly- sehilftdanurbedingtweiter.SelbstwennichinderLagebin,gewisse Eigenheiten zu durchschauen, habe ich keine Veränderungen vorge- nommen. Umwandlungen entstehen nicht durch Analyse, sondern durch Betroffenheit! Betroffenheit entsteht durch ein wirkliches in- den-Dingen-leben. Die lateinische Bezeichnung dafür heißtInteresse. Von Ich oder Es zu sprechen ist nur wesentlich für das Erleben. Für den Intellekt ist es irrelevant, ohne Bedeutung.

Vorstellungen, welche uns von solchen Erlebnissen trennen, bilden die Mauern dazwischen. Die Verhaftung mit ihnen stellt die größte Herausforderung dar. Und diese Verhaftung verdrängt etwas Anderes in uns.

Ermahnungen und Belehrungen sind von geringem Nutzen. Bekeh- rungen sind kein guter Weg. Diese bringen etwas anderes mit sich, etwas, was sehr hinderlich ist auf dem Weg zu erlebter (Selbst-) Er- kenntnis, nämlich: ein schlechtes Gewissen!

 

Durch Selbstbeobachtung erkennen wir die Persönlichkeit als etwas von unserem tieferen Kern verschiedenes. Viele Jahre verbringen wir damit, dieses Andere im Außen zu suchen. Wir urteilen, beurteilen, verurteilen,kritisierenoderverachtenalles,wasunsausunseremper- sönlichen Umfeld in die Quere kommt. Wir steigen auf die Kanzeln der Gesellschaft und predigen der Welt, was darin alles schief läuft und wie sie richtig zu sein hat! Die «linke» Partei tut dies mit der- selben Überzeugung, wie die «rechte». Wir beharren auf persönliche Rechte und ergreifen hinterlistige Methoden, um dieses Recht zu un- seren Gunsten durchzusetzen. Und dabei meinen wir es ja nur gutmit unseren Mitmenschen und glauben, sie auf den rechten Pfad bringen zu müssen. Denn wir wissen es schließlich besser alsjene.

Das alles tun wir lange, lange Zeit und wir leiden unendliche Leiden, sterben unendliche kleine Tode, weil es der oder die andere einfach nichtkapiert!Oderweilmanunsselbstverkenntinunserer(vermeint-

 

 

lichen) Größe!

So vergehen Jahre oder gar Jahrzehnte unseres Lebens in der Mei- nung,nurGutestunzuwollen,biswirschmachvollentdecken,dass dieses Andere WIR SELBSTsind!

Wir entdecken, dass wir jahrelang einen schmerzhaften Kampf ge- kämpft haben - gegen uns selbst! Was wir als Liebe bezeichnet ha- ben, war nur eine egoistische Variante des Selbst. Was wir hassten, warenentäußerteAnteileunserereigenenPersönlichkeit,denenwir Du oder Es sagten, aber Ichmeinten.

 

Wir konnten sie nicht als unser Eigenes erkennen, weil wir mit ih- nen aufs Innigste verbunden waren, ohne es zu wissen. Und den- nochhabenwirsieerkannt,abernurwennsievonaußenaufunszu- kamen.DasDubotunsgleichsamdieMöglichkeit,aufdeneigenen verdecktenSchlammhinzublicken.Wirwollten«Es»nichtwahrha- ben. Wir verteidigten die Unversehrtheit und Reinheit unserer per- sönlichen Glaubensbekenntnisse aufs Schärfste und fühlten Stolz. Und nun, da wir angefangen haben, diesen Seelenacker umzupflü- gen,zerbröckeltaufeinmalunserSelbstbild.Eszerbrichtintausend Scherben und wir sterben tausende von kleinen Toden. Wir wollen auf einmal nicht mehr dieser Mensch sein, der wir waren. Wir wol- len ihn vernichten, auslöschen, zertrümmern! Er ist unser größter Feind geworden. Er verkörpert alles, was wir früher draußen in der Welt verurteilt haben, als wir ihn noch nicht kannten. Er ist das Monster, welches wir dort draußen zu erblicken glaubten und wel- ches wir mit aller Kraft vernichten wollten. Nun erkennen wir es: in unsselber.

