Selbstorganisierte Teams führen - Siegfried Kaltenecker - E-Book

Selbstorganisierte Teams führen E-Book

Siegfried Kaltenecker

0,0

Beschreibung

Know-how für die Führung interdisziplinärer Teams in der Praxis

  • Schrittweises Eintauchen in die Thematik
  • Beschreibung von konkreten Tools und Praktiken, die in der Praxis helfen
  • Arbeitsbuch für alle Manager und Führungskräfte sowie Coaches im agilen Umfeld

"Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen durch selbstorganisierte Teams", behauptet das Agile Manifest. Diese Behauptung wirft einige Fragen auf: Wie sehen solche Teams aus? Welche Form der Führung brauchen sie? Und wie kann diese so umgesetzt werden, dass sie Selbstorganisation fördert?

Dieses Buch bietet praxisorientierte Antworten auf all diese Fragen. Siegfried Kaltenecker beschreibt, wie Führung in einem sich selbstorganisierenden Umfeld funktioniert, und gibt viele Hinweise, wie die eigenen Führungskompetenzen ausgebaut werden können. Er führt in die Grundlagen und die Grundwerte selbstorganisierter Teams ein: Commitment, Einfachheit, Respekt und Mut. Anhand von konkreten Fallbeispielen aus der Lean- und agilen Welt beschreibt er sodann ausführlich die handlungsleitenden Kernkompetenzen Fokussieren, Designen, Moderieren und Verändern. Für jede Kompetenz hat er konkrete Werkzeuge parat, wie z.B. Kunden-Radar, visuelles Arbeitsmanagement, bescheidenes Befragen oder Feedback-Planer, mit denen der Leser die Umsetzung in der Praxis nachvollziehen kann.

Die 3. Auflage wurde komplett überarbeitet, u.a. das Thema teamübergreifende Koordination vertieft, und um zusätzliche Werkzeuge (z.B. Team Purpose Statement, Flight Levels, Open Space Agility, Liberating Structures) sowie neue Praxisbeispiele erweitert.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 331

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Siegfried Kaltenecker ist geschäftsführender Gesellschafter der Loop GmbH, die sich auf agile Unternehmensentwicklung spezialisiert hat. Seit mehr als 20 Jahren unterstützt er die Umsetzung innovativer Arbeits- und Organisationsformen in den unterschiedlichsten Bereichen. Die Erfahrungen, die er dabei sammelt, verarbeitet er in Artikeln und Büchern wie Kanban in der IT, Selbstorganisierte Unternehmen, Tatort Kanban und Tod dem Management.

Zu diesem Buch – sowie zu vielen weiteren dpunkt.büchern – können Sie auch das entsprechende E-Book im PDF-Format herunterladen. Werden Sie dazu einfach Mitglied bei dpunkt.plus+:

www.dpunkt.plus

Siegfried Kaltenecker

Selbstorganisierte Teams führen

Arbeitsbuch für Lean & Agile Professionals

3., überarbeitete und erweiterte Auflage

Siegfried Kaltenecker

[email protected]

Lektorat: Christa Preisendanz

Copy-Editing: Ursula Zimpfer, Herrenberg

Satz: Gerhard Alfes, mediaService, Siegen, www.mediaservice.tv

Herstellung: Stefanie Weidner

Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN:

Print 978-3-86490-854-5

PDF 978-3-96910-533-7

ePub 978-3-96910-534-4

mobi 978-3-96910-535-1

3., überarbeitete und erweiterte Auflage 2021

Copyright © 2021 dpunkt.verlag GmbH

Wieblinger Weg 17

69123 Heidelberg

Hinweis: Dieses Buch wurde auf PEFC-zertifiziertem Papier aus nachhaltiger Waldwirtschaft gedruckt. Der Umwelt zuliebe verzichten wir zusätzlich auf die Einschweißfolie.

Schreiben Sie uns: Falls Sie Anregungen, Wünsche und Kommentare haben, lassen Sie es uns wissen: [email protected].

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

Es wird darauf hingewiesen, dass die im Buch verwendeten Soft- und Hardware-Bezeichnungen sowie Markennamen und Produktbezeichnungen der jeweiligen Firmen im Allgemeinen warenzeichen-, marken- oder patentrechtlichem Schutz unterliegen.

Alle Angaben und Programme in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt kontrolliert. Weder Autor noch Verlag können jedoch für Schäden haftbar gemacht werden, die in Zusammenhang mit der Verwendung dieses Buches stehen.

5 4 3 2 1 0

Vorwort zur 3. Auflage

»Jetzt ist schon wieder was passiert.« Die staunende Erkenntnis, die sich wie ein roter Faden durch Wolf Haas´ Brenner-Krimis zieht, passt zur Neuauflage dieses Buches wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Und das zumindest aus vier Gründen:

Erstens, weil mich das anhaltende Interesse am Thema erstaunt (und natürlich auch freut ;-)).

Zweitens, weil seit meiner letzten Überarbeitung viele Dinge passiert sind, mit denen niemand gerechnet hat – allen voran die globale Covid-19-Krise und die damit verbundene Veränderung unserer gesamten Lebens- und Arbeitswelt.

Drittens, weil das Manifest für Agile Softwareentwicklung, das auch das Thema selbstorganisierte Teams ins Rampenlicht gerückt hat, in diesem Jahr bereits seinen 20. Geburtstag feiert.

Viertens schließlich, weil ich in der Zwischenzeit ja selbst unter die Krimiautoren gegangen bin und mit »Tatort Kanban« und »Tod dem Management« gleich zwei agile Business-Romane geschrieben habe.

All diese Ereignisse stellten das Update meines Arbeitsbuches vor unerwartete Herausforderungen. Die schlagartige Virtualisierung der Teamarbeit hat darin ebenso Spuren hinterlassen wie der Einsatz neuer Kooperationstools oder die steile Karriere des Homeoffice.

Gleichzeitig hat sich das konzeptuelle Fundament der Selbstorganisation gerade im Angesicht des allgegenwärtigen Virus bewährt. Agilität und Selbstorganisation, so die Beobachtung, trotzen der Krise. Ja, ich wage sogar zu behaupten, dass sie ihre Stärke gerade dort entfalten, wo das Terrain verseucht und die Sicht vernebelt ist.

Dass sich Selbstorganisierte Teams führen von Anfang an als Arbeitsbuch verstand, prägte die Revision der zweiten und jetzt auch der dritten Auflage. So habe ich

den gesamten Text noch einmal überarbeitet,

zahlreiche Argumentationslinien vereinfacht,

zusätzliche Quellen angezapft und bestehende aktualisiert,

der teamübergreifenden Koordination und dem agilen Veränderungsmanagement deutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet,

neue Werkzeuge, neue Praxisbeispiele sowie neue Abbildungen hinzugefügt und

im gesamten Buch abwechselnd männliche, weibliche und gesplittete Formen verwendet, um alle Menschen gleich welcher Geschlechtszugehörigkeit besser anzusprechen.

Ich hoffe sehr, dass es mir durch diese Verbesserungen gelungen ist, sowohl Selbstorganisationsfans als auch neuen Leserinnen und Lesern wertvolle Impulse zu bieten. Und hoffe noch mehr, dass in nächster Zeit nichts Großes mehr passiert, sodass wir uns schon bald an die virenfreie Neugestaltung der agilen Welt machen können.

Ich freue mich schon jetzt auf Ihr entsprechend gesundes und munteres Feedback und wünsche bis dahin alles Gute!

