Sensorische Modulation für Menschen mit Demenz - Tina Champagne - E-Book

Sensorische Modulation für Menschen mit Demenz E-Book

Tina Champagne

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Beschreibung

Düfte, Farben und Formen, Geräusche, Strukturen und die Bewegung im Raum - sinnlich-sensorische Eindrücke prägen die Wahrnehmung unseres täglichen Lebens, auch des Lebens mit einer Demenz. Die Autorin stellt Strategien vor, wie Pflegende die sensorischen Bedürfnisse und Wahrnehmungsmuster kompetent einschätzen und besser verstehen können, um das (Er)leben von Menschen mit Demenz zu bereichern. Dabei erläutert sie verständlich, welche Besonderheiten die sensorischen Wahrnehmungen von alternden Menschen aufweisen. Dem Lesenden zeigt sie, wie das "Sensory Modulation Program" (SMP) Menschen mit Demenz unterstützen kann, sich selbst besser zu organisieren, um am Alltag besser teilnehmen und teilhaben zu können. Im Anhang stellt die US-amerikanische Ergotherapeutin viele Vorschläge für wahrnehmungsorientierte und -modulierende Aktivitäten zusammen, die Menschen mit einer Demenz in allen Stadien ausüben, anregen und entspannen können. Die deutschsprachige Ausgabe des SMP-Ansatzes wurde von Thomas Buchholz bezüglich der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Basalen Stimulation in der Pflege verglichen sowie inhaltlich angepasst und ergänzt Wer die sinnlichen und wahrnehmungsbezogenen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz verstehen und befriedigen möchte, findet in diesem Werk ein fundiertes und verlässliches Handbuch für die Praxis von Altenpflegenden, Fachpflegenden für Basale Stimulation, Aktivierungsfachpersonen, Alltagsbegleitenden und Ergotherapeuten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 230

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Sensorische Modulation für Menschen mit Demenz

Tina Champagne

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Pflege:

Jürgen Osterbrink, Salzburg; Doris Schaeffer, Bielefeld; Christine Sowinski, Köln; Franz Wagner, Berlin; Angelika Zegelin, Dortmund

Tina Champagne

Sensorische Modulation für Menschen mit Demenz

Assessments und Aktivitäten für eine sensorisch anregende Umgebung zur Bedürfnisbefriedigung und Wahrnehmungsförderung

Aus dem amerikanischen Englisch von Heide Börger

Deutschsprachige Ausgabe bearbeitet und herausgegeben von Thomas Buchholz

Tina Champagne OTD, OTR/L, FAOTA, Occupational Therapist, Ergotherapeutin und Aktivierungsfachfrau, Massachusetts, USA

 

Thomas Buchholz (dt. Hrsg.) Krankenpfleger, Fachbuchautor, Dozent und Lehrer für Pflegeberufe, Diplom-Pädagoge, Kurs- und Weiterbildungsleiter für Basale Stimulation, Kinästhetik-Trainer.

 

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Kopien und Vervielfältigungen zu Lehr- und Unterrichtszwecken, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe AG

Lektorat Pflege

z.Hd.: Jürgen Georg

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel. +41 31 300 45 00

[email protected]

www.hogrefe.ch

 

Lektorat: Jürgen Georg, Martina Kasper, Loriana Zeltner

Bearbeitung: Thomas Buchholz

Herstellung: René Tschirren

Umschlagabbildung: Martin Glauser, Uttigen

Kapiteltrenner-Fotos: Jürgen Georg, Bern

Umschlag: Claude Borer, Riehen

Satz: Claudia Wild, Konstanz

Druck und buchbinderische Verarbeitung: Finidr s.r.o., Český Těšín

Printed in Czech Republic

 

Das vorliegende Buch ist eine Übersetzung aus dem Amerikanischen. Der Originaltitel lautet „Sensory Modulation in Dementia Care“ von Tina Champagne.

© 2018. Tina Champagne. First published in 2018 by Jessica Kingsley Publishers, London und Philadelphia

 

1. Auflage 2019

© 2019 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-95988-7)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-75988-3)

ISBN 978-3-456-85988-0

http://doi.org/10.1024/85988-000

Nutzungsbedingungen

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Diese Bestimmungen gelten gegebenenfalls auch für zum E-Book gehörende Audio­dateien.