Jetzt erst haben wir begonnen, dies zu begreifen!

Wenn wir den Anderen in uns entdeckt haben, verlieren wir in gewissem Sinn die Unschuld und damit die Unbefangenheit. Gleichzeitig gewinnen wir aber sehr viel: UNS SELBST - und damitmehrinnereAusgeglichenheitundZufriedenheitimLeben.

 

DieGedanken,dieichindiesemBuchmitIhnenteile,sollenimmer als Prozess, als «Wegzehrung» und als wandelbareSuchbewegung

 

 

verstanden werden. Nur, wer ist Ich? Wer schreibt dieses Buch? Wohin die Reise letztlich führt ist unwesentlich. Ich weiß es sowieso nicht. Es bleibt ein stetes Suchen. Weshalb soll ich mir also den Kopf darüber zerbrechen? Sicher, es gibt diese Ahnungen und Tendenzen, die sich im Laufe des Lebens vielleicht klarer herausschälen. Gedan- ken sind keine fixen Pflöcke, keine «Eisblöcke» (an denen die Tita- nics der Dogmen zerbrechen), sondern Schiffe in immer bewegtem Wasser.Sienavigierenstetsneuundrichtensichunentwegtneuausin ihrer Hin- undHer-Bewegung.

 

Gedanken festzunageln ist ein Unding. Gewiss, es braucht Ausrich- tungen, Strukturen, Leitplanken. Nur, jede Struktur, jeder Gedanke bringt uns wieder in eine neue Situation! Das Heute ist anders als das Gestern und schon der nächste Augenblick ist wieder anders als dieser.DieAndersheitbringtneueBedingungenunddieneuenBedin- gungen verlangen wiederum neue Gedanken. Der Kreislauf schließt sich.Heraklitsagte:IndenselbenFlusssteigstdunichtzweimal!Und Kratylos, sein Schüler war es, der sagte: Und in denselben Fluss, steigst Du auch nichteinmal!

 

Gedankensindabernichteinfachwillkürlich!SienehmenimmerBe- zug auf das Vorhergegangene. Sie verbinden die Vergangenheit mit der Zukunft. Wenn sie das nicht tun, dann sind es keine Gedanken mehr,sondernpassiveVorstellungen,dievonAssoziationzuAssozia- tion hüpfen, meist aus einem vorprogrammiertem Muster heraus und ohne logischen Bezug.

Was ich für Sie schreibe, sind keine Rechtfertigungen eigener Ideen. Nichts ist «absolute Wahrheit». Alles muss im Kontext der Wandel- barkeitbetrachtetwerden.Jede«persönlicheWahrheit»verändertsich mit Begegnungen und mit jedem Ihrer eigenen Gedanken und Gefüh- len immerwieder!

 

Ich oder Es

Gedanken sind schwieriger zu transportieren als Emotionen und Gefühle. Wenn Sie herzhaft auf einen anderen Menschen zugehen, dann werden Sie auf der ganzen Welt verstanden. Man wird ent- sprechend darauf reagieren, ohne dass Sie ein Wort sprechen müs- sen.AlleMenschen,alleTiereundsogarallePflanzenundLebewe- sen, verstehen die Sprache der Gefühleunmittelbar.

Der Weg vom Begriff bis zu dessen Verarbeitung in denHirnzellen meiner Leser ist schlicht zu komplex und mit unendlichen Hürden, genannt «Vorstellungen», verbunden. Es gibt keine universellever- bale Sprache! Selbst wenn wir deutsch miteinander sprechen, sind zu viele Hindernisse dazwischen, die den Konsens trüben könnten. Dasselbe Wort löst unterschiedliche Gefühle aus, weil der Erfah- rungshintergrund ein anderer ist. Das macht die Verständigung un- endlich schwer.

Eigentlich müsste jeder Mensch mit dem gleichen Inhalt in unter- schiedlicher Art und Weise angesprochen werden. Mit dem einen Freund darf ich ein Vokabular verwenden, welches einen anderen Freund auf die Palme bringt.