Siegfried KalteneckerWien, im Mai 2021

Vorwort

»Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen durch selbstorganisierte Teams«, behauptet das Agile Manifest. Diese Behauptung wirft einige Fragen auf: Wie sehen solche Teams aus? Welche Form der Führung brauchen sie? Und wie kann diese so umgesetzt werden, dass sie Selbstorganisation fördert?

Das vorliegende Buch bietet praxisorientierte Antworten auf diese Fragen. Dabei wird Führung allerdings nicht als Einzelleistung begriffen, für die allein das Management verantwortlich ist, sondern als Teamsport, an dem verschiedene Akteure beteiligt sind. Folglich spricht dieses Buch auch ganz unterschiedliche Zielgruppen an:

Managerinnen und Manager, die bereits mit der Führung selbstorganisierter Teams beschäftigt sind und ihr Wissen vertiefen wollen;

Mitglieder solcher Teams, seien das nun Fachexperten oder Funktionsträger wie Scrum Master, Produktverantwortliche, Delivery Manager, Agile oder Kanban-Coaches, die ihre eigenen Führungsleistungen ausbauen möchten;

Mitarbeitende anderer Unternehmensbereiche, die Genaueres über das Phänomen Selbstorganisation in Erfahrung bringen wollen.

Das vierte Grundprinzip von Kanban umreißt eine der Kernbotschaften dieses Buches: Fördere Führung auf allen Ebenen der Organisation! In den letzten Jahren haben wir in dieser Hinsicht viel Bewegung erlebt: Cross-funktionale Zusammenarbeit trat vielerorts an die Stelle funktionaler Silos, flussbasiertes Entwickeln löste das chronische Staumanagement ab, verlässliches Liefern und kurzschleifiges Feedback vom Kunden ersetzte bürokratische Lasten- und Pflichtenhefte.

Lean und agil fungieren dabei als Sammelbegriffe für eine Fülle an Entwicklungsmethoden, die solche Bewegungen vorantreiben. Auch wenn die Softwareentwicklung dafür eine Art von Avantgarde bildet, ist das Potenzial der Selbstorganisation keineswegs auf die IT beschränkt. Schon das Titelbild auf dem Cover dieses Buches lädt zu geradezu grenzenlosem Assoziieren ein: von der unbändigen Kraft wilder Pferde über die Weite der Prärie bis zum spektakulären Rodeo.

Bevor die Assoziationen davongaloppieren, sei eine Entwarnung ausgesprochen: Damit Sie die PS der Selbstorganisation auch auf die Straße bringen, folgt dieses Buch einer klaren Struktur. Zuerst geht es um die Grundlagen: Was sind eigentlich selbstorganisierte Teams? Wozu brauchen wir sie? Und was haben sie mit Führung zu tun? Nach dieser thematischen Einleitung präsentiere ich ein Modell für die Führung selbstorganisierter Teams, das auf drei Elementen aufbaut: erstens auf starken Grundwerten, im vorliegenden Fall Commitment, Einfachheit, Respekt und Mut; zweitens auf handlungsleitenden Kernkompetenzen, die ich unter Fokussieren, Designen, Moderieren und Verändern zusammenfasse; drittens auf eine Fülle von Werkzeugen, mit denen diese Kompetenzen in wertorientierter Weise umgesetzt werden können.

Um Ihnen möglichst gute Einsichten zu bieten, erläutere ich jedes dieser Elemente anhand von ausgewählten Fallbeispielen aus der Lean- und agilen Welt. Diese Beispiele geben Schlüsselerlebnisse und Erkenntnisse wieder, die ich als Berater in einer Vielzahl von Unternehmen sammeln durfte. Ich hoffe, Ihnen dadurch die schillernden Kräfte der Selbstorganisation besser vermitteln und Sie dafür gewinnen zu können, diese auch für Ihren Verantwortungsbereich nutzbar zu machen.

Durch die Kombination von Grundlagen (dem »Warum?«), Kernkompetenzen (dem »Was?«) und praktischen Werkzeugen (dem »Wie?«) versucht dieses Buch insgesamt so viel wie möglich von einem Kochbuch zu bieten. Es destilliert diverse Essenzen, riskiert konkrete Rezepte und würzt das Ganze mit Geschichten und Bildern. All diese Zutaten wollen Vorstellungskräfte mobilisieren und Verständnis erleichtern – und Sie ganz nebenbei zu diversen Kochexperimenten animieren.

Da Führung ohne Humor bekanntermaßen witzlos ist, habe ich mir erlaubt, die eine oder andere Anekdote einzuflechten. Ich kann nur hoffen, dass Sie daran Gefallen und im Idealfall sogar Inspiration finden. Schließlich gilt auch für die Führung selbstorganisierter Teams: Der Fliegenfänger der Kunst ist das Vergnügen!

Bevor ich Ihnen entsprechend herzhafte Erkenntnisse wünsche, möchte ich noch meinen Dank aussprechen. Denn auch dieses Buch wäre nicht ohne die Hilfe von vielen anderen zustande gekommen. In dieser Hinsicht bin ich vor allem folgenden Menschen zu Dank verpflichtet: Peter Beck, Michael Beyer, Elisabeth Blum, Hans Gruber, Rudolf Gysi, Klaus Leopold, Mike Rumpler und Thomas Spielhofer für ihre kollegialen Parallelgänge in Sachen Agile, Scrum, Lean und Kanban; Louise Gardiner, Cliff Hazell und Peter Hundermark für die Pionierarbeit in puncto Selbstorganisation und Führung, die wir in Südafrika geleistet haben; Katrin Dietze und Marcel Nikodim für ihre grafische Kreativität; Ana-Maria Ciobotaru und Ben Linders von InfoQ für die professionelle Betreuung der englischen Erstausgabe; Christa Preisendanz und dem dpunkt.verlag für die feine Art, wie wir diese Ausgabe kontinuierlich weiter verbessert haben; Markus Rühl und dem Team des Café Florianihof für die inspirierende Atmosphäre und den guten Espresso; Sabine Eybl für ihre langjährige Lebens- und Geschäftspartnerschaft im Allgemeinen und ihr Feedback während des gesamten Schreibprozesses im Besonderen.

Last, but not least möchte ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, für Ihr Interesse danken. Schön, dass Sie dieses Buch in die Hand genommen haben! Ich hoffe, dass Sie mit der Lektüre auch ein neues Kapitel Ihrer Führungsarbeit eröffnen. Und wünsche nun aber wirklich und endgültig: viel Spaß beim Lesen!

Siegfried KalteneckerWien, im November 2015

Inhaltsverzeichnis

1Grundlagen selbstorganisierter Teams

1.1Was sind selbstorganisierte Teams?

1.2Wozu brauchen wir selbstorganisierte Teams?

1.3Was haben selbstorganisierte Teams mit Führung zu tun?

