Selenskyj - Steven Derix - E-Book

Selenskyj E-Book

Steven Derix

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Beschreibung

Das Leben von Wolodymyr Selenskyj, seit 2019 demokratisch gewählter Präsident der Ukraine, ist voller überraschender Wendungen: Mit zwanzig Jahren war der jüdische Junge aus der Industriestadt Krywyj Rih als Komiker ein Bühnenstar, mit dreißig führte er ein Multimillionen-Dollar-Unternehmen, mit vierzig spielte er in der Erfolgsserie "Diener des Volkes" genau den ukrainischen Präsidenten, der er sein wollte: ein Außenseiter, der gegen die korrupte Elite seines Landes zu Felde zieht. Heute ist er eine Ikone des Mutes und der Unnachgiebigkeit, ein Held, den ganz Europa verehrt und der zusammen mit dem ukrainischen Volk für den Friedensnobelpreis nominiert wurde. Der Journalist und Ukraine-Kenner Steven Derix und die Menschenrechtlerin und Journalistin Marina Shelkunova haben Hunderte von Interviews und Nachrichtenartikel über Selenskyj ausgewertet sowie in Russland und der Ukraine recherchiert. Ihr fesselndes Buch gibt nicht nur einen hochaktuellen Überblick über das außergewöhnliche Leben des ukrainischen Präsidenten, es bietet auch genau das richtige Maß an Kontext und Insider-Informationen für alle, die mit der Ukraine nicht so vertraut sind.

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Inhalt

Einleitung

Kapitel 1: Al Pacino

Kapitel 2: Böse Nachbarn

Kapitel 3: Die Humorfabrik

Kapitel 4: Majdan

Kapitel 5: Diener des Volkes

Kapitel 6: Das Turboregime

Kapitel 7: Konfrontation

Kapitel 8: Kriegspräsident

Nachbemerkung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Wladimir Putin unterschätzt seine Gegner nur selten. Während seiner Ausbildung an der KGB-Schule in Leningrad wurde ihm beigebracht, detaillierte Dossiers über Zielpersonen anzulegen, egal ob es sich um russische Dissidenten oder Apparatschiks der SED in der DDR handelte.

Bevor er sich mit jemandem trifft, erstellt Putin eine Stärken-Schwächen-Analyse seines Gesprächspartners. Bei seinem ersten Besuch in den Vereinigten Staaten wickelt er den amerikanischen Präsidenten und Methodisten George W. Bush mit frommen Geschichten über seine Taufe in der russisch-orthodoxen Kirche um den Finger. Ein sichtlich erfreuter Bush erzählt anschließend, dass er »in die Seele« des ehemaligen KGB-Offiziers geschaut habe. Als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel 2007 Sotschi besucht, um über Energiepolitik zu sprechen, lässt Putin seinen schwarzen Labrador Konni herein. Merkel – die Angst vor Hunden hat – traut sich kaum, sich zu bewegen. Putin dominiert das Gespräch.

Wladimir Putin überlegt sich auch genau, wie er über Menschen spricht. Der russische Präsident ist sich der politischen Anziehungskraft von Alexej Nawalny nur allzu bewusst. Deshalb wird der Name des russischen Oppositionsführers nie über seine Lippen kommen – auch nicht, nachdem Nawalny seit Januar 2021 in einer Zelle eingesperrt ist. Putins Sprecher, Dmitri Peskow, nennt ihn stets nur »diesen Blogger«, wenn er sich auf Nawalny bezieht.

Im April 2019 wird Wolodymyr Selenskyj im zweiten Wahlgang mit fast drei Vierteln der Stimmen zum sechsten Präsidenten der Ukraine gewählt.

Einen Monat später ist der russische Präsident zu Gast auf dem Weltwirtschaftsforum in Sankt Petersburg, fünf Jahre nach der Annexion der Krim und dem Absturz von Flug MH17. Im Osten der Ukraine kommt es weiterhin täglich zu Schusswechseln zwischen der ukrainischen Armee und prorussischen Separatisten.

»Warum haben Sie Wolodymyr Selenskyj nicht gratuliert, als er Präsident wurde?«, fragt die Moderatorin.

Putin seufzt tief. Die russischen Beamten und Geschäftsleute im Saal stoßen sich gegenseitig an: Das verspricht lustig zu werden.

»Wissen Sie«, sagt Putin, »er bedient sich immer noch einer gewissen Rhetorik. Er bezeichnet uns als ›Feinde‹, ›Aggressoren‹. Vielleicht sollte er erst einmal darüber nachdenken, was er erreichen will, was er tun will.«

Putin hat den Namen Selenskyj bis dahin nicht in den Mund genommen.