 

Technische Dinge und manche alltägliche Banalitäten sind dabei weniger anfällig als Lebensthemen und Bewusstseinsfragen. Sie treffenundbetreffenjedenvonuns.Manchmalsosehr, dasssieans

«Lebendige» gehen und existentiell werden.

Die andere Seite sieht so aus: Wir verbringen auch viel Zeit damit, fremdeInhalteungeprüftzuübernehmen.WiradaptierenGedanken vonanderenMenschen,seienesGedankenausGesprächen,ausder Zeitung, von Vorträgen, aus Büchern oder aus dem Internet. Auch aus der Wissenschaft oder von einem Prof. Dr. Sowieso, überneh- menwirsomanchesundbauenesungefiltertinunsereeigenenGe- dankenkonzepte mit ein.

 

WirsuchengernenachInhalten,diesichgutinunsereeigenenVor- stellungen integrieren lassen. Die wirklich substantiellen,tiefgrei-

 

 

fenden Begründungen sind nicht immer maßgebend, sondern ledig- lich die Tatsache eines gewissen «Sympathie-Bonus» gegenüber den Inhalten.

Der «links» gefärbte Bürger sucht sich seine Denkanstöße eben aus der Literatur gleichgesinnter oder aus linksgerichteten Tageszeitun- gen. Dort findet er die Nahrung für die eigene Meinung. Gleiches gilt auch für die «rechte» Seite oder Färbungen jeglicher Art.

Solche Vorstellungen und der (gesunde) Verstand sind ein unersetz- liches Werkzeug, um uns in der Welt zu bewegen und um den Hand- lungen einen sinnvollen Ablauf zu geben. Sie dienen dazu, diese Handlungsabläufe zu optimieren und zugleich die Wahrnehmungen bewusst in Denkinhalte und Begriffe umzuformen.

Aus dieser täglichen geistigen Arbeit sammeln wir unsere Erfahrun- gen. Sie machen das Leben in jeder Beziehung einfacher, formen es mit und gestalten es effizienter. Gedankenloses Handeln würde be- deuten, dass wir zu Chaoten würden. Vom Denken verarbeitete und umgewandelte Erfahrungen und Eindrücke fördern die Bewusstseins- entwicklung.

Wenn wir fremde Inhalte aufnehmen und umsetzen oder verinnerli- chen, vergleichen wir sie zunächst mit allem, was wir selbstim Laufe der Zeit aus den Erlebnissen und Erfahrungen gewonnen haben. Wir stimmen sie mit unseren Gedankenkonstruktionen und Denkmustern ab. Wenn es zur Übereinstimmung kommt, sind wir dem Inhalt ge- genübersympathischgestimmt,wenneskeineÜbereinstimmunggibt, neigen wir zurSkepsis.

 

Gedanken zu bilden heißt «Bildung». Mit zunehmendem Alter ver- festigtensichjedochdieVorstellungen.WirbauendamitWiderstände imUmfeldundbeiunsselbstauf.Diese«Mauern»werdenzuSchutz- schildern gegen Bedrohungen von außen. Es findet Abgrenzung statt. Siekannnurbedingt-nämlichimZustandderÜbereinstimmung

- durchbrochen werden. Die Fragekultur verwandelt sich so in eine Meinungskultur.DieBeweglichkeitdesDenkersopfertsichan«Fest- Stellungen» undLehrdogmas.

Das Denken an sich ist dabei weder gut noch schlecht. Es ist ein Be-

 

 

wusstseinswerkzeug. Punkt. Eine Urform von Energie. Sie ist eine menschliche «Eigenheit», die sich so in den anderen Naturreichen nicht zeigen. Erst die Verfestigung der Vorstellungen blockiert de- ren freies Fließen. Sie verflechten gedanklichen Inhalt mit unserer Identität und verhaften uns mit ihnen. Mit anderen Worten: die Gedanken und Vorstellungen übernehmen die Kontrolle. Das per- manente und freie Ich wird daran gebunden. Solche Vorstellungen verhalten sich passiv und automatisiert. Sobald das freie Ich die Führung übernimmt, wird Denken aktiv.

 

 

DerpassiveZustanddesBewusstseinswirdhierundkünftigForm-Ich oderbessernochgebundenesIchgenannt.AlleInhalte,dievonaußen überBegriffeaufgenommenwerden,habeninderFormidentitätKon- fliktpotential, weil Begriff und Inhalt nie identisch seinkönnen.