2Ein Modell für die Führung selbstorganisierter Teams

2.1Drei Dimensionen

2.2Grundwerte selbstorganisierter Teams

3Führungskompetenz: Fokussieren

3.1Kunden und Wert

3.2Wertschöpfung und Verschwendung

3.3Unternehmenskultur

4Führungskompetenz: Designen

4.1Entscheidungen

4.2Traditionelle & agile Entwicklung

4.3Visuelles Arbeitsmanagement

4.4Flight Levels

4.5Die Rolle des Linienmanagements

5Führungskompetenz: Moderieren

5.1Einzelgespräche

5.2Kommunikation im Team

5.3Große Gruppen

5.4Im Reich der Systeme

6Führungskompetenz: Verändern

6.1Persönliche Veränderungen

6.2Veränderungen auf Teamebene

6.3Veränderungen der Gesamtorganisation

7Werkzeuge zum Fokussieren

7.1Kunden-Radar

7.2Persona

7.3Kundeninterview

7.4Stakeholder-Landkarte

7.5Stakeholder-Interview

7.6Team Purpose Statement

7.7Team Charter

7.8Kulturdiagnose für Eilige

8Werkzeuge zum Designen

8.1Design Thinking

8.2Lean Startup

8.3Lean Canvas

8.4Entscheidungsmatrix

8.5Bauanleitung für Flight Levels

8.6Messungen

8.7Lean Meeting Design

8.8Design der Managementrolle

9Werkzeuge zum Moderieren

9.1Agile Planung

9.2Standup

9.3Product Review

9.4Retrospektive

9.5Virtuelle Meetings

9.6Teamentwicklung Indoor

9.7Teamentwicklung Outdoor

9.8Virtuelle Teamentwicklung

9.9Kollegiale Beratung

9.10Großgruppenveranstaltungen

9.11Open Space

9.12Liberating Structures

10Werkzeuge zum Verändern

10.1Gebrauchsanweisung für mich selbst

10.2Persönliche Retrospektive

10.3Energie-Check

10.4Kollegiales Feedback

10.5Feedback and Feed-forward

10.6Kritische Rückmeldungen

10.7Schwierige Teamsituationen

10.8Rollen in agilen Veränderungsprozessen

10.9Change-Teams

10.10Open Space Agility

10.11Visuelles Veränderungsmanagement

10.12Veränderungsleinwände

Referenzen

Index

1Grundlagen selbstorganisierter Teams

»Wissensarbeiter müssen sich selbst managen. Sie brauchen Autonomie«, proklamiert Peter Drucker in seinen Management Challenges for the 21st Century [Drucker 1999, S. 123]. Diese programmatische Ansage steht im Einklang mit der agilen Idee, dass Teams selbst festlegen, wie sie ihre Arbeit erledigen, statt von einem Außenstehenden gesteuert zu werden. Aber was sind selbstorganisierte Teams? Was bedeutet überhaupt Selbstorganisation? Und was macht eine Gruppe von Leuten zu einem Team?

1.1Was sind selbstorganisierte Teams?

Lassen Sie mich diese Frage von hinten aufrollen: Was sind Teams? Bei genauerer Betrachtung ist die Antwort alles andere als klar. Der Begriff ähnelt einem Rorschachtest, in den alle ihre eigenen Vorstellungen hineinprojizieren. Jeder scheint darunter etwas anderes zu verstehen: Menschen, die miteinander im selben Büro arbeiten, Expertinnen, die sich in bestimmten Meetings treffen, Mitarbeiter, die derselben Vorgesetzten zugeordnet sind, oder eine Gruppe, die bestimmte Interessen teilt.

In vielen Fällen werden Teams mit Arbeitsgruppen verwechselt. Arbeitsgruppen bestehen aus Leuten, die zwar miteinander arbeiten, ihre Ziele aber unabhängig voneinander erreichen können – wie etwa Mitarbeitende eines Callcenters. Echte Teams zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass sie ihre Vorhaben nur gemeinsam realisieren können. Solche Teams finden sich sowohl in der Entwicklung komplexer Produkte (von Software bis Flugzeugbau) als auch im Dienstleistungsbereich (von Jugendbetreuung bis Gesundheitsvorsorge). Damit diese Teams gut miteinander arbeiten können, braucht es einerseits klare Rahmenbedingungen und andererseits die Freiheit, sich innerhalb dieses Rahmens nach eigenem Ermessen zu organisieren. Eine gewisse Stabilität der Mission und der Zusammensetzung des Teams hilft enorm bei der Entwicklung der vorhandenen Potenziale.

Den aktuellen Status des Teams kann man wiederum anhand folgender Kernfunktionen bestimmen:

Wer gibt dem Team eine Richtung vor, indem er die unternehmerischen Ziele definiert, die es zu erfüllen gilt?

Wer klärt den organisatorischen Kontext, in dem das Team agiert?

Wer gestaltet die Arbeitsprozesse und überwacht den Arbeitsfortschritt?

Wer führt die jeweilige Arbeit aus und erledigt sie vereinbarungsgemäß?

In seiner Autoritätsmatrix ordnet der amerikanische Teamexperte J. Richard Hackman die Verantwortung für diese Kernfunktionen entweder dem Management oder dem Team zu [Hackman 2002]. Daraus ergeben sich vier Organisationsvarianten (siehe Abb. 1–1).

Abb. 1–1Hackmans Autoritätsmatrix

Hackmans Matrix verdeutlicht, dass die Welt nicht nur schwarz-weiß ist. Vielmehr gibt es ein Kontinuum von Fremd- und Selbstorganisation, das zweifellos auch anders geordnet werden könnte. Hackmans vier Varianten bieten dennoch einen konstruktiven Ansatzpunkt für eine produktive Unterscheidung in folgende Arten von Teams:

Managergeführte Teams

, in denen die Teammitglieder nur Autorität über die Aufgabenerledigung haben, während das Management sowohl die Ziele und Rahmenbedingungen vorgibt als auch die Arbeitsprozesse und -fortschritte kontrolliert. Aus meiner Sicht entspricht dies dem Modell hierarchischer Linienführung oder auch dem traditionellen Projektmanagement.

Sich selbst führende Teams

, die den Teammitgliedern die Verantwortung für die Ausführung und für die prozessuale Steuerung übertragen. Die meisten Scrum- und Kanban-Teams gehören in diese Kategorie.

Sich selbst gestaltende Teams

, die auch über ihre eigene Zusammensetzung und andere wesentliche Rahmenbedingungen bestimmen. Viele Teams in selbstorganisierten Unternehmen sind in dieser Position [Kaltenecker 2017].

Autonome Teams

, die für alle Funktionsbereiche verantwortlich sind – wie dies etwa bei Start-ups der Fall ist.

1.1.1Gesetze der Selbstorganisation

Trotz dieser strukturellen Unterschiede haben selbstorganisierte Teams einiges gemeinsam. Aus systemischer Sicht weisen sie charakteristische Eigenschaften auf [Heylighen 2001]. Sie folgen Strukturen, die aus lokaler Interaktion entstehen, und basieren auf verteilter statt zentralisierter Kontrolle. Diese Interaktion wird von positivem wie negativem Feedback geprägt. Dadurch können sich diese Systeme kontinuierlich an ihre Umwelt anpassen und sind dabei bemerkenswert widerstandsfähig.

Was heißt hier systemisch?

»Systeme kann man nicht küssen«, pointiert der deutsche Organisationstheoretiker Fritz B. Simon [Simon 1997, S. 14]. »Die Systemtheorie lässt sich auch nicht küssen«, spitzte eine Beratungskollegin zu, »sie lässt sich nicht einmal verstehen!« Die kollegiale Polemik ist nicht von der Hand zu weisen. Systemtheorie wirkt sperrig, akademisch, fern der konkreten Praxis. Dennoch halte ich sie für wertvoll, wenn es um ein angemessenes Verständnis selbstorganisierter Teams geht. Im Schnelldurchlauf definiert, sind diese Teams

komplex, weil sie aus verschiedenen, vielfältig vernetzten und nicht kausal miteinander verbundenen Elementen bestehen;kontingent, weil jedes Unternehmen diese Elemente auf seine eigene Weise strukturiert, diese Strukturen aber auch ganz anders aussehen könnten;konfliktreich, weil es immer darum geht, bestimmte Möglichkeiten zu realisieren und andere zu vernachlässigen.