»Sie sind der Präsident einer Großmacht«, fährt die Moderatorin fort, »und er ist derzeit in seinem Land sehr beliebt. Sie könnten beide Tabula rasa machen. Eine kleine Geste könnte den Lauf der Geschichte völlig verändern. Warum treffen Sie sich nicht einfach mit ihm?«

Putin schaut fragend in den großen Saal, bis das Kichern der Beamten und Geschäftsleute verstummt ist.

»Habe ich Nein gesagt?«, entgegnet Putin. Mit einem falschen Lächeln fügt er hinzu: »Niemand hat mich eingeladen.«

»Sind Sie bereit für ein Treffen?«

Putin scheint nun wirklich amüsiert zu sein. »Hören Sie, ich kenne diesen Herrn nicht. Ich hoffe, dass wir uns eines Tages kennenlernen können. Soweit ich das beurteilen kann, ist er eine Größe auf seinem Gebiet, ein guter Schauspieler.«

Aus dem Publikum ertönen Gelächter und Beifall.

Putin fährt fort: »Ernsthaft, es ist eine Sache, jemanden zu spielen, aber es ist etwas ganz anderes, jemand zu sein.«

Die Beamten in ihren blauen Maßanzügen wissen genau, was Putin damit meint. Der 1978 geborene ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj begann seine Karriere als Comedian und Kabarettist. Zwischen 2015 und 2019 war Selenskyj der Star der ukrainischen Erfolgsserie Diener des Volkes. Die TV-Serie dreht sich um den Geschichtslehrer Wassyl Holoborodko, der nach einem langen Unterrichtstag in eine minutenlange Tirade gegen alles, was in der Ukraine falsch läuft, ausbricht: die Korruption, die gebrochenen Wahlversprechen, die Stagnation und die Armut; die Steuererleichterungen, Datschen und Motorradeskorten der politischen Klasse.

Ein Student filmt Holoborodko und stellt das Video online. Der junge Geschichtslehrer, der bei seinen Eltern lebt, wird ermuntert, in die Politik zu gehen, gewinnt den Kampf um die Präsidentschaft mit einem Erdrutschsiegund wird das erste ukrainische Staatsoberhaupt, das mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt. Holoborodko stellt alles auf den Kopf, und das Land steuert einer glänzenden Zukunft entgegen. Die Serie greift ein beliebtes Klischee auf: die Figur des politischen Außenseiters, der mit der »alten Politik« kurzen Prozess macht. Im Jahr 2019 geht die letzte Staffel von Diener des Volkes nahtlos in den Wahlkampf des künftigen Präsidenten über. Zudem wird »Diener des Volkes« (Sluha narodu) der Name von Selenskyjs Partei, die noch im selben Sommer die absolute Mehrheit in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, erringt.

Putin hat recht: Selenskyj hatte bisher nur den Präsidenten gespielt.

Der ehemalige Showman steht nun an der Spitze eines bankrotten Landes, einer Nation, die sich im Krieg befindet, mit einem politisch-administrativen System, das bis ins Mark korrupt ist. In den dreißig Jahren ihrer Unabhängigkeit seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist die Ukraine nicht in der Lage gewesen, sich aus dem Chaos zu befreien, in das sie 1991 geraten war. Selenskyj will nun all diese Probleme in einer Amtszeit von fünf Jahren lösen.

Viele glauben, er würde scheitern. Schon wenige Monate nach seiner Wahl gerät Selenskyjs Reformprogramm ins Stocken, und es kommt zu einem erbarmungslosen Kampf mit den allmächtigen Oligarchen. Um im ukrainischen House of Cards zu überleben, greift Selenskyj zu unkonventionellen Mitteln. Menschenrechtsorganisationen sind besorgt wegen seiner autokratischen Tendenzen. Ukrainische Patrioten befürchten, dass der neue Präsident die von Russland besetzte Krim und den Donbass aufgeben wird, um Frieden mit Moskau zu schließen. Auch bei den Staatsanwälten der Internationalen Ermittlungsgruppe, die den Absturz van Flug MH17 untersucht, erntet Selenskyj viel Kritik, als er einen wichtigen Zeugen gegen ukrainische Gefangene in Russland austauscht.

Und im September 2019 wird Selenskyj in den sich rasch ausweitenden Skandal um einen möglichen Machtmissbrauch durch US-Präsident Donald Trump verwickelt.

Während eines Telefongesprächs am 25. Juli soll Trump Selenskyj gedrängt haben, strafrechtliche Ermittlungen gegen Joe Biden, seinen Herausforderer bei der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahl, und dessen Sohn Hunter Biden einzuleiten. Unbewiesenen Anschuldigungen aus dem Trump-Lager zufolge soll Joe Biden als Vizepräsident unter Barack Obama auf die Entlassung des ukrainischen Generalstaatsanwalts Wiktor Schokin gedrängt haben, um die Ermittlungen gegen Hunter Biden und dessen Arbeitgeber, den ukrainischen Gaskonzern Burisma, zu stoppen.