Aus dieser Tatsache, die nur aus der Perspektive einer inneren Beob- achtung erfahren wird, ist der Ursprung von Leid und der Verlust von Lebensenergie verwurzelt. Sie prägen uns und gestalten anpathologi- schen Verläufen und an psychischen Krisenmit.

Vorstellungen sind gewissermaßen die «Wolken» des seelischenWet- ters.JemehrVorstellungenunsergegenwärtigesTunbeschatten,umso weniger werden wir die «Sonne am Himmel» sehen. Wir gewöhnen uns an die Finsternis und vergessen das Lichtdahinter.

 

Dem stellt sich eine zweite Bewusstseinsstufe gegenüber. Sie bildet das Zentrum unsres Seins als freies, permanentes Ich und orientiert sich nicht an der formalen und stofflichen Welt. Das (aktive) Denken ist ein vom (freien) Ich ergriffener Akt, in welchem der Wille integ- riert ist. Denken muss auf alle Fälle differenzierter betrachtetwerden, als dies im Alltag gebraucht wird. Bewusstsein ist ein Seins-Zustand. Er bezeichnet (Geistes-) Gegenwart. Er ist unmittelbar und immer im Jetzt verankert. Das heißt: Wenn wir jetzt diese und jene Gedanken (passivoderaktiv)haben,dannwirdsichunserenähereoderauchfer- nere Zukunft nach diesen Gedanken richten und verändert sie! Wenn wir an die Vergangenheit oder an die Zukunft denken, dann sind wir nicht im «Sein», sondern im Geworden-Sein oder im zukünftig Wer- denden. Genauer müssten wir dann nicht von Bewusst-Sein sprechen, sondernvombewusstGewesenemodervombewusstWerdendem.Ak- tives Bewusstsein ist immer eineErkenntnis-Tat.

 

Die Realität, also was real, in diesem Augenblick, anwesend ist, lebt immerimSeinundistalsdasLebenansicherfahrbar.Allesandereist passiveVorstellung,entwederinFormeinerInterpretationoderErwä- gung, oder als Erinnerung.

Die Konsequenz daraus ist diese, dass die Vergangenheit sich immer wiederindieZukunftfortpflanzt,sichständigwiederholtundimLau-

 

 

fe der Zeit befestigt wird. Einmal gesetzte Vorstellungen werden selten hinterfragt. So entstehen Meinungen, Lebensprinzipien und Dogmen. Die Erfahrungen von gestern bestimmen die Planung von Morgen. Das ist unser «Normalzustand», in dem wirfunktionieren, unser «Autopilot». Er ist «verrückt» von derGegenwart.

 

Erfahrungen von gestern sind in meinem Gegenwartsbewusstsein auch dann verankert, wenn sie nicht bewusst in das Morgen trans- portiert werden. Sie bleiben im Unbewussten liegen. Die Planung vonMorgenlässtkeineAbweichungmehrzu,wennsienichtlatent, im Hintergrund, abgeglichen und reflektiert wird. Sie geschieht au- tomatisch und in Abwesenheit vom bewussten Sein. Sie bestimmt unserHandeln.DerWilleisteingeschränkt,passiv,gelenktundun- frei.Freiheitkannnurausderunmittelbaren,aktiverlebtenGeistes- gegenwart heraus entstehen.

AktiveGegenwartmussachtsamerlebtundbeobachtetwerden,um Vergangenheit stets in Zukunft zu verwandeln. Die Entscheidungs- Optionen und das Blickfeld werden so stets erweitert. Aus mono- toner Wiederholung wird aktive Neuschöpfung. Aktives Schaffen wird imaginativ als freies Handeln erlebt. Die Vorstellungen wer- den nicht in neuronale Bahnen verschweißt und fixiert, sondern stetsneubewertetundumgestaltet,«neuroplastiziert».Diesisteine explizit künstlerische Haltung und kann in jeder sozialen Tätigkeit oder im alltäglichen Tun höchst fruchtbarsein.