Anmerkung

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Inhaltsverzeichnis
Widmung
Danksagung
Vorwort
Einführung
1 Alterungsprozess und Demenz
1.1 Die verschiedenen Formen der Demenz
1.2 Die Stadien der Demenz
1.3 Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Paranoia
1.4 Die Stressreaktion
1.5 Die Arbeit mit Menschen, die Demenz haben
1.6 Freiheitsentziehende Maßnahmen beschränken
1.7 Traumaorientierte Pflege
1.8 Internationale Initiativen in der Pflege von Menschen mit Demenz
2 Sensorische Verarbeitung in Abhängigkeit vom Alterungsprozess
2.1 Sensorische Systeme und Alterungsprozess
2.1.1 Das propriozeptive System
2.1.2 Das vestibuläre System
2.1.3 Das visuelle System: Der Gesichtssinn
2.1.4 Das auditorische System: Der Gehörsinn
2.1.5 Das gustatorische System: Der Geschmackssinn
2.1.6 Das olfaktorische System: Der Geruchssinn
2.1.7 Das taktile System: Der Tastsinn
2.1.8 Interozeption: Der Sinn für innere Selbstwahrnehmung
2.2 Sensorische Integration und Verarbeitung
2.2.1 Sensorische Deprivation
2.3 Leitbegriff – Sensorische Verarbeitung
2.3.1 Sensorische Modulation
2.4 Evidenzbasierte Praxis und sensorisch basierte Interventionen
3 Das Sensory Modulation Program
3.1 Die Komponenten des Sensory Modulation Program
3.1.1 Therapeutischer Einsatz der Person
3.1.2 Sensorisch basierte Assessments
3.1.3 Sensomotorische Aktivitäten
3.1.4 Sensorisch basierte Modalitäten
3.1.5 Sensorische Diät
3.1.6 Veränderungen und Verbesserungen der Umgebung
3.1.7 Einbindung und Aufklärung von Klienten und Betreuungspersonen
3.2 Das Sensory Modulation Program und seine Ziele
3.3 Individuelle und programmatische Umsetzung des Sensory Modulation Program
4 Erläuterungen zum Thema Assessment und Sicherheit
4.1 Sicherheitsbelange und Traumageschichte
4.2 Sensorisch basiertes Assessment und Screening
4.2.1 Assessments: Balance und Sturzrisiko
4.3 Einschätzung von Demenz, kognitiven Fähigkeiten und andere Assessments
4.3.1 Demenz-Screening
4.3.2 Assessment der kognitiven Fähigkeiten: Funktionsfähigkeit
4.3.3 Skalen: Aktivitäten des täglichen Lebens und Sicherheit
4.3.4 Skalen: Agitiertheit und Schmerzen
5 Sensomotorische Aktivitäten und sensorisch basierte Modalitäten
5.1 Dämpfende und anregende Strategien
5.1.1 Kommunikation
5.2 Nach sensorischen Systemen geordnete sensorische Strategien
5.2.1 Das taktile System: Der Tastsinn
5.2.2 Das propriozeptive System: Wahrnehmung von Körper, Körperhaltung und Bewegungen
5.2.3 Das vestibuläre System: Balance, Bewegung und Muskeltonus
5.2.4 Das visuelle System: Der Gesichtssinn
5.2.5 Das auditorische System: Der Gehörsinn
5.2.6 Das olfaktorische System: Der Geruchssinn
5.2.7 Das gustatorische System: Der Geschmackssinn und die orale Motorik
5.2.8 Das interozeptive System: Die Wahrnehmung innerer Befindlichkeiten
5.2.9 Multimodale multisensorische Wahrnehmungen
6 Die sensorische Diät
6.1 Sicherheit, Wohlbefinden und Partizipation fördern
6.1.1 Sicherheit und Entspannung fördern
6.1.2 Teilhabe an der Selbstversorgung fördern
6.1.3 Erholung und Schlaf fördern
6.1.4 Rollen und soziale Teilhabe stärken
6.1.5 Teilnahme an Fitness- und Freizeitaktivitäten fördern
6.2 Individuelle und programmatische Umsetzung
6.3 Die Verbreitung der sensorischen Diät
7 Veränderungen und Verbesserungen der Umgebung
7.1 Umgebungen, die stärken und die Eigenständigkeit fördern
7.2 Anheimelnde Umgebungen
7.3 Sinn- und Fühlräume
7.3.1 Multisensorische Umgebungen
7.3.2 Räume für sensorische Integration
7.3.3 Räume für sensorische Modulation
7.4 Sensorische Wagen
7.5 Sensorische Kästen
7.6 Sensorische Gärten
8 Zusammenfassung
Anhang A: Traumaorientierter Sicherheits-Fragebogen (TISQ)
Anhang B: Checkliste für Betreuungspersonen: sensorische Verarbeitung
Literaturverzeichnis (englisch)
Weiterführende Informationen (englisch)
Literaturverzeichnis des Herausgebers
Weiterführende Informationen (deutsch)
Autorinnen- und Herausgeberverzeichnis
Sachwortverzeichnis

Widmung

Zum Andenken an meine Großmutter, die in höherem Lebensalter an Demenz erkrankte. Ihre Wahrnehmungen haben mich veranlasst, das Sensory Modulation Program für die Arbeit mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind, nutzbar zu machen. Meine Großmutter hat von vielen der in diesem Buch vorgestellten Strategien profitiert. Sie hat mir auch die Augen dafür geöffnet, wie wichtig es ist, anderen zu helfen und sich den Sinn für Humor zu bewahren und sie hat mich immer ermutigt, meine Träume zu leben.

Danksagung

Ein ganz besonderer Dank gilt meinen Kindern für ihre Liebe und unablässige Unterstützung. Des Weiteren danke ich Kristina Tams für ihre Hilfe bei der Edition dieses Buches sowie meinen Mentoren und Kollegen für die jahrelange Unterstützung meiner Ideen und Projekte; es war großartig, mit ihnen gemeinsam die Bedeutung der sensorischen Integration und Verarbeitung im Bereich der Beschäftigungstherapie und im Kontext anderer therapeutischer Dienste sowie deren Anwendung bei verschiedenen Populationen in unterschiedlichen Settings zu erörtern. Allen, die mit mir in dieser besonderen Population (Menschen mit Demenz) gearbeitet haben, möchte ich sagen: Es war mir eine Ehre, mit Ihnen gemeinsam Ansätze zu entwickeln und zu umzusetzen, die geeignet sind, den Nutzen eines menschlichen, stärkenden, einfühlsamen und sensorisch basierten Ansatzes aufzuzeigen – Dank Ihnen allen!

