Shadow Falls - After Dark - Im Sternenlicht - C.C. Hunter - E-Book
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Shadow Falls - After Dark - Im Sternenlicht E-Book

C.C. Hunter

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Beschreibung

Nachschub für alle Shadow-Falls-Camp-Fans: Band 1 der Shadow-Falls-After-Dark-Serie – noch aufregender, noch dunkler! Vampirin Della ist frustriert. Die Ferien sind der absolute Albtraum: Die Freundinnen fehlen und die Eltern halten sie für gestört. Warum kann sie nicht einfach zurück ins Shadow Falls Camp und dort allen beweisen, dass sie die perfekte Ermittlerin für das FRU wäre? Doch dann entdeckt Della, dass ihr vermisster Onkel möglicherweise auch Vampir war… Bei der Rückkehr ins Camp ist Chaos vorprogrammiert, die Recherchen nach dem verschollenen Familienmitglied werfen tausende von Fragen auf, und auch in Liebesdingen läuft grade nichts, wie es sein sollte. Ihre Gefühle für Steve den Gestaltwandler geraten ins Wanken, denn ein neuer Vampir namens Chase Tallman mischt das Shadow Falls Camp gehörig auf.

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Seitenzahl: 612

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C.C. Hunter

Shadow Falls - After Dark - Im Sternenlicht

Band 1

Aus dem Amerikanischen von Tanja Hamer

FISCHER E-Books

Inhalt

Für meine Freunde und [...]1 . Kapitel2 . Kapitel3 . Kapitel4 . Kapitel5 . Kapitel6 . Kapitel7 . Kapitel8 . Kapitel9 . Kapitel10 . Kapitel11 . Kapitel12 . Kapitel13 . Kapitel14 . Kapitel15 . Kapitel16 . Kapitel17 . Kapitel18 . Kapitel19 . Kapitel20 . Kapitel21 . Kapitel22 . Kapitel23 . Kapitel24 . Kapitel25 . Kapitel26 . Kapitel27 . Kapitel28 . Kapitel29 . Kapitel30 . Kapitel31 . Kapitel32 . Kapitel33 . Kapitel34 . Kapitel35 . Kapitel36 . Kapitel37 . KapitelDanksagungLESEPROBE1 . Kapitel

Für meine Freunde und Buch-Pimps. Für alle meine wundervollen Leser und Freunde da draußen, die unablässig meine Bücher verkaufen: Betty Hobbs, Susan und Ally Brittain, Shawna Stringer und Lucero Guerrero. Danke auch an Natasha Benway, die beste Kinderbuchhändlerin der Welt. Und ein besonderes Dankeschön an mein Straßenteam. Ihr seid die Besten.

1. Kapitel

Das Monster rannte durch die vom Mondlicht erhellte Straße direkt auf Della Tsang zu. Trotz der Dunkelheit konnte sie seine gelben Reißzähne aufblitzen sehen und vernahm ein Schimmern, da wo seine schmutzigen Klauen und spitzen, tödlichen Hörner waren. Das Vieh erinnerte sie an einen übergroßen, massigen Gargoyle, aber ehrlich gesagt, hatte sie keine Ahnung, was es wirklich war.

Kein Vampir. Dafür war es zu hässlich.

Vielleicht ein tollwütiger Werwolf. Davon hatte sie gehört, aber noch nie einen gesehen.

Sie versuchte angestrengt, sein Gehirnmuster zu identifizieren. Jede Art hatte ein spezielles Muster, das nur Übernatürliche sehen konnten. Aber dieses Wesen bewegte sich einfach zu schnell.

Einer Sache war sich Della aber sicher: Das Wesen kam nicht in friedlicher Absicht. Die blutroten Augen zusammen mit dem durch und durch bösen Blick verhießen nichts Gutes.

Sie hatte somit zwei Optionen. Fliehen oder kämpfen. Ihr Herz raste. Nur Feiglinge rannten davon. Sie holte tief Luft, steckte sich das Oberteil ihres Schlumpf-Pyjamas in die Hose und machte sich zum Angriff bereit.

Schlumpf-Pyjama?

Was machte sie überhaupt auf der Straße in einem …?

Der Nebel in ihrem Kopf begann sich zu lichten, und auf einmal tauchte noch eine dritte Option vor ihrem inneren Auge auf. Aufwachen.

Ein Traum. Das alles war nicht echt.

Aber sogar aufzuwachen fühlte sich feige an. Und Della Tsang war kein Feigling. Also ließ sie zu, dass der Albtraum sie tiefer hineinzog, und beobachtete, wie das Monster näher kam. Sie hatte nur noch ein paar Sekunden.

Eins.

Zwei.

Drei.

Die Kreatur roch nach Tod. Das riesige Biest kam bis auf einen Meter an sie ran und machte dann einen Satz über sie hinweg, um sie von hinten anzugreifen. Della schaffte es nicht, sich schnell genug umzudrehen, da hatte das Biest sie schon an den Schultern gepackt. Sie spürte den Schmerz in ihrem Nacken, als eine Klaue oder ein Reißzahn sich in ihre Haut grub. Sie fasste erzürnt hinter sich und bekam eine Masse weicher Haut zu fassen. Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, schleuderte sie die Kreatur über ihre Schulter.

»Wie gefällt dir das, du ekliger Fettwanst!«

Ein lauter Schlag ließ Della aufschrecken. Sie setzte sich kerzengerade im Bett auf, das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Dann fiel ihr Blick auf ihr Kissen, das sie offenbar für den ekligen Fettwanst gehalten und quer durchs Zimmer geschleudert hatte. Es steckte jetzt halb in der dünnen Gipswand ihres Zimmers.

Korrektur. Ihres Zimmers – im Haus ihrer Eltern!

Sie war zu Hause für eins der obligatorischen Elternwochenenden. Zu Hause? Das Wort klang falsch in ihren Ohren.

Das war nicht mehr ihr Zuhause. Shadow Falls war ihr Zuhause. Das Camp – oder inzwischen das Internat –, das für die Außenwelt ein Ort war, an dem missratene Kinder aufgenommen wurden. In Wahrheit war es ein Ort, an dem übernatürliche Kinder lernten, damit umzugehen … übernatürlich zu sein.

Kylie, Miranda und alle ihre Schulfreunde waren jetzt ihre Familie. Dieser Ort dagegen … Sie schaute sich in ihrem alten Kinderzimmer um, das voller alter Erinnerungen steckte. Erinnerungen daran, was sie verloren hatte.

Missmutig betrachtete sie das Kissen und das verdammte Loch in der Wand.

Mist!

Sie atmete ein paarmal tief durch und überlegte krampfhaft, wie sie das ihren Eltern erklären sollte.

An der gegenüberliegenden Wand stand ihr Schrank mit der Spiegeltür. Als sie ihn so anschaute, formte sich ein Plan in ihrem Kopf. Es bedurfte nur einer kleinen Umräumaktion, und das Loch wäre verschwunden. Als sie den Kopf drehte, ziepte etwas in ihrem Nacken, genau an der Stelle, wo das Monster sie in ihrem Traum gebissen hatte.

Sie fasste hin, um den Schmerz wegzureiben, und fühlte etwas Klebriges. Erschrocken zog sie die Hand weg und starrte das Blut an ihren Fingern an. Was zur Hölle?

Als sie die Stelle noch mal befühlte, stellte sie fest, dass sie am Haaransatz einen riesigen Pickel hatte. Vielleicht hatte der Pickel einfach weh getan und damit den seltsamen Albtraum verursacht.

Der Geruch des eigenen Bluts erinnerte sie daran, dass sie seit zwei Tagen nichts gegessen hatte. Aber Blut in einem Beutel mit nach Hause zu nehmen war zu riskant. Als sie das letzte Mal zu Hause gewesen war, hatte sie ihre Mom dabei ertappt, wie sie ihren Koffer durchwühlt hatte.

Ihre Mutter hatte schuldbewusst aufgeblickt und gemurmelt: »Es tut mir leid, ich wollte nur sichergehen, dass du keine … Ich mache mir Sorgen um deine Schwester.«

»Um mich machst du dir also keine Sorgen mehr?«, erwiderte Della wütend. Dass ihre Mom dachte, sie nähme Drogen, war nicht das Schlimmste für Della. Das Schlimmste war, dass sie ihrer Mom anscheinend schon völlig egal war. Sie war aus dem Zimmer gestürmt, ehe ihre Mutter ihr eine Lüge hatte auftischen können. Della hätte die Lüge eh sofort an ihrem beschleunigten Herzschlag erkannt.

Della verdrängte die Erinnerung und schnappte sich ein Taschentuch von ihrem Nachttisch, um das Blut wegzuwischen. Sie drückte das Tempo ein paar Sekunden lang auf den Pickel und stand dann auf, um das Kissen aus der Wand zu ziehen. Mühelos hob sie danach den Schrank hoch und hievte ihn quer durchs Zimmer, wo sie ihn vor dem in der Wand klaffenden Loch platzierte.

Zufrieden betrachtete sie das Ergebnis und seufzte erleichtert auf. Das würden ihre Eltern nie bemerken – oder zumindest nicht jetzt gleich. Irgendwann würde es ihr Vater wahrscheinlich entdecken und sie anrufen, um ihr zu sagen, wie enttäuscht er von ihr war. Aber das war besser, als jetzt Ärger zu bekommen.

Gedankenverloren betrachtete sie sich im Spiegel und hatte plötzlich eine Erkenntnis. Sie war zwar bereit, es mit den furchtbarsten Monstern aufzunehmen – in ihren Träumen und in der Realität –, aber der Gedanke daran, sich ihren Eltern zu stellen, die Enttäuschung in ihren Augen zu sehen, verwandelte sie in ein hilfloses kleines Mädchen.

