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In Georg Ebers' historischem Roman "Serapis" wird das Ägypten der Antike in all seiner Pracht und Intrigen zum Leben erweckt. Der Roman erzählt die Geschichte des jungen römischen Arztes Serapion, der in Alexandria lebt und sich in die Tochter eines einflussreichen Priesters verliebt. Das Buch ist reich an historischen Details, die Ebers sorgfältig recherchiert hat, und bietet einen faszinierenden Einblick in das kulturelle und politische Leben zur Zeit von Kleopatra. Ebers' eleganter Schreibstil verwebt geschickt Fiktion mit realen historischen Ereignissen, was dem Leser eine packende Leseerfahrung bietet.
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Seitenzahl: 539
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Das geschäftige Treiben der Stadt war schon seit einigen Stunden zur Ruhe gekommen, Mond und Sterne zogen lautlos über Alexandria hin, und auf manches Lager hatte sich ein Traum gesenkt. Es war eine köstliche, frische, wahrhaft gnadenvolle Nacht, aber wenn auch in den Straßen und Gassen Ruhe herrschte, so fehlte es doch in dieser Zeit der Rast an der rechten, die Seelen besänftigenden Stille.
Schon seit einer vollen Woche lag etwas Beklemmendes, fieberhaft Gespanntes in der Ruhe der Nächte. Die Häuser und Läden waren so fest verschlossen, als sollten sie nicht nur den Schlaf vor Störung, sondern Leben und Besitz vor Einfällen behüten. Statt froher Stimmen tönte schwerer Soldatenschritt und Waffengerassel von den schlummernden Häusern wider.
Wenn irgendwo römische Kommandorufe oder die erregten Stimmen schlafscheuer Mönche lauter erschollen, öffnete sich hier eine Lade, dort eine Pforte, und ein Menschengesicht lugte bang' in die Straße. Mancher spät Heimkehrende drückte sich, wenn die Wachen nahten, in ein vertieftes Thor oder an eine von dunklen Schatten verhüllte Mauer. Wie die Brust des Schläfers der Alp, hemmte ein geheimnißvolles Etwas den Herzschlag der regsamen Stadt.
In dieser Nacht des Jahres 391 nach der Geburt unseres Heilands sah man in einer engen Gasse, welche von dem Handelshafen Kibotus ausging, einen ältern Mann an den Häusern hinschleichen. Er war schlicht aber anständig gekleidet und schaute mit vorgebeugtem Kopfe bald vorwärts, bald seitwärts. Wenn eine Scharwache nahte, zog er sich in den Schatten zurück. Auch ohne ein Dieb zu sein, hatte er Grund, den Soldaten aus dem Wege zu gehen; denn es war heute Einheimischen und Fremden verboten worden, sich nach dem Schluß des Hafens auf der Straße zu zeigen.
Bei einem großen Hause, dessen lange, fensterlose Wand sich ungastlich zwischen zwei Querstraßen hinstreckte, hemmte er den Schritt vor dem großen Thor inmitten desselben und las die von einer Laterne matt beleuchtete Inschrift:
»Zum vollendeten Märtyrer. Von seiner Wittwe Maria allen Denen geöffnet, welche eines Obdachs bedürfen. Wer den Armen giebt, leihet dem Herrn.«
»Zu wie viel Prozent?« murmelte der Alte, und ein spöttisches Lächeln glitt um seinen bartlosen Mund.
Der Schlag des Klopfers dröhnte durch die stille Straße, und nach kurzen Fragen von innen und ebenso bündigen Antworten von außen öffnete sich in dem großen Thore eine kleine Pforte. Der Alte wollte den Vorhof durchschreiten, aber eine menschliche Gestalt kroch ihm wie ein Thier auf allen Vieren entgegen, umspannte mit einem kräftigen Griff sein Fußgelenk und rief mit rauher Stimme: »Nach Thoresschluß. – Das Bußgeld; Ihr wißt, es ist für die Armen!«
Der Alte warf dem Thorhüter ein Kupferstück hin. Dieser betastete es schnell, nahm dann das Tau, mit dem er wie ein Kettenhund an einen Pfosten gebunden war, in die Hand und warf dem Andern die Frage zu: »Nichts Feuchtes für einen Christen?«
»Es hat lang nicht geregnet,« lautete die Antwort, und ungehindert öffnete der Nachtwandler nun eine zweite Pforte und betrat einen unermeßlich weiten Hof, über den sich der blaue Himmel breitete.
Wenige Fackeln an den Pfeilern und einige kleine Feuer am Boden einten hier ihr trübes, qualmendes Licht mit dem reinen Glanze der Sterne. Schwere, dunstige Luft, untermischt mit Rauch und dem Duft von frisch bereiteten Speisen erfüllte den weiten Raum.
Schon auf der Straße hatte der Alte ein unbestimmtes Summen, Brausen und Branden vernommen; jetzt scholl ihm ein lautes Gewirr von Geräuschen und Tönen entgegen. Es ging von Menschen aus, welche zu Hunderten, hier gruppenweise, dort einzeln, schlafend und sogar schnarchend, streitend, speisend, schwatzend oder singend auf dem mit Speltstroh bestreuten Hofe umherlagen.
Die Herberge war wohl besetzt, und mehr als die Hälfte ihrer bescheidenen Gäste bestand aus Mönchen, welche gestern und vorgestern schaarenweise aus den Cönobien, Lauren1 und Einsiedeleien in der Wüste und in der Mehrzahl aus den nitrischen Klöstern in die Stadt geströmt waren. Einige von ihnen hatten die Köpfe zu eifrigem Geflüster zusammengesteckt, Andere stritten laut, und in den Psalmengesang einer großen Gruppe in der nördlichen Ecke des Hofes mischte sich wunderlich das »Drei«, »Vier«, »Sieben« der Moraspieler und die Stimme des Garkochs, welcher Brod, Fleisch und Zwiebeln feilbot.
An die Hinterwand des Hofes, welche dem Eingang gegenüberlag, schloß sich ein offener Gang, in den eine Reihe von Thüren mündete. Diese führten in die für obdachlose Familien mit Weibern und Kindern bestimmten Stuben, welche durch einen Vorhang in einen vorderen und hinteren Raum getheilt waren.
Solch ein Zimmer betrat der Alte und ward dort von einem jungen Manne, welcher Kopaïsrohr für das Mundstück einer Doppelflöte zurechtschnitt, und einer stattlichen Matrone mit frohem Willkommen empfangen.
Der späte Ankömmling hieß Karnis und war das Haupt einer wandernden Sängerfamilie, welche gestern aus Rom nach Alexandria gekommen war. Es sah schlimm um ihn aus, denn während er und die Seinen sich an der afrikanischen Küste in einem Boot vor Seeräubern gerettet hatten, war der Sack mit dem letzten Rest seiner Habe verloren gegangen. Der junge Besitzer des Schiffes, dem er seine Rettung verdankte, hatte ihm Einlaß in das Xenodochium2 seiner Mutter, der Wittwe Maria, verschafft; aber dort war es ihm nichts weniger als wohl gewesen, und so hatte er sich denn schon am Mittag auf die Beine gemacht, um ein anderes Quartier zu suchen.
»Alles vergebens,« rief er, indem er sich den Schweiß von der Stirne wischte. »Bin dem Medius durch die halbe Stadt nachgelaufen. Hab' ihn auch endlich bei dem Magier Posidonius gefunden, dessen Handlanger er spielt. Hinter dem Vorhang gab es zu singen. Widerwärtiger Galimatias; aber dabei alte Weisen mit Flötenbegleitung in der Art des Olympus; gar nicht so übel. Sie lassen da Geister erscheinen. Bei'm Hunde, ein seltsames Treiben! Medius steckt mitten darin. Ich ordnete den Chor und sang etwas mit. Alles, was dabei abfiel, war etwas lumpiges Silber – da! Doch Quartier, freies Quartier, das giebt es hier nur für Eulen. Dazu das Gesetz, das verwünschte Gesetz!«
Der jüngere Mann hatte während der Rede des Alten heitere Blicke des Einverständnisses mit der Matrone getauscht. Jetzt unterbrach er ihn und sagte freudig:
»Unbesorgt, Vater, wir haben etwas Gutes in Aussicht.«
»Ihr?« fragte der Alte und zuckte ungläubig die Achseln, während ihm sein Weib ein gebratenes Hühnchen auf einem Schemel zutrug, welcher ihm als Tisch dienen sollte.