Laut Trump ist an dem Telefonat mit Selenskyj nichts auszusetzen. Um dies zu untermauern, veröffentlicht das Weiße Haus die Abschrift des Gesprächs zwischen den beiden Präsidenten.

»Wir arbeiten sehr hart daran, den Sumpf in unserem Land trockenzulegen«, sagt der ukrainische Präsident und wiederholt damit Trumps Wahlkampfslogan »Drain the swamp«. »Wir beschäftigen viele junge Leute, nicht die alten Politiker, weil wir eine neue Art von Regierung haben wollen. Sie sind für uns ein großer Lehrer.«

Das russische Staatsfernsehen – das vollständig vom Kreml kontrolliert wird – bezeichnet Selenskyj immer wieder als Clown. Im Sommer 2021 wird Putin während seiner jährlichen großen Pressekonferenz (die im Fernsehen als Direkter Draht zu Wladimir Putin ausgestrahlt wird) vor der russischen Bevölkerung gefragt, ob er sich endlich mit Selenskyj treffen werde. Das ergebe keinen Sinn, erklärt Putin dem Publikum. Selenskyj habe »die Führung seines Landes vollständig in die Hände von Ausländern gelegt«, so der russische Präsident. »Über das Schicksal der Ukraine wird nicht in Kiew, sondern in Washington entschieden.«

Gut möglich, dass Putin dies wirklich geglaubt hat.

Am 24. Februar 2022 startet Putin eine groß angelegte Invasion in die Ukraine. Als russische Truppen aus mehreren Richtungen in das Land eindringen, rücken Panzer schnell auf Kiew vor. Sobald Selenskyj und seine Regierung beseitigt seien, so das Kalkül des Kremls, werde sich die übrige Ukraine schnell der russischen Ordnung fügen.

Doch Putins Blitzkrieg endet mit einem Fehlschlag. Nach einem Monat der Kämpfe sind Tausende russische Soldaten gefallen, aber Moskau konnte keine einzige Großstadt in der Ukraine erobern. In den von Russland besetzten Gebieten gehen die Ukrainer mit blau-gelben Nationalflaggen auf die Straße, auch in Städten wie Cherson und Melitopol, die traditionell russischsprachig sind. Charkiw, die nordöstlich an der russischen Grenze gelegene zweitgrößte ukrainische Stadt, in der noch 2014 große Demonstrationen für die Abspaltung von Kiew stattfanden, verteidigt sich ebenfalls hartnäckig gegen den Aggressor.

Am zweiten Tag des Krieges in der Ukraine wendet sich Wladimir Putin in einer Fernsehansprache an die ukrainische Armee. Der russische Präsident sieht blass aus, sein Ton ist grimmig. »Lassen Sie nicht zu, dass Neonazis Ihre Kinder, Frauen und ältere Menschen als lebende Schutzschilde benutzen«, sagt er. »Nehmen Sie die Macht in Ihre Hände. Ich denke, dass wir mit Ihnen leichter Vereinbarungen treffen können als mit dieser Bande von Drogenabhängigen und Neonazis, die Kiew in Besitz genommen hat und das gesamte ukrainische Volk als Geisel hält.«

Warum Putin glaubt, dass irgendjemand in den ukrainischen Streitkräften seiner Rede Gehör schenken würde, ist ein Fall für die Historiker, die sich in der Zukunft mit dem größten Krieg in Europa seit 1945 beschäftigen werden.

Dass Putin Selenskyj – und mit ihm das gesamte ukrainische Volk – unterschätzt hat, steht jedoch fest. An jenem Abend, an dem Putin seine Ansprache an die ukrainische Armee hält, nimmt Selenskyj im Zentrum von Kiew ein kurzes Video mit seinem Mobiltelefon auf. Der ukrainische Präsident ist in Armeegrün gekleidet, umringt von seinem Kabinett. »Ich wünsche allen einen schönen Abend«, sagt Selenskyj. »Der Präsident steht hier. Unsere Soldaten stehen hier, zusammen mit unserer gesamten Gesellschaft. Wir verteidigen unsere Unabhängigkeit, unsere Nation. Es lebe die Ukraine!«

Kapitel 1

Al Pacino

Marjana (17) und Jana (18) können in einem Café im Herzen von Charkiw bereits einen kurzen Blick auf ihren Helden erhaschen. Danach versuchen sie es vor den Garderoben – ohne Erfolg. Lange vor Beginn der Vorstellung setzen sich die Mädchen in der Aula in die erste Reihe, VIP-Plätze.