Ich danke auch Karen Poole, TFH USA (www.tfhusa.com) und Lisa Compton (www.SensoryCraver.com), dass sie die Verwendung der Produktfotografien in diesem Buch erlaubt haben.

Vorwort

Leben in unserer heutigen Zeit ist geprägt von zunehmender Vernetzung der Welt. Die Digitalisierung nahezu aller Lebensbereiche ist das Kennzeichen der „Moderne“. Vor allem in unseren scheinbar zivilisierten, westlichen Kulturen können wir uns ein Leben ohne Laptop, Tablet oder Smartphone kaum mehr vorstellen. In ständiger Verbindung mit unzähligen anderen Menschen erreichbar zu sein, wird zum Credo des Menschseins. Mit hoher Geschwindigkeit erleben wir einen Zuwachs digitaler und anderer technischer Entwicklungen. Das stetig sich erweiternde Wissen über Beschaffenheit, Wirkungsweisen und Zusammenhänge von Mensch und Natur, Kultur, Umwelt und Technik geschieht in atemberaubendem Tempo. Unsere Sinne unterliegen einer fortwährenden Stimulation. Schritt halten müssen in Beruf und Freizeit, um nicht abgehängt oder ausgegrenzt zu werden, wird zu einer unbewusst wirkenden Grundstimmung. Der schnelle Wandel unserer Welt hinterlässt Spuren in den Netzwerken des menschlichen Gehirns. Der Soziologe Hartmut Rosa spricht von „dynamischer Stabilisierung“ unserer Lebenswelt, die wir als Beschleunigung wahrnehmen. Ein Rhythmus, der etwas mit uns Menschen „macht“, der unbewusst wirkt. Daher sucht jeder Mensch seine eigene Strategie, um mit dem „immer schneller“, „jetzt und sofort“ zurechtzukommen. Eine mögliche Strategie der Bewältigung und Beziehung zur Welt ist für Hartmut Rosa das Erleben von Resonanz. Für ihn entsteht Resonanzbeziehung mit der Welt, wenn ein Mensch ergriffen ist, eine sinnliche Erfahrung macht, z.B. das Erklimmen eines Berges, ein besonderes Musikstück… Kennzeichen dieser Erfahrung ist ein innerlich tiefgehendes „Bewegt“-Sein, ein nachhaltiges Angerührt-Sein, das die Person vielleicht sogar verändert. Sinnlich überwältigt zu sein, meint Rosa, reicht für Resonanzbeziehung mit der Welt nicht aus. Diese muss den Menschen körperlich, emotional erreichen und eine Erfahrung von Selbstwirksamkeitserleben mit sich bringen. Resonanzbeziehung zur Welt stellt sich beim Erleben von sich aus ein. Sie geschieht, kann also nicht absichtlich hervorgerufen werden.

Wie erleben Menschen mit Demenz diese Form der Beziehung zur Welt? Einerseits entziehen sie sich dem gesellschaftlichen Phänomen der Beschleunigung, durch die zunehmende Langsamkeit ihrer Aktivitäten und den Rückzug ins Hier und Jetzt. Andererseits sind sie direkt und unmittelbar von der „dynamischen Stabilisierung“ Betroffene. Die derzeitigen zeitlichen und personellen Rahmenbedingungen der Pflege führen zwangsläufig und unabdingbar zu beschleunigtem Handeln der Pflegenden, wenn sie den Bedürfnissen der hilfebedürftigen Menschen gerecht werden wollen. Rosa (2018) stellt fest: „Wenn ich Menschen unter Zeitdruck setze, dann zwinge ich sie eigentlich dazu, aus dem Resonanzmodus zu gehen, in einen Verdinglichungsmodus. Stress, Angst, Zeitdruck führen dazu, dass keine Resonanz entsteht … Ein entgegenkommender Resonanzraum braucht sehr starke soziale und institutionelle Bedingungen“. Davon sind wir in der Pflege weit entfernt. Auch dies kann ein zusätzlicher Grund für die zunehmende Entfremdung des Demenzkranken von der Welt sein. Gesellschaftliche Regeln und Normen verlieren für Menschen mit Demenz immer mehr an Bedeutung. Ihre Welt ist gekennzeichnet von Abbau an Wissen, Können, Wollen, Bewegen, Wahrnehmen und Kommunizieren. Ihre Sinne schwinden, Funktionen lassen nach. Das Sollen dominiert ihr Leben (trinken Sie bitte, drehen Sie sich auf die Seite, machen Sie den Mund auf, stehen Sie bitte auf …) durch die Unfähigkeit, sich selbst zu pflegen. Wir wissen nicht, ob Demenzkranke in solchen Situationen auf früher erlebte Resonanzerfahrungen zurückgreifen können, um sich zu stabilisieren. Im fehlenden Rückgriff auf diese Möglichkeit drücken sie Selbsterleben und -wirksamkeit aus, indem sie sich verweigern, zur Wehr setzen. Daher brauchen sie vermutlich andere Menschen, die ihnen sinnlich erfahrbar Chancen eröffnen auf Resonanzbeziehung zur Welt, durch Schaffen fördernder Bedingungen und zugewandte Beziehung.