»Wir, Vater, wir,« fuhr der Sohn fort und legte das Messer aus der Hand. »Du weißt, wir hatten dem Dionysus auf der Flucht vor den Seeräubern ein Opfer gelobt, ist er doch selbst einmal in die Hand der Piraten gefallen, und so suchten wir denn seinen Tempel. Die Mutter kannte den Weg; doch als wir: sie, Dada, mein' ich, und ich . . .«
»Wa – was!« unterbrach ihn Karnis, welcher nun erst den Braten bemerkte. »In solchem Jammer ein Huhn, ein ganzes in Öl gebratenes Huhn!«
Die letzten Worte hatten zornig und vorwurfsvoll geklungen, aber die Matrone legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte begütigend:
»Wir bringen es bald wieder ein. Mit Selbstquälerei wird kein Sesterz gewonnen. Das Heute genießen! Für morgen, Alter, schaffen die Götter schon Rath!«
»So?« fragte Karnis in verändertem Tone. »Freilich, wo Einem statt der Tauben gleich gebratene Hennen oder Hähne in's Maul schwirren, da . . . Aber Recht hast Du, Herse, heute wie immer. Nur – nur . . . Mich mästet man hier wie einen Senator, und ihr, ihr . . . Ich möchte wetten, ihr habt nichts als Milch getrunken und Brod und Rettig dazu gegessen! Richtig? Dadurch wird freilich das Huhn zum Fasan, und Du, Alte, nimmst diese Keule. Die Mädchen sind schon schlafen gegangen? Da ist ja auch Wein. Deinen Becher her, Junge! Spenden wir dem Gotte! Ein Io3 dem Dionysus!«
Beide goßen eine kleine Libation auf den Boden und tranken. Dann stieß der Alte das Messer in die Brust des Bratens und ließ es sich schmecken, während Orpheus, von mancher Frage unterbrochen, in seiner Erzählung fortfuhr.
»Der Tempel des Dionysus war nicht mehr zu finden gewesen, denn der Bischof Theophilus hatte ihn abreißen lassen. Welcher Gottheit sollten sie nun den Kranz und den Kuchen anbieten? In Ägypten doch nur der mütterlich waltenden Isis. Ihr Heiligthum lag am mareotischen See, und die Mutter hatte es gleich wiedergefunden. Sie war dort mit einer Priesterin in ein Gespräch gekommen, und sobald diese erfahren, daß sie – Frau Herse war vorsichtig genug bei dieser Mittheilung gewesen – daß sie zu einer Sängerfamilie gehörten, welche Erwerb in Alexandria suche, hatte sie ihnen eine junge, verschleierte Frau zugeführt.
»Die,« fuhr Orpheus fort, der Sohn des Karnis, welcher bald die hohe Männerstimme zu halten, bald die Flöte zu blasen hatte und auch die Leyer zu schlagen verstand, »die forderte uns dann auf, später in ihr Haus zu kommen und dort Mancherlei mit ihr zu besprechen. Sie fuhr auf einem schönen Wagen davon, und wir, natürlich, wir stellten uns ein. Auch Agne war bei uns. Ein herrliches Haus! Etwas Glänzenderes haben wir weder in Rom, noch in Antiochia gesehen. Wir wurden auch freundlich empfangen, und bei ihr war noch eine ganz alte Frau und dann ein hoher, ernster Herr, ein Priester, denk' ich, ein Philosoph oder dergleichen.«
»Doch keine christliche Falle?« fragte Karnis mißtrauisch. »Ihr kennt diese Stadt nicht, und seit dem Gesetze –«
»Unbesorgt, Vater! Es standen Götterbilder in den Sälen und Hallen, und in dem Gemach, wo uns die schöne Gorgo, die Tochter des reichen Kaufherrn Porphyrius, empfing – wir wissen jetzt, wer der Vater des jungen Mädchens ist und noch manches Andere – war der Opferstein unter dem Bilde der Isis ganz frisch gesalbt. – Der Philosoph fragte uns auch, ob wir wüßten, daß Theodosius ein neues Gesetz erlassen, welches den Mädchen verbiete, öffentlich aufzutreten, zu singen oder Flöte zu spielen.«
»Und das hat Agne gehört?« fragte der Alte mit gedämpfter Stimme und wies auf den Vorhang.
»Sie war mit Dada im Garten, zu dem das Gemach sich öffnete, aber die Mutter bekannte doch, daß das Mädchen eine Christin sei, wenn auch von guter Art, und weil sie in unseren Diensten stehe, verpflichtet, Alles mit uns zu singen. Da rief der Philosoph der schönen Gorgo zu: ›Wie gefunden!‹ Dann flüsterten Beide zusammen, riefen die Mädchen herein, und nun mußten sie zeigen, was sie vermögen.«
»Und wie ist es gegangen?« fragte der Alte, und sein Auge begann sich zu beleben.
»Dada hat wie eine Lerche geschmettert, und Agne, – nun, wie soll ich nur sagen? Du kannst Dir's leicht denken. Die Stimme klang schon, aber es ist doch wie immer gewesen. Man ahnt, wie tief es ihr geht und wie viel in ihr steckt, nur recht heraus will es nimmer. Worüber hat sie in unserem Dienste zu klagen? Und doch gewinnt Alles in ihrem Mund die wehe, schmerzliche Färbung, gegen die auch Du nichts vermagst. Übrigens hat sie besser als Dada gefallen, denn ich merkte wohl, daß Gorgo und der Philosoph sie und immer nur sie im Auge hatten und einander Blicke und leise Worte zuwarfen, die Agne betrafen. Nach dem zweiten Liede trat uns die Jungfrau entgegen, lobte die Mädchen und fragte, ob wir uns getrauen würden, einen neuen Sang einzulernen. Ich sagte, mein Vater sei ein großer Meister, der auch das Schwerste beim ersten Hören begreife.«
»Das Schwerste? Hm! Es kommt drauf an!« schmunzelte der Alte. »Hat sie es verzeichnet?«
»Nein; 's ist etwas dem Linus Verwandtes, und sie sang es uns vor.«
»Des reichen Porphyrius Tochter hat euch etwas zum Besten gegeben? Euch?« lachte Karnis. »Bei'm Hunde! Die Welt verkehrt sich. Seit die Sängerinnen nicht mehr vor den vornehmen Leuten auftreten sollen, kommt die Kunst auf dem umgekehrten Wege zu Tage. Sie läßt sich nicht tödten. In Zukunft wird der Hörer für sein Stillehalten bezahlt und der Sänger erkauft sich das Recht, ihn zu quälen. Unsere Ohren, die armen Ohren werden das Opfer!«
Orpheus schüttelte zu diesem Ausrufe lächelnd den Kopf, warf das Messer wieder aus der Hand und entgegnete eifrig: »Höre sie nur, und so wahr ich Dein Sohn bin, Du giebst das letzte Kupferstück hin, um sie wieder zu hören!«
»Das wäre!« brummte der Alte. »Ja, es giebt hier noch Meister. Den Linus, sagst Du, hat sie gesungen?«
»Etwas dergleichen. Eine Totenklage war es von erschütternder Kraft. ›O kehre, kehre zurück, Geliebter, zu Deinem Hause!‹ Das kam immer und immer wieder. Und da war eine Stelle, die hieß: ›O, hätte doch jede Thräne einen Mund und verbände sich mit mir, um Dich zu rufen.‹ Wie sie das hervorklagte, Vater! Ich meine, dergleichen hab' ich mein Lebtag nimmer vernommen. Frage die Mutter! Selbst Dada's Augen sind nicht trocken geblieben.«
»Ja, es war herrlich,« stimmte die Matrone bei. »Ich mußte immer denken, wenn Du nur da wärst!«
Karnis erhob sich, und während er unruhig in dem engen Gemach umherschritt und die Arme heftig bewegte, sprach er vor sich hin: »So also, so. Eine Freundin der Musen. Die große Laute ward mit gerettet. Gut, gut. Meine Chlamys, hm, das garstige Loch hier! Wenn die Mädchen nicht schliefen . . . aber morgen soll Agne in aller Frühe . . . Ist sie groß? Ist sie schön?«
Frau Herse hatte ihrem schnell erregten Manne zufrieden nachgeschaut und fiel ihm nun in die Rede: »Keine Hera, keine Muse, gewiß nicht! Sie ist kaum von mittlerer Größe, zierlich gebildet und doch nicht winzig. Schwarze Augen, lange Wimpern, dunkle, zusammengewachsene Brauen. – Ob ich sie schön nennen möchte, wie Orpheus?«
»Doch, doch, Mutter!« rief dieser. »Schön, ich weiß es wohl, ist ein großes Wort, mit dem mich Vater sparen lehrte; aber sie – was wäre denn schön, wenn sie es nicht war, als sie die großen dunklen Augen aufschlug und das Haupt bei der Klage rückwärts neigte? Wie floß da Ton auf Ton aus den untersten Tiefen des Herzens, wie stieg es auf bis zur höchsten Höhe des Himmels. Ja, wenn Agne das von ihr lernte! ›Wirf Dein ganzes Ich hinein in das, was Du singst!‹ Tausendmal hast Du das und immer nur das wiederholt. Sie, Gorgo, die kann es und thut es! Und wie sie dastand! Gespannt wie ein Bogen! Jeder Ton war ein klingender Pfeil; jeder traf mitten in's Herz, und rein war jeder, makellos rein.«
»Schweig still!« rief der Alte und hielt sich die Hand vor die Ohren. »Ich kann kein Auge zuthun, bis es hell wird – und dann! – Nimm das Silber da, Orpheus; Alles, Alles, ich habe nicht mehr. Geh früh auf den Markt, kaufe Lorbeerzweige, Epheu, Veilchen und Rosen; aber keine Lotusblumen, von denen der Markt hier voll ist. Prahlerische Dinger, ohne Duft; ich mag sie nicht leiden. Wir treten bekränzt in den Tempel der Muse.«
»Kaufe nur, kaufe!« lachte Frau Herse und zeigte ihrem Manne blinkendes Gold. »Das bekamen wir heute, und wenn Alles geht wie es soll –« Hier stockte sie, wies auf den Vorhang und fuhr mit gedämpfter Stimme fort: »Es kommt natürlich darauf an, daß die Agne uns keinen Streich spielt.«
»Wie so? Warum? Das Mädchen ist gut, und ich werde . . .« rief Karnis und ging auf den hinteren Raum zu.