Es ist der 10. September 2002, auch in der Ukraine steigt die Zahl der Internetanschlüsse explosionsartig an. Bis zum Ende des Jahres werden etwa 2,5 Millionen der 48 Millionen Einwohner des Landes online sein. Marjana Belej gehört zu den Early Adopters: Sie veröffentlicht im Internet lyrische Berichte über die Auftritte ihrer Lieblingskabarettgruppe, die von einem jungen jüdischen Mann aus der Provinzstadt Krywyj Rih geleitet wird. Marjana ist nicht die Einzige: In der ganzen Ukraine und auch in Russland schreiben Mädchen im Teenageralter im Internet über Wolodymyr Selenskyj.

Vierzig Minuten lang sitzen Marjana und ihre Freundin angespannt da und warten, bis endlich Musik ertönt, Applaus folgt. Danach schreibt sie: »Everybody’s Darling Wowa Selenskyj erschien auf der Bühne, und die Show begann.«

Marjana kennt das Programm auswendig: Es ist das dritte Mal, dass Kwartal 95 es in ihrer Stadt aufführt. Kwartal 95 spielt bekannte Sketche wie »Spanischer Tanz«, »Der Manualtherapeut« und »Der Schauspieler«. Es sind körperbetonte, clowneske Nummern: In schwarzen T-Shirts und schwarzen Lederhosen flitzen die Schauspieler über die Bühne.

Der strahlende Mittelpunkt ist ein schlanker junger Mann mit tiefschwarzem Haar, einem scharf geschnittenen Gesicht und einer rauen Bassstimme, die nicht zu seiner kleinen Statur passen will. Auf den ersten Blick gleicht Wolodymyr Selenskyj dem jungen Al Pacino; seine Mimik ähnelt manchmal der von Rowan Atkinson, dem Mann hinter seiner weltberühmten Figur Mr. Bean.

Der Humor von Kwartal 95 trifft die Erwartungen des Publikums. Zehn Jahre nach dem Ende der Sowjetunion liegen die Normen und Werte der sozialistischen Utopie in Trümmern, aber die liberale Gesellschaft steckt noch in den Kinderschuhen. Überall in der Ukraine wird die Regierung leidenschaftlich kritisiert, aber über Sex wird immer noch getuschelt. Wenn Selenskyj darauf anspielt, liegt ihm der Saal zu Füßen.

»Wir haben gelacht und gelacht und nochmals gelacht«, schreibt Marjana in ihrem Bericht. »Aber dann ertönte das letzte Lied, und mein Herz stand still. Das Publikum brach in frenetischen Beifall aus.«

Der vierundzwanzigjährige junge Mann auf der Bühne, Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj, stammt aus einer Familie assimilierter Juden. Als Nazi-Deutschland 1941 in die Sowjetunion einmarschierte, ging Großvater Semen Selenskyj mit seinen drei Brüdern an die Front. Nur Hauptmann Semen kehrte – verwundet – nach Krywyj Rih zurück. Semens Eltern waren umgekommen, als die Nazis ihr Dorf niederbrannten.

Nach seiner Wahl zum Präsidenten der Ukraine werden Selenskyj viele Fragen zu seiner jüdischen Herkunft gestellt. Er tut sie höflich ab. »Wir waren eine ganz normale sowjetische jüdische Familie«, sagt Selenskyj 2020 in einem Interview mit The Times of Israel. »Die meisten jüdischen Familien in der Sowjetunion waren nicht religiös.«

Die Eltern von Selenskyj sind typische Vertreter der sowjetischen Intelligenzija. Vater Oleksandr war Mathematiker und zuletzt Professor für Kybernetik, Mutter Rymma Ingenieurin, bis sie ihren Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben konnte.

Wolodymyr wird 1978 geboren. In den frühen 1980er-Jahren ziehen die Selenskyjs in die Mongolei, wo Oleksandr Direktor eines Bergbauunternehmens wird. Rymma kann sich nicht an das raue Klima mit den extremen Temperaturschwankungen gewöhnen und kehrt nach vier Jahren mit dem kleinen Wolodymyr nach Krywyj Rih zurück, Oleksandr aber bleibt: »Mein Vater hat fast zwanzig Jahre lang in der Mongolei gearbeitet«, wird Selenskyj später erzählen. »Er hat der Mongolei alles gegeben: Gesundheit, Intellekt und vor allem Zeit. Zeit, die er für mich nicht hatte.«

Rymma und Wolodymyr ziehen in eine einfache sowjetische Wohnung im Zentrum von Krywyj Rih. Schwarz-Weiß-Fotos aus dieser Zeit zeigen einen Jungen mit dunklen Augen und langen schwarzen Wimpern. Auf einem Foto hält Rymma ihn stolz auf ihrem Arm. Mutter und Sohn ähneln einander sehr.

Wolodymyr wird von seiner Mutter und seiner Großmutter aufgezogen. »Meine Mutter ruft mich jeden Tag an«, sagt Selenskyj einmal. Und Wowa nimmt das Gespräch immer an. Tut er das einmal nicht, versucht Rymma es noch zehnmal.