 

Persönliches Krisenmanagement

Eshatsichbisweilenweitherumgesprochen,dassderMenschnicht nur ein biochemisch-physikalisches Konstrukt ist. Vielmehr muss ein handlungsleitender, geistiger Hintergrund in ihm vorhanden sein. Gerade in der Pathologie zeigen sich die Einflüsse seelischer Instabilität bei vielen Krankheitsbildern zuweilenhandgreiflich.

Welche Konflikte, Probleme oder Krisen auch immer dahinter ste- hen:WirfindenfastkeineKrankheitmehr,dienichtauchdenseeli-

 

 

schenEinflusshindurchscheinen(«personare»)lässt.Damitsindnicht nur die klassischen psychischen Krankheiten gemeint. Viele physi- sche Krankheitsbilder deuten klar auf dahinterliegende psycho-soma- tische Prozesse hin, welche im engeren oder weiteren Sinne seelische Instabilitäten bedingen.

WenneinMenschineinerKrisestecktoderpsychischeProblemehat, gibt es verschiedene Lösungsansätze, damit umzugehen. Für den Be- troffenen selbst gibt es mindestens vier grundlegendeAnsätze.

Die erste Möglichkeit ist, aktiv zu leiden, das Leiden zu akzeptieren undeszuertragen.ZugegebenermaßenkeinsehrverlockenderAspekt. Dennoch gibt es viele Menschen, die das Leid überall suchen, es un- terhalten, nähren und pflegen! Sie fühlen sich wohl in der «Opferrol- le»undmöchtennichtdaraufverzichten.DieseHandlungsweisemuss nichtzwingendbewusstsein.SiehabenMangelerscheinungen,sobald siekonfliktfreileben.EsbleibteinBedürfnis,im«Kind-Ich»-Zustand zu verbleiben.

 

Menschen dieses Typs gehen lange Zeit jede Woche zum Psychiater underzählenihmvonallenLeidenundProblemenmiteinergewissen Lust. Danach gehen sie befriedigt nach Hause um sich eine weite- re Woche passiv im gleichen Lebensumfeld zu wälzen. Menschen in diesem Umfeld sind geneigt, entsprechende Nahrung zuzuführen, um das Selbstbild des/der «Leidenden» aufrecht zu erhalten. Für diesen Kreislauf werden erhebliche Geldsummen aufgewendet, letztlich nur, umdaseigeneKind-Ichzunähren!SomancheinPsychiatergibtsich mit dieser Rolle zufrieden, lehnt sich zurück, hört nickend und ver- ständnisvoll zu, gibt ein paar Tipps für die nächste Woche, um sich dann dem nächsten «Opfer» zuzuwenden. Dies womöglich ohne die spirale Dramatik darin zuerkennen.

DiezweiteVarianteeinerProblemlösungschafftoftKrisen,kannaber auch Krisen überwinden. Es ist ein großer Schicksalsschlag. Diese harten Brüche im Leben eines Menschen, bringen in vielen Fällen auch bewusstseinsverändernde Erlebnisse und Impulse mit sich. Das kann durchaus neue Lösungsansätze bringen. Auch wenn diese Mög- lichkeit sehr schmerzlich und unter Umständen mit Depressionenbe-

 

 

gleitet wird, so ist doch das Potential in die andere Richtung, einer positiven Korrektur, gegeben.

DerdritteWeg,derunsausKrisenhinausführenkann,istdieSelbst- erkenntnis und die innere geistige Arbeit an sich selbst. Von dieser Möglichkeit wird in diesem Buch meist die Rede sein. Sie bedingt allerdings einige (mentale) «Ausdauer» und Übung. Sie ist aber ef- fektiv und unmittelbar verwandelnd.

 

Allerdings gibt es auch noch eine vierte Möglichkeit der Konflikt- bewältigung: die Ignoranz/Projektion. Dabei werden herrschende Konfliktegarnichterstwahrgenommen.Siewerdenverdrängtoder unterdrückt.EsistnichtderselbeZustand,wiedasAkzeptierenund AnnehmendesLeides.InderIgnoranzstelltsichderBetroffenemit seiner Wahrnehmung außerhalb seines Leidensprozesses. Dadurch wird dieser nicht erkannt, sondern abgelehnt, verdrängt oder nach außenprojiziert.GleichzeitigzeigensichaberdeutlicheVerhaltens- weisen, welche zu Konflikten mit sich selbst und seinem Umfeld führen können. Diese Abspaltung bildet ein Wesen in der «dritten Person», welches wir, mit Sigmund Freud, das «Es» nennen kön- nen. Somit haben wir den Gegenspieler benannt, der uns durch die folgenden Kapitel begleiten wird. Das Schattenboxen kann begin- nen.