»Nein, nein,« mahnte Herse und hielt ihn zurück. »Sie weiß noch nicht, um was es sich handelt. Sie soll mit der vornehmen Jungfrau –«
»Nun?«
»Sie soll mit ihr im Heiligthume der Isis singen.«
Karnis entfärbte sich, und wie aus einem glänzenden Traum in die armselige Wirklichkeit zurückgestoßen, fragte er verdutzt und ängstlich: »Im Tempel der Isis? Agne? Vor allem Volk? Und sie weiß nicht darum?«
»Nein, Vater.«
»Nein? Dann freilich, dann . . . Die Christin Agne im Tempel der Isis, und das hier, hier, wo Theophilus, der Bischof, die Heiligthümer zerstört und die Mönche es ihrem Meister zuvorthun. – Kinder, Kinder, wie schön rund und bunt die Seifenblasen doch sind, und wie schnell sie zerstieben! Wißt ihr auch, was ihr vorhabt? Wittern's die schwarzen Fliegen und kommt es zu Tage, dann, beim großen Apollo, dann hätten wir besser gethan, den Seeräubern entgegenzufahren. Und doch, doch! Wüßt' ich nur, wie das Mädchen –«
»Sie hat beim Gesang der Jungfrau geweint,« unterbrach ihn Herse mit Eifer, »und so wenig sie sonst auch spricht, diesmal sagte sie doch auf dem Heimweg: ›So singen zu können, o so, wie diese glückliche Jungfrau!‹«
Da richtete Karnis sich wieder auf und rief mit neuer Zuversicht: »Das ist meine Agne. Ja, ja, auch sie liebt die göttliche Kunst! Sie singt, sie wird singen; wir wagen's! Und wenn es mir, euch, uns Allen auch an den Hals geht! Herse und Orpheus, was giebt's denn für uns zu verlieren? Auch unsere Götter wollen ihre Märtyrer haben! Armes Leben, dem es an Reiz fehlt. Unsere Kunst – von vornherein hat ihr gehört, was ich besaß. Ich rühme mich nicht, daß ich ihr's weihte; und erbte ich heute noch einmal Geld und Güter die Fülle, ich machte mich wieder zum Bettler ihr zu Gefallen. Wir haben sie heilig gehalten immer und immer; aber wer soll nicht verzagen, wenn er sieht, wie sie die hehre Himmelstochter verfolgen! Nur noch im Dunkeln wird sie gelitten, und lichtscheu verbirgt sich die Fürstin der Götter und Menschen wie ein Molch, eine Fledermaus, eine Eule! Müssen wir sterben, so sei es mit ihr und für sie! Einmal soll noch echter und rechter Gesang dies alte Herz erquicken, und wenn dann . . . Kinder, Kinder! Wir gehören nicht in diese blasse, düstere Welt. So lange die Künste lebten, war es Frühling auf Erden. Jetzt sind sie zum Tode verurtheilt, und nun wird es Winter. Die Blätter fallen von allen Bäumen, und doch brauchen wir zwitschernde Vögel Laubwerk, um drin zu singen. Wie oft hat der Tod uns schon die Hand auf die Schulter gelegt. Jeder Athemzug, den wir thun, ist nur noch ein Gnadengeschenk, ist das Obendrauf, das der Weber zum Ellenmaß zugiebt, das letzte Stündlein, das der Henker dem Verurtheilten schenkt. Das Leben gehört uns nicht mehr, es ist ein erborgter Beutel mit fleckigem Kupfer für uns geworden. Der harte Gläubiger krümmt schon den Finger am Thor, und wenn er klopft, ist es aus mit der Frist. Noch einen echten und rechten Genuß, und wir zahlen Kapital und Zinsen zurück, wenn es sein muß.«
»Es muß und es wird noch nicht sein!« unterbrach ihn Herse entschieden und fuhr mit der Hand über die Augen. »Wenn Agne singt, wenn sie's thut ohne Zwang und aus eigenem Antrieb, dann kann kein Bischof uns strafen.«
»Er kann's nicht und darf's nicht!« rief der Alte. »Es giebt noch Gesetze und Richter!«
»Und Gorgo's Haus,« fügte Orpheus hinzu, »ist so angesehen wie reich. Porphyrius hat die Macht, uns zu schützen; und wie sehr wir ihnen gefallen, das weißt Du noch gar nicht. Frage die Mutter!«
»Es ist wie ein Märchen,« fiel Herse dem Sohne ins Wort. »Bevor wir gingen, rief mich die alte Frau beiseite, sie muß wohl achtzig Jahre zählen oder darüber, und fragte mich, wo wir untergekommen. Da sagte ich, im Xenodochium der Wittwe Maria, und sobald sie das vernahm, stieß sie die Krücke auf den Boden und fragte: ›Gefällt es euch dort?‹ Das verneinte ich eifrig und sagte, daß wir hier nicht wohnen bleiben könnten.«
»Recht, recht!« rief Karnis. »Die Mönche dort im Hofe schlagen uns tot wie die Ratten, wenn sie uns heidnische Lieder einüben hören.«
»Das hob ich hervor; die Alte aber ließ mich nicht ausreden, sondern zog mich näher zu sich heran und flüsterte eifrig: ›Thut ihr meiner Enkelin den Willen, so ist für euer Unterkommen gesorgt; und das für heute!‹ Damit griff sie in den Beutel am Gürtel, preßte mir die Goldstücke in die Hand und rief so laut, daß die Anderen es hörten: ›Fünfzig Aurei von meinem Eigenen, wenn Gorgo sagt, daß ihr sie zufrieden gestellt habt!‹«
»Fünfzig Goldstücke!« rief Karnis und schlug in die Hände. »Das frischt des Lebens matte Farbe ein wenig auf. Fünfzig sind also sicher. Wenn wir sechsmal singen, giebt's ein4 Talent, und damit kaufe ich unsern alten Weinberg bei Leontium zurück. Ich stelle das kleine Odeum wieder her – 's ist ein Kuhstall geworden – und wenn wir dort singen, so sollen die Mönche nur kommen! Ihr lacht? Narren, die ihr seid! Den will ich sehen, der mir auf eigenem Grund und Boden das Singen verbietet. Ein Talent Goldes! Als Anzahlung genügt es, und ich gehe den Handel nicht ein, wenn man uns nicht die Arbeitssklaven und das Vieh mit überläßt. Luftschlösser, denkt ihr? Aber hört mich nur an: hundert Goldstücke sind uns wenigstens sicher . . .«
Während dieser lauten Rede hatte sich leise etwas durch die Öffnung des Vorhangs geschoben: der matte Schein des Lämpchens, welches vor Orpheus stand, fiel voll auf ein Köpfchen, das reizend genug war, obgleich Alles daran in Unordnung gerathen. Wirre, blonde, in Papier gewickelte Löckchen hoben sich lustig auf dem runden Haupte und fielen über die Stirn; die Augen hielt Müdigkeit noch halb geschlossen, aber der kleine Mund war schon ganz munter und lachte im vollen, wachen Übermuthe glücklicher Jugend.
Karnis fuhr, ohne die Lauscherin zu bemerken, fort, seine Hoffnung auf den Erwerb der Mittel zum Rückkauf des Landgutes zu begründen, und nun zog das Mädchen den Vorhang mit der Rechten fester an sich, streckte den runden linken Arm weit vor und rief bettelnd:
»Guter Vater Karnis, gieb mir doch auch etwas ab von Deinem Reichthum: fünf armselige Drachmen!«
Der Sänger fuhr überrascht zusammen; aber schon im nächsten Augenblicke rief er ihr in munterem Schelttone zu: »Zurück ins Bette, Du Nichtsnutz! Schlafen sollst Du, nicht lauschen!«
»Schlafen?« fragte das Mädchen. »Und Du schreist hier wie ein Rhetor, der gegen den Wind spricht. Fünf Drachmen, Vater. Dabei muß es bleiben! Ein schönes Band für mich, das kostet eine, und eins für Agne ebensoviel. Für zwei Drachmen wird Wein für uns Alle gekauft, und das würden dann fünf sein.«
»Vier sind es, Du Rechenkünstler,« lachte der Alte.
»Vier?« fragte Dada und schaute so verwundert drein, als sei der Mond auf die Erde gefallen. »Ja, wenn ich ein Rechenbrett hätte! Fünf also, Väterchen, fünf!«
»Nein, vier, und die sollst Du auch haben,« versetzte der Sänger. »Plutus klopft bei uns an, und morgen früh werdet ihr Beide bekränzt.«
»Ja wohl, mit Veilchen, Epheu und Rosen,« fügte Frau Herse hinzu. »Schläft Agne?«
»Wie eine Tote. So macht sie's immer, wenn sie nicht bis zum Morgen mit offenen Augen daliegt wie ein Hase. Wir waren Beide so müde, und ich bin es auch noch. Das Gähnen thut gut! Sieh nur, wie ich dasitze!«
»Auf der Kiste?« rief Herse.