Die Industriestadt, in der Selenskyj aufwächst, ist nicht besonders geschichtsträchtig. Krywyj Rih bedeutet wörtlich übersetzt »krummes Horn« – eine Anspielung auf die scharfe Biegung des Flusses Inhulez, der sich durch die Steppe schlängelt, bis er in den mächtigen Dnjepr mündet. Erstmals erwähnt wird der Ort in einem Dokument aus dem Jahr 1739, in dem Krywyj Rih als eine Ansammlung von Dörfern und Winterlagern der Kosaken beschrieben wird, die zu dieser Zeit die Steppe beherrschen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts werden die Südukraine und die Schwarzmeerregion vom Russischen Reich kolonisiert. Nach dem Russisch-Türkischen Krieg von 1768 bis 1774 wird auf Anordnung der russischen Behörden eine Poststation in Krywyj Rih errichtet. Lange Jahre bleibt es vornehmlich eine Militärsiedlung.

Dies ändert sich mit der Entdeckung großer Eisenerzvorkommen. Aus dem Krummen Horn wird der Krywbass: eine der größten Industrieregionen der Sowjetunion, neben dem Donbass in der Ostukraine und dem Kusbass in Sibirien. Entlang der ausgedehnten unterirdischen Eisenerzgänge werden Bergwerke und Schmelzöfen gebaut, daneben entstehen Häuser für die Arbeiter. Heute erstreckt sich Krywyj Rih mit seinen 620 000 Einwohnern über fast fünfzig Kilometer, ein endloses Band von Gebäuden zwischen Schornsteinen und Minenschächten.

Wolodymyr Selenskyj erinnert sich an das Krywyj Rih seiner Jugend als eine eher düstere Stadt. Durch die großflächige Gewinnung von Eisenerz im Tagebau werden rote Staubpartikel in die Luft geblasen, die an den Lippen und im Rachen kleben. Wenn es regnet, färben sich die Pfützen auf dem Asphalt blutrot. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und das Ende der Planwirtschaft läuten den Niedergang der Schwerindustrie ein. Gleichzeitig floriert die Schattenwirtschaft, und die Kriminalität nimmt überhand.

Es ist nicht nur das Eisenerz, das den Asphalt rot färbt. Seit den späten 1980er-Jahren wird Krywyj Rih von Jugendbanden, im Volksmund »Runners« genannt, heimgesucht. Die Runners sind regional nach Straßen und Stadtvierteln (»Kwartaly«) organisiert und tragen seltsame Namen wie »Die Stiere«, »Die Pferde«, »Die Neunte«, »Für Null« oder sogar »Die Kohlrouladen« – das Lieblingsessen vieler Menschen in der Ukraine und in Russland. Die Banden überfallen die Gebiete ihrer Feinde, geraten aneinander, schießen mit selbst gebauten Pistolen aufeinander und erpressen Gleichaltrige als Gegenleistung für »Schutz«. Dabei handelt es sich nicht um organisiertes Verbrechen. Die Schlägereien sind eine Art Rowdytum und bieten ein wenig Abwechslung in der Armut und Plackerei des Alltags. In einer Studie über die Runners aus dem Jahr 2020 zieht der Journalist Samuel Proskurjakow den Vergleich mit der sinnlosen Gewalt in Anthony Burgess’ Roman A Clockwork Orange. In den rund zehn Jahren, in denen die Reiter in Krywyj Rih aktiv sind, werden achtundzwanzig Jugendliche und ein Polizist getötet. Das jüngste Opfer ist dreizehn Jahre alt.

In den frühen 1990er-Jahren ist Krywyj Rih nicht nur führend in der Jugendkriminalität. Die lokalen Mafiabosse haben eine so starke Position aufgebaut, dass die Stadt lange Zeit als das »Palermo der Ukraine« gilt. Die kommunistischen Staatsunternehmen befinden sich nun in den Händen von cleveren Männern, die das Risiko eingingen, sich zu verschulden, oder in den Händen von Banditen, die die Konkurrenz mittels Einschüchterung und Gewalt ausschalteten. Der Unterschied zwischen einem Unternehmer und einem Mafiaboss ist in Krywyj Rih manchmal schwer zu erkennen: Selbst »ehrliche« Unternehmer beschäftigen Bodyguards mit Kalaschnikows.

In dieser verarmten und von Gewalt geprägten Industriestadt wächst Wolodymyr Selenskyj auf – als Einzelkind ohne Vater. Er hat das Glück, im Kwartal 95 zu wohnen, einem der grünen Viertel im Stadtzentrum, wo die Intelligenzija lebt und die Luftqualität besser ist als in den Vororten.