Champagne verfolgt mit ihrem auf die Sinne bezogenen Ansatz der „Sensorischen Modulation“ möglicherweise auch diese Ideen.

Was nunmehr im angloamerikanischen Sprachraum auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse entdeckt wird, hat in Deutschland bereits eine lange empirische pädagogische und psychologische Tradition. Schon in den siebziger Jahren begann die Entwicklung des Konzepts „Basale Stimulation nach Andreas Fröhlich“ zur Förderung schwer beeinträchtigter Menschen. Mitte der achtziger Jahre wurde das Konzept von Christel Bienstein in die Kranken- und Altenpflege eingeführt. Anfänglich standen Techniken sinnlicher Anregung im Vordergrund des Konzepts. Mittlerweile bestimmen Dialog und Resonanz die Arbeitsweise mit schwer beeinträchtigten Menschen. Fröhlich und Bienstein erkannten, dass Sinnesreize alleine nicht ausreichen für ein erfülltes Leben mit starker Beeinträchtigung. Trotz gut durchdachter Programme ist nicht das stimulierende Medium das, was der beeinträchtigte Mensch braucht. Vor allem der unmittelbare Austausch im Dialog mit einem anderen Menschen setzt Entwicklung in Gang. Durch miteinander erlebte, teilhaftige Sinneserfahrungen entsteht das „Du am Ich“ (Martin Buber). Wenn noch so wirr Gesprochenes eine stimmlich wohlwollende Antwort hört, dem Schauen das Gesehen-Werden, einer Geste, eine mitschwingende Bewegung, dem Zugreifen ein Berührt-Werden folgt, entsteht ein Hin und Her zwischen Menschen, ein „Konzert“ des Aufeinander-bezogen-Seins und gegenseitigen Verstehens. Das ist das Wesen der Resonanz – aus Sicht der Neurowissenschaften. Ein wirklicher Dialog über die Sinne, jenseits von „nur spiegelnder“ Nachahmung.

Bei jeder Begegnung mit anderen Menschen können Menschen auf frühere Erinnerungen zurückgreifen. In gutem wie in schlechtem Sinn (z.B. ein Trauma). Denn jeder Kontakt, jede Sinneserfahrung kann Unbewusstes ins Bewusstsein zurückholen. Auch bei demenzkranken Menschen. Denken, wahrnehmen, bewegen, kommunizieren, spüren des eigenen Körpers, Erfahrung des Gegenübers, Gefühle tauchen immer gleichzeitig auf, unabhängig vom „Reizen“ eines Sinnes. Ein ganzheitliches Erleben, geistig, seelisch, körperlich und sozial, wenn auch nur für Momente! Umso wichtiger erscheinen Wissen über den Betroffenen zu sein und eine sichere, stabile Bindung mit der Person, wenn Formen der Ansprache über die Sinne angeboten werden. Denn sinnlich Erlebtes bewirkt erlebten Sinn!

Insofern können unterschiedliche Ansatzweisen und Konzepte wie Basale Stimulation und das Sensory Modulation Program auf der gemeinsamen Grundlage menschlicher Sinne zusammenwirken, damit demenzkranke Menschen in den noch verbleibenden Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren Lebendigkeit und erfülltes Leben sowie Resonanzerfahrung mit anderen Menschen und Resonanzbeziehung zur Welt genießen.

Beschreiten Sie, liebe Leser, gemeinsam mit Tina Champagne diesen „sinn-vollen“ Weg!

 

Thomas Buchholz

Malsch, im Mai 2019

Einführung

Dank der bedeutenden Fortschritte in den Neurowissenschaften wissen wir, dass die Vielzahl der verschiedenartigen sensorischen Erfahrungen, die Menschen tagtäglich machen, das „Nervensystem stärken“ (Ayres, 1979, 2005). Die einzelnen sensorischen Systeme verfügen über spezielle Rezeptoren, die auf bestimmte sensorische Stimuli reagieren. Der von diesen Rezeptoren wahrgenommene sensorische Input wird an das Gehirn weitergeleitet und er vermittelt uns ein Gefühl der Sicherheit und Selbstregulierung und befähigt uns zur Ausführung wichtiger Rollen, Routinen und Aktivitäten. Die Augen sind zuständig für die Wahrnehmung und Verfolgung des visuellen und räumlichen Inputs, die Ohren reagieren auf Laute, die Nase nimmt die eingeatmete Luft und die verschiedenartigen Stoffe auf, die wir als Düfte kennen, und in der Haut befindet sich eine Fülle von taktilen Rezeptoren, die uns befähigen, die vielen verschiedenartigen Berührungen zu unterscheiden (z.B. leichte Berührungen, kräftige Berührungen, Temperatur, Vibration, Schmerzen). Wir benutzen den Mund, um zu schmecken, zu essen und zu trinken, zu atmen, zu sprechen und zu singen und auch, um ein Instrument zu spielen!