»Ja, und der Vorhang da ist immer sehr nachgiebig gegen meinen Rücken. Zum Glück nickt man beim Einschlafen immer nach vorn.«
»Aber da stand doch ein Bett für Jede von euch,« sagte die Matrone, schob das Mädchen in den Schlafraum und folgte ihr hinter den Vorhang.
Nach wenigen Minuten trat sie zu den Männern zurück und sagte: »Das ist Dada! Der kleine Papias war von der Kiste gerutscht, auf der er lag, und nun hat ihn das gute Ding in ihr Bett gesteckt und sich auf den Kasten gesetzt, so müd' sie auch war.«
»Für den Buben gibt sie ihr Letztes,« sagte Karnis. »Aber Mitternacht ist vorüber. Komm, Orpheus, laß uns die Betten richten!«
Drei lange Hühnerkörbe, welche über einander an einer Wand gestanden hatten, waren bald auf den Boden gestellt und mit Matten bedeckt. Sie nahmen die Müden auf, aber keiner von ihnen konnte schlafen.
Das Lämpchen war ausgelöscht, und eine Stunde blieb Alles still in dem dumpfen Raume. Dann aber gab es einen gewaltigen Lärm. Klatschend flog ein elastischer Gegenstand an die Wand, und dazu rief Karnis: »Fort mit Dir, Unhold!«
»Was giebt es?« fragte Herse, die sich erschrocken aufgerichtet hatte, und der Alte entgegnete lebhaft:
»Ein Dämon, ein Hund von einem Dämon setzt mir zu und läßt mir keine Ruhe. Warte, Du Schuft, vielleicht trifft Dich dieser!«
Dabei warf er eine andere Sandale durch die Luft und fuhr dann keuchend fort, ohne auf den rauschenden Fall eines Gegenstandes, welchen er zufällig getroffen, zu achten: »Das tückische Scheusal läßt nicht von mir ab. Es weiß, daß wir Agne's Stimme brauchen, und nun flüstert es mir bald in dieses Ohr, bald in jenes, ich solle ihr drohen, ihr Brüderchen zu verkaufen, wenn sie sich weigert; aber ich, ich . . . Schlag Feuer an, Orpheus! Das Mädchen ist gut, und eh' ich solche Unthat begehe . . .«
»Auch bei mir ist der Dämon gewesen,« sagte der jüngere Sänger und blies auf den glühenden Zunder.
»Und auch bei mir,« fügte Herse beschämt hinzu. »Natürlich! Es giebt ja kein Götterbild in diesem christlichen Stalle. Fort mit Dir, widrige Schlange! Wir sind ehrliche Leute und lassen uns zu keinem Schurkenstreiche herbei. Da hast Du mein Amulet, Mann, und wenn der Dämon wiederkehrt, mußt Du es drehen; Du weißt schon.«
In der Frühe des folgenden Morgens befand sich die Sängerfamilie auf dem Wege nach dem Hause des reichen Porphyrius. Sie war nicht vollzählig, denn Dada hatte zu Hause bleiben müssen. Der Schuh des Alten, welcher gegen den Dämon geschleudert worden war, hatte das frisch gewaschene Kleid des Mädchens von der Stange neben dem Herd gerissen, und in der Frühe war es mit großen Brandlöchern auf der Asche gefunden worden.
Dada besaß kein anderes gutes Gewand, und so mußte sie trotz ihrer ungeduldigen Weigerung und vieler Thränen bei dem kleinen Papias bleiben.
Agne's eifriges Verlangen, an ihrer Stelle den Knaben zu hüten und ihr mit dem eigenen Kleide auszuhelfen, war von Karnis und seiner Gattin bestimmt abgelehnt worden; und Dada hatte erst still und gutwillig, sehr bald aber in aller Fröhlichkeit mitgeholfen, Kränze für die Anderen zu winden und Agne's schlichtes, tiefschwarzes Haar mit einem zierlichen Gewinde von Veilchen und Epheuranken zu schmücken.
Die Männer hatten sich schon gesalbt und Pappel- und Lorbeerkränze aufgesetzt, als der Hausmeister des Porphyrius erschienen war, um sie in das Haus seines Gebieters zu führen. Nun galt es auch für sie Entsagung üben, denn der Bote veranlaßte sie, die Kränze abzulegen, weil sie den Unwillen der Mönche im Hofe erregen und draußen den christlichen Pöbel aufreizen würden. Enttäuscht und ebenso niedergeschlagen, wie er kurz vorher siegesgewiß und froh gewesen, war Karnis in's Freie getreten.
Die Mönche, welche sich vor dem Xenodochium zusammengeschaart hatten, blickten ihn und die Seinen mißtrauisch und feindselig an, und die Freudigkeit, mit der er früh in den Tag hineingeschaut hatte, wollte nicht wiederkehren, so lange er sich in der engen, halbdunklen Hafengasse, wo es nach Theer und gesalzenen Fischen roch, durch das Gedränge Bahn brechen mußte. Der Hausmeister ging mit Frau Herse dem Zuge voran und gab ihr gesprächig den gewünschten Bescheid.
Sein Gebieter gehörte zu den größten Kaufherren der Stadt und hatte seine Gattin vor zwanzig Jahren bei Gorgo's Geburt verloren. Die beiden Söhne des Hauses befanden sich gegenwärtig auf Reisen. Die Greisin, welche sich gestern so freigebig gegen die Sänger erwiesen, war des Porphyrius Mutter Damia. Sie verfügte über ein großes eigenes Vermögen und galt trotz ihres hohen Alters immer noch für die Seele der Geschäfte des Hauses und für eine in der Geheimwissenschaft tief erfahrene Frau. Maria, die fromme Christin, welche die Herberge zum vollendeten Märtyrer gestiftet hatte, war mit Apelles, dem verstorbenen Bruder des Porphyrius, vermählt gewesen, hatte sich aber ihrem Schwager und ihrer Schwiegermutter völlig entfremdet. Natürlich, denn sie stand an der Spitze der rechtgläubigen Frauen Alexandrias; das Haus des Porphyrius aber war trotz der Taufe seines Gebieters so gut heidnisch wie irgend eins in der Stadt.
Karnis hörte nichts von dem Allen, denn zwischen ihm und seinem Weibe gingen zwei Sklaven, welche die Lauten und Flöten der Sängerfamilie trugen, und vor ihnen her Orpheus und Agne. Diese schaute immerfort zu Boden, als wolle sie das, was sie hier umgab, zu sehen vermeiden; nur wenn Orpheus sie etwas fragte, schlug sie das Auge scheu auf und antwortete kurz und befangen.
Bald gelangten die Wanderer durch einen finstern Gang an den Kanal, welcher den Meereshafen Kibotus mit dem mareotischen See verband, in dem die Nilschiffe vor Anker gingen. Karnis athmete auf, denn hier war es licht und hell, ein leiser Nordwind trug ihm die erfrischende Luft des Meeres entgegen, und die schlanken Palmen am Rande der Wasserstraße warfen lange, die vollen Kronen der Sykomoren mächtige Schatten über den breiten, bunt belebten Weg. In allen Zweigen sangen Vögel, und der alte Sänger sog mit tiefen Zügen die wunderbar leichte und würzige Luft des ägyptischen Lenzmorgens ein.
Als er auf der Mitte einer hochgewölbten Brücke angelangt war, welche über den Kanal führte, blieb er plötzlich stehen und schaute wie gebannt nach Südosten.
Von tiefer Begeisterung ergriffen, hob er die Arme, die Augen wurden ihm feucht und gewannen den Glanz der Jugend zurück, und wie immer, wenn ein herrliches Werk der Gottheit oder der Menschen sein Herz mit Entzücken erfüllte, trat ungerufen vor seine Seele das Bild seines verstorbenen ältesten Sohnes, welcher sein Freund und Gesinnungsgenosse gewesen. Bald war es ihm, als liege sein Arm auf der Schulter des früh dahingegangenen Jünglings, der seinen zweiten, ruhigeren Sohn Orpheus an Schwungkraft der Seele weit überboten hatte, und als genieße er gemeinsam mit ihm den großen Anblick, welcher sich ihm darbot.
Auf Fundamenten von Felsen und mächtigen Quadern erhob sich vor ihm ein Bauwerk von wunderbarer Größe und Schönheit. Es leuchtete im Gold des Morgenlichtes hell und prächtig, und seine edlen, farbenbunten Formen schienen selbst Glanz auszustrahlen in blendender Fülle. Über seiner vergoldeten Kuppel breitete sich der reine, ungetrübte Azur des afrikanischen Himmels, und wie die Sonne am Firmament, entsandte das blanke, gewaltige Halbrund leuchtende Strahlen. – Rampen für Wagen und Stufenreihen für andächtige Fußgänger führten zu ihm empor. Der Unterbau, welcher dieses Wunderwerk menschlicher Hände, den Tempel des Gottes Serapis, trug, war wie für die Ewigkeit gefestigt, und die Säulen an seiner Vorhalle trugen die Decke eines Raumes, welcher für die Größe der himmlischen und nicht für die Kleinheit sterblicher Wesen bestimmt zu sein schien. Wie Kinder unter den Bäumen eines hochstämmigen Waldes bewegten sich Priester und Beter unter ihnen umher. Auf der Bekrönung des Daches, in Hunderten von Nischen und auf zahllosen hervorragenden Theilen schienen sich alle Götter des Olymps, alle Heroen und Weisen Griechenlands ein Stelldichein gegeben zu haben, und schauten hier in glänzendem Erz, dort in schön bemaltem Marmor dem Nahenden entgegen. Gold und glänzender Farbenschmuck leuchteten von allen Gliedern dieses Wunderbaues. Selbst den großen Reliefbildern in dem doppelten Giebelfeld und den kleineren an der langen Metopenreihe hatte die Hand des Malers sprechendes Leben verliehen. Die Einwohnerschaft einer ganzen Stadt hätte in diesem Bauwerke Unterkunft gefunden, und es wirkte in seiner Gesammtheit wie ein schöner Chorgesang aus der weiten Brust götterfreundlicher Riesen.