Alle drei Begriffe ziehen sich, wie das Systemdenken insgesamt, als rote Fäden durch dieses Buch.

Ausgehend von der Eigendynamik sozialer Systeme zeigt Heylighen, dass Selbstorganisation gleichsam der natürliche Weg ist, auf dem globale Ordnung entsteht. Sie entsteht nämlich durch die lokalen Interaktionen zwischen den einzelnen Elementen eines ursprünglich ungeordneten Systems. Deswegen muss Selbstorganisation als die Regel und nicht als die Ausnahme systemischen Verhaltens betrachtet werden [Heylighen 2001].

Selbstorganisation ist ein Gesetz, das auf viele verschiedene Systeme anwendbar ist. Es gibt eine breite Palette von Beispielen aus der Neurowissenschaft, Physik oder Biologie:

Das Gehirn mit all seinen verbundenen Neuronen, die ohne zentrale Kontrolle funktionieren.

Pflanzen wie etwa Espenhaine, die größten lebenden Organismen der Welt, bei denen alle Bäume über Quadratkilometer hinweg miteinander verwurzelt sind.

Vogelschwärme, Schafherden oder Wildpferde, die sich so synchron bewegen, als wären sie ein einziges Tier.

Ameisen, die aus scheinbar zufälligen Bewegungen ein raffiniertes System der Futtersuche entwickeln.

Welche Schlüsse können wir aus diesen Beispielen ziehen? Wie lässt sich das Verhältnis von Chaos und Ordnung in die Geschäftswelt übersetzen? Und was bedeuten die Systemgesetze für selbstorganisierte Teams?

Zuallererst erinnern uns diese Gesetze daran, dass selbstorganisierte Teams nicht über Nacht entstehen. So wie das Gehirn oder die Pflanzenwelt brauchen sie Zeit, um sich zu entwickeln. Weder ist Selbstorganisation etwas, das einmal passiert und dann gewissermaßen fertig ist, noch verbleibt ein Team auf ewig im selben Status. Tatsächlich ist der Selbstorganisationsprozess niemals abgeschlossen. Teams müssen sich in Reaktion auf veränderte Anforderungen wiederholt neu aufstellen. Sie müssen rasch auf gewandelte Kontexte reagieren und ihre Agilität laufend unter Beweis stellen.

Selbstversorgung im Tierreich

Ameisen beeindrucken nicht nur durch ihre spektakulären Bauten, sondern auch durch ihr Komplexitätsmanagement. Eine einzelne Ameise mag ja nicht besonders schlau sein. Im Kollektiv legen Ameisen jedoch eine beeindruckende Intelligenz an den Tag – wie das System ihrer Futtersuche eindrucksvoll unter Beweis stellt. Gemeinsam spüren sie nämlich in kürzester Zeit neue Nahrungsquellen auf und wissen auch, wie sie ihre Beute auf schnellstem Weg in den Bau bringen.

Wie schaffen das die Ameisen? Sie schaffen es durch die Fähigkeit, in selbstorganisierter Form Ordnung aus dem Chaos zu kreieren. Zunächst durchstreifen Späherameisen völlig ungerichtet die Gegend rund um die Kolonie. Bleibt ihre Suche erfolglos, kehren sie unverrichteter Dinge ins Nest zurück. Wenn sie jedoch auf eine mögliche Futterquelle stoßen, dann nehmen sie ein kleines Stück der Nahrung mit und hinterlassen dabei mittels eines speziellen Pheromons eine schwache Duftspur. Auf diese Weise kommt dann allmählich Ordnung ins Chaos. Obwohl zunächst noch viele Ameisen herumirren, konzentrieren sich nach und nach immer mehr Duftstoffe auf den kürzesten Weg zum Futter – und führen eine rasch wachsende Anzahl an Ameisen an die richtige Stelle [Der Standard 2014].

Selbstorganisation spielt jedoch nicht allein auf Teamebene eine Rolle. Darüber hinaus muss sich auch jedes einzelne Teammitglied selbst so organisieren, dass es zum Teamerfolg beitragen kann. Und die Teammitglieder müssen sich wiederum untereinander koordinieren, um die einzelnen Beiträge optimal abzustimmen – wofür in der Lean- und agilen Entwicklungswelt regelmäßige Meetings wie Stand-ups, Produktpräsentationen oder Retrospektiven genutzt werden.

Ein weiteres Charakteristikum selbstorganisierter Teams ist die Balance zwischen Ähnlichkeit und Unterschiedlichkeit. Paradoxerweise müssen Teammitglieder ausreichend Gemeinsamkeiten haben, damit sie ihre persönlichen wie fachlichen Differenzen produktiv machen können. Wie der deutsche Systemdenker Diether Gebert in seiner Studie zu innovativen Teams gezeigt hat, müssen die Teammitglieder einander zuerst einmal ein gewisses Grundvertrauen entgegenbringen [Gebert 2004]. Ohne einen Vorschuss an Respekt und Akzeptanz können sie weder ihre individuellen Hintergründe erforschen noch die gemeinsamen Arbeitsprozesse definieren. Später sind laut Gebert vor allem eine angemessene Balance von Anerkennung und Belohnung sowie ein fairer Umgang wesentlich. Respektlosigkeit schadet der Teamarbeit ebenso wie das Trittbrettfahren auf Kosten von anderen.

Selbstversorgung in der Gesellschaft

Wem die weiter oben erzählte Geschichte über die selbstorganisierte Futtersuche der Ameisen zu tierisch ist, der muss nicht lange suchen, um auch im Sozialen fündig zu werden – etwa bei Hausbesetzern. Eines der eindrucksvollsten Beispiele gesellschaftlicher Selbstversorgung führte über viele Jahre hinweg der »Torre de David« in Caracas vor Augen. Denn ab 2007 brachte die Wohnungsnot in der Hauptstadt Venezuelas über 1.000 Familien aus den umliegenden Armenvierteln dazu, in ein nie fertiggestelltes 190 Meter hohes Finanz- und Bürogebäude einzuziehen.

Abseits all der Mythen, die sich um den anarchischen Wolkenkratzer ranken, wurde die Kraft der Selbstorganisation durch viele Fakten belegt: beispielsweise durch ein Mopedtaxi, das den fehlenden Lift ersetzte und die Bewohner immerhin bis ins zehnte der 28 bewohnten Stockwerke brachte; durch die Wasser- und Stromversorgung, die allen Familien für wenig Geld zur Verfügung stand; durch einen Lebensmittelladen, einen Friseur und sogar einen Zahnarzt, die sich im Torre angesiedelt hatten; oder durch eine gemeinsam vereinbarte Hausordnung [Brillembourg & Klumpner 2012].

Es liegt auf der Hand, dass sich selbstorganisierte Teams gut einspielen müssen, um ihr Potenzial entfalten zu können. Was Russell Ackoff über Systeme im Allgemeinen sagt, gilt ebenso für jedes einzelne Team: Seine Leistung ergibt sich nicht aus der Summe seiner Teile, d.h. aus den addierten Leistungen jedes einzelnen Teammitglieds – es ist vielmehr das Ergebnis der Interaktionen aller Teammitglieder [Ackoff 1994].