Neben diesen fünf elementaren sensorischen Systemen (taktil, visuell, auditorisch, olfaktorisch [Geruch] und gustatorisch [Geschmack] gibt es noch weitere Sinne, die weniger bekannt sind: das vestibuläre, das propriozeptive und das interozeptive System. Das vestibuläre System ist zuständig für die Überwindung der Schwerkraft, die Körperkoordination und es befähigt uns, sicher durch die Welt zu navigieren. Auch Muskeln gehören zu den wichtigen sensorischen Organen; Propriozeptoren befinden sich in den Muskeln, Gelenken, Sehnen und dem Bindegewebe. Die Propriozeptoren werden aktiviert bei Bewegungen gegen Widerstände sowie bei Dehn- oder anderen, mit Bewegung verbundenen Aktivitäten. Über einen „Fühlsinn“ im Körper informiert uns propriozeptiver Input, wo wir uns räumlich und zeitlich gerade befinden. Das vestibuläre und das propriozeptive System arbeiten mit anderen sensorischen Systemen zusammen und ermöglichen so die Wahrnehmung des Körpers und des Gleichgewichts und sie sorgen dafür, dass die einzelnen Schritte der Aktivitäten in der richtigen Reihenfolge durchgeführt werden. Die Interozeption gibt Auskunft über den inneren Zustand (z.B. über die verschiedenen Grade der Aufmerksamkeit, Krankheit, Hunger, Verdauungstätigkeit).

Für die Verarbeitung und Organisation des gesamten sensorischen und motorischen Inputs sorgt das zentrale Nervensystem über die gesamte Lebensdauer. Die Art der individuellen Verarbeitung und Organisation des sensorischen Inputs bestimmt darüber, wie wir uns, andere und die materielle Umgebung wahrnehmen. Art und Intensität der sensorischen und motorischen Stimuli entscheiden darüber, ob wir uns sicher, reguliert und imstande fühlen, funktional zu kommunizieren und Aktivitäten durchzuführen. Zu wenig sensorischer Input führt zu sensorischer Deprivation, die Menschen daran hindert, ihre Resilienz und ihre Fähigkeit, Stärke, Vitalität und Aufmerksamkeit zu entwickeln oder aufrechtzuerhalten. Die sensorischen Systeme haben zudem eine Schutzfunktion, insofern als sie dem Gehirn potenzielle Gefahren signalisieren.

Bei der Umsetzung eines sensorisch basierten Ansatzes bei Menschen mit Demenz müssen Quantität und Qualität der sensorischen Stimuli, denen die Klienten ausgesetzt sind, intentional und strategisch eingeschätzt werden, um Fertigkeiten zu erhalten, die Mitarbeit zu fördern und Sicherheit, Wohlbefinden und Lebensqualität zu bewahren. Des Weiteren müssen neben den sensorischen Vorlieben und Mustern der Betroffenen ihre sensorischen Bedürfnisse und Ziele ermittelt werden. In einigen Fällen werden sensorische Strategien eingesetzt, um von Schmerzen, Unbehagen und negativen Gedanken (Paranoia, Verwirrtheit, Grübeleien) und Emotionen (Ärger, Traurigkeit, Furcht) abzulenken, in anderen Fällen helfen sie, die Betroffenen zu beruhigen, zu besänftigen, zu trösten und ihnen ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln. Sensorische Strategien können außerdem für kompensatorische Zwecke oder zur Entspannung und zur Förderung sozialer Teilhabe eingesetzt werden. Darüber hinaus sind sensorische Strategien geeignet, Agitiertheit und aggressives Verhalten einzudämmen sowie die Häufigkeit von Fixierungen zu mindern.

Das Buch beinhaltet einen Überblick über die verschiedenen Formen der Demenz, eine Einführung in sensorische Integration und Verarbeitung, eine Darstellung der sensorischen Systeme und die Veränderung ihrer Funktion in Abhängigkeit vom Alterungsprozess. Es stellt das Sensory Modulation Program (SMP) vor, einen umfassenden, nicht pharmakologischen Ansatz, der für die Pflege von oder die Arbeit mit Menschen, die Demenz haben, geeignet ist. [Für Deutschland sei darauf hingewiesen, dass dieser Ansatz, neben dem Konzept der Basalen Stimulation nach Andreas Fröhlich, insbesondere für die Berufsgruppe der Betreuungskräfte nach § 53c Sozialgesetzbuch XI und Aktivierungstherapeuten (CH) geeignet erscheint. Die Aufgaben der Betreuungskräfte sehen neben Gruppenaktivitäten Zeiten für Angebote der Einzelbetreuung vor. Die Vorgehensweisen des SMP sind damit in besonderer Weise für die Anwendung in Aktivierung und Betreuung geeignet. Anm. d. dt. Hrsg.] Das SMP ist vor allem zu empfehlen, wenn ein sensorisch basierter Ansatz vollständig umgesetzt werden soll. Für dieses Buch wurde das SMP auf die Arbeit mit Menschen mit Demenz abgestimmt.

1Alterungsprozess und Demenz

Der Sinn des Lebens besteht darin, es zu leben, Erfahrungen maximal auszukosten und sich neuen und bereichernden Erfahrungen bereitwillig und furchtlos zu stellen.