»Sei gegrüßt, froh und demüthig gegrüßt, hoher Serapis! Dank dir, daß es diesen alten Augen vergönnt ist, dein göttliches, ewiges Haus noch einmal wiederzusehen!« murmelte Karnis andächtig vor sich hin. Dann rief er seine Gattin und seinen Sohn, wies schweigend auf den Tempel, und als er sah, wie des Orpheus Augen still und in trunkenem Entzücken an den herrlichen Formen des Serapeums hingen, rief er feurig: »Des Königs der Götter, des hohen Serapis edle Festung! Ein dauerhaft Werk! Ein halbes Jahrtausend ist seine Vergangenheit, seine Zukunft die Ewigkeit! Ja, ja, sie ist es, und so lang es in solcher Herrlichkeit dasteht, sind die alten Götter noch nicht überwunden!«
»Es rührt auch Keiner an diesen Bau,« fiel ihm der Hausmeister in's Wort, »denn jedes Kind in Alexandria weiß, daß die Welt morsch zusammenstürzt, sobald man Hand daran legt, und wer des Gottes ehrwürdiges Bildniß . . .«
»Es schützt sich selber,« unterbrach ihn der Sänger. »Aber ihr, ihr christianischen Heuchler, die ihr vorgebt, das Leben zu hassen und den Tod zu lieben, – lüstet es euch nach dem Ende der Dinge, so vergreifet euch nur frisch an diesem Wunder! Thut es, thut es – nur zu!«
Der Alte schwang die Faust gegen einen unsichtbaren Feind; Herse aber sprach ihm zornig nach: »Nur zu, nur zu!« und fuhr dann ruhiger fort: »Wenn Alles zusammenbricht, gehen die Götterfeinde mit uns zu Grunde; und ein Ende zugleich mit Allem, was schön ist und was man lieb hat, das kann uns nicht schrecken!«
»Unbesorgt,« versetzte der Hausmeister. »Der Bischof hatte die Hand schon nach diesem Heiligthume ausgestreckt, aber der große Olympius ließ die Tempelschänder nicht heran, und sie haben mit blutigen Köpfen abziehen müssen. Unser Serapis läßt eben nicht mit sich spaßen. Er bleibt, wenn alles Andere vergeht. ›Die Ewigkeit‹, sagt der Priester, ›ist für ihn eine kleine Minute, und wenn Millionen von Menschengeschlechtern verblüht sind, ist Er immer noch derselbe wie heute.‹«
»Heil, Heil dem erhabenen Gotte!« rief Orpheus und streckte die Hände dem Tempel entgegen.
»Ja, Heil, ewiges Heil soll ihm blühen!« wiederholte sein Vater. »Serapis ist groß, und sein Haus und sein Bild, sie werden dauern . . .«
»Bis der Mond wieder voll ist!« fiel ihm mit finsterem Spott ein Vorübergehender in's Wort und drohte mit der Faust nach dem Tempel.
Orpheus wandte sich, um den Unglückspropheten zu strafen; dieser aber war schnell in die Menge zurückgetreten und floß mit dem ruhelosen Volksstrome weiter.
»Bis der Mond wieder voll ist!« murmelte Agne, welche bei dem begeisterten Rufe des Orpheus zusammengeschaudert war, dem Unheilsboten nach. Dann blickte sie bekümmert auf den jungen Sänger; doch als sich Herse um weniges später nach ihr umschaute, hatte sich der Ausdruck ihrer Züge geändert, und die Matrone konnte sich über das sonnige Lächeln an ihren Lippen freuen. Auch mancher junge Alexandriner, der zu Fuß oder zu Wagen an den Fremden vorbeikam, sah sich nach ihr um, denn das Lächeln verlieh ihrem bleichen, stillernsten Gesicht einen geheimnißvollen Zauber. Und es blieb ihr noch treu, nachdem sie die Brücke verlassen und sich dem Ufer des Sees genähert hatten, denn was ihre Seele einmal ergriffen, daran spann sie lange fort; und während sie jetzt im hellen Glanz des Morgenlichtes dahinschritt, stand vor ihrem inneren Auge der volle Mond am nächtlichen Himmel, sah sie den Sturz des großen Abgottes und über den Trümmern marmorner Tempel einen unabsehbaren, leuchtenden Heerzug. Apostel und Märtyrer wogten in ihm dahin, der Heiland schwebte ihm heiter und siegesfroh voran, und auf den lichten Wolken, die ihn umgaben, wiegten sich Engel und sangen herrliche Lieder, die ihr inneres Ohr mitten unter dem vielstimmigen Lärm des Hafens deutlich vernahm.
Erst als man sie aufforderte, den Kahn zu besteigen, verrannen diese Gesichte.
Herse stammte aus Alexandria, und Karnis hatte hier schöne Jahre verlebt; aber Orpheus und Agne war hier Alles neu, und die Christin gewann denn auch, sobald sie dem lauten Volksgetümmel entronnen war, das ihr weh gethan hatte, Antheil an ihrer Umgebung und richtete dann und wann eine Frage an den alten Sänger. Der jüngere hatte nicht Augen genug, um zu sehen, und es gab hier in der That Vielerlei zu bewundern. – Da lagen die großen Schleusenwerke am Eingange des Kanals, welcher den See mit dem Meere verband, da wiegten sich in einem besondern Hafen die stattlichen kaiserlichen Nilschiffe, welche die Verbindung der Garnison von Alexandria mit den Militärstationen am unteren und oberen Nil aufrecht zu erhalten hatten, da prunkten die schönen, geschmückten Fahrzeuge, welche dem Comes, dem Präfekten und anderen hohen Beamten zur Verfügung standen, da lagen endlich Handelsschiffe von jeder Größe in unzählbarer Menge vor Anker. Wie Vogelschwärme, welche über ein Kornfeld streichen, schwebten lange Züge von Segeln in jeder Farbe über den leicht bewegten Spiegel des Sees. An den Ufern desselben war jeder Zoll benutzt und bebaut. Auf dem südlichen sah man aus der Ferne die langen Spalierreihen der Weinberge, die blaugrün schimmernden Laubmassen der Olivenwälder und Haine von schlankstämmigen Palmen, deren Kronen sich zu einem schön gewölbten Baldachindache vermählten. Weiße Gartenmauern, bunte Tempel, Kapellen und Landhäuser blinkten aus dem Grün hervor, und wie Diamantenlicht blitzte es auf, wenn die schrägen Strahlen der Sonne die Tropfen streiften, welche von den ruhelosen Schöpfrädern und Eimern am Ufer aufstoben und fielen. Wasserwerke von kunstreichem Gefüge, viele von den größten Gelehrten ersonnen und aufgestellt, waren die Waffen, mit denen der Mensch die Wüste, welche diesen See ursprünglich umgab, gezwungen hatte, sich mit Grün zu schmücken und seine Saat mit Ernte und Frucht zu belohnen. Von der Einöde war hier seit Jahrhunderten jede Spur verloren gegangen. Der freigebige Dionysus und die üppigen Gartengötter hatten die fleißige Menschenhand gesegnet, und doch lagen ihre Bilder in vielen Grundstücken, ja in allen, welche Christen gehörten, umgestürzt und zertrümmert am Boden.