1.1.2Voraussetzungen für Selbstorganisation

In ihrer Dissertation Conditions for Self-Organizing in Human Systems nennt Glenda Eoyang drei Grundbedingungen für Selbstorganisation [Eoyang 2002]:

Eine Grenze

, die das System umfasst und seine Identität definiert (im Original C für

containing boundary

). Einfach gesagt gibt es kein klares »Selbst« ohne eine definitive Abgrenzung von »Anderen«. In Unternehmen erfolgt diese Abgrenzung beispielsweise durch richtungsweisende Missionen, explizite Regeln oder eindeutige Entscheidungsrichtlinien.

Unterschiede

hinsichtlich Wissen, Erfahrung, Ausbildung, Alter, Geschlecht oder kulturellem Hintergrund (im Original D für

differences

). Eingespielte Teams wissen, wie sie ihre Diversität am besten einsetzen.

Ein offener Austausch

sowohl innerhalb des Teams als auch im Wechselspiel mit dem Umfeld (im Original E für

exchange

).

Jedes Element dieses sogenannten C/D/E-Modells ist von einem unterstützenden Organisationskontext abhängig. Dieser Kontext gleicht dem, was jede Pflanze braucht, um gut gedeihen zu können: fruchtbare Erde, sauberes Wasser, gute Luft und ausreichend Licht. Auf unternehmerische Zusammenhänge übertragen sorgen vor allem folgende Dinge für gutes Wachstum:

Fokus

, der jedem selbstorganisierten Team deutlich macht, worauf es sich konzentrieren soll und auf welches größeres Ganzes seine Arbeit einzahlt (Stichwort Strategie);

Entscheidungsregeln

, die Gestaltungsspielräume und Kompetenzen klären;

Ressourcen

wie angemessene Arbeitsräume, Budgets, Werkzeuge, Weiterbildungsmöglichkeiten oder Coaching;

Arbeitsflüsse

, im Sinne transparenter Abläufe und Ergebnisse;

Feedback

zur laufenden Abstimmung und Validierung des eigenen Tuns;

Eoyangs Modell aufgreifend können wir nun ein einfaches Bild von Rahmen, Unterschieden und Austausch im Unternehmenskontext zeichnen.

Abb. 1–2Erweitertes C/D/E-Modell

Abbildung 1–2 zeigt fünf gelbe Formen im Zentrum. Diese Formen repräsentieren die Unterschiede der einzelnen Teammitglieder hinsichtlich ihres Backgrounds, ihrer persönlichen Stärken oder ihrer fachlichen Fähigkeiten. Die schwarzen Verbindungspfeile unterstreichen, dass alle Teammitglieder miteinander vernetzt sind. Durch intensiven Austausch formen sie sich zu einem Team, das um seine Unterschiedlichkeit weiß. Dieser Austausch ist jedoch keineswegs auf das Team begrenzt. Agilität steht und fällt damit, dass der Rahmen auch direkte Interaktion mit Kunden und Stakeholdern fördert. Weit davon entfernt, für seine Umwelt eine klassische Blackbox darzustellen, steht das Team in beständigem Austausch mit dieser Umwelt – und kann darüber hinaus, wie ich in Kapitel 4 noch genauer ausführen werde, wesentliche Aspekte seines Innenlebens transparent machen.

Jedes Team braucht einen unterstützenden Rahmen im Sinne eines richtungsweisenden Fokus, klarer Entscheidungsregeln oder geschmeidiger Kommunikationsflüsse. Und es braucht jemand, der Verantwortung für das Management dieses Rahmens übernimmt – dargestellt in Form eines orange umrandeten Kreises, der bewusst außerhalb des Team-Fünfecks platziert ist. In Kapitel 5 werde ich mich ausführlich mit dieser besonderen Rolle und ihrem Zusammenspiel mit dem selbstorganisierten Team beschäftigen. Zuvor gilt es jedoch, noch ein paar andere Grundfragen zu klären.

1.2Wozu brauchen wir selbstorganisierte Teams?

Obwohl wir nunmehr die konstitutiven Merkmale selbstorganisierter Teams geklärt haben, bleibt uns die Frage nicht erspart, wozu wir diese überhaupt brauchen. Wieso können wir nicht weiter auf managementgeführte Teams setzen? Wozu sollten wir den ganzen Aufwand mit den Rahmenbedingungen (Container), der Differenzierung (Differences) und dem Austausch (Exchange) auf uns nehmen? Was veranlasst uns dazu, plötzlich auf selbstorganisierte Teams zu setzen? Die Beantwortung dieser Fragen führt uns zwangsläufig zu einem kleinen geschichtlichen Exkurs.

Bereits ein daumenkinoartiger Rückblick zeigt uns, dass wir in den letzten Jahrzehnten ein gewaltiges Ausmaß an Veränderungen erlebt haben:

Politische Veränderungen

wie etwa der Zerfall des Realsozialismus und des früheren Ostblocks

Ökonomische Veränderungen

von der Tyrannei des Shareholder Value über den Aufstieg der sogenannten BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) bis zur globalen finanziellen Krise 2008

Soziale Veränderungen

wie die verstärkten Migrationsbewegungen aus den unterschiedlichsten Krisengebieten dieser Welt

Demografische Veränderungen

durch die gestiegene Lebenserwartung und die sinkenden Geburtenraten in der westlichen Hemisphäre

Ökologische Veränderungen

wie globale Erwärmung und Klimawandel

Gesundheitliche Veränderungen

, die wir zuletzt in der globalen Covid-19-Krise hautnah erleben mussten

All diese Veränderungen haben neue Herausforderungen mit sich gebracht – und einen ungeahnten Veränderungsdruck. Organisationen können sich längst nicht mehr aussuchen, ob sie auf aktuelle Herausforderungen reagieren wollen oder nicht. Kontinuierlicher Wandel ist stattdessen zum Pflichtprogramm geworden. Am Status quo festhalten zu wollen gleicht dem Versuch, die Blätter das ganze Jahr über an den Bäumen zu halten. Damit eine Organisation erfolgreich sein kann, muss sie sich adäquat mit den Risiken und Chancen auseinandersetzen, die jeder Wandel mit sich bringt. Anders gesagt, die Organisation muss mit den aktuellen Umweltanforderungen mithalten können oder diesen idealerweise sogar einen Schritt voraus sein. Dumm nur, dass sich diese Umwelt sehr unberechenbar verhält. Was heute Top ist, kann morgen schon zum Flop mutieren, die gestrige Erfolgsformel kann gleichsam über Nacht zum Hemmschuh für eine erfolgreiche Zukunft werden.

Auf diese Weise wird Business Agility zum neuen Mantra für das Management des 21. Jahrhunderts. Laufende Verbesserung und Innovation sind das Standardmenü für alle erfolgshungrigen Unternehmen. Vorhandene Chancen müssen genützt, zusätzliche Möglichkeiten entdeckt und Wettbewerbsvorteile rasch in bare Münze verwandelt werden.

Selbstorganisierte Teams scheinen dafür eine Art von Zaubertrank zu bieten. Immerhin wird ihnen nachgesagt, dass sie

bessere Ergebnisse erzielen als traditionell geführte Teams,

mehr Geschäftswert schaffen,

besser zusammenarbeiten als zentral geführte Gruppen,

schneller lernen,

mit mehr Motivation und Spaß arbeiten und

für die Mitarbeitenden persönlich befriedigender sind [

Rico et al. 2009

].