Der kleine Wolodymyr ist ein kluger Schüler, aber sein erster Auftritt im Schulchor endet in einem Fiasko, wie sich die Musiklehrerin Tetjana Solowjewa Jahre später erinnert: »Schon als kleines Kind hatte er einen tiefen Bass. Ich schwöre, er sprach mit einer Bassstimme. Ich sage: ›Okay, kommt und probt.‹ Ich ahne bereits, wie es enden wird. Also fangen die Kinder an zu singen, und er: ›Oooo, aaaah‹, und alle brüllen vor Lachen. Und dann hat er auch noch die Frechheit zu sagen: ›Worüber lacht ihr denn?‹«

Der quirlige Wowa ist am besten, wenn er sich bewegen kann: beim Ringkampf, zu dem ihn seine Mutter zwingt, damit er sich auf der Straße verteidigen kann, und beim Ballettunterricht, an dem er mit großer Hingabe teilnimmt. Als Teenager trägt Wowa Selenskyj einen Ring im Ohr, was in Krywyj Rih schnell den Verdacht aufkommen lässt, dass man homosexuell ist – ein Grund für Prügel. Um dies zu vermeiden, ist es besser, den Arm um ein Mädchen zu legen.

Wolodymyr besucht das Gymnasium Nr. 95, eine der besten Schulen der Stadt. Er hört sich die Beatles-Platten an, die die sowjetische Plattenfirma Melodija in den späten 1980er-Jahren – zur Zeit der Perestroika – veröffentlichen durfte. Als Teenager schreibt er Gedichte, Lieder und spielt Gitarre.

Selenskyj ist ein großer Fan des sowjetischen Liedermachers und Dichters Wladimir Wyssozki (1938 bis 1980). Wolodymyr (russisch: Wladimir) hat nicht nur denselben Vornamen, er wurde auch am gleichen Tag wie der große Sänger geboren: am 25. Januar. Und auch Wyssozki hatte eine tiefe, heisere Stimme.

Selenskyjs Lieblingslied von Wyssozki ist eines seiner bekanntesten, nämlich der Titelsong des berühmten Films Vertikal von 1967. »Lied über einen Freund« handelt von der Kameradschaft unter Bergsteigern: An den steilen Hängen des Kaukasus, wo die Alpinisten aufeinander angewiesen sind, trennt sich die Spreu vom Weizen, und man weiß, wer die wahren Freunde sind.

Der junge Selenskyj interessiert sich für Politik: Im Alter von sechzehn Jahren träumt er davon, Diplomat zu werden. Wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, hätte er an der berühmten Moskauer Diplomatenschule MGIMO studiert, der Alma Mater des derzeitigen russischen Außenministers Sergei Lawrow und dessen aggressiver Pressesprecherin Marija Sacharowa. Doch wer kein Bestechungsgeld zahlt, wird nicht am renommierten MGIMO aufgenommen, und die Summen sind so hoch, dass der junge Selenskyj seine Pläne aufgeben muss.

Wenn ein junger Mann in seinem Alter nicht zur Universität geht, muss er Militärdienst ableisten. Doch Selenskyj sieht sich nicht als Soldat. Deshalb beginnt er mit siebzehn Jahren ein Jurastudium in Krywyj Rih. Vater Oleksandr glaubt, dass Wolodymyr ein berühmter Anwalt werden könnte, Selenskyj selbst ist weniger begeistert. »Ich wollte unbedingt in Moskau studieren«, sagte er später in einem Interview. »Als ich gerade an der Universität [in Krywyj Rih] angefangen hatte, wollte ich das Studienfach wechseln. Aber in meinem Propädeutikum bin ich beim KWN gelandet. Danach wollte ich nirgendwo anders mehr hingehen.«

Die 1990er-Jahre sind die Blütezeit der internationalen Kabarettwettbewerbe, die die Fernsehzuschauer in der gesamten ehemaligen Sowjetunion vor den Bildschirmen fesseln. Die Geschichte des KWN, Klub der Witzigen und Gescheiten (auf Russisch: Klub Wesjolych i Nachodtschiwych), reicht bis in die frühen 1960er-Jahre zurück, doch so richtig in Schwung kommt das Phänomen erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als der Klub von dem russischen Moderator Alexandr Masljakow geleitet wird.

Obwohl sich die Nachfolgeorganisation der Sowjetunion, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), als leere Hülle entpuppt, haben die ehemaligen Sowjetrepubliken immer noch eine starke gemeinsame Kultur, mit Russisch als Verkehrssprache. KWN-Teams schießen überall wie Pilze aus dem Boden: in Kasachstan, in Georgien und vor allem in Russland, in der Ukraine, in Belarus und in Armenien. Im Chaos und in der wirtschaftlichen Misere der 1990er-Jahre sind die heiteren Kabarettwettbewerbe ein wöchentliches Highlight – wenn man es denn schafft, sie zu sehen.