Wie viel hatte sich hier seit dreißig Jahren geändert, und nichts zur Freude des Alten. Auch Herse schüttelte häufig das Haupt und, nun die Ruderer den halben Weg zurückgelegt hatten, wies sie auf eine weite, kahle Fläche am Ufer, wo sich ein Neubau schon hoch über die Fundamente erhob, und rief ihrem Gatten traurig zu:
»Erkennst Du die Stelle? Wo ist unser alter lieber Dionysustempel geblieben?«
Karnis erhob sich bei diesen Worten so schnell und heftig, daß der Kahn umzuschlagen drohte und der Hausmeister ihn nöthigen mußte, sich ruhig zu halten: er aber befolgte diese Mahnung nur schlecht, denn seine Arme blieben in lebhafter Bewegung, wie er ihm zurief: »Denkst Du, man muß hier in Ägypten gleich bei lebendigem Leibe zur Mumie werden? Da bleib' ein Anderer ruhig! Schändlich ist es, nichtswürdig; einer Taube schwillt hier die Galle! Das herrliche Bauwerk, die Zierde der Stadt, die Freude der Menschen fortgekehrt, weggeblasen wie Staub von der Straße. Seht ihr's? – seht ihr's? Zerschlagene Säulen, Gliedmaßen von Marmor, hier, da, überall auf dem Grunde des Sees! Dies Haupt, dieser Torso! Große, edle Meister haben sie unter dem Beistand der Götter gebildet; und sie, sie die Kleinen, Unedlen haben sie, von bösen Dämonen besessen, zertrümmert. Was würdig war, ewig zu leben, sie haben's ersäuft. Warum? Wollt ihr's wissen? Weil sie das Schöne scheuen, wie die Eulen das Licht. Ja, sie, sie! Nichts fürchten, nichts hassen sie so wie das Schöne! Wo sich's auch zeigt, reißen sie's nieder, auch wenn es die Gottheit selber gemacht hat. Bei den Unsterblichen klag' ich sie an, denn wo ist der Hain, keines Menschen, sondern des Himmels eigenstes Werk, geblieben, unser Hain mit seinen kühlen Grotten, seinen uralten Stämmen, seinen schattigen Verstecken und all der Lust und Wonne, von der er so voll war wie die reife Beere mit süßem Saft?«
»Gefällt, ausgerodet ward er,« fiel ihm der Hausmeister in's Wort. »Der Kaiser hat das Heiligthum dem Bischof Theophilus geschenkt, und der ging sogleich an's Zerstören. Der Tempel ward niedergerissen, das heilige Geräthe zusammengeschmolzen, mit den Bildwerken wurde Spott getrieben, bevor man sie in den Kalkofen warf. Das Haus dort drüben wird eine christliche Kirche. Denkt an die lustige, schönfarbige Säulenhalle von früher und seht den grauen Speicher an, der da aufwächst!«
»Warum dulden's die Götter? Hat Zeus seine Blitze verloren?« fragte Orpheus und ballte die Faust, ohne auf Agne zu achten, die bleich und in sich zusammengezogen dasaß, seitdem das Gespräch diese Wendung genommen.
»Er schlummert, um mit furchtbarer Kraft neu zu erwachen,« versetzte der Alte. »Die Marmorbrocken, die Trümmer da unten! Eine schnelle Kunst, das Vernichten! Die Menschen sind von Sinnen gekommen und dulden den Frevel. In's Wasser und in den Ofen haben sie geworfen, was Götter entzückte. Klug, klug und weise! Die Fische und Flammen sind stumm und können keine Anklage erheben. Ein Wütherich, eine Stunde genügt, um zu vernichten, was erhabene Geister, was Jahrhunderte schufen. In Trümmer legen, verwüsten, das ist ihr Ruhm, aber einen Tempel, wie der dort war, bringen sie so wenig neu zu Stande wie einen Hain mit sechshundertjährigen Bäumen. Da, dort! Siehst Du, Herse? Da in der Grube, wo die schwarzen Bursche den Kalk mischen – sie haben ihnen Hemden angezogen, weil ihnen sogar die schöne Gestalt des menschlichen Leibes verhaßt ist – da war die Grotte, in der wir Deinen armen Vater wiedergefunden.«
»Die Grotte?« wiederholte die Matrone, schaute mit feuchten Augen nach dem Ufer hin und gedachte des Tages, an dem sie als Mädchen am Dionysusfeste in den Tempel des Gottes geeilt war, um ihren Vater zu suchen. Der war ein kunstreicher Gemmenschneider gewesen und hatte sich am Feste des Gottes nach alter alexandrinischer Sitte, von süßem Wein berauscht, auf die Straße begeben, um dem dionysischen Zuge zu folgen. Als er am folgenden Morgen nicht heimgekehrt war und auch Mittag und Abend ihn nicht nach Hause bringen wollten, hatte sie sich aufgemacht, um ihn zu suchen. Karnis war damals ein reicher junger Student gewesen und hatte als Miethsmann die schönsten Räume ihres väterlichen Hauses inne gehabt. Er war ihr bei dem schweren Gange begegnet und gar freundlich bereit gewesen, ihr suchen zu helfen; und sie hatten den Verschwundenen auch bald in einer von Epheu umrankten Grotte im Haine des Dionysus wiedergefunden, kalt, regungslos, wie vom Blitze erschlagen. Die Umstehenden hatten gemeint, der Gott habe ihn in seine rauschende Heerschaar entrückt. – In diesen schweren Stunden war Karnis ihr Freund geworden, und wenige Monate später hatte sie ihm als Gattin die Hand gereicht und war ihm in seine Heimat Tauromenium auf Sicilien gefolgt.
Das Alles trat ihr jetzt vor die Seele, und auch ihr Gatte blickte nachdenklich und stumm in's Wasser, denn jede Stätte, an der unser Leben eine entscheidende Wendung genommen, besitzt, wenn wir ihr nach langer Abwesenheit wieder begegnen, die Kraft, Vergangenes zur Gegenwart zu beleben.
So blieb Alles stumm in dem Kahne, bis Orpheus seinen Vater anstieß und ihm den Isistempel zeigte, in dem er gestern der schönen Jungfrau begegnet war.
Der Alte wandte den Blick auf das immer noch unbeschädigte Heiligthum und sagte bitter: »Ein barbarisches Bauwerk: die Kunst der Ägypter gehört längst zu den Toten, und der Tiger mag nur Lebendiges fressen.«
»Dies Heiligthum ist doch kein so übler Bissen,« versetzte der Hausmeister, »aber es hängt ihnen zu hoch, denn der Grund und Boden, auf dem es steht, gehört unserer alten Herrin, und privates Eigenthum schützt das Gesetz. – Die Schiffswerft hier müßt ihr euch später einmal betrachten; eine größere giebt es vielleicht nicht auf der Erde. Das Holz, das da aufgestapelt ist: Cedern vom Libanon, Eichen vom Pontus, schwere und eisenharte Stämme aus Äthiopien – soll Hunderte von Talenten werth sein.«
»Und gehört das auch Deinem Herrn?« fragte Karnis.
»Nein; aber der Besitzer ist der Großsohn eines Freigelassenen unseres Hauses. Jetzt sind es reiche und angesehene Leute, und Meister Clemens sitzt im Senat. Der Mann dort im weißen Gewande, das ist er.«
»Ein Christ, sollt' ich meinen,« sagte der Sänger.
»Freilich,« versetzte der Hausmeister. »Aber was Recht ist, muß Recht bleiben. Ein braver und tüchtiger Mann ist er dennoch. Strenge Zucht herrscht hier auf der Werft und auf der andern an der See im Hafen des Eunostus. Nur seine Meinung kann Clemens Niemandem lassen; darin ist er gerade wie die Anderen. So viele Sklaven und Arbeitsleute er kauft oder anwirbt, so viele Christen weiß er zu machen; und die Söhne sind gerad' wie der Alte, auch der Konstantin, obgleich er ein kaiserlicher Offizier ist und so schmuck und scharf wie nur einer. – Was uns betrifft, wir lassen Jedermann seinen Glauben. Porphyrius macht kein Hehl aus seiner Gesinnung, und doch werden all die vielen Schiffe, die wir für den Kornhandel brauchen, bei dem Christen gebaut. – Aber da wären wir!«
Das Boot hielt an einer breiten Marmortreppe, welche aus dem See in den Garten des Porphyrius führte, und je tiefer Karnis in denselben eindrang, desto freudiger athmete er auf; denn hier, hier waren die alten Götter zu Hause. Ihre Bilder schimmerten aus dem dunklen Laubwerk immergrüner Sträucher hervor, sie spiegelten sich in klaren Weihern, und schöner Wohlgeruch wehte hier von einem bekränzten Altar, dort von einem frisch gesalbten Steine den Ankömmlingen entgegen.
Die Sängerfamilie hatte im Hause des Porphyrius gütige Aufnahme gefunden, aber zum Musiziren war es nicht gleich gekommen, denn sobald die alte Damia erfuhr, was den hübschen, blonden Lockenkopf, den sie gestern mit Vergnügen angesehen hatte, im Xenodochium der Maria zurückhielt, ließ sie Herse ein Gewand ihrer Enkelin bringen und bat sie, das Mädchen zu holen. Einige Sklaven sollten sie begleiten und ihr Gepäck in das Nilschiff des Porphyrius schaffen, welches bei der Werft vor Anker lag. In diesem stattlichen Fahrzeuge gab es mehrere Räume, welche schon oft Gäste des Hauses aufgenommen hatten und nun auch Karnis und die Seinen beherbergen sollten. Sie schienen besonders geschickt für die Sängerfamilie, denn sie konnte dort ungestört ihre Übungen halten, und das Schiff war für Gorgo jederzeit erreichbar.
Herse hatte sich erleichterten Herzens in das Xenodochium zurückbegeben; ihr Sohn war ausgeschickt worden, um Mancherlei, was auf der Seereise verloren gegangen, in der Stadt zu ersetzen, und Karnis hatte sich, seelenfroh, aus der Mönchsherberge entkommen zu sein, von seinem neuen Wirthe im Männersaale zurückhalten lassen und genoß dort die guten Gaben, welche ihm das Glück im Hause des Porphyrius bescheerte. Es war ihm hier zu Muthe, als habe ihn nach langer Verbannung die Heimat wieder an's Herz genommen. Hier wehte der Geist seines väterlichen Hauses, hier fand er Menschen, welche das Dasein in seinem Sinne zu schmücken verstanden, die seine Begeisterung theilten und auch seinen Haß. Aus einem kunstvoll geschnitzten Onyxpokal trank er edlen Wein, was er hörte, gefiel ihm, und was er sagte, fand volles Verständniß. Für die unsichere Zukunft der Seinen eröffneten sich hier Aussichten, welche nur wenig hinter denjenigen zurückblieben, die seine lebhafte Einbildungskraft ihm gestern vorgespiegelt hatte. Mochte sein Geschick sich auch wieder wenden; das, was er hier Gutes genoß, sollte zu dem Gewinn des Lebens geschrieben werden und wenigstens in der Erinnerung ein dauerhafter Besitz für ihn bleiben.