Alle Veränderungen, die sie durchgemacht hatte, seit sie sich in einen Vampir verwandelt hatte, waren von ihren Eltern als eine Form der Rebellion gewertet worden. Sie hielten Della für einen undankbaren, eigensinnigen Teenager – wahrscheinlich auf Drogen, eventuell schwanger – und nur darauf aus, ihnen das Leben zur Hölle zu machen. Aber das war immer noch besser, als ihnen die Wahrheit zu sagen und von ihnen als Monster abgestempelt zu werden.

Manchmal fragte sie sich ernsthaft, ob es nicht besser gewesen wäre, ihren eigenen Tod vorzutäuschen, wie es die meisten Vampire in ihrer Situation taten. Ihre Familie zu verlieren, würde unglaublich weh tun. Andererseits – passierte das nicht sowieso schon? Tag für Tag? Stück für Stück entfernten sie sich mehr von ihr. Sie sprachen kaum noch mit ihr, hatten sie seit langem nicht mehr umarmt. Della konnte sich kaum erinnern, wie es sich anfühlte. Und ein Teil von ihr vermisste sie so sehr, dass sie am liebsten laut geschrien hätte, dass es nicht ihre Schuld war. Sie hatte nie darum gebeten, verwandelt zu werden.

»Was machst du da?« Die Stimme riss sie unsanft aus den Gedanken.

Della fuhr herum. Mit ihrem Supergehör konnte sie normalerweise sogar hören, wenn sich ihre kleine Schwester im Bett umdrehte. Wie hatte es ihr entgehen können, dass sie soeben in ihr Zimmer geschlüpft war?

»Äh, nichts«, entgegnete Della zerstreut. »Was tust du hier?«

»Ich hab dich gehört …« Marla sah sich um und machte große Augen. »Du hast deinen Schrank umgestellt.«

Della schaute auf das Möbelstück. »Ja, ich konnte nicht mehr schlafen und dachte … ich könnte hier mal ein bisschen frischen Wind reinbringen.«

»Der ist doch voll schwer!«

»Ja, na ja … Ich hab eben immer meinen Spinat gegessen.«

Marla runzelte misstrauisch die Stirn. »Beim Abendessen hast du kaum was gegessen. Mom macht sich schon Sorgen.«

Tut sie nicht, dachte Della.

Marla sah sich wieder um. »Hast du Mom gefragt, ob du dein Zimmer umräumen darfst?«

»Wieso sollte sie das interessieren?«

Marla zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht, aber du hättest bestimmt vorher fragen sollen.«

Della biss sich auf die Lippe, als ihr dämmerte, dass sie früher wahrscheinlich wirklich um Erlaubnis gefragt hätte – selbst, wenn es um so etwas Unwichtiges gegangen wäre. Wieder ein Punkt für Shadow Falls. Holiday und Burnett, die Campleiter, führten zwar ein strenges Regiment, aber sie gaben den Teenagern immer so viel Raum, dass sie selbst entscheiden konnten, ob sie an Bord blieben oder eben nicht. Und bis jetzt war Della an Bord. Zumindest meistens. In den letzten sechs Monaten hatte sie ihre Freiheiten zu schätzen gelernt.

Marla kam näher. Ihr rosa Nachthemd ging ihr nur noch bis knapp übers Knie. Della fiel auf, dass sich ihre kleine Schwester veränderte – sie wuchs. Sie war jetzt 14 und kein kleines Mädchen mehr. Ihr langes, schwarzes Haar war noch dunkler als Dellas. Von ihnen beiden kam Marla mehr nach der Familie ihres Vaters. Sie sah asiatischer aus.

Das sollte unseren Vater freuen, dachte Della.

»Alles klar bei dir?«, fragte Marla. Ehe Della es verhindern konnte, berührte Marla sie am Arm.

Della versuchte, den Arm wegzuziehen, aber Marla hielt sie fest. »Ja, alles klar.«

Marla zog die Augenbrauen zusammen. »Du bist immer noch so kalt. Und du verhältst dich ganz anders als früher. Du bist immer so schlecht drauf.«

Weil ich Hunger habe! »Nein, alles okay. Du solltest besser wieder ins Bett gehen.«

Marla rührte sich nicht. »Ich will meine alte Schwester zurück.«

Tränen brannten in Dellas Augen. Ein Teil von ihr wollte auch die alte Della zurück. »Es ist spät.« Sie blinzelte schnell, um keine Schwäche zu zeigen. In Shadow Falls weinte sie fast nie, aber hier kamen die Tränen schneller. Lag es daran, dass sie sich hier mehr wie ein Nicht-Übernatürlicher fühlte? Oder daran, dass sie sich wie das Monster fühlte, für das ihre Familie sie halten würde, wenn sie erfuhren, dass sie ein Vampir war?

»Dad macht sich voll Sorgen um dich«, fuhr Marla fort. »Ich hab gehört, wie er neulich abends mit Mom über dich geredet hat. Er meinte, du erinnerst ihn an seinen Bruder. Er hat gesagt, der war auch immer so kalt und hat sich verändert. Dann ist er gestorben. Du wirst nicht sterben, oder?«

Della stockte der Atmen, als sie realisierte, was Marla gesagt hatte. »Dad hatte doch gar keinen Bruder!«

»Ich wusste es auch nicht. Hab Mom später gefragt, und sie meinte, Dad hatte einen Zwillingsbruder, der bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.«

»Wieso redet er dann nie von ihm?«, fragte Della.

»Du weißt doch, wie Dad ist. Er spricht nie über die Dinge, die schmerzhaft für ihn sind. So wie er auch nicht mehr über dich redet.«

Della musste schlucken. Sie wusste, Marla hatte es nicht böse gemeint, aber die Worte trafen sie direkt ins Herz. Sie hätte sich am liebsten in einer Ecke zusammengerollt und geweint.

Aber das konnte sie nicht tun. Vampire zeigten keine Schwäche.

 

Zwei Stunden später war die Sonne immer noch nicht aufgegangen, doch Della lag mit weit geöffneten Augen auf ihrem Monsterkissen und starrte die Decke an. Der Pickel in ihrem Nacken schmerzte noch. Della ignorierte es. Da musste schon mehr als ein lächerlicher Pickel kommen, um sie zu beeindrucken. Es war nicht ungewöhnlich, dass sie nicht schlafen konnte, aber diesmal waren es nicht ihre üblichen nächtlichen Aktivitäten, die sie wachhielten.

Sie erinnerte sich an etwas, das ihre Mutter mal gesagt hatte: »Stock und Stein brechen mein Gebein, doch Worte bringen keine Pein.«

Ihre Mutter lag so was von falsch.

Du weißt doch, wie Dad ist. Er spricht nie über die Dinge, die schmerzhaft für ihn sind. So wie er auch nicht mehr über dich redet.

Diese Worte brachen ihr das Herz.

Sie lag da und wartete, dass die Nacht vergehen würde. Auf einmal kam ihr etwas anderes in den Sinn, das Marla gesagt hatte: Er meinte, du erinnerst ihn an seinen Bruder. Er hat gesagt, der war auch immer so kalt und hat sich verändert. Dann ist er gestorben.

Marlas Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf, denn irgendwie schienen sie wichtig zu sein. Della setzte sich ruckartig auf, als ihr dämmerte, was es war. Meinte er das wörtlich, dass der Bruder kalt geworden war? Oder kalt im Sinne von distanziert? War ihr Onkel vielleicht … ein Vampir? Hatte er seinen Tod vorgetäuscht, um seine Familie vor der Wahrheit zu bewahren?

Die Anfälligkeit für den Vampirvirus lag in der Familie. Und sie wusste, dass ihr Cousin, Chan, auch Vampir war. Nur dass er außerdem noch einen Hang zur Abtrünnigkeit hatte, der es ihr schwermachte, mit ihm in Kontakt zu bleiben.

Aber der Zwillingsbruder ihres Vaters … Wenn er ihrem Vater auch nur ein bisschen ähnlich war, musste er ein strenger Mann sein, ein Mann mit Prinzipien. Er wäre bestimmt jemand, der sich an Regeln hielt. Er wäre sicher kein Abtrünniger. Wenn … er ihrem Vater auch nur einen Hauch ähnelte.

Aber wie konnte sie das herausfinden? Wie konnte sie etwas über ihn erfahren, ohne dass sie irgendwelche Hinweise hatte? Ihr Dad würde ihr sicher nichts erzählen. Genauso wenig wie ihre Mom. Und Marla hatte ihr bestimmt alles erzählt, was sie wusste.

Fragen formten sich in ihrem Kopf. Wie war sein Name? Wo hatte die Familie gewohnt, als er verschwand … oder als er starb? Ihr war bewusst, dass sie auch falschliegen konnte. Ihr Onkel war vielleicht wirklich einfach gestorben.

Eine verblasste Erinnerung tauchte aus ihrem Unterbewusstsein auf. Ein Buch. Ein altes Fotoalbum. Ihr Dad hatte es vor vielen Jahren mal hervorgeholt, um ihnen Bilder ihrer Urgroßmutter zu zeigen. Sie erinnerte sich an den alten Ledereinband und daran, dass ihr Vater es in eine Schublade des alten Sekretärs in seinem Büro gelegt hatte.