 

Zusammenfassend seien hier die 4 Möglichkeiten nochmals aufge- führt:

 

Leiden wollen, Leiden

akzeptieren

Schicksalsschläge positiv

verwerten

Selbsterkenntnis und

Meditation

Ignoranz und

Projektion

 

ERKENNTNISWERKZEUGE

 

Wir erschrecken über unsere eigenen Sünden, wenn wir sie an anderen erblicken.

 

 

Johann Wolfgang von Goethe

 

Das aktive Denken

Goethe sagte am Ende seines Lebens: «Hab ich es nicht gut ge- macht, hab niemals übers Denken nachgedacht». Wir sind als den- kende Wesen fähig, der Natur und der Welt mit Bewusstsein ge- genüberzutreten und sie in sinnvolle Zusammenhänge zu bringen. DenkenistBewusstseinsqualität.SiemachtdenMenschenerstzum Menschen. Was die Welt der Formen, die physische Welt, teilt und trennt, das wird vom aktiven Denken wieder in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht. Solches Denken ist eine direkte Brücke vom freien Ich zum «gebundenen» Ich! Nicht die passive Vorstel- lung,nichtdasErinnern,nichtdasReferierenvonfremdenInhalten, sondern das sinnvolle Verbinden der Wahrnehmungen in neue Zu- sammenhänge, schafft dieseBrücke.

«Am Anfang war das Wort»? Nein, es ist nicht das «Wort»,welches nach der Übersetzung Luthers am Anfang aller Entwicklung steht, wo es heißt: «Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott undGottwardasWort.DasselbewaramAnfangbeiGott.»(Vers

1.1. von Johannes). Die Übersetzung «Wort» ist aus der altgriechi- schen Sprache von «Logos» abgeleitet. Aber «Logos» bedeutet nur insekundäremSinne«Wort»:EsisteineabgewandelteAlltagsform desselben Begriffs. In den Urtexten steht dafür: «der Ursprung des Denkens». Man kann durchaus von «Sinn» sprechen, jedenfalls kann nicht das simple «Wort» damit gemeintsein.

 

Der Ursprung des Denkens! WOW! Man kann sich fragen: Ist das Wort, der Ursprung des Denkens? Viel eher würden wir das Wort mit dem Produkt des Denkens in Verbindung bringen. Der Begriff bildet sich am Denken, nicht das Denken am Begriff. Demnach kanndasbloßeWortnichtdieBedeutung:«UrsprungdesDenkens» haben. Wenn wir den Vers in dieser neuen Weise übersetzen, dann müsste es heißen: «Im Anfang war der Ursprung des Denkens, und derUrsprungdesDenkenswarbeiGottundGottwarderUrsprung desDenkens».

Da ergibt sich neuer Sinn! Nicht das Denken selbst und schon gar nicht die passive Vorstellung steht am Anfang, sondern dessen Ur-

 

 

sprung:dieaktiveQuelle,auswelcherdasDenkenentspringt.Alsoist Gott in uns, weil wir denkende Wesen sind. Wir haben Anteil an ihm, insofern wir denkende Wesensind.

Gedanken wie Vorstellungen erschaffen in uns (Lebens-) Motive. Sie erschaffeninunsfesteStrukturen,Muster,dieunsereGefühleundvor allem auch Emotionen erzeugen. Damit initiieren sie handlungslei- tende Impulse. Was sich in dieser Weise verfestigt, ist nicht etwa die freie «Intuition», welche aus der «moralischen Phantasie» (Steiner: Philosophie der Freiheit), gewonnen wird. Vielmehr sind es sich wie- derholende,passiveVorstellungen,welcheausdemformalenVerstan- desdenken entstehen. Gefühle, welche in diesem Kontext entstehen, werden Emotionengenannt.