Eleanor Roosevelt

Der Alterungsprozess ist ein natürlicher Bestandteil des menschlichen Lebens. Viele Menschen halten Demenz für eine normale Begleiterscheinung des Alterungsprozesses, doch laut der Alzheimer’s Association (2017a) ist dies ein Irrglaube, denn viele ältere Menschen leben ohne Demenz. Diejenigen, die eine Demenz entwickeln, erkranken aus verschiedenen Gründen. Dieses Kapitel beschreibt die einzelnen Formen der Demenz, nennt Gründe für ihr Auftreten und präsentiert allgemeine Sicherheitsbelange, die es bei der [Betreuung und] Pflege von Menschen mit Demenz oder der Arbeit mit ihnen, zu beachten gilt. Die Informationen in diesem Kapitel sind nicht allumfassend, sondern als Einführung in die behandelten Themen zu verstehen.

Der Alzheimer’s Association (2017a) zufolge geht Demenz mit verschiedenartigen Symptomen einher, etwa nachlassende Gedächtnisleistung oder Kognition und Intellekt. Dies hat massive Auswirkungen auf die Fähigkeit der Betroffenen, sich an Freunde und nahestehende Menschen zu erinnern sowie Routinen und Aktivitäten des täglichen Lebens sicher und funktional durchzuführen. Die Krankheit und die damit einhergehenden Symptome sind progressiv, was bedeutet, dass die Krankheit und ihre Symptome sich mit der Zeit verschlimmern. Je nachdem, welche Hirnareale betroffen sind, manifestieren sich entsprechende kognitive, soziale, emotionale und funktionale Probleme. In der Regel treten bei Menschen mit Demenz in den einzelnen Bereichen folgende Probleme auf:

Sicherheit (z.B. Sturzrisiko, Agitiertheit/Aggression, medizinische Komplikationen, körperliche Verletzungen, umherwandern und sich verlaufen)Kognition (z.B. Gedächtnis, Aufmerksamkeitsspanne, Problemlösung)sensorische Funktionsfähigkeit (z.B. Veränderung des Seh- und Hörvermögens und des Geschmackssinns)sensorische und motorische Integration und Verarbeitung (z.B. Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit (deconditioning), Gleichgewichtsprobleme, Probleme mit der räumlichen Orientierung und verminderte motorische Leistungsfähigkeit)sensorische Präferenzen (z.B. gesteigerte oder verminderte sensorische Sensibilität)sensorische und aktionale DeprivationRollen, Beziehungen, Selbstwert- und IdentitätsgefühlPartizipation an Rollen, Routinen und Aktivitäten (z.B. Autofahren, Hausarbeit, Freizeitaktivitäten, berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeiten, Feiertage begehen).

Gelegentlich treten Symptome auf, die denen einer Demenz sehr ähneln, z.B. wenn Menschen deprimiert sind, unter den Nebenwirkungen von bestimmten Medikamenten leiden, exzessiv Alkohol konsumieren, unter einschneidenden hormonalen Veränderungen, Vitaminmangel oder Schilddrüsenproblemen leiden (Alzheimer’s Association, 2017a). Solche Demenzsymptome verschwinden gewöhnlich, sobald die Ursache erkannt ist und behandelt wird (Alzheimer’s Association, 2017a).

1.1 Die verschiedenen Formen der Demenz

Es gibt verschiedene Formen der Demenz, doch da ungefähr 60–80% aller Demenzfälle der Alzheimer-Demenz zuzurechnen sind, ist sie die häufigste Form. Die zweithäufigste Form ist die vaskuläre Demenz. Sie ist die Folge eines oder mehrerer Infarkte (Schlaganfälle) und zurückbleibender Hirnschäden. Diese führen zu kognitiven Beeinträchtigungen und Schwierigkeiten mit dem Leistungsvermögen und der sozialen Teilhabe (Alzheimer’s Association, 2017a). Häufig haben Menschen nicht nur einen Schlaganfall, sondern mehrere, die unterschiedlich schwer sein können. Hinzu kommt, dass sie aufgrund der Unterbrechung der neurophysiologischen Abläufe Anfälle haben, die sich negativ auf die elektrischen Aktivitätsmuster im Gehirn auswirken.

Wer mit Menschen arbeitet, die Demenz haben, muss wissen, dass es verschiedene Demenzformen gibt, die in unterschiedlichen Lebensphasen auftreten können, und nicht nur im Alter. Nachfolgend werden die verschiedenen Formen der Demenz kurz skizziert:

Alzheimer-DemenzUrsache: Ablagerungen (Plaques) von Beta-Amyloid (Proteinpartikel) und Cluster von Neurofibrillen schädigen die Nervenzellen und lassen das Hirngewebe absterben.Symptome: Fortschreitende Verschlechterung der Gedächtnisleistung und der Fähigkeit, zu kommunizieren und sich selbst und den Haushalt zu versorgen. Es werden drei Stadien unterschieden (leicht, mittel, schwer), deren Symptome in jedem Stadium an Heftigkeit zunehmen. Die einzelnen Stadien der Demenz werden weiter hinten in diesem Kapitel ausführlicher dargestellt.Vaskuläre DemenzUrsachen: Schlaganfall und andere GefäßproblemeSymptome: beeinträchtigtes Urteilsvermögen, Schwierigkeiten, Entscheidungen zu treffen, zu planen oder Gedanken zu strukturierenLewy-Körperchen-DemenzUrsache: anormale Anhäufungen (oder Klumpen) des Proteins Alpha-Synuclein im GehirnSymptome: Gedächtnisverlust und Probleme mit dem Denkvermögen, die denen der Alzheimer-Demenz ähneln. Wahrscheinlicher sind jedoch anfängliche oder frühe Symptome wie Schlafstörungen, ausgeprägte optische Halluzinationen, langsamer Gang, Gleichgewichtsprobleme oder Bewegungsmuster, die an das Parkinson-Syndrom erinnern.Frontotemporale DemenzUrsache: Abnahme der Nervenzellen in den Frontal- und Temporallappen des GehirnsSymptome: Identitätsprobleme und verändertes Verhalten sowie Schwierigkeiten mit Sprache und Bewegung, die sich mit der Zeit verschlimmernParkinson-KrankheitUrsache: Cluster von Alpha-Synuclein in der Substantia nigra des Gehirns. Die Cluster führen zur Degeneration der Nervenzellen, die den Neurotransmitter Dopamin produzieren.Symptome: Probleme mit der Bewegung, die meistens die ersten Anzeichen sind. Entwickelt sich eine Demenz, ähneln die Symptome häufig der Lewy-Körperchen-Demenz. Das Gesicht wird mit der Zeit starr oder ausdruckslos, unabhängig davon, was die Betroffenen empfinden. Menschen mit der Parkinson-Krankheit leiden außerdem häufig an Depressionen.Creutzfeld-Jakob-KrankheitUrsache: eine schnell zum Tode führende Krankheit, die ein fehlerhaft gefaltetes Prion (Proteinpartikel) aktiviert, das einen „Dominoeffekt“ auslöst. Dieser Effekt bewirkt, dass Gehirnstrukturen sich nicht normal entfalten und in der Folge das Gehirn nicht richtig funktioniert.Symptome: Gedächtnis- und Koordinationsprobleme sowie verändertes VerhaltenNormaler druckbedingter HydrozephalusUrsache: Flüssigkeitsansammlung im GehirnSymptome: Gangunsicherheit, Gedächtnisverlust und mangelnde MiktionskontrolleChorea-HuntingtonUrsache: eine Erbkrankheit, die sich durch Proteinanomalien im Gehirn manifestiertSymptome: anormale, unwillkürliche Bewegungen, massive Abnahme des Denk- und Urteilvermögens, Reizbarkeit, Depressionen und andere StimmungsschwankungenWernicke-Korsakoff-KrankheitUrsache (sehr oft): massiver Alkoholkonsum über lange Zeit und bedrohlicher Mangel an Thiamin (Vitamin B1)Symptome: gravierende Gedächtnisprobleme, andere Bereiche sind jedoch weniger betroffenMischformenZwei oder mehr Demenzformen (z.B. Alzheimer-Demenz und normaler druckbedingter Hydrozephalus) treten gleichzeitig auf.

1.2 Die Stadien der Demenz

In der Literatur werden die einzelnen Stadien der Demenz ausgiebig beschrieben. Die Stadien der Demenz zeigen, wie sich die Krankheit im Laufe der Zeit entwickelt und welche Symptome und Verhaltensweisen in der Regel auftreten. Demenz wird gewöhnlich in drei Stadien dargestellt: Frühstadium, mittleres Stadium und fortgeschrittenes Stadium (Alzheimer’s Association, 2017a). Die folgenden Symptome der Demenz sind in den einzelnen Stadien häufig zu beobachten:

Frühstadium (leichte kognitive Beeinträchtigung) :Die Betroffenen können noch ohne fremde Hilfe funktionieren.Gelegentlich treten Wortfindungsprobleme auf.Gelegentlich treten Gedächtnisprobleme auf.Sie vergessen Namen und wo sie bestimmte Dinge aufbewahren.Es fällt ihnen schwerer, zu planen und zu organisieren.Ängste, Gereiztheit und Depressionen nehmen zu.Mittleres Stadium (mittlere kognitive Beeinträchtigung):Die Betroffenen haben Probleme, sich an Dinge aus der eigenen Lebensgeschichte zu erinnern.Sie haben Schwierigkeiten mit der zeitlichen (Datum, Jahreszeit) und örtlichen Orientierung (Wohnort/Aufenthaltsort/eigene Telefonnummer).Sie brauchen Hilfe bei der Auswahl der jahreszeitlich passenden Kleidung.Sie neigen dazu, umherzuwandern oder sich zu verlaufen.Verändertes Schlafverhalten.Sie haben Schwierigkeiten, Blase/Darm zu kontrollieren.Persönlichkeit und Verhalten verändern sich (sie sind argwöhnisch, zwanghaft, niedergeschlagen und zeigen repetitive Verhaltensweisen).Sie erzählen Geschichten immer wieder, ohne sich dessen bewusst zu sein.Fortgeschrittenes Stadium (massive kognitive Beeinträchtigung):Die Betroffenen leiden unter Halluzinationen und Wahnvorstellungen.Sie haben beträchtliche Schwierigkeiten, auf die vertraute Umgebung zu reagieren.Sie brauchen rund um die Uhr Unterstützung bei der täglichen Körperpflege.Sie haben Schwierigkeiten, mit anderen umzugehen und zu kommunizieren/eine Unterhaltung fortzusetzen (Worte zu finden oder Sätze zu artikulieren).Sie können sich nicht an kurz zuvor Erlebtes erinnern.Sie können die eigene Umgebung nicht erkennen.Sie brauchen sehr viel Unterstützung bei der Durchführung von Aktivitäten des täglichen Lebens und der Körperpflege.Ihre körperliche Funktionsfähigkeit verändert sich, z.B. die Fähigkeit, zu gehen, zu sitzen und irgendwann auch zu schlucken.Schlafstörungen nehmen zu.Ihre Widerstandsfähigkeit gegen Infektionen, insbesondere Lungenentzündungen, lässt nach.Ihre Persönlichkeit verändert sich (Wut, Aggression, Agitiertheit, emotionale Belastung nehmen zu).