War es noch da? Und wenn ja, konnte es sein, dass auf einem Foto auch sein Zwillingsbruder zu sehen war? Vielleicht sogar mit seinem Namen beschriftet? Sie stand hastig auf und ballte die Hände zu Fäusten. Sie musste nachschauen. Ein Blick auf ihren Digitalwecker sagte ihr, dass es vier Uhr morgens war. Ihre Eltern waren normalerweise nicht vor sechs Uhr wach.

Sie atmete tief durch und schlich sich aus dem Zimmer und die Treppen runter zum Büro ihres Vaters. Es war sein Zimmer, sein privater Rückzugsort. Ihr Vater war ein ziemlich reservierter Mensch.

Sie zögerte kurz und schluckte schwer. Es fühlte sich nicht richtig an, in seine Privatsphäre einzudringen, aber wie sollte sie sonst Antworten bekommen?

Sie drehte die runde Türklinke und betrat das Zimmer. Es roch nach ihrem Vater, nach seinem Aftershave, vielleicht auch nach dem speziellen Kräutertee, den er gern trank, und nach einem Hauch von teurem Brandy, den er sich sonntags gönnte. Sie musste daran denken, wie sie früher in diesem Zimmer Zeit miteinander verbracht hatten. An diesem Schreibtisch hatte er ihr mit den Matheaufgaben geholfen und ihr Schachspielen beigebracht. Von da an hatten sie sich einmal in der Woche zum Schach getroffen. Er war ein guter Spieler, aber ein paarmal gewann sie. Obwohl sie manchmal den Verdacht hatte, dass er sie absichtlich gewinnen ließ, nur um sie glücklich zu machen. Er mochte streng sein und ein ziemlich harter Knochen, aber er hatte sie geliebt. Wer hätte gedacht, dass seine Liebe nicht bedingungslos war?

Jetzt gab es keine Schachspiele mehr. Keine Vater-Tochter-Zeit. Aber vielleicht, nur vielleicht – wenn sie recht hatte – gab es irgendwo jemanden, der ihrem Vater ähnlich war. Jemand, der Verständnis für ihre Situation hatte. Jemand, der sich für sie interessierte, jetzt, wo ihr Vater sich von ihr abgewandt hatte.

Sie kniete sich vor dem Sekretär auf den Boden. Wenn sie sich richtig erinnerte, war das Album hinter der Brandyflasche versteckt. Sie holte den Brandy heraus und kramte tiefer in der Schublade. Als ihre Finger das weiche, alte Leder berührten, beschleunigte sich ihr Herzschlag.

Sie zog es hervor und setzte sich damit auf den Boden. Aber es war zu dunkel, um die Fotos zu erkennen. Ihr fiel ein, dass ihr Dad immer eine Taschenlampe in der Schreibtischschublade aufbewahrte, für den Fall eines Stromausfalls. Sie stand auf und öffnete vorsichtig die Schublade.

Sie fand die Taschenlampe. Aber was sie daneben fand, ließ ihren Atem stocken: Das Foto von ihrem Vater und ihr, als sie gemeinsam an einem Schach-Wettbewerb teilgenommen hatten. Früher hatte es immer auf dem Regal gestanden. Jetzt war der Platz im Regal genauso leer, wie sie sich innerlich fühlte.

Sie musste ihren Onkel einfach finden!

Della setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und öffnete das Album auf ihrem Schoß. Im Schein der Taschenlampe betrachtete sie angestrengt die alten ausgeblichenen Fotos.

Im Album waren auch Fotos der Familie ihrer Mutter, und sie blätterte vorsichtig Seite um Seite weiter. Die Gesichter auf den Bildern kamen ihr seltsam vertraut vor, obwohl sie die Menschen persönlich nie gesehen hatte. Irgendetwas an den Gesichtern, die Nase oder das Kinn, erinnerte sie immer an ihre Eltern oder sogar an sich selbst.

Erst auf der vorletzten Seite entdeckte sie ein Foto von ihrer Großmutter und ihrem Vater. Neben ihm stand ein weiterer kleiner Junge, der aussah wie das Ebenbild ihres Vaters. Sie löste vorsichtig die Klarsichthülle von der Seite und zog das Bild heraus. Es fühlte sich dünn und marode an, und sie hatte Angst, es könnte zerreißen. Mit angehaltenem Atem drehte sie es um, in der Hoffnung, dass auf der Rückseite die Namen notiert waren. Sie jubelte innerlich, als sie einen handschriftlichen Eintrag fand. Feng und Chao Tsang mit Mutter. Ihr Vater hieß Chao. Feng musste also der Name ihres Onkels sein. Das Bild schien in Houston aufgenommen worden zu sein, was bedeutete, dass ihr Onkel hier gewesen sein musste, als er sich verwandelt hatte … oder als er gestorben war. Aber wenn er sich wirklich verwandelt hatte, war er vielleicht immer noch hier in der Gegend. In Houston. Oder wenigstens in Amerika.

Sie steckte das Bild vorsichtig in die Tasche ihres Schlafanzugs. Als sie das Album gerade zurückstellen wollte, entdeckte sie ein weiteres Foto, das hinten in einen Umschlag geschoben worden war. Sie zog es heraus. Darauf war eine Gruppe Kinder abgebildet, zwei Jungs und zwei Mädchen. Das Bild war ziemlich verschwommen, aber Della war sich ziemlich sicher, ihren Vater und seinen Zwillingsbruder darauf zu erkennen. Eines der Mädchen sah aus wie ihre Tante. Schnell drehte sie das Bild um, aber darauf waren keine Namen notiert. Sie steckte das Bild wieder ins Album und schob das Buch zurück in die Schublade. Als sie gerade die Brandyflasche davor platzierte, ging das Licht im Zimmer an.

»Scheiße!«, murmelte sie und fuhr herum. Es schockierte sie, dass sie heute Nacht schon zum zweiten Mal überrascht worden war. Was war nur mit ihrem Supergehör los? Sie hoffte inständig, dass es wieder Marla war, aber ihre Hoffnungen wurden nicht erfüllt.

Ihr Vater starrte wutentbrannt auf sie runter. »Aha, jetzt stiehlst du also schon den Brandy deines Vaters, ja?«

Mit seiner Wut und seinem Vorwurf hätte sie umgehen können. Aber die tiefe Enttäuschung in seinem Blick war zu viel für sie. Alles in ihr sehnte sich danach, ihm die Wahrheit zu erklären.

Aber sie tat es nicht. Sie tat das, was sie immer tat. Sie stand auf und ließ ihn in dem Glauben, eine gestörte Tochter zu haben, weil die Wahrheit ihn viel mehr verletzt hätte.

 

»Du bist aber früh zurück«, bemerkte Burnett.

Della hatte ihn gleich hinter dem Tor getroffen, nachdem ihre Mutter sie abgesetzt hatte. Ihre Mom hatte die ganze Fahrt kein Wort mit ihr gewechselt. Davor hatte sie ihr jedoch einiges zu sagen gehabt, allerdings war es nichts Neues. Immer dieselbe Standpauke.

»Ja«, erwiderte sie kurz angebunden. Sie hatte keine Lust, mit ihm zu reden.

Burnett war nicht nur Campleiter von Shadow Falls, er arbeitete auch für die FRU – die Fallen Research Unit, eine Abteilung des FBI, die die Übernatürlichen-Gemeinde überwachte. Ein Job, den Della selbst gern gehabt hätte. Ein Job, für den sie sich extrem gut geeignet hielt, auch wenn sie sich gerade sehr verletzlich fühlte. Sie hatte schon mal bei einem Einsatz mitgeholfen und wartete nun auf die nächste Gelegenheit. Weshalb es nicht förderlich sein konnte, jetzt vor Burnett schwach zu wirken. Sie wusste genau, wen sie jetzt gern sehen wollte, sehen musste – einen bestimmten Gestaltwandler, der immer genau das Richtige sagte. Aber wahrscheinlich war er noch gar nicht wieder im Camp.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Burnett, der mit ihrem schnellen, wütenden Schritt locker mithielt.

»Klar«, log sie, und es war ihr egal, dass er an ihrem Herzschlag ihre Lüge sofort enttarnen würde. Aber vielleicht war ihr Herz auch gerade zu gebrochen, um ihre Lüge verraten zu können. Es fühlte sich jedenfalls so an.

»Della, bleib stehen und sprich mit mir«, forderte Burnett sie streng auf.

»Worüber denn?«, erwiderte Della gereizt. Sie hatte sich das ganze Wochenende verstellen müssen, sie hatte jetzt keine Geduld, um von ihm ausgefragt zu werden.

Holiday, die andere Campleiterin und Burnetts Frau, kam auf sie zugeschwankt, ihren riesigen Babybauch vor sich herschiebend. »Was ist los?«

»Nichts, gar nichts. Ich wollte gerade zu meiner Hütte gehen.«

»Du bist aber früh hier«, stellte Holiday fest.

»Und, ist das ein Verbrechen? Wollt ihr, dass ich noch mal weggehe und in vier Stunden wiederkomme? Kann ich gern machen.«

»Nein, wir wollen, dass du uns sagst, was los ist«, zischte Burnett.

»Es ist aber nichts los«, beharrte Della.

»Wieso weinst du dann?«, fragte Holiday stirnrunzelnd.

Weinte sie? Hastig fasste sie sich ans Gesicht, das tatsächlich feucht war. »Allergie«, behauptete sie trotzig.

Burnett stöhnte genervt auf. »Du weißt genau, dass Lügen bei mir –«

»Okay, jetzt beruhigen wir uns alle mal.« Holiday berührte den wütenden Vampir am Oberarm, und Burnett gab nach.