Viele Manager, die ihre Erfolgsfantasien auf selbstorganisierte Teams projizieren, teilen jedoch einen entscheidenden blinden Fleck: Selbstorganisation hat nämlich ebenso viel mit ihnen selbst wie mit dem Team zu tun. Schließlich ist der Wunsch nach mehr Agilität auch der Dysfunktionalität der traditionellen Managementsysteme geschuldet [Kaltenecker 2021]. Erdrückende Bürokratie, Kontrollverfahren, die viele Verbesserungsinitiativen im Keim ersticken, und die oft leeren Rituale des Anweisens und Kontrollierens sind markante Symptome dieser Dysfunktionalität.

Agile Don Quijotes

Die Einführung von Lean- und/oder agilen Prinzipien gleicht mitunter dem berühmten Kampf gegen Windmühlen. Ein besonders markantes Beispiel dafür lieferte ein Energiekonzern, der ein ambitioniertes Softwareentwicklungsteam an den Rand des Wahnsinns trieb. Denn obwohl dieses Team offiziell grünes Licht für die Einführung von Scrum erhielt, wurde an den traditionellen Eckpfeilern nicht gerüttelt. Das hierarchische Reporting blieb ebenso unverändert wie die Steuerungsstruktur. So gab es zwar Zwei-Wochen-Sprints, die Arbeitsabläufe sahen jedoch dem Wasserfallansatz zum Verwechseln ähnlich. Cross-Funktionalität bestand primär auf dem Papier, Kollokation war nur temporär möglich, zudem wurden einige Spezialisten immer wieder für andere Projekte abgezogen. Der Scrum Master fühlte sich beharrlich vom Projektmanager übergangen, der seinerseits mit einer kontrollorientierten Programmmanagerin zu kämpfen hatte. Und vom Kunden war sowieso nichts zu sehen, da dieser aus, wie es hieß, »strategischen Gründen« nicht eingebunden werden durfte. Wen wundert es, dass die vermeintlichen Pioniere in Sachen Agilität im Handumdrehen zu Don Quijotes wurden?

Ein paar Zahlen gefällig? Dem Engagement Index 2020 von Gallup zufolge fühlen nur 17%, also etwa einer von fünf Mitarbeitenden, eine hohe emotionale Bindung an ihren Arbeitgeber. Allein in Deutschland haben hochgerechnet fast 6 Millionen Beschäftigte innerlich gekündigt, was zu einem geschätzten volkswirtschaftlichen Schaden von ca. 100 Milliarden Euro führt [Gallup 2020]. Zudem ist eine wachsende Veränderungsmüdigkeit festzustellen, die vor allem durch die Tatsache genährt wird, dass nur wenige Veränderungsinitiativen die angestrebten Ziele auch erreichen. Viele Teams begegnen solchen Initiativen mittlerweile mit einer ausgeprägten »nicht schon wieder!«-Haltung. Es liegen zwar keine verlässlichen Zahlen vor, aber die meisten einschlägigen Studien gehen davon aus, dass zwischen 60% und 80% aller Veränderungsprojekte scheitern.

Es gibt eine Menge Gründe für diese deprimierende Scheiterrate: zu viele parallele Veränderungsinitiativen, ein schwaches Veränderungsmanagement, fehlende Feedbackschleifen und nicht zuletzt die zwanghafte Vorstellung, dass erfolgreicher Wandel durch detaillierte Projektpläne sichergestellt werden kann. Die turbulente Entwicklung rund um uns spottet jedem Versuch Hohn, dieser mittels klassischer Planungs- und Kontrolltools Herr zu werden. Wie das Meg Wheatley einmal so schön ausgedrückt hat: »Wir sollten uns allmählich eingestehen, dass wir diese neue Welt niemals mit unseren alten Landkarten bewältigen können« [Wheatley 2006, S. 87].

Tabelle 1–1 fasst die Organisationsparadigmen des 20. und 21. Jahrhunderts pointiert zusammen:

20. Jahrhundert

21. Jahrhundert

Organisationen als Funktionssilos

Organisationen als komplexe soziale Systeme

Vorhersagbare Ursache-Wirkungs-Relationen

Komplexe Beziehungsnetze

Zentrale Koordination und Kontrolle

Dezentrale Prozesse der Selbststeuerung

Schwerfällige Hierarchien und Bürokratien

Schlanke Netzwerke

Hoch spezialisierte Abteilungen

Interdisziplinäre Teams

Veränderung ist projektbezogen und reaktiv

Veränderung ist kontinuierlich und proaktiv

Tab. 1–1Paradigmen der Organisation

Die Tabelle markiert zentrale Unterschiede zwischen dem mechanistischen und dem systemischen Denken [Ackoff 1994]. Obwohl sie zu einer gewissen Polarisierung neigt, umreißt sie auch die jeweiligen Anforderungen an effiziente Führung. Denn die beiden Organisationsparadigmen gehen Hand in Hand mit zwei völlig unterschiedlichen Managementmodellen: funktional-spezialisierend versus ganzheitlich; lineare Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge versus chaosaffines Komplexitätsdenken; Administration von Business as usual versus kontinuierliche Erneuerung; Veränderung als Ausnahme versus Wandel als Regelfall.

Abb. 1–3Dynamische Vernetzungen von klein auf

Wir sollten allerdings im Auge behalten, dass selbstorganisierte Teams nicht nur eine Sache effektiver Zusammenarbeit sind. Heutzutage verlangen viele Wissensarbeiter nämlich selbst einen hohen Grad an Autonomie. Sie wollen selbstständig denken und handeln, statt bloß Instruktionen zu folgen. Und sie wollen lieber in Teams als alleine arbeiten. Schenkt man diversen Trendscouts Glauben, möchten die Millenials mit Spaß bei einer Sache sein, die für sie Sinn macht. Dazu gehört auch die Transparenz, inwiefern ihre Leistung zum Gesamterfolg des Unternehmens beiträgt. Hoch qualifizierte Wissensarbeiterinnen werden, so die Scouts, in Zukunft noch stärker auf Rahmenbedingungen achten, die gute Arbeit und ihre eigene Weiterentwicklung fördern. Und sie werden Unternehmen bevorzugen, deren Kultur zu ihrem Selbstwertgefühl passt [Viljakainen & Müller-Eberstein 2012].

Was bedeutet das alles für das Management? Kurzum, die früheren Verwalter standardisierter Geschäftsprozesse sind herausgefordert, das richtige organisatorische Umfeld für Hochleistungsteams zu gestalten. Dazu sind, wie ich noch genauer zeigen werde, bestimmte Fähigkeiten vonnöten, die zum Teil weit über die traditionellen Kompetenzprofile hinausgehen. Freilich sind die Prinzipien des mechanistischen Paradigmas vielerorts immer noch in Kraft. Sie sorgen dafür, dass in zahlreichen Organisationen überholte Managementpraktiken nach wie vor gang und gäbe sind – und, was vielleicht noch schlimmer ist, auch die Ausbildungskonzepte an den Universitäten bestimmen. Trotz aller Turbulenzen rund um uns gilt der traditionelle Master of Business Administration (MBA) immer noch als Schlüsselqualifikation guter Managerinnen und Manager [Mintzberg 2004].