In Armenien ist Strom Anfang der 1990er-Jahre äußerst knapp, und das Fernsehen sendet nicht mehr als drei Stunden am Tag. »Aber jeder Armenier, der etwas auf sich hält, hatte die Videokassetten mit den Aufnahmen der KWN-Wettbewerbe«, schreibt Anna Grigorian in der Online-Publikation Planet der Diaspora. In armenischen Schulen und Universitäten werden ständig neue KWN-Teams von ehrgeizigen Teenagern gegründet, die davon träumen, den Durchbruch als Kabarettist zu schaffen. Da so viele Menschen daran teilnehmen wollen, werden die KWN-Wettbewerbe nach dem Vorbild von Fußballligen organisiert. Und die erste Liga spielt natürlich in Moskau.

Die KWN-Sketche haben wenig mit angelsächsischer Stand-up-Comedy zu tun, sondern eher mit dem klassischen Kabarett. Sie werden von Gruppen von Schauspielern, den Teams, aufgeführt. Gesang und Tanz sind wesentliche Elemente der Sketche. Nicht selten fehlt die Pointe, der Witz liegt stattdessen in einer Geste oder der Mimik.

In der Nummer »Zum Tanzen geboren« spielt Selenskyj einen Mann, der unter einem Zwang leidet: Er kann nicht aufhören zu swingen, selbst als er auf der Bühne von seinem Schauspielerkollegen Denis Luschtschyschyn zu seiner Störung »interviewt« wird. Selenskyjs Bewegungensind so ansteckend, dass Interviewer Luschtschyschyn automatisch mit ihm mitgeht. Die beiden Männer tanzen Wange an Wange über die Bühne. Das Publikum brüllt vor Lachen.

»Welche Nationalität haben Sie?«, fragt Luschtschyschyn.

»Ich bin Russe«, antwortet Selenskyj, »und Sie?«

Luschtschyschyn ist erschrocken: »Sagen wir, ich komme aus der Ukraine.«

Selenskyj dreht seinen Hintern zu Luschtschyschyn, die beiden tanzen nun eng zusammen, als würden sie es im Doggystyle treiben.

»Ehrlich gesagt, hat die Ukraine Russland schon immer gefickt«, ruft Selenskyj lautstark.

»Sagen Sie mir nichts«, schreit Luschtschyschyn. »Sie verstehen nicht, was sie tun, erst fickt die Ukraine Russland …«

Die beiden Männer tauschen ihre Positionen.

»… und dann Russland die Ukraine!«

Die Wurzeln von Selenskyjs KWN-Truppe Kwartal 95 liegen in seinem engeren Freundeskreis, den jungen Studenten, mit denen er im Sommer am Brunnen im Bohdan-Chmelnyzkyj-Park abhängt. Viele träumen von der Teilnahme an KWN-Wettbewerben im TV, aber Selenskyj wird von einem der absoluten Spitzenteams gescoutet: Saporischschja – Krywyj Rih – Transit. Die Mitglieder des Teams sind in ihren Dreißigern und suchen nach frischem Blut. Im Alter von achtzehn Jahren gibt Selenskyj sein Fernsehdebüt.

Zwei wichtige Mitglieder von Transit, Borys und Serhij Schefir, werden Selenskyjs Freunde fürs Leben. Lange Zeit teilen sich die drei nicht nur ein Büro, sondern wohnen auch direkt nebeneinander, etwas außerhalb von Kiew.

Olena Kyjaschko, eine hübsche, kurzhaarige Blondine, kennt Selenskyj aus der Schule. Eines Tages begegnet er ihr auf der Straße. Olena hält eine Videokassette mit dem Film Basic Instinctin den Händen. »Diesen Film wollte ich schon immer sehen«, ruft Selenskyj. »Kann ich mir die Kassette bei dir ausleihen?« Es ist ein Trick, denn Selenskyj – ein Filmfan – hat den Erotikthriller von Paul Verhoeven bereits mehr als ein Dutzend Mal gesehen. Aber jetzt hat er einen Grund, nach Olenas Telefonnummer zu fragen – wie sonst soll er die Videokassette zurückgeben?

Olena weiß, wer Selenskyj ist. Wowa und seine Freunde sind lokale Berühmtheiten, die mit ihren Auftritten Schulfeste und andere Events bereichern. »Ich hätte nicht gedacht, dass wir zusammenkommen würden«, erinnert sie sich später. »Sie hatten immer die hübschesten Mädchen um sich.« Bis zu dem Moment, in dem Selenskyj Olena seine Liebe gesteht, macht sie sich nicht viel aus ihm. Kaum ist das Paar zusammen, denkt Olena schon wieder an Trennung: »Ich hatte romantische Gefühle für jemand anderen.« Selenskyj fordert sie zu einem »sehr ernsten Gespräch« auf.