Natürlich hatte eine Feen-Berührung eine ganz spezielle Wirkung, aber Della nahm an, dass es in diesem Fall mehr Burnetts Liebe für Holiday war, die ihn im Zaum hielt.

»Es ist alles okay.« Della knirschte mit den Backenzähnen, als sie Holidays mitfühlenden Blick sah. Della hasste diesen Blick.

»Aber«, fuhr Holiday fort, »wenn du irgendetwas brauchst, kannst du mich immer anrufen, das weißt du.« Sie streckte die Hand aus und legte sie Della auf den Arm. Die Wärme und die Beruhigung, die von Holiday ausgingen, ließen Dellas Wut etwas abflauen. Aber nicht genug.

»Danke«, sagte sie schnell und rannte los, ehe Burnett beschloss, sich doch noch mit seiner schwangeren Frau anzulegen. Und ehe er noch mehr von Dellas Schwäche sehen konnte, was ihn veranlassen würde, sie nicht mehr für die FRU zu empfehlen.

»Denk dran, wir sind hier, wenn du uns …« Holidays Worte verhallten hinter ihr.

Das Einzige, was Della jetzt brauchte, war ihre Ruhe. Sie lief schneller, spürte, wie das Blut in ihren Ohren rauschte, während ihre Füße sich langsam vom Boden abhoben. Halb rannte sie, halb flog sie. Das Trommeln ihrer Schritte auf dem Boden fühlte sich irgendwie beruhigend an. Gegen den Herzschmerz half es aber nicht wirklich.

Als sie an der Weggabelung ankam, wo es zu ihrer Hütte ging, entschied sie, nicht abzubiegen. Sie musste noch mehr aufgestaute Emotionen abbauen. Sie ließ ihren Rucksack an einem Baumstamm fallen, um ihn später dort abzuholen, und schlug den nördlichen Pfad in den Wald ein.

Sie lief bis zum Ende des Geländes und wollte fast über den Zaun springen, aber sie wusste, dass dann der Alarm losgehen und ihr Burnett auf den Hals hetzen würde. Also wandte sie sich nach Westen. Sie rannte so schnell, dass Zweige und kleine Äste gegen ihre Arme peitschten. Sie umrundete das Gelände zweimal, bevor sie den Pfad zu ihrer Hütte einschlagen wollte, als sie etwas hörte. Schritte. Schritte, die auf sie zukamen.

Della war ziemlich erleichtert, dass ihr Supergehör doch noch funktionierte, und schaute konzentriert in die Richtung, aus der sie die Schritte hörte. Aber durch das Dickicht der Bäume und Büsche konnte sie niemanden ausmachen. Schnüffelnd hob sie die Nase in den Wind. Eindeutig Vampir. Aber kein Vampir aus Shadow Falls. Das hätte sie erkannt.

War sie auf einen Eindringling gestoßen? Irgendein abtrünniger Vampir, der in Shadow Falls Ärger machen wollte? Sofort meldete sich Dellas Beschützerinstinkt gegenüber ihrem einzigen richtigen Zuhause, und sie spürte, wie ihre Eckzähne sich verlängerten. Der Gedanke daran, es mit einem fiesen Eindringling aufnehmen zu müssen, hob Dellas Laune augenblicklich. Das war jetzt genau das Richtige, um ihre Aggressionen rauszulassen. Vor allem an jemandem, der es verdient hatte.

Die Schritte wurden zögerlich. Hatte derjenige sie gehört? Oder sie gerochen? Als die Schritte auf einmal leiser wurden, so als würden sie sich von ihr entfernen, wusste sie, dass sie richtiglag.

»Lauf ruhig weg«, murmelte sie. »Das macht es nur lustiger, dich zu fangen!«

Sie wechselte in den Vampir-Modus, hob vom Boden ab und flog über die Baumwipfel, um ihre Beute zu fangen. Im Gegensatz zum Rennen brauchte sie zum Fliegen eine andere Art Energie. Jeder einzelne Muskel in ihrem Körper war angespannt, und sie war hochkonzentriert. Die Landschaft verschwamm unter ihr, während sie in halsbrecherischem Tempo darüber hinwegschoss.

Plötzlich bemerkte sie, dass der Eindringling angehalten hatte, wahrscheinlich um sich zu verstecken. War der Vampir total bescheuert? Er musste doch bemerkt haben, dass sie auch Vampir war und ihn riechen konnte. Sie landete auf einer Lichtung am See. Die Witterung kam aus dem Dickicht hinter den Bäumen.

Ihr kam der Gedanke, dass Burnett jeden Moment heranstürmen konnte. Wenn der Eindringling über den Zaun gekommen war, musste der Alarm längst angesprungen sein.

Sie hoffte nur, dass sie den Kerl zuerst erwischen und festnageln würde, bevor der Campleiter auftauchte. Nachdem sie vorhin vor ihm geweint hatte, wollte sie ihm gern beweisen, dass sie keine Heulsuse, sondern durchaus in der Lage war, weitere Fälle für die FRU zu übernehmen.

»Ich kann dich riechen«, rief sie laut. »Komm raus und mach es dir selbst leichter.« Na bitte, sie war doch fair. »Oder komm nicht raus, dann muss ich dich holen.«

Sie ging auf die Bäume zu, immer auf der Hut vor einem Angreifer.

Sie hätte schwören können, dass da etwas geraschelt hatte. Sie betrat das Dickicht, immer geleitet von ihrer Nase. Je näher sie kam, desto stärker wurde der Geruch des Vampirs. Sie stutzte, als sie bemerkte, dass sie den Vampir schon einmal gerochen hatte. Er war nicht aus Shadow Falls, aber irgendwann musste sie ihn getroffen haben. Auf einmal hatte sie ein ungutes Gefühl. Wann auch immer sie mit diesem Vampir zu tun gehabt hatte, es war nicht positiv gewesen.

Dellas Nackenhaare stellten sich auf. Sie ging weiter, bis sie an ein dichtes Gebüsch kam. Ihre Instinkte sagten ihr, dass der Eindringling sich dort versteckte. Ein wenig verunsichert von ihrem unguten Gefühl atmete sie ein paarmal tief durch. Vielleicht würde Burnett ja doch noch auftauchen.

Doch dann fiel ihr ein, dass ihr das Zögern als Zeichen von Schwäche ausgelegt werden konnte, und mit einem entschlossenen Satz sprang sie in das Gebüsch. Sie knurrte, doch nichts passierte. Dafür entdeckte sie etwas in den dichten Zweigen. Ein blaues Stück Stoff. Ein Hemd. Hatte der Eindringling sein Hemd ausgezogen, um ihre Nase irrezuführen?

Ja, das war es wohl. Und dummerweise hatte es funktioniert. Sie hob das Gesicht, um die Witterung wieder aufzunehmen. Der Geruch kam gleichzeitig mit der Stimme. Direkt hinter ihr.

»Suchst du etwa mich?«

2. Kapitel

Della fuhr herum, ihre Eckzähne wurden noch länger. Ein dunkelhaariger Junge mit blassgrünen Augen stand ein paar Meter hinter ihr. Er trug ausgeblichene Jeans und ein dünnes T-Shirt, das er wahrscheinlich unter dem anderen Hemd getragen hatte. Ihr Blick wanderte unwillkürlich über seine breiten Schultern und die muskulöse Brust. Hier geht es nicht um seine Schultern oder seine Brust, ermahnte sie sich selbst und richtete den Blick schnell wieder auf sein Gesicht.

Sie hatte felsenfest geglaubt, dass er Vampir war, aber die Tatsache, dass seine Eckzähne nicht verlängert waren und seine Augen trotz der bedrohlichen Situation die Farbe behielten, ließ sie kurz zweifeln. Sie zuckte mit den Augenbrauen, um sein Gehirnmuster zu checken. Definitiv Vampir. Er schien auch ihr Muster zu registrieren, reagierte aber ansonsten nicht.

Wieso hatte er keine Angst?

»Du bist unerlaubt auf das Shadow-Falls-Gelände eingedrungen«, blaffte sie ihn an.

Er zog eine Augenbraue hoch. »Ach, meinst du?«

Seine überhebliche Art brachte das Fass zum Überlaufen. Della schoss nach vorn und verpasste seinem muskulösen Oberkörper einen ordentlichen Stoß. Er fiel nach hinten und landete auf seinem Hinterteil. Geschockt sah er sie an.

Della legte zufrieden den Kopf schief. »Ja, das meine ich.«

Er sprang auf und flog die drei Meter, die sie trennten, zurück. Direkt vor ihr kam er zum Stehen und neigte sein Gesicht zu ihr runter. »Du bist ganz schön angriffslustig, dafür, dass du so klein bist.«

Er war mutig, das musste sie ihm lassen. Oder aber dumm. Okay, er war über einen Kopf größer als sie, doch das schüchterte Della nicht ein.

Um das zu unterstreichen, schubste sie ihn wieder. Diesmal packte er sie an den Handgelenken. Seine Finger waren fest wie Schraubzwingen. Sie versuchte, sich loszureißen, aber es war hoffnungslos. Seine Augen wurden heller, und unter seiner Oberlippe zeigten sich die Spitzen seiner Eckzähne.

Gut. Wenigstens nahm er sie jetzt ernst. »Lass mich los!«, zischte sie.

Als er es nicht sofort tat, ging sie zum Angriff über. Blitzschnell schob sie ein Knie in Richtung seiner Eier. Er ließ eines ihrer Handgelenke los, um ihr Knie abzuwehren. Das war ihr eigentliches Ziel gewesen. Sie mochte es nicht, den Genitalien irgendeines fremden Typen so nahe zu sein. Sie packte seinen freien Arm und schleuderte ihn gut fünf Meter durch die Luft. Er landete auf den Füßen, seine Eckzähne waren jetzt ganz entblößt, und seine Augen leuchteten hellgelb.