Die greise Damia, ihr Sohn Porphyrius, die schöne Gorgo, alle drei waren eigenartige Menschen, wie man ihnen selten im Leben begegnet.
Der weltkluge Handelsherr hatte gefunden, daß die Frauen den fremden Musikanten zu rasch und unvorsichtig entgegengekommen seien, und sich anfänglich zurückhaltend gegen Karnis erwiesen; aber nach einem kurzen Gespräche mit demselben war er zu der Überzeugung gelangt, daß er es hier mit einem Manne von ungewöhnlicher Bildung und tüchtigem Schlage zu thun habe. Die Greisin war den Fremden von vornherein geneigt gewesen, denn gestern Nacht hatten ihr die Sterne auf heute eine angenehme Begegnung vorausgesagt. – Ihr Wille war unter diesem Dache allmächtig. Karnis mußte lächeln, als er sie ihren längst ergrauten Sohn, welcher ganz aussah wie Einer, der sein Haus zu regieren verstand, »mein Kind« nennen oder zurechtweisen hörte. Ein hoher Armstuhl war ihre Residenz, welche sie nur verließ, wenn sie sich in ihr Observatorium auf dem Dache des Hauses tragen ließ, wo auch ihre magischen Tafeln und Schriften aufbewahrt wurden. Es war nichts schwach an ihr als die Füße, aber es standen ihr Arme genug zur Verfügung, welche sie zu Tisch, in ihr Schlafgemach und, so lange es Tag war, an sonnige Stellen im Hause oder im Garten schoben oder trugen. Wenn die Strahlen des Helios ihren Rücken beschienen, befand sie sich am wohlsten, denn ihr altes Blut bedurfte der Wärme nach den langen Nachtwachen, denen sie sich immer noch auf der Sternwarte unterzog. Selbst in der heißesten Mittagszeit saß sie, mit einem großen grünen Schirm über den scharfen Augen, in der Sonne, und wer sich mit ihr zu unterhalten wünschte, mochte Schatten suchen, wo er ihn fand. Wenn sie, auf ihren elfenbeinernen Krückstock gestützt, in gebeugter Haltung einem Gespräche folgte, sah es aus, als sei sie stets auf dem Sprunge, dem Andern in die Rede zu fallen. Ohne Rückhalt und Zügel sprach sie aus, was sie meinte, denn in einem langen Leben war es dieser Erbin großen Besitzes stets gestattet gewesen, den eigenen Willen überall zur Geltung zu bringen. Auch ihrem Sohne gegenüber nahm sie jedes Recht in Anspruch, und doch ging von dem männlichen Haupte des Hauses ein Gewebe aus, dessen Fäden sich über die halbe Erde erstreckten. Der Bauer, welcher das Fruchtland am oberen und unteren Nil bestellte, der Schafzüchter in der arabischen Wüste, in Syrien und auf den Sylphionweiden der Cyrenaika, der Wälderbesitzer am Libanon und am Gestade des Pontus, der Bergmann in Spanien und auf Sardinien, die Makler, Händler und Rheder in allen Hafenstädten des Mittelmeeres waren mit diesen Fäden an das Haus am mareotischen See gebunden und fühlten es, wenn die Hand des Graubartes, welcher sich von seiner Mutter meistern ließ wie ein Knabe, sie lockerte oder anzog. Der Besitz dieses Kaufherrn war schon in seiner Jugend so groß gewesen, daß die Vermehrung desselben weder ihm noch den Seinen neuen Genuß zuführen konnte, aber eben diese Vermehrung war ihm zur Lebensaufgabe geworden. Wie ein Wettkämpfer nach dem Ehrenpreise, strebte er nach einer hohen Zahl am Tage des jährlichen Abschlusses der Geschäfte; und seine Mutter sah nicht nur in das Hauptbuch, sondern folgte jeder neuen großen Unternehmung des Hauses. Wenn ihrem Sohne und seinen Gehülfen die Entscheidung über wichtige Fragen schwer fiel, gab sie den Ausschlag, und wenn ihr Rath sich in den meisten Fällen als vortrefflich bewährte, schrieb sie dies weniger dem eigenen Scharfsinn und der eigenen Weltkenntniß, als den Winken zu, welche Sterne und magische Kombinationen ihr gaben. Ihr Sohn folgte ihr nicht auf dieses Gebiet, aber er widersprach den Ergebnissen nur selten, zu denen sie auf ihrer Warte gelangte. Während sie die Nächte zum Tage machte, unterhielt er sich gern mit gelehrten Freunden, denn die Stunden, welche der Kaufherr seinem Streben nach Gewinn abmüßigte, waren der Philosophie gewidmet, und die besten Denker Alexandrias ließen es sich gern an der geschätzten Tafel des reichen Gönners wohl sein. Es freute ihn, wenn man ihn einen »Kallias« nannte, und die heidnischen Lehrer an den Universitäten des Museums und Serapeums erkannten ihn willig als Gesinnungsgenossen an. Man wußte, daß er getauft sei, aber weil es ihm peinlich war, unterließ man es, darüber zu reden. Die Bescheidenheit seines Wesens gewann ihm die Herzen, aber vielleicht noch mehr der leidende, an Schwermuth streifende Zug, der sich wie eine Schranke zwischen den überreich begüterten Mann und den Neid der Mißgünstigen stellte.
Im Laufe des Gesprächs fragte die Greisin den Alten nach Agne's Herkunft; denn wenn ein Makel an ihr hafte oder wenn sie eine Sklavin sei, könne Gorgo sich natürlich nicht öffentlich mit ihr zeigen, und Karnis werde dann die Klage der Isis mit einer freigeborenen Sängerin einzuüben haben.
Der Alte zuckte die Achseln und bat die Frauen und Porphyrius, in dieser Frage selbst das Urtheil zu fällen.
Vor drei Jahren, theilte er mit, sei er zu Antiochia gewesen und habe dort den großen Aufstand wegen der Steuererhebung ausbrechen sehen. Es sei dabei blutig hergegangen, und er habe sich mit den Seinen, sobald es thunlich gewesen, aus der Stadt entfernt. Als es dunkelte, sei er in einer Herberge am Wege eingekehrt, und dort habe er Agne und ihr Brüderchen in der Hand von Soldaten gefunden. In der Nacht sei das Mädchen an das Lager des Knaben getreten und habe diesem, um ihn zu trösten, ein einfaches Lied vorgesungen. Das sei ihr so rein und rührend von den Lippen geflossen, daß es ihm und seinem Weibe das Herz bewegt und sie veranlaßt habe, Schwester und Bruder für ein Geringes von den Soldaten zu kaufen. Er habe einfach bezahlt, was diese gefordert; als Sklaven eingetragen seien sie nicht, auch habe er keine Beschreibung ihrer Person anfertigen lassen, aber es liege doch wohl in seiner Hand, sie als Sklaven zu behandeln und zu veräußern, denn der Kauf sei vor Zeugen, welche sich noch ermitteln lassen würden, abgeschlossen worden. Später habe er von dem Mädchen erfahren, daß ihre Eltern Christen gewesen und erst wenige Jahre vor dem Ausbruche des Aufstandes nach Antiochia versetzt worden seien. Verwandte oder nähere Freunde hätten sie dort nicht besessen. Ihr Vater sei im kaiserlichen Dienst als Zollbeamter viel herumgeworfen worden; doch erinnere sie sich, daß derselbe Augusta Trevirorum in der Belgica prima5 seine Heimat genannt habe.