Kein Wunder, dass dies gerade beim Einsatz agiler Methoden zu zahlreichen Widersprüchen führt. Schließlich sind Verkünden (Wir werden agil!) und Tun (Wir sind agil) ebenso wenig das Gleiche wie Wollen und Können. Und auch die Veränderungskunst lebt bekanntlich vom Können und nicht vom Wollen – sonst hieße sie ja Veränderungswulst.

Veränderungskünste

Immer mehr Unternehmen beweisen, dass es auch anders geht. Ein besonders spektakuläres Beispiel dafür liefert ein Wiener Familienunternehmen, das sich binnen kürzester Zeit von einem traditionell geführten in einen selbstorganisierten Betrieb verwandelte. Wie das ging? Nun, zum einen half sicher der Generationenwechsel auf Eigentümerebene und ein neuer Co-Geschäftsführer – schließlich waren diese von Anfang an fest dazu entschlossen, das patriarchalisch-hierarchische Erbe der Vätergeneration zu überwinden und völlig neue Rahmenbedingungen zu gestalten. Zum anderen gelang die Veränderung dadurch, dass die Mitarbeitenden die neuen Möglichkeiten rasch zu nützen begannen. Nach einer Phase anfänglicher Skepsis fasste man mehr und mehr Vertrauen, dass die Botschaften der Firmenleitung ernst gemeint waren. Und spätestens mit der Gründung eigener Steuerkreise nahmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Veränderungsheft selbst in die Hand.

1.2.1Unternehmerische Agilität & agiles Management

Doch ist Business Administration wirklich das, was wir für die Bewältigung der aktuellen Herausforderungen brauchen? Jeremy Hope und Robin Fraser, Gründer des einflussreichen Beyond Budgeting Round Table, haben darauf eine eindeutige Antwort: »Für die meisten heutigen Organisationen haben sich die Erfolgsfaktoren ebenso wie deren Strategien verändert. Deren Managementprozesse, Führungsstile und Unternehmenskulturen hinken jedoch weiter hinterher« [Hope & Fraser 2003, S. 29].

Das spitzt die Frage zu, wie denn ein zukunftsorientiertes Führungsmodell überhaupt aussehen könnte. Was braucht es, um die aktuellen Herausforderungen zu meistern? Warum sollte die Führung selbstorganisierter Teams zu den Schlüsselqualifikationen für das 21. Jahrhundert gehören? Und welche Werte, Kompetenzen und Techniken werden gebraucht, um Selbstorganisation auf allen Unternehmensebenen zu fördern? Im Laufe der letzten zehn Jahre wurden diese und ähnliche Fragestellungen intensiv diskutiert. Wie in dem Film »Und täglich grüßt das Murmeltier« ging es dabei immer wieder um ähnliche Szenarien:

Hierarchieorientierte Command & Control-Systeme weichen einer Führungskultur, die auf lokale Selbstkontrolle setzt, ohne die Notwendigkeit globaler Koordination aus den Augen zu verlieren.

Neue Formen netzwerkorientierter Führung treten an die Seite zentralistischer Managementkonzepte.

Wenn Manager weiterhin sowohl Mitarbeiter als auch deren Aktivitäten kontrollieren, können Teams ihre Potenziale nicht entfalten.

Die bewusste Dezentralisierung von Gestaltungs- und Entscheidungsautorität ist der einzige Weg, um die Kompetenzen gut ausgebildeter Wissensarbeiter effektiv zu nützen.

Wie Abbildung 1–4 nahelegt, stehen dem abgehobenen Steuermann, der die Crew zentral dirigiert, heute gut vernetzte Teams gegenüber, die selbst viel Führungsverantwortung übernehmen. Diese Form von Führung als Teamsport stützt sich nicht auf einen vermeintlich allwissenden Souverän. Stattdessen geht es um das effektive Zusammenspiel eines cross-funktionalen Netzwerks von Professionals, die Autonomie, aber auch Abstimmung wahrnehmen.

Abb. 1–4Traditionelle versus agile Führung

Unsere alten Steuermodelle sind weit mehr als bloße Theorie, sie fungieren gleichsam als Quellcode für dysfunktionales Verhalten – und bringen zudem unzählige Organisationsprobleme mit sich. Sie verursachen nicht zuletzt ein hohes Maß an Demotivation, das oft zum Verlust von Schlüsselkräften führt, die es satt haben, gegen Windmühlen zu kämpfen. Dies wiederum lässt das, was Unternehmen erreichen wollen, und das, was die Mitarbeitenden zu investieren bereit sind, mitunter weit auseinanderklaffen. Kein Wunder, dass die durchschnittliche Lebensdauer von Organisationen mittlerweile unter 20 Jahren liegt.

Zudem kommen Managerinnen heutzutage kaum mehr umhin, ein fundamentales Paradox anzuerkennen: dass sie nämlich für das Verhalten von sozialen Systemen verantwortlich gemacht werden, die sie unmöglich kontrollieren können. Inmitten einer turbulenten Umwelt hat es das Management zwangsläufig mit einem hohen Ausmaß an Unsicherheit zu tun. Wie das Wetter sind eben auch gesellschaftliche Entwicklungen nur begrenzt vorhersagbar – ganz zu schweigen von ökonomischen Risiken, mit denen es jedes Unternehmen zu tun hat.

»Ob ihr recht habt oder nicht, sagt euch jetzt das Licht«, heißt es in der beliebten Kindersendung »1, 2 oder 3«. Dumm nur, dass im Geschäftsleben manchmal alle drei Optionen falsch sind – oder auch richtig, wie folgende Fabel belegt.

Gleiches Recht für alle

Ein Rabbi hält in einem Dorf Gericht. Yuvet, einer der Bewohner des Dorfes, klagt: »Rabbi, Itzhak treibt seine Schafherde jeden Tag über mein Land. Das verdirbt mir die Ernte. Was er tut, ist nicht in Ordnung.« »Da hast du recht«, erwidert der Rabbi.

Sogleich protestiert Itzhak lautstark: »Über Yuvets Land führt der einzige Weg zum Wasser. Wenn ich meine Schafe nicht über die Weide führe, verdursten sie. Deswegen habe ich als Schäfer ja auch ein Wegerecht. Yuvet hat also überhaupt keinen Grund, sich zu beklagen!« »Da hast du recht«, meint der Rabbi erneut.

Da meldet sich die Putzfrau zu Wort, die das Gespräch mitgehört hatte: »Aber Rabbi, es können doch nicht beide recht haben!« Worauf der Rabbi entgegnet: »Da hast du recht.«

Die gegenwärtige Komplexität kann von keinem Einzelnen angemessen erfasst, geschweige denn verarbeitet werden. Überforderung ist unausweichlich. Im besten Fall kann eine Managerin auf Wahrscheinlichkeiten setzen, im schlimmsten Fall erfolgen deren Entscheidungen völlig zufällig. Keine »management by«-Methode bietet hierfür einen Rettungsanker. Manager müssen sich eingestehen, dass soziale Systeme eben nicht punktgenau gesteuert werden können. Punkt.

Dass diese Erkenntnis dennoch gerne ignoriert wird, lässt den vermeintlichen Regisseur des Großen und Ganzen oft genug zur sinnbildlichen Fliege auf dem Schwanz eines Elefanten mutieren. Die Fliege denkt natürlich, dass sie den Elefanten steuert, dem Elefanten ist es egal und die Reise wird auf jeden Fall spannender.