»Was versuchst du hier eigentlich zu beweisen?«, fragte er, während er furchtlos auf sie zuging.

Dass ich eine gute FRU-Agentin sein kann. »Dass Abschaum wie du nichts auf dem Shadow-Falls-Gelände zu suchen hat.« Sie wippte auf den Fußballen, bereit, sich wieder auf ihn zu stürzen.

»Halt, Della, hör auf!«, befahl eine tiefe, vertraute Stimme hinter ihr.

»Was hat denn so lang gedauert? Ich hab diesen Eindringling gestellt«, erklärte sie und warf Burnett einen kurzen Blick über die Schulter zu. Insgeheim war sie froh, dass er sie in Aktion erlebt hatte.

»Hast du dir mal die Mühe gemacht, ihn zu fragen, ob er wirklich ein Eindringling ist?«, fragte Burnett ungehalten.

»Irgendwie schon.« Oder auch nicht. Della zuckte innerlich zusammen, als ihr klarwurde, dass sie es vermasselt hatte.

Burnetts strenger Blick wanderte weiter zu dem vermeintlichen Bösewicht. »Und du? Hast du ihr gesagt, dass du kein Eindringling bist?«

War der Typ am Ende ein neuer Schüler? Sie traute sich nicht zu fragen, aber das war das Einzige, was Sinn ergab.

»Hast du?«, wiederholte Burnett.

Der eingebildete Nicht-Eindringling zuckte mit den Schultern. »Irgendwie schon.«

Burnett hob entnervt die Hände. »Dann seid ihr beide Schuld an dem Schlamassel.« Sein Blick wanderte von Della zu dem Neuen und zurück. »Kann ich euch vertrauen und zurück an die Arbeit gehen, oder braucht ihr noch einen Babysitter?«

Della runzelte die Stirn. Sie war nicht bereit, die Schuld an der Sache zu tragen. »Du hättest mir sagen sollen, dass jemand Neues auf dem Gelände ist.«

»Das hätte ich gern getan, wenn du nicht einfach weggerannt wärst.« Und mit diesen Worten flog er davon.

Sie drehte sich zu dem Neuankömmling um. Eine halbherzige Entschuldigung lag ihr auf der Zunge, aber dann fiel ihr wieder das ungute Gefühl ein, das sie vorhin gehabt hatte. Sie atmete schnell ein und war sich sicher, dass der Geruch sie an irgendetwas erinnerte. Aber an was? Und wieso löste er negative Gefühle in ihr aus?

Sie hätte ihn beinahe gefragt, ob sie sich schon mal getroffen hatten, aber ehrlich gesagt fühlte sie sich nicht danach, mit dem Typ zu plaudern. Ein paar Minuten zuvor hatte sie ihn schließlich noch fertigmachen wollen. Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich ab und lief zu ihrer Hütte.

»Schön, dich kennengelernt zu haben«, rief er ihr in seinem selbstgefälligen Tonfall hinterher.

Sie drehte sich nicht um und zeigte ihm nur die Hand mit dem ausgestreckten Mittelfinger nach hinten.

Sein Lachen brachte sie erst recht zur Weißglut.

 

Della ging direkt ins Bett. Der Besuch bei ihrer Familie hing ihr immer noch nach. Obwohl sie es nicht erwartet hatte, schlief sie sofort ein. Und sie hätte noch viel länger geschlafen, wenn Kylie und Miranda nicht heimgekommen wären und an ihre Tür gehämmert hätten. Was war daran eigentlich so schwer zu verstehen, dass Vampire einfach tagsüber besser schlafen konnten? Andererseits freute sie sich auch, die beiden wiederzusehen. Solange sie ihre Freunde hatte, konnte es ihr doch egal sein, was ihre Eltern von ihr dachten, oder?

»Ich komm ja schon«, rief sie, als das Klopfen lauter wurde. Della rappelte sich auf und riss schwungvoll die Tür auf.

Kylie und Miranda stürzten ins Zimmer und umarmten sie stürmisch. Kein Fan von Umarmungen …, wollte sie noch einwenden, stattdessen verdrehte Della einfach die Augen und ließ ihre Freundinnen gewähren. Und wenn sie ehrlich war, gefiel es ihr auch ein kleines bisschen.

»Wieso hast du uns nicht angerufen?«, frage Kylie mit sorgenvollem Blick. Die Blondine war ein Chamäleon, eine seltene Art Übernatürlicher, die sich in alle anderen Arten verwandeln konnten. Zusätzlich war Kylie ein Protector – was bedeutete, dass sie extreme Kräfte entwickelte, wenn jemand in Gefahr war, der ihr etwas bedeutete. Sich selbst konnte sie aber nicht beschützen.

»Weil mein Akku leer war und ich mein Ladegerät vergessen hatte«, erklärte Della.

»Du vergisst doch nie was«, erwiderte Miranda, eine Hexe.

Miranda hatte recht. Della vergaß normalerweise nichts. Was war nur los mit ihr? Sie war schon die ganze Woche irgendwie neben der Spur. Sie betastete den Pickel in ihrem Nacken, der ihr den seltsamen Albtraum beschert hatte. Er war fast weg. Gut so.

Sie bemerkte, dass ihre Freundinnen sie anstarrten, und verzog das Gesicht. »Dann erschießt mich halt, weil ich auch mal was vergessen habe.«

Kylie seufzte. »Wir haben uns doch nur Sorgen gemacht. Wie schlimm war es diesmal?«

»Musstest du wieder einen Schwangerschaftstest machen?«, wollte Miranda wissen.

»Nö.« Della seufzte. »Aber ich brauche definitiv ’ne Cola, wenn ich euch mein Herz ausschütten soll.« Sie ging zum Kühlschrank rüber. »Wie war denn euer Wochenende so?«

»Ich brauch auch ’ne Cola«, meinte Miranda. »Ich schwöre euch, meine Mom ist so eine blöde Kuh. Sie hat die ganze Zeit nur darüber geredet, dass die Tochter ihrer Freundin so ’nen doofen Hexen-Wettbewerb gewonnen hat. Also bitte, ich will bei so was gar nicht gewinnen. Soll die kleine Suzie doch Grashüpfer in Glühwürmchen verwandeln können, mir doch egal. Ich bin froh, dass ich Legasthenikerin bin.«

Della nahm drei Dosen aus dem Kühlschrank. Mirandas Herzschlag verriet ihr, dass die Hexe log. Della knirschte mit den Zähnen und widerstand dem Drang, eine Dose mit der Hand zu zerquetschen. Es nervte sie total, dass Miranda ihrer Mutter auf Teufel komm raus gefallen wollte. Sie wünschte, Miranda würde ihrer Mom endlich mal die Stirn bieten.

Della hätte ihr das gern abgenommen. Bei ihren eigenen Eltern war es etwas anderes, sie waren enttäuscht von ihr, weil sie nicht wussten, dass sie ein Vampir war. Aber Mirandas Mutter hielt ihre Tochter einfach so für einen Versager. Am Elternbesuchstag hatte Della mal ein Gespräch zwischen den beiden belauscht, und sie wäre am liebsten zu ihnen rübergegangen und hätte Mirandas Mom mal ordentlich die Meinung gegeigt.

Konnte sie nicht sehen, dass ihre Tochter nur ihre Anerkennung wollte? Und dafür, dass Miranda Legasthenikerin war, lernte sie immer besser, mit ihren Hexenkräften umzugehen. Sie hatte seit mindestens einem Monat niemanden mehr aus Versehen in ein Känguru oder ein Stinktier verwandelt, das war doch schon mal was.

Della reichte Kylie eine Cola. »Und wie war dein Wochenende?«

»Nicht schlecht.« Kylie öffnete ihre Dose.

Das leise Bitzeln der Getränke erfüllte den Raum. Della fiel auf, dass sie dieses Geräusch inzwischen mit ihren regelmäßigen Küchensitzungen in Verbindung brachte, die es in der Regel immer schafften, ihre schlechte Laune zu vertreiben. Das Geräusch bedeutete Stressabbau. Es bedeutete Freundschaft – auch wenn ihre Freunde es nicht schafften, sich ihre Schlafgewohnheiten oder ihre Abneigung gegen Umarmungen zu merken.

»Hast du ihr schon erzählt, dass du dich unsichtbar machen kannst?«, fragte Della an Kylie gewandt. Kylie hatte ihrer Mom tatsächlich erzählt, dass sie nur halb Mensch war, verschwiegen hatte sie hingegen, was sie alles tun konnte.

»Nee, ich hab Angst, dass sie dann total ausflippt«, gestand Kylie. »Es ist ein bisschen so, wie wenn man einem Kind erklären muss, wo die Babys herkommen. Man darf es nicht überstürzen.«

Della musste lachen. »Wisst ihr, ich hab tatsächlich mal so ’ne Sendung über Geburten gesehen. Es war wie bei einem Autounfall, wo man eigentlich nicht hinschauen will, aber auch nicht wegsehen kann.« Della reichte Miranda die dritte Dose und öffnete ihre eigene. Dann ließ auch sie sich am Küchentisch nieder.

Die Gespräche am Küchentisch waren inzwischen zu einem festen Bestandteil ihres Lebens geworden. Und sie waren wichtiger, als es Della eigentlich lieb war. Sie hatte sich wirklich an ihre Mitbewohnerinnen gewöhnt. Was gefährlich war. Denn mal ehrlich, wenn deine Eltern sich von dir abwenden konnten, dann konnten es deine Freunde genauso tun.