»Ich sagte, dass ich andere Pläne hätte und dass wir uns trennen sollten. Aber dann sagte er einige Dinge, die mich zum Nachdenken brachten, darüber, was ich verlieren würde.«

Olena entscheidet sich für Wowa. »Wenn er etwas will, lässt er nicht locker«, sagt sie sechzehn Jahre später – das Paar ist seit zehn Jahren verheiratet.

Als Transit 1997 zu zerfallen beginnt, formiert Selenskyj eine neue Truppe. Andere KWN-Teams stellen ihre Mitglieder sorgfältig aus verschiedenen Typen zusammen: einem Leadsänger, einem Tänzer, einem Komiker, Drehbuchautoren. Selenskyj geht es vor allem um Loyalität. Kwartal 95 ist in erster Linie eine Gruppe von Freunden, die sich zur berühmtesten ukrainischen Kabaretttruppe entwickeln wird.

Keines der Mitglieder von Kwartal 95 hat eine Ausbildung in der Unterhaltungsbranche. Olena Krawez (geboren 1977), die einzige Frau im Unternehmen, studierte Finanzwirtschaft. Oleksandr Pikalow (geboren 1976) verdiente sein Geld als Straßenkehrer, bevor er eine Ingenieurausbildung begann. Jurij Krapow (geboren 1973) arbeitete als Elektroingenieur in Bergwerken. Der Vater von Jurij Korjawtschenkow (geboren 1974) wollte, dass sein Sohn Chirurg wird, und so arbeitete »Jusik« zwei Jahre lang als Krankenpfleger in einem örtlichen Krankenhaus. Das gefiel ihm nicht besonders.

Im Jahr 1998 nimmt Kwartal 95 an einem Wettbewerb in Sotschi, dem russischen Ferienort am Schwarzen Meer, teil. Der Überlieferung nach ist der KWN-Moderator Masljakow besonders von dem jungen Jurastudenten Selenskyj beeindruckt. Masljakow lädt Kwartal 95 zum großen Finale in Moskau ein. Kwartal 95 geht auf Tournee durch die Ukraine und Russland, der Zeitplan ist mörderisch. Tagsüber ist die Truppe oft mit Bussen auf den mit Schlaglöchern übersäten ukrainischen Straßen unterwegs. Am Abend treten sie auf. Die knappe Freizeit wird mit dem Schreiben und dem Einstudieren neuer Sketche verbracht.

Im Jahr 2001 gibt Selenskyj der sibirischen Ausgabe des Moskowski Komsomolez, der bekannten russischen Boulevardzeitung, ein Interview. Er hat gerade eine Tournee durch Sibirien mit Kwartal 95 beendet. Er mag das eisige Klima: »Bei uns sind die Winter grau, ohne Schnee.« Der Interviewer stellt fest, dass der junge Komiker Russisch mit einem »niedlichen Akzent« spricht.

Die überwiegende Mehrheit der über 600 000 Einwohner von Krywyj Rih sind Ukrainer, ethnische Russen sind eine Minderheit – selbst die 15 000-köpfige jüdische Gemeinde ist größer. Doch für viele ist Russisch die erste Sprache. »Wir sind in Familien aufgewachsen, in denen der Nationalismus noch keine Rolle spielte«, sagt Selenskyj in dem Interview mit dem Moskowski Komsomolez. »Wir sprechen Russisch. Dass andere Ukrainisch sprechen, ist für uns in Ordnung.« Selbst im eisigen Kusbass, Tausende Kilometer von Krywyj Rih entfernt, hat der junge Selenskyj das Gefühl, in »einem Land« zu leben.

In dieser Zeit waren Selenskyj und seine Schauspielerkollegen hauptsächlich in Moskau, der Metropole, die immer noch das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des einstigen Sowjetimperiums ist. Der junge Komiker hält sich gerne in den berühmten Theaterakademien der russischen Hauptstadt auf. »Meine Lieblingsschauspieler sind durch diese Schulen gegangen«, sagt er 2008 in einem Interview. »Ich wollte in denselben Hörsälen sitzen und dieselben Aufgaben studieren wie sie.« Aber er hat kein Geld, um in Moskau zu studieren. Selenskyj beschließt, den Beruf in der Praxis zu erlernen. »Ich beschloss, dass ich, wenn ich keine traditionelle Theaterschule besuchen kann, die KWN-Schule besuchen würde. Dieser Weg ist zwar länger, aber nicht weniger effektiv.«

Selenskyj wird keine guten Erinnerungen an Moskau haben. »Wenn man in Moskau an die Tür klopft, macht niemand auf. Nicht einmal die eigenen Nachbarn.« Moskaus Schickeria schaut auf die Provinzler herab, die in den 1990er-Jahren in großer Zahl in die Hauptstadt gezogen sind.