 

In den Frühstadien der Demenz können die Betroffenen meist zu Hause bleiben, wenn sie von Familienangehörigen und Freunden unterstützt werden. Verschlimmern sich die Symptome, können einige Betroffene mit häuslicher und externer Unterstützung in demenzfreundlichen Gemeinden zu Hause bleiben, während andere mehr Pflege in Anspruch nehmen müssen (z.B. in Einrichtungen mit Betreuungsmöglichkeiten, Tagespflegestätten oder qualifizierten Pflegeeinrichtungen). Ist die Verschlimmerung der Symptome so weit fortgeschritten, dass Sicherheitsbelange und ein höheres Maß an Unterstützung eine Rolle spielen, kommen die Betroffenen häufig in qualifizierte Pflegeeinrichtungen oder andere Einrichtungen, in denen sie 24 Stunden beobachtet und betreut werden können. Verschlimmern sich die Symptome noch weiter, zeigen die Betroffenen möglicherweise gefährliche, paranoide oder aggressive, sogenannte „herausfordernde“ Verhaltensweisen. In solchen Situationen brauchen sie Interventionen, die sie stärken, besänftigen und aufbauen. In den fortgeschrittenen Stadien beeinträchtigt die Demenz auch die körperliche Funktionsfähigkeit, z.B. die Fähigkeit zu gehen, Speisen herunterzuschlucken und ohne Unterstützung und Überwachung aufrecht zu sitzen. Tabelle 1-1 gibt einen Überblick über die einzelnen Stadien der Demenz und die typischen Veränderungen.

Lassen Kognition und Verlässlichkeit der Sinne weiter nach, nutzen die Betroffenen meistens besser funktionierende sensorische Systeme, um das, was sie erleben, zu verstehen. Ist beispielsweise das Hörvermögen beeinträchtigt, verlassen sie sich mehr auf ihre Sehfähigkeit oder ihre anderen Sinne.

[Im deutschsprachigen Raum wird gerne auf die Reisbergskala zurückgegriffen, die mit Hilfe von sieben Stufen die Beeinträchtigungen durch die Demenzerkrankung erfasst. Der vermeintlich kontinuierlichen Verschlechterung, die die Reisbergskala impliziert, widersprechen praktische Erfahrungen, die intermittierende und wechselhafte Verläufe beobachten. Vergleiche: https://www.alz.org/de/stadien-der-alzheimer-krankheit.asp, Anm. d. dt. Herausgebers.]

Was die Betroffenen brauchen, sind sensorische Wegweiser in der Umgebung, die ihnen die Orientierung erleichtern, ein Gefühl der Sicherheit vermitteln und sie befähigen, an den Routinen und Aktivitäten des täglichen Lebens teilzunehmen.

1.3 Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Paranoia

Menschen in den mittleren bis fortgeschrittenen Stadien der Demenz leiden oft unter Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Paranoia. Probleme mit dem Hör- und Sehvermögen erschweren die Identifizierung und Interpretation von Sinneswahrnehmungen in der materiellen Umgebung und können zu Fehleinschätzungen führen. Halluzinationen sind dagegen irreale Wahrnehmungen, das heißt die Betroffenen nehmen Dinge ohne externen Stimulus wahr (Alzheimer’s Association, 2017b; Teeple, Caplan & Stern, 2009). Bedingt durch die Veränderungen in ihrem Gehirn sind Menschen mit Demenz häufiger von Halluzinationen und Wahnvorstellungen betroffen.

Wahnvorstellungen sind Gedanken, die von den Betroffenen als real wahrgenommen werden, es de facto jedoch nicht sind (Alzheimer’s Association, 2017b). Ein Beispiel hierfür wäre etwa die Überzeugung, Kontakt zu einer Person zu haben, obwohl dies nicht der Realität entspricht. Wahnvorstellungen können auch in Kombination mit Paranoia auftreten. Auslöser paranoider Gedanken ist Misstrauen, was bei Menschen mit Demenz häufig vorhanden ist. Ein Beispiel: Sie glauben, man hätte sie bestohlen, obwohl es nicht stimmt. Menschen mit Demenz müssen unter ihren Halluzinationen, Wahnvorstellungen und paranoiden Gedanken nicht zwangsläufig leiden, aber sie können große Verzweiflung, Agitiertheit und Aggression bei ihnen auslösen (Alzheimer’s Association, 2017b). Es ist jedoch gut nachvollziehbar, dass Probleme mit dem Gedächtnis und der sensorischen Verarbeitung in Kombination mit Halluzinationen, Wahnvorstellungen oder Paranoia die Welt als einen erbarmungslosen und beängstigenden Ort erscheinen lassen können.

1.4 Die Stressreaktion