Kylie drehte die Dose in der Hand. »Ich hab euch das ganze Wochenende vermisst.«

»Lucas hat sie nicht vermisst.« Miranda öffnete ihre Dose und kippte ihren Stuhl nach hinten. Die Hexe war wie immer aufgeregt, wenn sie eine Neuigkeit verbreiten konnte. Wobei Della ihrer Freundin trotz ihrer Leidenschaft für Klatsch und Tratsch vertraute. Die drei hatten einen Pakt geschlossen. Was am Küchentisch besprochen wurde, blieb am Küchentisch.

»Ihre Mom hat erlaubt, dass Lucas zu Besuch kommt«, platzte Miranda heraus und quietschte freudig.

Della sah Kylie erstaunt an. »Echt? Hat sie dich vorher noch gezwungen, zehn Wie-werde-ich-nicht-schwanger-Broschüren zu lesen?«

Kylie grinste. »Nur eine. Wusstet ihr, dass nur 50 Prozent der Teenager-Mütter einen Highschool-Abschluss schaffen? Und dass die Kinder von Teenie-Müttern eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit haben, die Schule abzubrechen, gesundheitliche Probleme zu haben und während der Jugend inhaftiert zu werden?« Sie grinste. »Wenigstens ging es dieses Mal nicht wieder um Kondome.«

Sie lachten alle zusammen, etwas, das sie am Küchentisch oft taten. »Hat sie euch zusammen ausgehen lassen? Zu einem richtigen Date?«

»Nein, wir waren mit meiner Mom essen und danach sind Lucas und ich auf mein Zimmer, um uns … zu unterhalten.«

»Na klar, habt ihr euch unterhalten. In der Sprache der Verliebten, was?«, neckte sie Della und leckte sich vielsagend über die Lippen.

Kylie und Lucas waren ein richtiges Paar, was bedeutete, dass sie es schon getan hatten. Nicht, dass Kylie ihnen davon erzählt hätte. Nur, dass es wundervoll gewesen war. Della konnte verstehen, dass sie die Details für sich behielt. Jetzt mal im Ernst, Sex war einfach … peinlich. Und manchmal wundervoll.

Einen kurzen Moment lang musste Della an ihren Exfreund Lee denken. Dann fiel ihr ein, wie nah dran an wundervoll es mit Steve gewesen war, dem megaheißen Südstaaten-Gestaltwandler. Gott sei Dank war sie rechtzeitig zur Vernunft gekommen.

»Okay, du bist uns lang genug ausgewichen, jetzt musst du uns schon erzählen, was bei dir los war«, forderte Miranda Della auf.

Della runzelte die Stirn. Ihren Freundinnen das Herz auszuschütten gehörte nicht gerade zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. Obwohl es irgendwie erleichternd war, fühlte es sich auch immer ein bisschen so an, als wäre sie eine Heulsuse. Und auf der anderen Seite hatte sie das Gefühl, ihre Familie zu verraten. Ihr Vater hatte ihr immer Loyalität gegenüber der Familie eingetrichtert.

Sie musste an das Foto aus dem alten Album denken. Und in dem Moment fiel ihr erst wieder ein, dass sie ihren Rucksack an der Weggabelung hatte liegen lassen.

»Mist!« Della sprang auf.

»Was ist?«, fragte Kylie.

»Ich hab meinen Rucksack am Weg liegen lassen.«

»Nein, hast du nicht«, erwiderte Miranda. »Er lag auf der Veranda. Ich hab ihn mit reingebracht. Er ist da auf dem Sofa.«

»Burnett muss ihn gefunden haben und …«

Da kam ihr ein beunruhigender Gedanke. Was, wenn es nicht Burnett gewesen war? Hatte etwa der nichtsnutzige neue Vampir ihren Rucksack genommen? Er wusste nicht, wo sie wohnte, aber er hätte ihrer Spur folgen können. Hatte er etwa in ihren Sachen gestöbert? Die Möglichkeit, dass er ihre Tasche durchsucht haben könnte, machte sie rasend. Und das lag nicht nur an ihren gepolsterten BHs, sondern auch an dem Foto. Wenn er es zerknickt hatte oder … Oh, verdammt, wieso war sie überhaupt so unvorsichtig gewesen, den Rucksack dort liegen zu lassen. Ach ja, sie war ein emotionales Wrack gewesen.

»Was ist los?« Kylie konnte offenbar Dellas Verstimmung spüren.

Della wurde auf einmal von ihrem Misstrauen übermannt und machte ohne Vorwarnung einen Satz über den Tisch und ins Wohnzimmer, wo sie sich ihren Rucksack schnappte. »Da ist so ein neuer Typ im Camp. Vielleicht hat er die Tasche hergebracht.«

»Ja, stimmt«, meinte Kylie. »Lucas hat so was gesagt, dass am Samstag ein Neuer angekommen ist. Ist wohl Vampir.«

Della zog die Augenbrauen zusammen. »Er ist ein Idiot!«

»Wieso ist er ein Idiot?«, fragte Miranda. »Wenn er deine Tasche gefunden und zurückgebracht hat, wo ist da das Problem?«

»Er hat vielleicht meine Sachen durchstöbert!«, keifte Della, der es nicht einleuchtete, wieso die beiden es nicht genauso sahen wie sie. Wer hatte es schon gern, dass ein wildfremder Typ deinen Schlumpf-Schlafanzug oder deine Unterwäsche fand? Sie hob die Tasche an die Nase und schnupperte. »Verdammt! Sein Geruch ist überall!«

»Du hast ihn schon kennengelernt?«, fragte Kylie.

»Ja, allerdings. Burnett hat versäumt, mich zu informieren, dass ein neuer Schüler hier ist, und als ich ihn im Wald entdeckt habe, dachte ich, er wäre ein Eindringling.«

»Ach, herrje!« Miranda kicherte. »Hast du ihn plattgemacht?«

»Ich war gerade dabei, als Burnett dazwischengegangen ist.«

»Ist er süß?«, fragte Miranda. »Nicht, dass ich Interesse hätte … Na ja, aber gegen Anschauen ist ja nichts einzuwenden.« Sie kicherte wieder.

»Ich hab doch schon gesagt, er ist ein Idiot.« In dem Moment flackerte das Bild von dem Typ in seinem engen T-Shirt vor ihrem inneren Auge auf. Schnell öffnete sie die Tasche, um nach dem Foto von ihrem Vater und seinem Zwillingsbruder zu suchen.

»Hast du die Sache mit der Tasche eigentlich geplant, um nicht über dein Wochenende reden zu müssen?«, fragte Miranda.

»Quatsch«, erwiderte Della. »Ich will doch nur sichergehen, dass …« Sie öffnete einen Reißverschluss auf der Suche nach dem weißen Umschlag, den sie zwischen ihre Unterwäsche geschoben hatte.

Er war weg!

Panisch leerte sie den Inhalt der Tasche aufs Sofa, drehte sogar den Rucksack auf den Kopf und schüttelte ihn, in der Hoffnung, der Umschlag würde herausflattern. Aber nichts flatterte.

»Neeeein!«, rief sie entsetzt. Was, wenn sie es nie wiederbekam? Es war wahrscheinlich das einzige Foto, das ihr Vater von sich und seinem Bruder hatte. Es durfte einfach nicht weg sein. Ihr Vater würde sie umbringen.

Nein, würde er nicht, dachte sie. Er wäre nur noch enttäuschter von ihr, als er es eh schon war.

»Das kann nicht sein«, murmelte Della.

»Was kann nicht sein?«, wollte Kylie wissen.

»Er hat es gestohlen. Warum nur?«

»Was gestohlen?«, fragte Kylie.

Della antwortete nicht. Sie musste dieses Stück Scheiße von einem Vampir finden und das Foto zurückbekommen. Sie stürmte aus der Hütte.

Als sie in vollen Flugmodus wechselte, merkte sie, dass sie nicht allein war. Kylie hatte sich in einen Vampir verwandelt und flog neben ihr.

»Was hat er gestohlen?«, fragte sie wieder, während ihr die Haare ums Gesicht wehten.

»Ein Foto«, antwortete Della, und suchte mit den Augen den Boden unter sich nach dem dreckigen kleinen Dieb ab. »Ein altes Foto, das meinem Dad gehört. Ich schwöre, wenn er auch nur eine Ecke an dem Foto geknickt hat, werde ich …«

»Wieso sollte er ein Foto von dir klauen?«

»Keine Ahnung, aber ich werde es herausfinden. Und du willst vielleicht nicht unbedingt dabei sein. Denn wenn es sein muss, werde ich die Antwort aus ihm rausprügeln.«

»Du kannst doch nicht …«

»Das werden wir ja sehen«, meinte Della grimmig. Da entdeckte sie den Typ unter sich im Wald, und das Blut begann in ihren Ohren zu rauschen, als sie in vollen Angriffsmodus schaltete.

3. Kapitel

Kurz bevor Dellas Füße den Boden berührten, schaute der diebische Vampir nach oben. Della landete drei Meter vor ihm. Kylie, die immer alles schlichten musste, landete zwischen ihnen.

»Wo ist es?«, zischte Della und ballte die Hände zu Fäusten. Sie musste sich zur Seite lehnen, um über Kylies Schulter ihr potentielles Opfer zu sehen.