 

 

Abb.: Gedankenstrom

 

 

 

ImLebentauchtimmerwiederdieFragenachderFreiheitdesWil- lensauf.DasisteinederGrundfrageninderPhilosophieüberhaupt. Passive Gedanken haben in uns eine ungeheure Kraft. Das Er- kenntniswerkzeugdesDenkensschafftimSpannungsfeldzwischen Form,StoffundGeistdenGrundsteinzurinnerenEntwicklungund Reife.

Was als Ziel dessen ansteht, eine wirkliche geistige Freiheit, wird durch das «Schattenwesen» der Formidentität verdeckt. Die wirk- lich freien Taten, welche aus bewussten Motiven heraus ergriffen undindieHandlunggebrachtwerden,bleibendemgebundenenIch weitgehend verdeckt undunerreichbar.

 

Erst auf dem Weg zu seiner inneren Entwicklung, erwacht es nach und nach in seinem freien Ich. Erst jetzt können freie Impulse ge- schaffen werden, die den Charakter der Gebundenheit durchbre- chen. Aktives Denken, wenn wir es unabhängig von unserer indi- viduellen Wesenheit begreifen, ist universell. Persönlich gebunden und subjektiv wird es erst dann, wenn es sich mit der emotionalen Formenwelt des Individuums, passiv, verbindet. Diese aus unserer Persönlichkeit und Biographie gegossene und geprägte Formen- welt hat mitunter eine zerstörerische und einengende Wirkung.

 

Intermezzo: Logik

Der Spezialfall des aktiven Gedankenlebens ist die logische Schlussfolgerung. Wohl jeder Mensch wird übereinstimmen, wenn ich sage: Der pythagoreische Lehrsatz bleibt bestehen bis ans Ende aller Tage.

 

 

raus, ohne das jeweilige Zutun des anderen, denselben Schluss gezo- gen.Daskonntensiedeshalb,weilsieausihrerpersönlichenpassiven Gedankenwelt herausgetreten sind und Anteil genommen haben an universellen Gesetzmäßigkeiten. Würden die beiden nicht zum glei- chenErgebniskommen,dannwirdniemandinderWeltdeswegenden pythagoreischen Lehrsatz anzweifeln!

 

Aristoteles führte folgende Beobachtungen an: Er stellte einen Satz vor die Zuhörer, der unbedingt richtig und unantastbar, also objektiv und allgemeingültig war. Dieser Satz lautete: «Alle Menschen sind sterblich». Es würde nichts am Prinzip ändern, wenn wir sagen wür- den: «Der menschliche Körper ist sterblich».

 

Jeder kann den Satz bedingungslos mitunterschreiben. Er ist objektiv und allgemein gültig. Aristoteles stellte den Folgesatz auf: „Sokrates ist ein Mensch». Gleich dem ersten könnte ich nun sagen: «Sokrates hat einen menschlichen Körper», weil ich auf das Körperhafte mei- nes ersten Satzes Bezug nehmen möchte. Daraus leitete Aristoteles einen logischen Schlusssatz ab, welcher sich auf die beiden vorigen SätzebeziehtundderenInhaltineinezwingende,objektiveAbleitung bringt. «Also ist der Körper von Sokrates sterblich». Das ist der lo- gische Schluss, der sich auch ohne unsere persönliche Färbung ohne weiteres ergibt. Wir nennen ihn deshalbobjektiv.

 

Diese Art von Schlussfolgerungen haben nichts mit Identifikations- problemen zu tun, weil ihre Autorität außerhalb des eigenen Selbst oder Ich liegen! Nicht alle unsere Gedanken sind somit an das per- sönliche Ich gebunden. Es muss klar unterschieden werden zwischen passiven Vorstellungen, Interpretationen, Dogmen, Meinungen, und dem außerhalb unserer Persönlichkeit liegenden Prinzips des logi- schen Schlusses!

 

Allerdings bilden sich unsere persönlichen Gedankenfolgerungen selten innerhalb dieses «Logos» ab. Der Alltag wird somit bestimmt durch das erste Prinzip: der Subjektivität.