Das Mädchen war zugegen gewesen, wie das erregte Volk das Haus ihrer Eltern gestürmt und diese sammt ihren beiden Sklaven und ihrem ältern Bruder getötet hatte. Jedenfalls sei Agne's Vater ein höherer Beamter, vielleicht auch ein römischer Bürger gewesen, und dann – der Kaufherr Porphyrius bestätigte dies – werde das Mädchen und sein Bruder jederzeit berechtigt sein, die Freiheit für sich in Anspruch zu nehmen. Dem Gesindel, welches die Kinder auf die Straße und vor das Thor geschleppt hatte, waren sie von Soldaten abgejagt worden; von diesen aber hatte sie Karnis erstanden. »Und ich brauche es nicht zu bereuen,« schloß der Alte, »denn Agne ist ein liebes, sanftes Geschöpf. Von ihrer Stimme will ich nicht reden, ihr habt sie ja gestern selbst vernommen.«
»Und mit wahrem Entzücken!« rief Gorgo. »Wenn Blumen singen könnten, so müßte es klingen.«
»Wohl, wohl!« versetzte Karnis. »Ihre Stimme ist köstlich, aber es fehlen ihr die Flügel. Ein unüberwindliches Etwas hält das Veilchen am Boden zurück!«
»Christliche Bedenken!« rief der Kaufherr, und die alte Damia fügte hinzu:
»Laß Eros kommen, der löst ihr die Zunge!«
»Eros und immer Eros,« versetzte Gorgo und zuckte die Achseln. »Wer liebt, der leidet und schleppt sich mit Fesseln. Um das Beste zu leisten, wozu man geschickt ist, braucht man nichts zu sein als frei, wahr und gesund.«
»Das ist viel, Herrin,« entgegnete ihr Karnis mit Eifer. »Mit diesen Dreien vollbringt sich das Höchste. Aber Agne, wie steht es mit der? Wer könnte unfreier sein als ein dienendes Mädchen! Ihr Leib, ja, der ist gesund, aber ihre Seele leidet und kommt nicht zur Ruhe aus Furcht vor all dem christlichen Schreckniß: Sünde, Reue und Hölle . . .«
»Wir kennen den Lebensverderb,« fiel ihm die Greisin in's Wort. »Seid ihr durch die Christin in die Herberge der Maria gerathen?«
»Nein, edle Frau.«
»Dann aber . . . Diese Heilige wählt doch sonst ihre Gäste, und wer nicht getauft ist . . .«
»Sie hat diesmal auch Heiden beherbergt.«
»Das wundert mich eben. Erzähle, wie es gekommen!«
»Wir waren in Rom,« begann der Sänger, »und durch die Vermittlung meiner Gönner hatte uns Marcus, der Sohn der Maria, zu Ostia mit auf sein Schiff genommen. In Cyrene ging es vor Anker, denn der junge Herr wollte von dort aus seinen Bruder nach Alexandria mitnehmen!«
»Demetrius ist hier?« fragte Porphyrius.
»Ja, Herr. Er stieg in Cyrene mit uns an Bord. Kaum hatten wir den Hafen hinter uns, als sie zwei Seeräuberschiffe bemerkten. Da wurde die Trireme gewandt, doch bei der eiligen Rückfahrt fuhr sie sich in eine Sandbank fest, und nun wurden die Boote ausgesetzt, um die Herren und den Konsul Cynegius zu retten.«
»Cynegius auf dem Wege hieher?« fragte Porphyrius wieder und richtete sich lebhaft auf.
»Gestern ist er mit uns im Hafen des Eunostus gelandet. Die Sekretäre und Offiziere in seinem Gefolge füllten das eine Boot, Marcus und sein Bruder wollten mit ihren Leuten das zweite besteigen. Wir und andere Fahrgäste würden zurückgelassen worden sein, wenn nicht die Dada . . .«
»Die hübsche Blonde von gestern?« fragte Damia.
»Dieselbe. Der junge Marcus hatte sich auf der Fahrt an ihrem Geplauder und ihren Liedern ergötzt; reiner als sie kann auch keine Nachtigall singen, und als sie sich auf's Bitten legte, gab er bald nach und lud sie zu sich in's Boot. Aber das brave Ding erklärte, sie wolle lieber in's Wasser springen, als ohne uns fahren.«
»Brav, brav!« rief die Greisin, und Porphyrius fügte hinzu:
»Ein gutes Zeichen für das Mädchen und Euch.«
»Marcus,« fuhr Karnis fort, »nahm uns also mit in den Nachen – uns Alle – und so kamen wir wieder glücklich an's Land. Nach einigen Tagen brachte ein Kriegsschiff den Cynegius, die Brüder und uns wohlbehalten hierher, und da wir unsere Baarschaft verloren hatten, gab uns Marcus einen Schein, welcher uns Aufnahme im Xenodochium seiner Mutter verschaffte. Dann führten die Götter die Meinen und mich mit dieser edlen Jungfrau zusammen.«
»Also Cynegius ist hier, sicher hier?« fragte Porphyrius noch einmal, und als Karnis dies bestätigte, wandte er sich unruhig an seine Mutter und sagte: »Olympius ist noch nicht zurück. Immer derselbe; tollkühn wie ein Jüngling. Wenn sie ihn fangen! Die Straßen wimmeln von Mönchen. Es geht etwas vor. Anspannen, Syrus; sogleich! Der große Atlas soll mich begleiten. Cynegius hier! Ah! – Ah! – Ich danke den Göttern!«
Dieser Ausruf galt einem tief vermummten Manne, welcher in diesem Augenblick das Zimmer betreten hatte, und während er die Kapuze seines Mantels abwarf und das große Tuch, welches seinen Hals umgeben und den langen weißen Bart verborgen hatte, ablöste, aufathmend ausrief: »Da wär' ich denn wieder! – Cynegius ist hier; es wird Ernst, meine Freunde!«
»Und Du warst im Museum?« fragte der Kaufherr.
»Unangefochten. Ich fand sie Alle beisammen. Brave Jungen. Sie halten zu uns und den Göttern. Waffen genug sind vorhanden. Die Judenschaft6 rührt sich nicht, Onias glaubt dafür einstehen zu können, und mit den Mönchen und den kaiserlichen Kohorten werden wir fertig.«
»Wenn die Götter helfen für heute und morgen,« versetzte Porphyrius bedenklich.
»Für immer, wenn das Landvolk seine Pflicht thut!« rief der Andere. »Wer ist dieser Fremde?«
»Das Haupt der Musiker von gestern,« entgegnete Gorgo.
»Karnis des Hiero Sohn von Tauromenium,« sagte der Sänger und verneigte sich vor dem Fremden, dessen majestätische Gestalt und schönes Denkerhaupt ihm Bewunderung einflößte.
»Karnis von Tauromenium!« wiederholte dieser überrascht und freudig. »Beim Herkules, eine seltene Begegnung! Die Hand, Deine Hand her, mein Alter. Vor wie vielen Jahren haben wir den letzten Weinkrug beim alten Hippias mit einander geleert? Sieben Lustren machen die Haare grau, aber wir halten uns Beide noch gerade. Nun, Du Sohn des Hiero, wer bin ich?«
»Olympius bist Du, der große Olympius!« rief Karnis und schlug freudig in die dargebotene Hand ein. »Alle Götter segnen diesen glücklichen Morgen.«
»Alle Götter! Das ist ein Wort,« rief der Philosoph. »Auch Du bist nicht unter das Kreuzjoch gekrochen?«
»Die Welt ist nur freudig in Gesellschaft der Götter!« rief Karnis in froher Erregung.
»Und wir wollen sie freudig erhalten und sie vor Verfinsterung bewahren,« fügte der Andere feurig hinzu. »Eine verhängnißvolle Zeit ist gekommen. Jetzt wird nicht mehr wie damals über Firlefanz gestritten; jetzt zerbrechen wir uns nicht mehr über Quark die Köpfe und meinen, das Glück der Welt hänge von der Entscheidung ab, ob der Mensch im letzten Augenblick des Lebens oder im ersten Moment des Todes sterbe, jetzt heißt es: Sollen die alten Götter siegen, sollen wir frei und froh mit den Himmlischen über uns leben oder den Nacken vor dem gekreuzigten Zimmermannssohne und seiner düstern Lehre beugen; hier wird für die höchsten Güter der Menschheit gekämpft . . .«
»Ich weiß,« unterbrach ihn Karnis, »Du hast für den großen Serapis wacker gestritten. Sie wollten Hand an sein Heiligthum legen; aber Du hast sie mit Deinen Jüngern zum Abzug gezwungen. Die Anderen sind straflos davongekommen . . .«
»Aber mir haben sie gezeigt, was mein Haupt ihnen werth ist,« lachte Olympius. »Drei Talente setzte Evagrius auf meinen Kopf. Dafür kauft man ein Haus, und wenn man bescheiden ist, kann man von den Zinsen den Aufwand des Lebens bestreiten. Ich hab' es zu etwas gebracht, wie Du siehst. Dieser edle Mann hält mich bei sich verborgen. Wir haben mit einander zu reden, Porphyrius, und Du, holde Gorgo, verliere die Isisfeier nicht aus den Augen. Gerade weil Cynegius da ist, muß sie glänzend in's Werk gesetzt werden! Er soll dem Kaiser, welcher ihn herschickt, berichten, wie die Alexandriner gesinnt sind. Wo ist das großäugige Mädchen von gestern?«
»Im Garten,« entgegnete Gorgo.
»Sie singt am Fuß der Bahre!« rief der Philosoph. »Dabei muß es bleiben.«
»Wenn ich die Christin dazu bewege!« erwiderte Karnis bedenklich.
»Sie muß!« versetzte der Philosoph mit aller Bestimmtheit. »Es würde doch schlimm bestellt sein um Alexandrias rhetorische und logische Künste, wenn es einem alten Disputanten nicht mehr gelingen wollte, die Meinung eines Mädchens von oberst zu unterst zu kehren. Laßt das meine Aufgabe bleiben. Auf Wiedersehen, edle Frauen! Mit Dir, Freund Karnis, hoff' ich später zu plaudern. Wie in aller Welt bist Du, der Du uns Anderen manchmal mit den väterlichen Solidi aushalfst, das Haupt einer reisenden Sängergesellschaft geworden? Du hast mir viel zu erzählen, Freund; aber das Wichtigste darf nicht unter dem Wichtigen leiden. Auf ein Wort, mein Porphyrius!«