Der Vampir konzentrierte sich kurz auf Kylie und checkte ihr Muster. Da sie gerade Vampir war, gab es nichts Besonderes zu sehen. Della hoffte beinahe, dass er sie angreifen und Kylie in Protector-Modus verfallen würde. Dann könnten sie mit dem Typ Ping-Pong spielen.

Er wandte sich an Della. »Na sieh mal einer an, das Schlumpf-Mädchen ist wieder da. Wenigstens hatte deine Unterwäsche keine Disney-Motive.«

Dellas Blutdruck schoss augenblicklich in die Höhe. »Wie bitte? Es turnt dich an, die Unterwäsche von fremden Mädchen zu durchstöbern? Perverses Schwein!«, knurrte Della mit tiefer Stimme. Sie machte einen Schritt nach vorn, aber Kylie ließ sie nicht durch. »Wo ist es?«, wiederholte Della finster. Der Kerl sollte besser mit der Sprache rausrücken, oder es würde noch böse enden für ihn.

Kylie sah Della an und streckte die Hand aus, als wollte sie sie beruhigen. Aber das konnte Della wirklich nicht. Der Typ hatte das Foto ihres Vaters gestohlen. Die Tatsache, dass Della es zuerst gestohlen hatte, änderte nichts daran.

»Redest du davon?« Der Großkotz zog den gefalteten Umschlag aus seiner Hosentasche.

Sie schnappte es ihm aus der Hand. »Wieso hast du es gestohlen?« Sie öffnete schnell den Umschlag, um zu sehen, ob das Foto unversehrt war. Es sah normal aus. Erleichterung machte sich in ihr breit.

»Ich wollte ihn dir gerade bringen. Als ich den Rucksack gefunden habe, hab ich ihn aufgemacht, um zu sehen, wem er gehört. Dann habe ich ihn zu deiner Hütte gebracht. Erst auf dem Rückweg ist mir der Umschlag auf dem Boden aufgefallen. Er muss wohl rausgefallen sein, als ich die Tasche geöffnet habe.«

»Lügner!«, rief Della, obwohl sein Herzschlag ihn nicht als solchen enttarnt hatte. Sie versuchte wieder, an Kylie vorbeizukommen.

»Warte doch mal.« Kylie sah sie flehend an. »Du hast dein Foto doch wieder. Und ich habe seinen Herzschlag gecheckt. Er hat die Wahrheit gesagt, er wollte es dir wirklich wiederbringen.«

Ach nee, das wusste Della auch. Aber irgendetwas war faul an der Sache, da war sie sich sicher. »Woher wusstest du überhaupt, dass es meine Tasche war, wenn du das Foto mit meinem Nachnamen drauf gar nicht gesehen hattest –? Warte, woher wusstest du überhaupt meinen Namen?«

Der Typ lächelte Kylie an und funkelte dann über ihre Schulter Della an. »Mr James hat dich vorhin Della genannt. Und deine Mommy hat deinen Namen innen in den Rucksack gestickt. Wahrscheinlich als sie dir deinen Schlumpf-Schlafanzug eingepackt hat.«

Della knirschte mit den Zähnen. O Mann, wie gern sie den Kerl jetzt vermöbelt hätte. Sie konnte sich nicht erinnern, ihren Namen je in dem Rucksack gesehen zu haben, aber es klang nach ihrer Mutter, so etwas zu tun. Oder wie etwas, das sie früher getan hätte, als sie ihr noch etwas bedeutet hatte. Aber sie würde es überprüfen, da konnte er Gift drauf nehmen.

»Okay, lass uns gehen«, meinte Kylie. »Wir haben doch, was wir wollten.«

Nein, hatten sie nicht. Sie wollte Blut sehen. Blitzartig schoss sie um Kylie herum und kam direkt vor dem Typ zum Stehen. Wieder stieg ihr sein seltsam vertrauter Geruch in die Nase. »Sind wir uns schon mal begegnet?«

Er vergrub die Hände in den Hosentaschen und wippte auf seinen Schuhsohlen. »Mann, wie vergesslich kann man eigentlich sein? Ich bin der Typ, den du im Wald als Eindringling entlarven wolltest.«

»Das weiß ich auch, Idiot! Ich meinte doch vorher.«

Er hob ebenfalls witternd die Nase. »Ich glaube nicht.«

Sie lauschte auf seinen Herzschlag. Er verriet ihn nicht. Aber sie hatte gehört, dass es Vampire geben sollte, die in der Lage waren, ihren Herzschlag zu kontrollieren. Und da waren noch die notorischen Lügner, deren Lügen nicht mehr auffielen. Er sah aus wie ein notorischer Lügner. Groß, eingebildet, und diese blassgrünen Augen sahen eh total unecht aus.

Sie steckte sich den Umschlag in die Gesäßtasche ihrer Jeans und wandte sich an Kylie. »Komm, wir verziehen uns.«

»Verdammt«, sagte er. »Gerade jetzt, wo es interessant wurde.«

Della wirbelte herum und funkelte ihn böse an. »Interessant? Ich würde lieber meinen Zehennägeln beim Wachsen zusehen, als mit dir abzuhängen.«

Er lachte. Und es machte sie sauer, dass es ihn belustigte. Sie knurrte bedrohlich.

»Okay, wir sollten wirklich los.« Kylie berührte Della am Arm. Aber so wie Kylie eben war, konnte sie die Situation auch nicht auf sich beruhen lassen. Sie musste immer noch etwas Positives sagen. »Ach, und willkommen in Shadow Falls. Ich bin Kylie.«

Della verdrehte genervt die Augen. Wieso musste Kylie immer so verdammt nett sein?

»Du bist Kylie Galen?« Er musterte sie erstaunt. »Wow, ich hab schon von dir gehört.«

»Ach, die Leute übertreiben«, winkte Kylie beschämt ab.

»Ich bin Chase Tallman«, stellte er sich vor, und es war offensichtlich, dass er versuchte, Kylie zu beeindrucken. Er streckte sogar etwas die Brust raus, als wäre er irgendein Vogel, der einen Balztanz aufführte.

Ja, Freundchen, mach nur so weiter, und ich weiß, welcher Werwolf dich bald zum Nachtisch verspeisen wird! Mann, sie würde Lucas alles erzählen und ihm helfen, Rache zu üben an diesem … Chase Tallman.

Della merkte sich den Namen für die Zukunft, dann machte sie kehrt und rauschte davon. Sie mochte diesen Kerl nicht. Vertraute ihm nicht. Und das würde sie auch nicht, bis sie wusste, woher sie ihn kannte und warum er log.

 

»Ich hasse es, wenn ihr beide mich einfach so zurücklasst!«, quengelte Miranda, als Della dicht gefolgt von Kylie wieder die Hütte betrat. »Ich will auch mal mitkommen.«

Della schnaubte genervt. War es etwa ihre Schuld, dass die Hexe nicht fliegen konnte? »Was hätten wir denn tun sollen? Dich huckepack nehmen?«

»Zum Beispiel«, erwiderte Miranda immer noch quengelig. »Ich verpass immer das Beste.«

»Diesmal hast du nichts verpasst. Der Typ ist ein arroganter, grünäugiger Unterwäsche-Perversling.« Della ging zum Sofa und schaute schnell in ihrem Rucksack nach. Und tatsächlich – im Innenfutter stand ihr Name. Verdammt, sie hätte diesen jämmerlichen Vampir zu gern beim Lügen ertappt. Wütend lief sie in die Küche, pfefferte den Umschlag auf den Tisch und ließ sich wieder auf ihren Stuhl plumpsen.

»Wow, nur raus damit«, meinte Miranda.

Della sah, wie Miranda Kylie einen fragenden Blick zuwarf. Kylie zuckte mit den Schultern, als wollte sie sagen: Ich hab doch auch keine Ahnung.

»Das wundert mich jetzt«, sagte Miranda. »Überall hört man, dass er ziemlich heiß sein soll. Also, nicht heißer als Perry, aber …« Sie lächelte selig. Dann wandte sie sich an Kylie. »Ist der Typ heiß?«

Kylie sah Della entschuldigend an. »Ja, schon irgendwie. Aber er könnte trotzdem ein Unterwäsche-Perversling sein.«

»Sind das nicht alle Männer?«, fragte Miranda.

»Nein, der ist echt schlimm«, schaltete sich Della wieder ein. »Ein Egofucker ist er noch obendrauf. Und er hat so einen komischen Geruch … Irgendwie kommt er mir bekannt vor. Aber die Erinnerung ist nicht positiv.«

»Vielleicht riecht er nur so ähnlich wie jemand, den du kennst?«, schlug Kylie vor.

Della schüttelte vehement den Kopf. »Offensichtlich hast du deine Vampirnase noch nicht richtig entwickelt. Wir vergessen keine Gerüche. Und wenn etwas Wichtiges passiert, während man jemanden riecht, dann ist eine Emotion damit verknüpft.«

»Wow. Lucas hat mir erzählt, dass das bei Werwölfen auch so ist«, meinte Kylie.

»Aber die riechen nicht so gut wie Vampire«, schnaubte Della. »Ich meine, es sind Wölfe! Bei einem Vampir ist es eben nicht so, dass er seine Nase überall reinsteckt, und deshalb sind die verknüpften Emotionen stärker.«

»Du musst es ja wissen«, entgegnete Miranda augenzwinkernd. »Nichts ist so gut wie ein Vampir.«

Della funkelte ihre Hexenfreundin böse an.

Miranda kicherte nur.

Offenbar funktionierte Dellas böser Blick nicht mehr besonders gut bei ihr.