Externe wie interne Faktoren unterstreichen die Notwendigkeit, Organisationssteuerung neu zu denken. Wenn wir wirklich agiler werden wollen, müssen wir jenen Leuten mehr Macht geben, die nahe am Kunden sind. Wir müssen diesen Leuten wesentliche Informationen anvertrauen und ihnen ausreichend Zeit verschaffen, diese Informationen zu verarbeiten, mit ihren eigenen Erfahrungen abzugleichen und zu lernen, was sie verbessern können.

Gleichzeitig müssen Overhead-Kosten radikal gekürzt und bürokratische Aufwände möglichst minimal gehalten werden.

Wir müssen diesen Teams erlauben, ihre Expertise nicht nur für die Ausführung von Arbeit, sondern auch für deren Steuerung einzusetzen. Mit Peter Drucker kann dies als zentraler Erfolgsfaktor gesehen werden: Wie zu Beginn dieses Kapitels zitiert, muss Wissensarbeiterinnen eben ein bestimmtes Maß an Autonomie gewährt werden [Drucker 1999].

Meiner Erfahrung nach ist Autonomie auch eine Frage von disziplinierter Übung und Feedback. Ich kann nur wiederholen, dass Selbstorganisation nicht über Nacht passiert. Wenn das ebenso viel beschworene wie missverstandene Konzept des Empowerment als mathematische Gleichung verstanden werden kann, bei der Freiheit mit Kompetenz multipliziert wird, müssen wir definitiv neue Dinge lernen und alte Muster aktiv verlernen.

Vom Yin und Yang der Entwicklung

Wie eng Lernen und Verlernen miteinander verbunden sind, habe ich bei einem Coaching-Mandat in einem Telekommunikationsunternehmen erfahren. Dieses Unternehmen hatte seit einigen Monaten Kanban im Einsatz und wollte dazu professionelles Feedback einholen. Im Vorfeld wurde mir versichert, dass die Methode nach allen Regeln der Kunst eingeführt worden war und nun bereits in der ganzen Abteilung in Anwendung sei. Die Mitarbeitenden hätten sich, so der Tenor, rasch auf die evolutionäre Vorgehensweise eingestellt und auch die Führungskräfte hätten, wie es hieß, »ihre Lektionen gelernt«.

Auf den ersten Blick schien man tatsächlich vieles verändert zu haben: Das Arbeitssystem und der Input waren sauber visualisiert, WIP-Limits gesetzt und neue Feedbackschleifen installiert. Die ersten Retrospektive-Ergebnisse bestätigten, dass die Leute mehr über ihre tatsächlichen Arbeitsflüsse gelernt hatten. Erste Messdaten gaben Aufschluss über die aktuelle Leistungsfähigkeit und ermöglichten verlässlichere Zusagen gegenüber den Kunden. Wie sich im Rahmen des von mir moderierten Verbesserungsworkshops herausstellte, wurden diese Lernergebnisse jedoch durch einige alte Verhaltensmuster konterkariert. So wurde der Input zwar visualisiert, die dahinter stehenden Stakeholder jedoch nur wenig koordiniert, sodass nach wie vor die lauteste Stimme regierte. Die Standups wurden vom Abteilungsleiter noch sehr stark als Statusreporting moderiert und den einzelnen Aktivitäten auf dem Board waren formelle Gates hinterlegt, an denen die Leute auf hierarchische Entscheidungen warten mussten. Im Rahmen des Workshops arbeiteten wir intensiv an diesen Problemen – und definierten auch klare Lösungswege.

Es spricht für die Aufgeschlossenheit der Abteilung, dass sie am Ende unseres Workshops alles andere als frustriert waren. »Die Entwicklung geht munter weiter«, brachte es der Abteilungsleiter auf den Punkt, »und auch ich habe jetzt präzise Hinweise, was ich als Nächstes angehen muss.«

Das Wechselspiel von Lernen und Verlernen erinnert uns daran, dass Selbstorganisation kein technischer Prozess ist. Obwohl wir mit einer Menge struktureller Themen zu tun haben, sind immer Emotionen im Spiel: positive wie Stolz, Begeisterung oder Spaß, aber auch negative wie Verwirrung, Unsicherheit und Angst. Beide Gefühlskategorien sind wie zwei Seiten derselben Medaille, die vor allem in Veränderungsprozessen in Erscheinung treten, aber konstitutiver Bestandteil aller Teamarbeit sind. Keine Motion ohne Emotion wie der Lateiner weiß.

Unter diesem Blickwinkel erstaunt es kaum, dass viele der Verschiebung von Autorität mit gemischten Gefühlen gegenüberstehen. Wie immer, wenn wir an den Grundlagen des professionellen Selbstwertgefühls rütteln (etwa an Rollen, Verantwortlichkeiten oder Jobtiteln), werden wir einige Leute überfordern und andere vor den Kopf stoßen. Wie die deutschen Change-Management-Pioniere Klaus Doppler und Christoph Lauterburg schon vor über 20 Jahren überzeugend darlegten, tauchen mit jedem bevorstehenden Wandel sofort drei Fragen auf [Doppler & Lauterburg 2000]:

Muss ich mich verändern?

Verstehe ich, wozu wir selbstorganisierte Teams brauchen? Sind diese Teams verpflichtend oder gibt es Alternativen? Und was kann ich mir davon erwarten?

Kann ich mich verändern?

Bin ich in der Lage, mit den Folgen von Selbstorganisation umzugehen? Habe ich alle Kompetenzen, die es für Selbstorganisation braucht? Wie stehen meine Chancen für gute Ergebnisse? Was zählt unter den neuen Rahmenbedingungen als Erfolg?

Will ich mich verändern?

Ist Selbstorganisation interessant? Was ist für mich drin? Besteht irgendein Risiko, dadurch Geld, Beziehungen oder Karriereperspektiven zu verlieren? Oder kann ich mir vielleicht sogar einen Gewinn ausrechnen?

»Wir sind ja alle für eine Verbesserung, aber warum müssen wir dafür gleich unsere Organisation ändern?«, brachte eine Betriebsmitarbeiterin die weitverbreitete Veränderungsambivalenz einmal auf den Punkt. Selbstverständlich kann eine solche Veränderung nicht einfach verordnet werden. Wie ich in Kapitel 6 zur Führungskompetenz des Veränderns noch genauer ausführen werde, braucht es dafür von Anfang an professionelles Change Management. Es braucht:

Profunde Information – Was ist Selbstorganisation?

Gemeinsames Verständnis – Wozu brauchen wir das?

Klare Messkriterien – Woran erkennen wir, dass uns die Selbstorganisation etwas bringt?

Professionelle Moderation – Wie werden wir den Wandel gestalten?

Kontinuierliches Training und Coaching – Was müssen wir wissen und tun? Wie geht das konkret? Und wer unterstützt uns dabei?

1.3Was haben selbstorganisierte Teams mit Führung zu tun?

Nach den bisherigen Ausführungen liegt die Frage auf der Hand, was genau wir tun müssen, um Selbstorganisation zu fördern. Was ist notwendig, um Teams sozusagen in Form zu bringen? Wie lässt sich deren Selbstorganisation bestmöglich unterstützen? Und wer tut was, damit wir gemeinsam in Führung gehen können?

Mein Konzept von Führung als Teamsport aufgreifend, möchte ich im Folgenden eine Analogie zum Fußball wagen, um diesen Fragenkatalog zu bearbeiten. Für diese Analogie sprechen zumindest zwei Gründe. Erstens kann Fußball