»Und, was für Emotionen hast du mit ihm verknüpft?«, fragte Kylie und setzte sich gemeinsam mit Miranda wieder an den Tisch.

»Gefahr«, antwortete Della und nahm das Foto, um es genauer zu betrachten. Ihr Onkel und ihr Vater glichen sich wirklich wie ein Ei dem anderen.

»Vielleicht ist es ja eine gute Art von Gefahr«, bot Miranda an. »Weißt du, vielleicht findet er dich heiß, und das macht dir Angst wegen deiner Gefühle für Steve.«

»Ich hab aber keine Gefühle für Steve«, fuhr Della sie an und runzelte die Stirn, als sie merkte, wie sich ihr eigener Herzschlag erhöhte. Und wenn schon, dann hatte sie eben Gefühle für Steve. Sie würde trotzdem nicht zulassen, dass sie diese Gefühle irgendwie beeinflussten. Della schluckte und konzentrierte sich wieder auf das Foto.

»Schon klar«, meinte Miranda. »Sonst würdest du ja auch mit ihm rummachen.«

»Das klingt so bescheuert. Was soll das überhaupt mit dem Rummachen? Wir sind doch keine Hunde oder so!«

Kylie hob beschwichtigend die Hände. »Was ist eigentlich los, Della?«

»Nichts ist los«, entgegnete Della schmollend.

»Ist es doch«, widersprach Kylie. »Du bist total gereizt.«

»Ich bin immer gereizt!«, erwiderte Della.

»Dann bist du eben besonders arrogant heute«, blaffte Miranda zurück.

»Es gibt einen Unterschied zwischen Arroganz und Selbstbewusstsein«, konterte Della.

Ihre Freundinnen konnte sie damit allerdings nicht abspeisen. »Was ist am Wochenende eigentlich passiert?«, fragte Kylie.

Della spürte die Emotionen in sich aufsteigen und schluckte sie schnell runter, um nicht wie ein kleines Mädchen zu jammern. Dann erzählte sie den beiden in monotonem Tonfall von ihrem Wochenende. Von ihrem Albtraum, dem Loch in der Wand und ihrer Schwester Marla, die ihr gesagt hatte, dass ihr Dad nicht mehr über sie sprach. Sie erzählte ihnen auch davon, dass sie vielleicht einen Onkel hatte, der Vampir war. Oh, und das Beste hob sie sich für den Schluss auf: Die Geschichte, wie sie im Büro ihres Vaters erwischt worden war und er sie für eine klauende Alkoholikerin gehalten hatte.

Kylie saß still da, und in den hellblauen Augen spiegelte sich ihre Sorge. Miranda beobachtete sie gebannt, die Hände auf dem Tisch gefaltet – nur ihre kleinen Finger kreisten unruhig.

»Es tut mir so leid«, meinte Kylie, als sie geendet hatte.

»Wieso? Du kannst doch nix dafür«, erwiderte Della.

»Aber ich könnte etwas tun«, sagte Miranda. »Ich könnte deinen Dad verhexen. Ihm einen Tennisarm verpassen. Oder Ausschlag am Hintern. Den Spruch kann ich gut. Bei mir auf der Schule war so ein Footballspieler, der –«

»Lass ja den Arm und den Hintern von meinem Dad in Ruhe!«

»Ich wollte ja nur helfen.« Miranda hob die Hände.

»Das würde nicht helfen«, meinte Della etwas ruhiger. »Eigentlich kann man ihm gar nichts vorwerfen. Es sah ja wirklich so aus, als wäre ich an seinem Brandy gewesen.«

»Wieso hast du ihm nicht einfach die Wahrheit gesagt?« Kylie war es ernst damit, das spürte Della.

Ihr wurde warm ums Herz. Kylies Sorge und sogar Mirandas verrückte Vorschläge, ihrem Vater Ausschlag an sensiblen Körperstellen zu verpassen, waren der Grund, weshalb Della ihre beiden besten Freundinnen so liebhatte. Sie bedeutete ihnen etwas. Jeder brauchte einen Freund, dem er wichtig war. Gott sei Dank hatte sie die zwei gefunden.

Ihre Nase juckte, aber sie kämpfte tapfer gegen die Tränen an. Wieder griff sie nach dem Umschlag und dachte daran, dass sie vielleicht irgendwo ein Familienmitglied hatte, das sie verstehen würde. Und vielleicht sogar mögen würde.

»Du hättest ihm sagen können, dass Marla dir von seinem Bruder erzählt hat und dass du neugierig warst«, fuhr Kylie fort. »Vielleicht hätte er dir sogar mehr von ihm erzählt.«

»Du kennst meinen Vater nicht. Außerdem meinte Marla, dass sie unsere Eltern belauscht hat und danach selbst schon meine Mom nach unserem Onkel gefragt hätte. Mein Dad weiß wahrscheinlich gar nicht, dass sie etwas gehört hat. Und ich will auf keinen Fall, dass er deswegen sauer auf Marla ist. Es reicht, wenn er eine Tochter für verkorkst hält.«

»Offenbar«, sagte Kylie.

»Ich finde trotzdem, dass er sich wie ein Arsch verhalten hat«, meinte Miranda trotzig.

»Hat er auch«, stimmte Della zu. »Aber wenn ich wirklich das gemacht hätte, was er vermutet hat, dann hätte er auch ein Recht dazu.«

»Aber das hast du ja nicht«, entgegnete Miranda.

»Nein, aber ich habe garantiert schuldig ausgesehen, und ich konnte mich ja schlecht verteidigen. Also war meine einzige Möglichkeit, es einfach hinzunehmen.«

»Das ist ja ätzend«, meinte Miranda. »Ich bin so froh, dass ich es nicht vor meinen Eltern verbergen muss, dass ich übernatürlich bin.«

Was nicht heißt, dass dir deine Mutter nicht auch so das Leben zur Hölle macht. Della hätte den Satz beinahe laut gesagt, hielt es dann aber für geschickter, zu schweigen.

Wie sagte Holiday immer? Nur weil da drinnen Scheiße auftaucht – sie hatte sich an die Schläfe getippt –, heißt das nicht, dass da auch Scheiße auftauchen muss. Dabei hatte sich Holiday an die Lippen gefasst. Die Campleiterin hatte außerdem erzählt, dass übernatürliche Wissenschaftler an einer Studie arbeiteten, die beweisen sollte, dass bei Vampiren irgendein Dingsbums im Gehirn fehlte, das unangemessene Äußerungen filtert.

Wie wörtlich Holiday dies gemeint hatte, wusste Della allerdings nicht. Angesichts der Tatsache, dass Holiday mit Burnett verheiratet war, der bekanntlich kein Blatt vor den Mund nahm, konnte sich Della sogar vorstellen, dass es ernst gemeint gewesen war.

Andererseits war Della auch vor ihrer Verwandlung schon ziemlich direkt gewesen.

Im Kindergarten war sie mal nach Hause geschickt worden, weil sie der Erzieherin gesagt hatte, sie würde aussehen wie Yoda aus Star Wars – wenn Yoda älter und dicker gewesen wäre und schlechter gerochen hätte. Das war allerdings nur eine Reaktion darauf gewesen, dass die Frau Della gefragt hatte, wieso sie einen asiatischen Namen hatte und gar nicht asiatisch aussah.

Zu dem Zeitpunkt hatte Della ziemliche Komplexe wegen ihres Aussehens gehabt und sich gewünscht, sie würde mehr wie ihre asiatischen Cousins und Cousinen aussehen. Vor allem, weil sie auch nicht wie ihre Mutter aussah, die eine typisch amerikanische Blondine war.

Kylie beugte sich vor und betrachtete das Foto. »Hast du eigentlich Burnett mal gefragt, ob er dir helfen kann herauszufinden, ob dein Onkel noch am Leben ist?«

Della atmete scharf ein. »Nein. Ich will nicht, dass die FRU mit reingezogen wird.«

»Denkst du, dein Onkel könnte ein Abtrünniger sein?« Kylie sah sie besorgt an.

»Nein, eigentlich nicht. Wenn er meinem Vater auch nur ein bisschen ähnlich ist, dann ist er eher überkorrekt. Aber vielleicht ist er nicht gemeldet oder irgendwas, und ich will auf keinen Fall diejenige sein, die ihm Ärger macht.«

»Burnett hat meinen Großvater und meine Großtante auch nicht angezeigt, als er sie entdeckt hat«, wandte Kylie ein.

»Das lag aber auch daran, dass sie Chamäleons sind. Wenn sie etwas anderes gewesen wären, hätte er das bestimmt getan. Als Agent der FRU ist er offiziell dazu verpflichtet. Das hat er mir mal ausführlich erklärt, als es um meinen Cousin Chan ging.«

»Also, wie wollen wir es dann rausfinden?«, fragte Kylie.

Das »Wir« in Kylies Frage rührte Della schon wieder. So waren ihre Freundinnen. Wenn eine ein Problem hatte, hielten sie immer zusammen. Aber dass Della so emotional auf den Zusammenhalt reagierte, das war nicht normal. Was war nur los mit ihr?

Sie schob die Gefühle beiseite, was ziemlich anstrengend war: »Ich dachte, ich könnte Derek um Hilfe bitten. Du hast doch gesagt, er hat mal für diesen Privatdetektiv gearbeitet. Und dir hat er doch bei deinen Geisterproblemen auch weiterhelfen können, oder?«

»Das ist eine super Idee. Ich glaub, er hat vorne mit ein paar Jungs Basketball gespielt, als wir reingekommen sind«, meinte Kylie. »Wir könnten gleich mal losgehen und schauen, ob wir ihn finden.«